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Urteil Verwaltungsgericht (SO)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2013.406
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2013.406 vom 22.07.2014 (SO)
Datum:22.07.2014
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Lärmsanierungsprojekt
Schlagwörter: Lärm; Tempo; Strasse; Strassen; Lärmsanierung; Belag; Verkehr; Geschwindigkeit; Lärmsanierungs; Sanierung; Kanton; Temporeduktion; Massnahme; Lärmsanierungsprojekt; Verkehrs; Gutachten; Kantons; Belags; Fahre; Beschwerde; Massnahmen; Verwaltungsgericht; Kantonsstrasse; Kantonsstrassen; Immissionsgrenzwert; Grobanalyse; Sanierungs; Nunningen
Rechtsnorm: Art. 32 SVG ;
Referenz BGE:136 II 539; 139 II 145;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Urteil des Verwaltungsgerichts VWBES.2013.143 vom 3. Juni 2013 (Derendingen) eingefügt worden, und dies nicht nur im Fall des Lärmsanierungsprojekts Nunningen, sondern in sämtlichen inzwischen im Kanton aufgelegten Lärmsanierungsprojekten. Aufgrund der nachträglichen Ergänzung von Seiten des Kantons sei das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt worden, weil er nicht bereits im Auflageverfahren zur angeblichen Unverhältnismässigkeit der Temporeduktion habe Stellung nehmen können. Weiter wendet sich der Beschwerdeführer gegen die «selbst gewählte Vorgabe» des AVT, wonach auf verkehrsorientierten Strassen keine Temporeduktion stattfinden dürfe. Damit habe die Vorinstanz das für eine Interessenabwägung erforderliche Ermessen unterschritten und nicht nur Art. 16 f. des Umweltschutzgesetzes (USG, SR 814.01) verletzt, sondern sei auch in Willkür verfallen, weil sie die ihr zustehende Kognition unzulässigerweise eingeschränkt habe. U.a. habe die Vor­instanz übersehen, dass die bundesgerichtliche Praxis Temporeduktionen nicht mehr nur aus Gründen des verbesserten Verkehrsflusses befürworte, sondern auch bei Lärmsanierungen sogar auf Hauptstrassen, soweit die mit Gutachten abzuklärenden Voraussetzungen gegeben seien. Die Meinung des Regierungsrats, wonach verkehrslenkende und -beruhigende Massnahmen im Rahmen eines Sanierungsprojekts nicht zu prüfen seien, entspreche nicht dem aktuellen Stand der Rechtsprechung. Nach Praxis und Lehre sei das Gutachten nach Art. 108 Abs. 4 SSV Mittel zur richtigen Sachverhaltsfeststellung. Als Ausdruck des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes sei auch die Beschränkung einer Temporeduktion auf die Hauptverkehrszeiten denkbar. Diese Frage sei ebenfalls durch ein Gutachten zu klären.

Das Bauund Justizdepartement (BJD) schloss namens des Regierungsrats auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Sinngemäss und im Wesentlichen führt das Departement aus, der aufgelegte Lärmbericht sei aufgrund des Verwaltungsgerichtsurteils in Sachen Derendingen überarbeitet und ergänzt worden. Dabei sei das Kapitel «5.1 Verkehrsberuhigende Massnahmen» mittels einer Grobanalyse behandelt worden. Eine solche entspreche nicht vollumfänglich einem ausführlichen Gutachten, aber die wichtigsten Punkte seien untersucht worden. Es könne nicht Sinn der Rechtsordnung sein, dass für jedes Lärmsanierungsprojekt ein komplettes Gutachten für die Beantwortung dieser Frage in Auftrag gegeben werden müsse. Dies mache vielmehr nur bei Strassenteilgebieten Sinn, bei welchen aufgrund der Grobanalyse eine Tempo-30-Zone denkbar sei. Umfassende Gutachten seien teuer und sollten daher nur dort erstellt werden müssen, wo tatsächlich eine Unsicherheit bestehe. Mit Blick auf die Rechtsprechung müssten im Plangenehmigungsverfahren nicht sämtliche denkbaren Alternativen im Detail projektiert werden. Varianten, die erhebliche Nachteile aufwiesen oder offensichtlich unverhältnismässig erschienen, dürften nach einer summarischen Prüfung aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden werden. Der Bericht habe die Frage nach einer allfälligen Geschwindigkeitsreduktion seriös abgeklärt und untersucht. Da im Grundsatz der Entscheid des Vernehmlassungsund Auflageexemplars nicht geändert worden sei, habe es sich erübrigt, eine neue Vernehmlassung durchzuführen. Die Ortsdurchfahrt durch Nunningen werde durch die Temporeduktion verzögert. Dies wirke sich erschwerend auf die Busverbindungen aus. In Nunningen träfen drei solche aufeinander. Hier sei die Geschwindigkeit von zentraler Bedeutung. Es könne sogar bedeuten, dass aufgrund der verlorenen Zeit Extrakurse eingeschoben werden müssten, was zu grossen Verteuerungen führen könne. Auch hier könne die Zweckund Verhältnismässigkeit geprüft werden.

Das Verwaltungsgericht führte am 10. Juni 2014 einen Augenschein mit Instruktionsverhandlung durch. Anwesend waren neben den Parteien ein Vertreter des mit dem Lärmsanierungsprojekt betrauten Ingenieurbüros und der Gemeindepräsident von Nunningen. Anlässlich der Begehung ergab sich u.a., dass für den Abschnitt der Zullwilerstrasse «Glasi» bis Zullwilerstrasse 7 ein Strassenbauprojekt geplant sei, in dessen Rahmen neben der Verlängerung der Bushaltebuchten und der Anpassung der Haltekanten auch lärmdämmende Beläge eingebaut würden und dessen Auflage unmittelbar bevorstehe. Im Amtsblatt vom 13. Juni 2014 wurde denn die Auflage des neuen Erschliessungsplans für diesen Bereich auch publiziert. Eine entsprechende Belagserneuerung ist für die Grellingerstrasse in den Jahren 2016/2017 geplant. Auf den Vorhalt der mangelnden Koordination zwischen Lärmund Strassensanierung machten die Vertreter des BJD geltend, eine solche habe sehr wohl stattgefunden, weshalb auch lärmdämmender Belag der neusten Generation verwendet werde (dazu sogleich E. II 3.3 hiernach). Dieser bringe viel mehr als Tempo 30.

Weiter ergab sich anlässlich der Begehung und Befragung, dass auf den Nunninger Strassen hauptsächlich «Zuund Wegpendler» verkehren; entsprechend fallen die Verkehrsspitzen in die Morgenund Abendzeit. Bei Einführung von Tempo 30 im Dorfzentrum gäbe es (theoretisch) Schleichwege durchs Quartier. Ein Ausweichen auf diese Quartierstrassen sei aber unrealistisch. Im Dorf selber sei der Verkehrslärm kein Thema. Bei der Kirche habe man zur Temporeduktion Schwellen eingebaut, diese aber wieder entfernen müssen. Eine Tempo-30-Zone beim Altersheim/Kindergarten sei abgelehnt worden. Der Bus fahre wochentags bis Mitternacht, an den Wochenenden fahre ein Bus in Laufen um zwei Uhr früh ab. Jede Familie habe mindestens ein Auto. In Nunningen gebe es relativ viel Bauund Baunebengewerbe, damit verbunden seien ca. 600 Arbeitsplätze (bei 1850 Einwohnern).

Weiter wurde von den Vertretern des BJD und dem Ingenieur ausgeführt, bei jeder Strassensanierung werde lärmdämmender Belag angestrebt. Ein Deckbelag habe eine (akustische) Lebensdauer von 12 bis 15 Jahren. Man könne den Belag einmal abhobeln, um wieder ein gutes Dämmresultat zu erlangen. Die Lebensdauer des Belags hänge auch vom Winterdienst ab. Die Erstellung der Beläge sei im Mehrjahresprogramm des Kantons für Strassenbau und unterhalt enthalten. Das Programm werde den Gemeinden vier Jahre im Voraus mitgeteilt. Wo dieses keine entsprechenden Aussagen enthalte, falle die Belagserneuerung unter den Unterhalt. Auf den Vorhalt hin, im Dispositiv des RRBs fehlten sämtliche Angaben dazu, was bis wann zu unternehmen sei, wurde auf Anhang 8 des Lärmsanierungsprojekts verwiesen, wo bei jeder Liegenschaft die zu treffende Massnahme aufgeführt sei.

Zur vom Beschwerdeführer verlangten Prüfung der Temporeduktion gab der Ingenieur an, ein Gutachten über Tempo 30 übersteige das Wissen eines Akustikers. Dazu müsse ein Verkehrsingenieur beigezogen werden. Nach einer Faustformel könne man sagen, eine Reduktion der Geschwindigkeit um 10 km/h bringe eine Lärmreduktion von 1 dB(A). Die Unsicherheit sei jedoch wegen des Motorenund des Rollgeräuschs hoch. Die Vertreter des BJD hielten in diesem Zusammenhang nachdrücklich fest, es werde sehr wohl koordiniert. Der Projektleiter und der Kreisleiter würden auch die Akustikabteilung beiziehen. Die Gemeinde und das Amt für Umwelt würden ebenfalls miteinbezogen. Mit einem lärmdämmenden Belag seien die Grenzwerte weitgehend eingehalten. Die wirtschaftliche Tragbarkeit sei ein wichtiger Faktor. Nun würden die Kriterien für eine vorgängige Grobanalyse ausgearbeitet. Tempo 30 werde aber die grosse Ausnahme bleiben.

Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde im Hauptpunkt gut. Der angefochtene Entscheid vermag den Anforderungen an eine Sanierungsverfügung nicht zu genügen und Ziff. 3.1 bis 3.3 sowie Ziff. 3.5 des Entscheids-Dispositivs sind aufzuheben. Das BJD hat namens des Regierungsrats verbindlich aufzuzeigen, mit welchen Massnahmen welcher Strassenabschnitt in Nunningen bis zu welchem Zeitpunkt saniert werden muss. Gleichzeitig ist auch festzulegen, was dereinst zu unternehmen sein wird, wenn die akustische Lebensdauer des neuen Strassenbelags abgelaufen ist. Entsprechend anzupassen und zu nennen sind die Liegenschaften, bei welchen Erleichterungen gewährt werden sollen.


Aus den Erwägungen:

2. Was die vom AVT selber vorgenommene Ergänzung des Lärmsanierungsprojekts in Ziff. 5.1 nach der Auflage anbelangt, ist die Rüge des Beschwerdeführers zur Gehörsverletzung grundsätzlich gerechtfertigt. Wird eine solche Ergänzung vorgenommen, ist sie den möglichen Drittbetroffenen zur Kenntnis zu bringen. Dass der umstrittenen Textpassage grössere Bedeutung zukommt, als dies vom BJD dargestellt wird, zeigt das nun anhängige Verfahren. Immerhin wird mit diesem Text die Kritik des Verwaltungsgerichts im Fall Derendingen aufgenommen und die Problematik der Lärmminderung mittels Temporeduktion thematisiert. Wie der Beschwerdeführer zu Recht einräumt, ist der angefochtene Entscheid transparent und macht auf dieses Vorgehen aufmerksam. Der Gehörsmangel kann jedenfalls als geheilt gelten, zumal dem Verwaltungsgericht volle Kognition zukommt (§ 67bis Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes [VRG, BGS 124.11]) und eine Rückweisung einem prozessualen Leerlauf gleichkäme.

3. Bei der Kantonsstrasse in Nunningen handelt es sich um eine bestehende ortsfeste Altanlage im Sinn von Art. 7 Abs. 7 und Art. 2 Abs. 1 LSV, deren Betrieb und Nutzung zu Überschreitungen der massgebenden Immissionsgrenzwerte führt und die daher nach den Bestimmungen von Art. 16 Abs. 1 USG und Art. 13 ff. LSV saniert werden muss und zwar so weit, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist (Art. 11 Abs. 2 USG; Art. 13 Abs. 2 lit. a LSV). Ziel der Sanierung ist, zumindest eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte zu vermeiden (Art. 13 Abs. 2 lit. b LSV). Die Vollzugsbehörde gewährt Erleichterungen, soweit die Sanierung unverhältnismässige Betriebseinschränkungen oder Kosten verursachen würde oder wenn überwiegende Interessen namentlich des Ortsbild-, Naturund Landschaftsschutzes, der Verkehrsund Betriebssicherheit sowie der Gesamtverteidigung der Sanierung entgegenstehen (Art. 17 USG und Art. 14 Abs. 1 LSV).

3.1 Bei der Gewährung von Erleichterungen wird die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte in einer bestimmten Situation zugelassen. Es handelt sich um eine Ausnahmebewilligung, deren Erteilung nur in Sonderfällen erfolgen soll. Die Gewährung von Erleichterungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv gehandhabt werden und setzt voraus, dass die in Betracht kommenden Sanierungsmassnahmen und ihre Auswirkungen hinreichend geprüft werden (Urteil 1C_74/2012 des Bundesgerichts vom 19. Juni 2012 E. 3.1; 1C_496/2009 vom 16. Juli 2010 E. 3.1, in: URP 2010 S. 729; RDAF 2011 I S. 468; Urteil 1C_45/2010 vom 9. September 2010 E. 2.1, in: URP 2010 S. 625). Allerdings müssen im Plangenehmigungsverfahren nicht alle denkbaren Alternativen im Detail projektiert werden. Varianten, die erhebliche Nachteile aufweisen oder offensichtlich unverhältnismässig scheinen, dürfen nach einer ersten summarischen Prüfung aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden werden (Urteil 1C_74/2012 E. 3.1).

3.2 Gemäss Dispositiv-Ziff. 3.3 des angefochtenen Beschlusses werden die Immissionsgrenzwerte bei 23 Liegenschaften sowie bei 13 erschlossenen und nur teilweise überbauten Parzellen «auch nach der Sanierung» überschritten. Für diese Grundstücke hat der Regierungsrat darum Erleichterungen nach Art. 14 LSV gewährt. Was unter der erwähnten Sanierung zu verstehen ist, geht aus dem Beschluss nicht hervor. Zur Begründung für die Erleichterungen werden im Lärmsanierungsprojekt einerseits die fehlende Wirksamkeit von Lärmschutzwänden (aufgrund der Lage bzw. Erschliessung der betroffenen Gebäude) oder deren Widerspruch zum Ortsbildschutz genannt. Bei den nur teilweise überbauten Parzellen böten Lärmschutzwände keine Lösung, da weder Erschliessung noch architektonische Gestaltung der dereinstigen Bauten heute schon bekannt seien. Das Projekt geht darum davon aus, in diesen Fällen sei der Belagsersatz die einzig mögliche Massnahme an der Quelle mit quantifizierbarer Wirkung. Das Strassenunterhaltsprogramm des Kantons Solothurn sehe periodische Belagserneuerungen vor. Im Rahmen dieser Erneuerung werde auf der Zullwilerstrasse und auf der Grellingerstrasse ein ACMR8-Belag eingebaut (Lärmsanierungsprojekt S. 16). Damit sollen die Lärmbelastungen bei sieben Gebäuden und drei weiteren Parzellen unter den Immissionsgrenzwert gesenkt werden. Verbleiben würden die erwähnten 23 Gebäude und 13 teils unüberbauten Parzellen. Anhang 8 des Lärmsanierungsprojekts beinhaltet sodann eine detaillierte Zusammenstellung der Erleichterungsanträge, in welchen auch die vorgesehenen Massnahmen dargestellt werden. Möglich wäre nach den einzelnen Formularen eine Belagssanierung, eine Geschwindigkeitsbegrenzung, eine Lärmschutzwand oder Schallschutzfenster/Lüfter. Angekreuzt ist in verschiedenen Fällen die Belagssanierung, die anderen Massnahmen gelangen nirgends zur Anwendung. Im Dispositiv des angefochtenen RRBs fehlen indes sämtliche Angaben zu den vorgesehenen Sanierungsmassnahmen: Weder wird festgelegt, was genau zu unternehmen ist (namentlich die Belagserneuerung findet keine Erwähnung), noch finden sich darin verbindliche Fristen, bis wann diese Massnahmen realisiert sein müssen. Die blosse Genehmigung des Lärmsanierungsprojekts und die Gewährung von Erleichterungen stellen keine Sanierung im Sinne der vorbeschriebenen gesetzlichen Bestimmungen dar. Eine verbindliche Verpflichtung zur Vornahme effektiver Bemühungen zur Lärmverminderung fehlt gänzlich.

3.3 Wie die Instruktionsverhandlung ergeben hat, soll im Rahmen des nun anstehenden Strassensanierungsprojekts auf der Zullwilerstrasse ein neuer Belag des Typs «SDA 8b» eingebaut werden, bei dem es sich um semidichten Asphalt handle und der in einer Anfangsphase eine Lärmreduktion von 6 bis 7 dB(A) bewirke. Am Ende der Lebensdauer sei immer noch von einer Reduktion um 2 dB(A) auszugehen. Die «akustische» Lebensdauer eines solchen Belags betrage ca. 10 bis 15 Jahre. Eine solche Belagserneuerung ist auch für die Grellingerstrasse vorgesehen. Der Zeithorizont dort wird auf 2016/2017 festgelegt. Auch der Beschwerdeführer nahm zustimmend zur Kenntnis, dass mit einer derartigen Reduktion die Immissionsgrenzwerte weitgehend eingehalten werden können. Auf die mangelnde Koordination zwischen Lärmsanierungsund Strassenbauprojekt angesprochen, wehrten sich die Vertreter des BJD. Eine solche finde sehr wohl statt. Umso mehr hat diese aber Eingang in den Sanierungsbeschluss der Regierung zu finden: In diesem ist aufzuzeigen, anhand welcher Belagsarbeiten an welchen Strassenabschnitten wann welche Grenzwerte eingehalten werden sollen. Es kann nicht angehen, die gesetzlich vorgeschriebene Lärmsanierung der Kantonsstrassen dergestalt vorzunehmen, dass einfach die Überschreitungen festgestellt und dann für die betroffenen Liegenschaften Erleichterungen erteilt werden. Nachdem offenbar bekannt ist, dass im Rahmen der anstehenden Strassenbauarbeiten lärmdämmender Belag verwendet wird, ist umso weniger einzusehen, warum dies im Sanierungsbeschluss nicht erwähnt wird. In der vorliegenden Form jedenfalls vermag der angefochtene Beschluss den Anforderungen an eine Sanierung im Sinn von Art. 16 USG und Art. 13 ff. LSV nicht zu genügen. Sonst bestünde die Verpflichtung, bei jedem Strassenbauprojekt bzw. bei jeder Belagserneuerung wieder zu sanieren. Und erfordert die Sanierung bewilligungspflichtige Änderungen der Anlage, so sind das Sanierungsund das Baubewilligungsverfahren (oder das nach Spezialgesetz, z.B. Strassenbaugesetz, vorgesehene Bewilligungsverfahren) zu koordinieren (André Schrade / Heidi Wiestner in: Kommentar USG, Zürich 2001, Art. 16 USG N 87). Auch dies lässt der angefochtene Beschluss vermissen, selbst wenn diese Koordination faktisch stattgefunden haben mag. Das Resultat hat in den Sanierungsentscheid mit einzufliessen.

4. Der Vollständigkeit halber sei dennoch auf die Norm eingegangen, welche vor der Instruktionsverhandlung im Zentrum des vorliegenden Beschwerdeverfahrens stand, nämlich Art. 108 Abs. 2 SSV. Dieser zählt die Gründe, welche eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit erforderlich machen können, abschliessend auf: Eine Gefahr ist nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben (lit. a); bestimmte Strassenbenützer bedürfen eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes (lit. b); es kann auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert (lit. c) oder es kann eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden (lit. d). Einschränkend sieht Art. 32 Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG, SR 741.01) vor, dass die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur aufgrund eines Gutachtens heraboder heraufgesetzt werden darf. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen. Art. 108 Abs. 4 SSV nimmt darauf Bezug und präzisiert, dass vor der Festlegung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten durch ein Gutachten (Art. 32 Abs. 3 SVG) abgeklärt wird, ob die Massnahme nötig (Abs. 2), zweckund verhältnismässig ist oder ob andere Massnahmen vorzuziehen sind. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die Massnahme auf die Hauptverkehrszeiten beschränkt werden kann. Ausnahmsweise und bei besonderen örtlichen Gegebenheiten kann aber auch ein Hauptstrassenabschnitt in eine Tempo-30-Zone einbezogen werden, namentlich in einem Ortszentrum oder in einem Altstadtgebiet (Art. 2a Abs. 6 SSV).

4.1 Unbestritten ist, dass dazu kein Gutachten im Sinn von Art. 108 Abs. 2 SSV zu Auswirkungen einer Temporeduktion eingeholt worden ist. Der Regierungsrat rechtfertigt diesen Verzicht mit einer sogenannten «Grobanalyse», aufgrund welcher klar gewesen sei, dass eine Herabsetzung der Geschwindigkeit unverhältnismässig wäre. Das BJD geht in der von ihm vorgenommenen Ergänzung in Ziff. 5.1 des Projekts einleitend davon aus, eine Veränderung der heute signalisierten Geschwindigkeiten oder andere verkehrsberuhigende oder beschränkende Massnahmen seien aufgrund der Bedeutung der hier untersuchten Kantonsstrassen als verkehrsorientierte Hauptverkehrsstrassen nicht möglich resp. wären nicht zweckund verhältnismässig und würden dementsprechend im Lärmsanierungsprojekt auch nicht vorgesehen. Weiter wird u.a. ausgeführt, mit der Einführung von Tempo 30 könnte theoretisch je nach Streckenabschnitt und Beurteilungszeitraum eine Lärmminderung von ca. 1.0 dB(A) tags und ca. 1.5 dB(A) nachts erwartet werden, sofern die Strasse entsprechend baulich umgestaltet und dieses Geschwindigkeitsregime von den Fahrzeuglenkern auch tatsächlich respektiert würde. Damit würde sich die Höhe der einzelnen Immissionsgrenzwerte reduzieren, nicht aber die Überschreitung an sich. Die zu erwartende Lärmminderung dürfte nach Ansicht des BJD «bestenfalls an der Grenze der Wahrnehmbarkeit» liegen. Weiter heisst es im Lärmsanierungsprojekt u.a., gemäss Strassengesetz bildeten die Kantonsstrassen zusammen mit den Nationalstrassen das übergeordnete Strassennetz. Sämtliche untersuchten Strassen dienten dem überregionalen Verkehr und seien regionale Hauptverbindungen. Der Kanton Solothurn richte sich nach dem bfu-Modell Tempo 50/30 (dazu sogleich), welches das innerörtliche Strassennetz in siedlungsund verkehrsorientierte Strassen unterteile. Um die verkehrsorientierten Strassen (Kantonsstrassen und wichtige Gemeindestrassen) für den fliessenden Verkehr attraktiv und leistungsfähig zu halten, sehe dieses Modell vor, darauf das generell geltende Temporegime von 50 km/h beizubehalten. Bei den Strassen in Nunningen handle es sich um im Innerortsbereich genügend breite, gut ausgebaute, verkehrsorientierte Kantonsstrassen mit einseitigen und teilweise beidseitigen Trottoirs. Der Gesamtverkehr zwischen 1200 und 4000 Fahrzeugen pro Tag (durchschnittlicher Tagesverkehr [DTV] 2010) bestehe überwiegend aus Durchgangsverkehr. Die für die Fussgänger vorhandenen Anlagen entsprächen den aktuellen Erkenntnissen zur Verkehrssicherheit. Es bestehe keine Häufung von Unfällen, die eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit notwendig machen würde. Beobachtungen hätten gezeigt, dass die Fahrweise infolge der diversen Einfahrten, Erschliessungen, Parkierungsanlagen und der gekrümmten Strassengeometrie als stetig wahrgenommen werde. Dadurch reduziere sich das effektiv zu erreichende Lärmminderungspotential zusätzlich. Entlang der Kantonsstrassen seien keine Sicherheitsdefizite oder betrieblichen Defizite vorhanden, die nur mit Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit behoben werden könnten. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung als Lärmsanierungsmassnahme könne nicht ohne Umgestaltung des jeweiligen Strassenraums verfügt werden. Es brauche hierfür weitere flankierende Massnahmen im Rahmen eines Strassenbauprojekts. Für die Realisierung von baulichen Massnahmen fehle auch die Voraussetzung einer Erwähnung im kantonalen Bauprogramm für die Kantonsstrassen. Solche Strassenprojekte, welche vom Kantonsrat beschlossen würden, seien entlang der Hauptund Büsserachstrasse in Fehren (sic!) nicht vorgesehen. Zusammenfassend wird festgehalten, unter Berücksichtigung der Funktion der vorliegenden Kantonsstrassen, der grossen Anzahl der Verkehrsteilnehmenden und der hohen Kosten für bauliche Umgestaltung würden eine Herabsetzung der Geschwindigkeit oder andere verkehrsbeschränkende Massnahmen zur Vermeidung der Lärmbelastung als nicht zweckmässig und unter Berücksichtigung des erreichbaren, insgesamt geringen lärmtechnischen Nutzens als nicht verhältnismässig eingestuft. Die rechtlichen

4.2 Offenbar handelt es sich bei den soeben zitierten Ausführungen um Textbausteine, die seit dem Entscheid des Verwaltungsgerichts in Sachen Derendingen standardmässig Eingang in die anhängigen Lärmsanierungsprojekte finden. Die kantonale Fachstelle nimmt eine «Grobanalyse» vor und legt das Hauptgewicht auf die Charakterisierung der betroffenen Strassenzüge: Gilt ein solcher als «verkehrsorientiert», fällt aus Sicht des Departements eine Geschwindigkeitsreduktion von vornherein ausser Betracht. Tempo 30 soll demnach höchstens für «siedlungsorientierte» Strassen geprüft werden. Mit diesem Vorgehen nimmt das BJD eine antizipierte Würdigung der Verhältnismässigkeit allfälliger Temporeduktionen vorweg, welche das Instrument der Lärmreduktion mittels Geschwindigkeitsherabsetzung auf Hauptstrassen gar nie zulässt, sind doch diese immer «verkehrsorientiert». Wenn sich das Departement dazu auf die Fachbroschüre «Tempo-30-Zonen» der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) stützt, verkennt es, dass diese Broschüre einzig den Sicherheitsaspekt der 30er-Zone beleuchtet, sich aber mit keinem Wort zur allenfalls möglichen Lärmverminderung äussert. Im Übrigen hat das Bundesgericht schon in BGE 136 II 539 E. 2. 3 S. 546 festgehalten, der Broschüre der bfu komme nicht der Charakter eines Rechtssatzes oder einer Weisung zu, weshalb hierauf nicht abzustellen sei. Dass auch auf Hauptstrassen eine Herabsetzung der generellen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h denkbar ist, wurde ebenfalls in BGE 136 II 539 E. 2.2 f. S. 544 f. festgestellt und im Urteil 1C_45/2010 (Zug) bestätigt. Im letztzitierten Fall hatten es die kantonalen Behörden ebenso von vornherein als unzweckmässig erachtet, eine Temporeduktion für Hauptstrassen überhaupt näher zu prüfen, was vom Bundesgericht gerügt wurde. Und schliesslich wurde in BGE 139 II 145 (E. 2 bis 5) wiederum der Einbezug einer Hauptstrasse im Ortskern in eine Tempo-30-Zone als gerechtfertigt erachtet, wenn auch aus Gründen der Verkehrssicherheit.

4.3 Zwar ist dem federführenden BJD zuzugestehen, dass nicht in jedem Fall automatisch ein Gutachten einzuholen sein wird. Die Ausführungen der Beteiligten anlässlich der Instruktionsverhandlung haben denn auch gezeigt, dass vorliegend mit den geplanten Belagserneuerungen wohl wirksamere Lärmreduktionen erreicht werden dürften als mit der Einführung von Tempo 30. Immerhin sei angemerkt, dass etwaige Auswirkungen einer Geschwindigkeitsherabsetzung auf den Busverkehr weniger dramatisch ausfallen dürften als in der Vernehmlassung ans Verwaltungsgericht dargelegt. Auch sind sie nicht geeignet, als «Killerargument» gegen jedwede Temporeduktion herzuhalten. In Münsingen etwa sank die Durchfahrtszeit aufgrund einer Verstetigung des Verkehrs trotz Reduktion der signalisierten Geschwindigkeit von über 2,5 Minuten auf unter 2 Minuten (Beat Obrist: Lärmsanierung an der Quelle durch Tempo 30, Fachhochschule Nordwestschweiz, 4. Dezember 2013, S. 14).

Die Vertreter des BJD haben dargetan, dass derzeit ein Kriterienkatalog für die erwähnte Grobanalyse ausgearbeitet wird. Im vorliegenden Fall darf aufgrund der vorgesehenen Sanierungsmassnahmen mittels Belagserneuerung von weiteren Abklärungen abgesehen werden, nachdem auch der Beschwerdeführer zur Kenntnis nehmen durfte, dass die Immissionsgrenzwerte mit den Lärmdämmungen weitgehend eingehalten werden und sogar eine grössere Lärmreduktion als durch eine Geschwindigkeitsherabsetzung resultieren dürfte. Wird aber künftig auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet, sind selbst in einer «Grobanalyse» detailliertere Abklärungen nötig als die abstrakten Ausführungen, die nun in das Lärmsanierungsprojekt eingefügt wurden. Angelehnt werden kann dabei etwa an die «Vollzugshilfe Temporeduktion auf Kantonsstrassen Kanton Aargau», die acht Kriterien aufstellt, anhand derer in einem ersten Schritt geprüft wird, ob ein Gutachten nötig ist. Wird diese Grobanalyse vor der Fertigstellung des Lärmsanierungsprojekts vorgenommen, kann das allenfalls erforderliche Gutachten unter zusätzlichem Beizug eines Verkehrsingenieurs direkt in diesem Rahmen erstellt werden. Damit dürften auch die Gutachtenskosten tiefer gehalten werden. Die übrigen finanziellen Gründe, welche der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung als Hinderungsgrund für etwaige Temporeduktionen nennt, können wohl in einer späteren Interessenabwägung berücksichtigt werden, eine solche aber nicht vorweg nehmen. Eine vorgelagerte «Grobanalyse» ist also nicht per se unzulässig. Was jedoch nicht angehen kann, ist, sogenannt «verkehrsorientierte» Strassen vorab von Temporeduktionen auszunehmen.

4.4 Nicht ausschlaggebend ist, ob die Immissionsgrenzwerte mittels Geschwindigkeitsherabsetzung unterschritten werden können. Der Verordnungswortlaut ist klar und unmissverständlich: Nach Art. 108 Abs. 2 lit. d SSV genügt es, wenn eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann (dazu auch der vom Beschwerdeführer zitierte Entscheid des Bundesrats VPB 65.87 vom 27. November 2000 E. 4b). Unbestritten ist auch, dass die möglichen Lärmminderungen je nach konkretem Fall in keinem akzeptablen Verhältnis zu den dafür notwendigen Aufwendungen stehen können. Dies von vornherein generell für Hauptstrassen zu prognostizieren, ist indes unzulässig und stellt eine unzureichende Sachverhaltsfeststellung dar.

4.5 Dass Temporeduktionen bei stark befahrenen Strassen zur Verbesserung des Verkehrsflusses und damit einhergehend auch zu deutlich wahrnehmbaren Lärmminderungen beitragen können, hat das Verwaltungsgericht mit Blick auf diverse Erfahrungen in E. 5.4 des Entscheids VWBES.2013.143 aufgezeigt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) führt in seinem Faktenblatt «Strassenlärm an der Quelle bekämpfen» vom 29. April 2014 aus, die Herabsetzung der Geschwindigkeit sei eine einfache Massnahme, um den Strassenverkehr leiser zu machen. So verringere Tempo 30 etwa die Lärmemissionen im Vergleich zu Tempo 50 um zwei bis drei dB(A). Auch in Deutschland wurden unterschiedliche Versuche mit der Einführung von Tempo 30 gemacht. Namentlich in Berlin wurde an verschiedenen Orten nachts Tempo 30 angeordnet. Die Lärmminderungen lagen im Bereich von 0.6 dB(A) bei guter Fahrbahnoberfläche, bis 2.1 dB(A) bei schlechter Fahrbahnfläche. In Jena wurde 2010 zur Reduktion der nächtlichen Lärmimmissionen auf der Bundesstrasse Tempo 30 eingeführt. Dort waren die Resultate etwas besser als in Berlin, es konnten Reduktionen um 2 dB(A) gemessen werden, die Häufigkeit hoher Schalldruckpegel reduzierte sich um etwa die Hälfte. Am positivsten waren die Ergebnisse in Freiburg in Breisgau, wo mit Tempo 30 statt 50 Pegelreduzierungen im Bereich von 3.1 dB(A) nachgemessen wurden (Zusammenstellung bei Beat Obrist, a.a.O., Ziff. 3). Inzwischen liegen auch für die Schweiz weitere Erhebungen vor: Im Rahmen der in E. 3.5 hiervor erwähnten Masterarbeit wurden der Verkehr und das Fahrverhalten bei der Einführung von Tempo 30 auf einer Versuchsstrecke, dem Geissensteinring in Luzern, untersucht (Beat Obrist: Lärmsanierung an der Quelle durch Tempo 30, Fachhochschule Nordwestschweiz, 4. Dezember 2013). Indem der Autor die Resultate aus seinem Versuch mit den bereits vorliegenden Studienergebnissen verglich, gelangte er zum Schluss, der Effekt von Tempo 30 sei nur schwierig zu verallgemeinern. Sowohl die örtlichen Gegebenheiten, der Verkehr in der Ausgangssituation (Verkehrsmenge, effektive Geschwindigkeiten), die sorgfältige Planung wie auch die effektiv erzielte Geschwindigkeitsreduktion seien wesentliche Faktoren, die bei der Beurteilung mitberücksichtigt werden müssten (Obrist, a.a.O., S. 5 und 50). Diese Erwägungen belegen, dass zu schematisches Vorgehen bei der Beurteilung möglicher Temporeduktionen nicht zielführend ist.

Verwaltungsgericht, Urteil vom 22. Juli 2014 (VWBES.2013.406)

 



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