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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-5780/2011

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-5780/2011
Datum:01.05.2012
Leitsatz/Stichwort:Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid)
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Verfügung; Behandlung; Nigeria; Vollzug; Recht; Wegweisung; Bundesverwaltungsgericht; Schweiz; Beschwerdeführers; Suizid; Wiedererwägung; Vollzugs; Rückkehr; Medizinische; Vorinstanz; Urteil; Gericht; Gesuch; Person; Schizophrenie; Krank; Psychiatrische; Festzustellen; Gesundheit; Stehend; Heimatland; Wiedererwägungsgesuch
Rechtsnorm: Art. 48 VwVG ; Art. 65 VwVG ;
Referenz BGE:127 I 133; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-5780/2011

U r t e i l  v o m  1.  M a i  2 0 1 2

Besetzung Richter Kurt Gysi (Vorsitz),

Richterin Gabriela Freihofer, Richter Jean-Pierre Monnet; Gerichtsschreiberin Barbara Balmelli.

Parteien A. ,

Nigeria,

vertreten durch lic. iur. Domenique Wetli, ( )

Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Vollzug der Wegweisung (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid);

Verfügung des BFM vom 16. September 2011 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Eigenen Angaben zufolge verliess der Beschwerdeführer Nigeria am

26. März 2009 und gelangte am folgenden Tag in die Schweiz, wo er am

  1. März 2009 um Asyl nachsuchte. Mit Verfügung vom 24. April 2009 trat das BFM auf das Asylgesuch nicht ein, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete deren Vollzug an. Mit Eingabe vom 28. Mai 2009 reichte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein Gesuch um Wiederherstellung der Beschwerdefrist ein. Mit Urteil vom 8. Juni 2009 trat das Bundesverwaltungsgericht auf das Gesuch nicht ein.

    B.

    Am 6. September 2011 reichte der Beschwerdeführer beim BFM ein Wiedererwägungsgesuch ein und beantragte, die Verfügung vom 30. März 2009 (recte: vom 24. April 2009) sei in Bezug auf den Wegweisungsvollzug in Wiedererwägung zu ziehen. Zur Begründung wurde angeführt, der Beschwerdeführer habe während der Ausschaffungshaft einen Suizidversuch unternommen. In der Folge sei er in einen achtwöchigen Hungerstreik getreten. Sein Gesundheitszustand habe sich insgesamt merklich verschlechtert.

    C.

    Mit Verfügung vom 16. September 2011 wies das BFM das Wiedererwägungsgesuch ab, erklärte die Verfügung vom 24. April 2009 als rechtskräftig sowie vollstreckbar und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu.

    D.

    Gegen diesen Entscheid reichte der Beschwerdeführer am 19. Oktober 2011 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein und beantragt, die Verfügung des BFM sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass seit Erlass der ursprünglichen Verfügung eine wiedererwägungsrechtlich massgebliche Änderung der Sachlage eingetreten sei. Es sei wiedererwägungsweise festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung unzumutbar sei und die Vorinstanz anzuweisen, die vorläufige Aufnahme anzuordnen. In prozessualer Hinsicht beantragt der Beschwerdeführer, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren und der Vollzug der Wegweisung sei bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu sistieren. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen.

    Als Beweismittel gab der Beschwerdeführer ein ärztliches Zeugnis des Regionalspitals B. , datiert vom 2. August 2011, zu den Akten.

    E.

    Mit Zwischenverfügung vom 9. November 2011 setzte der Instruktionsrichter den Vollzug der Wegweisung vorderhand provisorisch aus. Den Entscheid über das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege verwies er auf einen späteren Zeitpunkt und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

    F.

    Mit Schreiben vom 10. November 2011 ersuchte der Instruktionsrichter den behandelnden Arzt des Beschwerdeführers um Beantwortung offener Fragen. Innert der angesetzten Frist reichten Dr. med. C. , Oberarzt, und lic. phil. hum. D. , Psychologin, ihre Antwort vom 30. November 2011 ein.

    G.

    Das BFM beantragt in der Vernehmlassung vom 13. Dezember 2011 die Abweisung der Beschwerde.

    H.

    Mit Zwischenverfügung vom 19. Dezember 2011 unterbreitete der Instruktionsrichter dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung zur Stellungnahme. Innert erstreckter Frist replizierte der Beschwerdeführer am

  2. Januar 2012.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 des

Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1

des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).

2.

Der Beschwerdeführer ist durch die Verfügung vom 16. September 2011 besonders berührt, hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung und ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert. Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG, Art. 208 Abs. 1 AsylG und 52 VwVG).

3.

Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

4.

Die Wiedererwägung im Verwaltungsverfahren ist ein gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelf, auf dessen Behandlung durch die verfügende Behörde grundsätzlich kein Anspruch besteht. Gemäss herrschender Lehre und ständiger Praxis der obersten Gerichte der Schweiz wird jedoch aus Art. 29 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) unter bestimmten Voraussetzungen ein verfassungsmässiger Anspruch auf Wiedererwägung abgeleitet (vgl. BGE 127 I 133 E. 6 mit weiteren Hinweisen). Danach ist auf ein Wiedererwägungsgesuch einzutreten, wenn sich der rechtserhebliche Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise seit dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz in wesentlicher Weise verändert hat, und es ist gutzuheissen, wenn die ursprüngliche (fehlerfreie) Verfügung an nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen ist. Sodann können auch Revisionsgründe einen Anspruch auf Wiedererwägung begründen, sofern sie sich auf eine in materielle Rechtskraft erwachsene Verfügung beziehen, die entweder nicht angefochten oder deren Beschwerdeverfahren mit einem formellen Prozessurteil abgeschlossen worden ist. Ein solchermassen als qualifiziertes Wiedererwägungsgesuch zu bezeichnendes Rechtsmittel ist grundsätzlich nach den Regeln des Revisionsverfahrens zu behandeln (vgl. statt vieler Urteil des Bundesverwaltungsgericht E-3676/2011 vom 16. April 2012).

Nachdem sich bereits das Wiedererwägungsgesuch auf die Frage der Zumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung beschränkt hat und das BFM darauf eingetreten ist, bildet Gegenstand des Beschwerdeverfahrens einzig die Frage, ob sich seit dem vorinstanzlichen Entscheid vom 24. April 2009 die rechtserhebliche Sachlage so erheblich verändert hat, dass die ursprüngliche (fehlerfreie) Verfügung im Vollzugspunkt an nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen ist, respektive ob das BFM zu Recht den Wegweisungsvollzug als durchführbar erkannt und das Wiedererwägungesuch abgewiesen hat.

5.

Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Art. 83 Abs. 4 AuG findet insbesondere Anwendung auf Personen, die nach ihrer Rückkehr einer konkreten Gefahr ausgesetzt wären, weil sie aus objektiver Sicht wegen der vorherrschenden Verhältnisse mit grosser Wahrscheinlichkeit in völlige und andauernde Armut gestossen würden, dem Hunger und somit einer ernsthaften Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, der Invalidität oder sogar dem Tod ausgeliefert wären (vgl. BVGE 2009/28 E. 9.3.1).

Auf Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung aufgrund einer medizinischen Notlage kann nur dann geschlossen werden, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Heimatland nicht zur Verfügung steht und die Rückkehr zu einer raschen und lebensgefährdenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der betroffenen Person führen würde. Als wesentlich gilt dabei die allgemeine und dringende medizinische Behandlung, welche zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz absolut notwendig ist. Unzumutbarkeit liegt jedenfalls dann noch nicht vor, wenn im Heimatoder Herkunftsstaat eine nicht dem schweizerischen Standard entsprechende medizinische Behandlung möglich ist (vgl. BVGE 2009/2 E. 9.3.2).

6.

    1. Die Vorinstanz gelangt in der angefochtenen Verfügung zum Schluss, die beim Beschwerdeführer gestellten Diagnosen, paranoide Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung und Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuches bei einer zwangsweisen Rückführung, würden keine

      Gründe darstellen, welche die Rechtskraft der Verfügung vom 24. April 2009 beseitigen könnten.

      Zur Begründung führt die Vorinstanz aus, praxisgemäss erfolge eine vorläufige Aufnahme aus medizinischen Gründen nur dann, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Herkunftsstaat nicht vorhanden und die betroffene Person durch den Wegweisungsvollzug an Leib und Leben gefährdet sei. Die vorliegenden Krankheitsbilder würden keine solche lebensbedrohliche Situation darstellen. Zudem seien sie durch das Verhalten des Beschwerdeführers in der Schweiz zu relativieren. Gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft E. vom 30. März 2011 sei der Beschwerdeführer wegen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Konsum von Marihuana) verzeigt worden.

      Weiter stellt die Vorinstanz fest, in Nigeria würden Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen bestehen. Allein die Tatsache, dass diese nicht dem medizinischen Standard in der Schweiz entsprechen würden, führe noch nicht zur Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung. Von einer solchen wäre auszugehen, wenn die ungenügende Möglichkeit der Weiterbehandlung eine drastische und lebensbedrohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach sich ziehe. Für eine Behandlung im Heimatland könne der Beschwerdeführer einen Antrag auf medizinische Rückkehrhilfe stellen. Im Übrigen habe eine Rückkehr in den angestammten Sprachund Kulturkreis positive Folgen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und damit auf seine Gesundheit. In Nigeria verfüge er über ein Beziehungsnetz und habe vor der Ausreise als ( ) gearbeitet. Schliesslich bestehe gemäss Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Verpflichtung von einer zu vollziehenden Wegweisung Abstand zu nehmen, wenn die betroffene Person mit Suizid drohe.

    2. In der Rechtsmitteleingabe wird die Zumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung in Frage gestellt und ausgeführt, eine nicht adäquat behandelte paranoide Schizophrenie bei suizidalen Tendenzen stelle eine lebensbedrohliche Situation dar. Zwar gebe es in Nigeria Behandlungsmöglichkeiten für an Schizophrenie erkrankte Personen, indes würden nicht alle Betroffenen in den Genuss einer Behandlung kommen, zumal diese kostenpflichtig sei. Der Beschwerdeführer verfüge nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel und könne auch nicht auf ein tragfähiges Beziehungsnetz zurückgreifen. Weiter weigere er sich, Medikamente einzunehmen, da ihm die Einsicht in die Krankheit fehle. In Nigeria würden indes psychisch kranke Menschen vorwiegend medikamentös behandelt, was ein weiteres Vollzugshindernis darstelle.

    3. In der Vernehmlassung verweist die Vorinstanz auf ihre Erwägungen in der angefochtenen Verfügung sowie auf mehrere Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, in welchen das Gericht von der Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Nigeria ausgeht.

    4. Im Zeugnis vom 2. August 2011 diagnostiziert der behandelnde Arzt beim Beschwerdeführer eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1). Dazu führt er aus, der Beschwerdeführer sei seit dem 16. Juni 2010 in psychiatrischer Behandlung. In diesem Zeitraum hätten 57 Konsultationen à 60 Minuten stattgefunden. Gemäss seinen persönlichen Angaben leide der Beschwerdeführer an starken Ängsten vor der Schweizer Polizei. Auch alle anderen Personen in der Schweiz und in seinem Heimatland würden ihm Böses wünschen. Ferner leide er an Albträumen und Wiedererleben von traumatischen Ereignissen, an starker Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

      Zum Psychostatus (psychiatrische Einschätzung) hält der Arzt fest, das Bewusstsein des Beschwerdeführers sei zeitweise quantitativ leicht eingeschränkt (Benommenheit) und qualitativ auf inneres Erleben eingeengt in dem Sinne, dass der Beschwerdeführer vermindert auf Aussenreize anspreche. Die Erinnerungsfähigkeit des Langzeitgedächtnisses sei stark gestört. Der Affekt sei stark schwankend, von hoffnungslos, traurig, misstrauisch, verzweifelt ängstlich und paranoid bis fröhlich und motiviert. Weiter seien formale Denkstörungen wie Ideenflucht mit gelockerten Assoziationen, teils inkohärentes Denken sowie Grübeln über Leid, Tod und Einsamkeit auszumachen. Das inhaltliche Denken sei gekennzeichnet durch Wahngedanken, Verfolgungsund Grössenwahn mit mittlerer Wahndynamik sowie Beziehungswahn. Auch seien akustische und visuelle Halluzinationen sowie schwere Depersonalisation auszumachen. Der Beschwerdeführer habe konkrete Suizidabsichten im Falle eines Gefängnisaufenthalts sowie einer Rückschaffung ins Heimatland geäussert.

      Zur Behandlung wird ausgeführt, es finde eine ambulante Psychotherapie im Einzelsetting mit wöchentlichen Sitzungen statt. Die hohe Basissuizidalität bedürfe besonderer Aufmerksamkeit. Aufgrund des bisherigen schlechten Verlaufs sowie der fehlenden Krankheitseinsicht sei nicht von

      einer Besserung auszugehen. Die weitere Prognose sei davon abhängig, wie viel Stress der Beschwerdeführer erlebe. Bei einer Rückführung in den Heimatstaat sei mit einer gravierenden Schädigung der psychischen Gesundheit zu rechnen.

      Im ärztlichen Bericht vom 30. November 2011 wird zum Inhalt der Sitzungen ausgeführt, deren Ziel bestehe darin, die Lebensumstände des Beschwerdeführers möglichst stressfrei zu gestalten. Dazu gehöre das Thematisieren der Tagesstruktur, des Schlaf-Wach-Rhythmus, das Lösen von zwischenmenschlichen Konflikten sowie das Vermitteln und Anwenden von Fertigkeiten, welche dem Beschwerdeführer ein subjektives Gefühl von Sicherheit geben würden. Der Beschwerdeführer glaube nicht, dass er krank sei, weshalb er keinen Grund für die Einnahme von Medikamenten sehe. Es könne nicht sicher gesagt werden, wie sich eine medikamentöse Behandlung auf die psychotische Symptomatik auswirken würde. Was den Konsum von zentralaktiven Substanzen (Drogen) anbelange, so sei dieser krankheitsimmanent.

    5. Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer an einer paranoiden Schizophrenie sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Zudem hat der Beschwerdeführer konkrete Suizidabsichten im Falle eines Gefängnisaufenthalts oder einer Rückschaffung in den Heimatstaat geäussert.

      1. Zu den geäusserten Suizidabsichten ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2009 anlässlich seiner geplanten Ausschaffung nach Nigeria einen Suizidversuch unternommen hat. Dass er einen weiteren Versuch, sich selbst zu töten, unternommen hätte, ist den Akten nicht zu entnehmen. Soweit den ärztlichen Unterlagen zu entnehmen ist, äusserte der Beschwerdeführer wieder Suizidabsichten im Zusammenhang mit einem drohenden Gefängnisaufenthalt beziehungsweise einer bevorstehenden Ausschaffung nach Nigeria. Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, der Beschwerdeführer habe den damaligen Suizidversuch und seine wiederholten suizidalen Absichten einzig im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in der Schweiz unternommen beziehungsweise geäussert. Indes ist diesbezüglich festzustellen, dass gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einer Konfrontation mit Suiziddrohungen von einer zu vollziehenden Wegoder Ausweisung Abstand zu nehmen ist, solange konkrete Massnahmen zwecks Verhütung der Umsetzung der Suiziddrohung getroffen werden (vgl. statt vieler

        Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-5822/2008 vom 17. Februar 2011).

        Der Beschwerdeführer ist seit rund zwei Jahren in psychotherapeutischer Behandlung. Er hat demnach die Möglichkeit, sich in nächster Zeit zusammen mit seinem ihn bereits jetzt betreuenden Arzt im Rahmen von - allenfalls auch engmaschigeren - therapeutischen Sitzungen gezielt auf einen Vollzug der Wegweisung und auf eine Rückkehr nach Nigeria vorzubereiten (vgl. auch nachstehend Ziff. 6.5.3.). Ebenso können seitens der Vollzugsbehörden nötigenfalls geeignete Massnahmen ergriffen werden, um die Umsetzung allfälliger Suizidabsichten im Zusammenhang mit der Ausschaffung zu verhindern (beispielsweise begleitete Rückführung).

      2. Aufgrund der vorstehenden ärztlichen Ausführungen ist festzustellen, dass Inhalt der wöchentlichen Therapiesitzungen des Beschwerdeführers die Tagesstruktur, das Lösen zwischenmenschlicher Probleme und das Anleiten von besonderen Fertigkeiten bilden. Namentlich die beiden ersten Themenkreise stehen offensichtlich in engem Zusammenhang mit der hier in der Schweiz bestehenden Lebenssituation des Beschwerdeführers. Er hat keine Arbeit, welche die Tage strukturiert. Zudem belasten ihn offenbar auch die zwischenmenschlichen Beziehungen aufgrund seiner Wohnund Lebenssituation. Diese Belastung würde bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Heimatstaat wegfallen und hätte sowohl bezüglich der Anpassungsmöglichkeit als auch der sprachlichen Verständigung positive Folgen, wie dies die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung richtigerweise festgestellt hat. Zusätzlich ist festzuhalten, dass nach den Erkenntnissen des Gerichts in Nigeria eine psychiatrische Behandlung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers durchaus möglich ist. Insgesamt gibt es im Heimatland des Beschwerdeführers 35 psychiatrische Kliniken oder psychiatrische Abteilungen an Spitälern. In diesen können alle psychiatrischen Krankheiten behandelt werden, inklusive schwere Depression, suizidale Tendenzen, Paranoia, Posttraumatische Belastungsstörungen und Schizophrenie. Darüber hinaus bestehen in einigen Bundesstaaten für Personen mit psychischen Störungen Einrichtungen auf Gemeindeebene, die von Nicht-Regierungsinstitutionen, privaten Ärzten und Ärztinnen und vor allem von religiösen Einrichtungen betrieben werden. Demnach stehen dem Beschwerdeführer hinreichende Möglichkeiten zum Besuch einer Therapie zur Verfügung. Was die Finanzierung einer Therapie anbelangt, so ist die Behandlung in einigen Kliniken kostenlos, die Medikamente müssen indes selber bezahlt werden. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Ale-

xandra Geiser, Nigeria: Behandlung von Schizophrenie, Asthma bronchiale und Hepatitis B, Bern, 18. Januar 2010; UK Home Office and Danish Immigration Service, Report of Joint British-Danish Fact-Finding Mission to Lagos and Abuja, Nigeria 9 - 27 September 2007 and 5 - 12 January

2008, 28.10.2008, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-3819/2010 vom 21. November 2011). Nachdem sich der Beschwerdeführer weigert, Medikamente einzunehmen, ist dieser Umstand für ihn vorderhand ohne Belang. Sodann ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise rund 18 Jahre in Nigeria gelebt hat. Er wird daher in eine für ihn in jeder Hinsicht bekannte Kultur zurückkehren. Gemäss seinen Angaben leben seine Mutter und Schwester, sowie mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Verwandte nach wie vor in Nigeria. Damit verfügt der Beschwerdeführer in Nigeria über ein bestehendes soziales Beziehungsnetz, auf welches er bei Bedarf zu seiner Unterstützung zurückgreifen kann. Im Weiteren hat er vor der Ausreise als (...) gearbeitet, eine Tätigkeit, welche er nach Ansicht des Gerichts erneut aufnehmen kann. Dass er nicht arbeitsfähig wäre, wird weder in der Beschwerdeschrift noch in den ärztlichen Berichten angeführt. Schliesslich stellt der Umstand, dass es in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Wohnortes des Beschwerdeführers allenfalls keine Behandlungsmöglichkeit gibt, kein Vollzugshindernis dar. Es ist dem Beschwerdeführer zuzumuten, sich auch an einen von seinem ehemaligen Wohnort entfernteren Behandlungsort niederzulassen. Zusätzlich kann das BFM bei der Ausreise aus der Schweiz die notwendigen Rückkehrhilfen leisten und im Rahmen von flankierenden Massnahmen, beispielsweise durch Kontaktaufnahme mit der Schweizer Vertretung vor Ort oder anderen zuständigen Stellen, sicherstellen, dass die Weiterführung der psychotherapeutischen Behandlungen in Nigeria eingeleitet wird (vgl. Art. 93 Abs. 1 Bst. d AsylG i.V.m. Art. 75 der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 über Finanzierungsfragen [AsylV 2, SR 142.312] sowie die Weisungen des BFM vom 1. Januar 2008 betreffend Rückkehrund Wiedereingliederungshilfe, Ziffer 4.2.5). Dementsprechend steht es dem Beschwerdeführer offen, beim BFM einen entsprechenden Antrag auf Rückkehrhilfe zu stellen.

6.6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus wiedererwägungsrechtlicher Sicht keine Gründe vorliegen, welche es rechtfertigen würden, auf Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG zu schliessen.

7.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Verfügung der Vorinstanz ist demzufolge zu bestätigen und die Beschwerde abzuweisen. Damit ist das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (recte: Aussetzung des Vollzugs) gegenstandslos geworden.

8.

    1. Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG. Diese wird gewährt, wenn die Partei nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und ihre Begehren nicht aussichtslos erscheinen.

    2. Der Beschwerdeführer hat in der Rechtsmitteleingabe eine Fürsorgebestätigung in Aussicht gestellt. Ein entsprechendes Schreiben ist bis heute beim Gericht nicht eingegangen. Aufgrund der Akten ist indes klar von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers auszugehen. Zudem sind die Rechtsbegehren nicht als aussichtslos zu bezeichnen. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist daher gutzuheissen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, womit das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos wird.

2.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zuständige kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Kurt Gysi Barbara Balmelli

Versand:

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