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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:EL 2015/4
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:EL - Ergänzungsleistungen
Versicherungsgericht Entscheid EL 2015/4 vom 21.09.2016 (SG)
Datum:21.09.2016
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 10 f. ELG.Bewertung eines unentgeltlichen Wohnrechtes bei der Anspruchsberechnung. Ein unentgeltliches Wohnrecht wirkt sich nicht einnahmensteigernd, sondern ausgabensenkend aus (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom21. September 2016, EL 2015/4).Entscheid vom 21. September 2016
Schlagwörter: Wohnrecht; Beschwerde; Beschwerdeführerin; Franken; Leistung; Ergänzungsleistung; Beschwerdegegnerin; Einnahme; Wohnrechtes; EL-Bezüger; Verfügung; EL-Bezügerin; Wiedererwägung; EL-act; Unentgeltliches; Einnahmen; Treppen; EL-Durchführungsstelle; Zumutbar; Parteien; Verzicht; Ergänzungsleistungen; Rückforderung; Sinne; Ausüben; Gericht; Hauseigentümer; Wirkungszeitpunkt; Ausgaben
Rechtsnorm: Art. 17 ATSG ; Art. 25 ATSG ; Art. 43 ATSG ; Art. 53 ATSG ; Art. 778 ZGB ;
Referenz BGE:99 V 110;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Besetzung

Vizepräsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin

Huber-Studerus; Gerichtsschreiber Tobias Bolt Geschäftsnr.

EL 2015/4

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführerin,

    vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Karl Gehler, LL.M.,

    Hofmann Gehler Schmidlin, Hanfländerstrasse 67, Postfach 1539, 8640 Rapperswil

    SG,

    gegen

    Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Rückforderung von Ergänzungsleistungen zur AHV Sachverhalt

    A.

    1. Die EL-Durchführungsstelle sprach A. mit einer Verfügung vom 12. April 2006 mit Wirkung ab dem 1. April 2006 eine Ergänzungsleistung zu einer Rente der Alters- und Hinterlassenenversicherung zu. Am 23. April 2014 meldete sie der AHV/IV- Zweigstelle ihrer Wohngemeinde (EL-act. 40), sie habe am 9. April 2014 auf ein lebenslängliches Wohnrecht verzichtet und dafür eine einmalige Entschädigung von 50’000 Franken erhalten. Am 15. Mai 2014 forderte die EL-Durchführungsstelle sie auf, verschiedene Fragen zu diesem der EL-Durchführungsstelle bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannten Wohnrecht zu beantworten (EL-act. 39). Die EL-Bezügerin teilte Ende Mai 2014 mit (EL-act. 38), es habe sich um ein unentgeltliches Wohnrecht an zwei Zimmern und einem Bad (ohne Küche) in einem Einfamilienhaus gehandelt. Aus Platzgründen und aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Hauseigentümern sei das Wohnrecht nie in Anspruch genommen worden. Die Küche mit verstrittenen Parteien zu teilen, sei unzumutbar. Der Antwort lag unter anderem eine Bewertung des Wohnrechts durch einen Immobilienschätzer bei, laut der sich der Barwert auf 55’100 Franken respektive auf 56’800 Franken (bei Anwendung eines abstrakten Kapitalisierungszinsfusses von 3,5 Prozent statt des objektbezogenen Zinsfusses von 3,95 Prozent) belaufen hatte. Dieser Bewertung lag ein massgebender jährlicher Nettomietzins von 5’064 Franken pro Jahr (nach Abzug der anteiligen Bewirtschaftungskosten) zugrunde. Am 22. Juli 2014 erkundigte sich die EL- Durchführungsstelle bei der EL-Bezügerin nach dem Grund für die Differenz zwischen dem Wert des Wohnrechts von 56’800 Franken und der Entschädigung von 50’000 Franken (EL-act. 37). Diese antwortete Ende Juli 2014 (EL-act. 33), die

      Hauseigentümerin habe Druck auf sie ausgeübt, indem sie einen Anwalt mit einer ominösen Forderung auf sie gehetzt habe. In der Folge hätten sich die Parteien auf eine Barauszahlung von 50’000 Franken und auf einen Verzicht auf die anwaltlich geltend gemachte Forderung geeinigt. Der Antwort lag ein Schreiben eines Rechtsanwaltes vom 14. Februar 2014 bei, mit dem dieser im Auftrag der Hauseigentümerin von der

      EL-Bezügerin die Nachzahlung der Verbrauchskosten für die letzten zehn Jahre im Gesamtbetrag von 18’200 Franken sowie für die Zukunft eine jährliche Zahlung von 1’820 Franken für die Verbrauchskosten gefordert hatte.

    2. Mit einer Verfügung vom 18. September 2014 setzte die EL-Durchführungsstelle die Ergänzungsleistung rückwirkend ab Oktober 2009 neu fest (EL-act. 31). Sie führte aus, sie habe die Differenz zwischen dem kapitalisierten Wert des Wohnrechts von 56’800 Franken und der Barauszahlung von 50’000 Franken rückwirkend ab April 2014 als einen Vermögensverzicht angerechnet. Für die Zeit von Oktober 2009 bis April 2014 habe sie die Einnahmen aus dem Wohnrecht von 5’064 Franken angerechnet. Die Gegenleistung für die Löschung des Wohnrechts habe sie für den Monat April 2014 beim Vermögen angerechnet, indem sie diese zum Vermögensstand Ende März 2014 addiert habe. Ab Mai 2014 habe sie den Vermögensstand Ende April 2014 und den Vermögensverzicht von 6’800 Franken als Vermögen berücksichtigt. Die Neuberechnung habe für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2014 einen um insgesamt 23’417 Franken tieferen Ergänzungsleistungsanspruch ergeben. Diesen Betrag habe die EL-Bezügerin zurückzuerstatten. Ab Oktober 2014 betrage der Ergänzungsleistungsanspruch (ohne die direkt der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausbezahlte Prämienpauschale) 633 Franken pro Monat.

    3. Am 24. September 2014 ging der EL-Durchführungsstelle eine Einsprache gegen die Verfügung vom 18. September 2014 zu (EL-act. 19). Die EL-Bezügerin hatte geltend gemacht, sie habe das Wohnrecht aus Platzgründen nie ausüben können, weshalb kein

„Verzicht im Betrag von 5’014 Franken“ angerechnet werden dürfe. Zudem habe sie ja bereits dargelegt, wie der Betrag der Entschädigung zustande gekommen sei. Sie habe nicht auf 6’800 Franken verzichtet. Die Barauszahlung von 50’000 Franken sei umgehend gemeldet worden. Sie wäre damit einverstanden, wenn dieser Betrag ab dem 1. März 2014 bei der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs berücksichtigt würde. Am 4. Oktober 2014 wies sie ergänzend darauf hin (EL-act. 18),

dass ein nicht bezahlter oder nicht geforderter Mietzins gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht in die Berechnung des Existenzminimums miteinbezogen werden dürfe. Dies ergebe sich aus den BGE 121 III „Zoff“ und 112 II 22 ff. Dem Schreiben lag ein Auszug aus dem BGE 99 V 110 bei, laut dem ein aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr nutzbares Wohnrecht bei der Berechnung der Ergänzungsleistung nicht als Einnahme angerechnet werden dürfe (EL-act. 17). Am 30.

Oktober 2014 forderte die EL-Durchführungsstelle die EL-Bezügerin auf anzugeben (EL-act. 14), wer ihr im Jahr 1980 das lebenslängliche Wohnrecht eingeräumt habe, ob sie je in jenem Haus gewohnt habe und, falls ja, wann sie ausgezogen sei, wer bis zum Verkauf in der Liegenschaft gewohnt habe und ob es sich dabei um Verwandte der EL- Bezügerin gehandelt habe. Die EL-Bezügerin antwortete am 16. November 2014 (EL- act. 13), das Wohnrecht sei im Testament ihres am 13. Juli 1995 verstorbenen Ehemannes eingeräumt worden. Sie habe nie in diesem Haus gewohnt. Die Liegenschaft sei vom Sohn ihres Ehemannes bewohnt worden. Nach dessen Tod hätten dessen Frau und Kinder das Haus bewohnt. Die Schwiegertochter sei keine Verwandte. Mit einem Entscheid vom 16. Januar 2015 wies die EL-Durchführungsstelle die Einsprache ab. Zur Begründung führte sie aus, das Wohnrecht sei unabhängig von der Ausübung als Vermögensertrag zu qualifizieren. Der Hinweis auf den BGE 99 V 110 helfe der EL-Bezügerin nicht weiter, da jener Entscheid den Fall einer Person betroffen habe, die das Wohnrecht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr habe ausüben können. Unrechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen seien zurückzufordern. Dabei sei die fünfjährige Verwirkungsfrist zu beachten. Vorliegend sei insofern rechtmässig vorgegangen worden. Die Erfüllung der Melde- und Kontrollpflicht sei diesbezüglich irrelevant. Die EL-Bezügerin werde aber ein Erlassgesuch stellen können, in dem zu prüfen sein werde, ob sie ihre Melde- und Kontrollpflicht erfüllt habe. Bereits jetzt könne aber festgehalten werden, dass ein Erlassgesuch wohl kaum Aussichten auf Erfolg haben werde.

B.

    1. Am 26. Januar 2015 erhob die EL-Bezügerin (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) eine Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 16. Januar 2015 (act. G 1). Sie führte aus, sie sei mit der Beurteilung des Wohnrechts nicht einverstanden und ersuche um eine Prüfung der Zumutbarkeit durch das Gericht. Am

      27. März 2015 liess die nun anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin ergänzend ausführen (act. G 3), sie habe ihr Wohnrecht nie ausgeübt und auch gar nicht gewusst, dass sie ein solches besitze. Ihr Ehemann habe ihr nämlich nichts davon gesagt, nachdem er das Haus seinem Sohn (ihrem Stiefsohn) verkauft gehabt habe. Auch im Testament vom 30. August 1993 sei das Wohnrecht nicht erwähnt gewesen. Erst Ende 2013, Anfang 2014 habe die Beschwerdeführerin vom Wohnrecht erfahren. Ihr Stiefsohn sei überraschend verstorben und die Schwiegertochter habe in der Folge das Haus verkaufen wollen, wofür sie das Wohnrecht habe löschen lassen wollen. Sie habe der Beschwerdeführerin zunächst eine Entschädigung von 36’780 Franken angeboten. Nach diversen Verhandlungen hätten sich die Parteien auf eine Entschädigung von 50’000 Franken geeinigt. Darin könne kein Verzicht erblickt werden. Die Beschwerdeführerin hätte das Wohnrecht nie ausüben können, weil dieses Räume im Untergeschoss betroffen habe und weil die Beschwerdeführerin gemäss einem ärztlichen Zeugnis aufgrund von Kniebeschwerden keine Treppen mehr überwinden könne.

    2. Die EL-Durchführungsstelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) beantragte am 20. April 2015 unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Einspracheentscheid die Abweisung der Beschwerde (act. G 6).

    3. Am 1. Juni 2016 wies das Gericht die Beschwerdeführerin darauf hin (act. G 10), dass die allfällige Anrechnung des Wohnrechtes nicht zu einer Erhöhung der anrechenbaren Einnahmen, sondern vielmehr zur Senkung der anerkannten Ausgaben führen müsste. Im Ergebnis würde die Beschwerdeführerin dadurch schlechter gestellt, weshalb ihr die Gelegenheit zur Stellungnahme oder zum Rückzug der Beschwerde gegeben werde. Am 9. Juni 2016 liess die Beschwerdeführerin antworten (act. G 11), die Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV sehe eindeutig die Anrechnung des Eigenmietwertes eines Wohnrechtes und nicht eine Berücksichtigung auf der Ausgabenseite vor. Die Ansicht des Gerichtes überzeuge folglich nicht, da sie der Wegleitung widerspreche. Die Beschwerdeführerin habe zudem nachgewiesen, dass ihr die Ausübung des Wohnrechtes gar nicht zumutbar gewesen sei. Ein Rückzug der Beschwerde komme deshalb nicht in Frage.

Erwägungen

1.

Die Beschwerdegegnerin hat es einmal mehr versäumt, sich zur Korrektur ihrer formell rechtskräftigen Verfügungen zu äussern, die zur angefochtenen Rückforderung (und Neufestsetzung der Ergänzungsleistung für die Zukunft) geführt hat. Da ein lange vor der erstmaligen Zusprache einer Ergänzungsleistung eingeräumtes Wohnrecht den Grund für die nachträgliche Korrektur der bereits formell rechtskräftigen Leistungsverfügungen gebildet hat und da folglich bereits die erste Verfügung vom 12. April 2006, mit der der Beschwerdeführerin ab dem 1. April 2006 eine Ergänzungsleistung zugesprochen worden ist, wegen des Fehlens des Wohnrechtes in der Anspruchsberechnung unrichtig gewesen ist, kann es sich bei der Korrektur, die zur nun angefochtenen Rückforderung geführt hat, nicht um eine (rückwirkende) Revision im Sinne des Art. 17 Abs. 2 ATSG per 1. Oktober 2009 gehandelt haben. Als Korrekturinstrument kommt aber auch keine so genannt prozessuale Revision der erstmaligen Leistungszusprache vom 12. April 2006 (Art. 53 Abs. 1 ATSG) in Frage, denn obwohl im Wohnrecht eine neue Tatsache im Sinne des Art. 53 Abs. 1 ATSG erblickt werden könnte, ist ausschlaggebend, dass das Wohnrecht ohne weiteres bereits bei der ursprünglichen Leistungszusprache hätte berücksichtigt werden können, wenn die Beschwerdeführerin ihre Auskunftspflicht vollumfänglich erfüllt hätte. Die Existenz des Wohnrechtes ist also keine im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG qualifiziert neue Tatsache gewesen. Bei der Korrektur der formell rechtskräftigen Verfügungen kann es sich demnach nur um eine Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) gehandelt haben. Da die Wiedererwägung nur die vollständige Beseitigung eines qualifizierten Fehlers bezwecken kann, muss ihr Wirkungszeitpunkt dem Wirkungszeitpunkt der Verfügung vom 12. April 2006 entsprechen. Jeder andere Wirkungszeitpunkt würde dazu führen, dass der qualifizierte Fehler nicht vollständig behoben würde, womit die Wiedererwägung ihren Zweck verfehlen würde und womit ein gesetzwidriger und die Gleichbehandlungspflicht verletzender Zustand bewusst beibehalten würde. Der von der Beschwerdegegnerin gewählte Wirkungszeitpunkt, der

1. Oktober 2009, kann folglich nicht korrekt sein, denn der Fehler ist bereits bei der am

12. April 2006 erfolgten ursprünglichen Leistungszusprache begangen worden. Der korrekte Wirkungszeitpunkt kann nur der 1. April 2006 sein. Die Beschwerdegegnerin hat sich bei der Festlegung des Wirkungszeitpunktes der Wiedererwägung offenbar von der absoluten fünfjährigen Verwirkungsfrist der aus der Wiedererwägung

resultierenden Rückforderung beeinflussen lassen (1. Oktober 2009 – 30. September 2014; vgl. Art. 25 Abs. 2 ATSG). Bei der Wiedererwägung darf aber nicht bereits auf die Rückforderung „geschielt“ werden. Das verfahrensrechtlich korrekte Vorgehen besteht darin, die Wiedererwägung in einem ersten Schritt korrekt – das heisst ex tunc – durchzuführen und anschliessend in einem zweiten Schritt jene infolge der Wiedererwägung unrechtmässig gewordenen Leistungen zurückzufordern, die noch nicht verwirkt sind. Das insofern verfahrensrechtlich falsche Vorgehen der Beschwerdegegnerin wirkt sich allerdings nicht auf das Ergebnis aus, da die Korrektur des Wirkungszeitpunktes der Wiedererwägung in Bezug auf die Höhe der Rückforderung irrelevant ist. Den Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens bilden jedenfalls die Wiedererwägung der ursprünglichen leistungszusprechenden Verfügung vom 12. April 2006 und die daraus resultierende Rückforderung der ab dem 1. Oktober 2009 zu Unrecht ausgerichteten Ergänzungsleistungen. Auf die Ausführungen der Beschwerdegegnerin zu einem allfälligen Erlass, bei denen es sich nur um ein obiter dictum handeln kann, ist nicht einzugehen.

2.

    1. Praxisgemäss wird ein nicht ausgeübtes unentgeltliches Wohnrecht als eine Einnahme behandelt, indem der Eigenmietwert des Wohnrechtes als Ertrag aus unbeweglichem Vermögen bei der Anspruchsberechnung berücksichtigt wird. Diese Praxis dürfte das Ergebnis einer unreflektierten Übernahme der steuerrechtlichen Vorschriften zur Behandlung von unentgeltlichen Wohnrechten sein. Im Bereich der direkten Steuern muss einerseits dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein unentgeltliches Wohnrecht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der steuerpflichtigen Person erhöht, weil diese keine Wohnkosten bezahlen muss. Andererseits orientiert sich die Berechnung der direkten Steuer nur an den Einnahmen; die Ausgaben werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Die Berücksichtigung eines unentgeltlichen Wohnrechtes ist im Steuerrecht deshalb nur indirekt möglich, nämlich indem die eingesparten Kosten für das Wohnen als fiktive Einnahmen zum Steuersubstrat addiert werden. Nur so ist es steuerrechtlich möglich, eine steuerpflichtige Person, die von einem unentgeltlichen Wohnrecht profitiert, hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit jenen steuerpflichtigen Personen gleich zu stellen, die die Kosten für das Wohnen selbst tragen müssen. Da für die Berechnung der Ergänzungsleistung

      nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben zu berücksichtigen sind, besteht kein Grund dafür, den steuerrechtlichen Umweg zu beschreiten und ein Wohnrecht als fiktive Einnahme zu berücksichtigen. Im Ergänzungsleistungsrecht kann ein unentgeltliches Wohnrecht direkt so berücksichtigt werden, wie es sich tatsächlich auf die finanzielle Situation des EL-Bezügers auswirkt, nämlich als ausgabensenkendes Recht. Faktisch hat die Einräumung eines unentgeltlichen Wohnrechtes nämlich nicht zur Folge, dass dem Berechtigten zusätzliche Einnahmen zufliessen, die er zur Deckung seines Lebensbedarfs verwenden kann. Vielmehr reduzieren sich die Ausgaben des Berechtigten, weil er kostenfrei wohnen kann. Ein unentgeltliches Wohnrecht wirkt sich also nicht einnahmensteigernd, sondern ausgabensenkend aus. Die Erzielung von Einnahmen aus einem unentgeltlichen Wohnrecht ist ausgeschlossen, denn ein unentgeltliches Wohnrecht darf nicht vermietet werden (BSK ZGB II-MICHEL MOOSER, 5. Aufl. 2015, Art. 776 N 6, mit zahlreichen Hinweisen). Selbstverständlich kann ein EL-Bezüger, der ein unentgeltliches Wohnrecht nicht ausübt, auch nicht verpflichtet werden, den Hauseigentümer mit der Drohung zu erpressen, er werde das Wohnrecht ausüben (und den Hauseigentümer nötigenfalls terrorisieren), wenn ihm dieser nicht regelmässig eine Abfindung in der Höhe des Wertes des Wohnrechtes ausrichte. Wenn es aber nicht möglich ist, ein unentgeltliches Wohnrecht zu einer Einnahmenquelle zu machen, ist es gesetzwidrig, eine entsprechende fiktive Einnahme anzurechnen (vgl. zum Ganzen auch die – vom Bundesgericht aufgehobenen – Entscheide EL 2013/23 und EL 2013/14 des St. Galler Versicherungsgerichtes vom 1. Juli 2014 bzw. vom 28. April 2015, welche sich zur vergleichbaren gesetzwidrigen Praxis beim Eigenmietwert äussern). Diesbezüglich erweist sich deshalb auch die Wegleitung zu den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV als rechtswidrig. Die einzig richtige Vorgehensweise zur Berücksichtigung eines unentgeltlichen Wohnrechtes bei der EL-Anspruchsberechnung besteht demnach darin, die damit einhergehende Möglichkeit einer Reduktion der anerkannten Ausgaben zu berücksichtigen. Da der Berechtigte gemäss dem Art. 778 ZGB die gewöhnlichen Unterhaltskosten zu tragen hat (vgl. auch BSK ZGB II-MOOSER, a.a.O., Art. 778 N 1 ff.), beschränken sich seine Ausgaben für das Wohnen folglich auf die Nebenkostenpauschale des Art. 16a ELV, die sich pauschal auf 1’680 Franken pro Jahr beläuft. Wird ein unentgeltliches Wohnrecht nicht ausgeübt, so ist in Anwendung des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG also nicht zu prüfen, ob der EL-Bezüger auf die Erzielung einer

      Einnahme verzichtet, sondern ob ein Verzicht in der Form überhöhter beziehungsweise vollumfänglich unnötiger, grundsätzlich aber abzugsfähiger Mietausgaben vorliegt.

    2. Vorliegend ist also die Frage zu beantworten, ob Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, die Kosten der Mietwohnung der Beschwerdeführerin der Allgemeinheit (die die Ergänzungsleistungen mittels Steuern finanziert) aufzuerlegen, obwohl die Beschwerdeführerin kostenlos wohnen könnte. Die Beschwerdeführerin hat zunächst geltend gemacht, sie habe ihr Wohnrecht nicht ausüben können, weil es unmöglich sei, die Küche mit Parteien zu teilen, mit denen man zerstritten sei. Ausserdem hätte sie nicht über genügend Platz verfügt, wenn sie ihr Wohnrecht ausgeübt hätte. Erst nachdem die Beschwerdegegnerin darauf hingewiesen hatte, dass die Ausübung eines Wohnrechts wohl nur dann als unzumutbar qualifiziert werden könnte, wenn gesundheitliche Gründe dies verunmöglichten, hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, sie sei auch gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, das Wohnrecht auszuüben. Als Beleg hat sie ein Attest ihres Hausarztes eingereicht, laut dem ihr die Überwindung von Treppen (und damit die Nutzung der Räume im Untergeschoss des Einfamilienhauses) aufgrund von Kniebeschwerden nicht zumutbar gewesen sei. Das Argument betreffend die Platzverhältnisse ist nicht stichhaltig, denn die Bewohnung eines „nur“ zwei Zimmer und ein Bad umfassenden Hausteils durch eine alleinstehende Person kann nicht als unzumutbar qualifiziert werden. Zwar ist grundsätzlich verständlich, dass die Beschwerdeführerin über mehr Platz verfügen wollte, doch rechtfertigt es dieser Wunsch allein nicht, die Kosten der Mietwohnung der Allgemeinheit aufzuerlegen. Das gilt auch in Bezug auf den angeblichen Streit mit den Eigentümern des Hauses. Mit beidseitigem Entgegenkommen und geeigneten Arrangements muss es zumutbar gewesen sein, die Küche gemeinsam zu benutzen, zumal die Briefe der Hauseigentümerin belegen, dass diese durchaus kompromissbereit gewesen ist. Jedenfalls rechtfertigt es auch die zwangsweise Mitbenutzung der Küche nicht, die Kosten der Mietwohnung der Allgemeinheit aufzuerlegen. Bezüglich der angeblichen Unfähigkeit, Treppen zu überwinden, ist festzuhalten, dass die entsprechenden Angaben der Beschwerdeführerin nicht überzeugend sind. Wäre sie tatsächlich nicht in der Lage gewesen, Treppen zu steigen, hätte sie schon bei der ersten Rückfrage der Beschwerdegegnerin darauf hingewiesen, denn hätte es sich so verhalten, wäre dies der augenscheinlichste Grund für die Nichtausübung des Wohnrechtes betreffend die Räume im Untergeschoss des Hauses

      gewesen. Das im Beschwerdeverfahren eingereichte Attest des Hausarztes enthält zwar keine Ausführungen zum genauen Zeitpunkt des Eintrittes der angeblichen Unfähigkeit, Treppen zu überwinden („… seit mindestens 2003 …“) und auch keine Diagnose und Befunde. Der Hausarzt hat nur auf eine unspezifische „chronische und schmerzhafte Bewegungseinschränkung beider Knie“ hingewiesen. Deshalb ist zwar möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich, dass es der Beschwerdeführerin gesundheitlich nicht zumutbar gewesen ist, ihr Wohnrecht auszuüben. Diesbezüglich erweist sich der Sachverhalt folglich als ungenügend abgeklärt, weshalb der angefochtene Einspracheentscheid in Verletzung der Untersuchungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG) ergangen ist und als rechtswidrig aufgehoben werden muss. Die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, die abzuklären haben wird, ob die Beschwerdeführerin im massgebenden Zeitraum tatsächlich aufgrund ihrer Kniebeschwerden überhaupt nicht hat Treppen steigen können. Zur Beantwortung dieser medizinischen Frage wird die Beschwerdegegnerin dem Mediziner anzugeben haben, welche Treppen die Beschwerdeführerin überwinden müsste, wenn sie ihr Wohnrecht ausüben würde. Der Vollständigkeit halber wird die Beschwerdegegnerin auch in Erfahrung zu bringen haben, ob die Beschwerdeführerin zur Benutzung ihrer Mietwohnung Treppen überwinden muss.

    3. Sollten die Abklärungen ergeben, dass die Beschwerdeführerin ihr Wohnrecht zumutbarerweise hätte ausüben können und dass folglich ein Verzicht im Sinne des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG in der Form von überhöhten Wohnkosten vorliegt, erwiese sich die leistungszusprechende Verfügung vom 12. April 2006 als zweifellos unrichtig, weshalb sie wiedererwägungsweise zu korrigieren wäre. Der Ergänzungsleistungsanspruch müsste dann rückwirkend per 1. April 2006 unter Berücksichtigung von Wohnkosten im Umfang der Nebenkostenpauschale (1’680 Franken) neu berechnet werden. Anschliessend müssten die im Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2014 zu viel bezogenen Ergänzungsleistungen zurückgefordert werden. Rechtsprechungsgemäss bleibt der durch die Verfügung vom

      18. September 2014 bewirkte Verwirkungsstopp nämlich trotz der Aufhebung der Verfügung und des Einspracheentscheides gewahrt.

    4. In der Differenz zwischen dem Kapitalwert des Wohnrechtes von 55’100 Franken

(der überwiegend wahrscheinlich zutreffender als der von der Beschwerdegegnerin

berücksichtigte Betrag von 56’800 Franken ist, wie sich dem Bericht zur Bewertung des Wohnrechts entnehmen lässt) und dem effektiven Verkaufspreis des Wohnrechtes von 50’000 Franken kann entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin kein Verzicht im Sinne des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG erblickt werden. Der Verkaufspreis liegt im Rahmen des im Geschäftsverkehr üblichen Ermessens. Möglicherweise hätte die Beschwerdeführerin die Hauseigentümerin gerichtlich verpflichten können, einen leicht höheren Verkaufspreis zu bezahlen. Dafür hätte sie aber ein langwieriges Verfahren mit unsicherem Ausgang und einem hohen Kostenrisiko anstrengen müssen. Dass sie davon abgesehen hat, war also vernünftig, kann also nicht als Verzicht im Sinne des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG qualifiziert werden. Diesbezüglich ist bei der Neuberechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs folglich kein Vermögensverzicht zu berücksichtigen.

3.

Rechtsprechungsgemäss gilt die Rückweisung zur weiteren Abklärung hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen als ein vollständiges Obsiegen der Beschwerde führenden Partei. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin deshalb eine Parteientschädigung auszurichten. Der Aktenumfang ist bescheiden, der entsprechende Aufwand des Rechtsvertreters also gering gewesen. Zudem ist nur ein Schriftenwechsel durchgeführt worden, wobei der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin nur eine Beschwerdeergänzung verfasst hat. Allerdings hat er sich mit der vom Gericht angedrohten reformatio in peius auseinander setzen müssen. Insgesamt ist deshalb von einem leicht unterdurchschnittlichen Vertretungsaufwand auszugehen, weshalb die Parteientschädigung praxisgemäss auf 2’500 Franken (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt wird. Gerichtskosten sind keine zu erheben.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

Der angefochtene Einspracheentscheid vom 16. Januar 2015 wird aufgehoben und die Sache wird zur Durchführung weiterer Abklärungen und zur anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 2’500.-- zu entschädigen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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