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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:BES.2020.84 (AG.2020.320)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid BES.2020.84 (AG.2020.320) vom 20.05.2020 (BS)
Datum:20.05.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Rückzugsfolge bei Fernbleiben von der Einvernahme im Strafbefehlsverfahren
Schlagwörter: Schwer; Beschwerde; Beschwerdeführerin; Staatsanwaltschaft; Januar; Februar; Einvernahme; Einsprache; Verfahren; Verfügung; Ausland; Vorladung; Schreiben; Stunde; Einvernahmetermin; Krankheit; Stunden; Beschwerdeverfahren; Termin; Worden; Strafbefehl; Werden; Angefochtenen; Schuldig; Möglich; Einspracheverfahren; Einschreiben; Gericht; Verfahrens; Verteidiger
Rechtsnorm: Art. 205 StPO ; Art. 355 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 428 StPO ; Art. 48 BGG ; Art. 85 StPO ;
Referenz BGE:137 I 23; 140 IV 82;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



BES.2020.84


ENTSCHEID


vom 20. Mai 2020



Mitwirkende


lic. iur. Liselotte Henz

und Gerichtsschreiberin lic. iur. Barbara Grange




Beteiligte


A____, geb. [...] Beschwerdeführerin

[...] Beschuldigte

vertreten durch [...], Advokat,

[...]

gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Binningerstrasse 21, 4001 Basel



Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 13. März 2020


betreffend Rückzugsfolge wegen Fernbleiben von der Einvernahme

im Strafbefehlsverfahren



Sachverhalt


Mit Strafbefehl vom 12. September 2019 wurde A____ der Sachbeschädigung (aus öffentlicher Zusammenrottung und mit grossem Schaden), der Nötigung, des Hausfriedensbruchs und des Landfriedensbruchs schuldig erklärt und zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu CHF 30.-, unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren, sowie zu einer Busse von CHF 900.- (bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise 9 Tage Freiheitsstrafe) verurteilt. Gegen diesen Strafbefehl hat A____ rechtzeitig Einsprache erhoben.


Am 13. März 2020 hat die Staatsanwaltschaft verfügt, dass auf die Einsprache vom 19. September 2019 in Anwendung von Art. 355 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) nicht eingetreten wird. Gegen diese Verfügung hat die rechtlich vertretene A____ Beschwerde eingereicht. Sie beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung mit dem Resultat, dass das Einspracheverfahren nach wie vor anhängig sei. In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat sie verlangt, dass die Staatsanwaltschaft umgehend anzuweisen sei, ihr die Strafakten elektronisch zuzustellen, wobei ihr nach der Akteneinsichtnahme die Gelegenheit zu gewähren sei, die Beschwerdebegründung zu ergänzen. Auch sei ihr die Möglichkeit einzuräumen, auf eine allfällige Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu replizieren. Dies alles unter Kostenfolge zu Lasten der Staatsanwaltschaft, eventualiter, für den Fall ihres Unterliegens, sei ihr die amtliche Verteidigung zu gewähren.


Mit Stellungnahme vom 5. Mai 2020 hat die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, aufgrund der gemäss Zustellnachweis der schweizerischen Post nicht erfolgten Zustellung der Vorladung vom 23. Januar 2020 sei nicht - wie in der angefochtenen Verfügung angenommen - von einem Rückzug der Einsprache zufolge unentschuldigten Nichterscheinens auszugehen. Demnach sei die Einsprache nach wie vor bei der Staatsanwaltschaft anhängig und die Beschwerde sei zufolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben.


Am 8. Mai 2020 hat der Verteidiger der Beschwerdeführerin nach Erhalt der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft seine Honorarnote eingereicht.


Der vorliegende Abschreibungsentscheid ist im schriftlichen Verfahren unter Beizug der Vorakten ergangen.



Erwägungen


1.

1.1 Gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft ist die Beschwerde zulässig (Art.393 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. b StPO). Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§§ 88 Abs. 1 i.V.m. 93 Abs. 1 Ziff. 1 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG, SG154.100]). Die Kognition des Beschwerdegerichts ist frei und nicht auf Willkür beschränkt (Art. 393 Abs. 2 StPO). Der Entscheid ergeht im schriftlichen Verfahren (Art.397 Abs. 1 StPO). Die Beschwerdeführerin ist von der angefochtenen Verfügung unmittelbar berührt und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an deren Änderung, weshalb sie zur Beschwerde legitimiert ist (Art. 382 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde ist - in Wiederherstellung der Frist aufgrund einer beim Verteidiger eingetretenen Infektion mit dem Covid 19 Virus (Instruktionsverfügung vom 20. März 2020) - form- und fristgerecht eingereicht worden (Art. 396 StPO), sodass darauf einzutreten ist.


1.2

1.2.1 Zur Beurteilung einer Beschwerde nach Art. 393 StPO bedarf es eines aktuellen Rechtsschutzinteresses der Beschwerdeführerin an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids. Diese muss also im Zeitpunkt des Rechtsmittelentscheides noch beschwert sein (Lieber, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur StPO, 2.Auflage 2014, Art.382StPO N13; Ziegler, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2.Auflage 2014, Art. 382 N2). Das Beschwerdeverfahren ist einzustellen, wenn das schutzwürdige Interesse schon bei der Beschwerdeeinreichung gefehlt hat. Demgegenüber ist es als erledigt abzuschreiben, wenn das schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahinfällt (vgl. BGE 137 I 23 E.1.3.1 S. 24 f.).


1.2.2 Die Staatsanwaltschaft ist nach Erhalt der Beschwerde zur Stellungnahme auf den Inhalt der angefochtenen Verfügung zurückgekommen und hat daraufhin in ihrer Stellungnahme das Einspracheverfahren gegen den Strafbefehl vom 12. September2019 als weiterhin pendent erklärt. Damit ist das aktuelle Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin im Verlauf des Beschwerdeverfahrens dahingefallen. Das Beschwerdeverfahren ist folglich als erledigt abzuschreiben.


2.

2.1 Damit sind ausschliesslich die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu verlegen. Wird ein Rechtsmittelverfahren aus Gründen gegenstandslos, die erst nach Ergreifen des Rechtsmittels eingetreten sind, ist über die Verfahrenskosten mit summarischer Begründung auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu entscheiden. Bei der Beurteilung der Kostenfolgen ist in erster Line auf den mutmasslichen Ausgang des Verfahrens abzustellen, ohne unter Verursachung weiterer Umtriebe die Prozessaussichten im Einzelnen zu prüfen. Dabei soll es bei einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben. Auf dem Weg über den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil gefällt und unter Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden (vgl. AGE HB.2019.31 vom 28. Mai 2019 E.2.1, HB.2015.13 vom 1. April 2015 E. 2; BGer 6B.109/2010 vom 22. Februar 2011 E.4.1; Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, in: BBl 2006 S.1328; Domeisen, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2.Auflage 2014, Art. 428 StPO N 14). Lässt sich dieser im konkreten Fall nicht feststellen, so sind allgemeine prozessrechtliche Kriterien heranzuziehen. Danach wird jene Partei kostenpflichtig, welche das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst hat oder in welcher die Gründe eingetreten sind, die dazu geführt haben, dass der Prozess gegenstandslos geworden ist (vgl. statt vieler AGE BES.2018.22 vom 5.Dezember2018 E. 2.1).


2.2

2.2.1 Die Staatsanwaltschaft legte in der ursprünglich angefochtenen Verfügung zusammengefasst dar, dass der Termin für die nach Erhebung der Einsprache gegen den Strafbefehl vom 12. September 2019 vorgesehene Einvernahme der Beschwerdeführerin zur Sache und den Einsprachegründen von der Beschwerdeführerin mehrmals abgesagt worden sei bzw. sie mehrmals um eine Verschiebung des Einvernahmetermins ersucht habe. Nachdem die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 22. Januar 2020 - beinhaltend den dritten Terminänderungsantrag - mitgeteilt habe, ihr sei es möglich, am 18. oder am 26. Februar 2020 zur Einvernahme zu erscheinen, habe die Staatsanwaltschaft die Beschwerdeführerin mit Vorladung vom 23. Januar 2020 auf den 18.Februar 2020 vorgeladen. Mit Schreiben vom 4. Februar2020 habe die Beschwerdeführerin bekannt gegeben, dass sie ihren vormals kommunizierten Auslandaufenthalt wegen schwerer Krankheit verschieben müsse, weshalb sie erst ab dem 18. März 2020 für eine Einvernahme zur Verfügung stehe. Mit Schreiben vom 6. Februar 2020 habe die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie eine allfällige Nichtwahrnehmung des Einvernahmetermins vom 18.Februar 2020 zufolge Krankheit mit einem Arztzeugnis zu belegen habe und eine erneute Verschiebung eines Auslandaufenthalts keinen Verhinderungsgrund im Sinne von Art. 205 Abs. 2 StPO darstelle. Am 13. Februar 2020 habe der Verteidiger der Beschwerdeführerin um Verschiebung der Einvernahme vom 18. Februar auf den 18. März 2020 ersucht, da die Beschwerdeführerin erst am 22. Februar 2020 aus dem Ausland zurückkehre. Dem dazu eingereichten Flugticket habe man entnehmen können, dass es am 31. Januar 2020 - und damit nachdem die Beschwerdeführerin selbst den 18.Februar 2020 als Einvernahmetermin vorgeschlagen habe - ausgestellt worden sei. Den neu vorgebrachten Verhinderungsgrund der Auslandabwesenheit habe sich die Beschwerdeführerin folglich selbst zuzuschreiben, weshalb dem Verteidiger mit Schreiben vom 14. Februar 2020 mitgeteilt worden sei, dass am Einvernahmetermin vom 18. Februar 2020 festgehalten werde. Ebenfalls sei in diesem Schreiben dargelegt worden, dass die Beschwerdeführerin den bislang vorgebrachten Verhinderungsgrund der Krankheit (noch) nicht belegt habe und die im Verlaufe der Terminverschiebungsanträge gemachten Verhinderungsgründe teilweise widersprüchlich erschienen. Es sei deshalb festzustellen, dass die Beschwerdeführerin der Vorladung vom 23. Januar 2020 zur Einvernahme am 18. Februar 2020 unentschuldigt nicht nachgekommen sei, obwohl sie mehrmals auf die entsprechenden Folgen solchen Tuns aufmerksam gemacht worden sei. Daraus sowie aufgrund der widersprüchlichen «Verschiebungshistorie», wegen dem bislang unbelegten Verhinderungsgrund der Krankheit und dem die Krankheit überlagernden Verhinderungsgrund der Auslandabwesenheit, der ihr selbst zuzuschreiben sei, sei zu schliessen, dass das geltend gemachte Verfahrensinteresse bloss vorgeschoben und deshalb nicht zu schützen sei.


In der Stellungnahme zur Beschwerde führt die Staatsanwaltschaft aus, dass die fragliche Vorladung vom 23. Januar 2020 - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerdeschrift - gemäss dem Zustellungsnachweis der schweizerischen Post der Beschwerdeführerin nicht habe zugestellt werden können. Damit könne entgegen der angefochtenen Verfügung vom 13. März 2020 nicht von einem Rückzug der Einsprache infolge unentschuldigten Nichterscheinens am fraglichen Einvernahmetermin vom 18. Februar 2020 ausgegangen werden, weshalb das Verfahren noch pendent sei.

2.2.2 Die Beschwerdeführerin hatte in der Beschwerdeschrift ausführen lassen, dass sie zufolge einer vom 23. Januar bis 3. Februar 2020 andauernden Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, die ihr mittels Einschreiben vom 23. Januar 2020 zugestellte Vorladung zur Einvernahme am 18. Februar 2020 bei der Post abzuholen. Die Staatsanwaltschaft habe es unterlassen, ihr diese Vorladung erneut zuzustellen und habe damit treuwidrig gehandelt. Sie habe folglich - in Unkenntnis des von der Staatsanwaltschaft vorgesehenen Termins - am 4. Februar 2020 die Staatsanwaltschaft darüber informiert, dass sie zufolge Krankheit den bereits angekündigten Auslandaufenthalt habe verschieben müssen und um eine erneute Vorladung für den 18.März 2020 gebeten. Mit dem der Beschwerdeschrift beigelegten Arztzeugnis vom 4. Februar 2020 hat sie ihre Krankheit in der Zeit vom 23. Januar bis 3. Februar 2020 belegt.


2.3 Gemäss Art. 355 Abs. 2 StPO gilt die Einsprache gegen einen Strafbefehl als zurückgezogen, wenn die die Einsprache erhebende Person trotz Vorladung einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Einvernahme unentschuldigt fernbleibt. Zu dieser Bestimmung hat das Bundesgericht in BGE 140 IV 82 E. 2.3 ff. S. 84 ff. in grundsätzlicher Weise festgehalten, das Strafbefehlsverfahren sei mit der Rechtsweggarantie gemäss Art. 29a der Bundesverfassung (BV, SR 101) und dem Anspruch auf Zugang zu einem Gericht mit voller Überprüfungskompetenz gemäss Art. 6 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, SR 0.101) nur vereinbar, weil es letztlich vom Willen des oder der Betroffenen abhänge, ob er oder sie den Strafbefehl akzeptieren oder mit Einsprache vom Recht auf gerichtliche Überprüfung Gebrauch machen wolle. Angesichts dieser fundamentalen Bedeutung des Einspracherechts dürfe ein konkludenter Rückzug der Einsprache gegen den Strafbefehl nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten der betroffenen Person der Schluss aufdränge, sie verzichte bewusst auf den ihr zustehenden Rechtsschutz. Der fingierte Rückzug setze daher voraus, dass sich die unentschuldigt fernbleibende Person der Konsequenzen ihrer Unterlassung bewusst sei und sie in Kenntnis der massgebenden Rechtslage auf die ihr zustehenden Rechte verzichte (BGE 140 IV 82 E. 2.3 S.84; in diesem Sinne bereits BGer 6B_152/2013 vom 27.Mai 2013 E. 3 und 4, insb. E. 4.5). Gestützt auf diese Argumentation sowie unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO) und das Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO), hiess das Bundesgericht in BGE 140 IV 82 eine Beschwerde gut, mit der moniert worden war, das von der Vorinstanz angenommene Desinteresse am Fortgang des Einspracheverfahrens beruhe auf einer doppelten Fiktion, wenn zuerst die Vorladung fingiert werde, um anschliessend aus dem durch Unkenntnis der Vorladung bedingten Fernbleiben auf den Rückzug der Einsprache zu schliessen. Die Annahme eines Desinteresses am Einspracheverfahren gestützt auf die Nichteinhaltung eines mit einem nicht abgeholten Einschreiben mitgeteilten Einvernahmetermins ist folglich trotz der gesetzlich statuierten Zustellungsfiktion für nicht abgeholte Einschreiben (Art. 85 Abs. 4 lit a StPO) nicht möglich (s. auch AGE BES.2017.39 vom 2. Mai 2017 E. 4.2.).


2.4 Die Beschwerdeführerin hat die mit Einschreiben vom 23. Januar 2020 versandte Vorladung zur Einvernahme am 18. Februar 2020 nicht entgegengenommen und innerhalb der Abholfrist nicht bei der Post abgeholt. Dies obwohl sie um das hängige Einspracheverfahren wusste und mit der Zustellung von Schriftstücken in diesem Zusammenhang rechnen musste. Dies umso mehr, als sie um die ausstehende Festlegung des Einvernahmetermins wusste (s. zu den notwendigen Voraussetzungen einer Zustellfiktion nach Art. 85 Abs. 4 StPO Brüschweiler, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 85 N 6). Inwiefern die zwischenzeitlich belegte Krankheit in der Zeit vom 24. Januar bis und mit 3. Februar 2020 die nicht erfolgte Abholung zu entschuldigen vermag, kann dabei unbeantwortet bleiben, weil aufgrund der zitierten Rechtsprechung zur Einspracherückzugsfiktion die Nichtabholung des Einschreibens ohnehin nicht die Annahme einer unentschuldigten Absenz für den vorgesehenen Termin im Sinne von Art. 355 Abs. 2 StPO zu begründen vermag. Dies hat ungeachtet der Tatsache zu gelten, dass die Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum offenbar in der Lage war, Ferien zu organisieren (Buchung eines Flugtickets am 31. Januar 2020), was grundsätzlich dafür spricht, dass sie auch in der Lage gewesen wäre, die rechtzeitige Abholung eines Einschreibens zu organisieren. Jedenfalls ist die Staatsanwaltschaft nach Kenntnis der Beschwerde auf ihren Entscheid, auf die Einsprache nicht einzutreten, zurückgekommen und hat richtigerweise mit der Stellungnahme zur Beschwerde das Verfahren als weiterhin anhängig erklärt. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin sich am 4. und am 18. Februar 2020 durch ihren Verteidiger vom vorgesehenen Einvernahmetermin abmelden liess. Damit hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren sowie die Gründe der eingetretenen Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu vertreten, da sie bereits vor Erlass der angefochtenen Verfügung in der Lage gewesen wäre, die Zustellung des Einschreibens vom 23. Januar 2020 zu überprüfen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Beschwerde gutzuheissen gewesen wäre. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gehen folglich zu Lasten der Staatskasse.


2.5

2.5.1 Mit Blick auf den zukünftigen Verlauf des Strafverfahrens gegen die Beschwerdeführerin ist allerdings aufzuzeigen, dass die Staatsanwaltschaft gleichwohl nicht aus nichtigem Anlass auf ein Desinteresse der Beschwerdeführerin am Einspracheverfahren geschlossen hat.


2.5.2 Bereits mit Erhebung der Einsprache hatte die Beschwerdeführerin darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich vom 23. September bis 7. November 2019 im Ausland aufhalten werde. Daraufhin wurde die Beschwerdeführerin erstmals mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 23. Dezember2019 zur Einvernahme am 27. Januar 2020 vorgeladen. Mit Schreiben vom 8. Januar 2020 teilte die Beschwerdeführerin der Staatsanwaltschaft mit, dass es ihr aufgrund von Auslandabwesenheit nicht möglich sei, den Termin vom 27.Januar 2020 wahrzunehmen. Daraufhin wurde sie von der Staatsanwaltschaft am 10. Januar 2020 schriftlich aufgefordert, innerhalb von drei Tagen ab Erhalt des Schreibens schriftlich mitzuteilen, wie lange ihre Auslandabwesenheit andauern werde und einen möglichen Einvernahmetermin anzugeben, wobei die Einvernahme spätestens bis Ende Februar 2020 stattzufinden habe. Mit Eingabe vom 15. Januar 2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Einstellung des Verfahrens sowie eventualiter, sollte das Verfahren nicht eingestellt werden, das Abbieten der Einvernahme, wobei sie ausdrücklich an der Einsprache festhielt. Zudem teilte sie mit, dass sie vom 25. Januar bis 25. Februar 2020 im Ausland weilen werde. Terminvorschläge für eine Einvernahme enthielt die Eingabe keine. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 16.Januar 2020 wurde die Beschwerdeführerin auf den 22.Januar 2020 zur Einvernahme vorgeladen. Mit Schreiben vom 18. Januar 2020 teilte die Beschwerdeführerin der Staatsanwaltschaft mit, dass sie am 22. Januar2020 «leider verhindert», aber ab dem 17. Februar2020 verfügbar sei. Diese Abmeldung erfolgte ohne die gesetzlich vorgesehene Angabe oder gar Belegung des Grundes ihrer Nichtverfügbarkeit am 22. Januar 2020 (Art. 205 Abs. 2 StPO). Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 21. Januar 2020 wurde die Beschwerdeführerin zur Einvernahme am 24. Januar 2020 vorgeladen. Mit Schreiben vom 22. Januar2020 teilte die Beschwerdeführerin wiederum ohne Angabe und Belegung eines Grundes mit, dass sie auch am 24.Januar 2020 verhindert sei. Gleichzeitig schlug sie als mögliche Termine den 18. oder 26. Februar 2020 vor und erinnerte an ihre Auslandabwesenheit bis und mit 15.Februar 2020. Entsprechend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung steht diese Angabe zur Auslandsabwesenheit in einem Widerspruch zu der ursprünglichen Information, sie könne Termine ab dem 27. Januar 2020 wahrnehmen sowie zur Angabe im Schreiben vom 15. Januar 2020, sie sei bis zum 25. Februar 2020 landesabwesend. Mit Verfügung vom 23. Januar2020 wurde die Beschwerdeführerin auf den 18. Februar 2020 vorgeladen. Wie bereits dargelegt, holte die Beschwerdeführerin dieses Einschreiben nicht ab (s. oben E. 2.4). Mit Schreiben vom 4.Februar 2020 teilte die Beschwerdeführerin der Staatsanwaltschaft mit, dass sie aufgrund von «schwerer und ansteckender Krankheit» ihren Auslandaufenthalt habe verschieben müssen, weshalb sich ihre Verfügbarkeit verändert habe. Sie schlage eine Einvernahme am 18. März 2020 vor.

2.5.3 Die dargelegte Historie der Vorladung zur Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft lässt durchaus den Verdacht aufkommen, dass die Beschwerdeführerin dem Strafverfahren keine allzu grosse Wichtigkeit einräumen und möglicherweise nicht gewillt sein könnte, zu einem Einvernahmetermin bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. In diese Richtung deuten auch die Ausführungen der Verteidigung der Beschwerdeführerin, welche seitens der Staatsanwaltschaft politisch motiviertes Handeln vermutet und gar nahelegt, diese könnte mutmaßlich entgegen der Verfahrensökonomie versuchen, der Beschwerdeführerin das Verfahren möglichst schwer zu machen bzw. zu verunmöglichen (Beschwerde S. 10). Dabei handelt es sich um massive Verdächtigungen, deren Inhalt aber nicht den Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, sondern den von der Staatsanwaltschaft vorgesehenen Ablauf des Einspracheverfahrens tangieren, weshalb sie letztlich unbeachtlich sind (s.unten E. 2.6). Vor diesem Hintergrund ist allerdings durchaus nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin schloss, sie habe kein ernsthaftes Interesse am Einspracheverfahren, auch wenn ein Nichteintreten auf die Einsprache gestützt auf die Gesetzeslage und -auslegung nicht zulässig ist. Das wiederholte Verschieben von Einvernahmeterminen, das Nichtbegründen von zwei Absagen sowie die Widersprüchlichkeit der Abwesenheitsangaben können jedenfalls einen nachvollziehbaren Verdacht auf querulatorisches Verhalten aufkommen lassen, das im Widerspruch zum mit der Einsprache erwirkten Andauern des Strafverfahrens sowie dem in fast allen Eingaben vermerkten Festhalten an der Einsprache steht. Im Wiederholungsfalle muss die Beschwerdeführerin damit rechnen, dass entsprechendes Verhalten in einem Beschwerdeverfahren wohl nicht (mehr) geschützt würde.


2.6 Damit sind für das Beschwerdeverfahren keine Gerichtskosten zu erheben und der Verteidiger ist für seinen angemessenen Aufwand aus der Gerichtskasse zu entschädigen. Er hat dazu seine Honorarnote eingereicht. Darin macht er einen Zeitaufwand von insgesamt 10.99 Stunden geltend. Gemäss den dazu ausgewiesenen Leistungen besteht der Stundenaufwand aus 1,91 Stunden Besprechung und sonstiger Kommunikation mit der Beschwerdeführerin, 8,33 Stunden für die Ausarbeitung der Beschwerdeschrift, 0,66 Stunden für die Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft, 0,25 Stunden für das Aktenstudium und 0,17 Stunden für das Schreiben zur Einreichung der Honorarnote, was allerdings einen Stundenaufwand von 11,32 Stunden ergibt. So oder so erscheint der Zeitaufwand für die Kommunikation mit der Beschwerdeführerin und das Ausarbeiten der Rechtsschrift zu hoch. Für das Darlegen der Vorladungshistorie hat eine Besprechung mit der Beschwerdeführerin von einer halben Stunde zu genügen. Der Inhalt der Beschwerdeschrift betreffend die der Staatsanwaltschaft unterstellten Intentionen ist vor dem Hintergrund des Beschwerdethemas unnötig, weshalb der diesbezügliche Aufwand um eine Stunde zu kürzen ist. Weshalb eine insgesamt mehr als halbstündige Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft als Beschwerdegegnerin notwendig gewesen sein soll, ist nicht schlüssig. Auch dieser Aufwand ist zu streichen. Insgesamt wird der Zeitaufwand gestützt auf diese Erwägungen auf 8 Stunden gekürzt. Für die Einzelheiten der Entschädigung wird auf das Dispositiv verwiesen.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: Das Beschwerdeverfahren ist zufolge Eintritts der Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.


Es werden keine Gerichtskosten erhoben.


Dem amtlichen Verteidiger der Beschwerdeführerin werden ein Honorar von CHF 1'600.- und ein Auslagenersatz von CHF 45.80, zuzüglich 7.7% MWST von CHF 126.70, aus der Gerichtskasse bezahlt.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführerin

- Staatsanwaltschaft


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Liselotte Henz lic. iur. Barbara Grange


Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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