E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil D-6130/2014

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-6130/2014
Datum:18.12.2014
Leitsatz/Stichwort:Rechtsverzögerung/Rechtsverweigerung
Schlagwörter : Beschwerde; Verfahren; Verfahrens; Beschwerdeführer; Rechtsverzögerung; Bundesverwaltungsgericht; Verfügung; Behandlung; Anhörung; Asylverfahren; Person; Asylgesuch; Entscheid; Behörde; Vorinstanz; Frist; Ersucht; Eingabe; Akten; Beschwerdeerhebung; Beurteilung; Urteil; Richter; Regel; Gesuch; Asyls; Hinweis; Rechtsverzögerungsbeschwerde; Prioritär; Sinne
Rechtsnorm: Art. 29 BV ; Art. 48 VwVG ; Art. 50 VwVG ; Art. 61 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:107 Ib 160; 130 I 312; ;
Kommentar zugewiesen:
MARKUS MÜLLER, Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren VwVG, Zürich, Art. 46 a VwVG, 2008
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-6130/2014

teb/sol/don

U r t e i l  v o m  1 8.  D e z e m b e r  2 0 1 4

Besetzung Richter Bendicht Tellenbach (Vorsitz),

Richterin Muriel Beck Kadima, Richter Yanick Felley, Gerichtsschreiber Linus Sonderegger.

Parteien A. , geboren ( ), Ruanda,

vertreten durch Stefan Hery,

HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende Thurgau, ( )

Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Rechtsverzögerung / Rechtsverweigerung / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer reiste eigenen Angaben zufolge am 4. September 2011 mit einem Visum, ausgestellt von der Schweizer Botschaft in Nairobi, legal in die Schweiz ein. Am 25. September 2011 suchte er beim Empfangsund Verfahrenszentrum (EVZ) B. um Asyl nach. Am 11. Oktober 2011 wurde die Befragung zur Person (BzP) durchgeführt. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2011 wurde der Beschwerdeführer für die Dauer des Asylverfahrens dem Kanton C. zugewiesen.

B.

    1. Mit Eingabe vom 13. August 2014 zeigte der Rechtsvertreter dem BFM sein Mandat an und ersuchte um Akteneinsicht. Zudem verwies er auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der Annahme einer Rechtsverzögerung und forderte das BFM auf, umgehend einen Anhörungstermin anzusetzen und das Verfahren danach rasch abzuschliessen.

    2. Das BFM teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26. August 2014 mit, dass sein Asylgesuch einer prioritären Behandlung zugeführt werde, die Anhörung und der Entscheid jedoch nicht auf ein bestimmtes Datum hin in Aussicht gestellt werden könnten.

C.

    1. Mit Eingabe vom 22. Oktober 2014 erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Rechtsverzögerungsbeschwerde gegen das BFM und beantragte, es sei festzustellen, dass das Verfahren vor dem BFM zu lange dauere und dass es anzuweisen sei, das Asylverfahren ohne weitere Verzögerung zu bearbeiten und zügig abzuschliessen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG sowie um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

      Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor, dass bis dato keine Anhörung stattgefunden habe. Seit dem Schreiben des BFM vom 26. August 2014 seien weitere zwei Monate vergangen, ohne dass ein Termin für die Anhörung angesetzt worden sei. Nach 37 Monaten seien seine Geduld und das Verständnis aufgebraucht. Er sei sich der hohen Geschäftslast bewusst und habe auch Verständnis dafür, dass nicht jedes Asylverfahren innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Fristen behandelt werden könne. Der gesetzliche Auftrag des BFM sei es jedoch, die Asylverfahren innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zu einem Abschluss zu bringen. Organisatorische Probleme dürften nicht zu Lasten der Rechte der Asylsuchenden gehen. Die überaus lange Untätigkeit des BFM verstosse gegen das Beschleunigungsgebot von Art. 29 Abs. 1 BV. Eine Nichtbehandlung eines Asylverfahrens während einer weit geringeren Zeit habe das Bundesverwaltungsgericht regelmässig als zu lange bezeichnet. Er gehe davon aus, dass sich das BFM nicht weigere, eine Verfügung zu erlassen, weshalb es sich nicht um eine Rechtsverweigerung handle. Es liege jedoch eine Rechtsverzögerung vor.

    2. Mit Eingabe vom 23. Oktober 2014 reichte er eine Fürsorgebestätigung nach.

D.

Mit Zwischenverfügung vom 7. November 2014 hiess der Instruktionsrichter das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG gut, erhob entsprechend keinen Kostenvorschuss und überwies die Akten der Vorinstanz zur Vernehmlassung.

E.

In seiner Vernehmlassung vom 12. November 2014 teilte das BFM mit, dass sich im vorliegenden Fall die Suche nach einer geeigneten dolmetschenden Person zeitweilig als schwierig erwiesen habe.

F.

In seiner Replik vom 28. November 2014 (Poststempel) nahm der Beschwerdeführer Stellung zum Inhalt der Vernehmlassung.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer anfechtbaren Verfügung kann bei der Beschwerdeinstanz, die für die Behandlung einer Beschwerde gegen eine ordnungsgemäss ergangene Verfügung zuständig wäre, Beschwerde geführt werden (Art. 46a VwVG; vgl. dazu auch

      MARKUS MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG), Zürich 2008, Rz. 3 zu Art. 46a). Das Bundesverwaltungsgericht ist damit zur Beurteilung der vorliegenden Rechtsverzögerungsbeschwerde zuständig.

    2. Rechtsverzögerungsbeschwerden richten sich gegen den Nichterlass einer anfechtbaren Verfügung. Die Beschwerdelegitimation setzt voraus, dass bei der zuständigen Behörde zuvor ein Begehren um Erlass einer Verfügung gestellt wurde und Anspruch darauf besteht. Ein Anspruch ist anzunehmen, wenn die Behörde verpflichtet ist, in Verfügungsform zu handeln, und dem Rechtssuchenden nach Art. 6 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG Parteistellung zukommt (vgl. BVGE 2008/15 E. 3.2, mit weiteren Hinweisen).

      Der Beschwerdeführer, welcher in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt und um Erlass eines entsprechenden Asylentscheids in Form einer anfechtbaren Verfügung ersucht hat, ist zur Beschwerde legitimiert.

    3. Gegen das unrechtmässige Verzögern einer Verfügung kann grundsätzlich jederzeit Beschwerde geführt werden (Art. 50 Abs. 2 VwVG). Dennoch steht der Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung nicht völlig im Belieben einer beschwerdeführenden Person, zumal auch hier der Grundsatz von Treu und Glauben eine Grenze bildet. Die beschwerdeführende Person muss überdies darlegen, dass sie zur Zeit der Beschwerdeerhebung ein schutzwürdiges - mithin aktuelles und praktisches - Interesse an der Vornahme der verzögerten Amtshandlung respektive der Feststellung einer entsprechenden Rechtsverzögerung hat (vgl. ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl., Basel 2013, Rz. 5.23).

Der Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ist vorliegend nicht zu beanstanden. Das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an der Vornahme der allenfalls verzögerten Amtshandlung manifestiert sich vorliegend in der bei den Akten liegenden Eingabe vom 13. August 2014, mit welcher er um beförderliche Verfahrenserledigung ersucht hat. Auf die Rechtsverzögerungsbeschwerde ist damit einzutreten.

2.

Die Prüfungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts beschränkt sich auf die Frage, ob das Gebot des Rechtsschutzes in angemessener Zeit im konkreten Fall verletzt worden ist oder nicht. Im Falle einer Gutheissung

der Beschwerde weist es die Sache mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück (Art. 61 Abs. 1 VwVG). Hingegen hat sich das Gericht einer Stellungnahme dazu, wie ein unrechtmässig verzögerter Entscheid inhaltlich hätte ausfallen sollen, zu enthalten, da es - Spezialkonstellationen vorbehalten - nicht anstelle der untätig gebliebenen Behörde entscheiden darf, ansonsten der Instanzenzug verkürzt und allenfalls weitere Rechte der am Verfahren Beteiligten verletzt würden (vgl. BVGE 2008/15

E. 3.1.2, mit weiteren Hinweisen).

3.

    1. Das Verbot der Rechtsverzögerung ergibt sich als Teilgehalt aus der allgemeinen Verfahrensgarantie von Art. 29 Abs. 1 BV. Danach hat jede Person vor Gerichtsund Verfahrensinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (sog. Beschleunigungsgebot).

    2. Von einer Rechtsverzögerung im Sinne des Gesetzes ist nach Lehre und Praxis auszugehen, wenn behördliches Handeln zwar nicht (wie bei einer Rechtsverweigerung) grundsätzlich infrage steht, aber die Behörde nicht innert der Frist handelt, die nach der Natur der Sache objektiv noch als angemessen erscheint. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen. In Betracht zu ziehen sind dabei namentlich die Komplexität der Sache, das Verhalten der betroffenen Beteiligten und der Behörden, die Bedeutung des Verfahrens für die betroffene Partei sowie einzelfallspezifische Entscheidungsabläufe (vgl. zum Ganzen BGE 130 I 312 E. 5.1 und

5.2 mit weiteren Hinweisen auf Lehre und Praxis). Ein Verschulden der Behörde an der Verzögerung wird nicht vorausgesetzt, weshalb sie das Rechtsverzögerungsverbot auch dann verletzt, wenn sie wegen Personalmangels oder Überlastung nicht innert angemessener Frist handelt (vgl. BGE 107 Ib 160 E. 3c; 103 V 190 E. 5c). Spezialgesetzliche Behandlungsfristen sind bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigen.

3.3 Gemäss Art. 29 Abs. 1 Bst. b AsylG hört das BFM die Asylsuchenden innerhalb von 20 Tagen nach dem Entscheid über die Zuweisung in den Kanton zu den Asylgründen an. Nach den vom Gesetzgeber per 1. Februar 2014 zusätzlich verschärften Behandlungsfristen für das erstinstanzliche Asylverfahren ist über Asylgesuche materiell in der Regel innerhalb von zehn Arbeitstagen nach der Gesuchstellung zu entscheiden (Art. 37 Abs. 2 AsylG).

4.

    1. Dem Bundesverwaltungsgericht ist die hohe Arbeitslast des BFM bekannt. Es ist nicht nur nachvollziehbar, sondern aufgrund der Geschäftslast unvermeidbar, dass nicht jedes Asylverfahren innerhalb der gesetzlichen Behandlungsfristen abgeschlossen werden kann, was in der Formulierung von Art. 37 Abs. 2 AsylG ("in der Regel") zum Ausdruck kommt. Keine solche Relativierung kennt die Bestimmung von Art. 29 Abs. 1 AsylG betreffend die Frist zur Anhörung zu den Asylgründen; aber dennoch handelt es sich auch bei dieser Behandlungsfrist um eine blosse, bei Überschreitung nicht mit verfahrensrechtlichen Sanktionen verbundene Ordnungsfrist.

    2. Der Beschwerdeführer rügt, dass sein Asylgesuch zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung seit 37 Monaten anhängig sei. Mit dieser Verfahrensdauer wird die vom Gesetzgeber vorgesehene Regeldauer massiv überschritten. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, muss sich der Beschwerdeführer vorliegend jedoch entgegenhalten lassen, dass alleine aufgrund der langen Verfahrensdauer und dem Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-6418/2012 vom 26. Februar 2013 noch nicht von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ausgegangen werden kann. Einerseits handelt es sich beim zitierten Urteil um einen anders gelagerten Sachverhalt, andererseits ist festzustellen, dass das BFM entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht während drei Jahren untätig geblieben ist. So lässt sich den Akten entnehmen, dass das BFM im Dezember 2012 diverse Abklärungen vorgenommen hat (vgl. act. A15/1).

    3. Angesichts der konkreten Verfahrensgeschichte spielt die Gesamtdauer des anhängigen Verfahrens eine untergeordnete Rolle. Nachdem der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 13. August 2014 um prioritäre Behandlung seines Asylgesuchs ersucht hat, entschuldigte sich die Vorinstanz mit Schreiben vom 26. August 2014 für die lange Bearbeitungszeit und teilte mit, dass sein Gesuch einer prioritären Behandlung zugeführt werde. Es sei dem BFM jedoch nicht möglich, die Anhörung und den Entscheid auf ein bestimmtes Datum hin in Aussicht zu stellen (vgl. act. A19/2). Daraufhin ist das BFM gerade nicht tatenlos geblieben, sondern hat umgehend die erforderlichen Schritte in die Wege geleitet, um baldmöglichst die Anhörung durchführen zu können (vgl. act. A20/1; ausgefülltes internes Auftragsformular für die Vorladung zur Anhörung, datiert vom 2. September 2014). Die Dauer von rund zwei Monaten nach der Ankündigung des BFM, es werde das Asylgesuch nun prioritär behandeln, vermag in Würdigung dieser Umstände die Annahme einer Rechtsverzögerung deshalb noch nicht zu begründen.

    4. Zusammenfassend erweist sich die Rüge der Rechtsverzögerung als unbegründet, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist. Die Akten gehen zur Fortführung und Entscheidung des Verfahrens an die Vorinstanz zurück.

5.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da aber sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG mit Zwischenverfügung vom 7. November 2014 gutgeheissen wurde, ist auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu verzichten.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

3.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer und das BFM.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Bendicht Tellenbach Linus Sonderegger

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.
www.swissactiv.ch
Menschen zusammenbringen, die gemeinsame Interessen teilen
Die Freude an Bewegung, Natur und gutem Essen fördern
Neue Leute treffen und Unternehmungen machen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz