Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-1096/2021 |
Datum: | 08.11.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung (Mehrfachgesuch/Wiedererwägung) |
Schlagwörter : | Bundesverwaltungsgericht; Verfügung; Vorinstanz; Entscheid; Recht; Wiedererwägung; Urteil; Eingabe; Bericht; Begründung; Beweismittel; Verfahren; Anspruch; Behörde; Gerichtsschreiberin; Parteien; Wegweisung; Gehör; Vorbringen; Lanka; Vollzug; Klinik; Kantonsspitals; Verletzung; Begründungspflicht; Beschwerdeverfahren |
Rechtsnorm: | Art. 26 VwVG ;Art. 29 BV ;Art. 30 VwVG ;Art. 32 VwVG ;Art. 34 BGG ;Art. 35 VwVG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 61 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 66 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 134 I 83 |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-1096/2021
Besetzung Einzelrichter Simon Thurnheer,
mit Zustimmung von Richter Grégory Sauder; Gerichtsschreiberin Bettina Hofmann.
Parteien A. , geboren am (…), Sri Lanka,
vertreten durch Gabriel Püntener, Rechtsanwalt, Advokaturbüro, (...),
Beschwerdeführerin,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung
(Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid); Verfügung des SEM vom 5. März 2021 / N (…).
Die Beschwerdeführerin suchte am 30. April 2018 erstmals in der Schweiz um Asyl nach.
Mit Verfügung vom 6. Juni 2018 lehnte das SEM das Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz und den Vollzug an.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-3944/2018 vom 12. September 2018 ab.
Am 29. November 2018 reichte die Beschwerdeführerin beim SEM ein neues Asylgesuch ein.
Mit Verfügung vom 6. Dezember 2018 lehnte das SEM auch dieses Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz und den Vollzug an.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-146/2019 vom 17. April 2019 ab.
Am 28. Juni 2019 gelangte die Beschwerdeführerin erneut mit einer als
"neues Asylgesuch" bezeichneten Eingabe an das SEM.
Darin führte sie im Wesentlichen aus, dass sie während des vorangehenden Asylverfahrens gewisse Tatsachen verschwiegen habe. Am 30. November 2017 sei sie in Sri Lanka von zwei ihr unbekannten in Zivil gekleideten Personen sexuell missbraucht worden, nachdem sie nach dem Ver-
bleib ihrer Familie gefragt worden sei. Sie habe dieses Ereignis bisher verschwiegen, weil sowohl in der Befragung als auch in der Anhörung männliche Personen anwesend gewesen seien. Zudem habe sie sich geschämt, vor der tamilischen Dolmetscherin darüber zu sprechen. Auch sei sie aufgrund weiterer psychischer Schranken nicht in der Lage gewesen, davon zu berichten.
Als Beweismittel reichte die Beschwerdeführerin unter anderem einen ärztlichen Bericht der Psychiatrischen Klinik des Kantonsspitals B. vom 15. Mai 2019 zu den Akten, wonach sie an einer (…) (ICD-10 F[…]) leidet und ihre Traumatisierung auf einem sexuellen Missbrauch gründen könnte.
Mit Verfügung vom 4. Juli 2019 nahm das SEM die Eingabe als Revisionsgesuch entgegen und trat darauf mangels funktioneller Zuständigkeit nicht ein.
Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom
19. Juli 2019 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und reichte einen weiteren ärztlichen Bericht der Psychiatrischen Klinik des Kantonsspitals B. vom 17. Juli 2019 ins Recht.
Mit Urteil D-3698/2019 vom 17. Februar 2021 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde insoweit gut, als es die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückwies. Im Wesentlichen wurde darauf erkannt, die Vorinstanz wäre gehalten gewesen, den ärztlichen Bericht der Psychiatrischen Klinik des Kantonsspitals B. vom 15. Mai 2019 unter dem Titel der Wiedererwägung zu prüfen.
Mit Verfügung vom 5. März 2021 (eröffnet am 11. März 2021) behandelte das SEM die Eingabe vom 28. Juni 2019 als Wiedererwägungsgesuch, wies dasselbe ab und stellte die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit seiner Verfügung vom 6. Dezember 2018 fest. Ferner erhob es eine Gebühr von Fr. 600.– und führte an, dass einer allfälligen Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukomme.
Zur Begründung seines Entscheides würdigte es die ärztlichen Berichte vom 15. Mai 2019 und 17. Juli 2019, gemäss welchen die Beschwerdeführerin an einer (…) leide und aufgrund eines Suizidversuchs in die psychiatrische Klinik des Kantonsspitals B. eingewiesen worden sei, wo sie sich dank intensiver pflegerischer Betreuung von Suizidgedanken habe distanzieren können, (einzig) unter dem Gesichtspunkt von medizinischen Vollzugshindernissen und verneinte das Vorliegen solcher angesichts der Behandelbarkeit ihrer gesundheitlichen Probleme in Sri Lanka.
Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 11. März 2021 (Datum des Poststempels) beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und ersuchte unter anderem um Anordnung vollzugshemmender vorsorglicher Massnahmen und um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
Im Weiteren stellte sie die Nachreichung einer ausführlichen Beschwerdeergänzung sowie eine allfällige Korrektur der Beschwerdeanträge innerhalb der noch laufenden Beschwerdefrist in Aussicht.
Am 12. März 2021 setzte der Instruktionsrichter den Vollzug der Wegweisung gestützt auf Art. 56 VwVG per sofort einstweilen aus.
Mit Eingabe vom 12. April 2021 reichte die Beschwerdeführerin die in Aussicht gestellte Beschwerdeergänzung innerhalb der laufenden Beschwerdefrist nach. Darin beantragte sie, die angefochtene Verfügung sei wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verletzung der Begründungspflicht sowie eventualiter zur Feststellung des vollständigen und richtigen rechtserheblichen Sachverhalts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei ihr unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft Asyl zu gewähren. Eventualiter sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Unzulässigkeit oder zumindest die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte sie um Bekanntgabe des Spruchkörpers und um Mitteilung, ob dieser zufällig ausgewählt worden sei. Andernfalls seien die objektiven Kriterien anzugeben, nach welchen die Gerichtspersonen ausgewählt worden seien. Es sei dazu Einsicht in die Datei der Software des
Gerichts zu gewähren, mit welcher diese Auswahl vorgenommen worden sei, und es sei offenzulegen, wer diese Auswahl getroffen habe. Schliesslich erneuerte sie ihren Prozessantrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
Als Beweismittel reichte sie einen von ihrem Rechtsvertreter verfassten Bericht zur Lage in Sri Lanka vom 4. April 2021 und einen Bericht des UNHochkommissariats für Menschenrechte betreffend Sri Lanka vom 9. Februar 2021 ins Recht.
Auf die Begründung der Beschwerdeanträge und die eingereichten Beweismittel wird – soweit entscheidwesentlich – in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Mit derselben Eingabe stellte die Beschwerdeführerin ferner den Antrag, im vorliegenden Beschwerdeverfahren hätten Richter Simon Thurnheer, Richter Grégory Sauder und Gerichtsschreiberin Andrea Beeler wegen Befangenheit in den Ausstand zu treten.
Am 20. April 2021 eröffnete das Bundesverwaltungsgericht ein entsprechendes Ausstandsverfahren gemäss Art. 34 ff. BGG i.V.m. Art. 38 VGG.
Mit Zwischenverfügung vom 21. April 2021 sistierte der Instruktionsrichter das vorliegende Beschwerdeverfahren bis zur Erledigung des Ausstandsverfahrens.
Mit Eingabe vom 28. Juni 2021 machte die Beschwerdeführerin im Rahmen des Ausstandsverfahrens einen ärztlichen Bericht der psychiatrischen Dienste C. vom 3. Mai 2021 aktenkundig.
Mit Urteil D-1708/2021 vom 15. September 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht das Ausstandsbegehren ab, soweit es – infolge Ausscheidens von Gerichtsschreiberin Andrea Beeler aus ihrer Funktion beim Bundesverwaltungsgericht – nicht gegenstandslos geworden war.
Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 27. September 2021 nahm die Beschwerdeführerin Bezug auf das Urteil D-1708/2021 vom 15. September 2021 und ersuchte um Sistierung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bis zum Abschluss des darin erwähnten gesamtgerichtlichen Koordinationsverfahrens, dessen Ziel die Klärung der wiedererwägungsund revisionsrechtlichen Grundsätze sei.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Die Beschwerdeführerin ist als Verfügungsadressatin zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 6 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Die vorliegende Beschwerde erweist sich – wie nachstehend aufgezeigt – als offensichtlich begründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Weiterungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Dem Antrag auf Bekanntgabe des Spruchkörpers, der mit Hilfe eines EDVbasierten Zuteilungssystems generiert wurde, wurde im Urteil D-1708/2021 vom 15. September 2021 entsprochen. Der Spruchkörper wurde insofern geändert, als Gerichtsschreiberin Andrea Beeler infolge des Ausscheidens aus ihrer Funktion beim Bundesverwaltungsgericht durch Gerichtsschreiberin Bettina Hofmann ersetzt wurde.
Gemäss Art. 26 Abs. 1 VwVG haben die Partei oder ihr Vertreter Anspruch darauf, in ihrer Sache folgende Akten einzusehen: Eingaben von Parteien und Vernehmlassungen von Behörden (Bst. a), alle als Beweismittel dienenden Aktenstücke (Bst. b) und Niederschriften eröffneter Verfügungen (Bst. c). Die Software, mit welcher das Bundesverwaltungsgericht den Spruchkörper bestimmt, welcher die bei ihm eingereichten Rechtsmittel beurteilt, ist als solche keine das konkrete Verfahren betreffende Akte, in die Einsicht gewährt werden könnte. Der im Rechtsbegehren mitenthaltene Antrag, es sei Einsicht in die Datei der Software zu gewähren, mit der die Bestimmung des Spruchkörpers vorgenommen worden sei, ist daher abzuweisen.
Das Wiedererwägungsverfahren ist im Asylrecht spezialgesetzlich geregelt (vgl. Art. 111b ff. AsylG); im Übrigen richtet es sich nach den revisionsrechtlichen Bestimmungen von Art. 66–68 VwVG (Art. 111b Abs. 1 AsylG).
In seiner praktisch relevantesten Form bezweckt das Wiedererwägungsgesuch die Anpassung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an eine nachträglich eingetretene erhebliche Veränderung der Sachlage (vgl. BVGE 2014/39 E. 4.5 m.w.H.). Falls die abzuändernde Verfügung unangefochten blieb oder ein eingeleitetes Beschwerdeverfahren mit einem blossen Prozessentscheid abgeschlossen wurde, können auch Revisionsgründe aufgrund eines nachträglich entstandenen Beweismittels einen Anspruch auf Wiedererwägung begründen, dies im Rahmen eines sogenannten qualifizierten Wiedererwägungsgesuchs (vgl. BVGE 2013/22 E. 5.4 m.w.H.). Nach dem Urteilszeitpunkt entstandene Beweismittel, welche dazu geeignet sind, vorbestandene Tatsachen zu beweisen, können revisionsrechtlich nicht geltend gemacht werden; sie können jedoch auf dem Weg des Wiedererwägungsgesuchs bei der verfügenden Behörde eingereicht werden (vgl. BVGE 2013/22 E. 6 ff.).
In der Beschwerde werden verschiedene formelle Rügen (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör inklusive der Begründungspflicht sowie unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts) erhoben. Sie sind vorab zu beurteilen, da sie gegebenenfalls geeignet sind, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügung zu bewirken (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2004 Nr. 38).
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Anspruch auf rechtliches Gehör beziehungsweise die Begründungspflicht verletzt, indem sie es erneut versäumt habe, sich im Rahmen des Wiedererwägungsverfahrens mit ihren Vorbringen zu den sexuellen Übergriffen und der damit einhergehenden Traumatisierung auseinanderzusetzen. Aufgrund des unverjährbaren und unverzichtbaren Charakters des Non-Refoulement-Gebots wäre die Vorinstanz hierzu indes gehalten gewesen. Namentlich seien die entsprechenden Vorbringen gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts selbst beim Vorliegen von formellen Gründen, welche einer Überprüfung von Asylvorbringen entgegenstünden, aufgrund des zwingenden Charakters des Non-Refoulement-Gebots gemäss Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30] und Art. 3 EMRK zu prüfen, wenn sie liquide gemacht worden seien (m.H.a. Urteil des BVGer D-4401/2013 vom 27. März 2014, E. 3.1).
Der in Art. 32 VwVG konkretisierte Teilgehalt des mit Grundrechtsqualität ausgestatteten Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) verpflichtet die Behörde nicht nur, den Parteien zu ermöglichen, sich zu äussern und ihre Vorbringen tatsächlich zu hören (Art. 30 f. VwVG), sondern sie auch sorgfältig und ernsthaft zu prüfen und in der Entscheidfindung zu berücksichtigen. Eng damit zusammen hängt die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen (Art. 35 Abs. 1 VwVG). Denn, ob sich die Behörde tatsächlich mit allen erheblichen Vorbringen der Parteien befasst und auseinandergesetzt hat, lässt sich erst aufgrund der Begründung erkennen. Insgesamt muss der Entscheid so abgefasst sein, dass ihn der Betroffene gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann, was nur möglich ist, wenn sich sowohl der Betroffene als auch die Rechtsmittelinstanz über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen können. Dabei kann sich die Behörde in ihrer Argumentation zwar auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken; sie darf aber nur diejenigen Argumente stillschweigend übergehen, die für den Entscheid erkennbarerweise unbehelflich sind. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 134 I 83 E. 4.1; BVGE 2007/21
E. 10.2 m.w.H.; PATRICK SUTTER, in: AUER/MÜLLER/SCHINDLER (HRSG.),
Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 2019, Art. 32 Abs. 1 VwVG, Rz. 2).
Mit dem Kassationsurteil D-3698/2019 vom 17. Februar 2021 wurde – wie bereits erwähnt – darauf erkannt, die Vorinstanz wäre gehalten gewesen, den ärztlichen Bericht der Psychiatrischen Klinik des Kantonsspitals B. vom 15. Mai 2019 unter dem Titel der Wiedererwägung zu prüfen (vgl. a.a.O. E. 5.2 und E. 6.). Auf Beschwerdeebene wird zu Recht dargelegt, dass die Vorinstanz dieser Aufforderung in der neu ergangenen und vorliegend angefochtenen Verfügung vom 5. März 2021 nicht hinreichend nachgekommen ist. Diesbezüglich ist das Folgende festzuhalten: Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid das obgenannte Beweismittel einzig unter dem Gesichtspunkt von medizinischen Wegweisungsvollzugshindernissen geprüft, ohne sich zur Zuständigkeit zur Prüfung der geltend gemachten Asylgründe zu äussern. Im Übrigen ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass zwingende völkerrechtliche Vollzugshindernisse im Rahmen eines qualifizierten Wiedererwägungsverfahrens – selbst bei verspäteten Vorbringen – geprüft werden müssen. Sie verweist dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-4401/2013 vom 27. März 2014
E. 3.1; dieses entspricht ständiger Praxis (vgl. EMARK 1995 Nr. 9; EMARK 1998 Nr. 3; BVGE 2013/22 E. 5.4). Auch in diesem Zusammenhang (Frage des Non-Refoulement-Verbotes) fand das obgenannte Beweismittel in den Erwägungen der Vorinstanz keine Beachtung. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz ihre Begründungspflicht und damit den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör erneut verletzt.
Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur und eine Verletzung desselben führt grundsätzlich zur Aufhebung des daraufhin ergangenen Entscheides, ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst. Vorbehalten bleiben praxisgemäss Fälle, in denen die Verletzung nicht besonders schwer wiegt und dadurch geheilt werden kann, dass die Partei sich vor einer Instanz äussern kann, die sowohl Tatals auch Rechtsfragen uneingeschränkt überprüft (vgl. BVGE 2008/47 E. 3.3.4).
Vorliegend fällt eine Heilung ausser Betracht, zumal die Überprüfungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts mit Art. 106 Abs. 1 AsylG eingeschränkt ist und der Beschwerdeführerin mit einem materiellen Entscheid des Gerichts eine Instanz verloren ginge. Die Vorinstanz ist im Rahmen des wiederaufzunehmenden erstinstanzlichen Verfahrens gehalten, ihrer
Begründungspflicht rechtsgenüglich nachzukommen und die aktenkundigen ärztlichen Berichte (vgl. Prozessgeschichte, Bstn. G., I. und Q.) sowie die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin unter dem Titel der Wiedererwägung ausreichend zu würdigen. Angesichts der Rückweisung der Sache erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Vorbringen auf Beschwerdeebene, weil das Beschwerdedossier ebenfalls Gegenstand des wiederaufzunehmenden erstinstanzlichen Verfahrens sein und die Vorinstanz sich damit zu befassen haben wird.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde insofern gutzuheissen, als die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Behebung des festgestellten Mangels sowie zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
Bei dieser Sachlage ist das Gesuch um Sistierung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bis zum Abschluss des besagten Koordinationsverfahrens (vgl. Prozessgeschichte, Bst. S.) gegenstandslos geworden.
Aufgrund des direkten Entscheides in der Hauptsache wird der verfahrensrechtliche Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
Der vertretenen Beschwerdeführerin ist angesichts ihres Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihr notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin reichte keine Kostennote ein. Auf die Nachforderung einer solchen kann indessen verzichtet werden (vgl. Art. 14 Abs. 2 VGKE), da im vorliegenden Verfahren der Aufwand für die Beschwerdeführung zuverlässig abgeschätzt werden kann, wobei nur der notwendige Aufwand zu entschädigen ist. Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) ist die Parteientschädigung
aufgrund der Akten pauschal auf Fr. 600.– (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag) festzusetzen. Dieser Betrag ist der Beschwerdeführerin durch das SEM zu entrichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Die Verfügung des SEM vom 5. März 2021 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Das SEM wird angewiesen, der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 600.– zu entrichten.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Simon Thurnheer Bettina Hofmann
Versand:
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