E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht (BE)

Kopfdaten
Kanton:BE
Fallnummer:BK 2023 63
Instanz:Obergericht
Abteilung:Beschwerdekammer in Strafsachen
Obergericht Entscheid BK 2023 63 vom 30.05.2023 (BE)
Datum:30.05.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:vorzeitige Verwertung
Schlagwörter :
Rechtsnorm: Art. 124 KG ; Art. 26 BV ; Art. 266 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 428 StPO ;
Referenz BGE:111 IV 41; 130 I 360;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
BK 2023 63 - vorzeitige Verwertung
Obergericht
des Kantons Bern

Beschwerdekammer in Strafsachen
Cour suprême
du canton de Berne

Chambre de recours pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 09
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Beschluss
BK 23 63
Bern, 30. Mai 2023



Besetzung Oberrichter Bähler (Präsident), Oberrichter Schmid,
Oberrichter Horisberger
Gerichtsschreiberin Neuenschwander



Verfahrensbeteiligte A.________
Beschuldigter/Beschwerdeführer


Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern



Gegenstand vorzeitige Verwertung
Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz

Beschwerde gegen die Verfügung der Regionalen Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland vom 6. Februar 2023 (BM 23 5367)

Erwägungen:
1. Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz durch Fahren ohne Berechtigung. Mit Verfügung vom 31. Januar 2023 beschlagnahmte sie den Lieferwagen Mercedes Benz 412 D, Stammnummer: B.________, Kontrollschild C.________ (vgl. hierzu separates Verfahren BK 23 61). Mit Verfügung vom 6. Februar 2023 ordnete die Staatsanwaltschaft die vorzeitige Verwertung des beschlagnahmten Lieferwagens an. Gegen diese Verfügung vom 6. Februar 2023 reichte A.________ (nachfolgend: Beschwerdeführer) am 14. Februar 2023 bei der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern (nachfolgend: Beschwerdekammer) Beschwerde ein. Neben seinem Gesuch um aufschiebende Wirkung beantragte er sinngemäss die Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie die Wiedererwägung der Verfügung des Strassenverkehrsamtes des Kantons Bern vom 14. Oktober 2016, mit der ihm der Führerausweis entzogen wurde. Mit Verfügung vom 17. Februar 2023 eröffnete die Verfahrensleitung der Beschwerdekammer ein Beschwerdeverfahren und hiess das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gut. Nachdem die amtlichen Akten der Staatsanwaltschaft bei der Beschwerdekammer eingegangen waren, gab die Verfahrensleitung der Beschwerdekammer der Generalstaatsanwaltschaft am 23. Februar 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Stellungnahme vom 16. März 2023 schloss die Generalstaatsanwaltschaft auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
2. Gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft kann bei der Beschwerdekammer innert zehn Tagen schriftlich und begründet Beschwerde geführt werden (Art. 393 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 396 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0], Art. 35 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft [GSOG; BSG 161.1] i.V.m. Art. 29 Abs. 2 des Organisationsreglements des Obergerichts [OrR OG; BSG 162.11]). Der Beschwerdeführer ist durch die vorzeitige Verwertung seines Fahrzeuges unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 382 StPO). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist – unter Vorbehalt des Nachstehenden – einzutreten.
Da das Anfechtungsobjekt den Streitgegenstand definiert, kann auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 14. Oktober 2016 nicht weiter eingegangen werden. Was er in dieser Hinsicht vorbringt – der Entzug des Führerausweises soll widerrechtlich erfolgt sein und es sei zu überprüfen, ob die vorgeschriebene «Zweit-EEG-Messung» vorgenommen worden sei –, ist nicht Streitgegenstand vor der Beschwerdekammer und fällt darüber hinaus auch nicht in deren Zuständigkeitsbereich. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren geht es einzig darum zu überprüfen, ob die vorzeitige Verwertung zu Recht verfügt wurde oder nicht.


3.
3.1 Die angefochtene vorzeitige Verwertung erfolgte mit der Begründung, dass das sichergestellte Fahrzeug über einen Marktwert verfüge, der einer raschen Wertverminderung unterliege. Zudem würde die Garagierung des Fahrzeuges für die Dauer des Verfahrens einen beträchtlichen Kostenfaktor darstellen. Eine vorzeitige Verwertung bzw. bei Wertlosigkeit Vernichtung des Fahrzeuges scheine daher angezeigt.
3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, dass zu Beginn der seitens der Staatsanwaltschaft dargelegten Vorstrafenserie der widerrechtliche Entzug der «Fahrbewilligung» stehe. Er verlange deshalb die Aufhebung der widerrechtlichen Beschlagnahme, die zudem seine Geschäftstätigkeit und Berufsausübung verunmögliche. Nur wenige Tage nach der Beschlagnahme habe die Staatsanwaltschaft verfügt, dass der zuvor als Beweismittel und zwecks Deckung von Verfahrenskosten beschlagnahmte Lieferwagen vernichtet werden solle. Dies mute eigentümlich und willkürlich an, werde die Geschichte bis zur Quelle zurückverfolgt. Aus diesem Grund ersuchte der Beschwerdeführer die Beschwerdekammer, die Vernichtung seines Lieferwagens zu verhindern und die sofortige Herausgabe zu veranlassen, um seine Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten und weiteren Schaden abzuwenden.
3.3 Die Generalstaatsanwaltschaft weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass das Fahrzeug nur einen geringen objektiven Wert darstelle, der bereits nach einer relativ kurzen Verfahrensdauer durch die Garagierungskosten überschritten würde. Dass der Gebrauchswert für den Beschwerdeführer wesentlich höher sei, möge zutreffen, sei jedoch vorliegend irrelevant, da eine Rückgabe des Fahrzeugs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen sei. Damit sei die vorzeitige Verwertung aufgrund des Missverhältnisses zwischen den Garagierungskosten und dem Fahrzeugwert im Sinne von Art. 124 Abs. 2 SchKG zulässig.
4.
4.1 Gemäss Art. 266 Abs. 5 StPO können unter anderem Gegenstände, die einer schnellen Wertverminderung unterliegen oder einen kostspieligen Unterhalt erfordern, nach den Bestimmungen des SchKG sofort verwertet werden (Satz 1). Der Erlös wird mit Beschlag belegt (Satz 2). Die vorzeitige Verwertung solcher Gegenstände dient der Erzielung eines möglichst hohen Erlöses und damit sowohl den Interessen des Beschuldigten als auch denjenigen des Staats. Angesichts des damit einhergehenden schweren Eingriffs ins Eigentum (Art. 26 BV) ist davon jedoch zurückhaltend Gebrauch zu machen (Urteile des Bundesgerichts 1B_125/2019 vom 26. April 2019 E. 5.2; 1B_461/2017 vom 8. Januar 2018 E. 2.1; BGE 130 I 360 E. 14.2; je mit Hinweisen). Die Frage, ob im konkreten Fall ein Unterhalt im Sinne des Gesetzes kostspielig ist, bestimmt sich nach dem Verhältnis des Werts der beschlagnahmten Ware zu den Unterhaltskosten, wobei der voraussichtlichen Dauer dieses Aufwandes Rechnung zu tragen ist (BGE 111 IV 41 E. 3b; Urteil des Bundesgerichts 1B_586/2020 vom 2. Februar 2021 E. 4.1). Unter Berücksichtigung seiner wahrscheinlichen Dauer ist der Unterhalt kostspielig, wenn die erwarteten Auslagen angesichts des Wertes des beschlagnahmten Gutes, gegebenenfalls zuzüglich jenes seiner Einkünfte, unverhältnismässig erscheinen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Verwaltung oder die Erträge des betroffenen Gutes die Unterhaltskosten vollumfänglich oder zu einem grossen Teil decken können (Urteile des Bundesgerichts 1B_586/2020 vom 2. Februar 2021 E. 4.1; 1B_95/2011 vom 9. Juni 2011 E. 3.2.1).
Zu prüfen ist im Folgenden, ob das Fahrzeug im Sinne von Art. 266 Abs. 5 StPO einer schnellen Wertverminderung unterliegt und/oder einen kostspieligen Unterhalt erfordert. Vorliegend handelt sich um einen Lieferwagen Mercedes-Benz 412 D. Es ist gerichtsnotorisch, dass Fahrzeuge im Laufe der Zeit einer (degressiven) Wertverminderung unterliegen. Nähere Angaben zum Fahrzeug sind den Akten nicht zu entnehmen. Jedoch lässt die Inverkehrsetzung am 28. April 2000 auf ein altes Modell schliessen, womit der Wertzerfall nicht mehr im Zentrum stehen kann. Es darf objektiv bloss noch von einem geringen Wert des Fahrzeugs ausgegangen werden. Im Vordergrund stehen umgekehrt die monatlichen Einlagerungskosten. Deren Höhe ist den Akten nicht zu entnehmen; diese dürften sich aber praxisgemäss auf monatlich ca. CHF 200.00 belaufen. Eine kostengünstigere Lösung zeigt sich nicht auf, zumal strafrechtlich beschlagnahmte Gegenstände gemäss Art. 266 Abs. 2 zweiter Satzteil StPO sachgerecht aufbewahrt werden müssen und so zu sichern sind, dass sie nicht verloren gehen, keinen Schaden nehmen und nicht an Wert einbüssen, wofür die Behörde die Verantwortung übernimmt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_461/2017 vom 8. Januar 2018 E. 2.2 und auch Heimgartner, a.a.O., N. 4 zu Art. 266 StPO).
In diesem Zusammenhang ist weiter die voraussichtliche Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Bei dem im Raum stehenden Vorwurf der Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz durch Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis ist davon auszugehen, dass das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft mit einem Strafbefehl seinen Abschluss finden wird. In Anbetracht des Verfahrensstandes (polizeiliche Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt) und des im Raum stehenden Vorwurfs wäre es daher unter Umständen zwar möglich, dass das Strafverfahren nicht mehr allzu viel Zeit in Anspruch nehmen könnte. Unter Berücksichtigung der Uneinsichtigkeit/Unbelehrbarkeit des Beschwerdeführers (vgl. dazu Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 23 61 vom 30. Mai 2023 E. 5.2) ist allerdings zu erwarten, dass er die ihm zustehenden Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelwege zumindest teilweise ausschöpft, was das Strafverfahren deutlich verlängern wird. Mit Bezug auf den nur noch geringen objektiven Wert des Fahrzeuges erscheinen daher die bis zum mutmasslichen Abschluss des Verfahrens auflaufenden Einlagerungskosten als deutlich zu hoch. Das Erfordernis des kostspieligen Unterhalts ist damit erfüllt.
4.2 Zu prüfen ist weiter die Verhältnismässigkeit der vorzeitigen Verwertung. Es ist unbestritten, dass die vorzeitige Verwertung dazu geeignet ist, die aktuellen Unterhaltskosten sowie den Wertzerfall und das Risiko von Standschäden zu minimieren, gleichzeitig aber den Geldwert des Fahrzeugs im Hinblick auf den Endentscheid zu sichern. Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Die vorzeitige Verwertung erweist sich sodann auch als zumutbar, zumal ein Verzicht darauf nichts an der Beschlagnahme des Fahrzeugs auf unbestimmte Zeit ändern würde. Darüber hinaus ist in Erinnerung zu rufen, dass eine Einziehung des Fahrzeuges zum heutigen Zeitpunkt als sehr wahrscheinlich erscheint (vgl. hierzu separates Verfahren BK 23 61). Die vorzeitige Verwertung erscheint mithin auch verhältnismässig.
5. Nach dem Gesagten wurde daher die vorzeitige Verwertung zu Recht angeordnet. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens, bestimmt auf CHF 900.00, dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Dieser hat zufolge seines Unterliegens keinen Anspruch auf eine Entschädigung.
Die Beschwerdekammer in Strafsachen beschliesst:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, bestimmt auf CHF 900.00, werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Es wird keine Entschädigung gesprochen.
4. Zu eröffnen:
• dem Beschuldigten/Beschwerdeführer (per Einschreiben)
• der Generalstaatsanwaltschaft (per Kurier)
Mitzuteilen:
• der Regionalen Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland, Staatsanwältin D.________ (mit den Akten – per Kurier)



Bern, 30. Mai 2023
Im Namen der Beschwerdekammer
in Strafsachen
Der Präsident:
Oberrichter Bähler

Die Gerichtsschreiberin:
Neuenschwander

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden durch die Beschwerdekammer in Strafsachen in Rechnung gestellt.

Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.
www.swissactiv.ch
Menschen zusammenbringen, die gemeinsame Interessen teilen
Die Freude an Bewegung, Natur und gutem Essen fördern
Neue Leute treffen und Unternehmungen machen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz