Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2019/19: Obergericht
Das Ehepaar A. und B. sowie weitere Beteiligte erhoben gegen eine kommunale Baubewilligung Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Der Regierungsrat wies das Gesuch um Wiederherstellung der Vorschussfrist ab und trat auf den Rekurs nicht ein. Das Obergericht wies eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab. Es wurde festgestellt, dass A. und B. grob nachlässig waren, da sie nicht rechtzeitig nach dem Stand der Zahlung erkundigten. Der Regierungsrat wies das Fristwiederherstellungsgesuch zu Recht ab und trat zu Recht auf den Rekurs nicht ein. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 60/2019/19 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 15.10.2019 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Verwaltungsverfahren; Kostenvorschuss; Nachfrist bei Säumnis; Fristwiederherstellung - Art. 11 und Art. 14 VRG. Begriff der groben Nachlässigkeit bei Fristversäumnis (E. 3). Erwartet eine Partei für die Überweisung eines Bar- bzw. Kostenvorschusses eine Belastungsanzeige von der Bank, ist sie beim Ausbleiben der Anzeige nach Treu und Glauben gehalten, sich vor Fristablauf über den Stand der Überweisung zu erkundigen. Grobe Nachlässigkeit bei Unterlassen des Nachfragens bejaht (E. 5.1). Keine Nachfrist für die Leistung eines Vorschusses, wenn die Folge des Nichteintretens im Säumnisfall angedroht wurde (E. 5.2.2). |
Schlagwörter : | ässig; Lässigkeit; Recht; Frist; Frist; Hinweis; Zahlung; Vorschuss; Kostenvorschuss; Auftrag; Rekurs; Regierungsrat; Multizahlungs-Auftrag; Belastungsanzeige; Hinweisen; Überweisung; Säumnisfall; Person; Sorgfalt; Hinweisen; Fristwiederherstellung; Leistung; Vorschusses; Kantons; Vorschussfrist; äumigen |
Rechtsnorm: | Art. 101 ZPO ;Art. 29 BV ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Bühler, Frank, Kommentar zur aargaui- schen Zivilprozessordnung, 1998 |
Begriff der groben Nachlässigkeit bei Fristversäumnis (E. 3).
Erwartet eine Partei für die Überweisung eines Barbzw. Kostenvorschusses eine Belastungsanzeige von der Bank, ist sie beim Ausbleiben der Anzeige nach Treu und Glauben gehalten, sich vor Fristablauf über den Stand der Überweisung zu erkundigen. Grobe Nachlässigkeit bei Unterlassen des Nachfragens bejaht (E. 5.1).
Keine Nachfrist für die Leistung eines Vorschusses, wenn die Folge des Nichteintretens im Säumnisfall angedroht wurde (E. 5.2.2).
OGE 60/2019/19 vom 15. Oktober 2019
(Eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Entscheid wies das Bundesgericht mit Urteil 1C_601/2019 vom 27. März 2020 ab.)
Keine Veröffentlichung im Amtsbericht
SachverhaltDas Ehepaar A. und B. sowie weitere Beteiligte erhoben gegen eine kommunale Baubewilligung Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Der Rechtsdienst des Baudepartements forderte die Rekurrenten zur Leistung eines Barvorschusses auf unter der Androhung, im Säumnisfall nicht auf den Rekurs einzutreten. Daraufhin übermittelte A. den Einzahlungsschein zwecks Überweisung des Vorschusses der Bank X., ohne jedoch den ausgefüllten Multizahlungs-Auftrag beizulegen, gemäss welchem die Zahlung sofort auszuführen gewesen wäre und eine Belastungsanzeige hätte erfolgen sollen. Die Bank X. führte mangels Multizahlungs-Auftrags die Überweisung nicht aus, worauf A. einen Tag nach Ablauf der Vorschussfrist der Bank X. erneut einen Zahlungsauftrag übermittelte. Der Vorschuss wurde mit drei Tagen Verspätung dem Konto des Kantons Schaffhausen gutgeschrieben. Der Regierungsrat wies in der Folge das Gesuch um Wiederherstellung der Vorschussfrist ab und trat auf den Rekurs nicht ein. Das Obergericht wies eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
Aus den Erwägungen 3. Gemäss Art. 11 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG, SHR 172.200) kann eine versäumte Frist wiederhergestellt werden, wenn dem Säumigen keine grobe Nachlässigkeit zur Last fällt. Eine Fristwiederherstellung istsomit nur zulässig, wenn dem Säumigen nur leichte Nachlässigkeit überhaupt kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Eine fehlende grobe Nachlässigkeit ist nur zu bejahen, wenn es der säumigen Person trotz Anwendung der üblichen Sorgfalt objektiv unmöglich subjektiv nicht zumutbar war, die fristgebundene Rechtshandlung rechtzeitig vorzunehmen bei behördlichen Fristen zumindest ein Fristerstreckungsgesuch zu stellen. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die gesuchstellende Person beziehungsweise ihre Vertretung wegen eines von ihrem Willen unabhängigen Umstands verhindert war, zeitgerecht zu handeln. Zu den objektiven Hinderungsgründen zählen beispielsweise Naturkatastrophen schwerwiegende Erkrankungen, nicht aber Arbeitsüberlastung organisatorische Unzulänglichkeiten. Subjektive Unmöglichkeit wird angenommen, wenn zwar die Vornahme einer Handlung objektiv betrachtet möglich gewesen wäre, die betroffene Person aber durch besondere Umstände, die sie nicht zu verantworten hat, am Handeln gehindert wurde. Als subjektive Hinderungsgründe kommen Fälle in Betracht, in denen die Person aufgrund mangelnder Kenntnisse die Situation nicht richtig einzuschätzen vermochte aufgrund eines unverschuldeten Irrtums nicht rechtzeitig handelte (OGE 60/2018/14 vom 26. Februar 2019 E. 2.1 mit Hinweis auf Kaspar Plüss, in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. A., Zürich/Basel/Genf 2014, § 12 N. 43 und 45 f., S. 305 f.; VGer ZH VB.2017.00147 vom 29. Mai 2017 E. 2.2.1 mit
Hinweisen; ferner OGE vom 14. November 1997 i.S. X., E. 3, Amtsbericht 1997,
S. 139 f.). Als grobe Nachlässigkeit gelten demnach auch schlichtes Vergessen versehentlich falsches Terminieren (vgl. BGer 9C_286/2010 vom 8. Juni 2010
E. 3; OGE 10/2011/34 vom 4. Mai 2012 E. 2a). Schliesslich ist umso eher von grober Nachlässigkeit auszugehen, je höher die Sorgfaltspflicht des Betroffenen zu veranschlagen ist. Letztere hängt von der Wichtigkeit der vorzunehmenden Handlung ab und verschärft sich mit dem Schwinden der hierfür zur Verfügung stehenden Zeitspanne. Je grösser die Gefahr und je höher deren Wahrscheinlichkeitsgrad ist, sich zu verwirklichen, desto höher ist auch die zu beachtende Sorgfalt (vgl. OGE 63/2013/3 vom 31. Dezember 2013 E. 2c mit Hinweisen; ferner BGer 9C_222/2010 vom 30. Juni 2010 E. 3.2; VGer ZH VB.2016.00529 vom 20. Dezem-
ber 2016 E. 4.2; zum Ganzen BGer 5P.319/2005 vom 9. November 2005 E. 3 und
OGE 10/2005/5 vom 1. Juli 2005 E. 1b/aa zu Art. 55 Abs. 1 aZPO/SH [OS 26,
S. 434], welcher bezüglich der Voraussetzung der fehlenden groben Nachlässigkeit Art. 11 VRG entsprach).
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Es ist inzwischen unbestritten, dass A. am 11. Februar 2019 den Einzahlungsschein für den Kostenvorschuss der Bank X. zur Bezahlung übermittelte, den
ausgefüllten Multizahlungs-Auftrag jedoch versehentlich nicht beigelegt hatte. Weiter ergibt sich aus den Akten, dass B. offenbar davon ausging, der Auftrag sei spätestens am 12. Februar 2019 bei der Bank X. eingegangen. Aus dem ausgefüllten, unterzeichneten und vom 11. Februar 2019 datierten Multizahlungs-Auftrag, welcher nach Darstellung von B. den Einzahlungsunterlagen hätte beiliegen sollen, ergibt sich sodann, dass die Zahlungen sofort auszuführen gewesen wären und dass eine Belastungsanzeige hätte erfolgen sollen. Es ist somit davon auszugehen, dass die Zahlung des Vorschusses am 12. 13. Februar 2019 ausgeführt und die Belastungsanzeige entsprechend noch an diesen Tagen ausgestellt worden wäre, wie dies auch beim Multizahlungs-Auftrag vom 20. Februar 2019 der Fall war. Folglich hätten sich A. und B. nach Treu und Glauben bei Ausbleiben der Belastungsanzeige spätestens am 18. Februar 2018 bei der Bank X. über den Stand des Zahlungsauftrags erkundigen müssen, zumal sie im Schreiben des Rechtsdiensts des Baudepartements vom 31. Januar 2019 ausdrücklich auf die Risiken einer Banküberweisung hingewiesen worden waren und angesichts des drohenden gewichtigen Rechtsverlusts, den letztlich auch die Beschwerdeführer wiederholt betonen, eine erhöhte Sorgfalt geboten gewesen wäre. Wie die private Beschwerdegegnerin zutreffend bemerkt, bringen die Beschwerdeführer keine Gründe vor, weshalb ein rechtzeitiges Nachfragen seitens A. und B. bei der Bank X. nicht hätte möglich sein sollen. Vor diesem Hintergrund ist mit dem Regierungsrat von einer groben Nachlässigkeit im Sinne von Art. 11 VRG auszugehen.
Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführer vermögen an diesem Schluss nichts zu ändern.
Soweit die Beschwerdeführer das Ergebnis infolge fehlenden groben Verschuldens als stossend, willkürlich und überspitzt formalistisch bezeichnen, verkennen sie, dass gerade ein Fall grober Nachlässigkeit vorliegt. Davon abgesehen ist der Einwand, A. habe in der Eile vergessen, das Multizahlungs-Auftragsformular beizulegen, bzw. das Formular im übrigen Papierkram verlegt, unbehelflich. Denn mangels geltend gemachter und ersichtlicher Umstände, welche das Vergessen bzw. Verlegen entschuldigen würden, wäre nach der gefestigten, oben in E. 3 zitierten Rechtsprechung bereits darin eine grobe Nachlässigkeit zu erblicken. Weiter wurden die Beschwerdeführer, wie sowohl die private Beschwerdegegnerin als auch der Regierungsrat zutreffend festhalten, explizit auf die Säumnisfolgen bei verspätetem Zahlungseingang hingewiesen. Unter diesen Umständen liegt kein Verstoss gegen das Verbot des überspitzten Formalismus nach Art. 29 Abs. 1 BV vor. Daran vermag der Umstand, dass der Kostenvorschuss drei Tage nach Ablauf der Zahlungsfrist geleistet wurde, nichts zu ändern (vgl. BGer 9C_410/2018 vom 19. Juli 2018 E. 3.2.2 mit Hinweisen; ferner BGer 2C_107/2019 vom 27. Mai 2019 E. 6.2). Ebenso wenig ändert der Umstand etwas daran, dass
der Regierungsrat für die Leistung des Kostenvorschusses und für die Rekursbegründung unterschiedliche Fristen angesetzt hatte, denn diese Fristen, welche unterschiedliche Verfahrenshandlungen zum Gegenstand haben, können grundsätzlich unabhängig voneinander festgesetzt werden (vgl. zum Ganzen BGer 9C_862/2018 vom 10. Januar 2019 E. 2.1 mit Hinweis).
Sodann erweist sich auch der Verweis der Beschwerdeführer auf die Nachfrist von Art. 101 Abs. 3 ZPO als unbehelflich, da der für das Rekursverfahren einschlägige Art. 14 VRG, welcher vom Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung nicht geändert wurde, nach entsprechender Androhung im Säumnisfall direkt die Folge des Nichteintretens vorsieht und nach konstanter Praxis des Obergerichts entsprechend keine Nachfrist angesetzt werden muss. Die Kantone sind denn auch nicht verpflichtet, in ihrem öffentlichen Verfahrensrecht eine Nachfristansetzung vorzusehen (BGer 2C_1065/2017 vom
15. Juni 2018 E. 6.3 mit Hinweisen). Ebenso wenig kann es nach ständiger Praxis des Bundesgerichts im Säumnisfall auf die Schwere des durch eine verpasste Vorschussfrist erlittenen Rechtsnachteils ankommen (vgl. BGer 2C_345/2018 vom 11. Oktober 2018 E. 3.3 in fine sowie 2C_795/2017 und 2C_796/2017 vom 3. Oktober 2017 E. 4.3 in fine, je mit Hinweis). Schliesslich ist angesichts der 18-tägigen Kostenvorschussfrist nicht ersichtlich, inwiefern den Beschwerdeführern der Zugang zur Justiz bzw. zum Recht verwehrt worden wäre (vgl. dazu eingehend BGer 2C_703/2009 und 2C_22/2010 vom 21. September 2010 E. 4.3). Daran vermögen auch die von den Beschwerdeführern ins Feld geführten Schulferien und die von ihnen zitierte Literatur nichts zu ändern, zumal von einer prohibitiven Wirkung der
im Übrigen erstreckbaren - Frist wegen ihrer Kürze keine Rede sein kann (vgl. Regina Kiener, Zugang zur Justiz, ZSR 2019 II 47 f.) und die Beschwerdeführer nicht darlegen, inwiefern sich die Schulferien negativ ausgewirkt haben sollen.
6. Der Regierungsrat wies das Fristwiederherstellungsgesuch nach dem Gesagten zu Recht ab und trat zu Recht auf den Rekurs nicht ein. Auf die weiteren Vorbringen, namentlich hinsichtlich einer möglichen groben Nachlässigkeit des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer und des Verhaltens der Bank X., braucht daher nicht eingegangen zu werden. Anzufügen ist lediglich, dass den Beschwerdeführern ein Fehlverhalten des Rechtsvertreters der Bank als Hilfsperson grundsätzlich anzurechnen wäre (vgl. etwa BGer 2C_177/2019 vom 22. Juli 2019E. 4.2.2 mit Hinweisen; VGer ZH VB.2014.00578 vom 26. November 2014 E. 2.7 betreffend eine den Kostenvorschuss überweisende Bank). Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen.
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