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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 91 352
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 91 352 vom 29.10.1992 (LU)
Datum:29.10.1992
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 5 Abs. 3 KUVG. Ein Vorbehalt der Krankenkasse für Mammahypertrophie ist nur zulässig, wenn diese selber primäre Beschwerden verursacht. Ist sie die Ursache für sekundäre Beschwerden, d. h. wirkt sie sich in gesundheitsschädigender Weise auf andere Organe oder Körperteile aus, hat die Hypertrophie selber nicht Krankheitswert.
Schlagwörter: Krankheit; Versicherung; Mammahypertrophie; Kasse; Brust; Schwangerschaft; Ptose; Beschwerden; Rücken; Schmerzen; Versicherungsvorbehalt; Krankheitswert; Kassen; Hypertrophie; Bestanden; Verursacht; Versicherungsgericht; Urteil; Ptose; Eidgenössische; Rückwirkende; Brusthypertrophie; Gesundheit; Störungen; Worden; Krankheiten; Behebung; Brüste; Rückfällen; Beitritt
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:110 V 309; 111 V 28; 116 IV 128; 116 V 240;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
A. - Am 18. August 1990 beantragte A mit Wirkung auf den 1. Oktober 1990 den Beitritt zur Christlich-Sozialen der Schweiz (CSS). Krankheiten und Unfälle in den letzten fünf Jahren verneinte sie in der Gesundheitsdeklaration und bezeichnete sich zur Zeit des Antrages als gesund. In der Folge bewilligte die CSS per 1. Oktober 1990 sämtliche von A beantragten Versicherungszweige vorbehaltslos...

Am 8. November 1990 teilte Dr. med. B, Chefarzt für Ästhetische Chirurgie am Kantonsspital Aarau, dem Vertrauensarzt der CSS mit, bei A bestehe eine mittelstark ausgeprägte Mammahyperplasie mit Ptose. Die Patientin klage über Schulterund Rückenschrnerzen sowie Einschneiden des BH-Trägers. Es sei daher eine Mammareduktionsplastik vorgesehen, welche er der Krankenkasse zur Kostenübernahme empfehle. Am 19. Juli 1991 verfügte die CSS für die Dauer vom 1. Oktober 1990 bis 1. Oktober 1995 auf der Krankenpflegeversicherung, der obligatorischen Zusatzversicherung für Spitalkosten und der kombinierten Spitalversicherung einen rückwirkenden Versicherungsvorbehalt für «Brusthypertrophie und Ptose».

B. - Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A die Aufhebung der obigen Verfügung beantragen, verbunden mit der Feststellung, dass sie auf die Versicherungsleistungen gemäss Versicherungsvertrag vom 1. Oktober 1990 vorbehaltlos Anspruch habe. Die Schmerzen im oberen Rückenbereich seien erst infolge zu grosser Brüste seit der Geburt der Tochter im März 1990 aufgetreten. Grosse Brüste seien in der Regel durch eine Schwangerschaft und das Stillen hormonal bedingt. Sie habe damals geglaubt, die Schmerzen würden mit der Zeit wieder verschwinden. Seit der Geburt ihrer Tochter bis zum Beitritt zur CSS habe für sie kein Anlass bestanden, ihren guten Gesundheitszustand in Frage zu stellen. Ungefähr einen Monat nach dem Kassenbeitritt habe sie ihren Gynäkologen Dr. med. C konsultiert, da die Schmerzen beträchtlich zugenommen hätten. Dieser habe festgestellt, dass die zu grossen Brüste die Schmerzen verursachten. Diesen sei durch eine Brustverkleinerung beizukommen. Diese Ansicht vertrete auch Dr. B.

Die CSS schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A habe sich in der Beitrittserklärung als gesund bezeichnet und ärztliche Behandlungen in den letzten fünf Jahren verneint. Dies widerspreche dem Arztbericht von Dr. C vom 7. Mai 1991, wonach sie schon vor der Schwangerschaft, angeblich seit der Pubertät, Rückenund Nackenschmerzen verspürt habe. Die Beschwerden seien durch die Schwangerschaft deutlich verstärkt worden. Somit seien die Leiden bereits seit einiger Zeit bekannt gewesen und nicht durch die Schwangerschaft ausgelöst worden. Selbst wenn sie durch die Schwangerschaft entstanden sein sollten, hätte A sie nicht als Bagatelle einstufen dürfen, sei doch für deren Behebung eine Operation empfohlen worden.

Aus den Erwägungen:

1. - Gemäss Art. 5 Abs. 3 KUVG darf die Aufnahme in die Kasse nicht aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Schwangerschaft abgelehnt werden. Die Kassen können jedoch Krankheiten, die bei der Aufnahme bestehen, durch einen Vorbehalt von der Versicherung ausschliessen; das gleiche gilt für Krankheiten, die vorher bestanden haben, sofern sie erfahrungsgemäss zu Rückfällen führen können. Der Versicherungsvorbehalt fällt spätestens nach fünf Jahren dahin.

Hat eine Kasse bei der Aufnahme oder Höherversicherung eines Mitgliedes keinen Versicherungsvorbehalt angebracht, so darf sie einen solchen später nicht mehr verfügen, es sei denn, der Gesuchsteller habe in schuldhafter Weise eine bestehende oder eine vorher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit nicht angezeigt. Unter dieser Voraussetzung kann sie innerhalb Jahresfrist, seitdem sie vom schuldhaften Verhalten des Gesuchstellers Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, spätestens aber nach fünf Jahren einen rückwirkenden Versicherungsvorbehalt anbringen (BGE 110 V 309 Erw. 1 mit Hinweisen).

Schuldhaft verletzt ein Aufnahmebewerber oder ein Versicherter die Anzeigepflicht, wenn er der Kasse auf deren Frage hin eine bestehende Krankheit oder eine vorher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit nicht anzeigt, obwohl er darum wusste oder bei der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit darum hätte wissen müssen (BGE 111 V 28, 110 V 310 Erw. 1).

2. - Die CSS brachte nachträglich den rückwirkenden Vorbehalt «Brusthypertrophie und Ptose» an. Es ist streitig, ob dieses Vorgehen zulässig war.

a) Gegenstand eines Versicherungsvorbehaltes kann nur eine Krankheit bilden (RKUV 1991 S. 23). Der Krankheitsbegriff lässt sich angesichts der Vielfalt möglicher krankhafter Erscheinungen schwer in eine genaue Definition fassen. Daher wird man die Frage, ob ein Versicherter an einer Krankheit im Sinne des KUVG leidet oder nicht, nach den Besonderheiten des Einzelfalles beantworten. Immerhin wird man kaum je von Krankheit sprechen können, wenn nicht Störungen vorliegen, die durch pathologische Vorgänge verursacht worden sind. Beim Begriff Krankheit handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der sich nicht notwendigerweise mit dem medizinischen Krankheitsbegriff deckt (BGE 116 V 240 Erw. 3a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 116 IV 128 Erw. 2a).

b) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hatte sich schon wiederholt mit der Leistungspflicht in der sozialen Krankenversicherung bei Mammahypertrophie zu befassen. Im in RSKV 1972 S. 77 publizierten Urteil nahm es an, dass die Mammahypertrophie der Versicherten die Ursache der Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und des Schultergürtels sei, denen ohne Zweifel Krankheitswert im Rechtssinne zukomme. Die Frage, ob die Mammahypertrophie an sich als Krankheit zu betrachten sei oder nicht, liess es im zitierten Urteil offen. Diese Rechtsprechung wurde in RKUV 1986 S. 226 bestätigt, wobei das Eidgenössische Versicherungsgericht es als nicht erwiesen erachtete, dass die Reduktionsplastik zur Behebung der Brustund Rückenschmerzen gedient habe, die innert kurzer Zeit zugenommen und einen sofortigen chirurgischen Eingriff erfordert hätten. In den unveröffentlichten Urteilen B. vom 19. Oktober 1988 und H. vom 28. Februar 1989 erklärte das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass die operative Behebung der Mammahypertrophie zu den Leistungspflichten der Krankenkassen gehöre, soweit mit ihr Folgeerscheinungen mit Krankheitswert der Hypertrophie angegangen werden. Die Frage, ob der Mammahypertrophie als solcher Krankheitswert zukomme, beantwortete es auch in diesen beiden Urteilen nicht. Immerhin hatte es in RSKV 1979 S. 259 erklärt, die Grösse eines Körperteils oder Organs an sich sei noch kein Kriterium für deren Gesundheit oder Krankheit, da jedenfalls gewisse Grössenunterschiede im Rahmen des Normalen liegen würden. Beträchtlich ausserhalb der Norm liegende Masse könnten allenfalls eine Disposition zu Krankheitsanfälligkeiten bilden, aber die Disposition selber sei noch keine Krankheit. Das Gericht führte im zitierten Fall aus, dass die Versicherte keinen Anlass gehabt habe, in ihrem Gesuch um Höherversicherung die Mammahypertrophie zu erwähnen, da sie bis zum 42. Altersjahr unter der Hypertrophie nie gelitten habe und nicht nachgewiesen sei, dass sie von den Ärzten über einen allfälligen Zusammenhang zwischen ihrer Brustgrösse und den Rückenbeschwerden orientiert worden wäre (vgl. auch RKUV 1991 S. 247 und 303).

Zusammenfassend lässt sich aufgrund der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts folgendes feststellen: Die Mammahypertrophie an sich stellt grundsätzlich keine Krankheit dar. Krankheitswert kommt ihr bloss dann zu, wenn sie selber zu primären Beschwerden führt, zu Beschwerden also, die in der hypertrophen Brust selber auftreten. Ist die Mammahypertrophie lediglich die Ursache für sekundäre Beschwerden, d. h. wirkt sie sich in gesundheitsschädigender Weise auf andere Organe oder Körperteile aus und bewirkt sie dort Beschwerden, so hat nicht die Hypertrophie selber Krankheitswert, wohl aber möglicherweise die durch sie verursachten Störungen an diesem Organ oder Körperteil. Gleiches dürfte grundsätzlich auch dann gelten, wenn die Mammahypertrophie psychische Störungen zur Folge hat. Die dargelegte Differenzierung ist auch dann zu beachten, wenn in einem konkreten Fall die Frage geprüft werden muss, ob ein Vorbehalt für «Mammahypertrophie» angebracht werden darf oder nicht.

3. - Im vorliegenden Fall lautet der streitige rückwirkende Vorbehalt auf «Brusthypertrophie und Ptose». Dieser Vorbehalt wäre dann zulässig, wenn die Brusthypertrophie mit Ptose bis zum Zeitpunkt, als die Versicherte am 18. August 1990 um Aufnahme in die CSS ersuchte, primäre Beschwerden verursacht hätte. Dafür fehlt jedoch in allen Arztberichten jeglicher Anhaltspunkt; von der Kasse selber wird dies in den Rechtsschriften auch gar nicht geltend gemacht. Der Vorbehalt «Hypertrophie und Ptose» ist deshalb nicht zulässig, was zur Aufhebung der Kassenverfügung führt.

Eine andere Frage ist es, ob die Kasse allenfalls einen Vorbehalt für durch Mammahypertrophie bedingte Nackenund Rückenbeschwerden hätte verfügen dürfen. Darüber ist im heutigen Zeitpunkt nicht zu befinden, weil keine entsprechende Kassenverfügung darüber vorliegt (vgl. dazu RKUV 1991 S. 246 und 302).

4. -...

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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