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Urteil Kantonsgericht (SZ)

Kopfdaten
Kanton:SZ
Fallnummer:ZK2 2017 97
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:Kammer
Kantonsgericht Entscheid ZK2 2017 97 vom 08.10.2018 (SZ)
Datum:08.10.2018
Rechtskraft:In Rechtskraft
Leitsatz/Stichwort:dauernde Bodenverschiebung (Art. 660a ZGB) (EGV-SZ 2018 A 2.3)
Schlagwörter : Berufung; Gebiet; Bodenverschiebung; Bodenverschiebungen; Grundstück; Empfehlungen; Dauernde; Vermessung; Dauernden; Gebiete; Perimeter; Verschiebung; Kanton; Grundstücke; Berufungsführer; Einsprache; Berufungsgegner; Geoinformation; Einspracheentscheid; Botschaft; Verfahren; Verschiebungen; Ausscheidung; Kriterien; Perimeterplan; Miteigentümer; Amtliche; Grundbuch; Grenze; Anmerkung
Rechtsnorm: Art. 125 ZPO ; Art. 42 BGG ; Art. 660 ZGB ; Art. 660a ZGB ; Art. 660b ZGB ; Art. 668 ZGB ; Art. 71 ZPO ; Art. 712a ZGB ; Art. 712b ZGB ; Art. 973 ZGB ;
Referenz BGE:130 III 193; 142 III 551;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:Paul-Henri Steinauer; Reto Heizmann;
Entscheid
ZK2 2017 97 - dauernde Bodenverschiebung (Art. 660a ZGB) (EGV-SZ 2018 A 2.3)
Beschluss vom 8. Oktober 2018
ZK2 2017 97 und ZK2 2017 101-111


Mitwirkend
Kantonsgerichtsvizepräsident Dr. Reto Heizmann,
Kantonsrichter Dr. Veronika Bürgler Trutmann und Walter Christen,
Gerichtsschreiberin lic. iur. Antoinette Hürlimann.


In Sachen
1. A.________ (ZK2 2017 97),
2. B.________ (ZK2 2017 101),
3. C.________ (ZK2 2017 102),
4. D.________ (ZK2 2017 103),
5. E.________ (ZK2 2017 104),
6. F.________ (ZK2 2017 105),
7. G.________ ZK2 2017 106),
8. H.________ (ZK2 2017 107),
9. I.________ (ZK2 2017 108),
10. J.________ (ZK2 2017 109),
11. K.________ (ZK2 2017 110),
12. L.________ (ZK2 2017 111),
Berufungsführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt M.________,
gegen

Amt für Vermessung und Geoinformation, Postfach 1213, Bahnhofstrasse 16, 6431 Schwyz,
Berufungsgegner,
vertreten durch Rechtsanwalt N.________,




betreffend
dauernde Bodenverschiebung (Art. 660a ZGB)
(Berufungen gegen den Einspracheentscheid des Amts für Vermessung und Geoinformation vom 14. November 2017);-

hat die 2. Zivilkammer,
nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. a) Am 10. März 2017 publizierte das Amt für Vermessung und Geoinformation im kantonalen Amtsblatt die öffentliche Auflage der Perimeterpläne für Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen in der Gemeinde Schwyz. Demnach soll bei den vom Perimeterplan erfassten Grundstücken im Grundbuch die Anmerkung „Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen“ eingetragen werden (Vi-BB 2.1). Gegen den Einbezug ihrer Liegenschaften in den Perimeterplan „Loo, Halteli, Obdorf“ erhoben K.________ (ZK2 2017 110), J.________ (ZK2 2017 109), L.________ (ZK2 2017 111) (Miteigentümer von GB Nr. zz), D.________ (ZK2 2017 103), C.________ (ZK2 2017 102), B.________ (ZK2 2017 101) (Miteigentümer von GB Nr. yy), F.________ (ZK2 2017 105), E.________ (ZK2 2017 104) (Miteigentümer von GB Nr. ww), I.________ (ZK2 2017 108), G.________ ZK2 2017 106), A.________ sowie H.________ (ZK2 2017 107) (Miteigentümer von GB Nr. vv) Einsprache beim Amt für Vermessung und Geoinformation und verlangten, die Grundstücke GB Nr. zz, GB Nr. yy, GB Nr. ww und GB Nr. vv seien nicht als Gebiet mit dauernder Bodenverschiebung zu bezeichnen und es sei von einer entsprechenden Anmerkung im Grundbuch abzusehen (vgl. Vi-BB 2.4.1). Mit Entscheid vom 14. November 2017 wies das Amt für Vermessung und Geoinformation die Einsprache ab, ohne Verfahrenskosten zu erheben.
b) Gegen den Einspracheentscheid vom 14. November 2017 erhoben K.________ (ZK2 2017 110), J.________ (ZK2 2017 109), L.________ (ZK2 2017 111), D.________ (ZK2 2017 103), C.________ (ZK2 2017 102), B.________ (ZK2 2017 101), F.________ (ZK2 2017 105), E.________ (ZK2 2017 104), I.________ (ZK2 2017 108), G.________ ZK2 2017 106), A.________ sowie H.________ (ZK2 2017 107) (nachfolgend Berufungsführer) am 15. Dezember 2017 je einzeln Berufung beim Kantonsgericht mit folgenden Anträgen (Proz. Nr. ZK 2017 97, KG-act. 1):
2. In Gutheissung der Berufung sei,

2.1 der angefochtene Einspracheentscheid vom 14. November 2017, mithin die Verfügung vom 15. Februar aufzuheben und es sei darauf zu verzichten, das Grundstück-Nr. vv [bzw. das Grundstück-Nr. zz, yy und ww] als Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen zu bezeichnen, mithin von einer Anmerkung im Grundbuch sowie von der Zugehörigkeit zum Perimeterplan abzusehen.

2.2 eventualiter der angefochtene Einspracheentscheid vom 14. November 2017, mithin die Verfügung vom 15. Februar aufzuheben und die Angelegenheit zur Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens zur Bezeichnung von Gebieten mit dauernden Bodenverschiebungen unter Gewährung des rechtlichen Gehörs der Bf und Vornahme ergänzender geodätischer Vermessungen mit Nullmessung nach Juli 2010 an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der
Vorinstanz bzw. des Kantons.


Mit Berufungsantwort vom 2. Februar 2018 beantragte das Amt für Vermessung und Geoinformation (nachfolgend Berufungsgegner), die Berufungen seien abzuweisen resp. die Grundstücke GB Nr. zz-vv seien im Perimeterplan Gebiet „Loo, Halteli, Obdorf“ gemäss öffentlicher Planauflage zu belassen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Berufungsführer (KG-act. 5). Am 27. Februar 2018 reichten die Berufungsführer eine Stellungnahme ein (KG-act. 11), wozu sich der Berufungsgegner am 16. März 2018 vernehmen liess (KG-act. 15).
3. Werden bei Arbeiten in der amtlichen Vermessung oder bei Arbeiten des Amtes für Wald und Naturgefahren (AWN) Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen nach Art. 660a ZGB festgestellt, leitet das AVG (Amt Vermessung und Geoinformation) das Verfahren zur Ausscheidung dieser Gebiete (§ 13 Abs. 1 Verordnung über die amtliche Vermessung [KVAV]; SRSZ 214.121). Der Perimeterplan für Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen nach Art. 67 TVAV (Technische Verordnung des VBS über die amtliche Vermessung [TVAV]; SR 211.432.21) wird analog dem Verfahren für Ersterhebungen nach § 33 KGeoiG (Kantonales Geoinformationsgesetz [KGeoiG]; SRSZ 214.110) öffentlich aufgelegt (§ 13 Abs. 3 KVAV). Laut § 33 Abs. 1-4 KGeoiG findet ein Auflage- und Einspracheverfahren statt. Gemäss § 33 Abs. 5 KGeoiG kann der Einspracheentscheid an das Kantonsgericht weitergezogen werden. Das Berufungsverfahren der Schweizerischen Zivilprozessordnung findet sinngemäss Anwendung. Die Zuständigkeit des Kantonsgerichts ist somit gegeben und für das Verfahren gelangen die Bestimmungen von Art. 308 ff. ZPO resp. der Zivilprozessordnung zur Anwendung.
4. Nach Art. 125 ZPO kann das Gericht zur Vereinfachung des Prozesses insbesondere gemeinsam eingereichte Klagen trennen (lit. b) oder selbstständig eingereichte Klagen vereinigen (lit. c). Da den vorliegenden Berufungen im Sinne einer subjektiven Klagenhäufung ein identischer Sachverhalt zugrunde liegt und gleichartige Rechtsfragen zu klären sind (vgl. Art. 71 Abs. 1 ZPO), rechtfertigt es sich aus Gründen der Prozessökonomie, die Berufungen ZK2 2017 91 sowie ZK2 2017 101-111 zu vereinigen.
5. Der Berufungsgegner bestreitet die Sach- bzw. Aktivlegitimation der Berufungsführer mit der Begründung, diese seien nicht Eigentümer der (Stamm-)Grundstücke GB Nr. zz-vv und folglich nicht berechtigt, die Ausscheidung aus dem Perimeter zu verlangen (KG-act. 5 S. 3).
a) Stockwerkeigentum ist der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der dem Miteigentümer das Sonderrecht gibt, bestimmte Teile eines Gebäudes ausschliesslich zu benutzen und innen auszubauen (Art. 712a Abs. 1 ZGB). Dem Stockwerkeigentümer nicht zu Sonderrecht zugeschieden werden können der Boden der Liegenschaft und das Baurecht, kraft dessen gegebenenfalls das Gebäude erstellt wird (Art. 712b Abs. 2 Ziff. 1 ZGB). Zu den zwingend gemeinschaftlichen Teilen zählt folglich insbesondere das Stammgrundstück, d.h. der Boden der Liegenschaft oder das selbständige und dauernde Baurecht (Wermelinger, Das Stockwerkeigentum, 2. A., N 140 zu Art. 712b ZGB). Das Stammgrundstück resp. alles, was dazu gehört, aber auch die Berechtigungen wie Dienstbarkeiten und Grundlasten, steht im Miteigentum jedes Stockwerkeigentümers (Wermelinger, a.a.O., N 10 zu Art. 712a ZGB). Die Miteigentümer können über das Stammgrundstück als gemeinschaftliche Sache verfügen, indem sie diese veräussern, belasten oder ihren Zweck ändern. Dies schliesst die Verfügungsbefugnis Dritter, namentlich auch der Stock-werkeigentümergemeinschaft, aus (Stocker, Die Rechtsfähigkeit der Stockwerkeigentümergemeinschaft, in: Wermelinger [Hrsg.], Luzerner Tag des Stockwerkeigentums 2016, S. 148).
b) Nach dem Gesagten steht der Aktivlegitimation der Berufungsführer als Miteigentümer an den jeweiligen Stammgrundstücken nichts entgegen. Mithin sind die Berufungsführer legitimiert, die auf den Grundbuchblättern der Stammgrundstücke vorgesehene Anmerkung anzufechten. Ob allenfalls auch eine Handlungszuständigkeit und damit eine Sachlegitimation der jeweiligen Stockwerkeigentümergemeinschaften bestünde, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben (vgl. dazu BGE 142 III 551 E. 2.3).
6. a) Bodenverschiebungen von einem Grundstück auf ein anderes bewirken keine Veränderung der Grenzen (Art. 660 Abs. 1 ZGB; Grundsatz der Unverrückbarkeit der Grenzen, vgl. zum Ganzen BSK ZGB II-Strebel/Laim, 5. A., N 2 ff. zu Art. 660 ZGB). Bodenteile und andere Gegenstände, die hierbei von dem einen Grundstück auf das andere gelangt sind, unterliegen den Bestimmungen über die zugeführten Sachen oder die Sachverbindungen (Art. 660 Abs. 2 ZGB). Der Grundsatz, wonach Bodenverschiebungen keine Änderung der Grenzen bewirken, gilt laut Art. 660a Abs. 1 ZGB nicht für Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen, wenn diese Gebiete vom Kanton als solche bezeichnet wurden. Bei der Bezeichnung der Gebiete ist die Beschaffenheit der betroffenen Grundstücke zu berücksichtigen (Art. 660a Abs. 2 ZGB), das heisst insbesondere die Bodennutzung, die Bodenbedeckung sowie der Wert des Bodens (CHK-F. Hitz, 3. A., N 6 zu Art. 660-660b ZGB; BSK ZGB II-Strebel/Laim, 5. A., N 8 zu Art. 660a ZGB). Bei unproduktiven Flächen kann jedoch auf die kostspielige Ausscheidung und die Erstellung von Perimeterplänen verzichtet werden (CHK-F. Hitz, 3. A., N 8 zu Art. 660-660b ZGB). Die Zugehörigkeit eines Grundstücks zu einem Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen ist in geeigneter Weise den Beteiligten mitzuteilen und im Grundbuch anzumerken (Art. 660a Abs. 3 ZGB). Die Kantone entscheiden, wie sie die betroffenen Gebiete umschreiben. Handelt es sich jedoch um ein Rutschgebiet, so ist ein Perimeterplan anzulegen (CHK-F. Hitz, 3. A., N 6 zu Art. 660-660b ZGB mit Hinweis u.a. auf Art. 67 TVAV). Die Anmerkung der Zugehörigkeit eines Grundstückes zu einem Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen weist insbesondere einen potentiellen resp. tatsächlichen Erwerber darauf hin, dass die Vermutung der Richtigkeit des Grundbuchplans innerhalb des vom Perimeterplan erfassten Gebietes nicht gilt (Art. 668 Abs. 3 ZGB), dass er sich hinsichtlich der Grundstücksgrenzen nicht auf seinen guten Glauben berufen kann (Art. 973 Abs. 2 ZGB) und dass Betroffene wegen Unzweckmässigkeit der Grenze deren Neufestsetzung verlangen können (Art. 660b; BSK ZGB II-Strebel/Laim, 5. A., N 11 zu Art. 660b ZGB; CHK-F. Hitz, 3. A., N 6 zu Art. 660-660b ZGB).
Die Empfehlungen der Konferenz der Kantonalen Vermessungsämter (KKVA) zur Behandlung von dauernden Bodenverschiebungen in der Amtlichen Vermessung (Vi-BB 4.9; nachfolgend Empfehlungen) definieren diese als „permanente grossflächige (mehrere Grundstücke und mehrere Hektaren umfassende), hangabwärts gerichtete gleitende Bewegungen. Sie verlaufen langsam und über grössere Zeiträume“ (Empfehlungen Ziff. 3 S. 10). Als
massgebliche Kriterien für die Ausscheidung nennen die Empfehlungen unter Hinweis auf den vorstehend zitierten Basler Kommentar einerseits wirtschaftliche Kriterien wie die Bodenbedeckung, die Bodennutzung sowie den Wert der betroffenen Grundstücke (Empfehlungen Ziff. 3.1.1 S. 10). Als technisches Kriterium für die Ausscheidung von Rutschgebieten wird für die Toleranzstufe 2 (wozu vorliegend die Grundstücke gehören, Art. 3 TVAV) ein Richtwert von 10.5 cm während zehn Jahren bzw. „ca. 1 cm / Jahr“ festgelegt (Empfehlungen Ziff. 3.1.2 S. 10). Im weiteren soll die Zeitspanne zwischen der 0-Messung und der Zweitmessung in der Regel 20 Jahre betragen, Wiederholungsmessungen sollen bei Bedarf nach zehn Jahren durchgeführt werden. Als weitere (technische) Kriterien muss die Rutschung noch wirksam und nicht vollständig zum Stillstand gekommen sein und die Rutschvektoren haben in etwa in der Falllinie zu verlaufen. Schliesslich sehen die Empfehlungen vor, dass auch die Stauchungszone in den Perimeter einzubeziehen ist (Empfehlungen Ziff. 3.1.3 S. 11). Die Empfehlungen sollen dazu beitragen, dass „in der ganzen Schweiz das Verfahren für die Ausscheidung von Gebieten mit dauernden Bodenverschiebungen nach einheitlichen Kriterien und Massstäben erfolgt und damit unterschiedliche Behandlungen in den Kantonen und Gemeinden, wie heute zum Teil der Fall, vermieden werden können“ (Empfehlungen Ziff. 1.2 S. 4). Diese Empfehlungen haben zwar keinen Gesetzescharakter, sind aber Ausdruck des Wissens und der Erfahrung bewährter Fachstellen und in diesem Sinne beachtlich (vgl. BGer, Urteil 1C_506/2016 vom 6. Juni 2017 E. 6.3.1; vgl. auch BGE 130 III 193 E. 2.3 und BGer, Urteil 4A_359/2013; 4A_421/2013 vom 13. Januar 2014 E. 4.3).
b) Der Berufungsgegner erwog zusammengefasst, dass im Jahr 1998, das heisst vor Erstellung der Überbauung auf den Grundstücken der Berufungsführer, mit der Erneuerung der Informationsebene Fixpunkt der amtlichen Vermessung der Gemeinde Schwyz die Koordinaten von bestehenden Fixpunkten neu bestimmt worden seien. Im Gebiet Loo, Halteli, Chlösterli hätten GPS-Messungen Koordinatendifferenzen von 40-50 cm in Hangrichtung talwärts ergeben. Als Ursache für die Koordinatendifferenzen seien bereits damals nur Geländebewegungen in Frage gekommen. Mit der derzeit laufenden Erneuerung der amtlichen Vermessung seien die 1998 gemessenen Fixpunkte im Jahr 2014 erneut bestimmt worden. Die neuen Messungen hätten im Vergleich zu 1998 Koordinatendifferenzen von 10-14 cm in Hangrichtung talwärts ergeben, welche ebenfalls auf Geländebewegungen zurückzuführen seien. Es treffe zu, dass die Verschiebungen im Gebiet Sagirain klein seien und im Durchschnitt weniger als 1 cm pro Jahr betragen würden. Allerdings bestehe an einem an der oberen Grenze des Grundstücks GB Nr. vv gemessenen Grenzpunkt, welcher im Zusammenhang mit der Überbauung und Parzellierung im Sagirain nicht verändert worden sei, eine Koordinatendifferenz von 73.6 cm. Folglich habe sich der Grenzpunkt mit der Bodenverschiebung um 73.6 cm hangabwärts bewegt (angefocht. Einspacheentscheid E. 2.1 und 4.1).
c) Die Berufungsführer bestreiten diese Feststellungen des Berufungsgegners die Quantitative der Verschiebungen betreffend nicht, halten aber dafür, dass bei Verschiebungen von unter einem Zentimeter pro Jahr gemäss den Empfehlungen der KKVA kein Rutschgebiet auszuscheiden sei (KG-act. 1 S. 16 und 17 f.).
d) Bei den in den Empfehlungen statuierten Vorgaben handelt es sich schon dem Wortlaut nach um Richtwerte, also nicht um starre Grenzwerte (vgl. S. 10: „ca. 1 cm / Jahr“). Grundsätzlich schliessen die Empfehlungen nicht a priori aus, dass auch unter einem Zentimeter pro Jahr liegende Bodenverschiebungen, zumindest solche, welche nur knapp unter dem Richtwert oder in einer Bandbreite um diesen herum liegen, als solche ausgeschieden werden können, soweit die übrigen wirtschaftlichen und technischen Kriterien erfüllt sind. Allerdings setzen die KKVA in ihren Empfehlungen doch eine, wenn auch wie erwähnt nicht starre, Untergrenze fest, und bringen damit immerhin zum Ausdruck, nicht jede minimale Differenz solle dazu führen, dass ein Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen auszuscheiden ist. Damit korrespondiert im Übrigen Ziff. 2.2 der Empfehlungen, wonach dauernde Bodenverschiebungen in die Bereiche „substabil, sehr langsam“ bis „wenig aktiv, langsam“ mit einer durchschnittlichen Rutschgeschwindigkeit von 1-10 cm pro Jahr, in Ausnahmefällen bis 20 cm, gehören würden (Empfehlungen S. 8). Zudem basieren die Richtwerte auf den in der TVAV festgelegten Genauigkeitsanforderungen. Nach Art. 31 Abs. 1 TVAV beträgt die Lagegenauigkeit (Standardabweichung) auf der Informationsebene „Liegenschaften“ und „Rohrleitungen“ für einen im Gelände exakt definierten Punkt in der vorliegend massgeblichen Toleranzstufe 2 (TS2) 3.5 cm. Als Toleranzgrenze für die Beurteilung einzelner Widersprüche gilt die dreifache Standardabweichung, welche in Absatz 1 festgelegt ist. Daraus errechnet sich der Grenzwert von 10.5 cm während zehn Jahren (bzw. von „ca. 1 cm / pro Jahr“, wobei davon ausgegangen wird, dass zwischen der 0-Messung und der Zweitvermessung in der Regel 20 Jahre liegen und dass Wiederholungsmessungen der Kontrollpunkte bei Bedarf alle zehn Jahre erfolgen sollen (Ziff. 3.1.2 Empfehlungen S. 10). Die jährlichen Verschiebungen im Gebiet Loo, Halteli, Chlösterli betragen jährlich rund 0.65-0.82 cm, was sich aus den zwischen der Erstvermessung im Jahr 1937 und der Erneuerung der amtlichen Vermessung im Jahr 1998 gemessenen absoluten Verschiebungswerten von 40-50 cm ergibt. Die jährlichen Differenzen zwischen 1998 und 2014 belaufen sich sodann auf 0.625-0.875 cm (ausgehend von einer absoluten Verschiebung von 10-14 cm in 16 Jahren). Somit liegen die jährlichen Verschiebungen im Gebiet Loo, Halteli, Chlösterli nicht nur unter dem Richtwert der Empfehlungen von ca. 1 cm pro Jahr, sondern zugleich unter der Toleranzgrenze der TVAV für die Beurteilung von Widersprüchen auf der Informationsebene Liegenschaften. Mit Verschiebungen in diesem Bereich, das heisst im Durchschnitt etwa 0.75 cm pro Jahr, wird der Richtwert der Empfehlungen von ca. 1 cm pro Jahr nicht erreicht. Was die vom Berufungsgegner erwähnte absolute Koordinatendifferenz von 73.6 cm auf dem Grundstück GB Nr. vv anbelangt, ist diese, abgesehen davon, dass aus den Ausführungen der Parteien nicht ersichtlich ist, auf welchen Zeitraum sich diese bezieht, nicht entscheidend, da die Empfehlungen der KKVA grundsätzlich auf die jährlichen relativen Werte abstellen. In jedem Fall vermag diese, an einem einzelnen Punkt gemessene Verschiebung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die jährlichen Bewegungen, wie vom Berufungsgegner anerkannt (vgl. angefocht. Einspracheentscheid E. 4.1) nur gering ausfallen. Somit vermögen auch die absoluten Verschiebungswerte die Ausscheidung als Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen nicht zu rechtfertigen.
e) Wohl würden die weiteren Kriterien, so namentlich die Bodennutzung und der Wert der betroffenen Grundstücke, tendenziell für den Einbezug in den Perimeter sprechen, denn es handelt sich nicht um unproduktives Gebiet, sondern um überbaute Liegenschaften. Umgekehrt dürfte das private Interesse, welches im Rahmen der Interessenabwägung zu würdigen wäre, zumindest als erheblich zu werten sein, denn es liegt auf der Hand, dass Grundstücke, welche im Perimeter eines Gebiets mit dauernden Bodenverschiebung liegen, an Wert verlieren dürften (vgl. auch Paul-Henri Steinauer, Les glissements de terrain permanents, RFJ 2001 I 73-85, 84). Eine Erörterung dieser weiteren Kriterien drängt sich jedoch nicht auf, da, wie vorstehend ausgeführt, bereits das geringe Mass der Verschiebungen die Bezeichnung als Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen ausschliesst.
f) Dieses Ergebnis stimmt auch damit überein, Art. 660a ZGB als Ausnahmebestimmung von dem Grundsatz, dass Bodenverschiebungen von einem Grundstück auf ein anderes keine Veränderung der Grenzen bewirken (Art. 660 ZGB), eng auszulegen. Dazu kommt, dass Art. 660a ZGB selber zwar kein Erheblichkeitskriterium enthält, es aber dem allgemeinen Verhältnismässigkeitsgrundsatz resp. der de-minimis-Regel entspricht, Geringfügiges nicht rechtlich zu erfassen. Auch die Botschaft erklärte, in „Gebieten, die durch eine markante und umfassende Bodenverschiebung gekennzeichnet sind, drängt sich eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Ordnung auf“ (Botschaft zum Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht [BGBB] sowie zum Bundesgesetz über die Teilrevisionen des Zivilgesetzbuches (Immobiliarsachenrecht) und des Obligationenrechts (Grundstückkauf) vom 19. Oktober 1988, BBl 1988 III 953 ff., 1071, nachfolgend: Botschaft 1988). „Markant“ heisst nach allgemeinem Sprachgebrauch „stark ausgeprägt“ (Duden). Weil die Botschaft das Adjektiv „markant“ vor „umfassend“ stellt, wird klar, dass damit die Intensität und nicht die Ausdehnung der Verschiebung angesprochen sein muss. Mit anderen Worten hat die Intensität der Bewegung stark ausgeprägt zu sein. Überdies erklärte der Bundesrat in der Botschaft, in „verschiedenen Gebieten der Schweiz werden Bodenverschiebungen in der Grössenordnung von Zentimeter bis Dezimeter pro Jahr festgestellt“ (Botschaft 1988, 1070). Auch die Ausführungen in der Botschaft sprechen deshalb dafür, erhebliche von unerheblichen Bodenverschiebungen zu trennen und die Grenze in Übereinstimmung mit den Empfehlungen und der TVAV bei 1cm pro Jahr Bewegung festzusetzen. Dies entspricht im Übrigen offenbar der Praxis im Kanton Graubünden (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts GR vom 26. April 2006, A 05 88, PVG 2006 96, 101: „Damit steht aber ohne weiteres fest, dass die Verschiebungen auf sämtlichen Parzellen der Rekurrentin allesamt, wenn auch zum Teil nur gering, doch über der Toleranzgrenze der amtlichen Vermessung gemäss TVAV bzw. Empfehlungen der KKVA liegen“). Dieses Ergebnis, also Art. 660a ZGB nicht auf jede Bodenverschiebung anzuwenden, entspricht schliesslich im Ergebnis der Erwartung des Bundesrates, die Zahl der Gebiete mit Bodenverschiebungen, für die eine abweichende rechtliche Ordnung angebracht ist, sei verhältnismässig gering (ca. 4 Prozent der Gesamtfläche der Schweiz) (Botschaft 1988, 1082). Auch die Lehre anerkennt, die Kantone könnten von einer Ausscheidung absehen, wenn die Verschiebung minim sei (Steinauer, a.a.O., 76, m.N. [„la minime importance du déplacement“]; ebenso erklärt die Literatur für die Vorschrift von Art. 660b ZGB, unbedeutende Bodenverschiebungen würden nicht zu einem Anspruch auf Neufestsetzung führen, CHK-F. Hitz, Art. 660b ZGB N 11, m.N.). In der parlamentarischen Beratung wurde die seit 1. Januar 1994 in Kraft stehende Bestimmung von Art. 660a ZGB übrigens diskussionslos angenommen (AB StR 1990, 250, und AB NR 1991, 153; vgl. zur Vorgängernorm von Art. 660 ZGB StenBull StR 1906, 1262 ff.).
g) Sollte eine spätere Nachmessung, etwa bei den möglichen Wiederholungsmessungen in den Jahren 2024-2027 (angefocht. Einspracheentscheid E. 5), andere Resultate ergeben, wäre die Situation selbstredend neu zu beurteilen.
7. Zusammenfassend sind die Berufungen gutzuheissen. Es sind keine Verfahrenskosten zu erheben. Der Berufungsgegner hat die Berufungsführer indessen angemessen zu entschädigen. Der Rechtsvertreter der Berufungsführer reichte keine Kostennote ein. In Nachachtung der Kriterien nach § 2 Abs. 1 GebTRA, das heisst der Wichtigkeit der Streitsache, ihrer Schwierigkeit, dem Umfang und der Art der Arbeitsleistung und dem Zeitaufwand, sowie unter Berücksichtigung, dass der Rechtsvertreter nebst der Berufungsschrift eine zusätzliche Stellungnahme einreichte, ist die Entschädigung gesamthaft ermessenweise auf pauschal Fr. 2‘400.00 (inkl. Auslage und MWST) festzulegen. Der Anteil pro berufungsführende Partei beträgt somit Fr. 200.00 (Art. 106 Abs. 3 i.V.m. Art. 71 Abs. 3 ZPO; BGer, Urteil 4A_444/2017 vom 12. April 2018 E. 6.3);-



beschlossen:
1. Die Berufungsverfahren ZK2 2017 97 und ZK2 2017 101-111 werden vereinigt.
2. In Gutheissung der Berufungen ZK2 2017 97 und ZK2 2017 101-111 wird der Einspracheentscheid vom 14. November 2017 aufgehoben. Die Grundstücke GB Nr. zz, GB Nr. yy, GB Nr. ww und GB Nr. vv werden aus dem Perimeterplan für Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen, Gebiet: „Loo, Halden, Obdorf“ ausgenommen und es wird im Grundbuch keine Anmerkung „Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen“ eingetragen.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4. Der Berufungsgegner hat den Berufungsführern für das Berufungsverfahren je eine Entschädigung von Fr. 200.00 (inkl. Auslagen und MWST) zu bezahlen.
5. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 72 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden; die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen. Der Streitwert übersteigt schätzungsweise Fr. 30.000.00.

6. Zufertigung an den Rechtsvertreter der Berufungsführer (13/R) und an das Amt für Vermessung und Geoinformation (1/R, vorab und nach definitiver Erledigung 1/R, mit den Akten).

Namens der 2. Zivilkammer
Der Kantonsgerichtsvizepräsident

Die Gerichtsschreiberin









Versand
10. Oktober 2018 kau
Quelle: https://www.kgsz.ch
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