Zusammenfassung des Urteils Nr. 51/2011/34: Obergericht
In dem vorliegenden Fall ging es um einen Angeklagten, der beschuldigt wurde, seine Ehefrau bedroht und körperlich angegriffen zu haben. Das Urteil des Bezirksgerichts Dietikon wurde angefochten, und das Obergericht des Kantons Zürich entschied, den Angeklagten vom Vorwurf der Drohung und Tätlichkeiten freizusprechen. Er wurde jedoch mit einer Geldstrafe belegt und musste der Geschädigten eine Genugtuung zahlen. Die Gerichtskosten wurden dem Angeklagten auferlegt, aber sofort abgeschrieben. Der Richter war lic. iur. Spiess, und die Gerichtsschreiberin war lic. iur. Schlegel. .
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 51/2011/34 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 02.03.2012 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK; Art. 14 Ziff. 3 lit. g IPBPR; Art. 131 Abs. 2, Art. 141 Abs. 5 und Art. 448 Abs. 2 StPO; Art. 39 Satz 1, Art. 48 Abs. 1 und Abs. 4, Art. 76 Abs. 2 Satz 1, Art. 77 Abs. 1, Art. 84 Abs. 2, Art. 210 Abs. 2 sowie Art. 220 Abs. 1 StPO/SH; § 5 Abs. 3 Protokollierungsverordnung. Strafverfahren; Verwertbarkeit altrechtlicher Beweisunterlagen |
Schlagwörter : | Einvernahme; Akten; Verteidiger; Protokoll; Prozessordnung; Verfahren; Recht; Einvernahmen; Beschuldigte; Verteidigung; StPO/SH; Verfahren; Verfahrens; Hinweis; Staatsanwalt; Schweizerische; Dolmetscher; Beschuldigten; Beschwerdeführers; Untersuchung; Beweise; Staatsanwalts; Anwalt; Aussage; Staatsanwaltschaft; Beginn |
Rechtsnorm: | Art. 131 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 156 StPO ;Art. 159 StPO ;Art. 210 StPO ;Art. 220 StPO ;Art. 448 StPO ;Art. 454 StPO ;Art. 48 StPO ;Art. 77 StPO ;Art. 84 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Beweisunterlagen wegen Unverwertbarkeit aus den Akten zu entfernen, kann Beschwerde erhoben werden (E. 1).
Die Protokolle altrechtlicher Einvernahmen bleiben unter neuem Recht verwertbar, wenn bei Durchführung der Einvernahmen die damals geltenden Vorschriften eingehalten wurden (E. 1).
Als unverwertbar aus den Akten zu entfernen sind gegebenenfalls nur Beweisunterlagen, welche die Strafverfolgungsbehörden erhoben bzw. erstellt haben, nicht auch Unterlagen, die der Beschuldigte eingereicht hat (E. 2a).
Nach kantonalem Recht war der Befragte zu Beginn der Einvernahme nicht speziell darauf hinzuweisen, dass er einen Dolmetscher verlangen könne (E. 2b aa).
Die Einvernahmefähigkeit ist nicht ärztlich abzuklären, wenn der Befragte zwar erklärt, es gehe ihm nicht gut, sich aber als einvernahmefähig bezeichnet und keine Anhaltspunkte vorliegen, dass dies nicht zutreffe. Konnte der Befragte wegen seines Zustands das Protokoll nicht unterschreiben, änderte dieser Umstand als solcher nach kantonalem Recht nichts an der Verwertbarkeit der mit einer entsprechenden Anmerkung abgeschlossenen Einvernahme (E. 2b bb).
Enthält das Protokoll den Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht, so wird vermutet, dass er tatsächlich angebracht wurde. Im vorliegenden Fall wurde diese Vermutung nicht widerlegt (E. 2b cc).
Das kantonale Recht kannte weder den «Anwalt der ersten Stunde» noch den Anspruch des Beschuldigten auf Teilnahme des Verteidigers an polizeilichen Einvernahmen; der Verteidiger konnte nur an (untersuchungs-)richterlichen Einvernahmen teilnehmen. Ein amtlicher Verteidiger war demnach nicht schon für die erste polizeiliche Einvernahme und grundsätzlich auch nicht schon für die erste untersuchungsrichterliche Einvernahme zu bestellen. Auf den konventionsrechtlichen Anspruch auf einen «Verteidiger der ersten
Stunde» auch für die erste polizeiliche Einvernahme war der Beschuldigte nicht speziell hinzuweisen (E. 2b dd, 2c aa und 2d aa).
Äusserungen des Beschuldigten, die nicht in einer ordnungsgemäss protokollierten Einvernahme erhoben, sondern nur in einer Aktennotiz festgehalten werden, sind nicht verwertbar. Aufzeichnungen über solche Äusserungen sind aus den Akten zu entfernen; allenfalls sind Kopien der Dokumente an den Akten zu belassen, in denen die fraglichen Aufzeichnungen unkenntlich gemacht worden sind (E. 2f aa).
In einem Strafverfahren kann nur über die Entfernung von Unterlagen aus den Akten dieses Strafverfahrens entschieden werden. Über eine allfällige Entfernung von Unterlagen aus den Akten anderer Verfahren müsste gegebenenfalls in diesen andern Verfahren befunden werden (E. 2f bb).
Die Staatsanwaltschaft führt gegen X. eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts unter anderem des Versuchs der vorsätzlichen Tötung, begangen am 18. September 2010. Am 2. August 2011 ersuchte X. die Staatsanwaltschaft, die Protokolle über seine polizeilichen und untersuchungsrichterlichen Einvernahmen vom 19., 20., 23. und 29. September 2010, Vorhalte auf die damaligen Aussagen in weiteren Protokollen und weitere Aktenstellen als unverwertbare Beweise aus den Akten des gegen ihn gerichteten Verfahrens, aus den beigezogenen Strafvollzugsakten in Sachen Y. und aus den Akten allfälliger Strafverfahren gegen Y. und Z. zu entfernen, eventuell in den Akten unkenntlich zu machen. Der zuständige Staatsanwalt erklärte am 19. August 2011, er nehme die Eingabe zur Kenntnis und überlasse sie im Übrigen dem urteilenden Gericht als Hinweis zur Prüfung im Rahmen der Beweiswürdigung der genannten Aktenstücke. Dagegen erhob X. Beschwerde ans Obergericht; er beantragte in erster Linie, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, seinen Anträgen vom 2. August 2011 nachzukommen. Das Obergericht hiess die Beschwerde teilweise gut, soweit darauf einzutreten war.
Aus den Erwägungen:
1.- Gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft, die nach Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung1 gefällt werden, kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an deren
Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO,
SR 312.0).
Aufhebung Änderung hat, innert zehn Tagen beim Obergericht neurechtliche Beschwerde erheben (Art. 393 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. b, Art. 382 Abs. 1, Art. 396 Abs. 1 und Art. 454 Abs. 1 StPO sowie Art. 43 Abs. 1 JG2), dies unter Vorbehalt gewisser hier nicht massgeblicher Ausnahmen.3
Die Beschwerde richtet sich gegen das Schreiben des zuständigen Staatsanwalts vom 19. August 2011 und wurde insoweit fristund formgerecht erhoben. Mit diesem Schreiben hat sich der Staatsanwalt im Ergebnis geweigert, auf Antrag des Beschwerdeführers verschiedene Dokumente (insbesondere Einvernahmeprotokolle) wegen angeblicher Unverwertbarkeit aus den Akten zu entfernen bzw. unkenntlich zu machen. Der prozessleitende Entscheid der Staatsanwaltschaft zur Frage der Entfernung von Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Akten ist nach heutigem Verfahrensrecht beschwerdefähig.4
Der Staatsanwalt hat im Schreiben vom 19. August 2011 auf Art. 448 Abs. 2 StPO verwiesen. Wie er zutreffend erklärt, behalten nach dieser Bestimmung Verfahrenshandlungen, die vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung gemäss Schaffhauser Strafprozessordnung5 (und im Einklang mit der Bundesverfassung6 und der Europäischen Menschenrechtskonvention7) durchgeführt wurden, ihre Gültigkeit.8 Wurden jedoch was hier strittig ist bei der Erhebung von Beweisen die damals geltenden Vorschriften missachtet, so sind nach Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung die neurechtlichen Verfahrensbestimmungen über die Behandlung unverwertbarer Beweise anwendbar.9 Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers und die vorliegende Beschwerde sind daher grundsätzlich
Justizgesetz vom 9. November 2009 (JG, SHR 173.200).
Vgl. Art. 394 lit. b StPO und die Auflistung bei Stephenson/Thiriet, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Basel 2011, Art. 393 N. 11,
S. 2620 f.
Vgl. Sabine Gless, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Basel 2011, Art. 141 N. 118, S. 988; Wolfgang Wohlers in: Donatsch/Hansjakob/Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich/ Basel/Genf 2010, Art. 141 N. 10, S. 611.
Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 (StPO/SH, SHR 320.100).
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101).
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101).
Vgl. Hanspeter Uster, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Basel 2011, Art. 448 N. 3, S. 2913 f.
Vgl. Art. 448 Abs. 1 StPO.
zulässig. Sie sind nicht etwa deswegen verwirkt, weil der Antrag auf Entfernung der Dokumente aus den Akten erst gut zehn Monate nach den fraglichen Beweiserhebungen gestellt wurde. Das Gesetz sieht keine Frist für einen solchen Antrag vor. Dieser kann daher prinzipiell irgendwann im Verlauf des Verfahrens gestellt werden.
Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.10
2.- Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet (Art. 141 Abs. 5 StPO).
Aus den Akten zu entfernen sind gegebenenfalls nur Beweise, die von den Strafverfolgungsbehörden erhoben bzw. erstellt werden.11 Nicht erfasst von der Regelung werden somit Eingaben, die von den Parteien ausserhalb der Beweiserhebung eingereicht werden. Für die Entfernung des Haftentlassungsgesuchs des Beschwerdeführers vom 21. September 2010 besteht demnach keine Grundlage.
Der Beschwerdeführer erachtet die polizeiliche Einvernahme vom
19. September 2010 (kurz nach dem fraglichen Vorfall) als unverwertbar, weil er nicht einvernahmefähig und nicht in der Lage gewesen sei, das Protokoll durchzulesen und zu unterschreiben, weil ihm das Aussageverweigerungsrecht nicht verständlich gemacht worden sei, weil er nicht darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass er schon für die erste polizeiliche Einvernahme einen Anwalt beiziehen könne, weil ihm nicht von Amts wegen schon für diese Einvernahme ein Anwalt als Verteidiger bestellt worden sei und weil ihm nicht ein Dolmetscher zur Seite gestellt bzw. er nicht zumindest auf sein Recht auf Beizug eines Dolmetschers hingewiesen worden sei.
aa) Wird mit Personen verhandelt, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher beizuziehen (Art. 76 Abs. 2 Satz 1 StPO/SH). Ein Angeschuldigter Angeklagter, der die Verhandlungssprache nicht versteht sich darin nicht ausdrücken kann, hat Anspruch auf Beizug eines Dolmetschers (Art. 77 Abs. 1 StPO/SH). Ein spezieller Hinweis zu Beginn der Einvernahme, dass er einen Dolmetscher verlangen könne, war nach dem seinerzeitigen Verfahrensrecht jedoch nicht erforderlich.12
Aufgrund der Akten kann der Beschwerdeführer hinreichend Deutsch, um einer Einvernahme im Grundsatz zu folgen. Daher war zur Einvernahme vom 19. September 2010 nicht zwingend ein Dolmetscher beizuziehen. Der
Vgl. jedoch unten, E. 2f bb.
Vgl. die Konstellationen von Art. 141 Abs. 1-4 StPO.
Vgl. dagegen heute Art. 158 Abs. 1 lit. d StPO.
Beschwerdeführer hat dies auch nicht verlangt, so dass nicht gesagt werden kann, sein Anspruch auf Beizug eines Dolmetschers sei verletzt worden.
Es besteht daher kein Grund, die Einvernahme mangels Beizugs eines Dolmetschers als ungültig zu betrachten.
bb) Wo das Gesetz die Mitwirkung die Teilnahme des Beschuldigten vorsieht, muss dieser hiezu körperlich und geistig fähig sein (Art. 39 Satz 1 StPO/SH). Die damit umschriebene Verhandlungsfähigkeit bedeutet, dass der Beschuldigte zum einen fähig sein muss, bei der fraglichen Prozesshandlung überhaupt anwesend zu sein, um die nötigen Verteidigungsmittel einsetzen zu können (Verhandlungsfähigkeit im engern Sinn). Zum andern muss er fähig sein, bei Einvernahmen Auskunft über seine Person und den Sachverhalt zu geben (Vernehmungsfähigkeit).13
Der Beschwerdeführer erklärte zu Beginn der Einvernahme auf die Frage, wie es ihm gehe: «Gestört, es geht mir überhaupt nicht gut.» Auf die Anschlussfrage, ob er fähig sei, Fragen zu beantworten, erklärte er jedoch: «Ja, das geht schon.»
Es ist nachvollziehbar dass der Beschwerdeführer aufgrund der vorangegangenen Ereignisse wie auch immer sie zu würdigen seien aufgewühlt war. Das ist keineswegs aussergewöhnlich und kommt auch in andern Fällen regelmässig vor. Dieser Umstand vermag aber nicht unbesehen die Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers zu begründen. Er selber hat sich denn auch als einvernahmefähig bezeichnet. Spezielle Hinweise, dass er dennoch schlechthin nicht vernehmungsfähig gewesen wäre, bestehen nicht. Das lässt sich auch nicht etwa von seinem nachmaligen Aussageverhalten als solchen ableiten. Daher bestand aber auch kein Anlass, die Einvernahmefähigkeit vor der Einvernahme ärztlich abklären zu lassen.
Der Beschwerdeführer las das Protokoll schliesslich nicht durch und unterschrieb es auch nicht. Der einvernehmende Polizeibeamte hielt dazu fest:
«Der Beschuldigte kann die EV nicht durchlesen und unterschreiben aufgrund seines aufgelösten Zustandes.» Auch der Beschwerdeführer räumt ein, dass die Verweigerung der Kenntnisnahme vom Protokollinhalt und/oder der Unterzeichnung die Gültigkeit bzw. Verwertbarkeit des Protokolls grundsätzlich
nicht in Frage stellt. Im Kanton Schaffhausen sah § 5 Abs. 3 der Protokollie-
Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. A., Basel/Genf/München 2005, § 39 N. 27, S. 158; vgl. auch Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. A., Zürich/Basel/
Genf 2004, N. 467, S. 150.
rungsverordnung14 dazu vor: «Will kann jemand nicht unterschreiben, so ist das unter Angabe der Gründe anzumerken.» Demnach vermag nicht nur die Verweigerung der Kenntnisnahme bzw. der Unterschrift im engern Sinn, sondern auch das Unvermögen aus weiteren Gründen nichts an der Gültigkeit der mit der entsprechenden Anmerkung abgeschlossenen - Einvernahme zu ändern. Der Beschwerdeführer behauptet jedenfalls nicht, dass ihm nicht wenigstens Gelegenheit geboten worden wäre, vom Protokollinhalt Kenntnis zu nehmen und das Protokoll zu unterschreiben. Der Umstand, dass er diese Gelegenheit nicht wahrnehmen konnte mochte, lässt ihn im Übrigen nicht ohne weiteres als vernehmungsunfähig erscheinen.
Es besteht daher kein Grund, die Einvernahme wegen fehlender Vernehmungsfähigkeit des Beschwerdeführers wegen Formungültigkeit des Protokolls als nicht verwertbar zu betrachten.
cc) Gemäss Protokoll wurden dem Beschwerdeführer zu Beginn der Einvernahme vom 19. September 2010 folgende Hinweise gemacht:
Sie sind wegen Verdachts der versuchten Tötung vorläufig festgenommen worden. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Ihre Aussagen können als Beweismittel verwendet werden. Sie können beim zuständigen Untersuchungsrichter einen Verteidiger verlangen. Sofern Sie es wünschen und das Verfahren dadurch nicht gefährdet wird, benachrichtigen wir, nach Rücksprache mit dem Untersuchungsrichter, Ihre nächsten Angehörigen.
Haben Sie das verstanden
Der Beschwerdeführer erklärte hierauf: «Meine Freundin hätte ich gerne benachrichtigt.»
Mit dieser Antwort knüpfte der Beschwerdeführer an den letzten Teil der protokollierten Belehrung an. Das bestätigt, dass tatsächlich eine Belehrung stattgefunden hat. Dass sich der Beschwerdeführer auf das entsprechende Anliegen beschränkt und nicht auch die vorhergehenden Hinweise konkret quittiert hat, erscheint nicht als aussergewöhnlich und lässt insbesondere nicht unbesehen darauf schliessen, dass er nicht entsprechend dem Protokoll - umfassend belehrt worden wäre, unter anderem über das in Art. 14 Ziff. 3 lit. g IPBPR15 ausdrücklich gewährleistete Aussageverweigerungsrecht. Auch wenn er sich nicht an eine entsprechende Rechtsbelehrung erinnern mag wie er in der Beschwerde und damit fast ein Jahr nach der Einvernahme erstmals
Verordnung des Obergerichts über die Protokollierung in Strafund Zivilprozessen sowie im Verfahren vor Verwaltungsgericht vom 26. August 1988 (Protokollierungsverordnung; OS 26,
S. 711 ff.; gültig bis 31. Dezember 2010).
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, abgeschlossen in New York am
16. Dezember 1966 (IPBPR, SR 0.103.2).
geltend macht -, vermag dies die Vermutung der Richtigkeit des Protokolls nicht zu widerlegen.16
Es besteht daher kein Grund anzunehmen, dass der Beschwerdeführer nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden wäre, und die Einvernahme deswegen als ungültig zu betrachten.
dd) Die Schaffhauser Strafprozessordnung kannte weder den «Anwalt der ersten Stunde» noch das Recht des Beschuldigten, dass seine Verteidigung an polizeilichen Einvernahmen teilnehmen kann.17 In Fällen obligatorischer Verteidigung18 war sodann ein allfälliger amtlicher Verteidiger jedenfalls nicht schon vor der ersten polizeilichen Einvernahme einzusetzen. Dem Beschwerdeführer war daher aufgrund des damals geltenden kantonalen Rechts grundsätzlich nicht Gelegenheit zu geben, bereits für die polizeiliche Einvernahme vom 19. September 2010 einen Verteidiger beizuziehen; es war ihm insbesondere auch nicht von Amts wegen schon hiefür ein amtlicher Verteidiger zu bestellen.
Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte19 muss zwar der Beschuldigte aufgrund der Verfahrensgarantien von Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK schon ab der ersten auch polizeilichen - Einvernahme die Möglichkeit haben, einen Verteidiger beizuziehen. Der Beizug eines «Anwalts der ersten Stunde» ist aber nach dieser Rechtsprechung freiwillig und muss vom Beschuldigten verlangt werden. Daraus lässt sich jedenfalls mit Bezug auf das seinerzeit anwendbare Verfahrensrecht somit nicht ableiten, dass der Beschuldigte ausdrücklich schon vorab darauf hinzuweisen wäre, dass er schon vor der Fortsetzung der ersten
polizeilichen Einvernahme einen Verteidiger beiziehen könne, der bereits in dieser ersten Einvernahme auch anwesend sein dürfe.
Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Einvernahme vom 19. September 2010 darauf hingewiesen, dass er einen Verteidiger verlangen könne. Das hat er jedoch nicht gewünscht. Daher stellt es unter den gegebenen Umständen keine Konventionsverletzung dar, dass er ohne Beizug eines Anwalts einvernommen wurde. Es kann jedenfalls nicht gesagt werden, der Zugang zu einem Anwalt sei ihm verweigert worden.
Es besteht daher kein Grund, die Einvernahme vom 19. September 2010 wegen Verletzung der Verteidigungsrechte als ungültig zu betrachten.
Vgl. Art. 84 Abs. 2 StPO/SH.
Vgl. dagegen heute Art. 158 Abs. 1 lit. c und Art. 159 Abs. 1 StPO.
Vgl. für den vorliegenden Fall Art. 47 lit. b StPO/SH.
Entscheide Salduz gegen Türkei vom 27. November 2008 (Nr. 36391/02) und Pishchalnikov gegen Russland vom 24. September 2009 (Nr. 7025/04).
ee) Das Protokoll der polizeilichen Einvernahme vom 19. September 2010 ist demnach nicht als unverwertbar aus den Akten zu entfernen.
Der Beschwerdeführer erachtet die untersuchungsrichterliche Einvernahme vom 20. September 2010 als unverwertbar, weil ihm nicht schon hiefür ein amtlicher Verteidiger bestellt worden sei
aa) Sobald ein Fall obligatorischer Verteidigung gegeben erscheint, ist dem Beschuldigten, der nicht durch einen frei gewählten Verteidiger ausreichend verbeiständet ist, von Amts wegen ein Verteidiger zu bestellen (Art. 48 Abs. 1 StPO/SH). Sobald nach den Umständen des Falls die Gewährung amtlicher Verteidigung in Frage kommt, hat der Verfahrensleiter im Vorverfahren der zuständige Untersuchungsrichter (Art. 64 Abs. 2 Satz 1 StPO/SH) - den Beschuldigten darüber zu belehren (Art. 48 Abs. 4 StPO/SH).
Ab welchem Zeitpunkt genau die obligatorische Verteidigung effektiv sicherzustellen sei was grundsätzlich erst nach der entsprechenden Belehrung möglich war -, regelte die Schaffhauser Strafprozessordnung nicht. Nach ständiger Praxis durfte eine erste untersuchungsrichterliche Einvernahme prinzipiell noch vor Beiziehung bzw. amtlicher Bestellung eines Verteidigers stattfinden; dies jedenfalls dann, wenn sie unverzüglich, gleich zu Beginn des Vorverfahrens durchgeführt wurde, was in Fällen wie hier insbesondere auf die innert höchstens 24 Stunden, bei triftigen Gründen innert höchstens 48 Stunden seit Zuführung des Beschuldigten an die Polizei durchzuführende Hafteinvernahme zutrifft (vgl. Art. 156 StPO/SH). Das entsprach im Übrigen auch der Praxis zu der laut Beschwerdeführer «im Wesentlichen identischen Regelung» der zürcherischen Strafprozessordnung.20 Auch nach heutigem Recht ist dann, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung bei Einleitung des Vorverfahrens erfüllt sind, die Verteidigung grundsätzlich nach der ersten Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft, jedenfalls aber vor Eröffnung der Untersuchung, sicherzustellen (Art. 131 Abs. 2 StPO). Ob diese Praxis auch dann angewandt werden könne, wenn in Fällen obligatorischer
bzw. notwendiger Verteidigung die erste untersuchungsrichterliche Einvernahme erst nach Wochen Monaten stattfindet21, kann hier offenbleiben.
Der zuständige Untersuchungsrichter wies den Beschwerdeführer zu Beginn der Einvernahme vom 20. September 2010, in deren Anschluss er ihn in
Schmid, N. 491, S. 159; Lieber/Donatsch in: Donatsch/Schmid (Hrsg.), Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1996 ff., Stand August 2006, § 13 N. 1, S. 2; je mit Hinweisen.
Vgl. die vom Beschwerdeführer erwähnte Rechtsprechung in ZR 2010 Nr. 18, insbesondere
E. 2.2.2, mit Hinweis unter anderem auf ZR 2001 Nr. 100.
Untersuchungshaft versetzte, darauf hin, dass er jederzeit einen Verteidiger beiziehen könne. Noch vor der Befragung zur Sache erklärte der Untersuchungsrichter sodann, der Beschwerdeführer werde für das Verfahren einen Strafverteidiger brauchen; er erkundigte sich, wen der Beschwerdeführer als Verteidiger wolle. Damit nahm er die im Gesetz vorgesehene Belehrung vor. Der Beschwerdeführer verlangte jedoch nicht, den Verteidiger bereits vor der untersuchungsrichterlichen Einvernahme konsultieren zu können.
In dieser Situation besteht kein Grund, die Einvernahme vom 20. September 2010 wegen Verletzung der Verteidigungsrechte als ungültig zu betrachten.
Der Beschwerdeführer erachtet die polizeilichen Einvernahmen vom
23. und 29. September 2010 als unverwertbar, weil diese ohne Wissen des inzwischen eingesetzten Verteidigers stattgefunden hätten und der Beschwerdeführer nicht darüber informiert worden sei, dass er ein Recht auf Anwesenheit der Verteidigung auch in sämtlichen polizeilichen Einvernahmen habe
aa) Nach der Schaffhauser Strafprozessordnung bestand kein Recht des Beschuldigten, dass seine Verteidigung an polizeilichen Einvernahmen teilnehmen könne. Der Verteidiger konnte grundsätzlich nur an der (untersuchungs-)richterlichen Einvernahme des Angeschuldigten teilnehmen, und dies auch nur, sofern keine Beeinträchtigung des Untersuchungszwecks zu befürchten war (Art. 220 Abs. 1 StPO/SH). Dem am 20. September 2010, nach der ersten untersuchungsrichterlichen Einvernahme eingesetzten amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers war daher aufgrund des damals geltenden kantonalen Rechts nicht Gelegenheit zu geben, an den polizeilichen Einvernahmen des Beschwerdeführers teilzunehmen.
Soweit im fraglichen Zeitpunkt ein weitergehender, konventionsrechtlicher Anspruch auf Teilnahme der Verteidigung auch an polizeilichen Einvernahmen bestanden haben sollte, hätte er konkret geltend gemacht werden müssen.22 Der Beschwerdeführer behauptet jedoch nicht, und es ist auch nicht ersichtlich, dass er sein amtlicher Verteidiger seinerzeit eine Teilnahme des Letzteren an den weiteren polizeilichen Einvernahmen verlangt hätte. Der Verteidiger hat sich zum entsprechenden Anspruch insbesondere auch nicht geäussert, als er vor der untersuchungsrichterlichen Einvernahme vom
28. September 2010 Einsicht ins Protokoll der polizeilichen Einvernahme vom 23. September 2010 erhalten hatte. Daher stellt es unter den gegebenen Umständen keine Konventionsverletzung dar, dass der Beschwerdeführer ohne Beizug eines Anwalts polizeilich einvernommen wurde.
Vgl. oben, lit. b dd.
Es besteht daher kein Grund, die Einvernahmen vom 23. und 29. September 2010 wegen Verletzung der Verteidigungsrechte als ungültig zu betrachten.
Sind somit alle von der Beschwerde erfassten Einvernahmen nicht als unverwertbar aus den Akten zu entfernen, so besteht auch kein Grund, Hinweise darauf in weiteren Aktenstücken zu entfernen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Wiedergabe seiner angeblichen Äusserungen im Tatbestandsrapport vom 2. Dezember 2010 und im Wahrnehmungsbericht vom 19. September 2010 der Schaffhauser Polizei sei als unverwertbar aus seinen Akten sowie aus den Strafvollzugsakten und den Akten allfälliger Strafverfahren gegen Y. und Z. zu entfernen, eventuell in den Akten unkenntlich zu machen.
aa) Es geht um Äusserungen, die der Beschwerdeführer noch am Abend des 18. September 2010, im Rahmen der ersten polizeilichen Ermittlungen kurz nach dem fraglichen Vorfall, auf der Fahrt ins Kantonsspital Schaffhausen und während des dortigen Aufenthalts (zur Untersuchung und Wundversorgung), aber noch vor der Zuführung an die Zentrale Polizeistation Schaffhausen getan haben soll.
Das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist zwar relativ formlos. Immerhin hatte die Polizei seinerzeit bei der Durchführung ihrer Ermittlungen die Verfahrensvorschriften der Schaffhauser Strafprozessordnung sinngemäss zu beachten (Art. 210 Abs. 2 StPO/SH). Äusserungen des Angeschuldigten waren daher grundsätzlich unter Wahrung seiner Rechte in der Form einer ordnungsgemäss protokollierten Einvernahme zu erheben, also nicht beispielsweise nur in einer blossen, von ihm nicht kontrollierbaren Aktennotiz festzuhalten.23 Dem genügen die fraglichen Hinweise auf nicht separat protokollierte Äusserungen nicht. Sie sind daher nicht verwertbar.
Die fraglichen Aufzeichnungen über Äusserungen des Beschwerdeführers sind demnach gemäss Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Akten des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer zu entfernen. Der Wahrnehmungsbericht vom 19. September 2010 und der Tatbestandsrapport vom 2. Dezember 2010 enthalten jedoch nicht nur diese Aufzeichnungen. Entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers sind daher anstelle der zu entfernenden Originale der entsprechenden Aktenstellen Kopien an den Akten zu belassen, in denen die fraglichen Aufzeichnungen unkenntlich gemacht worden sind.
Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. A., Bern 2005, S. 417, Rz. 958, mit Hinweis.
bb) Die angefochtene Verfügung ist im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer ergangen. Daher kann hier auch nur über die Entfernung von Unterlagen aus den Akten dieses Strafverfahrens entschieden werden. Über eine allfällige Entfernung von Unterlagen aus den Akten anderer Verfahren müsste gegebenenfalls in diesen andern Verfahren befunden werden.24 Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
Die Beschwerde erweist sich somit nur zum kleinsten Teil als begründet; im weit überwiegenden Umfang ist sie abzuweisen.
Vgl. im Übrigen zur Problematik der Regelung von Art. 141 Abs. 5 StPO, wenn mehrere Personen beteiligt sind, das Beweisverwertungsverbot aber nur zugunsten einer davon gilt, Wohlers, Art. 141 N. 10, S. 611; Gless, Art. 141 N. 108, S. 986.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.