Zusammenfassung des Urteils VR110009: Obergericht des Kantons Zürich
Der Rekurrent A. hat gegen die Verrechnung seiner Prozessentschädigung mit Gerichtskosten des Kantons Zürich geklagt. Der Rekursgegner, vertreten durch die Zentrale Inkassostelle der Gerichte, lehnte die Auszahlung ab. Es ging um die Frage der Verrechenbarkeit von Forderungen und Abtretungen. Das Obergericht des Kantons Zürich wies den Rekurs ab und legte die Gerichtskosten dem Rekurrenten auf.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | VR110009 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | Verwaltungskommission |
Datum: | 04.06.2012 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Rekurs gegen Verrechnung einer Parteientschädigung |
Schlagwörter: | Rekurrent; Rekurs; Verrechnung; Prozessentschädigung; Forderung; Gericht; Rekurrenten; Abtretung; Rekursgegner; Kanton; Bundesgericht; Höhe; Forderungen; Schuld; Kantons; Gerichtskosten; Entscheid; Staat; Obergericht; Verfahren; Verwaltungskommission; Staatsanwaltschaft; Auszahlung; Zeitpunkt; Recht; Zentrale; Inkassostelle; Verrechnungsanzeige |
Rechtsnorm: | Art. 120 OR ;Art. 167 OR ;Art. 169 OR ;Art. 442 StPO ; |
Referenz BGE: | 111 III 73; |
Kommentar: | Hauser, Schweri, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, 2002 |
Obergericht des Kantons Zürich
Verwaltungskommission
Geschäfts-Nr.: VR110009-O/U
Mitwirkend: Obergerichtspräsident Dr. H.A. Müller, die Oberrichter lic. iur. M. Burger und Dr. J. Zürcher sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Leu-Zweifel
Beschluss vom 4. Juni 2012
in Sachen
Rekurrent
gegen
Rekursgegner
vertreten durch Zentrale Inkassostelle der Gerichte
betreffend Rekurs gegen Verrechnung einer Parteientschädigung mit Forderung des Kantons Zürich, Prozess ZI/00728541
Erwägungen:
Mit Schreiben vom 9. September 2009 liess B. durch seinen Rechtsvertreter bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl um Auszahlung der ihm im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens vor Bundesgericht zugesprochenen Prozessentschädigung in der Höhe von Fr. 3'000.- ersuchen (act. 3/4). Am
28. September 2009 stellte die Staatsanwaltschaft eine Verrechnungsanzeige aus und erklärte, die Prozessentschädigung werde mit gegenüber
B.
bestehenden Gerichtskostenforderungen in der Höhe von
Fr. 2'945.75 verrechnet (act. 3/5).
In der Folge ersuchte A. (nachfolgend: Rekurrent) am 18. Januar 2011 gestützt auf eine Abtretungsvereinbarung zwischen ihm und B. erneut um die Auszahlung obgenannter Prozessentschädigung (act. 3/6). Die Zentrale Inkassostelle der Gerichte des Kantons Zürich (nachfolgend: Rekursgegner) lehnte eine Auszahlung an den Rekurrenten aufgrund der Verrechenbarkeit der Prozessentschädigung mit besagten Gerichtskostenforderungen mit Schreiben vom 31. Januar 2011 ab (act. 3/7).
Mit Eingabe vom 1. September 2011 legte der Rekurrent seine Ansicht betreffend die Nichterfüllung der Voraussetzungen der Verrechenbarkeit erneut dar (act. 3/8), woraufhin der Rekursgegner mittels anfechtbarer Verrechnungsanzeige vom 12. September 2011 an seinen bisherigen Ausführungen festhielt (act. 3/1).
Gegen diese Verrechnungsanzeige erhob der Rekurrent mit Eingabe vom
17. Oktober 2011 bei der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich Rekurs und stellte folgende Anträge (act. 1):
1. Die Verfügung der Zentralen Inkassostelle der Gerichte, Obergericht des Kantons Zürich, vom 12. September 2011, betreffend die Verrechnung einer Entschädigung mit offenen Forderungen des Kantons Zürich, Referenz-Nr. , sei aufzuheben.
Der Rekursgegner sei zu verpflichten, dem Rekurrenten Fr. 2'945.75 zu bezahlen.
Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten des Rekursgegners.
Nach zweimaliger Fristansetzung durch das Gericht (act. 4 und 6) beantragte der Rekursgegner mit Eingabe vom 22. Dezember 2011 die Abweisung des Rekurses (act. 7). Am 30. Januar 2012 liess sich der Rekurrent zur Stellungnahme des Rekursgegners vernehmen und hielt am Rekursantrag fest (act. 10).
Gegenstand des Rekurses bildet die Anzeige der Verrechnung einer
B.
durch das Bundesgericht zugesprochenen und dem Rekurrenten
abgetretenen Prozessentschädigung mit von B.
geschuldeten Gerichtskosten aus anderen Verfahren. Der Bezug und die Verrechnung von Gerichtskosten betreffen eine Justizverwaltungssache (Hauser/Schweri, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, Zürich 2002,
§ 204 N 12; vgl. auch ZR 75 [1976] Nr. 6). Gegen diesbezügliche Anordnungen der Zentralen Inkassostelle ist der Rekurs an die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich gegeben (§ 72 GOG, § 76 Abs. 1 GOG, § 42 Abs. 2 GOG, § 18 lit. a der Verordnung über die Organisation des Obergerichts, LS 212.51).
Dem vorliegenden Fall liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: B. , ein späterer Klient des Rekurrenten, wurde im Rahmen von zwei Gerichtsverfahren am Bezirksgericht Zürich mit Entscheiden vom 17. September 2007 bzw. vom 9. Januar 2009 zur Zahlung der Gerichtskosten verpflichtet (act. 8 = act. 3/7). Am 13. August 2009 mandatierte B. den Rekurrenten als Rechtsvertreter für ein Strafverfahren betreffend Angriff und versuchten Raub, wobei er ihm durch die Unterzeichnung der Anwaltsvollmacht allfällige Prozessentschädigungen bis zur Höhe seiner Ansprüche zahlungshalber abtrat (act. 3/2). Mit Entscheid vom 31. August 2009 verpflichtete das Bundesgericht den Kanton Zürich im betreffenden Strafverfahren zur Zahlung einer Prozessentschädigung in der Höhe von Fr. 3'000.- zugunsten von B. (act. 3/3). Diese liess B. am 9. September 2009 durch seinen Rechtsvertreter bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl einfordern (act. 3/4), woraufhin diese am 28. September 2009 die Verrechnung erklärte (act. 3/5). Am 18. Januar 2011 ersuchte der Rekurrent bei der Staatsanwaltschaft sodann in eigenem Namen um Auszahlung der besagten Prozessentschädigung (act. 3/6), welche der Rekursgegner mit Hinweis auf das Verrechnungsrecht verweigerte (act. 3/7).
Der Rekurrent führt zur Begründung seiner Rekurseingabe zusammengefasst aus, im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens vor Bundesgericht sei er als amtlicher Verteidiger von B. aufgetreten. Seitens der Rekursgegnerin habe man die B.
zugesprochene Prozessentschädigung von
Fr. 3'000.- mit Forderungen des Staates gegenüber B. von Fr. 2'945.75 verrechnet. Der Differenzbetrag sei B.
in der Höhe überwiesen
worden. Eine Verrechnung setze die Gegenseitigkeit der zu verrechnenden Forderungen voraus. Am 13. August 2009 habe B. eine Vollmacht zugunsten des Rekurrenten unterzeichnet, welche u.a. eine zahlungshalber erfolgte Abtretung einer allfälligen Prozessentschädigung an den Rekurrenten bis zur Höhe seiner Ansprüche umfasst habe. Gestützt auf die Unmittelbarkeitstheorie sei die Forderung auf Parteientschädigung aufgrund der Zession direkt beim Rekurrenten entstanden. Eine Verrechnung sei nicht möglich gewesen, da sich zu keinem Zeitpunkt zwei gegenseitige Forderungen entgegengestanden seien. Es rechtfertige sich gestützt auf die Lehre und Rechtsprechung, von der Unmittelbarkeitstheorie auszugehen. Dementsprechend sei die Forderung aus Prozessentschädigung mit dem Entscheid des Bundesgerichts am 31. August 2009 direkt beim Rekurrenten entstanden. Art. 169 OR gelange mangels Gegenseitigkeit der Forderungen nicht zur Anwendung. Würde man hingegen der Durchgangstheorie folgen, so wäre
die Forderung bei B. entstanden und hätten sich für eine logische Sekunde zwei Forderungen gegenüber gestanden. Die Anwendung dieser Theorie würde jedoch zu einem stossenden Ergebnis führen, da der Rekurrent als amtlicher Verteidiger von B.
in Bezug auf seine Entschädigung bei Obsiegen schlechter gestellt würde als wenn er unterlegen wäre (act. 1).
Der Rekursgegner hielt zur Begründung seiner Ansicht in der Eingabe vom
22. Dezember 2011 fest, hinsichtlich der Prozessentschädigung sei der Kanton Zürich Schuldner gegenüber B. , hinsichtlich der Gerichtskostenforderungen sei er Gläubiger. Die Gegenseitigkeit der Forderungen sei gegeben. Der Verrechnungsanspruch mit Forderungen, die bereits vor dem Einreichen der Anwaltsvollmacht fällig gewesen seien und zum Zeitpunkt der Zusprechung der persönlichen Entschädigung noch geschuldet gewesen seien, gehe der Abtretungserklärung vor (act. 7).
1. Es stellt sich vorab die Frage der Legitimation des Rekurrenten zur Erhebung des Rekurses. Zum Rekurs an die Verwaltungskommission berechtigt ist gemäss § 21 lit. a VRG, wer durch die angefochtene Anordnung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Änderung Aufhebung hat. Der Rekurrent begründet seine Aktivlegitimation mit der Abtretung der mit Urteil vom 31. August 2009 B. zugesprochenen Prozessentschädigung. Die schriftliche, von B.
am 13. August 2009 unterzeichnete
Anwaltsvollmacht enthält folgenden Passus: Ferner tritt die Klientschaft den Bevollmächtigten allfällige Prozessentschädigungen bis zur Höhe seiner Ansprüche zahlungshalber ab (act. 3/2). Die Prozessentschädigung gemäss Entscheid des Bundesgerichts vom 31. August 2009 wurde im Zeitpunkt des Abschlusses des Abtretungsvertrags, d.h. der Unterzeichnung der Anwaltsvollmachtsurkunde vom 13. August 2009, dem Rekurrenten somit als bestimmbare künftige Forderung zahlungshalber abgetreten. Mit der richterlichen Anordnung im Urteil vom 31. August 2009 ist die abgetretene Forderung im Betrag von Fr. 3'000.- entstanden (Gauch/Schluep/ Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, Allg. Teil, 8. A. 2003, Band II, N 3645 f.; BGE 111 III 73 E. 3a; VB030050; VB970029). Es liegt damit eine gültige Abtretung vor, weshalb der Rekurrent durch die Verrechnungsanzeige des Rekursgegners in seinen Rechten berührt ist. Damit ist die Rekurslegitimation gegeben.
Weiter stellt sich infolge der Abtretung allfälliger Ansprüche an den Rekurrenten die Frage der Verrechenbarkeit der B. in den Entscheiden vom
17. September 2007 (BB080094) und 9. Januar 2009 (GG080529) auferlegten Gerichtskosten mit der diesem seitens des Bundesgerichts am 31. August 2009 zugesprochenen und durch den Kanton Zürich zu bezahlenden Prozessentschädigung.
Seit dem Inkrafttreten der schweizerischen Prozessgesetze enthält Art. 442 Abs. 4 StPO für im Strafrecht ergangene Entscheide eine einschränkende Regelung zur Verrechnungsmöglichkeit. Bis zum 1. Januar 2011 fehlte es in den massgebenden kantonalen Gesetzen hingegen an Bestimmungen über die Möglichkeit einer Verrechnung von dem Beschuldigten auferlegten Gebühren und Kosten mit Gegenforderungen des Beschuldigten durch den Staat. Weder das kantonale Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG) noch die zürcherische Strafprozessordnung (StPO/ZH) noch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) enthielten Regelungen hierzu. Für die Verrechnung wurden daher die privatrechtlichen Bestimmungen (Art. 120-126 OR) analog angewendet (Hauser/Schweri, a.a.O., Vorbemerkungen zu §§ 201 ff. N 18 ff.; Haefelin/Müller/Uhl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich/St. Gallen 2010, Rz 799 f.). Art. 120 Abs. 1 OR folgend ist eine Verrechnung grundsätzlich zulässig, wenn zwei Personen einander Geldsummen andere Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind, schulden, sofern die eigene Schuld erfüllbar und die Forderung des Verrechnungsgegners fällig ist. Die Abtretung einer Forderung schliesst eine Verrechnung gegenüber dem bisherigen Gläubiger nicht aus. Es sind jedoch die Voraussetzungen nach Art. 167 OR zu berücksichtigen. Besagter Bestimmung folgend vermag die Zahlung der Schuld an den früheren Gläubiger den Schuldner von seiner Schuld nur dann gültig zu befreien, wenn die Leistung vor der Notifikation der Abtretung in gutem Glauben erfolgte. Ist einem gutgläubigen Schuldner damit die Abtretung weder vom Zedenten noch vom Zessionaren angezeigt worden, so kann er gegenüber dem Zedenten - trotz erfolgter Abtretung - seine Schuld durch Verrechnungserklärung tilgen (Lardelli, Die Einreden des Schuldners bei der Zession, Zürich/Basel/Genf 2008, N 81 f.).
Die Notifikation der Abtretung gegenüber dem Rekursgegner erfolgte vorliegend mit Schreiben vom 18. Januar 2011; darin gab der Rekurrent dem Rekursgegner die Abtretung der massgebenden Forderung auf Prozessentschädigung vom 13. August 2009 bekannt (act. 3/6). Dass die Notifikation bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt wäre, macht der Rekurrent nicht geltend; so ersuchte er denn auch am 9. September 2009 um Auszahlung
der Prozessentschädigung im Namen seines Klienten B.
und damit
des Zedenten (act. 3/4). Im Zeitpunkt ihrer Verrechnungserklärung am
28. September 2009 hatte die Staatsanwaltschaft von der Abtretung der Prozessentschädigungsforderung an den Rekurrenten demnach noch keine Kenntnis. Gestützt auf Art. 167 OR konnte sie daher gegenüber dem Zedenten trotz der Abtretung rechtsgültig verrechnen. Die Forderung auf Ausrichtung einer Prozessentschädigung wurde somit mit der Verrechnungserklä- rung im Umfang von Fr. 2'945.75 rechtsgültig getilgt. Der Restbetrag in der Höhe von Fr. 54.25 wurde B. sodann gutgeschrieben (act. 3/5). Eine erneute Geltendmachung der Forderung auf Prozessentschädigung durch den Rekurrenten ist aufgrund der bereits erfolgten Verrechnung nicht mehr möglich. Der Rekurs ist damit abzuweisen.
Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 300.- festzusetzen (§ 20 GebV OG). Ausgangsgemäss sind die Kosten des Verfahrens dem Rekurrenten aufzuerlegen. Prozessentschädigungen sind keine auszurichten.
Hinzuweisen ist sodann auf das Rechtsmittel der Beschwerde ans Bundesgericht.
Es wird beschlossen :
Der Rekurs wird abgewiesen.
Die Gerichtsgebühr wird auf Fr. 300.- festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Rekurrenten auferlegt.
Dieser Beschluss wird den Parteien des Rekursverfahrens schriftlich gegen Empfangsschein mitgeteilt, dem Rekursgegner unter Beilage einer Kopie von act. 10.
Rechtsmittel :
Eine allfällige Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (ordentliche Beschwerde) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Zürich, den 4. Juni 2012
OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH
Verwaltungskommission Gerichtsschreiberin:
lic. iur. A. Leu-Zweifel
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