E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB140544
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB140544 vom 26.03.2015 (ZH)
Datum:26.03.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Widerruf
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Beschuldigten; Staatsanwalt; Gericht; Staatsanwaltschaft; Scheinkäufer; Anonymität; Berufung; Verteidigung; Verfahren; Gericht; Urteil; Vorinstanz; Stadtpolizei; Anklage; Person; Gehör; Betäubungsmittel; Recht; Zeuge; Amtlich; Zeugen; Scheinkäufers; Verfahren; Sichergestellte; Zürich-Limmat; Lagernde; Verfügung; Verfahrens
Rechtsnorm: Art. 147 StPO ; Art. 149 StPO ; Art. 150 StPO ; Art. 298 StPO ; Art. 298a StPO ; Art. 298d StPO ; Art. 309 StPO ; Art. 82 StPO ;
Referenz BGE:139 IV 265;
Kommentar zugewiesen:
Wohlers, Kommentar zur Schweizerischen StPO, 2014
Fingerhuth, Tschurr, Kommentar, Zürich, 2007
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB140544-O/U/eh

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. P. Marti, Präsident, lic. iur. M. Langmeier und Ersatzoberrichterin lic. iur. I. Erb sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. C. Grieder

Urteil vom 26. März 2015

in Sachen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, vertreten durch Staatsanwalt Dr. iur. J. Boll Anklägerin und Berufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigter und Berufungsbeklagter

amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin lic. iur. X.

betreffend

Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Widerruf
Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 3. Abteilung, vom
  1. September 2014 (GG140181)

    Anklage:

    Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 23. Juli 2014 (Urk. 21) ist diesem Urteil beigeheftet.

    Urteil der Vorinstanz :

    Es wird erkannt:

    1. Der Beschuldigte A. ist nicht schuldig und wird freigesprochen.

  1. Die von der Stadtpolizei Zürich sichergestellten und bei ihr lagernden Betäubungsmittel (3 Portionen Marihuana von total 20,1 Gramm; Asservatennummer A ) werden eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.

  2. Der von der Stadtpolizei Zürich sichergestellte und bei ihr lagernde Schlüssel (A ) wird der berechtigten Person auf deren erstes Verlangen hin herausgegeben.

  3. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 23. Juli 2014 beschlagnahmte und bei der Bezirksgerichtskasse lagernde Barschaft von Fr. 60.- (Belegnummer ) ist dem Beschuldigten herauszugeben.

  4. Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz; die übrigen Kosten werden auf die Gerichtskasse genommen.

  5. Die amtliche Verteidigerin wird mit Fr. 5'082.75 (inkl. MwSt) entschädigt. Diese

    Kosten werden auf die Gerichtskasse genommen.

  6. Dem Beschuldigten wird für die erlittene Polizeiund Untersuchungshaft keine Entschädigung zugesprochen.

  7. (Mitteilungen)

  8. (Rechtsmittel)

Berufungsanträge:

  1. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 55 S. 1)

    1. Der Beschuldigte sei des Vergehens gegen Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG schuldig zu sprechen.

    2. Er sei mit einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, abzüglich zwei Tage erstandene Haft, zu bestrafen.

    3. Die Freiheitsstrafe sei zu vollziehen.

    4. Die mit Entscheid des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich vom

      27. August 2013 für eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten verfügte bedingte Entlassung sei zu widerrufen und der Vollzug der Reststrafe von 61 Tagen Freiheitsstrafe sei anzuordnen.

    5. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 23. Juli 2014 beschlagnahmte Barschaft von Fr. 60.-- sei zur teilweisen Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden.

    6. Die von der Stadtpolizei Zürich aus dem Besitz des Scheinkäufers sichergestellten 3 Portionen Marihuana von total 20.1. Gramm seien zu vernichten.

    7. Die Kosten, einschliesslich diejenigen für das Vorverfahren seien dem Beschuldigten aufzuerlegen.

  2. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 56 S. 1)

  1. Auf die Anklage sei zufolge Verletzung des Anklageprinzips nicht einzutreten.

    Eventualiter: Die Berufung sei abzuweisen und das erstinstanzliche Urteil sei

    vollumfänglich zu bestätigen.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens, inklusive derjenigen der amtlichen Verteidigung, seien vollumfänglich auf die Gerichtskasse zu nehmen.

    Erwägungen:

    1. Prozessuales
  1. Mit dem eingangs im Dispositiv zitierten Urteil vom 22. September 2014 wurde der Beschuldigte von der Vorinstanz vom Vorwurf des Vergehens gegen Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG freigesprochen. Weiter wurden die von der Stadtpolizei sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen. Dann wurde erkannt, dass der von der Stadtpolizei Zürich sichergestellte und bei ihr lagernde Schlüssel der berechtigten Person auf erstes Verlangen herausgegeben werde. Weiter wurde entschieden, dass die beschlagnahmte Barschaft von Fr. 60.-- dem Beschuldigten herauszugeben sei. Schliesslich wurden die Kosten auf die Gerichtskasse genommen und dem Beschuldigten keine Entschädigung für erlittene Polizeiund Untersuchungshaft zugesprochen (Urk. 46 S. 15f.).

  2. Gegen das schriftlich eröffnete Urteil hat die Staatsanwaltschaft fristgerecht Berufung angemeldet (Urk. 37). Der begründete Entscheid wurde den Parteien am 24. November bzw. am 26. November 2014 zugestellt (Urk. 45/1-2). Mit Eingabe vom 15. Dezember 2014 reichte die Staatsanwaltschaft innert Frist die Berufungserklärung ein und ficht darin den Freispruch an, verlangt die Bestrafung des Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten unbedingt, den Widerruf der vom Amt für Justizvollzug am 27. August 2013 verfügten bedingten Entlassung des Beschuldigten und den Vollzug der Reststrafe von 61 Tagen Freiheitsstrafe. Weiter soll die mit Verfügung vom 23. Juli 2014 beschlagnahmte Barschaft von Fr. 60.-- zur teilweisen Deckung der Verfahrenskosten verwendet werden. Schliesslich beantragt die Staatsanwaltschaft die Vernichtung der beschlagnahmten Betäubungsmittel und die Kostenauflage zulasten des Beschuldigten (Urk. 48). Mit Präsidialverfügung vom 16. Dezember 2014 wurde dem Beschuldigten eine Kopie der Berufungserklärung der Staatsanwaltschaft zugestellt und Frist zu einer allfälligen Anschlussberufung oder zu einem Nichteintretensantrag angesetzt (Urk. 50). Mit derselben Verfügung wurde dem

    Beschuldigten ausserdem Frist zur Einreichung des Datenerfassungsblattes sowie weiterer Unterlagen angesetzt (Urk. 50), welchen Aufforderungen der Beschuldigte jedoch keine Folge leistete. Am 30. Januar 2015 wurde auf die Berufungsverhandlung vorgeladen (Urk. 52). Diese fand am 26. März 2015 statt (Prot. II S. 4ff.), wobei der Beschuldigte trotz ordnungsgemässer Vorladung (Urk. 52 und 53) nicht erschien, weshalb seine Verteidigerin ein Dispensationsgesuch für den Beschuldigten stellte, welches gutgeheissen wurde (Prot. II S. 5).

  3. Umfang der Berufung

    Nachdem die Staatsanwaltschaft die Vernichtung der Betäubungsmittel (Dispositiv-Ziffer 2) und die Herausgabe des Schlüssels (Dispositiv-Ziffer 3) nicht angefochten hat (Urk. 48), ist festzustellen, dass das vorinstanzliche Urteil diesbezüglich in Rechtskraft erwachsen ist.

  4. Anklageprinzip

    1. Hinsichtlich der von der Verteidigung geltend gemachten Verletzung des Anklagegrundsatzes (Urk. 56 S. 1f.) kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 46 S. 4-5, Art. 82 Abs. 4 StPO). Zu Recht hat diese ausgeführt, dass aus der Anklageschrift hervorgehe, was dem Beschuldigten sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht vorgeworfen werde. Für das Gericht und für alle Verfahrensbeteiligten muss klar ersichtlich sein, durch welches nach Ort und Zeit näher bestimmte konkrete Verhalten die beschuldigte Person welchen Straftatbestand in welcher Form verwirklicht haben soll (Wohlers, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen StPO, 2. Auflage, Zürich 2014, N11 zu Art. 9 m.w.H.). Auch wenn nicht explizit festgehalten, geht die Anklage aufgrund der Formulierung des Sachverhalts (Aufforderung, der Käufer solle ins Auto steigen, dies sei besser für öis und für Dich. Mier lönd Dich da vorne grad wieder use. sowie der Aushändigung der Betäubungsmittel) mit der Vorinstanz von Mittäterschaft aus. Weiter ist klar, dass dem Beschuldigten Vorsatz vorgeworfen wird, da dieses Delikt nur vorsätzlich begangen werden kann (Fingerhuth/Tschurr, BetmG-Kommentar, Zürich 2007, N 41 zu Art. 19), was mit

      der Inkraftsetzung des neuen Rechts per 1. Juli 2011 nicht geändert hat. Der Anklagegrundsatz ist demnach mit der Vorinstanz nicht verletzt.

  5. Verwertbarkeit der Beweismittel

    1. Weiter ist mit der Vorinstanz von der Unverwertbarkeit der Aussagen von B. zulasten des Beschuldigten gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Art. 147 Abs. 4 StPO auszugehen, da der Beschuldigte nicht mit jenem konfrontiert und somit sein Teilnahmeund Fragerecht verletzt wurde.

    2. Verwertbarkeit der Aussagen des Scheinkäufers

      1. Die Verteidigung führte vor Vorinstanz aus, die Zusicherung der Anonymität durch das Zwangsmassnahmengericht sei ungültig bzw. unbeachtlich, da dem Beschuldigten das rechtliche Gehör nicht gewährt worden sei: Der Beschuldigte habe nie die Möglichkeit gehabt, sich zu den Voraussetzungen der Zusicherung der Anonymität zu äussern bzw. es sei dem Beschuldigten das Teilnahmerecht im Sinne von Art. 147 StPO verweigert worden (Urk. 29 S. 4). Dies brachte sie anlässlich der Berufungsverhandlung erneut vor (Urk. 56 S. 4, Prot. II S. 11f.). Wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet wurde, kann dieser Mangel grundsätzlich nachträglich geheilt werden, sofern es sich nicht um eine besonders schwerwiegende Verletzung handelt und die Kognition der mit der Sache befassten Instanz mindestens so weit reicht wie die der Instanz, die das rechtliche Gehör nicht gewährte (Wohlers, a.a.O., N 40 zu Art. 3 m.w.H.). Unklar ist, ob bereits die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Person das rechtliche Gehör zu gewähren hätte, bevor sie der zu schützenden Person die Wahrung ihrer Anonymität zusichert (Art. 150 Abs. 1 StPO) oder ob dies allenfalls im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vor dem Zwangsmassnahmengericht zu geschehen hätte (Art. 150 Abs. 2 StPO). Wenn sich die Verteidigung betreffend Gewährung des rechtlichen Gehörs auf Art. 149 Abs. 5 StPO beruft, scheint sich dies nicht zwingend auf das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht zu beziehen, sondern darauf, dass der beschuldigten Person / der Verteidigung im Rahmen der Zeugenbefragung ausreichend das rechtliche Gehör zu gewähren ist - oder Kompensationsmassnahmen greifen müssen (Wohlers, a.a.O., N 24 zu Art. 149).

        Dies kann vorliegend jedoch offen gelassen werden. Denn bei der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Zusicherung bzw. Genehmigung der Anonymität handelt es sich nicht um eine schwerwiegende Verletzung, und insbesondere um keine, welche nicht durch nachträgliche Gewäh- rung wieder geheilt werden könnte, da die Strafbehörden und Gerichte auf den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts zurückkommen können (Art. 150 Abs. 6 StPO; vgl. dazu nachstehend Ziff. 5.2.2.). Die Verteidigung konnte sich sowohl vor Vorinstanz wie auch vor der Berufungsinstanz zur Frage der Anonymität des Scheinkäufers äussern (Urk. 29 S. 5f., Prot. II S. 12), womit der Mangel des nicht zugestandenen rechtlichen Gehörs jedenfalls nachträglich geheilt wurde.

      2. Eine andere Frage ist, ob sich die Aussagen des Zeugen C. wegen dessen Anonymität im Strafverfahren und der damit einhergehenden Frage der Beschneidung der Teilnahmerechte des Beschuldigten überhaupt verwerten lassen. Beim Vorgehen der Polizei in vorliegender Sache handelte es sich um eine Kontaktnahme im Sinne von § 32 d Abs. 1 und 2 PolG/ZH (LS 550.1).

C.

wurde nicht mit einer Legende im Sinne von § 32d Abs. 3 PolG ausgestattet. Mithin musste in jener Phase auch nicht das Zwangsmassnahmengericht involviert werden, solange es nur um die Vorbereitung und Abschluss eines Scheingeschäftes ging. Sobald die Staatsanwaltschaft faktisch eine Untersuchung eröffnet hat (Art. 309 StPO), gelangen die Bestimmungen der Strafprozessordnung zur Anwendung. Vorliegend war dies spätestens mit der Hafteinvernahme vom 14. Mai 2014 (Urk. 9) der Fall. Die Staatsanwaltschaft sicherte C. die Anonymität am 24. Juni 2014 zu (Urk. 12/2), wobei die Zeugeneinvernahme von

  1. bereits tags zuvor erfolgte (Urk. 12/1). Unter dem Regime der Strafprozess-ordnung handelte es sich beim Vorgehen des Scheinkäufers unbestrittenermassen (Prot. II S. 7-9) um eine verdeckte Fahndung im Sinne von Art. 298a-d StPO. Gemäss Art. 298d Abs. 4 StPO in Verbindung mit Art. 298 Abs. 1 und 3 StPO hätte mit der Verteidigung (Urk. 56 S. 7) dem Beschuldigten spätestens mit Abschluss des Vorverfahrens mitgeteilt werden müssen, dass gegen ihn eine verdeckte Fahndung stattgefunden hatte, was unterlassen wurde. Diese Mitteilung hätte zudem schriftlich erfolgen müssen, da sie gemäss Art. 298 Abs. 3 StPO

    für die Erhebung einer Beschwerde fristauslösend gewesen wäre (Hansjakob, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, a.a.O., N 6 zu Art. 298). Mithin konnte der Beschuldigte im Vorverfahren nie beschwerdeweise Einwände gegen die Zulässigkeit der verdeckten Fahndung erheben. Jedoch sind der Amtsbericht sowie die Einvernahme des Scheinkäufers ohnehin nicht verwertbar - was nachfolgend zu zeigen ist -, weshalb ein Freispruch zu erfolgen hat und weshalb es sich erübrigt, beim Beschuldigten einen Verzicht auf formelle Mitteilung der verdeckten Fahndung gegen seine Person einzuholen.

    Die Staatsanwaltschaft hat dem Scheinkäufer im Sinne von Art. 150 Abs. 1 StPO die Anonymität zugesichert (Urk. 12/2) und diese Zusicherung in der Folge gestützt auf Art. 150 Abs. 2 StPO dem Zwangsmassnahmengericht des Obergerichts unterbreitet, welches mit Verfügung vom 3. Juli 2014 die Anonymität des Scheinkäufers genehmigte (Urk. 12/4). Das in diesem Zusammenhang nicht gewährte rechtliche Gehör des Beschuldigten wurde nachträglich geheilt (vgl. vorstehend Ziff. 5.2.1.). Gemäss Art. 150 Abs. 4 StPO bindet diese Genehmigung sämtliche mit dem Fall betrauten Strafbehörden, was bedeutet, dass diese an die Anonymität eines Scheinkäufers gebunden sind. Dagegen kann und muss das Strafgericht darüber befinden, ob die Genehmigung der Anonymität zu Recht erfolgte oder nicht, wovon die Verwertbarkeit der entsprechenden Berichte und Zeugeneinvernahmen des anonymen Scheinkäufers abhängt. Gemäss Art. 298a Abs. 2 StPO wird die wahre Identität und Funktion eines verdeckten Fahnders in den Verfahrensakten und bei Einvernahmen offen gelegt. Mit anderen Worten ging der Gesetzgeber dem Grundsatz nach davon aus, verdeckte Fahnder müssten im Verfahren auch bei Zeugeneinvernahmen mit ihrer wahren Identität hinstehen - also gerade nicht anonym. Wenn jedoch anzunehmen ist, dass ein Zeuge sich durch die Mitwirkung im Verfahren einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schweren Nachteil aussetzt, trifft die Verfahrensleitung die geeigneten Schutzmassnahmen (Art. 149 Abs. 1 StPO) wie namentlich die Zusicherung der Anonymität (Art. 149 Abs. 2 lit. a StPO). Wenn das Gesetz beim verdeckten Fahnder davon ausgeht, dass er seine wahre Identität und Funktion im Verfahren offen zu legen hat, heisst dies auch, dass ein sehr strenger Massstab anzulegen ist an die Anforderungen, wann trotzdem Anonymität zuge-

    sichert werden kann. Gemäss Bundesgericht ist eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anzunehmen, wenn Morddrohungen gegen den Verfahrensbeteiligten selbst oder gegen einen Angehörigen ausgesprochen wurden, bereits entsprechende Angriffe erfolgten oder solche angesichts des Milieus, in dem sich die betreffende Person bewegt, ernsthaft zu befürchten sind. Ein anderer schwerer Nachteil könne namentlich drohen, wenn jemand eine erhebliche Vermögensschädigung (wie die Sprengung seines Ferienhauses) gewärtigen müsse. Erforderlich seien ernst zu nehmende Anzeichen einer konkreten Gefährdung. Die Zusicherung der Anonymität stelle die einschneidenste Schutzmassnahme dar und komme nur als ultima ratio in Betracht (BGE 139 IV 265 Erw. 4.2 m.w.H.). Der Beschuldigte ist mehrfach vorbestraft, unter anderem zweifach wegen eines Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. In vorliegendem Verfahren wird ihm der Verkauf von 20 Gramm Marihuana vorgeworfen. Beim Beschuldigten handelt es sich jedoch nicht um einen Gewaltverbrecher und es deutet auch sonst nichts auf eine besondere Gefährlichkeit des Beschuldigten hin. Es kann deshalb mangels konkreter Hinweise nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beschuldigte in einem höchst kriminellen Umfeld bewegt und deshalb für den Scheinkäufer gefährlich wäre. Demzufolge wurde dem Scheinkäufer vom Zwangsmassnahmengericht zu Unrecht Anonymität zugesichert, weshalb dessen Amtsbericht und Zeugenaussagen von C. nicht verwertbar sind.

    1. Materielles
      1. Dem Beschuldigten wird in der Anklageschrift vom 23. Juli 2014 Folgendes vorgeworfen: Nachdem ein Scheinkäufer der Stadtpolizei Zürich am Montag,

12. Mai 2014, 17 Uhr, mit ihm und B.

telefonisch ein Treffen bei der Hardbrücke in Zürich abgemacht habe, sei er mit diesem dorthin gefahren und habe als Beifahrer den Scheinkäufer aufgefordert, hinten ins Auto zu steigen. Als dieser gezögert habe, habe er zu ihm gesagt: Stiig ii. Da hätts vil Zivilbulle ume, isch besser für öis und für Dich. Mier lönd Dich da vorne grad wieder use. Darauf sei

der Scheinkäufer hinten ins Auto eingestiegen. B.

habe Fr. 200.-- vom

Scheinkäufer einkassiert. Dann habe der Beschuldigte auf Aufforderung von

B.

dem Scheinkäufer drei Portionen Marihuana, total 20.1 Gramm, ausgehändigt (Urk. 21 S. 2).

  1. Neben B. , dessen Einvernahmen mangels Konfrontation nicht verwertbar sind (vgl. oben Ziff. I. 5.1.), und dem Scheinkäufer, dessen Amtsbericht und Zeugenaussagen ebenso wenig verwertbar sind (vgl. Ziff. I. 5.2.2.), war beim eingeklagten Vorfall einzig noch der Beschuldigte anwesend. Der Beschuldigte hat jedoch stets bestritten, dem Scheinkäufer wissentlich und willentlich Marihuana ausgehändigt zu haben und geltend gemacht, mit dem Ganzen nichts zu tun gehabt zu haben, bzw. nur als Gefälligkeit eine kleine Tasche übergeben zu haben, ohne zu wissen, was er der Drittperson (C. ) übergebe (Urk. 3 S. 4, Urk. 9

    S. 2-3, Urk. 13 S. 2-3, Urk. 31 S. 3-4). Weitere Beweismittel sind die im Fahrzeug

    von B.

    sichergestellten Betäubungsmittel und Fr. 1'650.-- (Urk. 1 S.3).

    Allein gestützt auf diese Beweismittel lässt sich der eingeklagte Sachverhalt jedoch klarerweise nicht erstellen, weshalb der Beschuldigte freizusprechen ist.

  2. Beweisanträge

Die von der Staatsanwaltschaft beantragten Einvernahmen weiterer Zeugen (Urk. 48 S.f. und 55 S. 5f.) würden am Beweisergebnis nichts ändern, waren diese doch beim eingeklagten Vorfall nicht anwesend, weshalb diese Beweisanträge abzuweisen sind.

  1. Einziehungen

    Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 23. Juli 2014 (Urk. 14/7) beschlagnahmte und bei der Kasse der Vorinstanz lagernde Barschaft von Fr. 60.-- (Belegnummer ) ist dem Beschuldigten herauszugeben.

  2. Kostenfolgen
  1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist das vorinstanzliche Kostenund Entschädigungsdispositiv (Ziff. 5, 6 und 7) zu bestätigen.

  2. Ausgangsgemäss sind sämtliche Kosten des Berufungsverfahrens - einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung - auf die Gerichtskasse zu nehmen.

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom

    1. September 2014 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

      1. ( )

      1. Die von der Stadtpolizei Zürich sichergestellten und bei ihr lagernden Betäubungsmittel (3 Portionen Marihuana von total 20,1 Gramm; Asservatennummer A ) werden eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung über-lassen.

      2. Der von der Stadtpolizei Zürich sichergestellte und bei ihr lagernde Schlüssel (A ) wird der berechtigten Person auf deren erstes Verlangen hin herausgegeben.

        4. ( )

        5. ( )

        6. ( )

        7. ( )

        1. (Mitteilungen)

        2. (Rechtsmittel)

  2. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A. ist nicht schuldig und wird freigesprochen.

  2. Die mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 23. Juli 2014 beschlagnahmte und bei der Bezirksgerichtskasse lagernde Barschaft von Fr. 60.- (Belegnummer ) wird dem Beschuldigten herausgegeben.

  3. Das erstinstanzliche Kostenund Entschädigungsdispositiv (Ziff. 5, 6 und 7) wird bestätigt.

  4. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 3'816.15 amtliche Verteidigung

  5. Die Kosten des Berufungsverfahrens, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden auf die Gerichtskasse genommen.

  6. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (übergeben) sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Kopie von Urk. 47.

    • die KOST Zürich mittels Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials

    • die Stadtpolizei Zürich gemäss Dispositivziffer 2 u. 3 des vorinstanzlichen Urteils

    • die Kasse des Bezirksgerichts Zürich gemäss Dispositivziffer 2

    • die Stadtpolizei Zürich, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)

  7. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 26. März 2015

Der Präsident:

lic. iur. P. Marti

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. C. Grieder

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.
www.swissactiv.ch
Menschen zusammenbringen, die gemeinsame Interessen teilen
Die Freude an Bewegung, Natur und gutem Essen fördern
Neue Leute treffen und Unternehmungen machen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz