E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil D-195/2021

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-195/2021
Datum:28.01.2021
Leitsatz/Stichwort:Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren)
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Alter; Untersuchung; Verfügung; Tazkara; Mindestalter; Verfahren; Recht; Vorinstanz; Reichte; Schweiz; Beschwerdeführers; Vorliegende; Asylgesuch; Bundesverwaltungsgericht; Geburtsdatum; Lasse; Altersgutachten; Gutachten; Mineralisationsstadium; ZEMIS; Respektive; Dublin; Beziehungsweise; Zuständig; Beschwerdeschrift; Italien; Aufgr
Rechtsnorm: Art. 63 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-195/2021

U r t e i l v o m 2 8 . J a n u a r 2 0 2 1

Besetzung Einzelrichterin Daniela Brüschweiler,

mit Zustimmung von Richter Yannick Antoniazza-Hafner; Gerichtsschreiberin Sandra Bisig.

Parteien A. , geboren am (…), Afghanistan,

vertreten durch MLaw Lejla Medii,

HEKS Rechtsschutz Bundesasylzentren Ostschweiz, (…),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 6. Januar 2021 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer suchte am 2. September 2020 in der Schweiz um Asyl nach. Er gab an, am (…)1384 (umgerechnet: … 2005) geboren und damit minderjährig zu sein. Zur Untermauerung seiner Minderjährigkeit reichte er eine Kopie seiner Tazkara zu den Akten.

B.

Ein Abgleich der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers mit der "Eurodac"-Datenbank durch das SEM ergab, dass er am 12. August 2020 in Italien aufgegriffen und tags darauf daktyloskopisch erfasst worden war.

C.

Im Rahmen der Erstbefragung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA) vom 24. September 2020 führte der Beschwerdeführer – im Beisein der ihm zugewiesenen Rechtsvertreterin beziehungsweise Vertrauensperson – angesprochen auf die von ihm in Kopie eingereichte Tazkara im Wesentlichen aus, er habe sich diese vor fünf Jahren ausstellen lassen, weil er seine erste Tazkara verloren habe. Bei der Ausstellung sei er persönlich dabei gewesen. Zudem habe er ein Foto der Tazkara bereits in Afghanistan respektive bei seiner Ausreise anfangs März 2019 bei sich gehabt. Vom SEM auf das Ausstellungsdatum seiner Tazkara (12. September 2020) aufmerksam gemacht, erklärte er zunächst nichts und nach Durchführung einer Pause, er habe aufgrund von Stress vergessen, dass ihm die eingereichte Kopie seiner Tazkara von seinem Onkel geschickt worden sei. Seine alte Tazkara, die er vor fünf Jahren habe ausstellen lassen, habe er verloren. Er werde seinen Onkel fragen, ob er ihm das Original zusenden könne.

D.

    1. Das SEM liess in der Folge eine Altersabklärung durch das Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals B. durchführen. Das entsprechende Gutachten datiert vom 7. Oktober 2020.

    2. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 teilte es dem Beschwerdeführer mit, das Altersgutachten habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt der Untersuchung das 18. Lebensjahr mit Sicherheit vollendet habe. Es orientierte ihn darüber, dass es ihn daher sowie aufgrund seiner widersprüchlichen Aussagen betreffend seine Tazkara für das weitere Verfahren als volljährig betrachte und beabsichtige, sein Geburtsdatum im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) auf den 1. Januar 2002 anzupassen, was zur

      Folge habe, dass das Dublin-Verfahren durchgeführt werde. Dazu und zu einer möglichen Wegweisung nach Italien gewährte es ihm das rechtliche Gehör.

    3. In seiner Stellungnahme vom 15. Oktober 2020 machte der Beschwerdeführer (ergänzende) Ausführungen im Zusammenhang mit seiner Tazkara und bekräftige sein von ihm angegebenes Alter respektive Geburtsdatum. Ausserdem brachte er seine Einwände gegen eine Überstellung nach Italien vor.

E.

Am 15. Oktober 2020 wurde das Geburtsdatum des Beschwerdeführers im ZEMIS auf den 1. Januar 2002 angepasst und mit einem Bestreitungsvermerk versehen.

F.

Am 16. Oktober 2020 ersuchte das SEM die italienischen Behörden um Übernahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom

26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO). Die italienischen Behörden nahmen zum Übernahmeersuchen des SEM innerhalb der vorgesehenen Frist keine Stellung.

G.

    1. Mit Verfügung vom 6. Januar 2021 – eröffnet am 8. Januar 2021 – trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz nach Italien an und forderte ihn auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig verfügte es die Aushändigung der editionspflichtigen Akten und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.

    2. Betreffend die geltend gemachte Minderjährigkeit des Beschwerdeführers hielt das SEM in seiner Begründung im Wesentlichen fest, dass diese lediglich behauptet werde, aufgrund der Aktenlage jedoch insgesamt nichts dafürspreche, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung

tatsächlich noch minderjährig gewesen sei. Seine Angaben zu seiner Minderjährigkeit würden sich über weite Teile in Behauptungen, Bekräftigungen und nachgeschobenen Berichtigungen erschöpfen. Im Einzelnen sei dennoch festzuhalten, dass seine angegebenen Altersangaben einen mehrjährigen Abweichungsfaktor zum Ergebnis der durchgeführten medizinischen Altersabklärung vorweisen würden, zu dessen Ergebnis er sich anlässlich des rechtlichen Gehörs nicht geäussert habe. Des Weiteren komme der von ihm eingereichten Kopie seiner angeblichen Tazkara nur ein geringer Beweiswert zu. Nur am Rande sei zu erwähnen, dass das angebliche Original seiner Tazkara bis zum Entscheidzeitpunkt nicht beim SEM eingereicht worden sei. Der Beschwerdeführer sei mithin weder seiner Wahrheitspflicht, noch seiner Beweispflicht genügend nachgekommen.

H.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom

14. Januar 2021 (Datum Poststempel: 15. Januar 2021) – handelnd durch seine Rechtsvertreterin – Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte dabei in materieller Hinsicht, die angefochtene Verfügung sei vollständig aufzuheben und die Sache zur rechtsgenüglichen Begründung sowie zur richtigen Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventualiter sei das SEM anzuweisen, sein Geburtsdatum im ZEMIS auf den (…) 2005 zu ändern, auf das Asylgesuch einzutreten und in der Schweiz ein materielles Asylverfahren durchzuführen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte er, es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die Vollzugsbehörden seien im Sinne einer superprovisorischen vorsorglichen Massnahme unverzüglich anzuweisen, von seiner Überstellung nach Italien abzusehen, bis das Bundesverwaltungsgericht über die Erteilung der aufschiebenden Wirkung entschieden habe. Ferner sei ihm die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und es sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.

Der Beschwerdeschrift lagen – neben Akten des vorinstanzlichen Verfahrens – drei anonymisierte Altersgutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals B. sowie ein Artikel aus der Schweizerischen Monatsschrift für Zahnmedizin bei.

I.

Die vorinstanzlichen Akten – darunter auch ein Arztbericht (inkl. Behandlungseinträge) – lagen dem Bundesverwaltungsgericht am 18. Januar 2021 in elektronischer Form vor (vgl. Art. 109 Abs. 3 AsylG). Gleichentags

setzte die Instruktionsrichterin mit superprovisorischer Massnahme den Vollzug der Überstellung per sofort einstweilen aus.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – und so auch vorliegend – endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 3 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist

      • unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägung – einzutreten.

    3. Mit der vorliegenden Verfügung hat die Vorinstanz im Dispositiv keine Anordnungen zum ZEMIS-Eintrag getroffen, weshalb diesbezüglich kein Anfechtungsobjekt vorliegt. Auf den entsprechenden Eventualantrag bezüglich Änderung des Geburtsdatums des Beschwerdeführers im ZEMIS ist daher nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer müsste zur Änderung seines Geburtsdatums im ZEMIS vielmehr ein separates Verfahren bei der Vorinstanz anstrengen (vgl. bspw. Urteil des BVGer F-3255/2020 vom 2. Juli 2020 E. 3).

2.

    1. Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

    2. Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen

      (Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).

    3. Die vorliegende Beschwerde erweist sich – wie nachfolgend aufgezeigt

  • als offensichtlich begründet, weshalb sie im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung, zu behandeln ist (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).

3.

    1. Gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG wird in der Regel auf Asylgesuche nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist. Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien nach der Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat – oder bei fingierter Zustimmung – auf das Asylgesuch grundsätzlich nicht ein.

    2. Im Falle von unbegleiteten Minderjährigen ohne familiäre Anknüpfungspunkte (zu einem anderen Mitgliedstaat) ist gemäss Art. 8 Abs. 4 Dublin-III-VO der Staat zuständig, in welchem der Minderjährige seinen Antrag gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Eine Anwendung dieser Bestimmung würde im vorliegenden Fall eine vorrangige Zuständigkeit der Schweiz begründen (vgl. FILZWIESER/SPRUNG, Dublin IIIVerordnung, Wien 2014, Kap. 15 f. zu Art. 8).

4.

4.1 Das SEM führte vorliegend wegen Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers eine Altersabklärung durch. Im entsprechenden Gutachten vom 7. Oktober 2020 kam das Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals B. zum Schluss, dass sich beim Beschwerdeführer ein durchschnittliches Lebensalter von 18 bis 21 Jahren ergebe, das wahrscheinlichste Alter basierend auf dem Medianwert der radiologischen Untersuchung der Hand bei 18 Jahren liege und sich bei ihm in Zusammenschau aller Untersuchungsbefunde zum Zeitpunkt der Untersuchung ein

Mindestalter von 18 Jahren ermitteln lasse. Das von ihm angegebene Geburtsdatum könne somit aufgrund der Ergebnisse der forensischen Altersschätzung nicht zutreffen und eine Vollendung des 18. Lebensjahres könne mit der notwendigen Sicherheit belegt werden.

4.2

      1. Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG; vgl. auch

        E. 2.1). Der Beschwerdeführer bringt in Bezug auf das Altersgutachten entsprechende Rügen vor.

      2. Die in der Beschwerdeschrift aufgeworfenen Fragen erscheinen berechtigt. Gemäss dem in der Beschwerde zitierten BVGE 2018 VI/3 sind von den in der Schweiz angewandten Methoden der medizinischen Altersabklärung nur die Schlüsselbeinrespektive Skelettaltersanalyse und die zahnärztliche Untersuchung (nicht jedoch die Handknochenaltersanalyse und die ärztliche körperliche Untersuchung) zum Beweis der Minderbe- ziehungsweise Volljährigkeit einer Person geeignet und lässt sich anhand der medizinischen Altersabklärung keine Aussage zur Minderbeziehungsweise Volljährigkeit einer Person machen, wenn das Mindestalter bei der zahnärztlichen Untersuchung und der Schlüsselbeinrespektive Skelettaltersanalyse unter 18 Jahren liegt (vgl. ebenda E. 4.2.1 f.).

Im Altersgutachten wurde bezüglich des Skelettalters des Beschwerdeführers festgehalten, dass die Wachstumsfugen der inneren Schlüsselbeinanteile beidseits Normvarianten aufweisen würden, sodass sie für die Altersdiagnostik nicht konklusiv zu beurteilen seien. Mithin konnte aufgrund der Schlüsselbeinaltersanalyse keine Altersangabe gemacht werden. Bezüglich des Zahnalters wurde unter anderem angeführt, dass sich an den Weisheitszähnen in Regio 18, 28, 38 und 48 jeweils ein Mineralisationsstadium von "G" nach Demirjian gefunden habe. Daraus würden sich Entwicklungsstadien ergeben, welche nach Olze auf ein Durchschnittsalter von 20 bis 21 Jahren schliessen lassen würden. Für das Mineralisationsstadium "G" der Weisheitszähne sei nach Knell et al. kein Mindestalter angegeben. In diesem Zusammenhang wurde in der Beschwerdeschrift darauf hingewiesen, dass nach Knell et al. das Mineralisationsstadium "H" der Weisheitszähne, welches ein Stadium weiterentwickelt sei als das beim Beschwerdeführer vorliegende Mineralisationsstadium "G" (vgl. den mit der

Beschwerdeschrift eingereichten Artikel aus der Schweizerischen Monatsschrift für Zahnmedizin [BM10]), auf ein Mindestalter von nur 17 Jahren schliessen lasse (vgl. die eingereichten "Vergleichsgutachten").

Die eingereichten "Vergleichsgutachten" kamen sodann – bei tieferen (resp. knapp höheren) Mindestalter der Schlüsselbeinaltersanalysen und im Übrigen mit zum vorliegenden Altersgutachten identischen Ausführungen zur Handknochenanalyse – zur Schlussfolgerung, dass sich bei den betreffenden Personen in Zusammenschau aller Untersuchungsbefunde ein Mindestalter von 17 Jahren ermitteln lasse, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass das höchste Mindestalter für die Bestimmung des definitiven Mindestalters massgeblich ist, wenn sich aus mehreren Untersuchungen ein Mindestalter ergibt (vgl. Ausführungen in den Gutachten unter dem Titel "1. Methoden und Begriffe"). Weiter wurde in den "Vergleichsgutachten" – jedenfalls in jenen vom 28. Oktober und

18. November 2020 (BM 7 und 8) – festgehalten, dass eine Vollendung des

18. Lebensjahres nicht mit der notwendigen Sicherheit belegt werden könne.

4.3 Nach dem Gesagten ist auch für das Gericht das in der Schlussfolgerung des vorliegenden Altersgutachtens angegebene Mindestalter von 18 Jahren sowie die Feststellung, dass eine Vollendung des 18. Lebensjahres mit der notwendigen Sicherheit belegt werden könne, nicht genügend nachvollziehbar. Insbesondere erscheinen die Ausführungen in Bezug auf das für den Beschwerdeführer attestierte Mineralisationsstadium "G" im Vergleich zu den Ausführungen in den als Beweismittel eingereichten Gutachten zum Mineralisationsstadium "H" erläuterungsbedürftig. Dies umso mehr, als sich aus der Schlüsselbeinanalyse keine verwertbaren Erkenntnisse ergaben. Das SEM hat sich in seiner Begründung zwar nicht wesentlich und insbesondere nicht auf ebendiese Schlussfolgerungen des Gutachtens abgestützt (respektive ist unklar, auf welches im Gutachten genannte Alter es sich bei seiner Erwägung bezüglich mehrjährigem Abweichungsfaktor stützte). Das ist indes zweitrangig. Da es das SEM überhaupt als notwendig erachtete, ein Altersgutachten durchführen zu lassen, es dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör dazu einräumte und sich aus der angefochtenen Verfügung nicht ergibt, dass das Gutachten in keiner Weise berücksichtigt worden wäre, hätte es angesichts der festgestellten Unklarheiten weitere Abklärungen treffen respektive das Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals B. um entsprechende Klärung ersuchen müssen. Die angefochtene Verfügung erging mithin in Verletzung des

Untersuchungsgrundsatzes und gestützt auf einen unvollständig beziehungsweise unrichtig festgestellten Sachverhalt.

5.

Aufgrund des Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Verfügung vom 6. Januar 2021 ist aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur weiteren Sachverhaltsabklärung und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Angesichts der Rückweisung der Sache erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Vorbringen in der Beschwerdeschrift.

6.

    1. Mit vorliegendem Entscheid ist das Beschwerdeverfahren abgeschlossen. Die Gesuche um Gewährung der aufschiebenden Wirkung und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sind damit gegenstandslos geworden.

    2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ist folglich hinfällig.

    3. Dem vertretenen Beschwerdeführer ist für das Beschwerdeverfahren keine Parteientschädigung auszurichten, da es sich vorliegend um eine zugewiesene unentgeltliche Rechtsvertretung im Sinne von Art. 102h AsylG handelt, deren Leistungen vom Bund nach Massgabe von Art. 102k AsylG entschädigt werden (vgl. auch Art. 111ater AsylG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird.

2.

Die Verfügung vom 6. Januar 2021 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur weiteren Sachverhaltsabklärung und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Daniela Brüschweiler Sandra Bisig

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.
www.swissactiv.ch
Menschen zusammenbringen, die gemeinsame Interessen teilen
Die Freude an Bewegung, Natur und gutem Essen fördern
Neue Leute treffen und Unternehmungen machen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz