Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung III |
Dossiernummer: | C-1262/2012 |
Datum: | 20.12.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Erteilung der vorläufigen Aufnahme |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführerin; Recht; Vorinstanz; Frist; Verfahren; Verfügung; Rechtsvertreter; Bundesverwaltungsgericht; Stadium; Verfahrens; Quot;; Fristerstreckung; Sachverhalt; Migration; Gesuch; Kamerun; Akten; Infektion; Wegweisung; Partei; Entscheid; Vernehmlassung; Anspruch; Parteien; Migrationsamt; Rückkehr; HIV-Infektion; Verfügbarkeit; Praxis |
Rechtsnorm: | Art. 22 VwVG ;Art. 26 VwVG ;Art. 30 VwVG ;Art. 32 VwVG ;Art. 35 VwVG ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 VwVG ;Art. 50 VwVG ;Art. 61 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 64 VwVG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Müller, Schindler, Auer, Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Zürich, Art. 13 VwVG, 2008 |
Abteilung III C-1262/2012
Besetzung Richterin Ruth Beutler (Vorsitz),
Richter Jean-Daniel Dubey, Richter Andreas Trommer, Gerichtsschreiberin Barbara Kradolfer.
Parteien A. ,
vertreten durch Rechtsanwalt Florian Wick, Beschwerdeführerin,
gegen
Gegenstand Vorläufige Aufnahme.
Am 13. Oktober 2006 heiratete die Beschwerdeführerin (geb. 1978, kamerunische Staatsangehörige) in Kamerun den Schweizer Staatsagehö-
rigen B.
(geb. 1960). Am 17. Oktober 2009 reiste sie in die
Schweiz ein und erhielt im Rahmen des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung.
Mit Verfügung der Eheschutzrichterin vom 4. August 2010 wurde den Ehegatten das Getrenntleben bewilligt. Daraufhin gewährte das Migrationsamt des Kantons Zürich der Beschwerdeführerin am 26. August 2010 rechtliches Gehör zur Absicht, die bis zum 16. Oktober 2010 befristete Aufenthaltsbewilligung zu widerrufen, da die Anspruchsgrundlage nicht mehr gegeben sei. Die Beschwerdeführerin liess durch ihren Ehemann am 14. September 2010 antworten, sie sei krank und eine Rückkehr nach Kamerun könnte schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.
Mit Verfügung vom 24. September 2010 widerrief das Migrationsamt die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin, wies sie aus der Schweiz weg und räumte ihr zur Ausreise eine Frist bis zum 24. Dezember 2010 ein. Ein gegen diese Verfügung gerichteter Rekurs wurde von der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 20. September 2011 teilweise gutgeheissen. Aufgrund des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin (HIV-Infektion, Stadium A2) und der Tatsache, dass nicht abschliessend beurteilt werden könne, ob der Beschwerdeführerin in Kamerun die notwendige Behandlung zur Verfügung stehe, wurde das Migrationsamt von der Rekursinstanz angewiesen, beim BFM die vorläufige Aufnahme zu beantragen; dieser Anweisung kam das Migrationsamt am 8. November 2011 nach.
Am 13. Dezember 2011 teilte die Vorinstanz der Beschwerdeführerin mit, sie beabsichtige, das Gesuch um Anordnung der vorläufigen Aufnahme abzuweisen, und lud sie ein, bis zum 16. Januar 2012 dazu Stellung zu nehmen.
Der Rechtsvertreter ersuchte mit Eingabe vom 16. Januar 2012 um Erstreckung der Frist zur Stellungnahme bis zum 15. Februar 2012. Er begründete das Gesuch damit, dass die von ihm angeforderten Arztberichte und der Bericht der Aidshilfe Schweiz noch nicht alle eingetroffen seien. Zudem verwies er auf die hohe Arbeitslast sowie auf unverschiebbare Termine und Fristen.
Die Vorinstanz wies dieses Gesuch mit Schreiben vom 23. Januar 2012 ab und kündigte an, in den nächsten Tagen aufgrund der Akten zu entscheiden. Sie verwies auf Rechtssicherheit und Beschleunigungsgebot, welche erforderten, dass Rechtshandlungen im Rahmen eines laufenden Verfahrens innert "bemessener Frist" vorzunehmen seien. Die von einem Rechtsvertreter geltend gemachte Arbeitsüberlastung laufe diesen Interessen zuwider und genüge daher nicht für die Erstreckung behördlicher Fristen. Es sei am Rechtsvertreter, seine Arbeitslast so zu steuern, dass er die gesetzten Fristen einhalten könne. Andernfalls würde der Verfahrensablauf im Wesentlichen durch die zeitliche Verfügbarkeit des Rechtvertreters bestimmt und der Gestaltung der zuständigen Behörde entzogen.
Mit Verfügung vom 31. Januar 2012 lehnte die Vorinstanz es ab, die Beschwerdeführerin vorläufig aufzunehmen. Zur Begründung hielt sie im Wesentlichen fest, die Beschwerdeführerin sei zwar HIV-positiv, und die Infektion habe das Stadium A2 erreicht. Nach konstanter Praxis sei die Rückkehr nach Kamerun für HIV-Positive jedoch zumutbar, solange nicht das Stadium C der Erkrankung erreicht sei.
Gegen diese Verfügung liess die Beschwerdeführerin am 2. März 2012 Beschwerde erheben und folgende Anträge stellen:
"1. Die Verfügung des Bundesamtes für Migration vom 31. Januar 2012 sei aufzuheben;
2. es sei von der Wegweisung abzusehen und es sei der Beschwerdeführerin die vorläufige Aufnahme zu gewähren; allenfalls sei die Sache zur Prüfung von Wegweisungsvollzugshindernissen an die Vorinstanz zurückzuweisen."
In prozessualer Hinsicht wird folgendes beantragt:
"3. Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sei der Beschwerdeführerin der Aufenthalt für die Dauer des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen und das Migrationsamt des Kantons Zürich sei anzuweisen, von allen Vorkehrungen zum Wegweisungsvollzug abzusehen;
im Sinne einer superprovisorischen Anordnung sei das Migrationsamt des Kantons Zürich anzuweisen, bis zum Entscheid über den Antrag betreffend Erlass einer vorsorglichen Massnahme sämtliche Vollziehungsvorkehrungen zu unterlassen;
der Beschwerdeführerin sei die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren, insbesondere sei ihr der Kostenvorschuss zu erlassen. Zudem sei ihr in der Person des Unterzeichneten ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beizuordnen.
bei Abweisung der unentgeltlichen Prozessführung sei der Beschwerdeführerin der Kostenvorschuss im Sinne von Art. 64 Abs. 4 VwVG zu erlassen."
Die Beschwerdeführerin macht zunächst eine schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, da das Fristerstreckungsgesuch vom
16. Januar 2012, entgegen der Praxis, nicht gutgeheissen worden sei. Die Vorinstanz sei zudem weder ihrer Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts noch der Pflicht zur Begründung einer Verfügung nachgekommen.
Sodann bringt die Beschwerdeführerin vor, sie wäre im Falle einer Rückkehr nach Kamerun aufgrund der dortigen Schwierigkeiten im Gesundheitswesen und ihrer zu erwartenden finanziellen Situation konkret gefährdet im Sinne von Art. 83 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20). Sie stützt sich dabei auf zahlreiche Berichte und zum Teil ausländische Gerichtsurteile, die sie der Beschwerdeschrift beigelegt hat. Zudem reichte sie insbesondere Arztberichte des Kantonsspitals Winterthur vom 2. November 2010 (Beilage 3) und vom 12. Januar 2012 (Beila-
ge 4), einen Laborbericht vom 5. Januar 2011 (Beilage 7), eine Medikamentendosierungskarte vom 16. Januar 2012 (Beilage 8) sowie einen Bericht der Aidshilfe Schweiz vom 3. Februar 2012 (Beilage 14) ein. Letzterer enthält eine Einschätzung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin sowie der Risiken im Falle einer Rückkehr nach Kamerun.
Mit Zwischenverfügung vom 13. März 2012 hiess das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Erlass vorsorglicher Massnahmen gut und gestattete der Beschwerdeführerin, den Ausgang des Beschwerdeverfahrens in ihrem bisherigen Wohnsitzkanton abzuwarten. Die Behandlung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Gleichzeitig wurde die Vorinstanz zur Vernehmlassung eingeladen.
In ihrer Vernehmlassung vom 15. März 2012 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Sie bestreitet, dass das rechtliche Gehör verletzt worden sei. Der Rechtsvertreter hätte allfällige Verzögerungen schon frühzeitig anmelden sollen. Zudem hätte ihm ein Gesuch um Akteneinsicht Aufschluss über die von den amtsinternen Spezialisten gemachten Untersuchungen gegeben. Das Vorgehen des Rechtsvertreters weise auf eine bewusste Verfahrensverzögerung hin. Ausserdem sei der Entscheid erst acht Tage nach Verweigerung der Fristerstreckung erfolgt. Im Weiteren hält die Vorinstanz fest, dass sich aus den der Beschwerdeschrift beigelegten Unterlagen kein wesentlich verändertes Bild bezüglich des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin oder der Beurteilung der Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung ergebe.
Mit Zwischenverfügung vom 28. März 2012 wurde das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege gutgeheissen und der Rechtsvertreter als amtlicher Anwalt angesetzt.
Am 27. April 2012 nahm der Rechtsvertreter zur Vernehmlassung Stellung. Er weist die Vorwürfe der Vorinstanz bezüglich seiner Verfahrensführung zurück. Im Übrigen hält er an den gestellten Anträgen und deren Begründung fest.
Auf den übrigen Akteninhalt wird, soweit entscheiderheblich, in den Erwägungen eingegangen.
Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht - unter Vorbehalt der in Art. 32 VGG genannten Ausnahmen - Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom
20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021), die von einer in Art. 33 VGG aufgeführten Behörde erlassen wurden. Darunter fallen u.a. Verfügungen des BFM betreffend vorläufige Aufnahme. In diesem Bereich entscheidet
das Bundesverwaltungsgericht endgültig (vgl. Art. 83 Bst. c Ziff. 3 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
Sofern das Verwaltungsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt, richtet sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (vgl. Art. 37 VGG).
Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 48 Abs. 1 VwVG zur Beschwerde berechtigt. Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (vgl. Art. 50 und 52 VwVG).
Mit Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und - sofern nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat - die Unangemessenheit gerügt werden (vgl. Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen; massgebend sind grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2011/1
E. 2, BVGE 2007/41 E. 2 und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2682/2007 vom 7. Oktober 2010 E. 1.2 und 1.3).
Die Beschwerdeführerin macht zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Die Vorinstanz habe, entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ohne Not eine Fristerstreckung verweigert. In ihrer Begründung habe sie lediglich auf die hohe Arbeitslast des Rechtsvertreters Bezug genommen, nicht aber auf die angekündigten neuen Beweismittel.
Der in Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) garantierte und in Art. 26 ff. VwVG für das Bundesverwaltungsverfahren konkretisierte Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör umfasst unter anderem das Recht der Parteien, vor Erlass der Verfügung angehört zu werden (Art. 30 Abs. 1 VwVG). Ferner hat die Behörde die Pflicht, alle erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien zu würdigen, bevor sie
verfügt (Art. 32 Abs. 1 VwVG), und ihre Verfügung zu begründen (Art. 35 Abs. 1 VwVG).
Der Anspruch auf vorgängige Anhörung der Betroffenen besteht vornehmlich in Bezug auf die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes (vgl. BERNHARD WALDMANN/JÜRG BICKEL, in: Praxiskommentar VwVG, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Zürich 2009, Art. 30 N 18). Bei der Ausübung des Anspruchs kann eine Partei grundsätzlich selber bestimmen, wie, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang sie mit den Behörden verkehren will. Allerdings wird diese Freiheit durch gesetzliche Vorschriften und prozessleitende Anordnungen erheblich eingeschränkt (vgl. WALDMANN/BICKEL, a.a.O., Art. 30 N 26). Solche Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt sein. Als öffentliches Interesse können beispielsweise Gründe der Verfahrensökonomie oder des geordneten Verfahrensablaufs angesehen werden (WALDMANN/BICKEL, a.a.O., Art. 30 N 27).
Im vorliegenden Fall findet sich die Rechtsgrundlage in den Regelungen zum Fristenlauf im Verwaltungsverfahrensgesetz. Danach kann eine behördliche Frist aus zureichenden Gründen erstreckt werden, wenn die Partei vor Ablauf der Frist darum nachsucht (vgl. Art. 22 Abs. 2 VwVG). Zwar besteht kein Anspruch auf Erstreckung einer Frist. Die Behörde hat aber im Einzelfall zu prüfen, ob die Gewährung nach pflichtgemässem Ermessen angezeigt ist. Sie entscheidet unter Berücksichtigung der Natur der Streitsache, der betroffenen Interessen und der Verfahrensumstände. Zudem beachtet sie die Interessen der Parteien, soweit diese nach Treu und Glauben handeln, d.h. diese haben alles zu vermeiden, was geeignet ist, den normalen Ablauf eines Verfahrens unnötig zu verzögern (vgl. BERNARD MAITRE/VANESSA THALMANN [FABIA BOCHSLER], in Waldmann/
Weissenberger [Hrsg.], Zürich 2009, Art. 22 N 10). Die Praxis der Bundesbehörden und auch der Bundesgerichte bezüglich der Bewilligung von Fristerstreckungsgesuchen ist grosszügig. Allerdings sind solchen Gesuchen dort Schranken gesetzt, wo das Verfahren der Natur der Sache nach besonders dringlich ist oder der Fristerstreckung überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen (vgl. MAITRE/THALMANN, a.a.O., Art. 22 N 17 mit Hinweisen). Gemäss dieser Praxis wird das erste Gesuch in der Regel gutgeheissen, wenn zureichende Gründe plausibel dargelegt werden; dabei sind die Anforderungen an die geltend gemachten Gründe nicht allzu hoch (vgl. MAITRE/THALMANN, a.a.O., Art. 22 N 18 mit Hinweisen).
Die Vorinstanz begründete die Abweisung des Fristerstreckungsgesuchs mit der Wahrung gewisser Formen, die für einen geordneten Verfahrensablauf unerlässlich seien und der Verwirklichung des materiellen Rechts und dem Schutz der Rechte der Parteien dienten. Die Rechtssicherheit und das Beschleunigungsgebot erforderten, dass Rechtshandlungen innert "bemessener Frist" vorgenommen würden. Die vom Rechtsvertreter geltend gemachte Arbeitsüberlastung laufe diesen Interessen zuwider. Dieser habe den Umfang seiner Mandate so zu steuern, dass es ihm möglich sei, die angesetzten Fristen einzuhalten. Würde anders entschieden, wäre der Verfahrensablauf im Wesentlichen durch die Verfügbarkeit des Rechtsvertreters bestimmt und der Gestaltung der Behörde entzogen. Schliesslich hielt die Vorinstanz fest, dass für die Beschaffung der notwendigen Unterlagen genügend Zeit zur Verfügung gestanden habe, und kündigte an, in den nächsten Tagen aufgrund der Akten zu entscheiden. In ihrer Vernehmlassung vom 15. März 2012 führt sie zudem aus, der Rechtsvertreter hätte das Fristerstreckungsgesuch schon frühzeitig einreichen sollen. Auch hätte er Einsicht in die Akten nehmen können, was ihm - auch ohne zusätzliche eigene Abklärungen - Aufschluss über die zum konkreten Fall getätigten Abklärungen gegeben hätte.
Das Migrationsamt ersuchte die Vorinstanz am 8. November 2011, die Beschwerdeführerin vorläufig aufzunehmen. Mehr als einen Monat später, am 13. Dezember 2011, wurde der Rechtsvertreter zur Stellungnahme bis 16. Januar 2012 eingeladen. Angesichts der in dieser Zeit liegenden Feiertage und der Natur der in Aussicht gestellten Beweismittel (Arztbericht eines öffentlichen Spitals sowie ein darauf gestützter Bericht der Schweizerischen Aidshilfe) erstaunt es nicht, dass die gewährte Frist nicht ausgereicht hat. Dem Rechtsvertreter kann deshalb nicht vorgeworfen werden, das Fristerstreckungsgesuch verstosse gegen Treu und Glauben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich um das erste solche Gesuch handelte. Es kann auch nicht von einer "bewussten Verfahrensverzögerung" (vgl. Vernehmlassung Ziff. 1 S. 2) die Rede sein. Daran ändert nichts, dass das Gesuch am letzten Tag der Frist eingereicht wurde. Zudem sind die im Fristerstreckungsgesuch in Aussicht gestellten neuen Beweismittel eng mit dem Verfahrensgegenstand verknüpft, und die Vorinstanz ist aufgrund der persönlichen Natur von Auskünften zum Gesundheitszustand ohnehin auf die Mitwirkung der Beschwerdeführerin angewiesen (vgl. CHRISTOPH AUER, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Zürich 2008, Rz. 4 zu Art. 13). Ein irgendwie geartetes öffentliches Interesse, wie
beispielsweise zeitliche Dringlichkeit, in diesem Fall von der allgemeinen Praxis bezüglich Fristerstreckungsgesuche abzuweichen, ist weder in der Begründung der Vorinstanz noch aus den übrigen Akten ersichtlich. Indem die Vorinstanz das Gesuch um Fristerstreckung abgewiesen hat, hat sie den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör - in der speziellen Ausprägung von Art. 30 Abs. 1 VwVG - verletzt.
Daran vermag auch der Hinweis der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung vom 15. März 2012 nichts zu ändern, sie habe nach der Verweigerung der Fristerstreckung noch acht Tage gewartet, bevor sie die Verfügung erlassen habe. Die Formulierung im abschlägigen Bescheid, sie werde "daher in den nächsten Tagen aufgrund der Akten entscheiden", lässt nicht den Schluss zu, die Vorinstanz habe der Beschwerdeführerin eine Nachfrist gewähren wollen.
Aufgrund der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt eine Verletzung gemäss Lehre und Praxis in der Regel zur Aufhebung des betroffenen Entscheides. Ausnahmsweise kann eine solche Verletzung jedoch unter bestimmten Voraussetzungen im Rechtsmittelverfahren geheilt werden (vgl. ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 1709 ff.). Ob eine solche Heilung vorliegend möglich wäre, kann offen bleiben, da die angefochtene Verfügung ohnehin aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall wurde der Vorinstanz der Antrag gestellt, die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 83 Abs. 1 AuG wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzunehmen. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug dann unzumutbar sein, wenn die betroffene Person in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeine Gewalt und medizinischer Notlage im Heimatoder Herkunftsstaat konkret gefährdet ist. Im vorliegenden Fall ist zu beurteilen, ob die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Kamerun einer medizinischen Notlage im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt wäre.
Die Formulierung des Gesetzestextes macht deutlich, dass nur gravierende medizinische Fälle unter die Bestimmung zu subsumieren sind. Es geht dabei um lebensnotwendige medizinische Hilfe, ohne die eine erhebliche Verschlechterung der Gesundheitslage eintreten würde. Die Behandlung muss zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz
dringend geboten sein. Es kommt dabei nicht nur auf die objektive Verfügbarkeit der notwendigen Behandlung und Medikamente an. Es ist vielmehr aufgrund des konkreten Einzelfalles zu prüfen, ob diese für die betroffene Person auch effektiv erhältlich sind (vgl. zum Ganzen: RUEDI ILLES, in: Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Stämpflis Handkommentar, Bern 2010, Art. 83 N. 34 f., MARC SPESCHA/HANSPETER THÜR/ANDREAS ZÜND/PETER
BOLZLI, Migrationsrecht, Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2012, N. 17 zu Art. 83 AuG, WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis, Band 8,
2. Aufl., Basel 2009, N 11.68; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-651/2006 vom 20. Januar 2010 E. 6.3.1 mit zahlreichen Hinweisen).
Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, dass gemäss ständiger Praxis der Vollzug der Wegweisung bei Vorliegen einer HIV-Infektion zumutbar sei, solange nicht das Stadium C erreicht sei.
In der Rechtsprechung wird zwar davon ausgegangen, dass ab dem Stadium C, d.h. nach dem Ausbruch von AIDS, der Vollzug der Wegweisung in der Regel als unzumutbar anzusehen ist. Insofern ist der Vorinstanz zuzustimmen. Gleichzeitig wird aber betont, dass nicht nur das Stadium, in dem sich die Krankheit befindet, zu beachten ist, sondern die konkrete Situation der betroffenen Person im Zielland. Dabei sind der Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung, das soziale Umfeld (z.B. familiäre und soziale Beziehungen, berufliche Qualifikation, finanzielle Situation) und die allgemeine Sicherheitslage zu berücksichtigen. Je nach den im Einzelfall relevanten Umständen kann demnach eine HIV-Infektion, die sich im Stadium B3 oder sogar erst im Stadium B2 befindet, zur Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs führen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-6206/2009 vom 23. April 2012 E. 5 sowie das erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-651/2006 E. 6.3.1 je mit Hinweisen).
Im August 2010 wurde bei der Beschwerdeführerin eine HIV-Infektion im Stadium A2 diagnostiziert. Diesen Umstand brachte der Rechtsvertreter auf Beschwerdeebene im kantonalen Verfahren ein, das die Frage des Widerrufs bzw. der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sowie die Wegweisung der Beschwerdeführerin zum Thema hatte. Die Vorinstanz hat in Kenntnis dieser Informationen die Verfügung vom 31. Januar 2012 erlassen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens legte der Rechtsvertreter einen Arztbericht vom 12. Januar 2012 ins Recht, der bestätigt, dass
sich die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführerin inzwischen verschlechtert hat. Die HIV-Infektion habe inzwischen das Stadium B3 erreicht; zudem habe die Beschwerdeführerin Resistenzen gegen gewisse der üblichen Wirkstoffe entwickelt. Dies schränke die Wahl der Medikamente ein.
Wird der Vorinstanz ein Antrag zur vorläufigen Aufnahme unterbreitet, so ist es an ihr, den rechtserheblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln (vgl. Art. 12 VwVG). Ging dem Antrag ein Verfahren betreffend Aufenthalt voraus, so kann sich die Vorinstanz nicht allein auf den dort relevanten Sachverhalt abstützen, da andere Rechtsfragen zu beantworten sind.
Im vorliegenden Fall befand sich die HIV-Infektion der Beschwerdeführerin bereits zum Zeitpunkt, in dem die Vorinstanz die angefochtene Verfügung erlassen hat, im Stadium B3. Die Vorinstanz hat sich jedoch auf einen Arztbericht aus dem Jahre 2010 bezogen, der das Stadium A2 der Infektion bestätigte. Sie hat sich somit auf einen nicht mehr aktuellen Sachverhalt abgestützt. Auf diesen Umstand machte die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift aufmerksam. Die Vorinstanz hat sich selbst auf Vernehmlassungsstufe nicht mit dieser Verschlechterung auseinandergesetzt. Weder aus der Vernehmlassung vom 15. März 2012 noch aus den Akten geht hervor, dass sie aufgrund dieser neuen Sachlage konkrete Abklärungen zur objektiven und subjektiven Verfügbarkeit der notwendigen Therapien, Analysen und Medikamente und dem sozialen Umfeld der Beschwerdeführerin in Kamerun vorgenommen hätte. Dies zeigt sich einerseits daran, dass sie - entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. E. 4.3) - an der Auffassung festhält, nur das Stadium C führe zur Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs. Andererseits traf die Vernehmlassung drei Tage nach der entsprechenden Aufforderung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Eine vertiefte Auseinandersetzung und weitere Abklärungen, insb. vor Ort in Kamerun, konnten in dieser Zeit nicht stattfinden.
Die Vorinstanz hat verkannt, dass gemäss der Rechtsprechung bei Fällen, in denen eine HIV-Infektion vorliegt, nicht schematisch auf das Krankheitsstadium abgestellt werden kann. Zwar wird bei Vorliegen des Stadiums C grundsätzlich von der Unzumutbarkeit des Vollzugs ausgegangen. Umgekehrt heisst dies jedoch nicht, dass bei weniger fortgeschrittener Krankheit unbesehen von der Zumutbarkeit auszugehen ist. In diesem Sinne äusserte sich auch die Abteilung Asyl und Rückkehr des
BFM in einer Notiz vom 1. Dezember 2011 zuhanden der in diesem Verfahren zuständigen Amtsstelle des BFM.
Ein Entscheid in einem Fall von HIV-Infektion erfordert Informationen über den aktuellen Gesundheitszustand der betroffenen Person und darüber, welche Behandlungen, Analysen und Medikamente notwendig sind. Sodann ist abzuklären, ob eine adäquate Behandlung, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Diagnose, insb. auch allfälliger Resistenzen, im Zielland möglich ist (objektive Verfügbarkeit). Aufgrund der teilweise raschen Veränderungen in den einzelnen Ländern kann dabei in der Regel nicht unbesehen auf Berichte abgestellt werden, die bereits einige Jahre alt sind. Kann die Frage der objektiven Verfügbarkeit bejaht werden, ist in einem weiteren Schritt abzuklären, ob die betroffene Person eine realistische Möglichkeit hat, diese Behandlung in Anspruch nehmen zu können (subjektive Verfügbarkeit). Dabei spielen die örtlichen Gegebenheiten eine Rolle (Erreichbarkeit der medizinischen Versorgung), aber auch finanzielle Aspekte (Erschwinglichkeit, allenfalls auch mit Hilfe von finanzieller Rückkehrhilfe). Zu beachten sind schliesslich auch die sozialen und gesellschaftlichen Umstände, welche die Person bei ihrer Rückkehr vorfinden wird und deren zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand. Erst aufgrund eines im individuellen Fall vollständigen und aktuellen Sachverhalts kann ein Entscheid getroffen werden.
Indem die Vorinstanz es unterlassen hat, die objektive und die subjektive Verfügbarkeit der notwendigen medizinischen Versorgung der Beschwerdeführerin in Kamerun abzuklären, hat sie ihren Entscheid auf einen unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt abgestützt. Die angefochtene Verfügung verletzt damit Bundesrecht (Art. 49 Bst. b VwVG). Die Beschwerde ist demnach insoweit gutzuheissen, als die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts und anschliessendem neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen ist (vgl. Art. 61 Abs. 1 VwVG).
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Verfahrenskosten zu erheben (vgl. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG).
Die Beschwerdeführerin hat gemäss Art. 64 Abs. 1 VwVG Anrecht auf eine Parteientschädigung für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten (vgl. auch Art. 7 ff. des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Diese Entschädigung geht zu Lasten der Vorinstanz (vgl. Art. 64 Abs. 2 VwVG), wobei die Höhe aufgrund der Kostennote des Rechtsvertreters festgelegt wird (vgl. Art. 14 Abs. 1 VGKE).
Am 27. April 2012 reichte der Rechtsvertreter eine Kostennote ein, die einen Aufwand von insgesamt 830 Minuten (13 h 50 min.) sowie Auslagen in der Höhe von Fr. 76.15 ausweist. Der Zeitaufwand erscheint dem Gericht angesichts der Komplexität des Falles und im Vergleich zu ähnlich gelagerten Verfahren zu hoch. Auffällig ist insbesondere der grosse Zeitaufwand für das Abfassen der Beschwerde (9 h 20 min.), die neben den notwendigen rechtlichen Ausführungen eine ausführliche Rekapitulation des Sachverhaltes inklusive umfangreicher Zitate aus den eingereichten Beilagen und weiteren Dokumenten enthält. Die Darstellung des Sachverhaltes in diesem Umfang kann nicht als notwendiger Aufwand im Sinne der genannten Bestimmungen angesehen werden, weshalb der für das Abfassen der Beschwerde notwendige und deshalb entschädigungsfähige Zeitaufwand auf 5 Stunden festzulegen ist. Der entschädigungsfähige Zeitaufwand ist damit auf 9,5 Stunden festzulegen. In Anwendung des vom Rechtsvertreter angeführten Stundenansatzes von Fr. 230.- beläuft sich die Parteientschädigung somit inkl. MWST und Auslagen auf insgesamt Fr. 2'435.95.
(Dispositiv S. 14)
Die Beschwerde wird insoweit gutgeheissen, als die angefochtene Verfügung aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
Es werden keine Kosten erhoben.
Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'435.95 (inkl. MWST und Auslagen) auszurichten.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Einschreiben)
die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. [ ] zurück)
das Migrationsamt des Kantons Zürich (Einschreiben; Akten Ref-Nr. [ ] zurück)
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Ruth Beutler Barbara Kradolfer
Versand:
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