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Urteil Beschwerdekammer (SO)

Zusammenfassung des Urteils BKBES.2012.74: Beschwerdekammer

Die Entscheidung betrifft einen Fall, in dem A.H. medizinische Massnahmen für die Behandlung von Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizit verweigert wurden. Nach einem Bericht eines Facharztes wurde festgestellt, dass die Kriterien für Verhaltensstörungen erfüllt sind. Nach einem weiteren ärztlichen Gutachten wurde A.H. schliesslich das Recht auf medizinische Massnahmen zugesprochen. Das Gericht entschied, dass der Fall durch die neue Entscheidung der Invalidenversicherung obsolet geworden ist und daher aus dem Register gestrichen wird. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, und A.H. wurde eine Entschädigung von 800 Franken zugesprochen.

Urteilsdetails des Kantongerichts BKBES.2012.74

Kanton:SO
Fallnummer:BKBES.2012.74
Instanz:Beschwerdekammer
Abteilung:-
Beschwerdekammer Entscheid BKBES.2012.74 vom 29.08.2012 (SO)
Datum:29.08.2012
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Parteistellung, Strafantragsteller
Schlagwörter : Kläger; Antrag; Person; Privatkläger; Verfahren; Privatklägerschaft; Antrags; Verfahrens; Recht; Antragsteller; Zivil; Verzicht; Verfahren; Rechte; Entscheid; Urteil; Rückzug; Punkt; Interesse; Zivilklägerin; Erklärungen; Prozessordnung; Sinne; Zivilpunkt; Viktor
Rechtsnorm:Art. 104 StPO ;Art. 105 StPO ;Art. 109 StPO ;Art. 115 StPO ;Art. 118 StPO ;Art. 120 StPO ;Art. 382 StPO ;Art. 427 StPO ;
Referenz BGE:129 IV 305;
Kommentar:
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Entscheid des Kantongerichts BKBES.2012.74

Urteils. Zwar können die Persönlichkeitsrechte der beschuldigten Person auch durch die vom Bundesgericht im Entscheid erwähnte Entscheidöffentlichkeit betroffen sein, doch muss sie sich nicht weitergehende Eingriffe gefallen lassen (Urteil des Bundesgerichts 1C_322/2010 E. 2.5). Darüber hinaus wurde zu Recht auch auf die Weiterungen eines Verfahrens verwiesen, welche durch die Teilnahme von Privatklägern bewirkt werden. Im konkreten Fall kann das u.a. bedeuten, dass der Beschuldigte im Falle einer Verurteilung die Privatkläger zu entschädigen hätte, was nicht der Fall ist, wenn diesen keine Parteirolle mehr zukommt. Ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung der hier angefochtenen Verfügung ist deshalb zu bejahen und damit auch die Legitimation des Beschwerdeführers. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.

2.1 Gemäss Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO ist die Privatklägerschaft Partei eines Strafverfahrens. Die Parteien können der Verfahrensleitung jederzeit Eingaben machen; vorbehalten bleiben besondere Bestimmungen des Gesetzes (Art. 109 Abs. 1 StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Strafoder Zivilklägerin -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Der Strafantrag ist dieser Erklärung gleichgestellt (Art. 118 Abs. 2 StPO).

2.3 Wenn geltend gemacht wird, die Strafantragsteller hätten nicht darauf verzichtet, sich als Zivilund Strafkläger zu konstituieren, kann dem nicht gefolgt werden. Die Fragestellungen waren klar, ebenso die Erklärungen zu den Fragen. Von zweifelhaften Eingaben ist nicht auszugehen (Goran Mazzucchelli / Mario Postizzi in: Marcel Alexander Niggli et al. [Hrsg.]: Schweizerische Strafprozessordnung, Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 118 StPO N 12). Darüber hinaus ist festzustellen, dass sie bereits im Verfahren bei der Zürcher Staatsanwaltschaft erklärt hatten, sie würden keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie die erwähnten Erklärungen rechtsgültig abgegeben haben und dass der Verzicht gemäss Art. 120 Abs. 1 StPO endgültig erklärt wurde.

3.1 Eine andere Frage ist, ob sie damit ihrer Parteistellung im Sinne von Art. 118 Abs. 2 StPO verlustig gingen. Trotz ihrer Erklärungen sind sie Strafantragsteller geblieben, wurden doch ihre Strafanträge nicht zurückgezogen. Bei Antragsdelikten ist der Strafantrag der Konstituierung gleichgestellt. Will der Antragsteller nicht als Privatkläger am Prozess teilnehmen (um etwa allfällige Kostenfolgen zu vermeiden, Art. 432 StPO), so kann er jederzeit (allenfalls gleich zusammen mit der Antragstellung) vom Verzichtsoder Rückzugsrecht (Art. 120 StPO) Gebrauch machen. Der Verzicht auf die Privatklägerschaft gilt nicht als Rückzug des Strafantrags, so dass in diesem Fall das Strafverfahren trotzdem fortgesetzt werden kann (Goran Mazzucchelli / Mario Postizzi, a.a.O., Art. 118 StPO N 6).

Die Amtsgerichtspräsidentin geht davon aus, dass der Text von Art. 118 Abs. 2 StPO sich als absolut klar darstelle, auch wenn ein Teil der Lehre diesbezüglich anderer Auffassung sei. Der Strafantrag führe zwar, wenn es an einer entsprechenden Erklärung im Zivilpunkt fehle, zur Konstituierung des Antragstellers als Privatkläger lediglich im Strafpunkt. Dies ändere aber nichts daran, dass er Privatkläger und damit Partei sei und dies auch bleibe.

3.2 Viktor Lieber verweist auf Art. 118 Abs. 2 StPO gemäss welchem der Strafantrag der Erklärung nach Abs. 1 gleichgestellt sei. Wer (rechtzeitig) Strafantrag stelle, trete somit automatisch in die Stellung der Privatklägerschaft. Wolle sich die geschädigte Person trotz Stellung des Strafantrags nicht am Verfahren beteiligen, könne sie aber jederzeit auf die ihr zustehenden Rechte verzichten (Art. 120 StPO), ohne dass dies als Rückzug des Strafantrags gelte. Dem Kostenrisiko als antragstellende Person entgehe sie dabei jedoch nicht (Viktor Lieber in: Andreas Donatsch et al. [Hrsg.]: Kommentar zur Schw. Strafprozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 118 StPO N 4). Art. 427 Abs. 2 StPO, auf welche Bestimmung Viktor Lieber hinweist, bestimmt Folgendes: Bei Antragsdelikten können die Verfahrenskosten der antragstellenden Person, sofern diese mutwillig grob fahrlässig die Einleitung des Verfahrens bewirkt dessen Durchführung erschwert hat, der Privatklägerschaft auferlegt werden, wenn das Verfahren eingestellt die beschuldigte Person freigesprochen wird (lit. a) und soweit die beschuldigte Person nicht nach Artikel 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig ist (lit. b). Die Strafprozessordnung geht im Übrigen auch in Art. 427 Abs. 3 und 4 StPO von einer andauernden Verfahrensbeteiligung der antragstellenden Person aus.

Der Beschwerdeführer geht davon aus, ein Verzicht der Privatklägerschaft habe die Folge, dass der Strafantrag bestehen bleibe und das Verfahren ohne den Strafantragsteller als Partei fortgesetzt werde. Diese Auffassung ist zu teilen:

Gemäss Art. 104 StPO sind neben der Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft Parteien des Strafverfahrens. Art. 118 Abs. 1 StPO besagt, dass als Privatklägerschaft die geschädigte Person gelte, die ausdrücklich erkläre, sich am Strafverfahren als Strafoder Zivilklägerin -kläger zu beteiligen. Gemäss Abs. 2 ist der Strafantrag dieser Erklärung gleichgestellt. Gemäss Art. 120 Abs. 1 StPO kann die geschädigte Person jederzeit schriftlich mündlich zu Protokoll erklären, sie verzichte auf die ihr zustehenden Rechte. Der Verzicht ist endgültig. Wenn die geschädigte Person ausdrücklich erklärt, dass sie am Strafverfahren als Strafoder Zivilklägerin nicht teilnehmen wolle, liegt auch keine Privatklägerschaft im Sinne von Art. 118 Abs. 2 StPO mehr vor. Was bleibt, ist die Rolle als Strafantragsteller und geschädigte Person (Art. 115 Abs. 2 StPO), ohne die Verbindung mit jener der Privatklägerschaft. Die Strafantragsteller werden damit zu anderen Verfahrensbeteiligten im Sinne von Art. 105 Abs. 1 StPO. Gemäss Art. 105 Abs. 2 StPO stehen den anderen Verfahrensbeteiligten die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu, wenn sie in ihren Rechten unmittelbar betroffen sind. Das ist vorliegend nicht der Fall. Wohl ist es denkbar, dass den Strafantragstellern in dieser Rolle Verfahrenskosten auferlegt werden könnten. Gemäss Art. 33 Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) kann die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist. Diese Bestimmung weist wie Art. 427 StPO darauf hin, dass die Verfahrensbeteiligung der antragsberechtigten Person mit dem Verzicht auf die Parteirolle im Strafund im Zivilpunkt nicht beendet ist. Sie kann mit einem Rückzug des Strafantrags den Prozess beenden und insofern ist es auch folgerichtig, dass ihr auch dann Prozesskosten auferlegt werden können, wenn sie im Strafund im Zivilpunkt verzichtet hat. Gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheids hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Einer Strafantrag stellenden Person wäre ein solches Recht nur einzuräumen, wenn sie durch einen Entscheid beschwert würde, was bei einem ausdrücklich erklärten Verzicht auf die Strafund Zivilklägerschaft nur dann der Fall sein könnte, wenn ihr Kosten auferlegt würden. Mit Blick auf Art. 427 Abs. 2 StPO ist das vorliegend und allgemein wenig wahrscheinlich, können der antragstellenden Person Kosten doch nur auferlegt werden, sofern sie mutwillig grob fahrlässig die Einleitung des Verfahrens bewirkt dessen Durchführung erschwert hat und dies wenn die Voraussetzungen gemäss lit. a und b erfüllt sind. Sollte das Gericht eine solche Kostenauferlegung ins Auge fassen, müsste der antragstellenden Person vorliegend den Beschwerdegegnern das rechtliche Gehör gewährt werden, womit ihnen die Rechte gemäss Art. 105 Abs. 2 StPO, z.B. Akteneinsicht, zu gewähren wären. Beim jetzigen Stand der Dinge ist das nicht der Fall. Den noch bestehenden Strafanträgen kommt lediglich noch die Eigenschaft als Prozessvoraussetzung zu (BGE 129 IV 305, E. 4.2.3), auf welche die Strafantragsteller zwar noch Einfluss nehmen können, die aber nicht mehr mit deren Rechten als ehemalige Privatklägerschaft verbunden sind. Daraus folgt, dass die Strafantragsteller in der angefochtenen Verfügung im Verfahren zu Unrecht als Privatklägerschaft zugelassen wurden. Der Beschwerdeführer hat zu Recht eine Verletzung von Art. 120 Abs. 1 Satz 2 StPO gerügt.

Obergericht Beschwerdekammer, Urteil vom 29. August 2012 (BKBES.2012.74)



Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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