Kanton: | ZH |
Fallnummer: | PA230013 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 19.05.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Unterbringung in der psychiatrischen Klinik und medizinische Massnahmen ohne Zustimmung |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführerin; Behandlung; Unterbringung; Massnahme; Fürsorgerische; Klinik; Person; Verfahren; Vorinstanz; Störung; Zustimmung; Betreuung; Zustand; Fürsorgerischen; Psychische; Ordnete; Medizinische; Prot; Angeordnete; Massnahmen; Entscheid; Schutz; Vorinstanzliche; Sinne; Vorinstanzlichen; Voraussetzung; Werden; Verfahrens; Verfügung |
Rechtsnorm: | Art. 106 ZPO ; Art. 242 ZPO ; Art. 426 ZGB ; Art. 434 ZGB ; Art. 446 ZGB ; Art. 450f ZGB ; Art. 90 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: PA230013-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden, Vorsitzende, Oberrich- ter Dr. M. Sarbach und Oberrichter Dr. E. Pahud sowie Gerichtsschreiberin MLaw N. Gautschi
in Sachen
Beschwerdeführerin
sowie
1. Aerztliche Leitung der Psych. Klinik B. , 2. C. ,
Verfahrensbeteiligte
Sachverhalt und Prozessgeschichte
Die Beschwerdeführerin wurde am 14. April 2023 mit einer ärztlich ange- ordneten fürsorgerischen Unterbringung wegen einer psychischen Störung und geistigen Behinderung sowie einer bestehenden Fremdgefährdung in die Klinik B1. AG (nachfolgend: Klinik) eingewiesen (act. 4). Es handelt sich um die fünfte Hospitalisierung der Beschwerdeführerin in dieser Klinik (act. 5 S. 1). Im Eintrittsbericht der Klinik wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin in ei- nem agitierten, verwirrten Zustand tanzend vor der Wohnung ihrer Tochter ange- troffen worden sei. Sie habe von vermindertem Schlafbedürfnis, Erschaffung der Erde und subjektivem Wohlbefinden berichtet. Psychopathologisch habe sie sich in einem angetriebenen, logorrhöischen, zerfahrenen und assoziativ gelockerten Zustand mit Stimmenhören und Grössenwahn präsentiert (act. 3; act. 5 S. 1). Am
17. April 2023 ordnete die Klinik für zwei Wochen eine medizinische Massnahme ohne Zustimmung in Anwendung von Art. 434 Abs. 1 ZGB ab 21. April 2023 an (act. 6). Diese Zwangsmedikation wurde durch die Klinik notfallmässig bereits am
20. April 2023 begonnen (Prot. Vi. S. 18).
Mit Eingabe vom 19. April 2023 (Datum Poststempel) erhob die Beschwer- deführerin Beschwerde gegen die ärztlich angeordnete fürsorgerische Unterbrin- gung und gegen die angeordnete medizinische Behandlung ohne Zustimmung beim Einzelgericht in FU Verfahren des Bezirksgerichtes Meilen (nachfolgend: Vorinstanz; act. 1). Nach Beizug der wesentlichen Akten und erfolgter Stellung- nahme zur Beschwerde durch die Klinik (act. 2 bis act. 7, act. 10 und act. 13) fand am 25. April 2023 die vorinstanzliche Anhörung und Hauptverhandlung statt. Die Angehörigen der Beschwerdeführerin wurden von der Vorinstanz telefonisch über die Verhandlung informiert, wobei ihr Ex-Mann C. (Verfahrensbeteiligter 2) erklärte, dass er daran teilnehmen werde (act. 11; vgl. Prot. Vi. S. 10). Anlässlich der Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin persönlich angehört, Dr. med.
(nachfolgend: Gutachter) erstattete das Gutachten und Dr. med.
nahm mündlich für die Klinik Stellung (Prot. Vi. S. 8 ff.). Mit Verfügung und Urteil vom 25. April 2023 wies die Vorinstanz das Begehren um Entlassung
aus der fürsorgerischen Unterbringung ab und stellte fest, dass die angeordnete medizinische Massnahme ohne Zustimmung zulässig sei. Zudem bewilligte sie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 117 ff. ZPO
(act. 16 = act. 28 [unbegründete Fassung]). Der Entscheid in begründeter Form wurde der Beschwerdeführerin am 8. Mai 2023 zugestellt (act. 21 = act. 23 [Ak- tenexemplar]; act. 25/2 [Zustellnachweis]).
4. Mai 2023 ergänzte die Beschwerdeführerin die Beschwerde und ersucht um die sofortige und bedingungslose Entlassung aus der Klinik (act. 27). Die vorinstanzli- chen Akten wurden von Amtes wegen beigezogen (act. 1 bis act. 21). Vom Einho- len einer Stellungnahme bzw. Vernehmlassung wird abgesehen. Das Verfahren erweist sich als spruchreif.
Eine (natürliche) Person, die an einer psychischen Störung oder an geisti- ger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Ein- richtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anderweitig erfolgen kann (Art. 426 Abs. 1 ZGB). Dabei sind auch die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten zu berücksichtigen. Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald die Voraussetzungen für die Unterbrin- gung nicht mehr erfüllt sind (Art. 426 Abs. 2 und Abs. 3 ZGB).
Die fürsorgerische Unterbringung stellt einen schweren Eingriff in die per- sönliche Freiheit der betroffenen Person dar. Sie hat deshalb dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu genügen, wonach keine weniger einschneidende Mass- nahme zum Schutz der betroffenen Person zur Verfügung stehen darf, die fürsor- gerische Unterbringung zur Wiedererlangung von Selbständigkeit geeignet sein muss und der Freiheitsentzug als angemessen zu erscheinen hat (vgl. GEI- SER/ETZENSBERGER, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilge- setzbuch I, 7. Aufl. 2022, Art. 426 N 22 ff.; Botschaft zur Änderung des Schweize- rischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006, S. 7001 ff., S. 7062).
SER/ETZENSBERGER, a.a.O., Art. 426 N 12). Damit von einer psychischen Störung im Sinne der genannten Bestimmung gesprochen werden kann, muss ein ent- sprechendes Krankheitsbild (Syndrom) vorliegen und dieses muss erhebliche Auswirkungen auf das soziale Funktionieren des Patienten haben (GEI- SER/ETZENSBERGER, a.a.O., Art. 426 N 15).
(act. 24). Sie sei mündig, gesund und im Besitz ihrer geistigen Kräfte (act. 27).
(act. 23 E. 2).
S. 14 ff. und act. 14 S. 1 f.). Die Beschwerdeführerin sei demnach momentan nicht kommunikationsfähig (act. 13 S. 3).
BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, 2011 Basel, Rz. 366 ff.). Eine Fürsorgebedürftigkeit ist gegeben, wenn der Patient Hilfe benötigt, um eine durch seine psychische Störung bedingte ernsthafte Gefährdung seines Wohls abzuwenden. Zentral ist die Heilung, Besserung oder Linderung eines momentan gestörten Zustands (BERNHART, a.a.O., Rz. 348).
Zudem muss die Massnahme verhältnismässig sein. Das angestrebte Ziel muss voraussichtlich erreicht werden können (Geeignetheit der Massnahme). Die Massnahme soll in erster Linie der Wiedererlangung der Selbstständigkeit und der Eigenverantwortung dienen. Ist eine Besserung des Zustandes ausgeschlossen, muss die Massnahme die notwendige persönliche Betreuung ermöglichen, um der betroffenen Person ein menschenwürdiges Leben zu sichern. Ferner darf kei- ne weniger einschneidende, jedoch genügend Schutz bietende Massnahme zur Verfügung stehen (Erforderlichkeit der Massnahme). Mit anderen Worten darf die Betreuung oder Behandlung der betroffenen Person nicht anders, namentlich mit leichteren Massnahmen, als durch die fürsorgerische Unterbringung erfolgen können (vgl. zum GEISER/ETZENSBERGER, a.a.O., Art. 426 N 22 ff.). Bei der Ver- hältnismässigkeitsprüfung sind die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten zu berücksichtigen (Art. 426 Abs. 2 ZGB). Der Schutz Dritter kann für sich allein aber nicht ausschlaggebend sein (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 2006 S. 7001 ff., S. 7062 f.).
Der Gutachter führte aus, dass sich aufgrund der geschilderten Symptomatik (vgl. E. 3.1) eine Behandlungs- und Betreuungsbedürftigkeit der Beschwerdefüh- rerin ergebe und der aktuelle Krankheitszustand die Unterbringung in einer Ein- richtung zweifellos erfordere. Die Behandlung und Betreuung müsse in erster Li- nie mit Neuroleptika und dem Schutz der Beschwerdeführerin vor Reizüberflutung erfolgen. Ohne den schützenden Rahmen einer Akutabteilung würde sie viele so- ziale Konflikte verursachen und darunter leiden. Zudem würde die Krankheits- symptomatik gesteigert und es könnten nicht die notwendigen Behandlungsmassnahmen ergriffen werden, die zu einer Besserung unverzichtbar seien (act. 14 S. 2). Die psychotische Symptomatik müsse sich zurückbilden und die Beschwerdeführerin wieder kommunikationsfähig werden. Dies bedürfe einer
konsequenten Behandlung (act. 14 S. 3). Die Beschwerdeführerin stelle in ihrem momentanen Zustand eine erhebliche Belastung ihres betreuenden und übrigen sozialen Umfelds dar. Eine sofortige Entlassung würde eine deutliche Selbstge- fährdung darstellen und das Beziehungsnetz wäre gefährdet (act. 14 S. 3). Auf- grund der Intensität und Ausprägung der Krankheit würde dies eine ernsthafte Gefährdung für ihre Gesundheit darstellen (Prot. Vi. S. 16). Bei Konflikten könne auch eine Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden. Die entsprechenden Risiken seien als sehr hoch einzuschätzen (act. 14 S. 3). Hinsichtlich der Verhält- nismässigkeit erklärte der Gutachter, dass sich die erwähnten Risiken im momen- tanen Zustand der Beschwerdeführerin durch keine anderen bzw. milderen Mass- nahmen einschränken liessen. Die angeordneten Massnahmen seien geeignet, um die Gefahren abzuwenden (act. 14 S. 3 f.).
E. führte anlässlich der Verhandlung zusätzlich aus, dass es zu einer akuten Gefährdung komme, wenn die Beschwerdeführerin nicht mediziert werde. Sie habe einen Pfleger angegriffen und es sei zu körperlichen Auseinanderset- zungen mit Mitpatienten gekommen, obwohl sie auf der Station abgeschirmt und eng betreut werde. Zudem gebe es Andeutungen auf einen Suizid, wobei hierzu aber keine akute Gefährdung bestehe. Die Beschwerdeführerin sei völlig kritikun- fähig, sexuell enthemmt und distanzlos. Sie würde in einem solchen Zustand Ge- fahr laufen, ausgenützt zu werden. Zudem könne sie nicht auf ihre eigene Ge- sundheit schauen. Eine Massnahme sei deshalb gerechtfertigt (Prot. Vi. S. 17).
stellt werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Erkrankung behand- lungs- und betreuungsbedürftig ist (vgl. act. 23 E. 3.6). Auch im Rahmen der Ver- hältnismässigkeit ist festzuhalten, dass bei einer Entlassung aus der fürsorgeri- schen Unterbringung eine akute Gefährdung der Gesundheit und eine psychische und physische Verwahrlosung drohen würde. In der stationären Behandlung und der darin angestrebten Reizverminderungen können die notwendigen Behand- lungsmassnahmen ergriffen werden, die zu einer Rückbildung der psychotischen Symptome und zur Wiedererlangung der Kommunikationsfähigkeit der Beschwer- deführerin führen (vgl. act. 14 S. 3). Die entsprechenden positiven Effekte der Massnahmen scheinen sich bereits im Inhalt und in der Verständlichkeit der Beschwerdeschriften vom 2. Mai bzw. 4. Mai 2023 vor hiesiger Kammer im Gegen- satz zu den Beschwerdeschriften vor Vorinstanz vom 16. April und 17. April 2023 anzudeuten (vgl. act. 1, act. 1/1, act. 24 und act. 27). Die fürsorgerische Unter- bringung erweist sich insgesamt aufgrund des gesundheitlichen Zustandes der Beschwerdeführerin und der akuten Gesundheitsgefährdung bei einer Entlassung als geeignet und erforderlich, wie auch verhältnismässig. Die Betreuung und Be- handlung der Beschwerdeführerin kann derzeit nicht mit leichteren Massnahmen erfolgen.
Schliesslich ist die Geeignetheit der Einrichtung zu prüfen (vgl. OGer ZH PA150024 vom 16. November 2015, E. 3.3.1). Es muss sich um eine Institution handeln, die mit den ihr zur Verfügung stehenden organisatorischen und perso- nellen Mitteln in der Lage ist, die wesentlichen Bedürfnisse der eingewiesenen Person bezüglich Behandlung und Betreuung zu befriedigen (vgl. BGer 5A_257/2015 vom 23. April 2015, E. 3.1 m.w.H.). Die B1. AG ist eine Pri- vatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, welche gemäss Gutachter zur Be- handlung der Beschwerdeführerin spezialisiert und absolut geeignet ist (act. 14 S. 3).
Medizinische Behandlung ohne Zustimmung
Die medizinische Behandlung ohne Zustimmung wurde vom ...-Arzt [Funktion] Dr. med. F. , dem behandelnden ...-Arzt [Funktion] Dr. med. G. und dem Arzt Dr. med. H. mit Anordnung vom 17. April 2023 ab dem 21. April 2023 für zwei Wochen verfügt (act. 6 S. 3). Mit der angeordneten Zwangsmedikation wurde dann notfallmässig bereits am Donnerstag, 20. April 2023, begonnen, weil die Beschwerdeführerin aggressiv geworden sei, einen Pfleger angegriffen und auch körperliche Auseinandersetzungen mit Mitpatienten gehabt habe (Prot. Vi.
S. 17). Da die zwangsweise Behandlung somit bis zum 3. Mai bzw. 4. Mai 2023 lief und derzeit nicht mehr andauert, ist das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Beurteilung der Zwangsmedikation entfallen. Das Beschwerdeverfahren gegen die Zwangsbehandlung ist demnach als gegenstands- los geworden abzuschreiben (§ 40 EG KESR i.V.m. Art. 242 ZPO).
(act. 27). Es ist demnach darauf zu verzichten, den vorliegenden Entscheid dem Verfahrensbeteiligten 2 mitzuteilen.
Die Beschwerde gegen die angeordnete fürsorgerische Unterbringung wird abgewiesen.
die KESB Bezirk Meilen (vorab per Mail an kanzlei@kesbmeilen.ch),
das Einzelgericht in FU Verfahren des Bezirksgerichts Meilen, je gegen Empfangsschein.
Die erstinstanzlichen Akten gehen nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmit- telfrist an die Vorinstanz zurück.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.
Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
i.V. Die Gerichtsschreiberin:
MLaw J. Camelin-Nagel versandt am:
19. Mai 2023
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