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Bundesverwaltungsgericht Urteil B-1546/2020

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung II
Dossiernummer:B-1546/2020
Datum:28.06.2021
Leitsatz/Stichwort:Stiftungsaufsicht
Schlagwörter : Revision; Stiftung; Revisionsstelle; Beschwerde; Befreiung; Recht; Revisionsstellen; Vorinstanz; Beschwerdeführerin; Voraussetzung; Stiftungen; Revisionsstellenpflicht; Aufsicht; Bundes; Gesuch; Bilanz; Aufsichtsbehörde; E-Mail; Handelsregister; Verfügung; Voraussetzungen; Geschäftsjahr; Auslegung; Pflicht; Mails; VO-RvS; Stiftungsrecht; E-Mails; Urteil
Rechtsnorm: Art. 34 VwVG ; Art. 35 VwVG ; Art. 48 BGG ; Art. 49 ZGB ; Art. 60 ZGB ; Art. 63 VwVG ; Art. 72 OR ; Art. 727 OR ; Art. 728 OR ; Art. 81 ZGB ; Art. 83 ZGB ; Art. 84 ZGB ; Art. 93 OR ; Art. 957 OR ; Art. 957 Or; Art. 958 OR ; Art. 959 OR ;
Referenz BGE:119 Ib 46; 132 V 74; 133 II 450; 138 III 558; 141 II 233; 143 II 268; 144 V 280; 145 III 324; 146 II 201; 146 V 129; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Das BGer ist mit Entscheid vom 29.07.2021 auf die Beschwerde nicht eingetreten (5A_598/2021)

Abteilung II B-1546/2020

U r t e i l v o m 2 8 . J u n i 2 0 2 1

Besetzung Richter Martin Kayser (Vorsitz),

Richter Jean-Luc Baechler, Richter David Aschmann, Gerichtsschreiberin Simona Risi.

Parteien Stiftung A. ,

Beschwerdeführerin,

gegen

Eidgenössische Stiftungsaufsicht ESA, Monbijoustrasse 51A, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Stiftungsaufsicht.

Sachverhalt:

A.

Die Stiftung A. (nachfolgend Beschwerdeführerin) wurde mit öffentlicher Urkunde von 28. August 2018 errichtet und am Tag darauf im Handelsregister des Kantons Solothurn eingetragen. Mit Verfügung vom

17. Oktober 2018 übernahm die Eidgenössische Stiftungsaufsicht (nachfolgend Vorinstanz) die Aufsicht über die Beschwerdeführerin und wies diese u.a. an, ihr jeweils innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres die Rechenschaftsablage einzureichen, bestehend aus dem Tätigkeitsbericht, der Jahresrechnung (Bilanz, Betriebsrechnung und Anhang), dem Bericht der Revisionsstelle und dem Vermerk über die Genehmigung der Rechenschaftsablage durch den Stiftungsrat.

B.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2020 orientierte die Beschwerdeführerin die Vorinstanz darüber, dass die Revisionsstelle ihr Mandat im Januar 2020 niedergelegt habe. Indes erfülle sie alle Voraussetzungen, um von der Pflicht, eine Revisionsstelle zu bezeichnen, befreit zu werden.

C.

Die Vorinstanz teilte der Beschwerdeführerin mit mehreren E-Mails vom

25. Februar 2020 mit, eine Befreiung von der Revisionspflicht könne frühestens im dritten Geschäftsjahr erfolgen.

D.

Mit Eingabe vom 16. März 2020 erhebt die Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Sie beantragt sinngemäss, ihr Antrag vom 31. Januar 2020 betreffend die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht sei materiell zu prüfen und bis zum Entscheid sei sie von der Revisionsstellenpflicht zu befreien.

E.

Die Vorinstanz beantragt mit Vernehmlassung vom 28. Mai 2020 die Abweisung der Beschwerde.

F.

Am 13. Juli 2020 reicht die Beschwerdeführerin die Replik ein. Zudem ersucht sie sinngemäss um Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Gutheissung ihres Gesuchs bzw. zur Auskunftserteilung, was für Unterlagen für die Gesuchsprüfung erforderlich wären.

G.

Mit Stellungnahme vom 12. Mai 2021 hält die Vorinstanz an ihren bisherigen Ausführungen fest. Die Beschwerdeführerin lässt sich daraufhin ebenfalls nicht mehr inhaltlich vernehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen der Vorinstanz zuständig (Art. 31, Art. 32 e contrario sowie Art. 33 Bst. d VGG).

    2. Die Beschwerdeführerin erhob ihre Beschwerde am 16. März 2020 und damit innerhalb der 30-tägigen Beschwerdefrist seit Erhalt der vorinstanzlichen E-Mails vom 25. Februar 2020. Nachdem auch andere Sachurteilsvoraussetzungen wie die Zuständigkeit (E. 1.1) und die Legitimation (vgl. Art. 48 VwVG) vorliegend erfüllt sind, bleibt zu prüfen, ob die erwähnten E- Mails als Verfügung im Sinn von Art. 5 VwVG qualifiziert werden können. Dabei ist zunächst näher auf den Hintergrund und den Inhalt der E-Mails einzugehen.

    3. Die beschwerdeführende Stiftung ersuchte die Vorinstanz mit Schreiben vom 31. Januar 2020 um eine Befreiung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle (vorinstanzliche Akten [nachfolgend Vi-act.] 9). Am 25. Februar 2020 teilte ihr die Vorinstanz mit, dass ein solches Gesuch erst dann gestellt werden könne, wenn zwei revidierte Jahresabschlüsse vorlägen (E-Mail von 9:27 Uhr; Vi-act. 11). Da die gesuchstellende Stiftung erst 2018 gegründet worden sei, könne ein entsprechendes Gesuch erst im Jahr 2021 gestellt werden. Die Vorinstanz bezog sich bei ihrer Antwort auf die Voraussetzungen gemäss der Verordnung über die Revisionsstelle von Stiftungen vom 24. August 2005 (SR 211.121.3; nachfolgend Revisionsstellenverordnung bzw. VO-RvS). Mit zwei weiteren E-Mails erklärte die Vorinstanz die Sachlage und die Voraussetzungen der Gesuchstellung eingehender und hielt daran fest, dass das Gesuch zurzeit nicht geprüft werden könne (E-Mails von 14:17 und 15:52 Uhr; Vi-act. 13 und 15). Auf erneute Rückfrage teilte sie der Beschwerdeführerin mit, das Gesuch vom

      31. Januar 2020 sei bereits abschlägig beantwortet und die Ablehnung begründet worden (E-Mail von 16:54 Uhr; Vi-act. 17).

      Mit ihren E-Mails teilte die Vorinstanz der Beschwerdeführerin folglich mit, dass sie ihr Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht inhaltlich nicht prüfen werde. Ob sie dies zu Recht tat, ist eine Frage des materiellen Rechts; im Folgenden gilt es zu prüfen, ob das vorinstanzliche Handeln als Verfügung zu qualifizieren ist.

    4. Für den Begriff einer Verfügung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 VwVG müssen nach der Rechtsprechung folgende Voraussetzungen erfüllt sein (BGE 141 II 233 E. 3.1 sowie FELIX UHLMANN, in: Waldmann/Weissenberger, Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, Art. 5 Rz. 19 je mit weiteren Hinweisen): (1.) Eine Behörde erlässt eine Anordnung, die (2.) hoheitlich und (3.) individuell-konkret ist ("... im Einzelfall"). Die Anordnung ergeht sodann (4.) in Anwendung von Bundesverwaltungsrecht ("... die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen") und ist (5.) auf Rechtswirkungen ausgerichtet (vgl. im Einzelnen den Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Bst. a bis c VwVG). Die Verfügung muss schliesslich (6.) verbindlich und erzwingbar sein. Ausschlaggebend ist dabei allein, ob diese Voraussetzungen in der Sache erfüllt sind. Auf die äussere Form (das "Kleid") kommt es dagegen nicht an (vgl. BGE 133 II 450 E. 2.1; 132 V 74 E. 2; BVGE 2015/15 E. 2.1.2.1 am Ende; BVGE 2010/29 E. 1.2.1; Urteil des BVGer A-3146/2018 vom 24. Januar 2019 E. 2.1.2; MARKUS MÜLLER,

      in: Auer/Müller/Schindler, Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 2019, Art. 5 Rz. 15).

    5. Die Vorinstanz ist (1.) eine Behörde, die zum Erlass der hier anbegehrten Befreiung von der Revisionsstellenpflicht ohne Weiteres zuständig ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO-RvS i.V.m. Art. 84 Abs. 1 ZGB; vgl. auch Urteil des BGer 2C_966/2018 vom 29. Januar 2019 E. 3.3). Indem sie der Beschwerdeführerin mitteilte, dass sie ihr Gesuch nicht behandeln würde, handelte sie einseitig, also nicht einvernehmlich und folglich (2.) hoheitlich. Ihre Anordnung war (3.) individuell an die gesuchstellende Stiftung gerichtet und bezog sich auf einen Einzelfall, nämlich die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht im vorliegenden Gesuchsverfahren. Die Vorinstanz brachte in ihren E-Mails (4.) Bundesverwaltungsrecht zur Anwendung. Dass die hier in Frage stehenden Normen teilweise im ZGB und seinen Nebenerlassen enthalten sind, ändert nichts an ihrem öffentlich-rechtlichen Charakter (vgl. BGE 119 Ib 46 E. 1a; 103 Ib 161 E. 1; Urteil des BGer 2A.606/2006 vom

      18. April 2007 E. 1.2, sowie MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O.,

      Art. 5 Rz. 64).

    6. Damit ist im Folgenden zu prüfen, ob die E-Mails (5.) auf Rechtswirkungen ausgerichtet waren und (6.) als verbindlich und erzwingbar erachtet werden können.

2.

    1. Staatliches Handeln erzeugt Rechtswirkungen, wenn die Behörde mit einer Anordnung im Einzelfall ein Rechtsverhältnis im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Bst. a bis c VwVG regelt. Sie muss also Rechte oder Pflichten begründen, ändern oder aufheben (Bst. a), ihr Bestehen, Nichtbestehen oder ihren Umfang feststellen (Bst. b) oder entsprechende Begehren abweisen oder nicht darauf eintreten (Bst. c). Dort, wo behördliches Handeln allein die Faktenlage ändert, wird kein Rechtsverhältnis geregelt. Das Bewirken von Rechtswirkungen grenzt die Verfügung damit von blossen Realakten bzw. informellem Handeln ab (MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O., Art. 5 Rz. 76). Das Kriterium gehört insoweit zu den zentralen Elementen des Verfügungsbegriffs (vgl. Urteil des BVGer A-2323/2018 vom 13. August 2018 E. 3.3, wo von einer "raison d’être" die Rede ist).

    2. Mit ihren E-Mails beschied die Vorinstanz der Beschwerdeführerin, ihr Begehren inhaltlich nicht überprüfen zu wollen. Damit weigerte sie sich, sich materiell mit dem Begehren zu befassen bzw. dieses an die Hand zu nehmen. Ihr Handeln wirkte sich somit nicht allein auf die Faktenlage aus. Vielmehr kam ihr Handeln wenigstens im Ergebnis einem Nichteintreten auf das Gesuch der nunmehr beschwerdeführenden Stiftung gleich (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. c VwVG und dazu MARKUS MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O., Art. 5 Rz. 104 f.). Die Rechtsstellung der Stiftung wurde damit unmittelbar beeinflusst (vgl. zum Kriterium der Unmittelbarkeit das Urteil des BVGer A-6037/2011 vom 15. Mai 2012 E. 5.3.2.1). Damit ist zu prüfen, ob die E-Mails vor diesem Hintergrund als verbindlich anzusehen sind.

3.

    1. Verbindlichkeit bedeutet, dass die Verfügung sowohl für die Adressatin als auch für das verfügende Gemeinwesen zweiseitig rechtswirksam ist. Grundsätzlich reicht die Verbindlichkeit nur so weit, als der Inhalt der Anordnung für den durchschnittlich sprachbegabten Adressaten zu erschliessen ist (MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O., Art. 5 Rz. 38 f.). Dies bedingt Präzision und Klarheit, was wiederum Voraussetzung für die zwangsweise Vollstreckung ist (vgl. PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 28 Rz. 34). Ob der Adressat an die Verfügung gebunden sein will, ist demgegenüber für das

      Vorliegen einer Verbindlichkeit irrelevant (BVGE 2016/4 E. 5.2.3). Ebenfalls nicht ausschlaggebend ist die blosse Absicht einer Behörde; entscheidend ist vielmehr, was die Behörde effektiv unternimmt (vgl. BVGE 2016/4

      E. 5.2.3: «indépendement de la volonté de l’autorité ou de l’administré»; vgl. sodann MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O., Art. 5 Rz. 14). Das Kriterium der Verbindlichkeit steht insoweit in einem gewissen Zusammenhang mit der bereits erörterten Erzeugung von Rechtswirkungen (vorn E. 2; ALAIN GRIFFEL, Allgemeines Verwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, 2017, Rz. 31; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2C_1184/2013 vom 17. Juli 2014 E. 2.1).

    2. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den vier E-Mails vom 25. Februar 2020 zusammengenommen, dass die Vorinstanz die (weitere) Prüfung des Gesuchs vom 31. Januar 2020 aufgrund des noch nicht zweijährigen Bestehens der Stiftung ablehnte. Mit der E-Mail von 16:54 Uhr stellte sie klar, sie habe das Gesuch bereits abschlägig beantwortet, und dies begründet (vgl. ebenso Vernehmlassung E. 3.2 S. 4). Die Vorinstanz ging damit von einer verbindlichen Anordnung aus. Dasselbe galt auch für die Beschwerdeführerin, die in ihrer E-Mail vom 28. Februar 2020 (7:57 Uhr) festhielt, dass sie die Verfügung nicht akzeptiere (Vi-act. 19).

    3. Die Reihenfolge der E-Mails zeigt, dass sich die vorliegend zu beurteilende Sachlage von Fällen unterscheidet, in denen sich aus dem Handeln der Behörde von vornherein keine Verbindlichkeit ableiten liess (vgl. BGE 143 II 268 E. 4.2.2; BVGE 2016/4 E. 5.2.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2069/2015 vom 11. August 2015 E. 2.1.1). Im vorliegenden Fall hatte sich die Behörde sowohl für die Adressatin als auch für sich selbst verbindlich festgelegt. Dass die Beschwerdeführerin in der Folge hinsichtlich der Rechtsgrundlagen nachfragte und die Vorinstanz ihrerseits mit E-Mail vom 5. März 2020 (Vi-act. 24) eine «anfechtbare Verfügung» in Aussicht stellte, ändert daher nichts an der Verbindlichkeit der E-Mails vom

      25. Februar 2020. Der vorliegend zu beurteilende Fall ist damit von Fällen abzugrenzen, in denen die Behörde bloss eine verbindliche Anordnung in Aussicht stellt (vgl. UHLMANN, in: Waldmann/Weissenberger, a.a.O., Art. 5 Rz. 99 ff.; Urteil des BVGer A-5752/2018 vom 20. November 2018 E. 2.2.1).

    4. Die E-Mails waren nach dem Gesagten beidseitig verbindlich. Sowohl die Vorinstanz als auch die Beschwerdeführerin waren an ihren Inhalt gebunden. Aufgrund ihrer Präzision hätten sie sodann auch ohne weiteres vollstreckt werden können.

4.

    1. Die E-Mails erfüllen damit zusammengefasst sämtliche Merkmale des Verfügungsbegriffs. Dass ihr Versand die formellen Voraussetzungen von Art. 34 Abs. 1bis VwVG nicht erfüllte (Einverständnis der Betroffenen, elektronische Signatur), ist unerheblich. Dasselbe gilt für das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung (vgl. Art. 35 Abs. 2 VwVG und dazu BVGE 2009/43

      E. 1.1.6 und 1.1.8). Für die Qualifikation als Verfügung ist wie bereits erwähnt nicht die äussere Form, sondern der Inhalt der Anordnung ausschlaggebend (vgl. vorn E. 1.4 am Ende).

    2. Für die materielle Behandlung der Beschwerde sind nach dem Gesagten sämtliche Voraussetzungen erfüllt. Da die Vorinstanz das Gesuch der Beschwerdeführerin in der Sache nicht prüfte, hätte eine Gutheissung allein eine Rückweisung zur Folge (BGE 132 V 74 E. 1.1; BVGE 2011/30

E. 3; Urteil des BVGer A-4790/2018 vom 19. Dezember 2018 E. 1.2).

5.

    1. In der Sache geht es in der vorliegenden Auseinandersetzung darum, ob sich die Vorinstanz mit dem Gesuch der Beschwerdeführerin hätte befassen müssen, sie von der Pflicht zur Errichtung einer Revisionsstelle zu befreien. Das Stiftungsrecht enthielt ursprünglich keine solche Pflicht. Sie wurde erst im Rahmen der Stiftungsrechtsreform von 2004 mit Art. 83b ZGB ins Gesetz eingefügt (vgl. AS 2005 4545; BBl 2003 8153, 8191). Damit erfolgte ein eigentlicher Paradigmenwechsel (vgl. DIEGO CAVEGN, Die Revision der Revision von Stiftungen und Vereinen, 2008, S. 64; THOMAS SPRECHER, Die Revision des schweizerischen Stiftungsrechts, 2006, Rz. 95). Dieser Wechsel wird durch den zweiten Absatz der genannten Bestimmung etwas abgeschwächt. Danach kann die Aufsichtsbehörde eine Stiftung von der Revisionsstellenpflicht befreien. Die Voraussetzungen dafür werden in der Revisionsstellenverordnung umschrieben. Unter den Parteien ist nun umstritten, wie diese auszulegen ist.

    2. Art. 1 Abs. 1 VO-RvS statuiert für eine Befreiung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle drei Voraussetzungen. Diese müssen kumulativ erfüllt sein. Als Erstes muss die Bilanzsumme der Stiftung in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren unter Fr. 200'000.– liegen (Bst. a). Zweitens darf die Stiftung nicht zu Spenden oder sonstigen Zuwendungen aufrufen (Bst. b). Drittens kann die Aufsichtsbehörde eine Stiftung nur dann von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreien, wenn die

      Revision nicht für eine zuverlässige Beurteilung von deren Vermögensund Ertragslage notwendig ist (Bst. c).

    3. Im Mittelpunkt der vorliegend zu entscheidenden Sache steht die Interpretation der ersten Voraussetzung (Bilanzsumme unter Fr. 200'000.–). Nach Ansicht der Vorinstanz bedingt die Prüfung dieser Voraussetzung, dass die gesuchstellende Stiftung bereits während zwei ordentlichen Geschäftsjahren eine Geschäftstätigkeit entfaltete. Für eine Befreiung von der Revisionsstellenpflicht muss aus Sicht der Vorinstanz überdies bereits ein Bericht einer Revisionsstelle vorliegen. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Ansicht, dass die Revisionsstellenverordnung einen solchen Bericht gerade nicht voraussetzt. An einer zweijährigen Wartezeit bestehe überdies kein öffentliches Interesse.

    4. Bei der hier zu entscheidenden Rechtsfrage geht es damit in erster Linie um die Auslegung einer Voraussetzung, die entweder erfüllt ist oder nicht. In dieser Hinsicht ist die erste Voraussetzung mit der zweiten verwandt (keine Spendenaufrufe), die ebenfalls entweder gegeben ist oder nicht. Bei der dritten Voraussetzung verwendet der Verordnungsgeber demgegenüber unbestimmtere Begriffe («zuverlässige Beurteilung», «notwendig»). Letztere Voraussetzung ist daher nach pflichtgemässem Ermessen zu prüfen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2020.00329 vom 1. September 2020 E. 5.2). Ist eine Beurteilung der Vermögensund Ertragslage ohne Revision nicht zuverlässig möglich, werden die Aufsichtsbehörden Befreiungsgesuche abzulehnen haben (vgl. CAVEGN, a.a.O.,

      S. 65 f.; siehe auch THOMAS GÄCHTER/KASPAR GERBER, Zweijahresturnus für die Stiftungsaufsicht bei klassischen Stiftungen – Rechtsgutachten zu Handen der BVGund Stiftungsaufsicht beider Basel [Gutachten GÄCHTER/GEBER], 2019, <https://www.bsabb.ch/> > News, abgerufen im Juni 2021, Rz. 4 m.H.; BBl 2004 3969, 3978 und 4053 ff.).

    5. im Rahmen dieses Beschwerdeverfahren ist allein die Frage zu entscheiden, wie es sich hinsichtlich der Revisionsstellenpflicht für neu gegründete Stiftungen verhält, bei denen die Bilanzsumme schon am Tag ihrer Errichtung bzw. bei der Stellung des Befreiungsgesuchs ohne Zweifel unter Fr. 200'000.– liegt. Da diese Voraussetzung entweder klar erfüllt ist oder nicht, fragt sich, ob die Vorinstanz in solchen Fällen mit der Prüfung der dritten Voraussetzung zu beginnen hat. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst eine Auslegung der ersten Voraussetzung im Hinblick auf die erwähnten neu gegründeten Stiftungen notwendig. Wie es sich in anderen Fällen verhielte, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

    6. Ob ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht vor Ablauf von zwei Geschäftsjahren gestellt werden kann, wurde von den Gerichten bislang noch nicht entschieden. Auch in der öffentlich einsehbaren Dokumentation der Vorinstanz sowie der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden finden sich dazu keine Hinweise. Der seinerzeitige Leiter der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht vertrat im Rahmen der Stiftungsrechtsrevision die Ansicht, dass das Gesuch um Befreiung von der Revisionsstelle bereits bei der Errichtung der Stiftung gestellt werden könne, sofern glaubhaft begründet werde, dass die Stiftung schon in den Anfangsjahren die Befreiungsvoraussetzungen erfülle (vgl. BRUNO FERRARI-VISCA Praktische Umsetzung der Neuerungen im Stiftungsrecht auf Bundesebene – Auszüge aus einem Vortrag vom 16. Juni 2005 anlässlich der Jahreskonferenz der Kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden in Gottlieben/TG, S. 7,

      <https://www.bj.admin.ch/> > Wirtschaft > Laufende Rechtsetzungsprojekte > Abgeschlossene Rechtsetzungsprojekte > Revision des Stiftungsrechts, abgerufen im Juni 2021). DIEGO CAVEGN folgt in seiner Dissertation zur Revision von Stiftungen dieser Auslegung, da es «nicht im Sinne des Gesetzgebers sein [könne], Stiftungen mit unnötigen Kosten für nicht nötige Revisionsstellen zu belasten» (a.a.O., S. 64). Diese Ansicht entspricht im Ergebnis der Argumentationslinie der Beschwerdeführerin und wird von zahlreichen weiteren Autoren geteilt (vgl. HAROLD GRÜNINGER, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I [Art. 1–456 ZGB], 6. Aufl. 2016, Art. 83b Rz. 9; HANS MICHAEL RIEMER, Vereinsund Stiftungsrecht [Art. 60–89bis ZGB], Stämpflis Handkommentar [SHK ZGB], 2012, Art. 83b Rz. 8; RETO SANWALD, Die Revisionsstelle der Stiftung im Umbruch, in: Festschrift zum

      65. Geburtstag von Heinrich Koller, 2006, Fn. 8). Ein Teil der Lehre nimmt dabei auf die Praxis gewisser Aufsichtsbehörden Bezug, die Stiftungen bereits in einem Zeitpunkt von der Ernennung einer Revisionsstelle befreien, in dem die Behörden die Aufsicht noch gar nicht definitiv übernommen haben (FLORIAN ZIHLER, in: Siffert/Turin, Handelsregisterverordnung, Stämpflis Handkommentar [SHK HRegV], 2013, Art. 95 Rz. 42).

    7. Andere Autoren vertreten demgegenüber wie die Vorinstanz die Ansicht, dass eine Befreiung erst nach Abschluss von zwei Geschäftsjahren möglich sei (vgl. LUKAS HANDSCHIN/DANIEL WIDMER, Spezifische Probleme der Revision von Stiftungen, in: Egger/von Schnurbein/Zöbeli/Koss, Rechnungslegung und Revision von Förderstiftungen – Handlungsempfehlungen für die Praxis, 2011, S. 149 ff., 156; GIACOMO RONCORONI, Das neue Stiftungsrecht – Überblick und Ausblick, Schweizer Treuhänder (ST) 10/06,

S. 733, 736; SPRECHER, a.a.O., Rz. 108; THOMAS SPRECHER/PHILIPP EG-

GER/GEORG VON SCHNURBEIN, Swiss Foundation Code 2015, Grundsätze und Empfehlungen zur Gründung und Führung von Förderstiftungen, S. 72).

6.

    1. Gesetz und Verordnung sind in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihnen zugrundeliegenden Wertungen. Die Auslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst die an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Bestimmung (vgl. BGE 146 II 201 E. 4.1 sowie 145 II 270 E. 4.1, je auch zum Folgenden). Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil ein gewandeltes Rechtsverständnis eine von den Materialien abweichende Lösung kaum nahelegt. Das Bundesgericht folgt bei der Abwägung der verschiedenen Auslegungselemente einem pragmatischen Methodenpluralismus. Es behandelt dabei keines der Auslegungselemente per se prioritär.

    2. Ausgangspunkt jeder Auslegung sind der Wortlaut und der ihm zu entnehmende Wortsinn. Letzterer wiederum gehört zu den wichtigsten Indizien für den Sinn einer Norm als solcher (vgl. ERNST A. KRAMER, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl. 2019, S. 67). Dabei ist die systematische Stellung der Norm unmittelbar relevant. Die Rechtsordnung sollte in diesem Zusammenhang als Einheit gedacht und ihre einzelnen Bestandteile unter Beachtung ihres normativen Kontextes interpretiert werden (vgl. BGE 146 V 129

      E. 5.5.1; KRAMER, a.a.O., S. 99 f.). Da im vorliegenden Fall der Wortlaut mit dem systematischen Kontext der auszulegenden Bestimmungen eng zusammenhängt, werden die beiden Auslegungsschritte gemeinsam vorgenommen.

    3. Die hier relevanten Art. 83b bis Art. 83c ZGB über die Revisionsstelle sind Teil der Vorschriften über die Organisation der Stiftung, mithin die Organbestellung (Art. 83 ZGB), die Buchführungspflicht (Art. 83a ZGB i.V.m. Art. 957 ff. OR) und Organisationsmängel (Art. 83d ZGB). Art. 83b ZGB ist in drei Absätze unterteilt, nämlich die Revisionsstellenpflicht (Abs. 1), die Möglichkeit der Befreiung (Abs. 2) und die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Revisionsstelle bei Aktiengesellschaften, soweit keine besonderen Vorschriften bestehen (Abs. 3). Art. 83b Abs. 4 ZGB statuiert, unter wel-

      chen Umständen die Aufsichtsbehörde eine ordentliche Revision verlangen kann. Art. 83c ZGB regelt das Verhältnis der Revisionsstelle zur Aufsichtsbehörde und bestimmt, dass erstere letzterer eine Kopie des Revisionsberichts sowie aller wichtigen Mitteilungen an die Stiftung übermittelt.

    4. Art. 1 Abs. 1 VO-RvS statuiert wie schon erwähnt die Voraussetzungen der Befreiung von der Revisionsstellenpflicht. Abs. 2 sieht vor, dass die Aufsichtsbehörde die Befreiung widerruft, wenn mindestens eine der Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht mehr erfüllt sind (vgl. HANS MICHAEL RIEMER, in: Berner Kommentar, Die Stiftungen, 2. Aufl. 2020, Rz. 7). In Abs. 3 wird festgehalten, dass die Befreiung die Stiftung nicht von ihrer Pflicht entbindet, der Aufsichtsbehörde Rechenschaft abzulegen. Der Verordnungsgeber bringt damit zum Ausdruck, dass die Rechenschaftspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde eine Grundbzw. Daueraufgabe darstellt, die unabhängig von der formellen Revision wahrzunehmen ist (Gutachten GÄCHTER/GERBER, a.a.O., Rz. 64 m.w.H., Rz. 155, 170). In seinem vierten Absatz schreibt Art. 1 VO-RvS schliesslich vor, dass die Aufsichtsbehörde bei jeglichen Änderungen hinsichtlich der Revisionsstellenpflicht erforderlichenfalls die entsprechende Anpassung der Stiftungsurkunde veranlasst (vgl. dazu CAVEGN, a.a.O., S. 71). Der erste Absatz von Art. 1 VO-RvS ist im Zusammenhang mit den genannten Absätzen zu lesen. Gemäss Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS kann die Aufsichtsbehörde eine Stiftung auf Gesuch des obersten Stiftungsorgans von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreien, wenn «die Bilanzsumme der Stiftung in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren kleiner als 200'000 Franken ist» («lorsque le total du bilan de la fondation au cours de deux exercices successifs est inférieur à 200 000 francs»; «il bilancio complessivo della fondazione è inferiore a 200 000 franchi per due esercizi consecutivi»).

    5. Die Bilanz stellt die Vermögensund Finanzierungslage des Unternehmens am Bilanzstichtag (Art. 959 Abs. 1 OR) resp. das Total der Aktiven bzw. Passiven der Stiftung dar. Sie ist Teil der Jahresrechnung, die ausserdem die Erfolgsoder Betriebsrechnung und den Anhang enthält (Art. 958 Abs. 2 OR; THOMAS SPRECHER/ULYSSES VON SALIS-LÜTOLF, Die schweize-

      rische Stiftung – Ein Leitfaden, 1999, F142). Für die Ermittlung der Bilanzsumme der Stiftung gelten die Vorschriften des Obligationenrechts über die kaufmännische Buchführung und Rechnungslegung sinngemäss (Art. 83a ZGB i.V.m. Art. 957 ff. OR). Im Rechnungswesen stellt der letzte Tag eines Geschäftsjahres den sog. Bilanzstichtag dar. Da nur per Bilanzstichtag definitive Geschäftsergebnisse vorliegen, ist dieser der für die Erfüllung der Voraussetzung von Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS massgebende Zeitpunkt

      (vgl. HANDSCHIN/WIDMER, a.a.O., S. 155; GRÜNINGER, BSK-ZGB Art. 83b

      Rz. 11; sowie [in anderem Zusammenhang] CAVEGN, a.a.O., S. 64).

    6. Das Geschäftsjahr setzt grundsätzlich eine Dauer von zwölf Monaten zwischen den Bilanzstichtagen fest. Dabei kann der Bilanzstichtag von der Stiftung frei gewählt werden (CAVEGN, a.a.O., S. 51 f.; DANIEL HUSER/RETO SANWALD, Die Revision, Schweizerisches Privatrecht VIII/10, 2014, § 5 Rz. 38). In der aktuellen Fassung regelt die Revisionsstellenverordnung inhaltlich ausschliesslich die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht (Art. 1). In der ursprünglichen Version wurde das Kriterium der zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahre jedoch auch im damaligen Art. 2 Abs. 1 mit dem Randtitel «Bezeichnung einer besonders befähigten Revisorin oder eines besonders befähigten Revisors» aufgestellt (AS 2005 4555 f.). Nach letzterer Bestimmung musste die Stiftung als Revisionsstelle u.a. dann einen besonders befähigten Revisor bezeichnen, «wenn sie öffentlich zu Spenden oder sonstigen Zuwendungen [aufrief] und in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren Spenden oder sonstige Zuwendungen von jeweils mehr als 100 000 Franken [erhielt]» (Bst. a) oder «in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren zwei der nachstehenden Grössen [überschritt]: Bilanzsumme von 10 Millionen Franken; Umsatzerlös von 20 Millionen Franken; 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt» (Bst. b; vgl. zur heutigen Rechtslage Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 und 727b Abs. 2 OR i.V.m. Art. 83b Abs. 3 ZGB; im Einzelnen die damalige Verordnung vom 15. Juni 1992 über die fachlichen Anforderungen an besonders befähigte Revisoren, AS 1992 1210; heute Revisionsaufsichtsgesetz vom 16. Dezember

      2005 [RAG, SR 221.302]).

    7. Die Zeitspanne der zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahre wird auch in anderen Rechtsnormen verwendet, die sich auf juristische Personen beziehen, so in Art. 69b ZGB zur Revisionsstellenpflicht des Vereins, in Art. 963a Abs. 1 Ziff. 1 OR zur Befreiung von der Konzernrechnungspflicht sowie in Art. 2 Bst. e des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 2003 (FusG, SR 221.301) betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Kriterien für den Verzicht auf die Revisionsstelle wurden im Recht der GmbH in Übereinstimmung mit der einschlägigen EG-Richtlinie definiert (vgl. zur zweijährigen Geschäftstätigkeit sowie zum Schwellenwert in der Bilanz die Botschaft zum Entwurf über die Revision des GmbHRechts, BBl 2002 3148, 3218 und 3259 sowie Art. 11, 12 Abs. 1 und 51 Abs. 2 der vierten Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Bst. g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesell-

      schaften bestimmter Rechtsformen, RL 78/660/EWG). Im Obligationenrecht wird auf die Kennziffern in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren abgestellt, um Gesellschaften, welche die Schwellenwerte wegen ausserordentlicher Geschäftsfälle einmalig überschreiten, nicht zu einer ordentlichen Revision ihrer Jahresrechnung zu zwingen (Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004, BBl 2004 3969, 4012 f.).

    8. Die hier zur Diskussion stehende Zweijahresspanne ist im Revisionsrecht nach dem Gesagten verbreitet. Im Gegensatz zu einem kürzeren Zeitraum erlaubt sie eine beständigere Einschätzung der finanziellen Situation einer juristischen Person. Zudem stellt sie einen Einklang mit dem EU-Recht her.

    9. Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS spricht für sich allein betrachtet für eine retrospektive Beurteilung, in der die jeweilige tatsächliche Bilanzsumme an den Bilanzstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren betrachtet wird (vgl. HANDSCHIN/WIDMER, a.a.O. S. 156; RONCORONI, a.a.O., S. 736; SPRECHER, a.a.O., Rz. 108; SPRECHER/EG-

GER/VON SCHNURBEIN, a.a.O., S. 72). Betreffend den möglichen Zeitpunkt der Befreiung von der Revisionsstellenpflicht führt die systematische Einordnung von Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS und Art. 83b Abs. 2 ZGB demgegenüber zu keinem eindeutigen Ergebnis.

7.

    1. Die historische Auslegung setzt sich mit den Überlegungen auseinander, die der Gesetzgeber beim Erlass der fraglichen Gesetzesbestimmung angestellt hat. Das historische Auslegungselement ist insoweit von besonderer Bedeutung, als es die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzeigt, die zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Gerichts ist (vgl. BGE 145 III 324 E. 6.6.3 m.w.H).

    2. Bis zur Revision des Stiftungsrechts im Jahre 2006 waren weder die Rechte und Pflichten der Aufsichtsbehörden noch der Stiftungsorgane normiert. Nach der Praxis des EDI basierte die Stiftungsaufsicht auf den von den Stiftungsorganen jährlich einzureichenden Berichten und Rechnungen (THOMAS GÄCHTER/KASPAR GERBER, Turnus für die Stiftungsaufsicht, Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge 2020, S. 26 ff., 28 m.H.). Die parlamentarische Initiative «00.461 – Revision

      des Stiftungsrechts» forderte eine Liberalisierung des Stiftungsrechts mit der Absicht, die Stiftungsfreudigkeit zu erhöhen. Mit dem erarbeiteten Entwurf strebte die zuständige ständerätliche Kommission eine möglichst weitgehende Privatisierung der Aufsicht an. In Anlehnung an die Regelung im Aktienrecht schlug die Kommission die Einführung einer obligatorischen Revisionsstelle für klassische Stiftungen vor. Deren Aufgabe sollte darin bestehen, anstelle der Aufsichtsbehörde die Rechnungsführung und die Vermögenlage der Stiftung zu prüfen. Dabei sollte die Revisionsstelle insbesondere beurteilen, ob die Jahresrechnung gemäss den gesetzlichen Vorschriften und den Bestimmungen der Stiftungsurkunde erstellt wurde (vgl. Art. 83b Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 728a ff. OR; BBl 2003 8153, 8167).

      Damit wurde eine verbesserte Kontrolle und eine erhöhte Transparenz der Stiftungen bezweckt, die insbesondere für Zuwendungen Dritter an die Stiftung Vertrauen schaffe. Zudem resultiere eine erhöhte Glaubwürdigkeit der Aufsicht (Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates [WAK-S] vom 23. Oktober 2003, BBl 2003 8153, 8154 und 8159; siehe auch SPRECHER, a.a.O., Rz. 95). Die staatliche Aufsicht sollte auf die Prüfung des Revisionsberichts auf seine inhaltliche Vollständigkeit, den Schutz des Stiftungszwecks (Art. 84 Abs. 2 ZGB) und ein Klagerecht gegen die Stiftung auf Abberufung eines Revisors unter bestimmten Umständen beschränkt werden (vgl. Bericht WAK-S vom 3. Mai 2011, Rz. 1 und 8, abrufbar unter <https://www.parlament.ch/de/ ratsbetrieb/suche-curiavista/geschaeft?AffairId=20000461>, abgerufen im Juni 2021; BBl 2003 8153, 8154; Stellungnahme des Bundesrates vom 5. Dezember 2003,

      BBl 2003 8191 ff., 8193).

    3. Das Parlament sprach sich im Ergebnis für ein Revisionsstellenobligatorium sowie die Möglichkeit der Befreiung auf Antrag hin aus. Eine allfällige zweijährige Wartezeit zur Stellung und Beurteilung des Antrags war in den Ratsdebatten kein Thema. Die Regelung der Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Befreiung wurde vielmehr dem Bundesrat überlassen (AB 2004 N 1173 f., 1569; AB 2003 S 477, 1217). Es bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass der Nationalrat die Möglichkeit der Befreiung von der Revisionsstellenpflicht zunächst ablehnte (AB 2004 N 1173). In diesem Zusammenhang wurde insbesondere vorgebracht, dass die Stiftung ein verselbstständigtes Vermögen verwalte, das aus der Willkür des Stifters entlassen sei und geschützt werden müsse. Im Übrigen bedeute eine obligatorische Revisionsstelle auch keinen grossen bürokratischen Aufwand, und eine «handgestrickte, einfache Revisionstätigkeit» genüge. Dies nütze vor allem den Stiftungen und erhöhe ihre Glaubwürdigkeit nicht nur gegen-

      über der Aufsicht, sondern auch gegenüber den Spenderinnen und Spendern (vgl. Voten LEUTENEGGER OBERHOLZER, BÜHRER, und MAITRE,

      AB 2004 N 1173 f.). In der Differenzbereinigungsdebatte überwog schliesslich das Argument für die Entlastung von Kleinststiftungen (vgl. Voten BÜHRER und BLOCHER, AB 2004 N 1569). Vor diesem Hintergrund stimmte der Nationalrat der Ausnahmeregelung zu. Im Zuge der ständerätlichen Beratung dominierte das Argument, dass für Stiftungen mit einfachen Strukturen oder mit bescheidenem Vermögen die Möglichkeit bestehen solle, von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit zu werden. Die Kommission war der Auffassung, dass diese Ausnahmemöglichkeit grosszügig gehandhabt werden solle (vgl. Votum WICKI, AB 2003 S 1217).

    4. Im Februar und März 2005 führte der Bundesrat bei den Kantonen eine Vernehmlassung zum Entwurf der Revisionsstellenverordnung durch. Art. 1 Abs. 1 lautet damals wie folgt: «Auf Gesuch des obersten Stiftungsorgans kann die Aufsichtsbehörde eine Stiftung von der Pflicht befreien, für das laufende Geschäftsjahr eine Revisionsstelle zu bezeichnen, wenn

      a. das Reinvermögen der Stiftung in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren kleiner als 20 000 Franken ist; und b. die Stiftung nicht öffentlich zu Spenden aufruft» (vgl. SPRECHER, a.a.O., Rz. 99). Die Unterlagen zu diesem Verfahren sind nach Angaben des Bundesamts für Justiz nicht mehr vorhanden. Es fällt indessen auf, dass statt des Reinvermögens

      (d.h. in der Regel des Eigenkapitals) schliesslich auf die Bilanzsumme abgestellt und der Betrag dafür um das zehnfache erhöht wurde, so dass für deutlich mehr Stiftungen die Möglichkeit einer Befreiung von der Revisionsstellenpflicht besteht als ursprünglich angedacht.

    5. Der Gesetzgeber führte das Obligatorium der Revisionsstelle zusammengefasst ein, um eine verbesserte Kontrolle und mehr Transparenz zu erreichen. Gleichzeitig wollte er kleinere Stiftungen durch die Möglichkeit der Befreiung von der genannten Pflicht administrativ und finanziell entlasten. Auf welchen Zeitpunkt hin dies möglich sein sollte, lässt sich aus den Materialien nicht erschliessen.

8.

    1. Nach der zeitgemässen Auslegung ist das Normverständnis zur Zeit der Normanwendung massgebend. Innerhalb der Grenzen der Gewaltenteilung ermöglicht die geltungszeitliche Auslegung die Wandlung des Normsinns bei gleichbleibendem Normtext (PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2016, § 4 Rz. 28).

    2. Im Rahmen der zeitgemässen Auslegung sind vorliegend die parlamentarischen Debatten zur Revision des Aktienund Rechnungslegungsrechts von Interesse. Da die Stiftungsrechtsrevision noch nicht sehr lange zurückliegt, vermögen die Debatten einen Einblick zu geben, wie Ausnahmen von der Revisionsstellenpflicht auch heute noch verstanden werden müssen. Dasselbe gilt für die auf die Revision des Stiftungsrechts folgende Totalrevision der Handelsregisterverordnung (dazu nachfolgend E. 9). Im Rahmen eines zeitgemässen Verständnisses der Normen für die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht sind zunächst die bisherigen Rechtsentwicklungen zu erörtern, die den Kontext der hier auszulegenden Normen erhellen.

    3. Noch vor dem Inkrafttreten der Stiftungsrechtsrevision am 1. Januar 2006 debattierte das Parlament im Rahmen einer geplanten Änderung der Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht über erneute Anpassungen des Stiftungsrechts (vgl. SPRECHER, a.a.O., Rz. 399; DOMINIQUE JAKOB/LAURA SCHWEIZER/GORAN STUDEN, Verein – Stiftung – Trust, Entwicklungen 2008,

      S. 57; BBl 2004 3969 ff.). In der Folge waren ab dem 1. Januar 2008 sämtliche Stiftungen – also auch die revisionsstellenbefreiten – verpflichtet, ihre Geschäftsbücher nach den Vorschriften des Obligationenrechts über die kaufmännische Buchführung zu führen (Art. 83a ZGB i.V.m. Art. 957 ff. OR). Dies wurde per 1. Januar 2013 mit der erneuten Revision des Aktienund Rechnungslegungsrechts wieder geändert. In der damaligen Debatte sprach sich die Mehrheit des Ständerats für die Annahme eines Minderheitenantrags zu Art. 957 Abs. 2 Ziff. 3 OR aus. Dieser sah für von der Revisionsstellenpflicht befreite Stiftungen vor, dass diese lediglich über die Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage Buch führen müssen («Milchbüchlein-Rechnung»; siehe Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007, BBl 2007 1589, 1738).

    4. Die Regelung von Art. 957 Abs. 2 Ziff. 3 OR war umstritten. So war eine Mehrheit der zuständigen Kommission der Ansicht, dass eine Milchbüchlein-Rechnung selbst für kleine klassische Stiftungen zu wenig weit gehe. Gerade bei Stiftungen, die von der Revisionspflicht befreit seien, sei eine transparente Jahresrechnung und insbesondere eine Bilanz sehr wichtig. Eine solche Rechnungslegung sei auch die Conditio sine qua non für die Beurteilung der Frage, ob eine Stiftung von der Revisionspflicht überhaupt befreit werden bzw. ob ihre Befreiung aufrechterhalten werden könne (Voten JANIAK und WIDMER-SCHLUPF, AB 2009 S 1191 f.; vgl. auch CAVEGN, a.a.O., S. 44 und 68).

    5. Betreffend die Folgerevision 2013 bestand nach dem Gesagten mehrheitlich die Auffassung, dass eine Milchbüchlein-Rechnung für die Aufrechterhaltung der Befreiung von der Revisionsstellenpflicht genüge. Eine kaufmännische Buchführung war damit zur Prüfung der Vermögensund Ertragslage nicht zwingend notwendig. Dies deutet aus geltungszeitlicher Sicht darauf hin, dass eine Befreiung von der Revisionsstellenpflicht bereits bei der Errichtung der Stiftung möglich sein muss.

9.

    1. Gemäss Art. 81 Abs. 1 ZGB wird die Stiftung durch eine öffentliche Urkunde oder eine Verfügung von Todes wegen errichtet. Auf der Basis einer gesetzeskonformen rechtsgeschäftlichen Grundlage (Erfüllung der materiellen Voraussetzungen gemäss Art. 80 ZGB sowie der formellen Errichtungsvoraussetzungen gemäss Art. 81 Abs. 1 ZGB) hat der Eintrag der Stiftung im Handelsregister zu erfolgen (Art. 81 Abs. 2 ZGB). Für die gewöhnlichen und die Personalvorsorge-Stiftungen wirkt der Handelsregistereintrag für den Erwerb der Rechtsfähigkeit konstitutiv. Werden solche Stiftungen von Todes wegen errichtet, tritt die Rechtsfähigkeit schon mit dem Tod des Stifters ein (vgl. Art. 493 ZGB; zum Ganzen RIEMER, SHK ZGB, a.a.O., Art. 81 Rz. 16 f.).

    2. Die Handelsregisterverordnung vom 7. Juni 1973 (aHRegV, SR 221.411) bestimmte in der ab dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung (AS 2005 4557), dass das oberste Stiftungsorgan mit der Anmeldung zur Eintragung der Stiftung u.a. das Protokoll des Beschlusses über die Bezeichnung der Revisionsstelle einreichen müsse (Art. 101). Art. 102 aHRegV hielt fest, welche Fakten in das Handelsregister einzutragen seien. Dazu gehörte gemäss Bst. h die Angaben zur Revisionsstelle. Als Alternative konnte auch eine Verfügung der Aufsichtsbehörde angegeben werden, mit der diese die Stiftung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreite.

    3. Im Zuge der Totalrevision der Handelsregisterverordnung schickte der Verordnungsgeber am 27. März 2007 einen Entwurf in Vernehmlassung, der in Art. 117 Abs. 1 Bst. c vorsah, dass dem Handelsregisteramt mit der Anmeldung der Stiftungserrichtung u.a. das Protokoll des obersten Stiftungsorgans eingereicht werden musste. Als Alternative konnte die Verfügung bezeichnet werden, mit der die Stiftung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit wurde. In ihren Stellungnahmen merkten einige Vernehmlassungsteilnehmende an, der zweite Halbsatz impliziere,

      dass die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht ab Errichtung der Stiftung zulässig sein solle. Dies unterlaufe die Absicht des Gesetzgebers, Stiftungen nur unter bestimmten Voraussetzungen von dieser Pflicht zu befreien (Stellungnahmen der Konferenz der kantonalen BVGund Stiftungsaufsichtsbehörden, des Kantons Basel-Stadt und des Kantons Zürich, vgl. https://www.bj.admin.ch/ > Wirtschaft > Laufende Rechtsetzungsprojekte > Abgeschlossene Rechtsetzungsprojekte > Totalrevision der Handelsregisterverordnung > Stellungnahmen des Vernehmlassungsverfahrens, abgerufen im Juni 2021). Der Bundesrat erliess die Bestimmung dennoch unverändert als Art. 94 Abs. 1 Bst. c der totalrevidierten Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007 (HRegV, SR 221.411; AS 2007

      4851).

    4. Art. 95 Abs. 1 HRegV hält in der hier relevanten Fassung vom 1. Januar 2008 fest, bei Stiftungen müsse ins Register eingetragen werden:

      • falls die Stiftung keine ordentliche oder eingeschränkte Revision durchführt: ein Hinweis darauf sowie das Datum der Befreiungsverfügung der Aufsichtsbehörde (Bst. l)

      • falls die Stiftung eine ordentliche oder eingeschränkte Revision durchführt: die Revisionsstelle (Bst. m).

      Bst. l wurde auf den 1. Januar 2021 hin geändert. Seither muss das Datum einer «allfälligen» Befreiungsverfügung eingereicht werden (AS 2020 971). Dabei handelt es sich allerdings um eine rein redaktionelle Anpassung. Sie wurde vorgenommen, weil seit dem 1. Januar 2016 auch die kirchlichen Stiftungen und die Familienstiftungen verpflichtet sind, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen. Diese beiden Kategorien von Stiftungen sind jedoch nicht verpflichtet, eine Revisionsstelle zu bezeichnen. Folglich müssen sie auch keinen Beleg für die Wahl dieses Organs einreichen (vgl. den erläuternden Bericht des Bundesamts für Justiz zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens betreffend die Änderung der Handelsregisterverordnung und der Verordnung über die Gebühren für das Handelsregister vom 20. Februar 2019, <https://www.bj.admin.ch/> > Wirtschaft > Laufende Rechtsetzungsprojekte > Modernisierung des Handelsregisters,

      S. 9, abgerufen im Juni 2021).

    5. Das soeben Gesagte zeigt, dass bei klassischen Stiftungen zwingend entweder eine Revisionsstelle oder das Datum der Befreiungsverfügung der Aufsichtsbehörde in das Handelsregister eingetragen werden muss.

Mit anderen Worten muss die Stiftung bei der Eintragung bereits über eine Revisionsstelle verfügen (vgl. Art. 94 Abs. 1 Bst. c und d HRegV). Als Alternative muss eine Verfügung der Aufsichtsbehörde vorliegen, die die Stiftung von ihrer Revisionspflicht befreit (MICHAEL GWELESSIANI, Praxiskommentar zur HRegV, 3. Aufl. 2016, Rz. 374 f.; siehe auch ZIHLER, SHK HRegV, a.a.O., Art. 94 Rz. 11). Dies bedeutet aus geltungszeitlicher Sicht, dass eine Befreiung von der Revisionsstellenpflicht schon vor der Anmeldung beim Handelsregister und resp. bereits mit der Errichtung der Stiftung möglich sein muss.

10.

    1. Die teleologische Auslegung stellt auf die Zweckvorstellung ab, die mit einer Rechtsnorm verbunden ist. Auch bei der teleologischen Auslegung ist der Ausgangspunkt stets der (klare) Wortlaut der auszulegenden Norm. Jedoch kann gemäss der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts davon abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt (vgl. BGE 138 III 558

      E. 4.1 und 131 II 217 E. 2.3, auch zum Folgenden). Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben.

    2. Die Revision der Jahresrechnung dient einerseits dem Schutz der Stiftung selbst, indem sie gewährleistet, dass die Buchführung korrekt erstellt ist und die mit der Buchführung betrauten Personen ihren Pflichten rechtmässig nachkommen. Zum anderen schützt sie die Gläubiger und Investoren, da durch die Revision Missstände im Bereich der Buchführung früh erfasst und dadurch mittelbar auch Schaden von den Gläubigern abgewendet werden kann. Schliesslich dient die Revision (indirekt) auch den Destinatären, dem Stifter und der Spenderin, die ein ideelles Interesse an der Revision haben (siehe zum Ganzen CAVEGN, a.a.O., S. 37 ff. m.w.H.).

    3. Die Ausnahmebestimmungen von Art. 83b Abs. 2 ZGB und Art. 1 Abs. 1 VO-RvS wollen demgegenüber kleine Stiftungen von administrativen Lasten und übermässigen Revisionskosten befreien. Hintergrund der Befreiung ist das bescheidene Vermögen und die damit einhergehende beschränkte Geschäftstätigkeit (vgl. Votum DIENER, AB 2009 S 1191). Dementsprechend drängt sich für Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS aus teleologischer Sicht eine prospektive Betrachtungsweise auf, die eine Befreiung bereits bei der Errichtung der Stiftung ermöglicht, sofern diese ohne irgend-

einen Zweifel an der zuverlässigen Beurteilung ihrer Vermögensund Ertragslage die Bilanzsumme von Fr. 200'000.– während der ersten beiden Jahre verpassen wird. Mehr als die Ausräumung solcher Zweifel könnte eine Revision für die Höhe der Bilanzsumme ohnehin nicht liefern. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ergebnis der geltungszeitlichen Betrachtung (vgl. vorn E. 8 f.). Sie wird ausserdem gestützt durch die Lehrmeinungen zu Art. 727 OR, die die Voraussetzungen für eine ordentliche Revision neu gegründeter Aktiengesellschaften überwiegend gegen ihren Wortlaut auslegen. Die Lehre geht dabei davon aus, dass für Aktiengesellschaften schon von der Gründung an eine ordentliche Revision nötig ist, wenn die Voraussetzungen prospektiv erfüllt werden (vgl. RETO EBERLE/DANIEL LENGNAUER, Zürcher Kommentar Art. 727–731a OR, 2016, Art. 727 Rz. 79; HUSER/SANWALD, a.a.O., § 5 Rz. 40 m.w.H.; RICO A. CAM-

PONOVO/MONIQUE VON GRAFFENRIED-ALBRECHT, Neues Revisionsrecht – offene juristische Fragen, ST 4/08, S. 204, 205 f.). Mit einer Befreiung von der Revisionsstellenpflicht aufgrund einer prospektiven Beurteilung entstehen schliesslich keine aufsichtsrechtlichen Risiken. Denn die Aufsichtsbehörde kann die Befreiung jederzeit widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO-RvS sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2020.00329 vom 1. September 2020 E. 5.2).

11.

Insgesamt ergibt die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 VO-RvS i.V.m. Art. 83b Abs. 2 ZGB, dass ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht in einem Fall wie dem vorliegenden bereits im Zeitpunkt der Errichtung gestellt werden kann. Bei neuen Stiftungen, die wie hier noch keine zwei revidierten Geschäftsjahre aufweisen können, hat die Aufsichtsbehörde als Erstes zu prüfen, ob die Revision für eine zuverlässige Beurteilung der Vermögensund Ertragslage notwendig ist (Art. 1 Abs. 1 Bst. c VO-RvS). Wird dies verneint, kann (prospektiv resp. bei Vorliegen erst eines revidierten Jahresabschlusses teils retrospektiv) die Höhe der Bilanzsumme (Art. 1 Abs. 1 Bst. a VO-RvS) geprüft werden.

12.

    1. Nach dem Gesagten hätte die Vorinstanz das Gesuch der Beschwerdeführerin inhaltlich prüfen müssen. Ihre entsprechende Weigerung erweist sich damit als bundesrechtswidrig. Die vorliegende Angelegenheit ist folglich im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    2. Solange das Gesuch nicht geprüft wurde, gilt die Revisionsstellenpflicht nach Art. 83b Abs. 1 ZGB. Die Beschwerdeführerin verfügt seit dem

7. Januar 2020 über keine Revisionsstelle mehr (vgl. […], abgerufen im Juni 2021). Aufgrund des Schreibens des Handelsregisteramts Solothurn vom 21. Januar 2020 ist die Beschwerdeführerin verpflichtet, den rechtmässigen Zustand betreffend die gesetzlich zwingende Organisation wiederherzustellen (vgl. Art. 83b Abs. 1 ZGB i.V.m. aArt. 154 Abs. 1 HRegV [AS 2011 4659] resp. Art. 939 OR [AS 2020 971]; vgl. Beilage 20 zur Vernehmlassung). Den damit verbundenen Aufwand hat sie in Kauf zu nehmen. Sie wendet dabei ein, in der Vergangenheit nur Absagen von Revisionsstellen erhalten zu haben, da sie im Verhältnis zum Abstimmungsaufwand für die erste Revision zu wenig Umsatz erziele. Dieser Einwand überzeugt nicht. Eine kurze Recherche zeigt, dass eine Revisionsstelle mit vertretbarem Aufwand gefunden werden kann (vgl. etwa das Register der Revisionsaufsichtsbehörde, <https://www.rab-asr.ch/#/publicregister> oder

<https://www.blueaudit.ch/revisionsstelle-fuer-stiftungen>, beide abgerufen im Juni 2021). Durch eine Revisionsstelle müssen sodann keine unverhältnismässigen Auslagen entstehen (vgl. Urteil des BVGer B-3779/2016 vom 16. März 2018 E. 3.2; vgl. sodann auch SPRECHER/EGGER/VON SCHNURBEIN, a.a.O., S. 74). Der Antrag auf Befreiung von der Revisionspflicht für die Dauer des Prüfverfahrens vor der Vorinstanz ist demnach abzuweisen. Sollte das Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht von der Vorinstanz gutgeheissen werden, wird dies im Handelsregister eingetragen (vorn E. 9.4 f.) und die Revisionsstelle darf wieder abberufen werden.

13.

Damit bleibt über die Nebenfolgen zu befinden.

    1. Die Spruchgebühr bestimmt sich nach Umfang und Schwierigkeit der Streitsache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien (Art. 63 Abs. 4bis VwVG; Art. 2 Abs. 1 des Reglements über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21. Februar 2008 [VGKE, SR 173.320.2]). Die Kosten des vorliegenden Verfahrens werden in Anwendung von Art. 1 ff. VGKE auf Fr. 500.– festgesetzt.

    2. Das Bundesverwaltungsgericht auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten in der Regel der unterliegenden Partei (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Keine Verfahrenskosten werden den Vorinstanzen auferlegt (Art. 63 Abs. 2 VwVG). Obsiegt die Beschwerdeführerin teilweise, ist bei der Verlegung der Kosten grundsätzlich auf das Verhältnis von Obsie-

      gen zu Unterliegen abzustellen (MARCEL MAILLARD, in: Waldmann/Weissenberger, a.a.O., Art. 63 Rz. 14; MICHAEL BEUSCH, in Auer/Müller/Schindler, a.a.O., Art. 63 Rz. 11,13).

      Die Beschwerdeführerin obsiegt mit ihrem Hauptbegehren. Die Beschwerde wird vorliegend nur insoweit abgewiesen, als die Beschwerdeführerin eine Aussetzung der Revisionspflicht während der Prüfung ihres Befreiungsgesuchs verlangt. Letzterer Antrag erscheint im Vergleich zum Hauptantrag als untergeordnet. Angesichts dieses geringfügigen Unterliegens erweist es sich als angezeigt, der Beschwerdeführerin Verfahrenskosten in der Höhe eines Fünftels und damit von Fr. 100.– aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1 ff. VGKE). Dieser Betrag wird dem geleisteten Kostenvorschuss entnommen. Der Restbetrag (Fr. 400.–) ist der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückzuerstatten. Der Vorinstanz sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 2 VwVG).

    3. Der Beschwerdeführerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen, da sie rechtlich nicht vertreten ist und keine durch die Beschwerdeführung entstandenen erheblichen Kosten geltend gemacht werden oder ersichtlich sind (vgl. Art. 64 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 VGKE). Der Vorinstanz ist als Behörde praxisgemäss ebenfalls keine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 7 Abs. 3 VGKE).

    4. Hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung bleibt anzumerken, dass Rückweisungen grundsätzlich nur unter bestimmten Voraussetzungen anfechtbar sind (vgl. BGE 144 V 280 E. 1.2; 140 V 282 E. 4.2; 140 V 321

E. 3.2).

(Dispositiv: nachfolgende Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die angefochtene Verfügung aufgehoben. Die Sache wird zur Wiederaufnahme des Verfahrens und Prüfung des Gesuchs vom 31. Januar 2020 im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten werden auf Fr. 500.– festgesetzt. Im Umfang von Fr. 100.– werden sie der Beschwerdeführerin auferlegt. Dieser Betrag wird dem einbezahlten Kostenvorschuss entnommen. Der Restbetrag von Fr. 400.– wird der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.

3.

Es werden keine Parteientschädigungen ausgerichtet.

4.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde; Beilage: Formular Zahladresse)

  • die Vorinstanz (Gerichtsurkunde)

  • das Eidgenössische Departement des Innern EDI (Gerichtsurkunde)

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Martin Kayser Simona Risi

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Zivilsachen geführt werden (Art. 72 ff., 90 ff., 93 und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand: 30. Juni 2021

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