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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 01 494
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 01 494 vom 17.09.2002 (LU)
Datum:17.09.2002
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 3b Abs. 1 lit. b ELG; Art. 16c Abs. 1 ELV. Nimmt eine Person, die Ergänzungsleistungen bezieht, jemand mit einem anderen zivilrechtlichen Wohnsitz nur vorübergehend in ihrer Wohnung auf, ist ein Abzug bei den Ausgaben für die Miete im Sinne einer Mietzinsaufteilung nicht gerechtfertigt.
Schlagwörter: Wohnsitz; Aufenthalt; Beschwerde; Ausgleichskasse; Schweiz; Beschwerdeführerin; Migration; Mietzins; Verfügung; Person; Ergänzungsleistung; Personen; Begründet; Wohnung; Absicht; Angefochtene; Ergänzungsleistungen; Ausgaben; Hatte; Berechnung; Verwaltungsgericht; Akten; Aufenthaltsbewilligung; Wohnen; Schloss; EVG-Urteil; Wohnkosten; EL-Berechnung; Beurteilung
Rechtsnorm: Art. 23 ZGB ; Art. 24 ZGB ; Art. 26 ZGB ;
Referenz BGE:121 V 366; 127 V 16; 127 V 17; 127 V 238; 99 V 102;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Die Ausgleichskasse Luzern richtete A ab 1. Januar 2000 Ergänzungsleistungen von Fr. 921.- zur Altersrente aus. Mit Verfügung vom 19. September 2001 reduzierte sie rückwirkend ab 1. März 2001 die auszurichtenden Ergänzungsleistungen auf Fr. 790.-, nachdem sie erfahren hatte, dass die Nichte von A, B, seit 23. Februar 2001 bei ihr wohnte. Gleichzeitig forderte die Ausgleichskasse Fr. 1715.- für zuviel bezogene Leistungen ab März 2001 zurück.

A reichte fristgerecht Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein und beantragte sinngemäss die Aufhebung der Verfügung vom 19. September 2001. Die Ausgleichskasse schloss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Verwaltungsgericht edierte die Akten des Amtes für Migration des Kantons Luzern betreffend B. Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Aus den Erwägungen:

2. - Streitig ist der Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. März 2001 und die Rückforderung der ab 1. März 2001 zuviel bezogenen Leistungen von Fr. 1715.-.

Für die richterliche Beurteilung eines Falles sind grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsverfügung massgebend (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen). Tatsachen, die sich erst später verwirklichen, sind jedoch insoweit zu berücksichtigen, als sie mit dem Streitgegenstand in engem Sachzusammenhang stehen und geeignet sind, die Beurteilung im Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beeinflussen (BGE 99 V 102 mit Hinweisen).

Im vorliegenden Fall wären für die Beurteilung der Beschwerde grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse bis September 2001 massgebend, weil die angefochtene Verfügung vom 19. September 2001 datiert. Aufgrund der edierten Akten beim Amt für Migration des Kantons Luzern betreffend den Aufenthalt von B in der Schweiz rechtfertigt sich jedoch, die tatsächlichen Verhältnisse bis Dezember 2001 zu berücksichtigen, denn diese beeinflussen die Beurteilung der vorliegenden Streitsache (vgl. Erw. 5c).

3. - Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Ausgleichskasse zu Recht die monatliche Ergänzungsleistung ab 1. März 2001 auf Fr. 790.- herabsetzte.

a) Bei Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Verminderung oder Erhöhung der vom ELG anerkannten Ausgaben oder anrechenbaren Einnahmen sowie des Vermögens ist die jährliche Ergänzungsleistung zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben (Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV).

b) Bei zu Hause wohnenden, alleinstehenden Personen sind u.a. als Ausgaben (...) der Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten (Art. 3b Abs. 1 lit. b ELG) (...) anzuerkennen.

c) (...)

4. - a) Bei der Prüfung des Leistungsanspruchs ab 1. März 2001 rechnete die Ausgleichskasse anrechenbare Einnahmen von Fr. 15380.- und Ausgaben von Fr. 24860.- an, was einen Ausgabenüberschuss von Fr. 9480.- im Jahr bzw. Fr. 790.- im Monat ergab. (...)

b) Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss, dass der gesamte Mietzins von jährlich Fr. 17640.- (inkl. Nebenkosten) zu Unrecht auf drei anstatt auf zwei Personen aufgeteilt wurde. Zur Begründung bringt sie hauptsächlich vor, ihre Nichte halte sich seit dem 23. Februar 2001 nur als Gast bei ihr auf. Sie sei als Touristin in die Schweiz eingereist und absolviere einen Sprachkurs für Anfänger. Zudem habe sie kein Erwerbseinkommen.

Die Ausgleichskasse hält dem entgegen, B halte sich gemäss Auskunft des Amtes für Migration vom 11. September bzw. 17. Oktober 2001 mit einer Aufenthaltsbewilligung L (Kurzaufenthalterin) weiterhin in der Schweiz auf. Deshalb sei anzunehmen, dass sich B länger als für einen kurzen Besuch bei ihrer Tante in der Schweiz aufhalte. Damit seien auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen, dass sich B an den Wohnkosten der Beschwerdeführerin beteilige. Schliesslich bringt die Ausgleichskasse sinngemäss vor, es sei nicht Aufgabe des Gemeinwesens, einen Aufenthalt, welcher das Mass des kurzen Aufenthaltes überschreite, indirekt mittels Ergänzungsleistungen mit zu finanzieren.

5. - a) Art. 16c Abs. 1 ELV bestimmt, dass der Mietzins auf die einzelnen Personen aufzuteilen ist, wenn eine Wohnung auch von Personen bewohnt wird, welche nicht in die EL-Berechnung eingeschlossen sind. Die Mietzinsanteile der Personen, welche nicht in die EL-Berechnung eingeschlossen sind, werden bei der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung ausser Betracht gelassen. Dem Wortlaut dieser Bestimmung nach setzt die Aufteilung des Mietzinses nicht voraus, dass die Wohnung gemeinsam gemietet wird; es genügt das gemeinsame Wohnen (vgl. BGE 127 V 17 Erw. 6b, EVG-Urteil G. vom 5.7.2001 Erw. 2a). Art. 16c ELV bezweckt, die indirekte Mitfinanzierung von Personen, die nicht in die EL-Berechnung eingeschlossen sind, zu verhindern (BGE 127 V 16 Erw. 5d).

Wenn Personen mit einem anderen zivilrechtlichen Wohnsitz vorübergehend aufgenommen werden, wie etwa für Ferien, ist eine Mietzinsaufteilung noch nicht gerechtfertigt. Hingegen ist dann, wenn der andere Wohnsitz definitiv aufgegeben wird, von der Begründung eines neuen Wohnsitzes und damit auch von Wohnen im Sinne von Art. 16c ELV auszugehen. Denn der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person befindet sich nach Art. 23 Abs. 1 ZGB an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs. 1 ZGB) und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat. Für die Begründung des Wohnsitzes müssen somit zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives äusseres, der Aufenthalt, und ein subjektives inneres, die Absicht dauernden Verbleibens. Nach der Rechtsprechung kommt es nicht auf den inneren Willen, sondern darauf an, auf welche Absicht die erkennbaren Umstände objektiv schliessen lassen. Der Wohnsitz bleibt an diesem Ort bestehen, solange nicht anderswo ein neuer begründet wird (Art. 24 Abs. 1 ZGB; vgl. BGE 127 V 238 Erw. 1 mit Hinweisen, EVG-Urteil i.S.F. und S. vom 13.3.2002, Erw. 3a/cc). Ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz (Art. 24 Abs. 2 ZGB). Der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck des Besuches einer Lehranstalt begründet gemäss Art. 26 ZGB keinen Wohnsitz.

b) Gemäss Art. 16c Abs. 2 ELV hat die Aufteilung grundsätzlich zu gleichen Teilen zu erfolgen. Der Umstand, dass eine Person den grössten Teil der Wohnung für sich in Anspruch nimmt oder das gemeinsame Wohnen auf einer rechtlichen oder moralischen Pflicht beruht, kann jedoch zu einer anderen Aufteilung des Mietzinsabzuges Anlass geben. Ausnahmen sind jedenfalls dann zuzulassen, wenn das Wohnen im gemeinsamen Haushalt auf einer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht beruht (vgl. BGE 127 V 17 f. Erw. 6c, EVG-Urteil F. und S. vom 13.3.2002 Erw. 3a/bb).

c) Den edierten Akten des Amtes für Migration des Kantons Luzern ist zu entnehmen, dass B am 23. Februar 2001 mit einem Touristenvisum, das sie zu einem Aufenthalt von maximal 90 Tagen berechtigte, in die Schweiz einreiste. Bereits am 24. April 2001 stellte sie beim Amt für Migration ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, damit sie vom 28. Mai bis 21. Dezember 2001 einen Sprachkurs von sechs Monaten bei der Schule D in X besuchen könne. Am 28. September 2001 führte zudem die Beschwerdeführerin gegenüber dem Amt für Migration aus, ihre Nichte werde die Schweiz verlassen, sobald sie ihren Sprachkurs beendet habe. Dem Gesuch entsprechend erteilte das Amt für Migration am 8. November 2001 B eine bis 3. Januar 2002 gültige Aufenthaltsbewilligung für Kurzaufenthalter. Schliesslich stellte B am 19. Dezember 2001 beim Amt für Migration erneut ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als Grund gab sie die Vorbereitung ihrer Heirat mit C an.

Aufgrund dieser Akten muss festgestellt werden, dass die Nichte der Beschwerdeführerin ursprünglich nur die Absicht hatte, ihre Tante während drei Monaten in der Schweiz zu besuchen. In der Folge entschloss sie sich zu einem 6-monatigen Deutschkurs, wollte aber nach Abschluss des Kurses wieder in ihre Heimat zurück, wie sie dies von ihrer Tante im September 2001 gegenüber dem Amt für Migration bestätigen liess. Bis zu diesem Zeitpunkt kann nicht davon ausgegangen werden, dass B ihren Wohnsitz in Vietnam aufgegeben hatte, weil sie nicht die Absicht hatte, dauernd in der Schweiz zu verbleiben. Dagegen ist aufgrund der objektiven Umstände festzustellen, dass B ab Dezember 2001 ihren vietnamesischen Wohnsitz aufgegeben hatte, tat sie doch damals kund, dass sie C, der in der Schweiz lebt, heiraten werde. Sie beantragte am 19. Dezember 2001 eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zur Vorbereitung ihrer Heirat mit C. Der Korrespondenz zwischen dem künftigen Ehemann von B und der Dienststelle für Zivilstandswesen und Fremdenkontrolle des Kantons Wallis (vgl. edierte Akten des Amtes für Migration) kann ferner entnommen werden, dass die Hochzeitsvorbereitungen schon anfangs Dezember 2001 im Gange waren. Mit den Hochzeitsvorbereitungen im Dezember 2001 gab B die Absicht zur Rückkehr nach Vietnam definitiv auf. Deshalb ist ab diesem Monat unter Würdigung der Umstände von einer Wohnsitzbegründung am Ort der Wohnung der Beschwerdeführerin und damit auch von Wohnen im Sinne von Art. 16c ELV auszugehen. Daran ändert nichts, dass B nicht dauernd bei der Beschwerdeführerin wohnen wollte und anzunehmen ist, dass sie mit ihrem künftigen Ehemann, der in Y wohnt, zusammenziehen wird. Denn bis zum Erwerb dieses neuen Wohnsitzes bleibt der in der Wohnung der Beschwerdeführerin begründete Wohnsitz bestehen (Art. 24 Abs. 1 ZGB; vgl. EVG-Urteil F. und S. vom 13.3.2002).

Bei dieser Sachlage berücksichtigte die Ausgleichskasse zu Unrecht bei der EL-Berechnung einen Mietzinsanteil für B bereits ab März 2001. Erst ab Dezember 2001 kann ein Mietzinsanteil für B bei den Wohnkosten der Beschwerdeführerin in Abzug gebracht werden. Daher erweist sich die Verfügung der Ausgleichskasse vom 19. September 2001 insofern als unrechtmässig, als sie für die Zeit vom 1. März bis 30. November 2001 bei den anerkannten Ausgaben einen tieferen Betrag für die Wohnkosten als bisher anrechnete. Hingegen ist die Berücksichtigung eines Mietzinsanteils für B ab Dezember 2001 gerechtfertigt, weil sie in diesem Monat bei der Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz begründete. Damit erweist sich die angefochtene Verfügung für die Zeit vom 1. März bis 30. November 2001 als unrechtmässig und ist aufzuheben. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich bezüglich dieses Zeitraumes als begründet und ist gutzuheissen. Hingegen ist die angefochtene Verfügung für die Zeit ab 1. Dezember 2001 korrekt, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde diesbezüglich abzuweisen ist.

6. - Mit der angefochtenen Verfügung vom 19. September 2001 forderte die Ausgleichskasse zudem Fr. 1715.- für zuviel bezogene Ergänzungsleistungen von März bis September 2001 zurück. Nachdem der Beschwerdeführerin für die Zeit von März bis November 2001 keine tieferen Wohnkosten als bisher angerechnet werden durften und die angefochtene Verfügung entsprechend aufgehoben wird (vgl. Erw. 5c), fehlt der Ausgleichskasse ein Rückforderungstitel. Daher ist die Verfügung vom 19. September 2001 auch bezüglich der Rückforderung aufzuheben.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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