Zusammenfassung des Urteils ZKBER.2011.38: Zivilkammer
Die Chambre des recours du Tribunal cantonal hat in einer Sitzung vom 7. Oktober 2009 über einen Berufungsfall entschieden, bei dem der Kläger B.________ gegen das Urteil des Zivilgerichts des Bezirks Lausanne vom 2. März 2009 gegen den Beklagten V.________ Berufung eingelegt hat. Das Gericht hat entschieden, dass der Beklagte dem Kläger bestimmte Beträge zahlen muss, darunter Urlaubsentschädigungen, Rückzahlungen und Überstundenvergütungen. Die Gerichtskosten wurden aufgeteilt, wobei der Kläger höhere Kosten zu tragen hat. Der Richter war M. Colombini, und die Gerichtskosten betrugen insgesamt 16'187,40 CHF.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | ZKBER.2011.38 |
Instanz: | Zivilkammer |
Abteilung: | - |
Datum: | 27.10.2011 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Ehescheidung, Rückzug des Scheidungsbegehrens |
Schlagwörter : | Scheidung; Scheidungs; Berufung; Rechtsmittel; Urteil; Scheidungsbegehren; Rückzug; Willensmängel; Parteien; Bundesgericht; Berufungs; Zivilprozessrecht; Ehegatte; Klage; Scheidungsurteil; Rückzugs; Entscheid; Zivilkammer; Bedenkfrist; Zivilprozessordnung; Willensmängeln; Scheidungsverfahren; Eintritt; Rechtskraft; Geltung; Zivilprozessrechts; Scheidungsklage |
Rechtsnorm: | Art. 289 ZPO ;Art. 308 ZPO ; |
Referenz BGE: | 84 II 232; |
Kommentar: | - |
Aus den Erwägungen:
1. Der Berufungskläger macht zur Hauptsache geltend, die Ehegatten hätten sich in einem wesentlichen Irrtum befunden, indem sie annahmen, die Bedenkfrist von zwei Monaten sei immer noch gegeben. Bei dieser Annahme sei ihr Schreiben vom 14. März 2011 noch innerhalb von zwei Monaten nach der Anhörung und damit innerhalb der Bedenkfrist eingegangen. Er beruft sich damit sinngemäss auf Willensmängel.
2. Die Scheidung einer Ehe, die im Verfahren der Scheidung auf gemeinsames Begehren erfolgt ist, kann gemäss Art. 289 der Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) wegen Willensmängeln mit Berufung angefochten werden. Die Regelung von Art. 289 ZPO betrifft den Fall, in dem ein Ehegatte auf ein gemeinsam vereinbartes Scheidungsbegehren zurückkommen will. Wenn der andere Ehegatte auf der Scheidungsvereinbarung beharrt, kann der Anfechtende Willensmängel geltend machen. Vorliegend ist die Ausgangslage jedoch eine andere. Im Gegensatz zur Konstellation von Art. 289 ZPO will nicht nur eine Partei auf das Scheidungsbegehren zurückkommen. In ihrem Schreiben vom 14. März 2011 erklären beide Seiten, von einer Scheidung Abstand zu nehmen. Wenn sich die Parteien einig sind, nicht mehr scheiden zu wollen, können sie ohne weiteres und nicht nur beim Vorliegen von Willensmängeln eine entsprechende frühere Vereinbarung aufheben. Ein bereits eingeleitetes Scheidungsverfahren ist in diesem Fall, gleich wie beim Rückzug einer von nur einer Partei eingereichten Klage, abzuschreiben.
Das Schreiben der Parteien vom 14. März 2011 beinhaltet eine einvernehmliche Aufhebung des seinerzeitigen gemeinsamen Scheidungsbegehrens. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Erklärung auch nach dem erstinstanzlichen Scheidungsurteil aber vor dem Eintritt der Rechtskraft noch möglich ist und berücksichtigt werden kann.
3.a) Das Bundesgericht erwog unter der Geltung des früheren Scheidungsund Zivilprozessrechts in einem Fall, in dem beide Parteien ihr Scheidungsbegehren nach dem Scheidungsurteil des Zürcherischen Obergerichts zurückgezogen hatten, Folgendes: «Die Zulässigkeit eines Rückzugs der Scheidungsklage bis zum Eintritt der Rechtskraft des obergerichtlichen Scheidungsurteils, also bis zum Ablauf der Berufungsund einer allfälligen Anschlussberufungsfrist (Art. 54 Abs. 2 Bundesrechtspflegegesetz [OG, SR 173.110]), ist aber um der Aufrechterhaltung der Ehe willen als Grundsatz des materiellen Bundesrechts anzuerkennen und unabhängig von der Gestaltung des kantonalen Prozessrechts zur Geltung zu bringen. Damit dies in allen Fällen geschehen kann, ist dem Kläger (oder Widerkläger), der sein in oberer kantonaler Instanz zugesprochenes Scheidungsoder Trennungsbegehren zurückziehen will, zu gestatten, entsprechend den für die Einreichung der Berufung geltenden Vorschriften eine dahingehende Erklärung beim kantonalen Gericht zu Handen des Bundesgerichts (Art. 54 Abs. 1 OG) direkt bei diesem (Art. 32 Abs. 3 OG am Ende) abzugeben. Das Bundesgericht hat alsdann die sich aus dem Rückzug ergebende Prozesserledigung festzustellen und die Sache demgemäss abzuschreiben, sofern das kantonale Gericht sich nicht als befugt erachtet, einer bei ihm eingegangenen Rückzugserklärung selber die ihr gebührende materiellrechtliche Folge zu geben. Derartige Rückzugserklärungen sind um ihrer eherechtlichen Bedeutung willen auch dann zuzulassen, wenn, wie im vorliegenden Falle, keine Partei durch das Urteil der oberen kantonalen Instanz beschwert ist, zur Einlegung einer eigentlichen Berufung also keine Partei berechtigt wäre» (BGE 84 II 232).
Die seit dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts unter der Herrschaft des neuen Scheidungsund Prozessrechts ergangene Lehre äussert sich im gleichen Sinne. Grundsätzlich sei zur Einlegung eines Rechtsmittels zwar nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Entscheid formell beschwert ist. Oder mit anderen Worten: Wer mit seinen Rechtsbegehren durchgedrungen ist, kann kein Rechtsmittel einlegen. Materielle Beschwer ohne formelle Beschwer schliesse gewöhnlich ein Rechtsmittel aus. Die Rechtsordnung kenne jedoch Ausnahmen. So könne die Klagepartei, deren Scheidungsklage vollumfänglich gutgeheissen wurde, zur Erhaltung der Ehe gegen den Entscheid ein Rechtsmittel einlegen und die Klage bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zurückziehen (Kurt Blickenstorfer, in: Alexander Brunner/Dominik Gasser/Ivo Schwander [Hrsg.]: Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011, N 89 vor Art. 308 334 ZPO; Isaak Meier/Miguel Sogo: Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich/Basel/Genf 2010, S. 500; Adrian Staehelin/Daniel Staehelin/Pascal Grolimund: Zivilprozessrecht, Zürich/Basel/Genf 2008, § 25 N 29; Oscar Vogel/Karl Spühler: Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl., Bern 2006, 13. Kapitel N 61).
b) Die vorstehend dargelegte Lehre und Praxis überzeugt. Es rechtfertigt sich deshalb, im vorliegenden Fall gleich zu verfahren. Da die Parteien ihr gemeinsames Scheidungsbegehren noch innerhalb der Rechtsmittelfrist zurückgezogen haben, ist das vorinstanzliche Urteil demnach aufzuheben und das Scheidungsverfahren abzuschreiben.
Obergericht Zivilkammer, Urteil vom 27. Oktober 2011 (ZKBER.2011.38)
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