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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-3631/2019

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts D-3631/2019

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-3631/2019
Datum:20.02.2020
Leitsatz/Stichwort:Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid)
Schlagwörter : ühre; Beschwerdeführende; Beschwerdeführenden; Wegweisung; Verfügung; Behandlung; Äthiopien; Recht; Kinder; Vorinstanz; Bundesverwaltungsgericht; Vollzug; Bericht; Kindes; Heimat; Über; Wegweisungsvollzug; Wiedererwägung; Autismus; Wegweisungsvollzugs; Familie; Hospital; Schweiz; Wiedererwägungsgesuch
Rechtsnorm: Art. 25 BV ;Art. 27 KRK ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 66 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-3631/2019

U r t e i l  v o m  2 0.  F e b r u a r  2 0 2 0

Besetzung Einzelrichter Simon Thurnheer,

mit Zustimmung von Richterin Gabriela Freihofer; Gerichtsschreiberin Bettina Hofmann.

Parteien A. , geboren am ( ), dessen Ehefrau

  1. , geboren am ( ), und deren Kinder

  2. , geboren am ( ), D. , geboren am ( ), E. , geboren am ( ), Äthiopien,

alle vertreten durch Matthias Rysler, Solidaritätsnetz Bern, Beschwerdeführende,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Vollzug der Wegweisung

(Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid); Verfügung des SEM vom 21. Juni 2019 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

    1. A.

      (nachfolgend: der Beschwerdeführer) und B.

      (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) suchten am 16. März 2016 in der Schweiz um Asyl nach. Am ( ) wurde das erste Kind C. und am ( ) das zweite Kind D. geboren.

    2. Mit Verfügung vom 20. September 2018 stellte das SEM fest, die Beschwerdeführenden und ihre Kinder erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte ihre Asylgesuche ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an.

    3. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-6203/2018 vom 12. Dezember 2018 nicht ein.

B.

    1. Mit Eingabe des rubrizierten Rechtsvertreters vom 11. Juni 2019 (Poststempel, Eingabe datiert vom 10. Juni 2019) reichten die Beschwerdeführenden beim SEM ein Wiedererwägungsgesuch ein. Darin ersuchten sie um Wiedererwägung des Entscheids vom 20. September 2018 betreffend den Vollzug der Wegweisung, um Feststellung der Unzulässigkeit und Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sowie um Anordnung der vorläufigen Aufnahme in der Schweiz.

    2. Zur Begründung machten sie im Wesentlichen geltend, dass ihr Kind C. gemäss dem Bericht des Ambulatoriums der Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. vom 10. Mai 2019 unter schwerwiegenden sozialen, sprachlichen und entwicklungspsychologischen Defiziten leide. Bei C. sei eine derart ausgeprägte Symptomatik festgestellt worden, dass trotz des jungen Alters des Kindes die Diagnose eines frühkindlichen Autismus habe gestellt werden können. Dem Bericht sei weiter zu entnehmen, dass eine Autismus-spezifische Intensivtherapie dringend indiziert sei und ohne entsprechende Therapie eine grosse Wahrscheinlichkeit bestehe, dass das Kind sein kognitives Potenzial nicht ausreichend entfalten könne, was mit einem höheren Risiko sekundärer psychopathologischer Symptome wie Aggressionen, Wutausbrüchen und schulischer Verweigerung verbunden sei, die sich insgesamt negativ auf die emotionale, schulische und später berufliche Entwicklung auswirkten. Schliesslich halte der Bericht fest, dass C. eine Wohnumgebung in einem vertrauten Umfeld benötige. Der ärztliche Verdacht auf frühkindlichen Autismus habe bereits seit Herbst 2018 bestanden und im Dezember

      2018 seien entsprechende Abklärungen durch die Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. eingeleitet worden. Dem Entscheid des Departements des Innern des Kantons F. vom 5. April 2019 sei sodann zu entnehmen, dass aufgrund der gesundheitlichen Situation von C. von einer Umplatzierung der Familie in eine Kollektivunterkunft des Kantons abgesehen worden sei und die Familie in ihrer angestammten Wohnung an der ( ) habe bleiben dürfen. Damit habe die zuständige kantonale Behörde in Berücksichtigung des Kindeswohls dem Umstand Rechnung getragen, dass C. ein Herausreissen aus seiner Umgebung und ein Abbruch der damals laufenden Abklärungen nicht habe zugemutet werden können. Ferner nahmen die Beschwerdeführenden auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe «Äthiopien: Behandlung von Autismus» vom 16. August 2018 (nachfolgend: SFH-Bericht vom 16. August 2018) Bezug, wonach es in Äthiopien - neben mehrjährigen Wartezeiten aufgrund fehlender Kapazitäten - an fachlich qualifizierter Behandlung fehle, weshalb es unmöglich erscheine, C. in seinem Heimatstaat innerhalb nützlicher Frist die benötigten therapeutischen Massnahmen zu ermöglichen. Hinzu komme, dass laut demselben Bericht Personen mit Autismus sowie deren Familienangehörige von starker Stigmatisierung betroffen seien und deren Zugang zu diagnostischen Dienstleistungen und Betreuung erschwert werde. Wie sich darüber hinaus aus den Akten des Asylverfahrens ergebe, stammten sie nicht aus besonders gut situierten Verhältnissen, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien in einer Situation wären, die ihnen beim Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für C. einen privilegierten Zugang ermöglichen würde. Vielmehr gehörten sie zur normalen Bevölkerung respektive seien als «einfache Leute» zu bezeichnen, welchen dieser Zugang infolge des beschriebenen Mangels an Plätzen und Fachkräften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich wäre. Da C. nach dem Gesagten in Äthiopien keinen Zugang zu der für ihn dringend indizierten intensiven Autismus-Therapie hätte, was mit einer gravierenden Verschlechterung der Entwicklungsmöglichkeiten und mit der Gefahr einer Verstärkung der autistischen Symptomatik und den entsprechenden Behinderungen und Stigmatisierungen im Alltag verbunden sein dürfte, wäre das Wohl des Kindes offensichtlich in Gefahr und Art. 3, Art. 6 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 1 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention [KRK], SR 0.107) verletzt. Zudem würde neben C. auch die restliche Familie stigmatisiert und wäre zahlreichen Alltagshürden ausgesetzt, was ihnen ein Leben in Würde in Äthiopien mit grösster Wahrscheinlichkeit verunmöglichen würde.

    3. Zur Stützung ihrer Vorbringen reichten die Beschwerdeführenden den oben zitierten Entscheid des Rechtsdienstes des Departements des Innern des Kantons F. vom 5. April 2019 sowie den oben zitierten Bericht des Ambulatoriums der Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. vom 10. Mai 2019 zu den Akten.

C.

Mit Verfügung vom 21. Juni 2019 - eröffnet am 24. Juni 2019 - wies das SEM das Wiedererwägungsgesuch ab und stellte die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der Verfügung vom 20. September 2018 fest. Ferner erhob es eine Gebühr von Fr. 600.- und führte an, dass einer allfälligen Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukomme.

Zur Begründung führte es an, die Erkrankung von C. stelle kein Wegweisungshindernis dar und die Situation der Beschwerdeführenden sei nicht als medizinische Notlage gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG (SR 142.20) einzustufen. Vorab sei darauf hinzuweisen, dass medizinische Gründe nur dann eine konkrete Gefährdung darstellten, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Heimatland nicht zur Verfügung stehe und die Rückkehr zu einer raschen und lebensbedrohenden Situation führe. Entsprechende Hinweise hierfür gingen weder aus den Akten noch aus dem Wiedererwägungsgesuch hervor. Es werde zwar nicht in Abrede gestellt, dass im Falle von C. eine entsprechende Therapie angezeigt sei. In Addis Abeba - (...) - stünden aber zwei Krankenhäuser («Yekatit 12 General Hospital» und «St. Paul Hospital») zur Verfügung, welche psychiatrische Behandlungen für Kinder anbieten würden. Alleine der Umstand, dass die Spitalinfrastruktur oder das medizinische Fachwissen im Heimatstaat nicht dasselbe Niveau aufwiesen wie in der Schweiz, führe indessen nicht zur Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs. Dasselbe gelte für die Ausführungen, wonach Personen mit Autismus sowie deren Familienangehörige in Äthiopien von starker Stigmatisierung betroffen seien und deren Zugang zu diagnostischen Dienstleistungen und Betreuung erschwert werde. So hätten sich die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführenden auf allgemein und vage gehaltene Problematiken beschränkt, welche sie in ihrem Fall nicht mit konkreten und hinreichenden Anhaltspunkten zu begründen gewusst hätten. An obiger Einschätzung vermöge auch der eingereichte SFH-Bericht vom 16. August 2018 nichts zu ändern. Im Übrigen stehe ihnen grundsätzlich die Möglichkeit offen, medizinische Rückkehrhilfe zu beantragen, um damit in einer ersten Phase die Behandlungskosten in ihrer Heimat bezahlen zu können (vgl. Art. 93 Abs. 1 Bst. d AsylG [SR 142.31]).

D.

    1. Mit Eingabe vom 16. Juli 2019 (Datum des Poststempels) erhoben die Beschwerdeführenden, handelnd durch ihren Rechtsvertreter, gegen diesen Entscheid Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragten, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und sie wegen Unzulässigkeit beziehungsweise Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzunehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragten sie die Anordnung vollzugshemmender vorsorglicher Massnahmen, die Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sowie die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.

    2. Zur Begründung machten sie im Wesentlichen geltend, dass sie Abklärungen bei den von der Vorinstanz zitierten Institutionen («Yekatit 12 General Hospital» und «St. Paul Hospital») getroffen hätten. Diese Institutionen könnten laut eigenen Auskünften einzig Beratungen für die Betreuungspersonen und Bewusstseinsbildung für den Umgang mit dem entsprechenden Krankheitsbild anbieten. Somit könne die von den behandelnden

      Fachpersonen von C.

      als dringend indiziert bezeichnete Autis-

      mus-spezifische Intensivtherapie in den von der Vorinstanz zitierten Institutionen (und folglich höchstwahrscheinlich in ganz Äthiopien) nicht angeboten werden. Somit wäre die Entwicklung ihres Kindes bei einer Wegweisung nach Äthiopien konkret und in schwerwiegender Weise gefährdet. Ferner würde die Familie von der Gesellschaft gemieden und diskriminiert, weshalb sie ihr Kind in Äthiopien vor den Mitmenschen verstecken und die Krankheit verheimlichen müssten. Ein kindergerechtes Aufwachsen wäre ausgeschlossen. Selbst die Verwandten im Heimatland würden psychische Krankheiten als Fluch betrachten, dem eine Sünde zugrunde liegen müsse. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei das einzige Familienmitglied, das von der diagnostizierten Erkrankung ihres Enkelkindes wisse. Auch sie versuche zu verstehen, dass es sich um eine Krankheit und nicht um einen Dämon handle. Sodann habe sich die Vorinstanz jeglicher Ausführungen zum Kindeswohl und der angerufenen Bestimmungen der Kinderrechtskonvention (Art. 3, Art. 6 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 1 KRK) enthalten. Zudem habe C. als Kind mit einer Behinderung zu gelten und entsprechend sei auch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention [BRK], SR 0.109) zu beachten. Die Vorinstanz verstosse mit der angefochtenen Verfügung insbesondere gegen Art. 4 Bst. a und d sowie Art. 23 Abs. 3 und 5 BRK.

    3. Der Beschwerde beigelegt waren - nebst den bereits aktenkundigen Beweismitteln (vgl. Sachverhalt oben, Bst. B.c) - eine Vollmacht des Beschwerdeführers vom 8. Januar 2019, die angefochtene Verfügung, ein Schreiben von Dr. G. , Vize-Vorsteherin für medizinische Dienste des «St. Paul’s Hospital Millennium Medical College», vom 8. Juli 2019 (inklusive deutscher Übersetzung) sowie ein Schreiben von Dr. H. , Mitglied des medizinischen Kollegiums des «Yekatit 12 Hospital Medical College», vom 11. Juli 2019 (inklusive deutscher Übersetzung).

E.

Mit superprovisorischer Massnahme vom 19. Juli 2019 setzte das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf Art. 56 VwVG den Vollzug der Wegweisung per sofort einstweilen aus.

F.

Mit Zwischenverfügung vom 9. August 2019 wurde der am 19. Juli 2019 angeordnete Vollzugsstopp vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben und das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung abgewiesen. Die Beschwerdeführenden wurden dazu aufgefordert, bis zum

26. August 2019 einen Kostenvorschuss von Fr. 1‘500.- zu leisten. Ausserdem wurde der rubrizierte Rechtsvertreter aufgefordert, dem Gericht innert 7 Tagen ab Erhalt dieser Verfügung eine Vollmacht der Beschwerdeführerin nachzureichen, andernfalls nur der Beschwerdeführer und die beiden Kinder als Beschwerdeführende betrachtet würden.

G.

Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 19. August 2019 legten die Beschwerdeführenden - unter Beilage der Vollmacht der Beschwerdeführerin

  • eine Beschwerdeergänzung ins Recht. Darin wurde die Behandelbarkeit der Erkrankung von C. in Äthiopien grundsätzlich bestritten.

    H.

    Am 26. August 2019 ging der Kostenvorschuss fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht ein.

    I.

    Am (...) wurde das dritte Kind E. geboren.

    Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

    1.

    Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG). Die Beschwerdeführenden sind als Verfügungsadressaten zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 6 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Das dritte Kind der volljährigen Beschwerdeführenden ist in das Beschwerdeverfahren einzubeziehen.

    2.

    Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

    3.

    Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich um eine solche, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).

    Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf einen Schriftenwechsel verzichtet.

    4.

      1. Das Wiedererwägungsverfahren ist im Asylrecht spezialgesetzlich geregelt (vgl. Art. 111b ff. AsylG). Ein entsprechendes Gesuch ist dem SEM innert 30 Tagen nach Entdeckung des Wiedererwägungsgrundes schriftlich und begründet einzureichen; im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den revisionsrechtlichen Bestimmungen von Art. 66-68 VwVG (Art. 111b Abs. 1 AsylG).

        In seiner praktisch relevantesten Form - und auch vorliegend - bezweckt das Wiedererwägungsgesuch die Änderung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an eine nachträglich eingetretene erhebliche Veränderung der Sachlage (vgl. BVGE 2014/39 E. 4.5 m.w.H.).

      2. Die Vorinstanz hat den grundsätzlichen Anspruch der Beschwerdeführenden auf Behandlung ihres Wiedererwägungsgesuchs vom 11. Juni

    2019 nicht in Abrede gestellt und ist auf dieses eingetreten. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit nachfolgend zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen ist, dass die neuen Vorbringen und Beweismittel der Beschwerdeführenden die Sachlage nicht derart verändern, dass sie den Vollzug der Wegweisung unzulässig beziehungsweise unzumutbar machen würden. Die Fragen der Flüchtlingseigenschaft und des Asyls sind

  • wie die Wegweisung als solche - nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Für die Beurteilung der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs ist praxisgemäss der sich im Urteilszeitpunkt präsentierende Sachverhalt massgebend.

5.

    1. In der Beschwerde wird sinngemäss eine Verletzung der Begründungspflicht gerügt. Dabei handelt es sich um eine formelle Rüge, welche vorab zu beurteilen ist, da sie gegebenenfalls geeignet ist, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügung zu bewirken. Die Beschwerdeführenden bringen diesbezüglich vor, die Vorinstanz habe sich in der angefochtenen Verfügung jeglicher Ausführungen zum Wohl des Kindes und der angerufenen Bestimmungen der Kinderrechtskonvention enthalten.

    2. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass sich die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung als Ausgangslage der Würdigung des Sachverhalts auf die Verfügung vom 20. September 2018 stützte. In der angefochtenen Verfügung wurden die mit dem Wiedererwägungsgesuch geltend gemachten wesentlichen Vorbringen aufgeführt. Die Vorinstanz hat in einer Gesamtwürdigung dieser Vorbringen und Beweismittel nachvollziehbar aufgezeigt, von welchen Überlegungen sie sich leiten liess. Auch zur Frage des Kindeswohls hat sich das SEM, wenn auch in zusammenfassender Form seiner Beurteilung, geäussert. Ein explizites Eingehen auf jeden einzelnen Aspekt der geltend gemachten allfälligen Vollzugshinderungsgründe ist zur hinreichenden Nachachtung der Begründungspflicht nicht erforderlich. Der Umstand, dass die Beschwerdeführenden die Folgerungen der Vorinstanz, die sie aus der Würdigung der gesamten Sachlage zieht, nicht teilt, ist keine Verletzung der Begründungspflicht, sondern betrifft eine materielle Frage.

    3. Die formelle Rüge erweist sich angesichts dieser Sachlage als unbegründet, weshalb keine Veranlassung besteht, die Sache aus formellen Gründen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen.

6.

    1. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt nach Durchsicht der Akten sodann in materieller Hinsicht - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - zum Schluss, dass es den Beschwerdeführenden mit ihren Vorbringen im Wiedererwägungsgesuch nicht gelingt, eine erheblich veränderte Sachlage dazutun, welche der Zulässigkeit beziehungsweise Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs entgegenstehen würde. Die Ausführungen auf Beschwerdeebene sowie die hier eingereichten Beweismittel führen zu keiner anderen Betrachtungsweise.

    2. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG).

      Bezüglich des Geltendmachens von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

    3. Der Vollzug der Wegweisung ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz (insbesondere Art. 5 Abs. 1 AsylG, Art. 33 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30], Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [FoK, SR 0.105] und Art. 3 EMRK) einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder in einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).

      Eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen kann nur ganz ausnahmsweise einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen. Eine vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) definierte Konstellation betrifft Schwerkranke, die durch die Abschiebung - mangels angemessener medizinischer Behandlung im Zielstaat - mit einem realen Risiko konfrontiert würden, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde (vgl. Urteil des EGMR Paposhvili gegen Belgien 13. Dezember 2016, Grosse Kammer 41738/10,

      §§ 180-193 m.w.H.). Es ist nicht zu verkennen, dass bei C. gemäss dem Bericht des Ambulatoriums der Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. vom 10. Mai 2019 (vgl. daselbst S. 2) frühkindlicher Autismus nach ICD-10 F84.0 diagnostiziert worden ist. Unter Beachtung der gestellten Diagnose gelangt das Gericht aber zum Schluss, dass der Gesundheitszustand von C. die Feststellung der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne der obgenannten restriktiven Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen vermag, weshalb sich die Beschwerdeführenden nicht auf ein völkerrechtliches Überstellungshindernis gemäss Art. 3 EMRK berufen können.

    4. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind.

Aus den im Gesetz genannten Gefährdungssituationen ergibt sich, dass nicht beliebige Nachteile oder Schwierigkeiten die Annahme einer konkreten Gefährdung im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG rechtfertigen, sondern ausschliesslich Gefahren für Leib oder Leben. Die von der Wegoder Ausweisung betroffene Person muss demnach im Falle einer Rückkehr in den Heimatoder Herkunftsstaat dort in eine existenzielle Notlage geraten. Weniger hohe Anforderungen an die Annahme einer konkreten Gefährdung gelten, wenn das Kindeswohl mitzuberücksichtigen ist, da dieses nicht erst gefährdet ist, wenn das Kind in eine existenzielle Notlage gerät (vgl. BVGE 2014/26 E. 7.1-7.7 sowie Urteil des BVGer D-3597/2018 vom 3. Mai 2019

E. 8.1, je m.w.H.). Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

      1. Der Wegweisungsvollzug kann sich wegen einer medizinischen Notlage als unzumutbar erweisen, was aber gemäss ständiger Rechtsprechung nur dann der Fall ist, wenn eine wesentliche medizinische Behandlung im Heimatstaat nicht zur Verfügung steht und die Rückkehr zu einer raschen und lebensgefährdenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustands der betroffenen Person führen würde. Dabei wird als wesentlich die allgemeine und dringende medizinische Behandlung erachtet, welche zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz absolut notwendig ist. Unzumutbarkeit liegt jedenfalls dann noch nicht vor, wenn im Heimatoder Herkunftsstaat eine nicht dem schweizerischen Standard entsprechende medizinische Behandlung möglich ist (vgl. BVGE 2011/50 E. 8.3 und 2009/2 E. 9.3.1 je m.w.H.).

      2. Zunächst ist - in Übereinstimmung mit den Beschwerdeführenden und der Vorinstanz - festzuhalten, dass dem Bericht des Ambulatoriums der Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. vom 10. Mai 2019 (vgl. daselbst S. 2) zu entnehmen ist, dass eine Autismus-spezifische Intensivtherapie bei C. indiziert wäre. Um eine dringende medizinische Behandlung, welche zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz absolut notwendig ist, handelt es sich dabei jedoch offensichtlich nicht.

      3. Ferner ist - vor dem Hintergrund des Kindeswohls - zwar zu bemerken, dass das äthiopische Gesundheitssystem von engen personellen wie auch finanziellen Ressourcen geprägt ist und namentlich die psychiatrischen Behandlungsstrukturen in personeller Hinsicht knapp versorgt sind (vgl. SFH, Äthiopien: Psychiatrische Versorgung, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 5. September 2013). Das SEM führte in der angefochtenen Verfügung aber zu Recht aus, die psychiatrische Versorgung in Äthiopien sei zwar nicht mit derjenigen in der Schweiz vergleichbar; es würden aber in Addis Abeba zwei Krankenhäuser («Yekatit 12 General Hospital» und

        «St. Paul Hospital») zur Verfügung stehen, welche psychiatrische Behandlungen für Kinder anbieten würden (vgl. SFH-Bericht vom 16. August 2018: <https://www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender/afrika/athi o- pien.html>, abgerufen am 17. Februar 2020). An dieser Einschätzung vermögen auch die auf Beschwerdeebene eingereichten Schreiben der soeben zitierten Krankenhäuser nichts zu ändern (vgl. Sachverhalt oben, Bst. D.c), wonach sich die Unterstützung insbesondere darauf fokussiere, die Fähigkeiten der Eltern und Betreuungspersonen in Zusammenhang mit dem Krankheitsbild zu trainieren. Den Beschwerdeführenden ist zwar darin Recht zu geben, dass eine Autismus-spezifische Intensivtherapie in Äthiopien nicht zur Verfügung steht (was allerdings adäquate Behandlungsmöglichkeiten nicht ausschliesst) und die Behandlung nicht dem schweizerischen Standard entspricht. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass davon ausgegangen werden kann, dass C. - wenn auch unter erschwerten Bedingungen - der Zugang zur erforderlichen medizinischen Behandlung in seinem Heimatland gewährleistet ist und auch erhältlich gemacht werden kann. Die bloss geringe Anzahl an Psychiatern muss sich bei Verfügbarkeit anderen medizinischen und psychologischen Fachpersonals nicht zwingend negativ auf die Behandlungsmöglichkeit auswirken. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführenden gemäss Aktenlage vor der Ausreise keine finanziellen Probleme hatten (vgl. SEMAkte A22/15, F24-25). Im Übrigen steht ihnen - wie die Vorinstanz zutreffend festhielt - die Möglichkeit offen, zur Überbrückung medizinische Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. Art. 93 Abs. 1 Bst. d AsylG, Art. 75 der Asylverordnung 2 vom 1. August 1999 über Finanzierungsfragen

        [AsylV 2, SR 142.312]).

      4. Angesichts obiger Erwägungen ist der Wegweisungsvollzug auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der in diesem Zusammenhang angerufenen Bestimmungen der Kinderund Behindertenrechtskonvention nicht unzumutbar. Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführenden, gemäss dem Bericht des Ambulatoriums der Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienste F. vom 10. Mai 2019 werde für C. empfohlen, eine Wohnumgebung in einem vertrauten Umfeld zu gewährleisten, ist Folgendes festzuhalten: Einerseits ist das SEM nicht an die medizinische Beurteilung zur rechtlichen Frage eines Wegweisungsvollzugs gebunden und andererseits kann die medizinisch fachliche Einschätzung der Zumutbarkeit nicht der asylund völkerrechtlichen Definition der Kriterien für einen zulässigen und zumutbaren Wegweisungsvollzug in einen bestimmten Staat gleichgesetzt werden. Auch der zu den Akten gereichte

        Entscheid des Departements des Innern des Kantons F.

        vom

        5. April 2019, wonach bereits die zuständige kantonale Behörde in Berücksichtigung des Kindeswohls von einer Umplatzierung der Familie in eine Kollektivunterkunft abgesehen habe, vermag nicht zu einer anderen Einschätzung hinsichtlich der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu führen, zumal jenes mit dem vorliegenden Verfahren nicht in Zusammenhang steht. Sodann ist - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführenden - aufgrund der Aktenlage auch nicht nachvollziehbar, dass C. in Äthiopien vor den Mitmenschen versteckt werden müsste und ein kindergerechtes Aufwachsen ausgeschlossen wäre. Ohne die Schwierigkeiten zu verkennen, die mit einer psychiatrischen Erkrankung in Äthiopien verbunden sein können, ist dem SEM weiter darin zu folgen, dass nicht davon auszugehen ist, die Beschwerdeführenden und ihre Kinder - insbesondere C. - wären in Äthiopien per se Stigmatisierungen ausgesetzt, die ein Leben in Würde verunmöglichten. Begünstigend kommt hinzu, dass sich die Beschwerdeführenden ihrerseits auf ein intaktes Familiennetz - unter anderem in J. - stützen können (vgl. A5/14, Ziff. 3.01; A6/11, Ziff. 3.01; A21/18, F43). Dabei vermag auch das Vorbringen auf Beschwerdeebene, dass die Verwandten im Heimatland psychische Krankheiten als Fluch betrachten würden, zu keiner abweichenden Einschätzung zu führen, zumal die Beschwerdeführenden selber darlegten, abgesehen von der

        Grossmutter mütterlicherseits, welche gemäss den Angaben der Beschwerdeführenden Verständnis zeigte, bis anhin keine weiteren Verwandten über die diagnostizierte Erkrankung von C. informiert zu haben.

      5. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass eine konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG zu verneinen ist.

    1. Nach dem Gesagten erweist sich der Vollzug der Wegweisung von C. als zulässig und zumutbar. Dasselbe gilt für die Beschwerdeführenden und die beiden Geschwister von C. , die sich lediglich auf die Beziehung zu C. berufen und keine alleine in ihrer Person betreffenden Vollzugshindernisse geltend machen.

    2. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das SEM das Vorliegen einer wiedererwägungsrechtlich relevanten Veränderung der Sachlage zu Recht und in Übereinstimmung mit der vorliegend massgeblich geltenden Rechtsprechung verneint hat.

7.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und auch sonst nicht zu beanstanden ist (Art. 49 VwVG). Die Beschwerde ist abzuweisen.

8.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 1‘500.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Der einbezahlte Kostenvorschuss wird zur Begleichung der Verfahrenskosten verwendet.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten von Fr. 1‘500.- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. Der in gleicher Höhe einbezahlte Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet.

3.

Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:

Simon Thurnheer Bettina Hofmann

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