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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 91 126
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 91 126 vom 22.05.1992 (LU)
Datum:22.05.1992
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1, Art. 12 Abs. 5 und 6 KUVG; Art. 21 Vo III KUVG; Anhang zur Vo 9 über die Leistungspflicht der anerkannten Krankenkassen für bestimmte diagnostische und therapeutische Massnahmen. Voraussetzung der Leistungspflicht bei methadonunterstützter Langzeitbehandlung.
Schlagwörter: Ziffer; Entwöhnung; Voraussetzung; Behandlung; Entwöhnungsbehandlung; Leistungspflicht; Voraussetzungen; Krankenkasse; Patient; Ziffern; Behandelnde; Methadonbehandlung; Mehrmonatigen; Lehrabschluss; Krankenkassen; Erfüllt; Methadonprogramm; Eidgenössische; Massnahme; Beschluss; Erfolglos; Konkordia; Versuche; Pflichtleistung; Langzeitbehandlung; Patienten; Fachkommission; ärztliche; Methadonunterstützte; Anerkannten
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
A. - A hat seit dem 18. Lebensjahr regelmässig Heroin konsumiert. Seit dem 27. Dezember 1989 ist er im Methadonprogramm. Eine stationäre Behandlung wurde nicht durchgeführt, da der Versicherte vor dem Abschluss seiner Schreinerlehre stand. Im Frühjahr 1990 machte er die Abschlussprüfungen, schaffte jedoch nur den schulischen Teil. Nach einem weiteren Lehrjahr bestand er die Prüfung schliesslich erfolgreich.

Mit Verfügung vom 19. Februar 1991 lehnte die Konkordia die Übernahme der Kosten der Methadonbehandlung ab, da bisher keine Entwöhnungsbehandlungen im Sinne der Verordnung 9 des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) vom 18. Dezember 1990 stattgefunden hätten.

B. - Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt A die Aufhebung der obigen Verfügung und die Übernahme der im Zusammenhang mit seinem Methadonprogramm stehenden Kosten.

Die Konkordia beantragt Abweisung der Beschwerde. Da keine einzige Entwöhnungsbehandlung erfolgt sei, könne nicht von einer erwiesenermassen erfolglosen Behandlung im Sinne der Vo 9 gesprochen werden.

Aus den Erwägungen:

1. - Die Leistungen der Krankenversicherung haben gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG bei ambulanter Behandlung mindestens die ärztliche Behandlung (lit. a), die von einem Arzt angeordneten, durch medizinische Hilfspersonen vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen (lit. b), die von einem Arzt verordneten Arzneimittel (lit. c), die von einem Arzt angeordneten Analysen (lit. d) und die Behandlung durch einen Chiropraktor (lit. e) zu umfassen. Der Bundesrat bezeichnet nach Anhören einer von ihm bestellten Fachkommission die Leistungen, Arzneimittel und Analysen, die von den Krankenkassen übernommen werden müssen (Art. 12 Abs. 5 und 6 KUVG). Die zur gesetzlichen Pflichtleistung gehörende ärztliche Behandlung umfasst die vom Arzt vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen. Diese sollen zweckmässig und wirtschaftlich sein (Art. 21 Abs. 1 Vo III KUVG). Ist umstritten, ob eine diagnostische oder therapeutische Massnahme wissenschaftlich, zweckmässig oder wirtschaftlich ist, so entscheidet das EDI nach Anhören der Fachkommission, ob die Massnahme als Pflichtleistung zu übernehmen ist (Art. 21 Abs. 2 Vo III KUVG). Das EDI kann nach Anhören der Fachkommission für die Gewährung von Pflichtleistungen Voraussetzungen festlegen, die der Sicherstellung einer zweckmässigen und wirtschaftlichen Behandlung dienen (Art. 21 Abs. 3 Vo III KUVG).

In dem im Anhang zur Verordnung 9 über die Leistungspflicht der anerkannten Krankenkassen für bestimmte diagnostische und therapeutische Massnahmen publizierten Beschluss vom 18. Dezember 1990 hat das EDI die Leistungspflicht für die methadonunterstützte Langzeitbehandlung Heroinabhängiger (strukturierte Methadonprogramme) bejaht, wenn eine Entwöhnungsbehandlung erwiesenermassen keinen Erfolg verspricht. In der Regel muss der Patient neben den Voraussetzungen eines bestimmten Mindestalters und einer Mindestdauer der Opiatabhängigkeit die weitere Voraussetzung erfüllen, dass mindestens zwei Versuche einer mehrmonatigen Entwöhnungsbehandlung erfolglos verlaufen sind; bei HIV-infizierten oder AIDS-kranken Patienten, die zu einer Entwöhnungsbehandlung nicht bereit sind, kann auf dieses Erfordernis verzichtet werden. Der behandelnde Arzt bestätigt dem Vertrauensarzt der Krankenkasse, dass die Indikationen nach Ziffer 1 gegeben sind oder warum eine Ausnahme zu machen ist.

2. - a) ...

b) Die Voraussetzungen, unter denen die methadonunterstützte Langzeitbehandlung von den Krankenkassen als Pflichtleistung übernommen werden muss, hat das EDI - wie gesagt - im Anhang zur Vo 9 näher umschrieben. Demnach ist die Leistungspflicht gegeben,

«1. wenn eine Entwöhnungsbehandlung erwiesenermassen keinen Erfolg verspricht. In der Regel müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

1.1 der Patient ist mindestens 20 Jahre alt;

1.2 seine Opiatabhängigkeit besteht seit mindestens 2 Jahren;

1.3 mindestens 2 Versuche einer mehrmonatigen Entwöhnungsbehandlung sind erfolglos verlaufen. Bei HIV-infizierten oder AIDS-kranken Patienten, die zu einer Entwöhnungsbehandlung nicht bereit sind, kann auf dieses Erfordernis verzichtet werden, um das Risiko einer Weitergabe der Infektion zu vermindern.»

In Ziffer 2 des Beschlusses werden die formellen Voraussetzungen umschrieben, welche erfüllt sein müssen, dass die Leistungspflicht der Krankenkassen bejaht werden kann. Im Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Fall interessiert vor allem die Ziffer 2.1: Der behandelnde Arzt hat dem Vertrauensarzt der Krankenkasse zu bestätigen, «dass die Indikationen nach Ziffer 1 gegeben sind oder warum eine Ausnahme zu machen ist».

Nach Auffassung der Konkordia bezieht sich die in Ziffer 2.1 erwähnte Ausnahme lediglich auf die in Ziffer 1.3 genannten HIV-infizierten und AIDS-kranken Patienten. Demgegenüber ist aufgrund der Systematik der Ziffern 1 und 2.1 folgendes festzustellen: Die Grundvoraussetzung für die Leistungspflicht besteht darin, dass eine Entwöhnungskur keinen Erfolg verspricht (Ziff. 1 Ingress, Satz 1). Diese Annahme rechtfertigt sich unter der dreifachen Voraussetzung, dass der Patient mindestens 20jährig ist, dass seine Opiatabhängigkeit seit mindestens 2 Jahren besteht und dass mindestens zwei Versuche einer mehrmonatigen Entwöhnungsbehandlung erfolglos verlaufen sind (Ziff. 1.1 bis 1.3). Diese drei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, verstehen sich nach dem Wortlaut des zweiten Satzes des Ingresses von Ziffer 1 ausdrücklich nur als «Regel». Ziffer 2.1 bezieht sich ausdrücklich auf die ganze Ziffer 1. In Ziffer 2.1 wird die ärztliche Bestätigung verlangt, dass die Voraussetzungen der Ziffern 1.1 bis 1.3 erfüllt sind; gegebenenfalls kann der behandelnde Arzt aber auch eine Erklärung abgeben, warum in einem konkreten Fall von den in den Ziffern 1.1 bis 1.3 statuierten Voraussetzungen abzuweichen ist, wobei eine solche Abweichung auch nicht medizinisch indiziert sein kann. Hätte das EDI die in Ziffer 2.1 erwähnten Ausnahmen auf die HIV-infizierten oder AIDS-kranken Patienten beschränken wollen, dann hätte es dies ausdrücklich durch die Erwähnung von Ziffer 1.3 sagen müssen. Indem es dies unterliess, hat es zu erkennen gegeben, dass die Ausnahmen alle drei Ziffern 1.1 bis 1.3 betreffen können. Diese Betrachtungsweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, das in einem Fall ohne weitere Begründung, aber mit dem Hinweis auf den in der Vo 9 verankerten EDI-Beschluss die Sache an die Krankenkasse zurückwies zur Abklärung, ob die betreffende Versicherte sich vor der Methadonbehandlung zweimal erfolglos einer mehrmonatigen Entwöhnungsbehandlung unterzogen habe oder ob ein Abweichen von dieser Regel gerechtfertigt sei (Urteil W. vom 5.5.1992).

Es versteht sich, dass die Begründetheit von Ausnahmen nicht leichtfertig angenommen werden darf. Indessen kann es in einem konkreten Fall angezeigt, ja sogar geboten sein, unter besonderen Umständen von der schematischen Anwendung der in Ziffer 1 statuierten Voraussetzungen abzuweichen. Wann solche Umstände gegeben sind, lässt sich nicht ein für allemal festlegen, sondern ist fallweise von den zuständigen Instanzen (behandelnder Arzt, Kasse, Richter) zu beurteilen. Entgegen der Auffassung der Konkordia gerät man keineswegs ins Uferlose, wenn in seltenen Ausnahmefällen die Leistungspflicht bejaht wird. Die Kassen und im Streitfall der Richter haben es in der Hand, die Grenzen abzustecken und Missbräuche zu verhindern.

c) Völlig unbehelflich ist der Einwand der Kasse, dass die Leistungspflicht der Krankenkassen für Methadonprogramme bis vor kurzem noch umstritten bzw. verneint worden sei, weil die Wissenschaftlichkeit der Massnahme umstritten war (vgl. RKUV 1987 S. 29). Nach der zweiten Auflage des Methadonberichts («Suchtmittelersatz in der Behandlung Heroinabhängiger in der Schweiz») der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission (Arbeitsgruppe «Methadon» der Subkommission «Drogenfragen») vom August 1989 ist der wissenschaftliche Wert der Methadonbehandlung nicht mehr bestritten. Am 31. August 1989 hat deshalb die Eidgenössische Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung die methadonunterstützte Langzeitbehandlung Heroinabhängiger zur Pflichtleistung der anerkannten Krankenkassen erklärt. Seither hat sich die rechtliche Situation bezüglich der Leistungspflicht bei Methadonbehandlung eben grundlegend geändert.

3. - Der im Jahre 1967 geborene Beschwerdeführer ist seit 1984/85 opiatabhängig. Laut den Berichten des behandelnden Arztes vom 14. September 1990/26. Februar 1992 wurden bisher bloss ambulante Entzugsversuche durchgeführt. Im Dezember 1989 wurde mit der Methadonbehandlung begonnen. Als Hauptgrund für die Methadonabgabe nennt der behandelnde Arzt «drogenbedingte Probleme in der Schule ¼ Jahr vor Lehrabschluss, nachdem der Pat. schon zweimal in Mittelschulen gescheitert war»; mit der Methadonabgabe habe man die Chance eines erfolgreichen Lehrabschlusses vergrössern wollen. Bei einer stationären Entwöhnung hätte die Lehre nach 2/3 Dauer wieder abgebrochen werden müssen. - Ergänzend lässt sich dazu den glaubwürdigen und in der Beschwerdevernehmlassung unwidersprochen gebliebenen Angaben des Versicherten entnehmen, dass dieser bei Beginn des Methadonprogramms sich im letzten Schreiner-Lehrjahr befand. Als ihm bewusst geworden sei, dass er als Drogenabhängiger die Lehrabschlussprüfung nicht bestehen würde, habe er selber einen Drogenentzug durchgeführt und sei während eines Monats sogar «sauber» geblieben. Wegen der erhöhten Belastung sei er aber rückfällig geworden, weshalb er seinen Arzt und die Beratungsstelle für Suchtprobleme in W aufgesucht habe. Die Frage nach einer stationären Behandlung sei damals diskutiert, jedoch wieder fallen gelassen worden, weil er vor dem Lehrabschluss gestanden habe und er seine berufliche Zukunft nicht habe gefährden wollen. Darauf sei mit der Methadonbehandlung begonnen worden. Neben der ärztlichen Behandlung würden regelmässig Gespräche mit der erwähnten Beratungsstelle stattfinden. Die Lehrabschlussprüfung habe der Beschwerdeführer inzwischen erfolgreich bestanden.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Lehrabschluss des entzugswilligen Beschwerdeführers, der damals bereits etwa 23jährig war, ernsthaft gefährdet gewesen wäre, wenn die Lehre relativ kurze Zeit vor ihrer Beendigung für die Durchführung von Versuchen von mehrmonatigen Entwöhnungskuren hätte unterbrochen werden müssen. Bei den geschilderten Gegebenheiten rechtfertigt es sich, die Leistungspflicht der Kasse für die methadonunterstützte Langzeitbehandlung im Sinne einer Ausnahme gemäss Ziffer 2.1 in Verbindung mit Ziffer 1.3 Satz 1 zu bejahen, ohne dass die Voraussetzung von zwei Versuchen einer mehrmonatigen Entwöhnungskur gegeben ist, zumal die Erfordernisse gemäss den Ziffern 2.2 bis 3.4 des EDI-Beschlusses offensichtlich ebenfalls erfüllt sind.

Die Leistungspflicht der Konkordia ist jedoch nur für die gegenwärtig laufende Behandlung gegeben und auch dies nur solange, als auch die Voraussetzungen der Ziffern 2 und 3 des EDI-Beschlusses erfüllt sind.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat die gegen dieses Urteil eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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