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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:LF180099
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid LF180099 vom 13.03.2019 (ZH)
Datum:13.03.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Anordnung von Massnahmen gemäss Art. 823 ZGB zur Kraftloserklärung eines Schuldbriefes
Schlagwörter : Berufung; Schuld; Berufungsklägerin; Schuldbrief; Verfahren; Gericht; Kraftloserklärung; Taiwan; Gläubiger; Massnahme; Schuldbriefs; Urteil; Vorinstanz; Verfahrens; Erreichbar; Besitz; Verfügung; Bezirksgericht; Einleitung; Schuldner; Recht; Wohnsitz; Tilgung; Gläubigers; Erreichbarkeit; Handlung; Entscheid
Rechtsnorm: Art. 1 ZGB ; Art. 317 ZPO ; Art. 57 ZPO ; Art. 823 ZGB ; Art. 856 ZGB ; Art. 865 ZGB ; Art. 90 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: LF180099-O/U

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. P. Diggelmann, Vorsitzender, Oberrichterin

lic. iur. A. Katzenstein und Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden sowie Gerichtsschreiber MLaw R. Jenny

Urteil vom 13. März 2019

in Sachen

A. ,

Gesuchstellerin und Berufungsklägerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

betreffend Anordnung von Massnahmen

gemäss Art. 823 ZGB zur Kraftloserklärung eines Schuldbriefes

Berufung gegen ein Urteil der 5. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich vom 26. November 2018 (ES180038)

Erwägungen:

1.

    1. A. (nachfolgend Berufungsklägerin) erwarb am 30. Januar 2003 von B. die Stockwerkeigentumseinheit Grundbuchblatt an der C. - Strasse in Zürich. B. gewährte der Berufungsklägerin damals ein Darlehen von CHF 300'000.- (act. 4/2). Zur Sicherung dieser Darlehensforderung wurde ein Namensschuldbrief für nominell CHF 300'000.- errichtet (act. 4/3). Trotz vollständiger Tilgung der Darlehensforderung durch Zahlungen und Geltendmachung der Verrechnung weigerte sich B. den genannten Schuldbrief herauszugeben. Er wurde deshalb mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom

      30. Juni 2017 zur Aushändigung verpflichtet (act. 4/4). Das Obergericht wies die dagegen erhobene Berufung am 15. Dezember 2017 ab (act. 4/5). Mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 verlangte die Berufungsklägerin erneut die Herausgabe des Schuldbriefs. Das Schreiben wurde B. am 12. Januar 2018 in D. zugestellt. Es erfolgte jedoch keine Reaktion (act. 4/6+7).

    2. Mit Eingabe vom 24. Mai 2018 ersuchte die Berufungsklägerin gestützt auf Art. 823 ZGB das Bezirksgericht Zürich um Einleitung eins Verfahrens auf Kraftloserklärung des Schuldbriefs (act. 1). Darin führte sie im Wesentlichen aus, gemäss den beim Betreibungsamt des Saanebezirks sowie bei der Post eingeholten Auskünften sei B. bis am 31. Januar 2017 in E. wohnhaft gewesen und danach nach [Ortschaft], 8507 Taiwan, gezogen. Während einem beschränkten Zeitraum habe er seine Post an die Poststelle D. umleiten lassen. Es dürfte für sie - so die Berufungsklägerin - nahezu unmöglich sein, die aktuelle Adresse in Taiwan ausfindig zu machen. Selbst wenn ihr dies gelingen wür- de, sei aufgrund des bisherigen Verhaltens davon auszugehen, dass B. die erforderliche Handlung nicht vornehmen werde. Sie sei daher auf die Einleitung eines Verfahrens auf Kraftloserklärung durch das Gericht dringend angewiesen (act. 1 Rz. 11-12+22).

      Die Vorinstanz setzte der Berufungsklägerin mit Verfügung vom 25. Juni 2018 Frist an, um eine gültige ordentliche Zustelladresse von B. bekanntzugeben

      oder um nachzuweisen, dass sie sich erfolglos um die Feststellung der Adresse bemüht habe (act. 6). Nachdem die Berufungsklägerin das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (nachfolgend EDA) um Bekanntgabe der Wohnsitzadresse in Taiwan ersucht hatte (act. 13), schickte das EDA diese Adresse direkt an die Vorinstanz (act. 12).

      In der Folge wurde der Berufungsklägerin mit Verfügung vom 11. September 2018 Frist angesetzt, um nachzuweisen, dass sie sich erfolglos bemüht habe,

      B. auf Herausgabe des Schuldbriefs bzw. um Einleitung eines Kraftloserklä- rungsverfahrens anzuhalten (act. 15). Die Berufungsklägerin reichte mit ihrer Stellungnahme vom 5. November 2018 das an B. gesandte Schreiben vom

      9. Oktober 2018, mit welchem dieser aufgefordert wurde, den Schuldbrief herauszugeben bzw. ein Kraftloserklärungsverfahren einzuleiten, sowie Bestätigungen über die an die Adresse in Taiwan erfolgte Zustellung dieses Schreibens ein. In der Stellungnahme führte sie aus, B. habe weder die verlangten Handlungen vorgenommen noch sich bei ihr gemeldet (act. 16 und 17/1-5).

    3. Das Gesuch der Berufungsklägerin um Erlass einer gerichtlichen Massnahme im Sinne von Art. 823 ZGB wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 26. November 2018 abgewiesen (act. 22). Dagegen erhob die Berufungsklä- gerin am 24. Dezember 2018 rechtzeitig Berufung beim Obergericht und stellte den Antrag, es sei das Urteil vollumfänglich aufzuheben und es sei das Gesuch vom 24. Mai 2018 gutzuheissen (act. 23, zur Rechtzeitigkeit vgl. act. 20A). Die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens wurden beigezogen (act. 1-20A). Auf das Einholen eines Kostenvorschusses wurde verzichtet. Da es sich beim Verfahren auf Kraftloserklärung um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, ist B. nicht als Gesuchsgegner bzw. Berufungsbeklagter im Rubrum aufzufüh- ren.

2.

    1. Gemäss Art. 823 ZGB kann das Gericht in Fällen, in denen das Gesetz eine persönliche Betätigung des Gläubigers vorsieht und eine solche dringend erforderlich ist, auf Antrag des Schuldners oder anderer Beteiligter die erforderlichen Massnahmen anordnen, sofern der Grundpfandgläubiger sich nicht identifizieren lässt oder sein Wohnort unbekannt ist. Bei dem im Gesetz aufgeführten Wohnort ist dabei nicht der Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ff. ZGB gemeint, sondern der tatsächliche Aufenthaltsort des Gläubigers. Dabei ist Art. 823 ZGB auch dann anwendbar, wenn der rechtliche Wohnsitz zwar bekannt ist, der Grundpfandgläubiger jedoch nicht erreicht werden kann, etwa weil er an diesem nicht anzutreffen ist oder Zusendungen nicht entgegennimmt bzw. abholt. Ist der Grundpfandgläubiger jedoch erreichbar, entfällt eine Massnahme nach Art. 823 ZGB, auch wenn dieser die entsprechende Massnahme verweigert (ZK ZGB - Dürr / Zollinger, 2. Aufl. 2013, Art. 823 N 23, 24 und 27).

    2. Die Vorinstanz führte zur Abweisung des Gesuchs im Wesentlichen aus, der Brief der Berufungsklägerin vom 9. Oktober 2018 sei in Taiwan von einem

      F. an der vom EDA angegebenen Adresse in Empfang genommen worden, ohne dass irgendwie geltend gemacht worden sei, B. wohne nicht an der Adresse. Unter diesen Umständen müsse daher davon ausgegangen werden, Zustellungen an B. seien grundsätzlich möglich und diese würden auch in Empfang genommen. Die Voraussetzungen für eine Massnahme nach Art. 823 ZGB seien daher nicht mehr gegeben. Seine Weigerung, die betreffende Massnahme vorzunehmen, sei unbeachtlich (act. 22 E. III.3).

    3. Die Berufungsklägerin bringt in der Berufung neu vor, B. sei an der Adresse in Taiwan nicht erreichbar (act. 23 Rz. 32-46). Die Zulässigkeit des Novums begründet sie damit, dass die Vorinstanz in der Verfügung vom

      11. September 2018 erwogen habe, eine Anordnung durch das Gericht gemäss Art. 823 ZGB könne erfolgen, wenn die Berufungsklägerin nachweise, dass

      B. sich nach wie vor weigere die notwendigen Handlungen vorzunehmen

      oder er trotz bekanntem Aufenthalt nicht erreichbar sei (act. 15). Hätte die Vorinstanz - so die Berufungsklägerin - in der Verfügung ausgeführt, nach ihrer Rechtsauffassung sei nur die Erreichbarkeit massgebend, so wie sie nun im Urteil vom 26. November 2018 erwogen habe, dann hätte sie (die Berufungsklägerin) in ihrer Eingabe vom 5. November 2018 auch vorgebracht, aus den vorgebrachten Umständen sei alternativ nicht nur glaubhaft, dass sich B. nach wie vor weigere, die notwendigen Handlungen vorzunehmen, sondern auch seine fehlende Erreichbarkeit (act. 23 Rz. 24).

      Neue Tatsachen und Beweismittel werden im Berufungsverfahren nur noch berücksichtigt, wenn sie ohne Verzug vorgebracht werden und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (Art. 317 Abs. 1 ZPO). Letzteres kann etwa der Fall sein, wenn es eine nach Treu und Glauben handelnde Partei aus Gründen, welche aus damaliger Sicht objektiv nachvollziehbar waren, unverschuldeterweise unterliess, die Tatsache oder das Beweismittel in das erstinstanzliche Verfahren einzubringen (ZK ZPO -

      Reetz / Hilber, 3. Aufl. 2016, Art. 317 N 61).

      Die Berufungsklägerin durfte aufgrund der Verfügung vom 11. September 2018 davon ausgehen, der Nachweis der Weigerung von B. , die notwendigen Handlungen vorzunehmen, reiche für die Anordnung der Massnahme nach

      Art. 823 ZGB aus. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass sie die (Eventual-)Vorbringen zur Nichterreichbarkeit nicht bereits im vorinstanzlichen Verfahren erwähnte, sondern erst im Berufungsverfahren - nachdem im Urteil

      richtigerweise festgehalten wurde, die Verweigerungshaltung von B. sei für die Anwendbarkeit von Art. 823 ZGB nicht relevant. Die fehlerhafte Erwägung in der Verfügung vom 11. September 2018 darf der Berufungsklägerin nicht zum Nachteil gereichen. Die neuen Argumente zur Nichterreichbarkeit sind mithin zulässig und im Folgenden zu prüfen.

    4. Das EDA teilte der Vorinstanz die ihnen aus dem Auslandschweizerregister bekannte Adresse von B. in Taiwan mit (act. 12). An diese Adresse sandte die Berufungsklägerin B. einen eingeschriebenen Brief (act. 17/1). Gemäss Sendungsverfolgungen wurde das Schreiben am 12. Oktober 2018 um 10:52 Uhr in Taiwan zugestellt (act. 17/3+4). Wie sich aus der MyTNT Sendungsverfolgung

ergibt, nahm eine zeichnungsberechtigte Person namens F. das Schreiben in Empfang (17/5). Kann ein Einschreiben an eine vom EDA gestützt auf das Auslandschweizerregister angegebene Adresse über einen Zeichnungsberechtigten zugestellt werden, ist von der grundsätzlichen Erreichbarkeit des Adressaten auszugehen.

Die Berufungsklägerin bringt vor, F. sei möglicherweise zu Unrecht als zeichnungsbzw. empfangsberechtigt eingestuft worden bzw. habe mangels Kenntnisse der lateinischen Schrift und/oder der Bedeutung von c/o nicht realisiert, dass der Brief an B. adressiert gewesen sei. Sodann sei unklar, ob die Sendung tatsächlich an B. weitergeleitet worden sei, und es sei wegen des Zusatzes c/o davon auszugehen, dass es sich lediglich um eine provisorische Adresse handle (act. 23 Rz. 34 f.). Konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit einer dieser Mutmassungen bestehen jedoch nicht und solche werden von der Berufungsklägerin auch nicht angeführt. Dass B. - wie die Berufungsklägerin weiter vorbringt (vgl. act. 23 Rz. 37+42) - gemäss Betreibungsregisterauszug des Betreibungsamts des Saanebezirks nach dem 31. Januar 2017 nach Taiwan zog, in seiner Berufungsschrift vom 18. August 2017 jedoch eine Adresse in E. angab und für einen beschränkten Zeitraum seine Post nach D. nachsenden liess, vermag an dem Umstand, dass der Brief der Berufungsklägerin vom

9. Oktober 2018 an die Adresse in Taiwan zugestellt werden konnte, nichts zu ändern.

Schliesslich macht die Berufungsklägerin geltend, der ständige Wechsel des Aufenthaltsortes diene offensichtlich auch der Umgehung seiner Verpflichtungen gegenüber der Berufungsklägerin und verletze die Pflicht, nach Treu und Glauben zu handeln (act. 23 Rz. 47-49). Wie ausgeführt hat jedoch die Verweigerungshaltung von B. auf die Anwendbarkeit von Art. 823 ZGB keinen Einfluss. Im Ergebnis hat die Vorinstanz die Erreichbarkeit von B. somit zu Recht bejaht und die Voraussetzungen für eine Massnahme nach Art. 823 ZGB als nicht gegeben erachtet.

3.

    1. Die Berufungsklägerin ist der Meinung, sollte das Gericht B. als in Taiwan erreichbar und wohnhaft erachten, handle es sich um einen Sachverhalt, der in eine Gesetzeslücke im Sinne von Art. 1 Abs. 2 ZGB falle, da ihr keine andere Möglichkeit als die Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 823 ZGB offenstehe. Der Anwendungsbereich von Art. 823 ZGB sei deshalb zu erweitern

      (act. 23 Rz. 49-53 und 57 f.). Es ist in der Folge zu prüfen, ob für die Berufungsklägerin tatsächlich keine Alternative zur Kraftloserklärung gestützt auf Art. 823 ZGB besteht.

    2. Nach Art. 856 ZGB kann der Eigentümer des verpfändeten Grundstückes, der nicht weiss, wer sein Gläubiger ist, und von dem während zehn Jahren kein Zins mehr gefordert wurde, den Aufruf und die anschliessende Kraftloserklärung des Schuldbriefes als Wertpapier verlangen. Da der Gläubiger bekannt ist, kann sich die Berufungsklägerin nicht auf Art. 856 ZGB berufen.

    3. Nach 865 Abs. 1 ZGB kann der Gläubiger verlangen, dass das Gericht den Pfandtitel für kraftlos erklärt und der Schuldner zur Zahlung verpflichtet wird oder für die noch nicht fällige Forderung ein neuer Titel ausgefertigt wird, wenn ein Pfandtitel abhanden gekommen oder ohne Tilgungsabsicht vernichtet worden ist (Art. 865 Abs. 1 ZGB). In gleicher Weise kann der Schuldner die Kraftloserklärung verlangen, wenn ein abbezahlter Titel vermisst wird (Art. 865 Abs. 3 ZGB).

B. machte zum Aufbewahrungsort des Schuldbriefs unklare bzw. widersprüchliche Angaben. Er erklärte in seiner Berufungsschrift vom 18. August 2017 einerseits, der Gerichtsstand sei unter dem Aspekt zu prüfen, dass da ein Schuldbrief beim Eigentümer am gesetzlichen Wohnsitz z.B. in dessen Wohnung in E. aufbewahrt werde, bzw. wenn überhaupt werde der Schuldbrief an seinem gesetzlich festgelegten Wohnsitz erst dann übergeben, wenn alle Voraussetzungen dafür erfüllt seien. Andererseits erklärte er, er sei nicht im Besitz bzw. Eigentümer des Schuldbriefs, weil dieser mit Zession der gemeinsamen Hausverwaltung (Stockwerkgemeinschaft A. /B. ) bereits 2006 übereignet worden sei (act. 4/10 S. 4, 6 und 9). B. verwies dabei auf ein Schreiben

vom 20. November 2006, mit welchem er eine Frau G. von der Verwaltung bevollmächtigte, den Schuldbrief aus einem Depot bei der Zürcher Kantonalbank zu beziehen (act. 4/12+13). Gemäss Einwohnerkontrolle H. wanderte

G. am 30. November 2007 nach [Ortschaft], China, aus (act. 4/14). Über den Aufbewahrungsort des Schuldbriefs besteht somit Unklarheit. Solange

B. keine klärenden Angaben macht - womit aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht gerechnet werden kann -, hat die Berufungsklägerin keine Mög- lichkeit, den Aufbewahrungsort herauszufinden. In dieser Konstellation ist der Schuldbrief wie ein abhanden gekommener bzw. vermisster Schuldbrief zu behandeln.

Gemäss herrschender Lehre kann sich ein Schuldner nur auf Art. 865 Abs. 3 ZGB berufen, wenn er glaubhaft macht, dass die Urkunde vor dem Verlust wieder in seinen Besitz gelangt ist. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass im Einparteienverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Gericht ohne Anhörung des Gläubigers nicht darüber entscheiden kann, ob die Schuld getilgt ist (ZK ZGB

- Steinauer, 2. Aufl. 2015, Art. 865 N 13, BSK ZGB II - Staehelin, 5. Aufl. 2015, Art. 865 N 4, BK ZGB - Leemann, Art. 865 N 12). Die Regelungen von Art. 865 Abs. 1 und Abs. 3 ZGB sind dabei auf folgenden Ablauf ausgerichtet, welcher für die grosse Mehrheit der Fälle auch zutreffen wird: Solange die gesicherte Schuld noch nicht getilgt ist, verbleibt der Schuldbrief beim Gläubiger. Die Tilgung und die Übertragung des Papiers geschehen dann Zug um Zug, weshalb nach der Tilgung der Schuldner im Besitz des Schuldbriefs ist. Bei diesem Ablauf war derjenige, der gestützt auf Art. 865 Abs. 1 oder Abs. 3 ZGB um Einleitung eines Verfahrens auf Kraftloserklärung ersucht, vor dem Verlust jeweils im Besitz des Papiers.

Hier besteht nun jedoch eine Konstellation, an die der Gesetzgeber wohl nicht gedacht hat: Nach Tilgung der Schuld blieb der Schuldbrief beim Gläubiger. Dieser ist zwar bekannt und auch erreichbar, weigert sich aber trotz gerichtlich festgestellter Schuldtilgung und gerichtlicher Verpflichtung, den Schuldbrief herauszugeben bzw. ein Verfahren auf Kraftloserklärung durchzuführen. Des Weiteren besteht - wie gesehen - Unklarheit darüber, wo sich das Papier überhaupt befindet. In diesem spezifischen Ausnahmefall scheint es gerechtfertigt, dass sich die

Berufungsklägerin auf die Bestimmung von Art. 865 Abs. 3 ZGB berufen kann, obwohl sie vor dem Verlust des Schuldbriefs nicht in dessen Besitz war. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 30. Juni 2017 stehen die Schuldtilgung wie auch die Herausgabeverpflichtung fest. Der in der Literatur erwähnte Einwand, es würde seltsam anmuten, wenn der Schuldner selber nachweisen müsste, dass ein Dritter den Schuldbrief verloren hat, als er sich im Besitz des Gläubigers befand (ZK ZGB - Steinauer, 2. Aufl. 2015, Art. 865 N 13), greift vorliegend sodann nicht. Gestützt auf die unklaren bzw. widersprüchlichen Angaben von B. zum Aufenthaltsort des Schuldbriefs kann nämlich - wie im vorstehenden Absatz dargelegt - vom Verlust des Papiers durch den Gläubiger ausgegangen werden.

Die Berufungsklägerin verlangte im vorinstanzlichen Verfahren gestützt auf

Art. 823 ZGB die Einleitung eines Verfahrens auf Kraftloserklärung. Art. 823 ZGB wäre einschlägig gewesen, hätte sich im Verlauf des Verfahrens nicht die Erreichbarkeit des Gläubigers in Taiwan herausgestellt. Nun kann die Berufungsklä- gerin - wie gesehen - ihren Anspruch zwar nicht aus Art. 823 ZGB ableiten. Ausnahmsweise kommt jedoch Art. 865 Abs. 3 ZGB zum Zug. Das Gericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 57 ZPO). Es kann mithin eine andere materiell-rechtliche Bestimmung anwenden, um den Anträgen des Klägers stattzugeben (ZK ZPO - Sutter-Somm / Seiler, 3. Aufl. 2016, Art. 57 N 17, vgl. auch OGer ZH PP160021 v. 12. September 2016, E. I.4.2). Die Berufung ist nach dem Gesagten gutzuheissen, da dem Antrag auf Einleitung eines Verfahrens auf Kraftloserklärung gestützt auf Art. 865 Abs. 3 ZGB stattgegeben werden kann. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Die Auskündigung und das Überwachen der Frist ist der Einzelrichterin aufzugeben.

4. Für das Verfahren der Kammer sind ausgangsgemäss keine Kosten zu erheben. Aus der Staatskasse spricht die Kammer einer Partei im Rechtsmittelverfahren allenfalls dann eine Parteientschädigung zu, wenn eine formelle Gegenpartei fehlt (bzw. sich mit dem fehlerhaften Entscheid nicht identifiziert) und sich der angefochtene Entscheid zudem als qualifiziert unrichtig erweist (vgl. OGer ZH

PQ140037 vom 28. Juli 2014 E. 3.1). Letztere Voraussetzung ist nicht erfüllt. Es ist deshalb keine Parteientschädigung zuzusprechen.

Es wird erkannt:

  1. In Gutheissung der Berufung wird der angefochtene Entscheid aufgehoben.

    Die Sache wird im Sinne der Erwägungen an die Einzelrichterin zurückgewiesen, damit diese ihr Verfahren mit der Auskündigung des Pfandtitels fortführt.

  2. Für das Berufungsverfahren werden keine Kosten erhoben und wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

  3. Schriftliche Mitteilung an die Berufungsklägerin sowie - unter Rücksendung der erstinstanzlichen Akten - an das Bezirksgericht Zürich, je gegen Empfangsschein.

  4. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.

Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt CHF 300'000.-.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Zivilkammer Der Gerichtsschreiber:

MLaw R. Jenny

versandt am:

14. März 2019

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