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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils ZK1-19-208: Kantonsgericht Graubünden

X.___ wurde aufgrund von Selbstgefährdung in einer Klinik untergebracht, woraufhin eine Behandlung ohne Zustimmung angeordnet wurde. X.___ erhob Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden. Nach Einholung von Gutachten und Akten wurde festgestellt, dass X.___ an einer schweren psychischen Störung leidet. Trotz Verweigerung der Medikation wurde die Behandlung als unumgänglich erachtet. Das Gericht entschied, dass die Voraussetzungen für die Behandlung ohne Zustimmung erfüllt sind und wies die Beschwerde ab. Die Kosten des Verfahrens von insgesamt CHF 2'792.00 trägt der Kanton Graubünden.

Urteilsdetails des Kantongerichts ZK1-19-208

Kanton:GR
Fallnummer:ZK1-19-208
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid ZK1-19-208 vom 23.12.2019 (GR)
Datum:23.12.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter : Behandlung; Zustimmung; Person; Klinik; Medikation; Verfahren; Geiser; Graubünden; Störung; Unterbringung; Kanton; Gutachterin; Thomas; Verfügung; Krankheit; Massnahme; Akten; Gutachten; Gericht; Anordnung; Kantons; Kantonsgericht; Krankheits
Rechtsnorm:Art. 10 BV ;Art. 106 ZPO ;Art. 16 ZGB ;Art. 36 BV ;Art. 433 ZGB ;Art. 434 ZGB ;Art. 439 ZGB ;Art. 446 ZGB ;Art. 450 ZGB ;Art. 450a ZGB ;Art. 450e ZGB ;Art. 7 BV ;Art. 72 BGG ;
Referenz BGE:116 II 406; 127 I 6; 130 I 16; 143 III 189;
Kommentar:
Geiser, Basler Kommentar Zivilgesetz- buch I, Art. 450 ZGB, 2018
Christoph Auer, Geiser, Marti, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, Art. 446 ZGB, 2018
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts ZK1-19-208

Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni

Entscheid vom 23. Dezember 2019
Referenz
ZK1 19 208
Instanz
I. Zivilkammer
Besetzung
Brunner, Vorsitzender

Michael Dürst und Pedrotti

Richter, Aktuarin
Parteien
X.___
Beschwerdeführerin
Gegenstand
Behandlung ohne Zustimmung
Anfechtungsobj.
Verfügung Psychiatrische Dienste Graubünden (PDGR) vom
11. Dezember 2019, mitgeteilt gleichentags
Mitteilung
06. Januar 2020


1 / 12

I. Sachverhalt
A.
X.___, geboren am ___ 1972, wurde am ___ 2019 von
Dr. med. A.___ aufgrund von Selbstgefährdung durch Nahrungsverweigerung
und Rückzug bei fehlender Krankheitseinsicht fürsorgerisch in der Klinik B.___
untergebracht.
B.
In der Folge ordnete die Klinik B.___ am ___ 2019 eine Behandlung
ohne Zustimmung von X.___ nach Art. 434 ZGB an.
C.
Mit Eingabe vom 13. Dezember 2019 (Poststempel) erhob X.___ (fortan
Beschwerdeführerin) gegen diese Behandlung ohne Zustimmung Beschwerde
beim Kantonsgericht von Graubünden.
D.
Der Vorsitzende der I. Zivilkammer des Kantonsgerichts von Graubünden
ersuchte die Klinik B.___ mit Schreiben vom 16. Dezember 2019, unter Fristan-
setzung bis zum 17. Dezember 2019, um einen kurzen Bericht zum Gesundheits-
zustand der Beschwerdeführerin, zur Art der Behandlung und insbesondere dar-
über, inwiefern die Voraussetzungen für eine Behandlung ohne Zustimmung aus
ärztlicher Sicht gegeben seien. Weiter forderte er die wesentlichen Klinikakten
über die Patientin an. Sofern der angeordneten Behandlung eine fürsorgerische
Unterbringung zugrunde liege, ersuchte er die Klinik B.___ zudem um Zustel-
lung der entsprechenden Verfügung.
E.
Am 17. Dezember 2019 reichte die Klinik B.___ den angeforderten Be-
richt ein. Im Bericht wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei ab dem
1. November 2019 in der Tagesklinik in O.1___ angemeldet worden, nachdem
sie aus dem Kanton O.2___ zugezogen sei. Am 6. November 2019 sei von den
Psychiatrischen Diensten Graubünden in O.3___ eine Gefährdungsmeldung an
die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Mittelbünden/Moesa erfolgt. Am
7. Dezember 2019 [recte: 4. Dezember 2019] sei die Beschwerdeführerin per für-
sorgerische Unterbringung durch Dr. med. A.___ in die Klinik B.___ einge-
wiesen worden. Es bestehe eine akute schizophreniforme psychotische Störung
bzw. der hochgradige Verdacht einer paranoiden Schizophrenie. Die Beschwerde-
führerin sei massiv misstrauisch, massiv zurückgezogen, unkooperativ sowie
krankheitsund behandlungsuneinsichtig. Zusammenfassend bestehe ein psycho-
tischer Zustand. Die am 11. Dezember 2019 angeordnete Behandlung ohne Zu-
stimmung sei nach einmaliger Medikationsgabe sistiert worden, da die Beschwer-
deführerin Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden eingelegt habe. Die
Beschwerdeführerin sei anhaltend stark psychotisch und benötige dringlich eine
2 / 12

antipsychotische Medikation, andere weniger einschneidende Massnahmen seien
aktuell nicht ersichtlich.
F.
Der Vorsitzende holte alsdann von der Kindesund Erwachsenenschutzbe-
hörden Mittelbünden/Moesa die Akten über die Beschwerdeführerin ein. Diesen ist
insbesondere zu entnehmen, dass die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde
Mittelbünden/Moesa mit Entscheid vom 12. Dezember 2019 vorsorgliche Mass-
nahmen anordnete. Konkret errichtete sie eine Vertretungsbeistandschaft für die
Beschwerdeführerin und ernannte C.___, Berufsbeistandschaft Viamala, zur
Beiständin.
G.
Mit prozessleitender Verfügung des Vorsitzenden vom 18. Dezember 2019
wurde Dr. med. D.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH,
gestützt auf Art. 439 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 450e Abs. 3 ZGB mit der
Begutachtung der Beschwerdeführerin betraut. Die Gutachterin wurde ersucht
darzulegen, ob und inwiefern ein Bedarf an der Behandlung einer festgestellten
psychischen Erkrankung bzw. an der Betreuung der betroffenen Person bestehe
und mit welcher konkreten Gefahr für die Gesundheit das Leben der be-
troffenen Person bzw. von Dritten zu rechnen sei, wenn die Behandlung der gut-
achterlich festgestellten Krankheit bzw. die Betreuung unterbleibe. Im Gutachten
sei weiter die Frage zu beantworten, ob aufgrund des festgestellten Handlungsbe-
darfs eine stationäre Behandlung bzw. Betreuung unerlässlich sei allfällige
ambulante Alternativen bestünden, wobei der Experte auch darüber Auskunft zu
geben habe, ob die Person über glaubwürdige Krankheitsund Behandlungsein-
sicht verfüge.
H.
Die Gutachterin Dr. med. D.___ attestiert in ihrem Gutachten, datierend
vom 20. Dezember 2019, dass bei der Beschwerdeführerin der hochgradige Ver-
dacht einer nicht näher bezeichnenden Schizophrenie (ICD-10: F20.9) sowie eine
anhaltende wahnhafte Störung (ICD-10: F22.8) vorliege. Die Störung aus dem
schizophrenen Formenkreis der Beschwerdeführerin gehe seit Monaten mit einem
zunehmenden Rückzug in die eigene Wohnung ins eigene Zimmer bis zur
nahezu vollständigen Immobilisation im Bett einher. Dies geschehe anscheinend
aus Angst vor den Menschen. Wenn die Beschwerdeführerin auch auf direkte
Fragen hin sowohl Ängste als auch Wahngedanken und Wahrnehmungsstörungen
bestreite, sei aus anderen Äusserungen sowie aus ihrem Verhalten darauf zu
schliessen, dass sie durch einen seelischen Vorgang ganz erheblich in ihrer Be-
wegungsfreiheit eingeschränkt sei. Es bestehe zwar keine aktive Suizidalität, je-
doch eine Selbstgefährdung durch komplette Isolation und Passivität.
3 / 12

I.
Mit Verfügung vom 18. Dezember 2019 wurde die Beschwerdeführerin zur
mündlichen Hauptverhandlung auf den 23. Dezember 2019 vor der I. Zivilkammer
des Kantonsgerichts von Graubünden vorgeladen.
J.
Noch vor Durchführung der anberaumten Hauptverhandlung teilte die Be-
schwerdeführerin hierorts in Schriftform mit, auf die Anhörung durch das Gericht
zu verzichten.
K.
Auf die weiteren Ausführungen im Gutachten, im Bericht der Klinik B.___
und in den beigezogenen Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden
Erwägungen eingegangen.
II. Erwägungen
1.1.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Behandlung einer psychi-
schen Störung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB. Das Kantonsgericht von
Graubünden ist hierfür einzige kantonale Beschwerdeinstanz (Art. 439 Abs. 1
Ziff. 4 und 4 ZGB in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum
Zivilgesetzbuch [EGzZGB; BR 210.100]) und dementsprechend zur Beurteilung
der vorliegenden Beschwerde zuständig.
1.2.
Gegen eine Behandlung ohne Zustimmung nach Art. 434 ZGB kann die
betroffene eine ihr nahestehende Person innert zehn Tagen schriftlich beim
zuständigen Gericht Beschwerde erheben (Art. 439 Abs. 1 und 2 ZGB). Eine Be-
gründung ist nicht notwendig (Art. 439 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 450e
Abs. 1 ZGB). Vorliegend handelt es sich um eine Beschwerde der betroffenen
Person, die sich einzig gegen die am 11. Dezember 2019 angeordnete Behand-
lung ohne Zustimmung richtet. Demgegenüber ist die am 4. Dezember 2019 an-
geordnete fürsorgerische Unterbringung nicht angefochten. Mit dem vorliegenden
Erkenntnis erfolgt somit keine Überprüfung der fürsorgerischen Unterbringung an
sich. Die Beschwerdefrist wurde mit der Eingabe vom 13. Dezember 2019 (Datum
Poststempel) gewahrt (act. 01). Daher ist auf die fristund formgerecht eingereich-
te Beschwerde einzutreten.
2.1.
Das Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz richtet sich nach
Art. 450a ff. ZGB. Zu beachten sind sodann die allgemeinen Verfahrensgrundsät-
ze des erstinstanzlichen Verfahrens (Art. 443 ff. ZGB), die auch im Verfahren vor
der gerichtlichen Beschwerdeinstanz anwendbar sind, soweit das Gesetz in den
Art. 450 ff. ZGB keine abweichenden Vorschriften enthält (vgl. Lorenz Droe-
se/Daniel Steck, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetz-
buch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 13 zu Art. 450 ZGB). Dies gilt namentlich für die in
4 / 12

Art. 446 ZGB verankerte uneingeschränkte Untersuchungsund Offizialmaxime
und das an gleicher Stelle festgeschriebene Prinzip der Rechtsanwendung von
Amtes wegen. Der Anwendungsbereich dieser zentralen Verfahrensgrundsätze
bezieht sich auf sämtliche Verfahren vor der Kindesund Erwachsenenschutzbe-
hörde und erstreckt sich wenn auch teilweise in abgeschwächter Form - nach
dem Grundsatz der Einheit des Prozesses auch auf die Verfahren vor der gericht-
lichen Beschwerdeinstanz (vgl. Luca Maranta/Christoph Auer/Michèle Marti, in:
Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Ba-
sel 2018, N 1 f. zu Art. 446 ZGB mit weiteren Hinweisen). Aus Art. 450a ZGB wie
auch aus Art. 5 Ziff. 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101) ergibt sich schliesslich, dass das Gericht Tat-
und Rechtsfragen wie auch die Angemessenheit frei überprüft und ihm von Bun-
desrechts wegen volle Kognition zukommt.
2.2.
Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass das Gericht aufgrund eines
Gutachtens entscheiden muss, wenn die betroffene Person an einer psychischen
Störung leidet (Art. 439 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 450e Abs. 3 ZGB). Das
Gutachten muss von einer unabhängigen, im laufenden Verfahren noch nicht in-
volvierten sachverständigen Person erstellt werden und in dem Sinne aktuell sein,
dass es sich zu den sich im gerichtlichen Verfahren stellenden Fragen äussern
muss (BGE 143 III 189 E. 3.2 f.; Thomas Geiser/Mario Etzensberger, in: Gei-
ser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Ba-
sel 2018, N 48 ff. zu Art. 439 ZGB; Thomas Geiser, in: Geiser/Fountoulakis
[Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 19 zu
Art. 450e ZGB). Mit dem Kurzgutachten vom 20. Dezember 2019 von
Dr. med. D.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, welche die
Beschwerdeführerin am 19. Dezember 2019 persönlich untersuchte, wurde dieser
Vorschrift Genüge getan (act. 08).
2.3.
Gemäss Art. 450e Abs. 4 Satz 1 ZGB hört die gerichtliche Beschwer-
deinstanz die betroffene Person in der Regel als Kollegium an (vgl. Christof Bern-
hart, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel 2011, N 848 f.). Eine
Anhörung ist indessen nicht immer möglich und sinnvoll. Entsprechend schreibt
das Gesetz eine Anhörung lediglich in der Regel vor (Thomas Geiser, a.a.O., N 24
zu Art. 450e ZGB). Wenn eine Anhörung unmöglich ist, etwa weil die betroffene
Person jede Aussage verweigert aus gesundheitlichen Gründen, die vielleicht
gerade in der Krankheit liegen, um derentwegen die Betroffene in die Anstalt ein-
gewiesen worden ist, kann und muss aufgrund der Akten entschieden werden
(BGE 116 II 406 E. 2; Thomas Geiser, a.a.O., N 24 zu Art. 450e ZGB; Patrick
5 / 12

Fassbind, in: Kren Kostkiewicz et al. [Hrsg.], Kommentar ZGB, 3. Aufl., Zürich
2016, N 4 zu Art. 450e ZGB; vgl. dazu Botschaft zur Änderung des Schweizeri-
schen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht]
vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7001, S. 7080 [zitiert: Botschaft]). Mit Vorladung vom
18. Dezember 2019 wurde die Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung
auf den 23. Dezember 2019 vorgeladen. Die Beschwerdeführerin teilte jedoch am
23. Dezember 2019 kurz vor Durchführung der Verhandlung hierorts mit, auf die
Anhörung durch das Gericht zu verzichten. Aufgrund des Verzichts der Beschwer-
deführerin ist eine persönliche Anhörung weder möglich noch sinnvoll. Die erken-
nende Kammer hat die vorliegende Beschwerde daher gestützt auf die Akten zu
entscheiden. Damit wird ausnahmsweise auch den gesetzlichen Vorgaben im Sin-
ne Art. 450e Abs. 4 Satz 1 ZGB genügend nachgekommen.
3.1.
Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person, kann die Chefärztin der
Chefarzt der Abteilung die im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen
Massnahmen unter Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen schriftlich an-
ordnen (vgl. dazu sogleich nachstehend E. 4.2.; Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1-3 ZGB).
3.2.
Die medikamentöse Behandlung ohne Zustimmung stellt einen schweren
Eingriff in die persönliche Freiheit im Sinne der körperlichen und geistigen Integri-
tät nach Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK dar und betrifft auch die Men-
schenwürde gemäss Art. 7 BV zentral (BGE 127 I 6 E. 5; BGE 130 I 16 E. 3). Der
Eingriff verlangt deshalb nebst der erforderlichen gesetzlichen Grundlage, die mit
Art. 434 ZGB gegeben ist, eine umfassende Interessenabwägung, wobei auch die
Erfordernisse von Art. 36 BV zu beachten sind. Zu berücksichtigen sind dabei die
öffentlichen Interessen, die Notwendigkeit der Behandlung, die Auswirkungen ei-
ner Nichtbehandlung, die Prüfung von Alternativen sowie die Beurteilung der
Selbstund Fremdgefährdung. In die Interessenabwägung miteinzubeziehen sind
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere auch langfristige Ne-
benwirkungen einer zwangsweise vorgesehenen Behandlung mit Neuroleptika
bzw. Antipsychotika (BGE 130 I 16 E. 4 und 5; Urteil des Bundesgerichts
5A_353/2012 vom 19. Juni 2012 E. 3.3.1).
4.1.
Eine Behandlung ohne Zustimmung ist gestützt auf die gesetzliche Syste-
matik der Art. 426 ff. ZGB nur zulässig, wenn sich die betroffene Person aufgrund
einer fürsorgerischen Unterbringung in einer Einrichtung befindet und die Behand-
lung im Zusammenhang mit einer psychischen Störung erfolgt, wobei nicht von
Bedeutung ist, ob es sich um eine behördliche um eine ärztliche Einweisung
handelt. Weiter muss die Zustimmung der betroffenen Person fehlen (Art. 434
Abs. 1 ZGB) und die Behandlung hat sich auf den Behandlungsplan gemäss
6 / 12

Art. 433 ZGB abzustützen (Thomas Geister/Mario Etzensberger, a.a.O., N 3 f. und
N 13 zu Art. 434/435 ZGB).
Die Beschwerdeführerin befindet sich infolge einer ärztlich angeordneten fürsorge-
rischen Unterbringung aktuell in der Klinik B.___ (act. 04.5). Gemäss den Aus-
führungen der Gutachterin, welche sich nebst einer persönlichen Konsultation zu-
lässigerweise auch auf die Akten der Klinik B.___ stützt, liegt bei der Beschwer-
deführerin ein hochgradiger Verdacht auf das Vorliegen einer Störung aus dem
schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20.9) sowie eine anhaltende wahnhafte
Störung (ICD-10: F22.8) vor (act. 08). Diese Krankheitsbilder stellen eine psychi-
sche Störung im Sinne des Gesetzes dar; in deren Zusammenhang erfolgte auch
die angeordnete Behandlung. Des Weiteren wird aus der Anordnung der Behand-
lung ohne Zustimmung vom 11. Dezember 2019, dem Bericht der Klinik B.___
vom 17. Dezember 2019 sowie dem Gutachten von Dr. med. D.___ vom
20. Dezember 2019 ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin, die Einnahme einer
antipsychotischen Medikation verweigerte. Aufgrund dessen liegt eine fehlende
Zustimmung der betroffenen Person vor. Die Anordnung der Behandlung ohne
Zustimmung
erfolgte
überdies
durch
E.___,
Chefarzt
Akutpsychiat-
rie/Rehabilitation, sowie Dr. med. F.___, Oberarzt. Alsdann stützt sich die Be-
handlung auf den Behandlungsplan vom 4. Dezember 2019 bzw. die vorgesehene
Medikation im Eintrittsstatus vom selbigen Tag ab (act. 04, 04.1, 04.2 und 04.4).
Fraglich erscheint, ob vorliegend mit den Angaben der Medikation lediglich im Ein-
trittsstatus anstatt im Behandlungsplan den gesetzlichen Anforderungen Genüge
getan ist (vgl. Art. 433 und 434 ZGB). Letztlich entfaltet der Behandlungsplan je-
doch keine Rechtswirkungen. Stimmt ein Patient dem Behandlungsplan nicht zu,
muss die Behandlung mittels Verfügung angeordnet werden, welche diesfalls das
Anfechtungsobjekt darstellt (Thomas Geiser/Mario Etzensberger, a.a.O., N 23 f. zu
Art. 433 ZGB). Die bei Einweisung in die Klinik vorgesehene medikamentöse Be-
handlung der Beschwerdeführerin wurde mittels Verfügung vom 11. Dezember
2019 angeordnet. Gegen diese Behandlung setzte sich die Beschwerdeführerin
mit der vorliegenden Beschwerde zur Wehr. Damit scheint es vertretbar, dass sich
die Dosierung der Medikation aus dem Eintrittsstatus ergibt.
4.2.
Eine Behandlung ohne Zustimmung nach Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1-3 ZGB
setzt im Besonderen kumulativ voraus, dass der betroffenen Person ohne Be-
handlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht das Leben die
körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist, dass die betroffene Person be-
züglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist und dass keine angemes-
sene, weniger einschneidende, Massnahme zur Verfügung steht.
7 / 12

4.2.1. Die Urteilsunfähigkeit bezüglich der Behandlungsbedürftigkeit ist immer be-
züglich des konkreten Rechtsgeschäfts, d.h. bezüglich der konkreten Behandlung,
zu beurteilen. Es kann dem Patienten an den notwendigen kognitiven Fähigkeiten
fehlen, um in eine Behandlung einwilligen sie ablehnen zu können. Erfasst
werden davon auch Personen, die einen Willen ausdrücken können, dieser aber
nicht, wie in Art. 16 ZGB gefordert, auf einem Mindestmass an Rationalität beruht
(Thomas Geiser/Mario Etzensberger, a.a.O., N 18 zu Art. 434/435 ZGB; Botschaft,
a.a.O., S. 7068 f.).
Die Beschwerdeführerin verweigert aktuell gemäss den Aussagen der behandeln-
den Ärzte der Klinik B.___ und der Gutachterin Dr. med. D.___ die Medikati-
on trotz intensiver Aufklärung über deren Notwendigkeit. Unter Berücksichtigung
des aktuellen Zustandes der Beschwerdeführerin, insbesondere aufgrund ihrer
Unfähigkeit zur adäquaten Selbsteinschätzung sowie der fehlenden Krankheits-
und Behandlungseinsicht, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin
aktuell in Bezug auf die vorgesehene medikamentöse Behandlung urteilsunfähig
ist (act. 0.4, 04.2, 04.4 und 08).
4.2.2. Für die Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung ist eine ernsthafte
Selbstoder Fremdgefährdung erforderlich (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Die
Selbstgefährdung ist dann ausreichend, wenn ohne die Behandlung ein ernsthaf-
ter gesundheitlicher Schaden droht. Ernstlich ist ein gesundheitlicher Schaden
dann, wenn er zu einer langen Beeinträchtigung wichtiger körperlicher psy-
chischer Funktionen führt. Genügende Fremdgefährdung liegt vor, wenn das Le-
ben die körperliche Integrität Dritter ernstlich gefährdet ist. Die Drittgefähr-
dung ist regelmässig bereits durch die blosse Unterbringung der betroffenen Per-
son in einer Anstalt abgewendet. Die Behandlung ohne Zustimmung soll hier je-
doch eine reine Verwahrung des Patienten verhindern und ermöglichen, dass die
betroffene Person aufgrund der Behandlung wieder in der Lage ist, ausserhalb der
Anstalt ein (wenigstens teil-)autonomes Leben zu führen. Die Anordnung einer
Behandlung rechtfertigt sich dann, wenn diese die Möglichkeit einer Entlassung
aus der Klinik erheblich erhöht und beschleunigt, wenn es darum geht, ande-
re Personen innerhalb der Klinik zu schützen (Thomas Geiser/Mario Etzensberger,
a.a.O., N 19 ff. zu Art. 434/435 ZGB; Botschaft, a.a.O., S. 7069 f.).
Die Klinik B.___ begründete die Behandlung ohne Zustimmung mit einer Ver-
schlechterung der bestehenden Psychose, der Gefahr von selbstgefährdenden
Handlungen sowie der Verschlechterung der Prognose infolge einer Nichtbehand-
lung (act. 04.2). Aus dem Gutachten von Dr. med. D.___ geht hervor, dass sich
die Beschwerdeführerin aktuell von Suizidalität distanziere. Sie gefährde jedoch
8 / 12

ihr Leben und ihre Gesundheit ganz erheblich dadurch, dass sie nicht bereit
nicht im Stande sei, ihre Wohnung im stationären Setting Bett und Zimmer zu
verlassen. Damit sei sie aus eigener Kraft weder zur Selbstpflege noch zur adä-
quaten Ernährung fähig. Dies sei mittelfristig lebensbedrohlich (act. 08). Was die
Selbstgefährdung im Falle fehlender Medikation betrifft, kann auf die klaren, ver-
ständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachterin abgestellt wer-
den. Die Kammer sieht keinen Anlass, an den Ausführungen der Gutachterin zu
zweifeln. Folglich ist die Voraussetzung der ernstlichen Selbstgefährdung durch
komplette Isolation und Passivität erfüllt.
4.2.3. Das Gesetz verlangt schliesslich, dass die vorgesehene Massnahme ver-
hältnismässig ist. Für die Zulässigkeit der Anordnung einer Behandlung ohne Zu-
stimmung darf somit keine andere, weniger einschneidende, angemessene Mass-
nahme zur Verfügung stehen (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB; vgl. auch Art. 389
Abs. 2 ZGB). Weniger einschneidend sind Massnahmen, die dem tatsächlichen
mutmasslichen Willen des Patienten mehr entsprechen als die vorgeschla-
gene. Die Beurteilung, welche Massnahme angemessen ist, muss nach dem neu-
esten Stand der Wissenschaft erfolgen. Damit eine alternative Behandlung in Fra-
ge kommt, muss diese selbstverständlich wirksam und zweckmässig sein
(Thomas Geiser/Mario Etzensberger, a.a.O., N 22 und N 24 zu Art. 434/435 ZGB;
Botschaft, a.a.O., S. 7069 f.).
In der angefochtenen Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung vom
11. Dezember 2019 wurde ausgeführt, dass ein reiner Aufenthalt ohne Behand-
lung zu einer deutlichen Verschlechterung der Symptomatik führen würde. Andere,
weniger einschneidende Massnahmen als eine medikamentöse Behandlung seien
nicht ersichtlich, insbesondere werde die Dauer des akuten Schubs und der Kli-
nikbehandlung wahrscheinlich verkürzt (act. 042). Dem Bericht der Klinik B.___
vom 17. Dezember 2019 ist sodann zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin
anhaltend psychotisch sei und dringend eine antipsychotische Medikation benöti-
ge, andere weniger einschneidende Massnahmen seien aktuell nicht ersichtlich
(act. 04).
Die Gutachterin Dr. med. D.___ erachtet den Einsatz einer antipsychotischen
Medikation zur Behandlung der bestehenden Erkrankung aus psychiatrischer
Sicht als unumgänglich. Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises seien
medizinisch behandelbar, dazu gehöre neben der psychiatrischen Betreuung
durch Gespräche und Pflege eine medikamentöse antipsychotische Behandlung.
Ohne eine solche Medikation habe sich im stationären Setting bis anhin zwar er-
reichen lassen, dass die Beschwerdeführerin genug gegessen und sich auf Moti-
9 / 12

vation durch die Pflege hin auch selbst gepflegt habe, doch sei der komplette
Rückzug ins eigene Zimmer bestehen geblieben. Dies sei ein unzureichender Be-
handlungserfolg und nicht mit einem selbständigen Leben vereinbar. Nur durch
den Einsatz antipsychotischer Medikation könne eine weiterführende Remission
der Störung erreicht werden, welche die Grundlage für die weitergehende Rehabi-
litation mit Austritt in die eigene Wohnung und ein selbständiges Leben gebe. Da-
bei solle der Einsatz einer Medikation gegen den Willen der Beschwerdeführerin
möglichst behutsam erfolgen, um das Auftreten von unerwünschten Medikamen-
tenwirkungen gering zu halten und die Beschwerdeführerin möglichst wenig zu
traumatisieren. Als Rahmen der Behandlung sei eine stationäre Behandlung mit
fürsorgerischer Unterbringung notwendig. Um mit einer möglichst behutsamen
medikamentösen und therapeutischen Behandlung eine Verbesserung des Zu-
standbildes der Beschwerdeführerin zu erreichen, werde eine weiterführende
mehrwöchige stationäre Behandlung von Nöten sein. Dabei sei zu hoffen, dass die
Beschwerdeführerin im Laufe der Behandlung auch eine Krankheitsund Behand-
lungseinsicht gewinne, die bis dato nicht bestehe. Diese wäre die Grundlage für
eine weiterführende ambulante Behandlung (act. 08).
Sowohl die behandelnden Ärzte als auch die beigezogene Gutachterin sind ein-
stimmig der Auffassung, dass aufgrund des Krankheitszustandes der Beschwer-
deführerin deren Behandlung mit Antipsychotika unvermeidbar sei. Zudem sehen
weder die Gutachterin noch die behandelnden Ärzte Alternativen zur vorgesehe-
nen medikamentösen Behandlung. Auch ein Blick auf die übrige Aktenlage lässt
keinen anderen Schluss zu (vgl. insbesondere act. 07, 07.1 und 04.3.). Nach dem
Gesagten ist eine andere angemessene, weniger einschneidende, Behandlung als
die vorgesehene antipsychotische Medikation nicht ersichtlich. Die Verhältnismäs-
sigkeit der vorgesehenen Behandlung ohne Zustimmung kann somit bejaht wer-
den.
5.
Als Gesamtwürdigung in Anbetracht der Verfassungsgarantien (vorstehend
E. 3.2.) ist festzuhalten, dass das Ziel der medikamentösen Behandlung in der
Verbesserung der psychotischen Symptomatik liegt. Weiter ist zu erwarten, dass
die Beschwerdeführerin ohne die Behandlung eine Gefahr für sich selbst darstellt.
Damit ist die Behandlung der Beschwerdeführerin von einem öffentlichen Interes-
se gedeckt und von erheblicher Notwendigkeit. Mangels gegenteiliger Hinweise in
den Akten erscheinen mögliche Nebenwirkungen nicht derart gravierend, dass ein
Behandlungsversuch die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Beschwerdefüh-
rerin ausschliessen würde. Würde deren persönliche Freiheit nicht vorübergehend
durch die Behandlung ohne Zustimmung eingeschränkt, bestünde die ernsthafte
10 / 12

Gefahr einer stetigen Verschlechterung ihres Zustandes mit erheblichen gesund-
heitlichen Risiken, was offensichtlich nicht in ihrem Interesse sein kann.
6.
Zusammenfassend sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Be-
handlung ohne Zustimmung nach Art. 434 ZGB erfüllt. Die Beschwerde erweist
sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen.
7.
In Bezug auf die Grundsätze der Kostenauflage im erwachsenenschutz-
rechtlichen Beschwerdeverfahren verweisen die Art. 63 Abs. 5 und Art. 60 Abs. 2
EGzZGB subsidiär auf die Bestimmungen der ZPO. Bei diesem Ausgang des Ver-
fahrens wären die Kosten grundsätzlich der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 106 Abs. 1 ZPO). Angesichts der finanziellen Verhältnisse der Beschwerde-
führerin, welche arbeitslos ist und lediglich von der Sozialhilfe lebt, rechtfertigt es
sich vorliegend im Sinne von Art. 63 Abs. 3 EGzZGB auf die Erhebung von Ver-
fahrenskosten zu verzichten. Damit verbleiben die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens
von
insgesamt
CHF 2'792.00
(CHF 1'500.00
Gerichtsgebühr
und
CHF 1'292.00 Gutachterkosten; act. 08.1) beim Kanton Graubünden.


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III. Demnach wird erkannt:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von insgesamt CHF 2'792.00
(CHF 1'500.00 Gerichtsgebühr und CHF 1'292.00 Gutachterkosten) gehen
zu Lasten des Kantons Graubünden.
3.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 72 BGG Beschwerde in Zivil-
sachen an das Schweizerische Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, geführt
werden. Die Beschwerde ist dem Bundesgericht schriftlich, innert 30 Tagen
seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der ge-
mäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zuläs-
sigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und das
Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 72 ff. und Art. 90 ff. BGG.
4.
Mitteilung an:
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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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