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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:RT220177
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid RT220177 vom 30.01.2023 (ZH)
Datum:30.01.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Rechtsöffnung
Schlagwörter : Recht; Gesuchsgegnerin; Einsprache; Verfahren; Beschwerde; Mahnbescheid; Zivil; Crotone; Entscheid; Vorinstanz; LugÜ; Verfahrens; Zivilgericht; Italienische; Urteil; Müsse; Können; Italienischen; Ordre; Rechtsmittel; Verfahrens; Public; Gericht; Formell; Eingabe; Italien; Rechtsöffnung; Setze; Ausländischen; Partei
Rechtsnorm: Art. 1 IPRG ; Art. 104 ZPO ; Art. 132 ZPO ; Art. 150 ZPO ; Art. 2 ZGB ; Art. 320 ZPO ; Art. 321 ZPO ; Art. 326 ZPO ; Art. 327 ZPO ; Art. 93 BGG ;
Referenz BGE:138 III 232; 139 III 466;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: RT220177-O/U

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. A. Huizinga, Vorsitzender,

Oberrichterin Dr. D. Scherrer und Oberrichter Dr. M. Kriech sowie Gerichtsschreiber lic. iur. M. Hochuli

Beschluss vom 30. Januar 2023

in Sachen

  1. ,

    Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. X. ,

    gegen

  2. ,

Gesuchsgegnerin und Beschwerdegegnerin vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Y. , betreffend Rechtsöffnung

Beschwerde gegen ein Urteil des Einzelgerichts im summarischen Verfah- ren am Bezirksgericht Bülach vom 19. Oktober 2022 (EB220255-C)

Erwägungen:

    1. Mit Urteil vom 19. Oktober 2022 wies die Vorinstanz das Rechtsöffnungsge- such der Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin (fortan: Gesuchstellerin) in der gegen die Gesuchsgegnerin und Beschwerdegegnerin (fortan: Gesuchsgegnerin) angehobenen Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Bassersdorf-Nürensdorf (Zahlungsbefehl vom 16. November 2021) ab (Urk. 19 S. 11 f. = Urk. 22 S. 11 f.).

    2. Hiergegen erhob die Gesuchstellerin mit Eingabe vom 3. November 2022 rechtzeitig (vgl. Art. 321 Abs. 2 ZPO sowie Urk. 20/1) Beschwerde mit folgenden Anträgen (Urk. 21 S. 2):

      1. Es sei Ziff. 1 des Urteildispositivs vom 19. Oktober 2022 aufzuheben und es sei in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Bassersdorf-Nürensdorf (Zahlungsbefehl vom 16. November 2021) der Rechtsvorschlag zu beseitigen und definitive Rechtsöffnung zu erteilen für:

      • CHF 8'562.00 nebst Zins zu 5% seit dem 18. November 2019 (Haupt- forderung EUR 6'800.00 + gesetzliche Zinsen vom 29. November 2018 bis

        14. November 2018 [sic!] im Umfang von EUR 315.73 + Gerichtsgebühren, Spesen etc. im Umfang von EUR 990.92 = Total EUR 8'106. 65 zum Um- rechnungskurs von EUR/CHF 1,0562)

      • sowie für die Betreibungskosten (einstweilen CHF 73.30).

        1. Es seien Ziff. 2, 3 und 4 des Urteilsdispositivs aufzuheben und die Kosten- und Entschädigungsfolgen ausgangsgemäss der Beschwerdegegnerin auf- zuerlegen.

        2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegeg- nerin.

    3. Der mit Verfügung vom 8. November 2022 eingeforderte Kostenvorschuss von Fr. 450.– wurde rechtzeitig geleistet (Urk. 26 und 27). Die Gesuchsgegnerin erstattete mit Eingabe vom 30. November 2022 innert angesetzter Frist die Beschwerdeantwort (Urk. 28 und 29). Die Gesuchstellerin nahm dazu mit Schreiben vom 12. Dezember 2022 Stellung (Urk. 33). Die Gesuchsgegnerin liess sich dazu nicht mehr vernehmen.

    1. Mit der Beschwerde können unrichtige Rechtsanwendung und offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 320 ZPO). Die beschwerdeführende Partei hat im Einzelnen darzulegen, an welchen Män- geln (unrichtige Rechtsanwendung, offensichtlich unrichtige Feststellung des

      Sachverhalts) der angefochtene Entscheid ihrer Ansicht nach leidet. Was nicht beanstandet wird, braucht von der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich nicht geprüft zu werden.

    2. Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind im Beschwerdeverfahren ausgeschlossen (Art. 326 Abs. 1 ZPO). Was im erstin- stanzlichen Verfahren nicht behauptet, bestritten oder eingereicht wurde, kann im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden. Es herrscht grundsätzlich ein umfassendes Novenverbot sowohl für echte als auch unechte Noven (BGer 5A_872/2012 vom 22. Februar 2013, E. 3; BGer 5A_405/2011 vom 27. Septem-

ber 2011, E. 4.5.3 m.w.H.; vgl. aber immerhin auch BGE 139 III 466 E. 3.4 und BGer 4A_51/2015 vom 20. April 2015, E. 4.5.1). Zulässig sind jedoch neue recht- liche Erwägungen sowie der Nachweis ausländischen Rechts (ZK ZPO- Freiburghaus/Afheldt, Art. 326 N 3 f.; BGE 138 III 232 E. 4.2.4).

3. Die Vorinstanz erwog, beim von der Gesuchstellerin eingereichten Mahnbe- scheid des Zivilgerichts von Crotone vom 29. Mai 2019 handle es sich um einen ausländischen Titel. Dessen Vollstreckbarkeit richte sich primär nach den Regeln eines Staatsvertrags, falls ein solcher bestehe (Art. 1 Abs. 2 IPRG). Der Mahnbe- scheid sei vorliegend von einem italienischen Gericht gefällt worden. Sowohl Ita- lien wie auch die Schweiz seien Vertragsparteien des Lugano-Übereinkommens (LugÜ). Ausserdem falle der vorliegende Mahnbescheid in den Anwendungsbe- reich des LugÜ, da er eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Ziff. 1 LugÜ zum Gegenstand habe, welche nicht vom Ausnahmekatalog gemäss Art. 1 Ziff. 2 LugÜ erfasst werde. Am 1. Januar 2011 sei das revidierte LugÜ in Kraft ge- treten. Dieses finde gemäss Art. 63 Ziff. 1 LugÜ auf die Anerkennung und Voll- streckung ausländischer Entscheidungen Anwendung, wenn bei Klageeinreichung das revidierte LugÜ sowohl im Urteils- als auch im Vollstreckungsstaat in Kraft sei. Vorliegend datiere der Mahnbescheid vom 29. Mai 2019. Der Mahnbescheid als verfahrens(ein)leitendes Schriftstück – durch dessen Zustellung die Gegen- partei jeweils erstmals von dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren Kenntnis erlangt habe – sei der Gesuchsgegnerin ordnungsgemäss am 9. Juli 2021 auf dem Rechtshilfeweg zugestellt worden (mit Verweis auf Urk. 13/3). Es

sei davon auszugehen, dass die Gesuchstellerin ihre Forderungsklage beim Zivil- gericht Crotone nach dem 1. Januar 2011 eingereicht habe. Demnach komme vorliegend das revidierte LugÜ zur Anwendung. Der als Rechtsöffnungstitel ins Recht gelegte Mahnbescheid sei als Entscheid im Sinne von Art. 32 LugÜ zu qua- lifizieren. Die Zustellung des Mahnbescheids am 9. Juli 2021 an die Gesuchsgeg- nerin sei mit dem eingereichten Beleg der Sendungsverfolgung ausgewiesen (Urk. 13/3). Ebenso sei ausgewiesen, dass der Gesuchsgegnerin somit ab dem

10. Juli 2021 die 40-tägige Einsprachefrist gegen den Mahnbescheid zu laufen begonnen habe (Urk. 3/2). Schliesslich sei auch belegt, dass die Gesuchsgegne- rin mit Eingabe vom 12. August 2021 (Urk. 13/4), der Schweizerischen Post am

16. August 2021 übergeben (Urk. 13/5), gegen den Mahnbescheid – vermu- tungsweise innert Frist – Einsprache erhoben und darin u.a. die Verweigerung der Vollstreckung des Mahnbescheids aufgrund von Art. 34 Ziff. 2 LugÜ geltend ge- macht habe (Urk. 13/4). Diese Eingabe sei dem Zivilgericht Crotone am 27. Au- gust 2021 zugestellt worden (Urk. 13/6). Dass die Gesuchsgegnerin Einsprache erhoben habe und das Zivilgericht Crotone im Nachgang hierzu kein Verfahren eingeleitet, sondern ungeachtet der Einsprache am 3. Januar 2022 den Mahnbe- scheid für vollstreckbar erklärt habe (Urk. 3/6), sei von der Gesuchstellerin unbe- stritten geblieben. Namentlich habe die Gesuchstellerin unter Verweis auf Art. 645 des italienischen Codice di procedura civile ausgeführt, dass die Gesuchsgegne- rin die gemäss italienischem Recht zu wahrenden Formvorschriften eines Ein- spruchs missachtet habe (Urk. 15 S. 4 f.). Ihre Einsprache sei deshalb vom Zivil- gericht Crotone auch nicht gehört bzw. ein entsprechendes Verfahren auch nicht an die Hand genommen worden. Mangels Einleitung eines Verfahrens durch das Zivilgericht Crotone gestützt auf die gesuchsgegnerische Einsprache habe sich die Gesuchsgegnerin gegen die Nichtanhandnahme des Verfahrens und somit in- direkt auch gegen den Mahnbescheid, der Inhalt ihrer Einsprache bildete, nicht zur Wehr setzen können. Selbst wenn die formellen Voraussetzungen der Ein- sprache – wie von der Gesuchstellerin behauptet – durch die Gesuchsgegnerin nicht eingehalten worden wären und die Einsprache daher keine Rechtswirkung hätte entfalten können, hätte sich das Zivilgericht Crotone aufgrund des Individu- alrechts der Gesuchsgegnerin auf Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren resp.

der Wahrung des rechtlichen Gehörs mit der Einsprache befassen müssen. Infol- gedessen hätte es zumindest einen verfahrenserledigenden Entscheid fällen müssen, gegen den sich die Gesuchsgegnerin mit einem Rechtsmittel zur Wehr hätte setzen können. Der Gesuchsgegnerin sei damit der Anspruch auf Rechts- schutz verwehrt worden. Anzumerken bleibe, dass der Gesuchsgegnerin auch nicht entgegengehalten werden könne, sie habe es unterlassen, im Urteilsstaat ein Rechtsmittel zu ergreifen, das den Mangel hätte beseitigen können. Da das Zivilgericht Crotone ihre Einsprache unbestrittenermassen nicht an die Hand ge- nommen habe, habe auch kein entsprechender Entscheid existiert, gegen den die Gesuchsgegnerin ein Rechtsmittel hätte einlegen und sich verteidigen können. Ih- re vorgebrachten Rügen der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Erman- gelung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens habe sie somit erst im gegen- ständlichen Verfahren vorbringen können. Entsprechend den Einwendungen der Gesuchsgegnerin habe das Zivilgericht Crotone elementare Grundsätze eines fai- ren Verfahrens in besonders krasser Weise verletzt. Mit dem Verstoss gegen den formellen Ordre public liege ein Verweigerungsgrund gemäss Art. 34 Ziff. 1 LugÜ vor und dem Mahnbescheid sei die Anerkennung in der Schweiz zu verweigern. Auf eine weitergehende Prüfung der übrigen von der Gesuchsgegnerin geltend gemachten Verweigerungsgründe könne somit verzichtet werden. Insbesondere könne offenbleiben, ob aufgrund der erstmaligen fehlerhaften direkten postali- schen Zustellung des Mahnbescheids an die Gesuchsgegnerin – trotz dessen zweiter Zustellung auf dem Rechtshilfeweg – ebenfalls ein Verweigerungsgrund nach Art. 34 Ziff. 2 LugÜ vorliegen würde. Mangels Anerkennbarkeit könne der Mahnbescheid in der Schweiz auch nicht für vollstreckbar erklärt werden. Ent- sprechend sei das darauf gestützte Rechtsöffnungsgesuch abzuweisen (Urk. 22

S. 4 ff.).

    1. Die Gesuchstellerin rügt, die Vorinstanz begründe die Verletzung des schweizerischen Ordre public damit, dass sich das Zivilgericht in Crotone mit der Einsprache hätte befassen müssen und infolgedessen zumindest einen verfah- renserledigenden Entscheid hätte fällen müssen, gegen den sich die Gesuchs- gegnerin mit einem Rechtsmittel zur Wehr hätte setzen können. Mit dieser Argu- mentation verkenne die Vorinstanz aber, dass auch die schweizerische Prozessordnung eine Erledigung ohne Nichteintretensentscheid vorsehe, wenn eine Rechtsschrift nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen entspre- che. So sehe Art. 132 Abs. 3 ZPO ausdrücklich vor, dass querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben nicht nur mangelhaft, sondern vielmehr gänzlich unbeachtlich seien. Das Gericht schicke diese zurück, ohne ein Verfahren zu er- öffnen oder weiterzuführen (mit Verweis auf BK ZPO I-Frei, Art. 132 Rz. 1). Wenn also die schweizerische Rechtsordnung eine Erledigung ohne Nichteintretens- entscheid ausdrücklich vorsehe, so könne unmöglich die in einem LugÜ- Vertragsstaat vorgesehene gleiche Rechtsfolge für eine krass formell ungültige Einsprache eine Verletzung des schweizerischen Ordre public darstellen, zumal eine Verletzung des Ordre public äusserst eng auszulegen sei. Vorliegend habe die Gesuchsgegnerin den gemäss italienischem Verfahrensrecht (Art. 82 CPC) bestehenden Anwaltszwang missachtet, indem sie die Einsprache selbst unter- zeichnet habe. Weiter müsse gemäss Art. 645 CPC eine Einsprache gegen einen Mahnbescheid beim Richteramt (ufficio giudiziario) eingereicht werden, welchem der Richter angehöre, welcher den Mahnbescheid erlassen habe. Dabei müsse ein atto di citazione eingereicht werden, welcher durch den Einsprecher bzw. seinen Anwalt an den Einsprachegegner selbst zugestellt werden müsse (L'op- posizione si propone davanti all'ufficio giudiziario al quale appartiene il giudice che ha emesso il decreto, con atto di citazione notificato al ricorrente nel luoghi di cui all'art. 638). Erst gestützt auf diese bereits durch den Einsprecher zugestellte Vorladung eröffne der Richter das ordentliche Verfahren und setze dann die ei- gentliche Verhandlung an. Diese prozessuale Vorgehensweise sei in ausländi- schen Rechtsordnungen üblich, entspreche der atto di citazione beispielsweise auch dem im angelsächsischen Raum bekannten summon. Die Einsprache der Gesuchsgegnerin entspreche nicht im Geringsten den Vorgaben von Art. 163 CPC für einen atto di citazione. So fehlten die Namen und Adressen der Partei- en, insbesondere des Verfahrensgegners, die Bestimmung des Streitgegenstan- des, eine Begründung der Einsprache mit einer klaren Angabe der Beweismittel, die Angabe des Rechtsvertreters und eine Vollmacht sowie die Angabe des Vor- ladungstermins mit dem Nachweis der entsprechenden Zustellung an die Gegen- partei. Infolge Missachtung der formellen Voraussetzungen gemäss Art. 163 CPC

      sei der atto di citazione nichtig (Art. 164 CPC). Wie sie bereits vor Vorinstanz geltend gemacht habe, sei die Einsprache in der Form, wie sie ergangen sei, der- art krass formell unrichtig, dass eine Nichtbeachtung des Gerichts in Crotone nachvollziehbar sei. Aufgrund der mangelhaften Eingabe der Gesuchsgegnerin sei das Zivilgericht in Crotone nicht einmal in der Lage gewesen, ein entspre- chendes kontradiktorisches Einspracheverfahren zu eröffnen, um überhaupt einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Denn der atto di citazione – also die Vorla- dung – sei gar nicht ihr bzw. ihrem italienischen Rechtsvertreter zugestellt wor- den, weshalb das Gericht in Crotone mit der Einsprache der Gesuchsgegnerin schlichtweg nichts habe anfangen können und sie insbesondere auch keinem Verfahren habe zuordnen können, weil sie nicht im Entferntesten den prozessua- len Vorgaben eines atto di citazione entsprochen habe. Ausserdem sei es rechtsmissbräuchlich, wenn sich die anwaltlich vertretene Gesuchsgegnerin erst im Rechtsöffnungsverfahren auf den Einwand berufe, ihre Einsprache sei durch das Gericht in unzulässiger Weise unbeachtet geblieben. Denn die Gesuchsgeg- nerin hätte sich, da zumutbar, bereits im ausländischen Verfahren dagegen zur Wehr setzen müssen, nachdem sie während mehreren Monaten keine Rückmel- dung über den Eingang ihrer Einsprache erhalten habe. Es wäre ihr möglich ge- wesen – insbesondere als sie von der Vollstreckbarkeitserklärung Kenntnis er- langt habe – sich nach dem Verbleib ihrer Einsprache zu erkundigen bzw. eine Rechtsverweigerungsbeschwerde in Italien zu erheben. Wenn man die prozessu- alen Vorschriften eines ausländischen Staates nicht kenne, sei es Aufgabe der in- volvierten Partei, sich entsprechend zu informieren, was die Gesuchsgegnerin of- fensichtlich nicht getan habe. Zudem sei nicht zu vergessen, dass die Gesuchs- gegnerin schon mit der ersten postalischen Zustellung des Mahnbescheides am

      29. Juni 2019 bzw. seit nunmehr drei Jahren davon Kenntnis gehabt habe, dass ein Verfahren gegen sie in Italien eröffnet worden sei. Sie habe sich aber offen- sichtlich nie darum bemüht, einen italienischen Rechtsvertreter beizuziehen und sich über die italienischen Verfahrensregeln zu informieren. Dies sei der Ge- suchsgegnerin (und nicht ihr) anzulasten. Es wäre für die Gesuchsgegnerin bzw. ihren Rechtsvertreter ohne weiteres zumutbar gewesen, sich über den Verfah- rensstand in Italien zu informieren. Indem die Gesuchsgegnerin dies unterlassen

      habe – auch nachdem der Mahnbescheid für vollstreckbar erklärt worden sei – müsse sie sich diese Nachlässigkeit vorwerfen lassen, die es treuwidrig erschei- nen lasse, wenn sie sich nun auf diesen Verfahrensfehler im ausländischen Ver- fahren berufe. Eine solche Vorgehensweise verdiene in Anwendung von Art. 2 Abs. 2 ZGB keinen Rechtsschutz. Demnach liege keine Verletzung des formellen Ordre public und somit auch kein Verweigerungsgrund in Anwendung von Art. 34 Ziff. 1 LugÜ vor (Urk. 21 S. 8 ff.).

    2. Die Gesuchsgegnerin hält dem entgegen, die Gesuchstellerin lege mit ihrer Beschwerdeschrift diverse Auszüge des italienischen Codice Civile sowie des Codice di Procedura Civile vor, die im vorinstanzlichen Rechtsöffnungsverfahren nicht vorgebracht worden seien. Es handle sich demnach um unzulässige Noven, die aus dem Recht zu weisen seien. Vorliegend habe sie fristgerecht und rechts- gültig gegen den Mahnbescheid Nr. 457/2019 vom 29. Mai 2019 Einsprache er- hoben. Eine Teilnahme oder Information des italienischen Gerichts an sie über das weitere Vorgehen sei gänzlich ausgeblieben. Dies widerspreche den Grund- prinzipien des schweizerischen Verfahrensrechts, was zur Folge habe, dass vor- liegend nicht von einem geordneten, rechtsstaatlichen und fairen Verfahren die Rede sein könne. Wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt habe, habe sich das Zivilgericht von Crotone nicht mit ihrer rechtzeitigen Einsprache befasst. Es hätte sich aufgrund ihres Individualrechts auf Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren resp. Wahrung des rechtlichen Gehörs mit der Einsprache befassen und zumin- dest einen verfahrenserledigenden Entscheid fällen müssen, gegen den sie sich mit einem Rechtsmittel zur Wehr hätte setzen können. Dadurch habe das Zivilge- richt Crotone elementare Grundsätze eines fairen Verfahrens in besonders kras- ser Weise verletzt, weshalb eine Anerkennung und Vollstreckung des Mahnent- scheides in der Schweiz zu verweigern sei. Sofern die Gesuchstellerin einen Ver- gleich zu Art. 132 ZPO ziehe, sei dieser vorliegend völlig unbehelflich. So habe sie erst mit dem verfahrensabschliessenden Urteil vom bereits durchgeführten Verfahren in Italien Kenntnis erhalten. Inwiefern die Gesuchstellerin diesbezüglich aus der ZPO-Bestimmung betreffend mangelhafte, querulatorische und rechts- missbräuchliche Eingaben etwas für sich ableiten wolle, sei schleierhaft, zumal diese Bestimmung nur zur Anwendung gelangen könne, wenn eine Partei vom

      Verfahren überhaupt Kenntnis habe. Tatsache sei, dass sie keinerlei Möglichkeit gehabt habe, sich im respektive während des Verfahrens in Italien zur Wehr zu setzen. Der erstmals von der Gesuchstellerin als unzulässiges Novum vorge- brachte Anwaltszwang in Italien ergebe sich überdies gerade nicht aus der Über- setzung des Urteils. Sie habe sich auch nicht über das italienische (Prozess-) Recht (präventiv und kostenpflichtig unter Beizug eines italienischen Anwalts) in- formieren müssen. Die Gesuchstellerin verkenne in geradezu exemplarischer Weise die vom IPRG und LugÜ bezweckten Schutzmechanismen hinsichtlich des Ordre public. Zudem sei die pauschale Behauptung der Gesuchstellerin unzutref- fend, dass sie anwaltlich vertreten gewesen sei. In Italien sei sie zu keinem Zeit- punkt anwaltlich vertreten gewesen. Es könne ihr daher nicht entgegengehalten werden, sie habe es unterlassen, ein Rechtsmittel zu ergreifen, das den Mangel hätte beseitigen können. Da ihre Einsprache unbestritten nicht vom Zivilgericht von Crotone anhand genommen worden sei, habe dementsprechend auch kein Entscheid vorgelegen, gegen den sie sich hätte verteidigen können. Entspre- chend seien elementare Grundsätze eines fairen Verfahrens in besonders krasser Weise verletzt worden, weshalb ein Verweigerungsrund nach Art. 34 LugÜ vorlie- ge (Urk. 29 S. 3 ff.).

    3. In der Stellungnahme vom 12. Dezember 2022 führte die Gesuchstellerin aus, entgegen der Ansicht der Gesuchsgegnerin beschlage die Ermittlung aus- ländischen Rechts nicht den Sachverhalt und stelle keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage dar. Obwohl gemäss Art. 150 Abs. 2 ZPO ausländisches Recht bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten Beweisgegenstand sein könne, kämen die gewöhnlichen Beweisregeln nicht zur Anwendung. Mit der Einreichung der italie- nischen Gesetzestexte und der entsprechenden Übersetzung und Erläuterung in der Beschwerdeschrift sei sie ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen. Weil das Recht, auch das ausländische, keine Tatsache sei, könnten die eingereichten Ge- setzestexte bereits begrifflich kein Novum darstellen und daher dürften die für tatsächliche Noven aufgestellten zeitlichen Schranken nicht einfach übernommen werden (mit Verweis auf BGer 5A_973/2017 vom 4. Juni 2019, E. 4.3). Ausser- dem gelte der Ausschluss neuer Beweismittel nicht, wenn diese – wie vorliegend

– für die geltend gemachten Beschwerdegründe unerlässlich seien (mit Verweis

auf BK ZPO II-Sterchi, Art. 326 N 3), da die Vorinstanz zu Unrecht mit einer Ver- letzung des formellen Ordre public argumentiert habe und die eingereichten Ge- setzesartikel dazu dienten, dies zu widerlegen (Urk. 33 S. 2 f.).

    1. Der Nachweis von ausländischem Recht wird entgegen der Ansicht der Ge- suchsgegnerin (Urk. 29 S. 4 Rz. 9) nicht vom Novenverbot gemäss Art. 326

      Abs. 1 ZPO erfasst (vgl. oben Ziff. 2.2), weshalb die Ausführungen der Gesuch- stellerin zum italienischen Zivilverfahrensrecht in der Beschwerdeschrift berück- sichtigt werden können.

    2. Zwischen den Parteien ist unstrittig (vgl. Urk. 11 S. 4 f. und Urk. 21 S. 4 Rz. 8 f.), dass die Gesuchsgegnerin mit Schreiben vom 12. August 2021 beim

      Tribunale di Crotone Einsprache gegen dessen Mahnbescheid vom 29. Mai 2019 erhob (Urk. 13/4-6), welcher ihr am 9. Juli 2021 zugestellt worden war (Urk. 13/2- 3). Strittig ist hingegen, ob und gegebenenfalls welche Wirkungen diese Einspra- che entfaltete und ob die unterbliebene Eröffnung eines Einspracheverfahrens ei- ner Vollstreckung des Mahnbescheids entgegensteht.

    3. Die Einsprache (opposizione) nach Art. 645 CPC gegen einen Mahnbe- scheid (decreto ingiuntivo) unterliegt genauen und strengen Formvorschriften. Insbesondere muss sie zwingend von einem Anwalt unterzeichnet werden, an- sonsten sie als nicht existent bzw. als nicht erhoben gilt (BGer 5A_48/2012 vom 3. Juli 2012, E. 2.4; BGer 4A_145/2010 vom 5. Oktober 2010, E. 6.3 m.w.H.). Vor- liegend wurde die Einsprache vom 12. August 2021 jedoch nicht von einem An- walt, sondern (nur) von der Gesuchsgegnerin selbst unterzeichnet (vgl. Urk. 13/4; siehe auch Urk. 21 S. 11 Rz. 32 und Urk. 29 S. 8 Rz. 29), weshalb sie mit einem Formmangel behaftet war. Entgegen der Ansicht der Gesuchsgegnerin und der Vorinstanz verstösst es nicht gegen den schweizerischen Ordre public, dass das Tribunale di Crotone ihre Einsprache aufgrund der fehlenden Unterschrift eines Anwalts als nicht existent bzw. als nicht erfolgt betrachtete und daher nicht dar- über entschied (BGer 4A_145/2010 vom 5. Oktober 2010, E. 7.1). Damit erweist sich die Rüge als begründet, die Vorinstanz sei diesbezüglich zu Unrecht von ei- nem Verstoss gegen den formellen Ordre public und in der Folge vom Vorliegen eines Verweigerungsgrundes i.S.v. Art. 34 Ziff. 1 LugÜ ausgegangen.

    4. Soweit die Rechtsmittelinstanz die Beschwerde gutheisst, hebt sie den an- gefochtenen Entscheid auf und weist die Sache an die Vorinstanz zurück oder entscheidet sie neu, wenn die Sache spruchreif ist (Art. 327 Abs. 3 ZPO). Letzte- res ist vorliegend nicht der Fall, da die Vorinstanz die Eingabe der Gesuchstellerin vom 20. Juni 2022 der Gegenpartei erst mit ihrem Urteil vom 19. Oktober 2022 zukommen liess (vgl. Urk. 22 S. 11 Dispositiv-Ziff. 5) und die Gesuchsgegnerin deshalb dazu noch nicht Stellung nehmen konnte. Daher ist das angefochtene Ur- teil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird das Verfahren fortzusetzen und einen neuen Entscheid zu fällen haben.

    1. Die Entscheidgebühr für das Beschwerdeverfahren ist in Anwendung von Art. 48 i.V.m. Art. 61 Abs. 1 GebV SchKG auf Fr. 450.– festzusetzen.

    2. Die Verteilung der zweitinstanzlichen Gerichtskosten sowie der Entscheid über eine allfällige Parteientschädigung für das Beschwerdeverfahren ist dem neuen Entscheid der Vorinstanz zu überlassen, d.h. (grundsätzlich) vom definiti- ven Ausgang des Rechtsöffnungsverfahrens abhängig zu machen (Art. 104 Abs. 4 ZPO).

Es wird beschlossen:

  1. Das Urteil des Einzelgerichts am Bezirksgericht Bülach vom 19. Oktober 2022 wird aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückge- wiesen.

  2. Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 450.– festgesetzt.

  3. Die Regelung der Prozesskosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens wird dem neuen Entscheid der Vorinstanz vorbehalten.

  4. Es wird vorgemerkt, dass die Gesuchstellerin einen Kostenvorschuss von Fr. 450.– geleistet hat.

  5. Schriftliche Mitteilung an die Parteien sowie an die Vorinstanz, je gegen Empfangsschein.

    Nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist gehen die erstinstanzlichen Akten an die Vorinstanz zurück.

  6. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

    Dies ist ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 8'562.–. Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung. Hinsichtlich des Fristenlaufs gelten die Art. 44 ff. BGG.

    Zürich, 30. Januar 2023

    Obergericht des Kantons Zürich

    1. Zivilkammer Der Gerichtsschreiber:

lic. iur. M. Hochuli versandt am:

lm

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