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Urteil Regierungsrat (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:RRE Nr. 373
Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Regierungsrat Entscheid RRE Nr. 373 vom 10.03.1998 (LU)
Datum:10.03.1998
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Gemeindeversammlung. Beschluss über den Voranschlag und Festsetzung des Steuerfusses. Gebot zur objektiven Information. Artikel 4 BV; §§ 110 Absatz 4 und 116 Absatz 1 StRG; § 80 Absatz 4 GG. Die Pflicht zur objektiven Information gilt auch für die Abstimmungserläuterungen zu einer Vorlage in einer Gemeindeversammlung. Zumindest bei komplexen Vorlagen wie dem Beschluss über den Voranschlag darf die Gemeindebehörde dabei davon ausgehen, dass die Stimmberechtigten die ihnen zugestellten amtlichen Unterlagen gelesen haben. - Es widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn jemand eine behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften an der Gemeindeversammlung widerspruchslos hinnahm und erst hinterher die Abstimmung wegen Formmangels anficht, wenn ein sofortiges Handeln nach den Verhältnissen geboten und zumutbar war.

Schlagwörter: Stimmberechtigte; Abstimmung; Steuerfuss; Stimmberechtigten; Gemeindeversammlung; Beschwerde; Versammlung; Gemeinderat; Beschwerdeführerin; Einheiten; Gemeindepräsident; Voranschlag; Nochmals; Gelte; Ablehnung; Vorlage; Protokoll; Steuerfusses; Zahlreiche; Stimme; Abstimmungsergebnis; Behörde; Stimmenzähler; Geltend; Anträge; Ergebnis; Vorgehen
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:104 I a 431; 105 I a 153; 106 I a 200; 115 I a 397; 121 I 12; 121 I 13;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
3. Gemäss § 165 Absatz 2 des Stimmrechtsgesetzes (StRG, SRL Nr. 10) ist eine Abstimmung im Beschwerdeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn Unregelmässigkeiten festgestellt sind, die Möglichkeit, dass sie das Abstimmungsergebnis entscheidend verändert haben, sich nicht ausschliessen lässt und eine Berichtigung durch den Beschwerdeentscheid nicht möglich ist. Die Vorschrift entspricht dem Verfassungsrecht des Bundes, das den Stimmberechtigten einen Anspruch darauf gibt, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht ihren freien Willen zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Das Abstimmungsergebnis kann namentlich durch eine unerlaubte Beeinflussung der Willensbildung der Stimmberechtigten verfälscht werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Behörde, die zu einer Sachabstimmung amtliche Erläuterungen verfasst, ihre Pflicht zu objektiver Information verletzt und über den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch oder in irreführender Weise orientiert (BGE 121 I 12 E. 5 b/aa, 114 I a 432 E. 4a, 105 I a 153 E. 3a). Generell gilt ein strenger Objektivitätsmassstab für die Abfassung von offiziellen Abstimmungserläuterungen. Die zuständige Behörde muss die Stimmberechtigten sachgerecht, korrekt, genau und grundsätzlich umfassend über die Vorlage informieren. Von Verfassungs wegen ist allerdings nicht erforderlich, dass bei der Abfassung des behördlichen Berichts zuhanden der Stimmberechtigten alle möglichen Gesichtspunkte berücksichtigt und sämtliche Einwendungen, die gegen die fragliche Vorlage vorgebracht werden können, erwähnt werden. Die Behörden sind nicht verpflichtet, eine Vorlage bis auf jede Einzelheit im Abstimmungsbüchlein darzustellen (BGE 105 I a 153 E. 3a; Jeanne Ramseyer, Zur Problematik der behördlichen Information im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen, Basel 1992, S. 43). Eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit ist erst anzunehmen, wenn die amtliche Erläuterung die für die Vorlage massgebenden Entscheidungsgrundlagen nicht enthält und die Stimmberechtigten sich dadurch keine Meinung über den eigentlichen Inhalt bilden können (Stephan Widmer, Wahlund Abstimmungsfreiheit, Zürich 1989, S. 264). Das ist etwa dann der Fall, wenn ausschlaggebende Entscheidungsgrundlagen den Stimmberechtigten vorenthalten werden, für die sie in der Vorlage selbst keine Anhaltspunkte finden können, und ihnen so ein falsches Bild über Zweck und Tragweite der Vorlage gegeben wird, sodass ihnen die Möglichkeit genommen ist, sich über deren eigentlichen Inhalt auszusprechen (BGE 106 I a 200 E. 4a; Gion-Andri Decurtins, Die rechtliche Stellung der Behörde im Abstimmungskampf, Freiburg 1992, S. 198; Ramseyer, a.a.O., S. 44). Die zuständige Behörde hat demnach eine sachgerechte Gewichtung und Auswahl der Entscheidungsunterlagen und Argumente zu treffen. Auch eine zu ausufernde, ohne sachgerechte Gewichtung der verschiedenen Aspekte abgefasste Abstimmungserläuterung kann daher mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Abstimmungsfreiheit kollidieren (Decurtins, a.a.O., S. 199; Ramseyer a.a.O., S. 44). Die zuständige Behörde hat im Spannungsfeld zwischen dem Kriterium der Kürze und demjenigen der Vollständigkeit über den Inhalt der Abstimmungsbotschaft zu entscheiden.

Diese Grundsätze gelten auch bezüglich des Versammlungsverfahrens (BGE 104 I a 431 E. 3a; Pierre Tschannen, Stimmrecht und politische Verständigung, Basel 1995, Absatznummer 217; Widmer, a.a.O., S. 122 ff., 174 f.). Dabei ist jedoch zu beachten, dass es dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht, wenn jemand eine behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften an der Gemeindeversammlung widerspruchslos hinnimmt und erst hinterher die Abstimmung wegen Formmangels anficht, weil deren Ergebnis nicht den gehegten Erwartungen entspricht (BGE 115 I a 397 E. 4c, 114 I a 45 E. 4a; 105 I a 150; ZBl 93/1992 S. 169 ff.; BVR 1994 S. 193 ff.; LGVE 1986 III Nr. 4, 1984 III Nr. 6, 1983 III Nr. 3, 1982 III Nr. 4, 1977 III Nr. 2). Mängel bei der Durchführung einer Gemeindeversammlung müssen sofort gerügt werden. Voraussetzung ist einzig, dass ein sofortiges Handeln nach den Verhältnissen geboten und zumutbar war. Unterlässt der Stimmberechtigte dies in einem solchen Fall, so verwirkt er das Recht zur Anfechtung der Abstimmung.

Unter diesen Gesichtspunkten sind im Folgenden die einzelnen Rügen zu prüfen.

a. Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, der Gemeindepräsident habe es unterlassen, die Stimmberechtigten darauf hinzuweisen, dass der Voranschlag 1998 bereits auf einem Steuerfuss von 2.0 Einheiten beruhe. Die meisten Leute seien davon ausgegangen, dass dieser auf dem bisherigen Steuerfuss von 1.95 Einheiten basiere. Es sei zwar richtig, dass der Voranschlag 1998 den Stimmberechtigten fristgerecht zugestellt worden sei. Es habe sich in der Praxis jedoch gezeigt, dass die wenigsten Stimmberechtigten bereit seien, ein ganzes Dossier vor der Gemeindeversammlung zu studieren. Der grösste Teil der Versammlung habe deshalb nicht gewusst, dass der Voranschlag den Steuerfuss von 2.0 Einheiten enthalte. Dies hätten zahlreiche Gespräche während und nach der Versammlung mit den Stimmberechtigten gezeigt. Der Gemeinderat hätte wissen müssen, dass die Stimmberechtigten den Voranschlag nicht bis ins Detail studieren würden. Aus diesem Grund hätte der Gemeindepräsident die Versammlung nochmals auf diesen Punkt hinweisen müssen. Der Gemeinderat bestreitet die Ausführungen der Beschwerdeführerin und macht geltend, er habe in seiner Abstimmungsbotschaft klar und offen dargelegt, dass der budgetierte und im Voranschlag eingesetzte Steuerertrag auf einem erhöhten Steuerfuss von 2.0 Einheiten basiere.

aa. Der Gemeinderat führte in seiner Botschaft unter anderem Folgendes aus:



"Der Voranschlag 1998 schliesst bei einem Gesamtaufwand von Fr. 60 262 000.- und einem Gesamtertrag von Fr. 58 817 600.- mit einem Defizit von Fr. 1 444 400.- ab.

Es wird ein Steuerbezug von neu 2.00 (plus 0.05) Einheiten vorgeschlagen."



Aus diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass der Voranschlag 1998 auf einem Steuerfuss von neu 2.0 Einheiten beruht. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Gemeinderat habe dies den Stimmberechtigten verschwiegen, trifft somit nicht zu. Sie wendet jedoch ein, die wenigsten Stimmberechtigten seien bereit, eine Abstimmungsbotschaft zu studieren. Fraglich kann somit einzig sein, ob der Gemeinderat seine Informationspflicht verletzte, indem er an der Gemeindeversammlung nicht nochmals darauf hinwies, dass der Voranschlag 1998 auf einem Steuerfuss von 2.0 Einheiten beruhe.

bb. Die Beschwerdeführerin übersieht bei ihrer Argumentation, dass von den Stimmberechtigten sehr wohl verlangt werden darf, dass sie eine Abstimmungsbotschaft lesen. Wer an eine Gemeindeversammlung geht, darf sich nicht einfach darauf verlassen, dass die dortigen Ausführungen über den Gegenstand der Abstimmung in allen Punkten Auskunft geben. Die direkte Demokratie setzt voraus, dass sich die Bürger und Bürgerinnen wenigstens in einem minimalen Umfang über die Abstimmungsvorlagen informieren (BGE 121 I 13 E. 5b/bb; nicht publizierte Urteile des Bundesgerichts vom 27. März 1996 und vom 18. Juni 1996, besprochen in NZZ vom 26. April 1996, S. 13, und NZZ vom 9. August 1996, S. 45). Zumindest bei komplexen Vorlagen wie dem Voranschlag darf erwartet werden, dass die Stimmberechtigten die ihnen zugestellten amtlichen Unterlagen lesen. Der Gemeinderat ist auch aus diesem Grund verpflichtet, den Stimmberechtigten einen Auszug des Voranschlags mit den Erläuterungen und dem Bericht der Rechnungskommission zuzustellen (vgl. § 80 Abs. 4 Gemeindegesetz; SRL Nr. 150). Von den Stimmberechtigten durfte also erwartet werden, dass sie die ihnen zugestellte Botschaft konsultierten, um zu klären, wie es sich mit dem dem Voranschlag zugrunde gelegten Steuerfuss verhielt. Darüber verschaffte bereits die Kurzfassung der gemeinderätlichen Botschaft Klarheit, ohne dass sich die Leser in alle Einzelheiten vertiefen mussten (S. 2 der Botschaft). Ist der Gemeinderat schon gesetzlich verpflichtet, den Stimmberechtigten einen Auszug des Voranschlags samt Erläuterungen zuzustellen, so darf er auch davon ausgehen, dass dessen Inhalt den Stimmberechtigten zumindest in den Grundzügen bekannt ist. Andernfalls wäre eine Zustellung sinnlos. Selbst wenn einzelne Stimmberechtigte an der Gemeindeversammlung zu Unrecht davon ausgegangen sein sollten, der Voranschlag 1998 beruhe auf einem Steuerfuss von 1.95 Einheiten, würde dies noch keine Aufhebung der Abstimmung rechtfertigen, zumal die Beschwerdeführerin lediglich die Aufhebung der Abstimmung über den Steuerfuss und nicht auch diejenige über den Voranschlag beantragt. Aus der Tatsache, dass der Gemeindepräsident an der Gemeindeversammlung nicht nochmals ausdrücklich auf diesen Punkt hingewiesen hat, kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Der Gemeinderat hat seine Informationspflicht dadurch nicht verletzt.

cc. Die Beschwerdeführerin macht geltend, zahlreiche Gespräche hätten ihr bereits während der Gemeindeversammlung gezeigt, dass die Stimmberechtigten von einer falschen Annahme ausgingen. Würde diese Behauptung zutreffen, so ist es unverständlich, dass die Beschwerdeführerin die Versammlung nicht auf dieses Missverständnis aufmerksam gemacht hat. Gemäss § 116 Absatz 1 StRG erläutern die zuständigen Mitglieder der Gemeindebehörde zu Beginn der Beratung die Vorlage und erteilen im Verlauf der Diskussion auf Verlangen weitere Auskünfte. Aus dem Protokoll der Gemeindeversammlung ergibt sich, dass niemand aus der Versammlung dem Gemeinderat eine entsprechende Frage gestellt hat. Der Gemeinderat hatte deshalb gar keinen Hinweis für das von der Beschwerdeführerin behauptete Missverständnis. Es kann jedoch nicht Aufgabe des Gemeinderates sein, nach allfälligen Missverständnissen zu suchen. Von den Stimmberechtigten darf vielmehr erwartet werden, dass sie bei Unklarheiten dem Gemeinderat entsprechende Fragen stellen. Die Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt als unbegründet.

b. Die Beschwerdeführerin beanstandet weiter, dass es der Gemeindepräsident an der Versammlung unterlassen habe, die Stimmberechtigten vor der Abstimmung über den Steuerfuss darauf hinzuweisen, dass im Falle einer Ablehnung des beantragten Steuerfusses nicht einfach der bisherige Steuerfuss von 1.95 Einheiten gelte, sondern dass in einem solchen Fall an einer zweiten Gemeindeversammlung nochmals über den Steuerfuss abgestimmt werden müsste.

Der Gemeinderat wendet in seiner Vernehmlassung zu Recht ein, dass er dazu auch nicht verpflichtet gewesen sei. Selbstverständlich wäre es ihm aber frei gestanden, dies zu tun. Die Tatsache, dass der Gemeinderat die Versammlungsteilnehmer nicht auf die rechtlichen Folgen einer Ablehnung des beantragten Steuerfusses aufmerksam gemacht hat, rechtfertigt jedenfalls keine Aufhebung des Abstimmungsergebnisses. Aufgrund des vorherigen Versammlungsverlaufs hatte nämlich der Gemeinderat nicht mit einer Ablehnung des Steuerfusses rechnen müssen. Immerhin hatten die Stimmberechtigten einen Ordnungsantrag auf Rückweisung des Voranschlags 1998 klar abgelehnt und keinen Antrag für einen anderen Steuerfuss gestellt. Zudem ist der unveränderte Voranschlag in der Schlussabstimmung mit grosser Mehrheit genehmigt worden. Wenn der Gemeinderat die Stimmberechtigten aufgrund dieses Versammlungsverlaufs vor der Abstimmung über den Steuerfuss 1998 nicht auf die rechtlichen Folgen einer Ablehnung aufmerksam gemacht hat, so ist ihm dies nicht vorzuwerfen. Dies gilt umso mehr, als der Gemeindepräsident nach Ablehnung des beantragten Steuerfusses von 2.0 Einheiten den Stimmberechtigten § 81 Absatz 2 des Gemeindegesetzes vorgelesen und mitgeteilt hat, dass der Steuerfuss aufgrund der Ablehnung einer zweiten Gemeindeversammlung zum Beschluss vorzulegen sei (vgl. Protokoll der Gemeindeversammlung S. 10). Spätestens in diesem Zeitpunkt mussten die Stimmberechtigten merken, dass nun nicht einfach der bisherige Steuerfuss von 1.95 Einheiten gelte. Ein Versammlungsteilnehmer stellte denn auch die Frage, ob über die Beibehaltung des bisherigen Steuerfusses von 1.95 Einheiten abgestimmt werden könne. Der Gemeindepräsident wies in der Folge korrekterweise darauf hin, dass nur noch über einen Rückkommensantrag nochmals über den Steuerfuss diskutiert werden könne. In der Folge wurde ein entsprechender Antrag gestellt und gutgeheissen. Damit war die Diskussion über den Steuerfuss wieder offen und die Stimmberechtigten erhielten nochmals Gelegenheit, über den Steuerfuss abzustimmen. Selbst wenn der Gemeinderat verpflichtet gewesen wäre, die Stimmberechtigten bereits vor der Abstimmung über den Steuerfuss über die rechtlichen Folgen einer Ablehnung aufmerksam zu machen, würde dies im vorliegenden Fall keine Aufhebung der Abstimmung rechtfertigen. Der Gemeindepräsident hat nämlich den Stimmberechtigten aufgezeigt, wie nach Ablehnung des Steuerfusses nochmals darüber abgestimmt werden kann, um eine zweite Gemeindeversammlung zu vermeiden. Allein dies genügt, um die Beschwerde auch in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen.

c. Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, zahlreiche Stimmberechtigte hätten nach der ersten Abstimmung über die Festlegung des Steuerfusses die Gemeindeversammlung verlassen, da sie der Ansicht gewesen seien, dass aufgrund der Ablehnung des vom Gemeinderat beantragten Steuerfusses von 2.0 Einheiten nach wie vor der bisherige Steuerfuss von 1.95 Einheiten gelte. Dass dann in der zweiten Abstimmung der beantragte Steuerfuss angenommen worden sei, habe nicht mehr viel mit Demokratie zu tun. Sinngemäss macht die Beschwerdeführerin damit geltend, dass das zweite Ergebnis völlig zufällig ausgefallen sei.

Diese Rüge erweist sich ebenfalls als unbegründet. Jedem Stimmberechtigten steht nicht nur das Recht zu, eine Gemeindeversammlung zu besuchen oder nicht; er kann diese auch vorzeitig verlassen. Abgesehen davon hielt sich ein solcher Auszug an der hier zur Diskussion stehenden Gemeindeversammlung im Rahmen. Von den zu Beginn der Gemeindeversammlung festgestellten 617 Teilnehmern stimmten bei der ersten Abstimmung über den Steuerfuss 515 und bei der zweiten Abstimmung 502, ungeachtet derjenigen Versammlungsteilnehmer, die sich der Stimme enthielten. Damit kann aber nicht gesagt werden, dass das zweite Ergebnis zufällig ausgefallen sei. Auch aus einem weiteren Grund ist es unwahrscheinlich, dass zahlreiche Stimmberechtigte nach der ersten Abstimmung die Versammlung verliessen und glaubten, der bisherige Steuerfuss von 1.95 Einheiten gelte weiter. Aus dem Versammlungsprotokoll ergibt sich nämlich, dass der Gemeindepräsident die Stimmberechtigten im Anschluss an die Ablehnung des Steuerfusses orientiert hat, dass der Steuerfuss nun einer zweiten Gemeindeversammlung zum Beschluss vorzulegen sei. Da er dies den Stimmberechtigten sofort mitgeteilt hat, ist unwahrscheinlich, dass zahlreiche Stimmberechtigte inzwischen bereits die Versammlung in der Meinung verlassen hatten, der bisherige Steuerfuss gelte weiter.

d. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, zahlreiche Stimmberechtigte hätten sowohl einem Steuerfuss von 1.95 Einheiten als auch einem solchen von 2.0 Einheiten zugestimmt. Das beweise auch das Abstimmungsergebnis. Obwohl sehr viele Stimmberechtigte nach der ersten Abstimmung den Saal verlassen hätten, hätten bei der zweiten Abstimmung praktisch gleich viele Personen mitgestimmt. Das sei nur möglich, weil zahlreiche Stimmberechtigte beiden Vorlagen zugestimmt hätten. Diese Tatsache könne auch von einem nicht stimmberechtigten Gast, welcher an der Versammlung anwesend gewesen sei, bestätigt werden.

Das Feststellen des Mehrs an einer Gemeindeversammlung wird durch § 110 StRG geregelt. Diese Bestimmung verlangt, dass die Stimmenzähler vorerst die Ergebnisse schätzen (Abs. 1). Können sie das Ergebnis nicht eindeutig abschätzen oder wird ihre Schätzung in Zweifel gezogen, haben sie das Mehr und, wenn es die Hälfte der Teilnehmer nicht eindeutig übersteigt, auch das Gegenmehr abzuzählen (Abs. 2). Aus dem Versammlungsprotokoll ergibt sich, dass zu Beginn der Gemeindeversammlung zehn Stimmenzähler bestellt worden waren. Diese haben die anwesenden Stimmberechtigten zu Beginn der Gemeindeversammlung gezählt und festgestellt, dass 617 stimmberechtigte Personen anwesend waren (vgl. Protokoll S. 2). Die Hauptaufgabe der Stimmenzähler besteht darin, beim Feststellen des Mehrs mitzuwirken. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, die Stimmenzähler hätten ihre Aufgabe nicht wahrgenommen. Aus dem Versammlungsprotokoll ergibt sich, dass der Gemeindepräsident das Vorgehen bei der Abstimmung über den Steuerfuss erklärt hat. Er hat die Stimmberechtigten orientiert, dass die beiden Anträge (2.0 Einheiten und 1.95 Einheiten) einander gegenübergestellt würden. Im Anschluss daran erfolge dann die Schlussabstimmung über den aus der ersten Abstimmung hervorgegangenen Steuerfuss. Der Gemeindepräsident zeigte dieses Vorgehen anhand einer Folie auf und fragte die Versammlung an, ob man damit einverstanden sei. Aus der Versammlung erfolgten keine Einwände gegen dieses Vorgehen (vgl. Protokoll S. 12). Diese Ausführungen zeigen, dass der Gemeindepräsident den Stimmberechtigten das Vorgehen detailliert erklärt hat. Damit hat er der Informationspflicht Genüge getan. Falls trotzdem Stimmberechtigte beiden Anträgen zugestimmt haben, ist dies nicht dem Gemeinderat vorzuwerfen. Die Stimmenzähler haben die Abstimmungsresultate ermittelt. Sie haben den Gemeinderat an der Versammlung auf keine Unregelmässigkeiten aufmerksam gemacht. Für den Gemeinderat bestanden damit keine Zweifel an der Korrektheit des Abstimmungsverfahrens. Die Stimmenzähler haben denn auch das Protokoll der Gemeindeversammlung unterschriftlich genehmigt. Wenn jedoch die Beschwerdeführerin, wie sie behauptet, festgestellt hat, dass zahlreiche Stimmberechtigte beiden Anträgen zugestimmt haben, so wäre es ihre Pflicht gewesen, dies sofort zu beanstanden. § 110 Absatz 4 StRG verlangt, dass Einwendungen gegen Abstimmungsergebnisse sofort vorzubringen sind. Nötigenfalls hat der Präsident dann Mehr und Gegenmehr nochmals feststellen zu lassen. Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe die ganze Versammlung und insbesondere das Abstimmungsverfahren über den Steuerfuss zuerst einmal verdauen müssen. Da die Gemeindeversammlung sehr lange gedauert habe, habe von ihr nicht erwartet werden können, dass sie nach vier Stunden Debatte nochmals das Wort ergreife. Dieser Einwand ist unbehelflich. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Gemeinderat auf die angeblich festgestellten Unregelmässigkeiten hinzuweisen. Nötigenfalls wäre dann nochmals darüber abgestimmt worden. Dies hätte die Versammlung nicht wesentlich verlängert. Es ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn die Beschwerdeführerin das Verfahren bei einer Abstimmung widerspruchslos hinnimmt und erst hinterher die Abstimmung anficht (LGVE 1986 III Nr. 4). Die Beschwerde erweist sich damit auch in diesem Punkt als unbegründet.

e. Die Beschwerdeführerin wendet weiter ein, der Rückkommensantrag habe viele irritiert. Zudem habe der Gemeindepräsident die antragstellende Person mehrmals ersucht, diesen Antrag zurückzuziehen, ansonsten die Versammlung bis 04.00 Uhr dauern werde. Eine solche Beeinflussung sei unzulässig.

Es ist nicht einzusehen, weshalb ein Rückkommensantrag die Stimmberechtigten irritiert haben sollte. Solche Anträge sind nichts Aussergewöhnliches an einer Gemeindeversammlung. § 105 Absatz 1 StRG sieht denn auch vor, dass der Präsident und jeder Teilnehmer Anträge zum Beratungsund Abstimmungsverfahren stellen können. Was den Vorwurf der unzulässigen Beeinflussung betrifft, so ist dazu ganz allgemein zu sagen, dass sich der Gemeindepräsident in der Diskussion an einer Gemeindeversammlung eher Zurückhaltung auferlegen sollte, damit er als Unparteiischer die Verhandlungen leiten und für einen geordneten Verlauf im Sinne von § 103 StRG besorgt sein kann. Aus dem Versammlungsprotokoll ergibt sich, dass der Gemeindepräsident den Stimmberechtigten empfohlen hat, nicht mit einem Rückkommensantrag nochmals über den Steuerfuss abzustimmen. Angesichts der doch schon etwas längeren Versammlungsdauer ist ein solcher Wunsch verständlich. Der Gemeindepräsident hat jedoch die Antragstellung nicht verhindert und den Rückkommensantrag sofort als Ordnungsantrag entgegengenommen. Damit verletzte er die Verfahrensvorschrift von § 105 Absatz 2 StRG nicht. Gegen das Vorgehen des Gemeindepräsidenten ist deshalb nichts einzuwenden.

f. Mit einer nachträglichen Eingabe vom 27. Februar 1998 beanstandet die Beschwerdeführerin erstmals das Protokoll der Gemeindeversammlung und macht geltend, dieses sei nicht vollständig. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Gemäss § 115 StRG kann die Protokollführung innert 10 Tagen seit dem Anschlag der Auflage durch Stimmrechtsbeschwerde beim Regierungsrat angefochten werden. Auf entsprechende Anfrage erklärte der Gemeindeschreiber, dass die Auflage des Protokolls am 17. Dezember 1997 angeschlagen worden sei mit dem Hinweis, dass das Protokoll ab Montag, den 22. Dezember 1997, eingesehen werden könne. Die Beanstandung der Beschwerdeführerin erfolgte damit verspätet, weshalb nicht darauf einzutreten ist.

g. Zusammenfassend ergibt sich, dass die freie Willensbildung der Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung weder durch falsche noch durch ungenügende Erläuterungen des Gemeinderates verfälscht wurde. Es wäre der Beschwerdeführerin zuzumuten gewesen, ihre Rügen bereits an der Gemeindeversammlung zu erheben. Dies gilt insbesondere für ihre Einwendungen betreffend der Korrektheit der Ermittlung des Abstimmungsresultates bei der zweiten Abstimmung über den Steuerfuss. Die Rügen erweisen sich somit als unbegründet. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.



Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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