SK 2021 61 - Förderung der Prostitution, etc. / Landesverweisung
Obergericht
des Kantons Bern
2. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne
2e Chambre pénale
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Urteil
SK 21 61
Bern, 3. Juni 2021
Besetzung Oberrichter Schmid (Präsident i.V.),
Oberrichterin Friederich Hörr, Oberrichterin Bratschi
Gerichtsschreiber Stähli
Verfahrensbeteiligte A.__
a.v.d. Rechtsanwalt D.__
Beschuldigte/Berufungsführerin
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern
Gegenstand Förderung der Prostitution, Widerhandlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz, Widerhandlungen gegen das Gesetz über das Prostitutionsgewerbe
Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland (Einzelgericht) vom 23. Juni 2020 (PEN 19 329)
Erwägungen:
I. Formelles
Erstinstanzliches Urteil
Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland (Einzelgericht; nachfolgend Vorinstanz) sprach A.__ (nachfolgend Beschuldigte) mit Urteil vom 23. Juni 2020 (pag. 1017 ff.) frei vom Vorwurf der Geldwäscherei, angeblich mehrfach begangen am 26. Oktober 2017 in E.__ im Betrag von CHF 300.00, ohne Ausrichtung einer Entschädigung und ohne Ausscheidung von Verfahrenskosten (Ziff. I. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1018).
Hingegen sprach es die Beschuldigte der Förderung der Prostitution, mehrfach und gemeinsam mit B.__ und C.__ begangen in der Zeit von Oktober 2017 bis am 12. April 2018 in F.__ und Bern zum Nachteil mehrerer Geschädigter (Ziff. II.1. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1018), der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG), mehrfach begangen in der Zeit von Oktober 2017 bis 12. April 2018 in F.__ und Bern durch Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung sowie in der Zeit von November 2016 bis 12. April 2018 in F.__ und Bern, durch Ausübung einer nichtbewilligten Erwerbstätigkeit (Ziff. II.2. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1018), und der Widerhandlung gegen das Gesetz über das Prostitutionsgewerbe des Kantons Bern (PGG), begangen zwischen Ende Oktober 2017 und 12. April 2018 in F.__ und Bern (Ziff. II.3. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1018), schuldig.
Die Vorinstanz verurteilte die Beschuldigte gestützt auf diese Schuldsprüche und in Anwendung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu CHF 30.00, ausmachend total CHF 5'400.00, wobei die Untersuchungshaft von 2 Tagen im Umfang von 2 Tagessätzen und die Ersatzmassnahmen von 40 Tagen, vom 14. April 2018 bis 23. Mai 2018, im Umfang von 40 Tagessätzen auf die Geldstrafe angerechnet und der Vollzug bei einer Probezeit von 2 Jahren aufgeschoben wurde (Sanktionspunkt 1 der Ziff. II. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1019). Weiter wurde die Beschuldigte zu einer Übertretungsbusse von CHF 200.00, wobei die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung auf 2 Tage festgesetzt wurde (Sanktionspunkt 2 der Ziff. II. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1019) und zur Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten in Höhe von CHF 28'420.25 (Sanktionspunkt 4 der Ziff. II. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1019) verurteilt. Ferner sprach die Vorinstanz eine Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren gegen die Beschuldigte aus (Sanktionspunkt 3 der Ziff. II. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1019).
Im Weiteren setzte die Vorinstanz die amtliche Entschädigung fest (Ziff. III. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1020), verfügte die Rückgabe eines Mobiltelefons Samsung (Ass.-Nr. 2.4), inkl. Ladekabel Samsung an die Beschuldigte (Ziff. IV.1 des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1020), die Einziehung des Betrags von CHF 1'210.00 (Ass.-Nr. 2.18; Ziff. IV.2 des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1020) und gab die vorzeitige Zustimmung zur Löschung des erstellten DNA-Profils (PCN.__; Ziff. IV.3. des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1020) sowie der erhobenen biometrischen erkennungsdienstlichen Daten (PCN.__; Ziff. IV.4 des erstinstanzlichen Urteils; pag. 1020) nach Ablauf der Frist.
Berufung
Gegen dieses Urteil meldete die Beschuldigte, nach wie vor amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt D.__, mit Eingabe vom 25. Juni 2020 frist- und formgerecht Berufung an (pag. 1026). Dem folgte am 5. Februar 2021 die erneut frist- und formgerechte Berufungserklärung (pag. 1087).
Die Generalstaatsanwaltschaft teilte auf Aufforderung der Verfahrensleitung hin (pag. 1090 f.) mit Schreiben vom 15. Februar 2021 mit, dass sie auf die Teilnahme am oberinstanzlichen Verfahren verzichte (pag. 1095 f.).
Schriftliches Verfahren
Nachdem die Verfahrensleitung der Beschuldigten mit Blick auf Art. 406 Abs. 2 StPO die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens in Aussicht gestellt hatte (pag. 1095), teilte die Beschuldigte mit Schreiben vom 8. März 2021 ihr Einverständnis mit (pag. 1099).
Am 24. März 2021 reichte die Beschuldigte fristgerecht ihre schriftliche Berufungsbegründung ein (pag. 1105 ff.). Die Verfahrensleitung erklärte den Schriftenwechsel infolge Verzichts der Generalstaatsanwaltschaft auf eine Teilnahme am oberinstanzlichen Verfahren für abgeschlossen (pag. 1119).
Anträge der Parteien
In der Berufungserklärung vom 5. Februar 2021 stellte die Beschuldigte die folgenden Anträge (pag. 1087):
1. Von der Ausfällung einer Landesverweisung sei abzusehen.
2. Es seien die oberinstanzlichen Verfahrenskosten dem Staat Bern aufzuerlegen.
In der schriftlichen Berufungsbegründung vom 24. März 2021 stellte die Beschuldigte die folgenden Rechtsbegehren (pag. 1106):
3. Die Verurteilung zu einer Landesverweisung von 5 Jahren gemäss Ziff. II.3 des Urteils des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland (PEN 19 329) vom 23.06.2020 sei aufzuheben und es sei von der Ausfällung einer Landesverweisung abzusehen.
4. Es seien die obergerichtlichen Verfahrenskosten dem Staat Bern zur Bezahlung aufzuerlegen und der Berufungsführerin eine angemessene Entschädigung auszurichten.
Oberinstanzliche Beweisergänzungen
Von Amtes wegen wurde über die Beschuldigte ein Strafregisterauszug, datierend vom 9. März 2021, beigezogen und der Beschuldigten zur Kenntnis gebracht (pag. 1102; pag. 1103).
Die Beschuldigte reichte mit der schriftlichen Berufungsbegründung Unterlagen einer frauenärztlichen Untersuchung ein (pag. 1114 ff.).
Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Die Beschuldigte beschränkt ihre Berufung auf die Anordnung der Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren (Sanktionspunkt 3 der Ziff. II des erstinstanzlichen Urteils). Damit ist festzustellen, dass der Freispruch gemäss Ziff. I des erstinstanzlichen Urteils, die Schuldsprüche gemäss Ziff. II des erstinstanzlichen Urteils und die darauf gestützten Sanktionen, mit Ausnahme der Landesverweisung, in Rechtskraft erwachsen sind. Dasselbe gilt für die weiteren Verfügungen in den Ziff. IV.1 und IV.2 des erstinstanzlichen Urteils.
Durch die Kammer zu überprüfen ist also vordergründig die Anordnung der Landesverweisung. Prinzipiell ist daher auch die Kostenverlegung der Vorinstanz Gegenstand des oberinstanzlichen Verfahrens (Art. 428 Abs. 3 der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 [StPO; SR 312.0]). Da jedoch die Schuldsprüche nicht mehr überprüft werden können und die beschuldigte Person die erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu tragen hat, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO), verbleibt der Kammer keine Möglichkeit, an der erstinstanzlichen Kostenverlegung etwas zu ändern. Zu überprüfen ist immerhin deren Höhe. Nicht der Rechtskraft zugänglich und somit durch die Kammer ebenfalls neu zu beurteilen sind schliesslich die Verfügung betreffend die erhobenen biometrischen erkennungsdienstlichen Daten und die Verfügung betreffend das erstellte DNA-Profil (Ziff. IV.3 und IV.4 des erstinstanzlichen Urteils).
Bei Überprüfung der angefochtenen Punkte verfügt die Kammer über volle Kognition (Art. 398 Abs. 3 StPO). Infolge alleiniger Berufung durch die Beschuldigte gilt das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 StPO; die Kammer darf das Urteil der Vorinstanz nicht zum Nachteil der Beschuldigten abändern.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Der massgebende Sachverhalt ist nicht Gegenstand des oberinstanzlichen Verfahrens. Zwecks Überprüfung der Landesverweisung ist es jedoch unerlässlich, die wesentlichen Beweisergebnisse der Vorinstanz kurz wiederzugeben.
Betreffend den Vorwurf der Förderung der Prostitution hielt die Vorinstanz das Folgende fest (Ziff. II.2.2.5 des erstinstanzlichen Urteilsmotivs; pag. 1048 f.):
Die objektiven Beweismittel ergeben somit ein klares Bild: Die Beschuldigte hat gemeinsam mit B.__ den Prostituierten mittels entsprechender Sexinserate Termine mit Freiern verschafft. Sie hat ihnen Anweisungen über das Verhalten bei den Freiern und über die auszuführenden Dienstleistungen erteilt und zwar auch gegen den Willen der Prostituierten (pag. 351 und 354). Darüber hinaus hat die Beschuldigte das von den Prostituierten eingenommene Geld verwaltet und verteilt (pag. 320). Sie hat die Tätigkeiten der Frauen koordiniert und überwacht, indem sie mitbestimmt hat, welche der Frauen zu einem gebuchten Escort-Service fährt (pag. 326) und welche Frau zu welchem Zeitpunkt ihr Handy wieder aufladen durfte (pag. 328). Darüber hinaus brüstete sich die Beschuldigte damit, dass die Frauen auf sie hören würden, spätestens, wenn sie sie anschreie aus dem Bett zerre. Hieraus wird erkennbar, welchen Druck die Beschuldigte auf die Frauen ausübte und wie sie über die Frauen bestimmte. Die Prostituierten konnten nicht selbst darüber entscheiden, welche Dienste sie zu welchen Preisen und zu welcher Uhrzeit anbieten wollten. Damit hat die Beschuldigte gegenüber den sich prostituierenden Frauen klar eine übergeordnete Rolle eingenommen.
Die Beschuldigte war in ihren Aussagen oft widersprüchlich und inkonsistent. Sie gab sich zuerst komplett unschuldig, sie habe sich bloss selbst prostituiert. Auf Vorhalt der entsprechenden Ermittlungsergebnisse konnte sie sich schliesslich nach und nach zu einem Geständnis durchringen. Als sie eingestand, die Ausübung der Prostitution der Frauen koordiniert zu haben, bestritt sie vorerst noch den Vorwurf, wonach sie als «Capo-Frau» fungiert habe (pag. 265, Z. 551 ff.). Sie gab an, die Frauen hätten ihr den Anteil an ihrem Entgelt freiwillig gegeben (Z. 566 ff.; pag. 266, Z. 634 f.). Zögerlich gestand die Beschuldigte schliesslich ein, dass sie das Geld von den Frauen eingezogen und verwaltet habe und auch bei der Organisation mitgeholfen habe, was im Ergebnis als Schuldeingeständnis in Bezug auf den ihr zur Last gelegten Sachverhalt gelten darf. Dieses Geständnis lässt sich sodann auch mit den objektiven Erkenntnissen in Einklang bringen.
Auch B.__ führte aus, dass A.__ mitgewirkt und insbesondere den Frauen erklärt habe, was der Kunde haben möchte. Zwar gibt er an, die Frauen hätten selber entscheiden können, welche Dienstleistungen sie hätten vollziehen wollen, was allerdings durch die Audioüberwachung aus dem Audi A3 zweifelsfrei widerlegt werden kann. Insofern lassen auch seine Aussagen keine anderen Schlüsse zu.
Zum Vorwurf der Anstellung von Ausländerinnen ohne Bewilligung kam die Vorinstanz um folgenden Ergebnis (Ziff. II.2.4 des erstinstanzlichen Urteilsmotivs; pag. 1051):
Die Beschuldigte beschäftigte zusammen mit B.__ und weiteren Personen neun ungarischen Frauen, welche sich für sie prostituierten und über keine Bewilligung für die Ausübung dieser Tätigkeit verfügten. Die Beschuldigte – welche gemäss eigenen Angaben auch selber als Prostituierte gearbeitet hat – wusste einerseits, dass die Prostituierten über keine Bewilligung verfügten sowie andererseits, dass diese für die Ausübung der Prostitutionstätigkeit eine Bewilligung benötigt hätten. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass sie sich früher selber prostituierte und auch mit B.__ darüber gesprochen hatte (vgl. Ziff. II. 2.5. hiernach). Ihr Geständnis ist glaubhaft und nachvollziehbar und deckt sich ausserdem mit den weiteren Erkenntnissen. Der angeklagte Sachverhalt gemäss Ziff. I. 3. AKS, wonach die Beschuldigte gemeinsam mit anderen Personen ungarische Prostituierte beschäftigte, im Wissen darum, dass diese über keine entsprechende Arbeitsbewilligung verfügten, ist damit beweismässig erstellt.
Zum Vorwurf der nicht bewilligten Ausübung einer Erwerbstätigkeit kam die Vorinstanz zum folgenden Beweisergebnis (Ziff. II.2.5.4 des erstinstanzlichen Urteilsmotivs; pag. 1052):
Die Beschuldigte gab bereits anlässlich der Einvernahme bei der Hafteröffnung an, ohne Bewilligung der Prostitution nachgegangen zu sein. Die Beschuldigte hatte offensichtlich Kenntnis davon, dass sie für die Ausübung der Prostitutionstätigkeit per se sowie für die Escort-Dienstleistungen im Besonderen, eine entsprechende Bewilligung benötigt hätte.
Letztlich hielt die Vorinstanz zum Vorwurf der Widerhandlung gegen das Gesetz über das Prostitutionsgewerbe des Kantons Bern das Folgende fest (Ziff. II.2.6.4 des erstinstanzlichen Urteilsmotivs; pag. 1053):
Die oben erwähnten objektiven und subjektiven Beweismittel sowie die unter Ziff. II. 2.2. hiervor gemachten Ausführungen zeigen auf, dass die Beschuldigte und ihre Mittäter die sich prostituierenden Frauen mehrheitlich auch für Escort Dienste eingesetzt und die Beschuldigte am Betrieb dieses Escort-Services aktiv mitgewirkt hat […]. Weiter ist erstellt, dass die Beteiligten hierfür über keine entsprechende Bewilligung verfügten.
Die weiteren zur Beurteilung der Landesverweisung relevanten Elemente des Sachverhalts werden nachstehend in die Erwägungen eingeführt.
III. Landesverweisung
Rechtliche Grundlagen
Das Gericht verweist einen Ausländer, der wegen Förderung der Prostitution nach Art. 195 StGB verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5 bis 15 Jahre aus der Schweiz (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB). Die Landesverweisung greift nicht nur bei einer Verurteilung als Allein- und Haupttäter, sondern bei sämtlichen Täterschafts- und Teilnahmeformen. Sie muss unabhängig davon ausgesprochen werden, ob es beim Versuch geblieben ist und ob die Strafe bedingt, unbedingt teilbedingt ausfällt (BGE 144 IV 168 E. 1.4.1).
Härtefallklausel
Das Gericht kann «ausnahmsweise» von einer Landesverweisung absehen, wenn (erste kumulative Bedingung) diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (zweite kumulative Bedingung) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB; sog. Härtefallklausel). Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.1.2; je mit Hinweisen). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts lässt sich zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den «schwerwiegenden persönlichen Härtefall» in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiärer Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, Aufenthaltsdauer und Resozialisierungschancen. Die Kriterien nach Art. 31 VZAE können jedoch nicht unbesehen übernommen werden. Unter dem strafrechtlichen Aspekt der Härtefallprüfung ist der Rückfallgefahr und wiederholter Delinquenz Rechnung zu tragen (Urteil des Bundesgerichts 6B_75/2020 vom 19. Januar 2021 E. 2.2.; 6B_627/2018 vom 22. März 2018 E. 1.3.5). Das Gericht darf auch vor dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangene Straftaten berücksichtigen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.3.2).
Die Sachfrage entscheidet sich mithin in einer Interessenabwägung nach Massgabe der «öffentlichen Interessen an der Landesverweisung». Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen derartigen Schweregrad erreichen, dass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird (Urteil des Bundesgerichts 6B_1194/2020 vom 8. Februar 2021 E. 1.1; 6B_560/2020 vom 17. August 2020 E. 1.1.1 mit Hinweisen).
Von einem schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB ist in der Regel auch bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (Urteil des Bundesgerichts 6B_396/2020 vom 11. August 2020 E. 2.4.3 mit Hinweisen). Zum durch Art. 8 EMRK geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern. Andere familiäre Verhältnisse fallen in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht. Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gilt nicht absolut. Liegt eine aufenthaltsbeendende -verweigernde Massnahme im Schutz- und Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK, erweist sie sich als zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Zweck im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK entspricht (Schutz der nationalen öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten etc.) und verhältnismässig ist.
Bei der Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK sind folgende Elemente zu beachten (zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 6B_48/2019 vom 9. August 2019 E. 2.5): (1) die Art und Schwere der begangenen Straftat und ob sie als Jugendlicher Erwachsener verübt wurde; (2) die Aufenthaltsdauer des betroffenen im Land; (3) die seit der Tatbegehung vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser; (4) die Nationalitäten der betroffenen Personen; (5) die familiäre Situation, insb. Dauer der Ehe und andere Umstände, die ein tatsächliches Familienleben bezeugen; (6) Kenntnis des Ehepartners anderer Betroffener von der Straftat; (7) das Alter etwaiger Kinder; (8) die Schwere der vom Ehepartner im Zielland anzutreffenden Schwierigkeit; (9) das Wohl der Kinder, insbesondere die Schwere der von den Kindern im Zielland anzutreffenden Schwierigkeiten; (10) die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufnahmestaat und zum Herkunftsland; (11) der Gesundheitszustand sowie (12) die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme verbundene Dauer der Fernhaltung. Keines dieser Elemente ist für sich allein ausschlaggebend; erforderlich ist eine Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall. Das Recht auf Schutz des Familien- und Privatlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK gilt – in seiner verfahrensrechtlichen Tragweite – als verletzt, wenn keine umfassende, faire Interessenabwägung vorgenommen wird. Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (Urteil des Bundesgerichts 6B_1070/2018 vom 14. August 2019 E. 6.3).
Freizügigkeitsabkommen (FZA)
Der Anordnung einer Landesverweisung kann sodann das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA; SR 0.142.112.681) entgegenstehen (BGE 145 IV 364 E. 3.9). Das FZA gewährt Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern der Europäischen Union unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz (Art. 1 Bst. a FZA). Dieser Anspruch darf grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen von Art. 5 Ziff. 1 Anhang I FZA entzogen werden, namentlich wenn die Landesverweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit Gesundheit gerechtfertigt ist (vgl. Oberholzer Niklaus, Landesverweisung – aktueller Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins [ZBJV] 156/2020 227, S. 245). Der Aufenthaltsanspruch gemäss FZA besteht aber nur, wenn sich die ausländische Person in der Schweiz rechtskonform verhält. Personen, welche diese Voraussetzung nicht erfüllen, kommt der Aufenthaltsanspruch gemäss FZA gar nicht erst zu. Die Prüfung der Voraussetzungen nach Art. 5 Ziff. 1 Anhang I FZA erübrigt sich in diesen Fällen. Wie das Bundesgericht es zum Ausdruck brachte: «Mit dem FZA vereinbarte die Schweiz – pointiert formuliert – keine Freizügigkeit für kriminelle Ausländer» (BGE 145 IV 55 E. 3.3).
Urteil der Vorinstanz
Die Vorinstanz ging nach einlässlicher Wiedergabe der theoretischen Grundlagen methodisch korrekt vor und prüfte zunächst das Vorliegen eines unechten Härtefalls. Sie zog in Erwägung, dass die Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügte und daher die herkömmlichen Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwältekonferenz von vornherein nicht einschlägig seien (Ziff. V.5 des erstinstanzlichen Urteilsmotivs; pag. 1070). Weiter hielt sie mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts 6B_378/2018 vom 22. Mai 2019 (=BGE 145 IV 364) fest, dass das Einreiserecht für Angehörige von EU/EFTA-Staaten zur Ausübung einer selbstständigen unselbstständigen Erwerbstätigkeit gemäss dem FZA unter einem Missbrauchsvorbehalt stehe und nur insoweit Bestand habe, als die beabsichtigte Erwerbstätigkeit im Zielland legal ist. Dadurch, dass die Beschuldigte zur Ausübung unbewilligter Prostitution und zur Förderung der Prostitution in die Schweiz eingereist sei, könne sie sich nicht auf die Garantien des FZA berufen. Selbst wenn sie sich darauf berufen könnte, so sei die Ausweisung auch in Anwendung des FZA, namentlich Art. 5 des Anhangs I des FZA, zulässig. Im Weiteren erwog die Vorinstanz, dass der Beschuldigten kein gefestigtes Anwesenheitsrecht in der Schweiz zukomme und die Landesverweisung daher den Schutzbereich von Art. 8 EMRK gar nicht erst tangiere.
Die Vorinstanz prüfte anschliessend das Vorliegen eines echten Härtefalls gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB. In Erwägung, dass die Beschuldigte nicht in der Schweiz geboren worden ist, dementsprechend keinen längeren Aufenthalt vorweisen konnte, sich trotz Vorbestrafung nicht um Ausübung einer rechtmässigen Erwerbstätigkeit bemühte und insgesamt als Touristin zur Ausübung der Prostitution in die Schweiz eingereist ist, verneinte sie das Vorliegen eines Härtefalls. Eine Interessenabwägung erübrigte sich bei diesem Ergebnis.
Vorbringen der Verteidigung der Beschuldigten
In der schriftlichen Berufungsbegründung bringt die Verteidigung der Beschuldigten vor, diese habe Mitte des Jahres 2020 erfahren, dass sie von ihrem Ehemann, B.__, ein Kind erwarte, das voraussichtlich am … 2021 zur Welt kommen werde (zum Ganzen pag. 1107 ff.). Sie führt aus, dass ein schwerer persönlicher Härtefall nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann vorliegen könne, wenn die Landesverweisung dem konventionsrechtlichen Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK zuwiderlaufe. Dabei sei auch das Recht auf Familienleben derer, denen im Strafverfahren keine Parteistellung zukomme, zu berücksichtigen.
Kraft Schweizerischer Staatsbürgerschaft des Kindsvaters werde der Tochter der Beschuldigten ebenfalls die Schweizerische Staatsbürgerschaft zukommen. Ihr, der zurzeit noch ungeborenen Tochter, werde daher der unentziehbare Anspruch auf Einreise in die Schweiz sowie Verbleib in der Schweiz zustehen. Hier werde sie wesentlich bessere Zukunftsaussichten in schulischer und wirtschaftlicher Hinsicht vorfinden als in Ungarn. Diesen Anspruch könne sie nur ausüben, wenn sie durch ihre Mutter begleitet werde. Es sei darüber hinaus bekannt, dass eine gelebte Beziehung zwischen Kindsvater und Kindsmutter zum Wohl der Tochter am meisten beitragen werde.
Unter diesem Blickwinkel würde die Landesverweisung den Vorschriften des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. September 1989 (KRK; SR 0.107) widersprechen, namentlich der Pflicht gemäss Art. 3 Abs. 1 KRK zur vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Massnahmen. Überdies werde der ungeborenen Tochter durch Anordnung einer Landesverweisung gegen die Beschuldigte das Recht auf Niederlassung in der Schweiz faktisch entzogen, das ihr gemäss Art. 24 Abs. 2 BV und gemäss Art. 12 Ziff. 4 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) zustehe. Die Wahrnehmung dieses Rechts wäre aufgrund des Landesverweises gegen die Beschuldigte nur durch Trennung von der Kindsmutter möglich, was eine unzumutbare dauerhafte räumliche Trennung zwischen den Beiden bedeuten würde.
Des Weiteren gewähre Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Eingriffe dagegen seien nur innerhalb der engen Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig. Bei der Überprüfung der Zulässigkeit von Ausweisungen vor Art. 8 Abs. 2 EMRK seien insbesondere die seit der Straftat abgelaufene Zeit, die familiäre Situation der betroffenen Person, die Schwere der vom Ehepartner im Zielland anzutreffenden Schwierigkeiten sowie das Interesse und das Wohl der Kinder zu berücksichtigen (Urteil des Bundesgerichts 6B_48/2019 vom 9. August 2019 E. 2.5). Die Ansprüche aus Art. 8 Abs. 1 EMRK seien berührt, wenn eine staatliche Entfernungsoder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtige, ohne dass es dieser zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 II 1 E. 6.1).
Bei der Überprüfung dieser Kriterien sei der Vorinstanz ein Fehler unterlaufen, indem sie diese Voraussetzungen, anstatt beim Ehemann der Beschuldigten, bei dieser selbst geprüft und resümiert habe, ihr komme von vornherein kein Anwesenheitsrecht zu. Zu prüfen sei, ob aufgrund der Beziehung der Beschuldigten zu ihrem Ehemann und dem ungeborenen Kind, denen unbestreitbar ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zukomme bzw. zukommen werde, die Landesverweisung einen unrechtmässigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens darstelle. Die Schwere der Straftat, wobei selbst die Vorinstanz von leichtem Tatverschulden spreche, rechtfertige diesen Eingriff sicherlich nicht. Die Vorinstanz habe sich dabei widersprüchlich verhalten, wenn sie angesichts dieser Beurteilung der subjektiven Tatschwere bei der Strafzumessung im Rahmen der Überprüfung eines Härtefalls der Beschuldigten unterstelle, sie habe in schwerwiegender Weise gegen die Sicherheit und Ordnung der Schweiz verstossen. Seit ihrer Festnahme seien nunmehr drei Jahre vergangen. In dieser Zeit habe sich die familiäre Situation wesentlich verändert. Die Landesverweisung würde sie zwingen, ihr Kind getrennt vom Vater in Ungarn grosszuziehen, wo ihre Tochter jedoch beschränkte Perspektiven vorfinden werde. Zugleich sei es für den Ehemann und Kindsvater aufgrund der dortigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zumutbar, seinen Lebensmittelpunkt nach Ungarn zu verlegen.
Zusammengefasst bewirke die Landesverweisung einen schwerwiegenden Eingriff in den konventionsrechtlichen Anspruch auf Achtung des Familienlebens, welcher angesichts des leichten Tatverschuldens nicht gerechtfertigt sei. Darüber hinaus sei auch nicht davon auszugehen, dass von der Beschuldigten inskünftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz ausgehe. Seit ihrer Verurteilung sei sie weder in der Schweiz noch in Ungarn strafrechtlich in Erscheinung getreten. Nach deren Geburt wolle sie sich ohnehin vollumfänglich der Pflege und Erziehung ihrer Tochter widmen. Im Ergebnis würden die Interessen der Beschuldigten am Verbleib in der Schweiz überwiegen.
Subsumtion
Obligatorischer Landesverweis
Die Beschuldigte wurde von der Vorinstanz rechtskräftig wegen Förderung der Prostitution nach Art. 195 StGB verurteilt. Damit ist gemäss Art. 66a Abs. 1 Bst. h StGB die Anordnung eines Landesverweises grundsätzlich zwingend.
Schwerer, persönlicher Härtefall
0.0.1 Kriterien aus Art. 31 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE)
Nach den herkömmlichen, aus Art. 31 VZAE abgeleiteten Kriterien zur Beurteilung eines Härtefalls ist das Vorliegen eines solchen zu verneinen.
Die Beschuldigte hielt sich mehrmals nur vorübergehend in der Schweiz auf und beabsichtigte, jeweils höchstens 3 Monate hier zu bleiben (pag. 257, Z. 196). Ihr Wohnsitz befindet sich ihren Angaben zufolge seit jeher in Ungarn (pag. 254, Z. 72 f.). Während ihres Aufenthaltes in der Schweiz ging sie – soweit ersichtlich – keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Sie bemühte sich nicht um eine Arbeitsbewilligung und wurde von der Vorinstanz wegen Widerhandlung gegen das AIG durch Ausübung einer nichtbewilligten Erwerbstätigkeit verurteilt. Möglichkeiten zur Wiedereingliederung in ihrem Heimatstaat sind gar nicht erst erforderlich; sie lebt seit über drei Jahren wieder in Ungarn, ist ungarische Staatsbürgerin und verbrachte dort den wesentlichen Teil ihres Lebens. In Bezug auf ihren Gesundheitszustand ist zu beachten, dass sie zeitweise unter Magengeschwüren litt. Zudem habe man bei ihr in den Brüsten gutartige Tumore entdeckt, die behandelt werden müssten (pag. 253). Sie sei deshalb in Ungarn in Behandlung (pag. 016, Z. 39 ff.). Weitere gesundheitliche Probleme sind nicht bekannt. Ihre finanziellen Verhältnisse müssen bereits angesichts der Kosten des vorliegenden Strafverfahrens als beklemmend bezeichnet werden, hat doch die Vorinstanz ihr Kosten in Höhe von CHF 28'420.25 auferlegt. All diese Gründe stünden selbst bei einem bestehenden Wohnsitz in der Schweiz der Annahme eines schweren, persönlichen Härtefalls entgegen. Die Beschuldigte wohnt jedoch nicht einmal in der Schweiz und befand sich nur vorübergehend hier. Insoweit ist das erstinstanzliche Urteil nicht zu beanstanden.
0.0.2 Freizügigkeitsabkommen (FZA)
Aus dem FZA kann die Beschuldigte ebenfalls nichts für sich ableiten. Wie die Vorinstanz richtig feststellte, ging die Beschuldigte in der Schweiz nur einer illegalen Erwerbstätigkeit nach. Mit diesem Vorsatz reiste sie bereits in die Schweiz ein. Sie hielt sich nicht an die Konformitätsvoraussetzung des FZA. Im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 145 IV 55 E. 3.3; BGE 145 IV 364 E. 3.4.4) kann sie sich von vornherein nicht auf das FZA stützen, um die Landesverweisung abzuwenden und ihren Aufenthalt in der Schweiz zu erwirken. Das FZA steht der Anordnung eines Landesverweises im vorliegenden Fall nicht entgegen.
0.0.3 Kinderrechtskonvention (KRK)
Ein Härtefall liesse sich folglich von vornherein nur anhand der familiären Situation der Beschuldigten begründen.
Hierzu bringt die Verteidigung der Beschuldigten vor, die Landesverweisung würde gegen Art. 3 Ziff. 1 KRK verstossen. Damit macht sie geltend, dass für das Wohl der ungeborenen Tochter der Aufenthalt in der Schweiz am besten sei. Sie leitet daraus reflexweise ab, ihr komme ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu und die Landesverweisung gegen sie sei vor dem Hintergrund der KRK unzulässig.
Das Bundesgericht setzte sich in seinem Urteil 6B_40/2020 vom 17. August 2020 E. 3.3 f. eingehend mit dieser Thematik auseinander. Die Erwägungen betrafen zwar den Vollzug einer Freiheitsstrafe, lassen sich aber auf die vorliegende Konstellation sinngemäss übertragen. Das Bundesgericht kam zum Ergebnis, dass eine reflexweise Geltendmachung von Ansprüchen aus der KRK nicht ohne Weiteres zulässig ist. Mit anderen Worten kann die Beschuldigte als Mutter des Kindes, dem aus der KRK Rechte zukommen, diese Rechte grundsätzlich nicht für sich selbst geltend machen.
Ohnehin hindert die KRK wie auch andere völker- und menschenrechtliche Übereinkommen den Vollzug gesetzmässiger strafrechtlicher Sanktionen nicht (Urteil des Bundesgerichts 6B_40/2020 vom 17. August 2020 E. 3.3.3; 6B_300/2020 vom 21. August 2020 E. 3.3.1). Das ergibt sich schon aus der Systematik der KRK. Art. 9 Ziff. 4 KRK sieht explizit die Möglichkeit der Trennung von Kindern von ihren Eltern aufgrund von strafrechtlichen Sanktionen, namentlich Freiheitsstrafe Landesverweisung, vor. Dass derartige staatliche Massnahmen mithin auch Kinder betreffen können, bedeutet nicht, dass deren Wohl als programmatisches Leitprinzip den Vollzug der strafrechtlichen Sanktion gegen die Eltern generell ausschliessen würde. In diesem Sinne gewährt Art. 9 Ziff. 4 KRK lediglich einen Informationsanspruch des Kindes gegenüber Behörden für den Fall ihrer Inhaftierung bzw. Landesverweisung. Darüber hinaus verpflichtet die Rechtsprechung des Bundesgerichts auch im Rahmen der Eingriffsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK die Berücksichtigung des Wohls betroffener Kinder. Art. 3 Ziff. 1 KRK kommt im Vergleich dazu keine weitergehende Bedeutung zu.
0.0.4 Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK)
Zu prüfen bleibt, ob sich ein Härtefall aus Art. 13 Abs. 1 BV resp. Art. 8 Ziff.1 EMRK ableiten lässt.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK ist tangiert, wenn eine Wegweisungsmassnahme intakte und tatsächlich gelebte Familienbande mit einer Person, die in der Schweiz über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht verfügt, beeinträchtigt (zum Ganzen BSK BV-Diggelmann, Art. 13 N 20). Vom Schutzbereich erfasst ist u.a. die Kernfamilie, bestehend aus den Ehegatten und den gemeinsamen Kindern. Das Recht auf Achtung des Familienlebens ist dabei verletzt, wenn der familiäre Bezug zur Schweiz derart eng ist, dass die Wegweisungsmassnahme auch tatsächlich einen Eingriff in das Familienleben darstellt.
Der Verteidigung der Beschuldigten kann zugestimmt werden, dass die vorinstanzlichen Erwägungen hierzu nicht korrekt sind. Massgebend zur Beurteilung der Auswirkungen einer Wegweisungsoder Fernhaltemassnahme ist die Beziehung der betroffenen Person zu zum Aufenthalt in der Schweiz berechtigten Personen. Dass die Beschuldigte nie über einen gültigen Aufenthaltstitel in der Schweiz verfügte, ist zur Beurteilung, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts gegeben ist, nicht ausschlaggebend. Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK vermag gerade, unter bestimmten Voraussetzungen, grundsätzlich nicht Aufenthaltsberechtigten einen Anspruch auf Einreise und Verbleib zu gewähren, wenn sie in einer qualifizierten Beziehung zu Personen mit gefestigtem Aufenthaltsrecht in der Schweiz stehen.
Im vorliegenden Fall ist die Beschuldigte seit relativ kurzer Zeit mit einem Schweizer Bürger verheiratet. Die Ehegatten erwarten (Stand: Abschluss des Schriftenwechsels) ein gemeinsames Kind, dem ebenfalls das Schweizerische Bürgerrecht zukommen wird. Die Beschuldigte befindet sich seit dem 23. Mai 2018 in Ungarn. Gegen sie ist eine bis am 22. Mai 2021 gültige Wegweisungsverfügung angeordnet worden (pag. 047). Die Beschuldigte verfügte nie über einen gültigen Aufenthaltstitel in der Schweiz, da das FZA kein Recht auf Aufenthalt zum Zweck der Verübung von Straftaten gewährt. Während ihrer Aufenthalte in der Schweiz wohnte die Beschuldigte jeweils für begrenzte Zeit im Domizil ihres Freundes, dem heutigen Ehemann (pag. 257, Z. 215 f.; pag. 257, Z. 220), und kehrte regelmässig nach Ungarn zurück, wo ihr am … 2013 geborener Sohn lebt (pag. 310 Z. 699 i.V.m. pag. 931). Gegenwärtig besteht das Familienleben der Ehegatten nach Angaben der Verteidigung aus täglichen Telefonaten sowie regelmässigen Besuchen des Ehemanns und Kindsvaters in Ungarn. Im jetzigen Zeitpunkt ist die Familiengemeinschaft räumlich getrennt. Die Beschuldigte hält sich vermutungsweise nur aufgrund der Wegweisungsverfügung, also unfreiwillig, zurzeit in Ungarn auf. Die Beschuldigte lässt ausführen, dass nach der Geburt der gemeinsamen Tochter ein räumliches Zusammenleben geplant sei (pag. 1003, Z. 30 und Z. 34 f.). Beiden Ehegatten sei klar, dass die gegenwärtige Konstellation keine dauerhafte Lösung sei. Wie sich auch dem Rechtsbegehren auf Aufhebung der Landesverweisung entnehmen lässt, besteht die Absicht, gemeinsam in der Schweiz zu leben.
Es ist fraglich, ob die vorliegende Konstellation den Anforderungen an die Intensität der familiären Gemeinschaft genügt, damit diese in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 2 EMRK fällt. Bis anhin hielt sich die Beschuldigte nur zeitweise in der Schweiz auf, wobei sie jeweils in der Wohnung ihres heutigen Ehemanns wohnte. Diese Besuche waren von vornherein zeitlich befristet. Demgegenüber unterhält die Beschuldigte zu ihrer Familie in Ungarn eine sehr intensive Beziehung, insbesondere seien ihre Mutter und Geschwister finanziell von ihr abhängig (pag. 255, Z. 124 und Z. 128 f.). Im Erhebungsformular wirtschaftliche Verhältnisse nannte sie am 20. Januar 2020 vier Personen, an die sie – offenbar in Ungarn – Unterhaltsbeiträge von CHF 1'200.00 pro Monat leisten müsse (pag. 931). Ihre Mutter kümmerte sich während der Aufenthalte der Beschuldigten in der Schweiz um den Sohn der Beschuldigten (pag. 021, Z. 217). In Ungarn verfügt die Familie über ein Haus (pag. 255, Z. 132), wo zeitweise auch die Schwester der Beschuldigten mit deren Ehemann wohnt (pag. 255, Z. 119 ff.). Es scheint, als handle es sich bei ihrer Familie in Ungarn um die Kernfamilie der Beschuldigten. Von ihrem ungarisch sprechenden (pag. 364, Z. 164) Ehemann lebt sie zurzeit aufgrund einer migrationsrechtlichen Fernhalteverfügung räumlich getrennt. Die Anordnung einer Landesverweisung würde an den aktuell gelebten Verhältnissen nichts ändern. Eine in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK fallende Familiengemeinschaft zum Ehemann und dem gemeinsamen Kind, denen ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zukommt, wäre lediglich für die Zukunft geplant. Es ist fraglich, ob in dieser Konstellation das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 2 EMRK überhaupt tangiert ist. Die Frage kann indes offengelassen werden.
Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens ist im vorliegenden Fall mit Blick auf die vorerwähnten Kriterien (vgl. E. 7.1 oben) so anders gerechtfertigt.
Art und Schwere der begangenen Straftat
Betreffend die Art und Schwere der begangenen Straftat ist zu bemerken, dass die Beschuldigte die Förderung der Prostitution zulasten mehrerer Geschädigter verübte. Förderung der Prostitution ist ein Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB. Die Verteidigung der Beschuldigten bringt hierzu vor, die Vorinstanz verhalte sich widersprüchlich, wenn sie einerseits im Rahmen der Strafzumessung das Tatverschulden als leicht qualifiziere, andererseits jedoch bei der Prüfung der Landesverweisung die Art und Schwere der begangenen Straftat als schwerwiegend einstufe. Der Beschuldigten sei zu keiner Zeit die alleinige Führungsposition zugekommen und sie habe sich zeitweise auch selbst prostituieren müssen.
Der Ansicht der Verteidigung kann nicht beigepflichtet werden. Bei der Art der begangenen Straftat ist der verübte Straftatbestand zu berücksichtigen, bei der Schwere der begangenen Straftat wiederum das Tatverschulden. Die Einordnung von Art und Schwere der begangenen Straftat folgt daher nicht analog der Einschätzung der objektiven und subjektiven Tatschwere bei der Strafzumessung. Bei der Beurteilung der Landesverweisung ist der erfüllte Straftatbestand in Kombination mit dem Tatverschulden entscheidend. Vorliegend hat die Beschuldigte ein Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB zum Nachteil von insgesamt neun Geschädigten begangen. Diese hatten sich zum Teil auf Geheiss der Beschuldigten in einem fremden Land zu prostituieren, ohne bezüglich der auszuführenden Praktiken (mit Kondom, ohne Kondom; Ejakulation im Mund; Analverkehr) ein Mitspracherecht zu haben. Die Praktiken und das entsprechende Entgelt wurden ohne Zutun der Geschädigten vorgängig vereinbart. Diese hatten die «Bestellungen» umzusetzen.
Die Art der begangenen Straftat ist als schwerwiegend einzustufen. Auch wenn der Beschuldigten offenbar nicht die alleinige Tatherrschaft zukam, hat sie in wesentlichem Masse Kontrolle über die Geschädigten ausgeübt. Ihr Tatbeitrag ist nicht zu unterschätzen. Daran ändert auch das ausgesprochene Strafmass, welches nach Ansicht der Kammer deutlich zu Gunsten der Beschuldigten ausgefallen ist, nichts. Vor diesem Hintergrund ist die vorinstanzliche Einschätzung, wonach die Beschuldigte in schwerwiegender Weise gegen die Sicherheit und Ordnung in der Schweiz verstossen habe, nicht zu beanstanden. Die Kammer schliesst sich dieser Auffassung an.
Aufenthaltsdauer in der Schweiz
Die Beschuldigte befand sich lediglich während weniger Monate in der Schweiz. Ihre Aufenthalte dauerten jeweils rund 2 Wochen (pag. 310, Z. 702). Dazwischen reiste sie zurück nach Ungarn (pag. 310, Z. 699). Ihrem Ehemann zufolge sei sie erstmals im August 2016 in die Schweiz eingereist (pag. 373, Z. 49). Schon damals habe sie die Absicht zur Prostitution gehabt (pag. 254, Z. 89) und fing sogleich an, in einem Studio in G.__ zu arbeiten (pag. 373, Z. 49 f.). Somit verfügte sie nie über einen gültigen Aufenthaltstitel. Insbesondere gewährte ihr das FZA wie zuvor festgestellt zu keinem Zeitpunkt ein Recht auf Aufenthalt.
Verhalten der Beschuldigten seit der Tat
Die seit der Anlasstat vergangene Zeit beträgt rund drei Jahre. In dieser Zeit sind keine weiteren Straftaten der Beschuldigten vermerkt. Ihr Verhalten in der Zwischenzeit gibt zu keinen Bemerkungen Anlass, kann jedoch aufgrund ihres Aufenthalts in Ungarn auch kaum beobachtet werden.
Nationalitäten der betroffenen Personen
Die von der Landesverweisung betroffenen Personen, ihr Ehemann und das gemeinsame Kind, haben die Schweizerische Staatsbürgerschaft und damit ein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Schweiz. Die Beschuldigte befindet sich in Ungarn.
Familiäre Situation
Es gilt das zuvor zum Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK Ausgeführte (E. 10.2.4 oben). Namentlich findet das Familienleben der Ehegatten A+B.__ zurzeit grösstenteils räumlich getrennt statt. Familiäres Zusammenleben ist nur für die Zukunft geplant. Die Beschuldigte hat nebst dem nun erwarteten Kind bereits einen Sohn, der in Ungarn lebt.
Kenntnis des Ehepartners von der Anlasstat
Der Ehemann der Beschuldigten hatte nicht bloss Kenntnis von der Anlasstat, sondern spielte darin eine aktive Rolle. Die Anlasstat begingen die Beschuldigte und ihr heutiger Ehemann in Mittäterschaft. Es muss diesem diesbezüglich vorgehalten werden, dass er im Zeitpunkt der Taten strafrechtliche Sanktionen und mithin eine Landesverweisung für seine Freundin mit ausländischer Staatsbürgerschaft in Kauf genommen hat.
Vom Ehepartner zu erwartende Schwierigkeiten im Zielland
Ungarn ist ein Mitgliedstaat der Europäischen Union und verfügt über intakte Sicherheitsstrukturen und ein funktionierendes Gesundheitswesen. Dem Ehemann der Beschuldigten würde in Ungarn keine akute Gefahr für seine Sicherheit und Gesundheit drohen. Als Schweizer Bürger steht ihm unter dem FZA die Einreise nach Ungarn grundsätzlich offen. Darüber hinaus beherrscht der Ehemann der Beschuldigten die ungarische Sprache in Wort und Schrift und unterhält sich mit ihr ausschliesslich auf Ungarisch (pag. 364, Z. 164). Ihm wäre es daher möglich, sich nach Ungarn zu begeben und sich in den dortigen Arbeitsmarkt zu integrieren.
Der Ehemann der Beschuldigten verfügt in der Schweiz über keine Berufsbildung und absolvierte lediglich die obligatorische Schulzeit (pag. 361, Z. 40). Er fand im Unternehmen seiner Eltern Anstellung (pag. 363, Z. 119 ff.). Seine wirtschaftlichen Perspektiven wären in Ungarn zwar schlechter als in der Schweiz. Dennoch können wirtschaftliche Perspektiven in einem EU-Mitgliedstaat ohne Weiteres als gegeben erachtet werden. Während der Dauer der Landesverweisung in Ungarn zu leben, wäre für den Ehemann der Beschuldigten zwar mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Angesichts seiner Sprachkenntnisse und seiner Vertrautheit mit der dortigen Kultur, scheint dies jedoch keinesfalls unzumutbar.
Wohl der Kinder
Von einer Landesverweisung betroffen wären einerseits der in Ungarn geborene und wohnhafte Sohn der Beschuldigten sowie die Stand Abschluss Schriftenwechsel noch ungeborene Tochter der Beschuldigten mit dem Ehemann.
Der Sohn der Beschuldigten besucht in Ungarn offenbar bereits den Kindergarten resp. ist in der Zwischenzeit eingeschult worden (pag. 529, Z. 83 ff.; pag. 1003, Z. 16). Er ist in seiner Heimat Ungarn sozialisiert und verfügt wie die Beschuldigte über keine nur spärliche Deutschkenntnisse. Er kennt nur das Leben in Ungarn und ist nicht Schweizer Bürger. Ihm kommt kein eigenständiges Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu. Ungarn hat offensichtlich ein intaktes Schulsystem. Die schulischen und beruflichen Perspektiven des Sohnes der Beschuldigten sind in Ungarn nicht wesentlich schlechter als in der Schweiz. Ein Umzug in die Schweiz – wie von der Beschuldigten offenbar beabsichtigt – hätte für ihren Sohn einschneidende Konsequenzen. Er würde entweder aus seinem gewohnten Leben herausgerissen und müsste in ein ihm fremdes Land umziehen, ohne sich in Deutsch verständigen zu können in Ungarn bleiben und den Kontakt zu seiner Mutter verlieren. Eine Landesverweisung der Beschuldigten hätte auf das Wohlergehen ihres Sohnes keine negativen Auswirkungen.
Für die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Schriftenwechsels noch ungeborene Tochter der Beschuldigten mit ihrem Ehemann hätte ein Aufenthalt in Ungarn keine wesentlichen Auswirkungen auf ihr Wohlergehen. Auch ihr würde daraus keine Bedrohung für ihre Sicherheit Gesundheit erwachsen. Eine Einreise in die Schweiz für Besuche beim Kindsvater wäre zudem möglich. Ohnehin ist die Landesverweisung auf die Dauer von fünf Jahren befristet. Nach dieser Zeit steht einer Einreise der gemeinsamen Tochter zusammen mit der Beschuldigten in die Schweiz grundsätzlich nichts entgegen.
Soziale und kulturelle Bindung zum Aufnahmestaat und zum Herkunftsland
Die soziale und kulturelle Bindung der Beschuldigten zur Schweiz besteht ausschliesslich über ihren Ehemann. Über ihn hat sie Kontakt mit dessen Eltern (pag. 364, Z. 160 ff.). Ansonsten ist nicht bekannt, dass sie über ein soziales Umfeld in der Schweiz verfügt. Sie spricht keine der Landessprachen, insbesondere kein Deutsch (pag. 364, Z. 163). In Ungarn verbrachte sie demgegenüber die meiste Zeit ihres Lebens. Sie ist dort kulturell und sozial eingebettet.
Gesundheitszustand
Der Gesundheitszustand der Beschuldigten beeinflusst den Entscheid über die Landesverweisung nicht. Ungarn verfügt über eine funktionierende medizinische Versorgung, die von der Beschuldigten auch in Anspruch genommen wurde (pag. 016, Z. 39 ff.).
Dauer der aufenthaltsbeendenden Massnahme
Die Dauer der aufenthaltsbeendenden Massnahme beträgt fünf Jahre. Dabei handelt es sich um die gesetzliche Mindestdauer für die Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 StGB). Dies unterbricht das für die Zukunft geplante gemeinschaftliche Familienleben für eine gewisse Dauer. Diese untergräbt das Familienleben aber nicht vollständig. Der Beschuldigten wird nach Ablauf der Dauer der Landesverweisung die Einreise in die Schweiz grundsätzlich wieder möglich sein.
Gesamtwürdigung
In Berücksichtigung dieser Kriterien sind keine Umstände erkennbar, die einer Landesverweisung entgegenstehen. Die Familiengemeinschaft A+B.__ ist nur für die Zukunft geplant und wurde in der Vergangenheit nie tatsächlich gelebt. Die eigentliche Kernfamilie der Beschuldigten i.S.v. Art. 8 EMRK besteht aus ihrer Mutter, ihrem Sohn und ihren Geschwistern, die allesamt in Ungarn leben. Ihre Beziehung zu ihrem Ehemann hat keine höhere Intensität als ihre Beziehung zur Kernfamilie in Ungarn. Mit ihrem Ehemann hat sie bis zum jetzigen Zeitpunkt nur vorübergehend zusammengelebt und hat in dieser Zeit die Anlasstat verübt. Der Lebensmittelpunkt der Beschuldigten war stets in Ungarn. All dies steht der Annahme eines Härtefalls entgegen.
Das Wohl der betroffenen Kinder ändert daran nichts. Der gemeinsamen Tochter ist eine Einreise in die Schweiz zusammen mit dem Ehemann der Beschuldigten jederzeit möglich. Mit der Landesverweisung gegen die Beschuldigte wird deren Tochter das Recht auf Einreise in die Schweiz nicht entzogen. Darüber hinaus vermag Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union die grundlegenden Voraussetzungen für einen zumutbaren Aufnahmestaat problemlos zu erfüllen. Inwiefern sich Ungarn in einer «schwierigen Lage» befinde, die dem Ehemann der Beschuldigten keine wirtschaftliche Perspektive lasse, wie die Verteidigung in der Berufungsbegründung geltend macht, ist nicht nachvollziehbar, zumal ihr Ehemann Ungarisch spricht. Ein Aufenthalt des Ehemanns der Beschuldigten und der gemeinsamen Tochter in Ungarn für die Dauer der Landesverweisung ist möglich und zumutbar. Einem Start der Familiengemeinschaft in Ungarn steht nichts im Weg. Die angeordnete Landesverweisung ist auf die Dauer von 5 Jahren befristet. Nach deren Ablauf ist der Beschuldigten die Einreise in die Schweiz gemeinsam mit ihrer Tochter wieder möglich. Der in Ungarn lebende Sohn der Beschuldigten ist von der Landesverweisung nicht negativ betroffen.
Letztlich muss sich die Beschuldigte vorhalten lassen, dass ihr Ehemann von der Anlasstat nicht bloss Kenntnis hatte, sondern gar als Mittäter mitwirkte. Die Ehegatten haben dadurch – bevor sie verheiratet waren – eine allfällige Landesverweisung der Beschuldigten und die damit einhergehenden Folgen für die Familiengemeinschaft in Kauf genommen. Ausserdem ist es unzutreffend, dass die Beschuldigte mit ihrem Ehemann seit Mitte 2020 ein Kind erwarte, wie die Verteidigung in der schriftlichen Berufungsbegründung geltend macht. Beim erwarteten Geburtstermin am … 2021 wurde die gemeinsame Tochter ca. Mitte August 2020 gezeugt. Zu diesem Zeitpunkt waren der Beschuldigten und ihrem Ehemann das angefochtene Urteil und insbesondere die angeordnete Landesverweisung bereits seit mehreren Wochen bekannt. Trotz der Berufungsanmeldung der Beschuldigten vom 25. Juni 2020 mussten die Ehegatten A+B.__ damit rechnen, dass die Landesverweisung Bestand haben könnte. Die nun drohende Beeinträchtigung der Familiengemeinschaft haben die Beschuldigte und ihr Ehemann bewusst in Kauf genommen.
Zusammenfassend hält die angeordnete Landesverweisung als aufenthaltsbeendende Massnahme vor Art. 8 EMRK stand, wenn überhaupt ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens vorliegt. Es liegt kein schwerer, persönlicher Härtefall vor.
Ergebnis
Die Beschuldigte ist für die Dauer von 5 Jahren des Landes zu verweisen (Art. 66a Abs. 1 Bst. h StGB).
IV. Kosten und Entschädigung
Kosten
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Fällt die Rechtsmittelinstanz einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO).
Die Vorinstanz auferlegte der Beschuldigten die Verfahrenskosten in Höhe von gesamthaft CHF 28'420.25 (ohne Kosten für die amtliche Verteidigung). Die Höhe der Auslagen ist nachvollziehbar und die Festlegung der Gebühren angemessen. Für eine Änderung der Kostenverlegung besteht von vornherein kein Anlass.
Im oberinstanzlichen Verfahren werden die Verfahrenskosten in Anwendung von Art. 24 Bst. a des Dekrets betreffend die Verfahrenskosten und die Verwaltungsgebühren der Gerichtsbehörden und er Staatsanwaltschaft vom 24. März 2010 (VKD; BSG 161.12) bestimmt auf CHF 1'200.00. Sie sind der Beschuldigten, die mit ihren Anträgen vollumfänglich unterliegt, aufzuerlegen.
Entschädigungen
Die Kostennote von Rechtsanwalt D.__ für das oberinstanzliche Verfahren gibt zu keinen Bemerkungen Anlass und das amtliche Honorar wird entsprechend festgesetzt. Die für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzte amtliche Entschädigung von CHF 12'449.90 ist desgleichen nicht zu beanstanden und wurde bereits vollständig bezahlt (pag. 1025).
V. Dispositiv
Die 2. Strafkammer erkennt:
I.
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland vom 23. Juni 2020 insoweit in Rechtskraft erwachsen ist, als:
1. A.__ freigesprochen wurde von der Anschuldigung der Geldwäscherei, angeblich mehrfach begangen am 26. Oktober 2017 in E.__ im Betrag von CHF 300.00, ohne Ausrichtung einer Entschädigung und ohne Ausscheidung von Verfahrenskosten.
2. A.__ schuldig erklärt wurde der Förderung der Prostitution, mehrfach begangen inder Zeit von Oktober 2017 bis am 12. April 2018 in F.__ und Bern zum Nachteil von:
2.1. Unbekannte AA.__;
2.2. Unbekannte AB.__;
2.3. AC.__;
2.4. AD.__;
2.5. AE.__;
2.6. AF.__;
2.7. AG.__;
2.8. AH.__;
2.9. AI.__.
3. A.__ schuldig erklärt wurde der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG), mehrfach begangen in der Zeit von:
3.1. Oktober 2017 bis 12. April 2018 in F.__ und Bern, durch Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung;
3.2. November 2016 bis 12. April 2018 in F.__ und Bern, durch Ausübung einer nichtbewilligten Erwerbstätigkeit.
4. A.__ schuldig erklärt wurde der Widerhandlung gegen das Gesetz über das Prostitutionsgewerbe des Kantons Bern (PGG), begangen zwischen Ende Oktober 2017 bis 12. April 2018 in F.__ und Bern.
5. A.__ in Anwendung einschlägigen Gesetzesbestimmungen und gestützt auf die Schuldsprüche zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu CHF 30.00, ausmachend total CHF 5'400.00 verurteilt wurde, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 2 Tagen Untersuchungshaft im Umfang von 2 Tagessätzen sowie unter Anrechnung der Ersatzmassnahmen von 40 Tagen (14. April 2018 bis 23. Mai 2018) im Umfang von 40 Tagessätzen und unter bedingtem Aufschub des Vollzug bei einer Probezeit von 2 Jahren.
6. A.__ in Anwendung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen und gestützt auf den Schuldspruch zu einer Übertretungsbusse von CHF 200.00 verurteilt wurde, unter Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung auf 2 Tage.
7. Folgender Gegenstand A.__ nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückgegeben wird:
• Mobiltelefon Samsung (Ass.-Nr. 2.4), inkl. Ladekabel Samsung (Adapter weiss, Kabel orange).
8. Der Betrag von CHF 1'210.00 (Ass.-Nr. 2.18) eingezogen wurde (Art. 70 StGB).
II.
A.__ wird gestützt auf die Schuldsprüche gemäss Ziff. I.2 sowie in Anwendung der Artikel
66a Abs. 1 und 2 StGB
Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO
verurteilt:
1. Zu einer Landesverweisung von 5 Jahren.
2. Zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 28'420.25 (Gebühren CHF 10'900.00 + Auslagen CHF 17'520.25).
3. Zu den oberinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 1'200.00.
III.
Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers der beschuldigten Person, Rechtsanwalt D.__, wird für das erstbzw. oberinstanzliche Verfahren wie folgt bestimmt:
Erste Instanz
Der Kanton Bern entschädigt Rechtsanwalt D.__ für die amtliche Verteidigung von A.__ im erstinstanzlichen Verfahren mit CHF 12'449.90 (bereits vollständig ausbezahlt).
A.__ hat dem Kanton Bern die für das erstinstanzliche Verfahren ausgerichtete Entschädigung von CHF 12'449.90 zurückzuzahlen und Rechtsanwalt D.__ die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar, ausmachend CHF 4'615.60 zu erstatten, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben (Art. 135 Abs. 4 StPO).
Obere Instanz
Der Kanton Bern entschädigt Rechtsanwalt D.__ für die amtliche Verteidigung von A.__ im oberinstanzlichen Verfahren mit CHF 3'261.60.
A.__ hat dem Kanton Bern die für das oberinstanzliche Verfahren ausgerichtete Entschädigung von CHF 3'261.60 zurückzuzahlen und Rechtsanwalt D.__ die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar, ausmachend CHF 1'286.35 zu erstatten, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben (Art. 135 Abs. 4 StPO).
IV.
Weiter wird verfügt:
1. Die Zustimmung zur Löschung des erstellten DNA-Profils (PCN.__) nach Ablauf der gesetzlichen Frist wird vorzeitig erteilt (Art. 16 Abs. 1 Bst. e i.V.m. Art. 17 Abs. 1 DNA-ProfilG).
2. Die Zustimmung zur Löschung der von A.__ erhobenen biometrischen erkennungsdienstlichen Daten (PCN.__) nach Ablauf der gesetzlichen Frist wird vorzeitig erteilt (Art. 17 Abs. 1 Bst. e i.V.m. 19 Abs. 1 der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten).
3. Zu eröffnen:
• der Beschuldigten, a.v.d. Rechtsanwalt D.__
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• der Koordinationsstelle Strafregister (KOST; nur Dispositiv; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Staatssekretariat für Migration (SEM; Urteil mit Begründung; innert 10 Tagen)
• dem Bundesamt für Polizei (Urteil mit Begründung; innert 10 Tagen)
• dem Regierungsstatthalteramt K.__ (nur Dispositiv; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland (nur Dispositiv; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
Bern, 3. Juni 2021
Im Namen der 2. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Schmid
Der Gerichtsschreiber:
Stähli
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Gegen den Entschädigungsentscheid kann die amtliche Verteidigung innert 10 Tagen seit Eröffnung bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, Viale Stefano Franscini 7, 6500 Bellinzona, schriftlich und begründet Beschwerde führen (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO).