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Urteil Obergericht (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2011 13: Obergericht

Die Kläger A. und B. haben Beschwerde gegen eine Verfügung und ein Urteil des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Bülach erhoben. Die Vorinstanz wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab, da sie die Gewinnchancen der Kläger als aussichtslos einstufte. Die Kläger argumentierten, dass ihr Gesuch bereits mit dem Vollstreckungsbegehren gestellt wurde und die Vorinstanz zu lange für die Entscheidung benötigte. Letztendlich wurde die Beschwerde abgewiesen und den Klägern Gerichtskosten auferlegt. Die Kläger wurden aufgrund ihres beinahe vollständigen Unterliegens zur Zahlung einer Prozessentschädigung verpflichtet.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2011 13

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2011 13
Instanz:Obergericht
Abteilung:Handelsgericht
Obergericht Entscheid AGVE 2011 13 vom 18.11.2011 (AG)
Datum:18.11.2011
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Lawsearch Cache - AGVE 2011 2 S. 51 2011 Strafprozessrecht 51 VI. Strafprozessrecht 13 Art. 3 Abs. 2 lit. a, 115 Abs....
Schlagwörter : Recht; Recht; Verfahrens; Person; Einstellung; Anzeige; Beschwerde; Parteirechte; Prozessordnung; Prozessrecht; Rechten; Staatsanwaltschaft; Kommentar; Verfahren; Schweizerische; Kläger; Rechtsmittel; Ergreifung; Verkehrsteilnehmer; Basler; Privatkläger; Antrag; Obergericht; Stellung; Parteirechten; Verfahrens
Rechtsnorm:Art. 105 StPO ;Art. 115 StPO ;Art. 118 StPO ;Art. 119 StPO ;Art. 301 StPO ;Art. 318 StPO ;Art. 322 StPO ;Art. 382 StPO ;
Referenz BGE:120 IV 252;
Kommentar:
Schweizer, Praxis, Art. 115 OR, 2009
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2011 13

2011 Strafprozessrecht 51

VI. Strafprozessrecht



13 Art. 3 Abs. 2 lit. a, 115 Abs. 1, 118 Abs. 1 StPO - Der geschädigten Person sind volle Parteirechte insbesondere das Recht zur Ergreifung von Rechtsmitteln einzuräumen, wenn sie noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der Konstituierung zu äussern. - In der Variante Verletzung von Verkehrsregeln mit konkreter Ge- fährdung anderer Verkehrsteilnehmer schützt Art. 90 Ziff. 2 SVG auch die persönliche Integrität des Verkehrsteilnehmers. Im konkre- ten Fall ist der Beschwerdeführer durch die in Frage stehenden Ver- kehrsregelverletzungen i.S.v. Art. 115 Abs. 1 StPO unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 18. November 2011 i.S. U.B. gegen W.H. und Staatsanwaltschaft Lenz-
burg-Aarau (SBK.2011.147).

Aus den Erwägungen
2.2.
2.2.1.
Nach Art. 322 Abs. 2 StPO sowie Art. 382 Abs. 1 StPO kann die
Einstellungsverfügung von den Parteien angefochten werden. Zur
Beschwerde legitimiert sind entgegen dem Wortlaut von Art. 322
Abs. 2 und Art. 382 Abs. 1 StPO nicht nur die Parteien, sondern auch
die anderen Verfahrensbeteiligten nach Art. 105 StPO, soweit sie ein
rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung
eines Entscheides haben, d.h. soweit sie durch die Einstellungsverfü-
gung beschwert sind (VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schwei-
zerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, Art. 382 N. 2; ROLF
2011 Obergericht 52

GRÄDEL/MATTHIAS HEINIGER, in: Basler Kommentar, Schweize-
rische Strafprozessordnung, 2011, Art. 322 N. 6).
2.2.2.
Der Beschwerdeführer ist Anzeiger.
Ist der Anzeigende durch die angezeigte Straftat in seinen Rech-
ten unmittelbar verletzt worden, so ist er Geschädigter i.S.v. Art. 115
Abs. 1 StPO. Die zur Stellung eines Strafantrags berechtigte Person
gilt gemäss Art. 115 Abs. 2 StPO in jedem Fall als geschädigte Per-
son. Als Geschädigter hat der Anzeigende insbesondere das Recht,
als Privatkläger Parteirechte geltend zu machen (Art. 118 ff. StPO).
Andernfalls ist er "anderer Verfahrensbeteiligter" i.S.v. Art. 105 lit. b
StPO, und als solcher stehen ihm nur dann Verfahrensrechte zu,
wenn er durch das Strafverfahren in besonderer Weise betroffen wird
(z.B. wenn er Eigentümer beschlagnahmter Beweismittel ist). Die
Tatsache allein, dass eine Person Anzeige erstattet hat, verschafft hin-
gegen keine besondere Rechtsposition, was Art. 301 Abs. 3 StPO der
Klarheit halber festhält (CHRISTOF RIEDO/ANASTASIA FALKNER, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011,
Art. 301 N. 22; vgl. auch PATRICK GUIDON, Die Beschwerde gemäss
Schweizerischer Strafprozessordnung, 2011, N. 293).
2.2.3.
2.2.3.1.
Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Einvernahme vom
8. April 2010 gegen (...) Strafantrag wegen Beschimpfung gestellt.
Er ist zur Stellung eines Strafantrages Berechtigter, da sich die ange-
zeigte Straftat gegen das ihm zugeordnete Rechtsgut der Ehre richtet.
Als Strafantragsberechtigter ist er geschädigte Personen gemäss
Art. 115 Abs. 2 StPO und Strafkläger i.S.v. Art. 118 Abs. 2 i.V.m.
Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO bzw. Privatklägerschaft. Damit hat er Par-
teistellung. Durch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft
Lenzburg-Aarau vom 17. Mai 2011 ist er in seinen rechtlich ge-
schützten Interessen unmittelbar betroffen, da ihm durch die Einstel-
lung des Verfahrens die Geltendmachung von Parteirechten (Art. 119
Abs. 2 lit. a StPO) verwehrt wird. Demnach ist seine Legitimation
zur Ergreifung der Beschwerde gegen die angefochtene Einstellungs-
2011 Strafprozessrecht 53

verfügung in Bezug auf den Ehrverletzungstatbestand der Beschim-
pfung zu bejahen.
2.2.3.2.
Die zur Anzeige gebrachten einfachen Verkehrsregelverletzun-
gen der missbräuchlichen Verwendung des akustischen Warnsignals
sowie der missbräuchlichen Verwendung der Lichthupe (vgl. Polizei-
rapport vom 19. Mai 2010, S. 1, act. 24) sind abstrakte Gefährdungs-
delikte. Durch sie ist der Beschwerdeführer nicht i.S.v. Art. 115
Abs. 1 StPO unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden (vgl. da-
zu GORAN MAZZUCCHELLI/MARIO POSTIZZI, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 115 N. 30 und 88).
Da der Beschwerdeführer somit nicht als geschädigte Person gelten
kann, fällt eine Parteistellung ausser Betracht.
Ebenso wenig stehen ihm die Verfahrensrechte einer Partei als
"anderer Verfahrensbeteiligter" i.S.v. Art. 105 lit. b StPO zu, da er
nicht i.S.v. Art. 105 Abs. 2 StPO in seinen Rechten unmittelbar be-
troffen ist. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, eine gemein-
same Beurteilung des gegen ihn geführten Strafverfahrens (er hat
Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben) sowie des vorliegenden
Strafverfahrens gegen (...) und somit des gleichen Sachverhaltes sei
unerlässlich, könne sich doch die rechtskräftige Einstellung des
Strafverfahrens gegen (...) im gegen ihn geführten Strafverfahren
nachteilig auswirken. Dem ist aber nicht so. Das Strafrecht kennt kei-
ne Schuldkompensation bzw. vorliegend hängt die strafrechtliche
Verantwortlichkeit von (...) nicht davon ab, ob sich der Beschwerde-
führer verkehrsregelwidrig verhalten hat (vgl. dazu BGE 120 IV 252
E. 2d/bb). Insofern ist der Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten
unmittelbar betroffen. Da vorliegend keine Kollision bzw. kein Scha-
den entstand, stellen sich auch keine Haftungsfragen, welche allen-
falls eine unmittelbare Betroffenheit begründen könnten. Ebenso
wenig werden dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten auferlegt. Er
ist damit nur mittelbar faktisch betroffen, was für die Einräu-
mung von Parteirechten nicht genügt (vgl. HENRIETTE KÜFFER, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011,
Art. 105 N. 31; LIEBER, a.a.O., Art. 105 N. 12 ff.).
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2.2.3.3.
Anders ist die Rechtslage betreffend die zur Anzeige gebrachten
groben Verkehrsregelverletzungen des ungenügenden Abstands beim
Hintereinanderfahren sowie des unbegründeten brüsken Bremsens
(vgl. Polizeirapport vom 19. Mai 2010, S. 1) zu beurteilen. Aufgrund
der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers war er konkret in
Gefahr. In der Variante Verletzung von Verkehrsregeln mit konkreter
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer schützt Art. 90 Ziff. 2 SVG
auch die persönliche Integrität jedes Verkehrsteilnehmers. Durch die
in Frage stehenden Verkehrsregelverletzungen ist der Beschwerde-
führer i.S.v. Art. 115 Abs. 1 StPO daher unmittelbar in seinen Rech-
ten verletzt worden (vgl. dazu GORAN MAZZUCCHELLI/MARIO
POSTIZZI, a.a.O., Art. 115 N. 30 und 88 mit Hinweisen). Damit gilt
der Beschwerdeführer hinsichtlich dieser beiden Tatbestände als ge-
schädigte Person.
Diese Stellung allein führt nicht zur Rechtsmittellegitimation.
Zur Partei wird die geschädigte Person (unter Vorbehalt von Art. 105
Abs. 2 und 118 Abs. 2 StPO) nur, wenn sie sich nach Art. 118 StPO
als Partei konstituiert.
Der Beschwerdeführer hat sich zwar bis zum Erlass der Ein-
stellungsverfügung nicht als Privatklägerschaft konstituiert. Aller-
dings wurde er von der Staatsanwaltschaft auch nicht wie dies nach
Art. 118 Abs. 4 StPO hätte geschehen sollen auf diese Möglichkeit
hingewiesen. Insbesondere erliess die Staatsanwaltschaft Lenzburg-
Aarau vor der Einstellung des Verfahrens gegen den Beschuldigten
(...) keine an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung im Sinne
von Art. 318 Abs. 1 StPO. In der Botschaft zur Vereinheitlichung des
Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1308 Fn. 427,
wird ausdrücklich festgehalten, dass die geschädigte Person, die sich
noch nicht im Sinne der Art. 116 ff. als Privatklägerin konstituieren
konnte (z.B. wegen einer Nichtanhandnahmeverfügung), selbstver-
ständlich auch ein Rechtsmittel einlegen könne. Auch Schmid hält
dafür, dass der geschädigten Person volle Parteirechte insbesondere
das Recht zur Ergreifung von Rechtsmitteln einzuräumen sind,
wenn sie noch keine Gelegenheit gehabt habe, sich zur Frage der
Konstituierung zu äussern, wobei er als Beispiel auch die Einstellung
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der Untersuchung nennt (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Straf-
prozessordnung, Praxiskommentar, 2009, Art. 115 N. 4). Vorliegend
verlangt der Beschwerdeführer mit Beschwerde, es sei ihm die Par-
teistellung bzw. Rechtsmittellegitimation zuzugestehen. Auch wenn
die angefochtene Verfügung erst rund ein Jahr nach Anzeige und
Verfassung des Polizeirapportes erging und sich der Beschwerdefüh-
rer von sich aus bei der Staatsanwaltschaft nach dem Verfahrensstand
bzw. nach dem voraussichtlichen Zeitpunkt sowie der in Betracht
fallenden Art der Verfahrenserledigung hätte erkundigen können, ist
aufgrund der dargelegten Umstände und nach dem Grundsatz von
Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO) die Beschwerdelegiti-
mation zu bejahen. Der aus dem Vorfall vom 4. April 2010 geschä-
digte Beschwerdeführer ist durch die Einstellung des Verfahrens un-
mittelbar in seinen Rechten betroffen, da ihm dadurch die Geltend-
machung von Parteirechten (Art. 119 Abs. 2 StPO) verwehrt wird.
Demnach ist er im Hinblick auf die groben Verkehrsregelverletzun-
gen zur Ergreifung der Beschwerde legitimiert.


Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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