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Urteil Verwaltungsgericht (ZH - VB.2022.00204)

Zusammenfassung des Urteils VB.2022.00204: Verwaltungsgericht

A, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste mehrmals in die Schweiz ein und stellte Asylanträge. Nach einer Ablehnung des Gesuchs um eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz durch das Migrationsamt des Kantons Zürich, rekurrierte A erfolglos bei der Sicherheitsdirektion. Schliesslich erhob er Beschwerde beim Verwaltungsgericht, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Das Gericht wies die Beschwerde ab, da A nicht weitgehend tadellos war und somit keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung hatte. Die Gerichtskosten wurden A auferlegt, eine Parteientschädigung wurde ihm nicht zugesprochen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VB.2022.00204

Kanton:ZH
Fallnummer:VB.2022.00204
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:4. Abteilung/4. Kammer
Verwaltungsgericht Entscheid VB.2022.00204 vom 22.12.2022 (ZH)
Datum:22.12.2022
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Der Beschwerdeführer ersuchte um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter. Während des Verfahrens trennten sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau.
Schlagwörter: Recht; Aufenthalt; Schweiz; Aufenthaltsbewilligung; Ehefrau; Beschwerdeführer; Tochter; Beschwerdeführers; Erteilung; Migration; Beziehung; Rekurs; Anspruch; Gewalt; Elternteil; Familie; Gesuch; Aufenthaltsanspruch; Vorinstanz; Kindes; Hinweis; Verwaltungsgericht; Verfahren; Kanton; Migrationsamt; Rechtsvertretung; Person; Familienleben
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:137 II 345; 140 II 289; 140 II 345;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VB.2022.00204

Verwaltungsgericht

des Kantons Zürich

4. Abteilung

VB.2022.00204

Urteil

der 4. Kammer

vom 22.Dezember2022

Mitwirkend: Abteilungspräsidentin Tamara Nüssle (Vorsitz), Verwaltungsrichter Reto Häggi Furrer, Verwaltungsrichter Martin Bertschi, Gerichtsschreiberin Selina Sigerist.

In Sachen

, vertreten durch lic.

betreffend Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung,

hat sich ergeben:

I.

A. A, ein 1993 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2002 im Rahmen eines Familiennachzugs nach Deutschland ein. In Deutschland erwirkte er von 2008 bis 2014 mehrere Jugendstrafen. Am 24.April 2015 wiesen die deutschen Behörden ihn in die Türkei aus. Am 24.November 2016 reiste A in die Schweiz ein und stellte gleichentags ein Asylgesuch. Aufgrund der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen um Asyl, verliess A die Schweiz im Oktober 2017. Am 21.März 2019 wurde er in Deutschland zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Spätestens am 21.Dezember 2020 reiste A erneut in die Schweiz ein und ersuchte am 4.März 2021 wiederum um Asyl. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trat auf das Gesuch ein, das Verfahren ist nach wie vor hängig.

B. Seit dem 23.Juli 2021 ist A mit der in der Schweiz niederlassungsberechtigten und im Kanton Zürich wohnhaften türkischen Staatsangehörigen C verheiratet. Aus der Beziehung ging 2020 die Tochter D hervor.

Am 26.Juli 2021 stellte A beim Migrationsamt des Kantons Zürich ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Das Migrationsamt wies das Gesuch mit Verfügung vom 15.September 2021 ab.

II.

Gegen diese Verfügung rekurrierte A am 18.Oktober 2021 bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich. Diese wies den Rekurs mit Entscheid vom 4.März 2022 ab. Ebenso wies sie die Gesuche um unentgeltliche Prozessführung sowie unentgeltliche Rechtsvertretung ab (Dispositiv-Ziff.II und III). Die Kosten des Rekursverfahrens auferlegte sie A und sprach keine Parteientschädigung zu (Dispositiv-Ziff.IV und V).

III.

Am 6.April 2022 erhob A Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Er beantragte, unter Entschädigungsfolge sei die Verfügung des Migrationsamts aufzuheben und dieses anzuweisen, ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Zudem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und eine unentgeltliche Rechtsbeiständin in der Person von lic.iur.B zu bestellen.

Die Sicherheitsdirektion verzichtete am 12.April 2022 auf Vernehmlassung, das Migrationsamt erstattete keine Beschwerdeantwort. Am 5.Juli 2022 bzw. am 15.November 2022 liess das Migrationsamt dem Verwaltungsgericht eine Trennungsmeldung des Einwohneramts der Stadt G und ein Schreiben von C zukommen. A nahm hierzu am 14.Juli 2022, am 1.September 2022, am 16.September 2022 sowie am 5.Dezember 2022 Stellung und reichte weitere Unterlagen ein.

Die Kammer erwägt:

1.

Das Verwaltungsgericht ist für Beschwerden gegen Rekursentscheide der Sicherheitsdirektion über Anordnungen des Migrationsamts auf dem Gebiet des Ausländerrechts zuständig (§§41ff. des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24.Mai 1959 [VRG, LS175.2]). Weil auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.

2.1 Der Beschwerdeführer befindet sich in einem hängigen Asylverfahren. Nach Art.14 Abs.1 des Asylgesetzes vom 26.Juni 1998 (AsylG, SR142.31) kann eine asylsuchende Person ab Einreichung des Asylgesuchs bis zur Ausreise nach einer rechtskräftig angeordneten Wegweisung kein Verfahren um Erteilung einer ausländerrechtlichen Aufenthaltsbewilligung einleiten, ausser es bestehe ein Anspruch auf deren Erteilung. Dieser als Ausschliesslichkeit bzw. Vorrang des Asylverfahrens bezeichnete Grundsatz soll eine Privilegierung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gegenüber anderen ausländischen Personen und eine Verschleppung des Verfahrens sowie des Wegweisungsvollzugs verhindern. Deshalb ist gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts nur bei Vorliegen eines offensichtlichen ("manifesten") Rechtsanspruchs auf ein Gesuch um eine Aufenthaltsbewilligung einzutreten (vgl. BGE137 I 351 E.3.1; VGr, 20.Januar 2021, VB.2020.00712, E.2.1; Constantin Hruschka in: Marc Spescha et al., Migrationsrecht, 5.A., Zürich 2019, Art.14 AsylG N.1f.). Über die Offensichtlichkeit des Anspruchs ist aufgrund einer summarischen Prüfung zu entscheiden (BGr, 24.Juli 2017, 2C_551/2017, E.2.3.2).

2.2 Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, ihm komme gestützt auf Art.50 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16.Dezember 2005 (AIG, SR142.20) bzw. den Schutz des Familienlebens nach Art.8 Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, SR0.101) und Art.13 Abs.1 der Bundesverfassung vom 18.April 1999 (BV, SR101) ein Aufenthaltsanspruch zu. Der Beschwerdeführer hat eine zweijährige Tochter, die über eine Niederlassungsbewilligung verfügt. Damit liegt bei summarischer Prüfung ein Aufenthaltsanspruch vor, weshalb Art.14 Abs.1 AsylG der Prüfung des Gesuchs um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht entgegensteht (VGr, 27.Mai 2021, VB.2020.00528, E.2.3 und 17.April 2019, VB.2018.00804, E.1.2; vgl. auch BGr, 26.April 2012, 2C_459/2011, E.1.1 [Erwägung nicht publiziert in BGE138 I 246]). Dementsprechend prüften auch der Beschwerdegegner und die Vorinstanz den vorgebrachten Anspruch materiell.

2.3 Der Beschwerdeführer hält sich derzeit als Asylsuchender rechtmässig in der Schweiz auf. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, steht dies einem aus dem Recht auf Familienleben abgeleiteten Aufenthaltsanspruch nicht entgegen. Der Status während des Asylverfahrens ist anders als die vorläufige Aufnahme unter bestimmten Umständen nicht als Aufenthaltsregelung zu qualifizieren, welche eine weitestgehend ungehinderte Ausübung des geschützten Privat- und Familienlebens ermöglicht (vgl. VGr, 22.Juli 2021, VB.2020.00797, E.2.1).

3.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers verfügt über die Niederlassungsbewilligung. Gemäss der Trennungsmeldung des Einwohneramts der Stadt G vom 13.Juni 2022 haben sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau am 1.Juni 2022 getrennt, woraufhin der Beschwerdeführer aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist. Mit Eingabe vom 16.September 2022 bestätigte der Beschwerdeführer, die Ehe nicht weiterführen zu wollen. Da der Beschwerdeführer und seine Ehefrau nicht mehr zusammenwohnen und keine tatsächliche Ehegemeinschaft mehr besteht, kann der Beschwerdeführer aus Art.43 Abs.1 AIG keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau ableiten.

4.

4.1 Nach Auflösung der Ehegemeinschaft besteht der Anspruch des ausländischen Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung weiter, wenn die Ehegemeinschaft in der Schweiz mindestens drei Jahre gedauert hat und die Integrationskriterien nach Art.58a AIG erfüllt sind (Art.50 Abs.1 lit.a AIG) wenn wichtige persönliche Gründe einen Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art.50 Abs.1 lit.b AIG).

4.2 Eine relevante Ehegemeinschaft gemäss Art.50 Abs.1 lit.a AIG ist nur gegeben, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht (BGE 137 II 345 E.3.1.2; BGr, 7.Juli 2011, 2C_155/2011, E.3). Für die Berechnung der Dreijahresfrist ist ausschliesslich die in der Schweiz in ehelicher Gemeinschaft verbrachte Zeit massgebend (BGE 140 II 345 = Pra 104 [2015] Nr.75 E.4.1, 136 II 113 E.3.3; BGr, 11.Oktober 2011, 2C_430/2011, E.4.1.1). Die Dreijahresfrist gemäss Art.50 Abs.1 lit.a AIG gilt absolut; auch wenn nur einige wenige Tage fehlen, ist die Dauer von drei Jahren nicht erreicht (BGr, 29.April 2021, 2C_297/2021, E.3.1 8.Juni 2020, 2C_301/2020, E.4.2.1 16.Februar 2011, 2C_781/2010, E.2.1.3; VGr, 22.Juli 2021, VB.2021.00117, E.2.4).

4.3 Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau haben am 23.Juli 2021 geheiratet und leben seit dem 1.Juni 2022 getrennt. Da die relevante Ehegemeinschaft keine drei Jahre dauerte, kann der Beschwerdeführer aus Art.50 Abs.1 lit.a AIG keinen Aufenthaltsanspruch ableiten.

4.4 Eheliche Gewalt, sei sie physischer psychischer Natur, kann einen wichtigen persönlichen Grund im Sinn von Art.50 Abs.1 lit.b AIG darstellen (Art.50 Abs.2 AIG), wobei die Anforderungen des Bundesgerichts an die Intensität und den Nachweis der häuslichen Gewalt hoch sind (Marc Spescha in: ders. et al., Migrationsrecht, 5.A., Zürich 2019, Art.50 AIG N.26). Erfolgt die Gewaltausübung erst, wenn der Aufenthaltsanspruch erloschen ist, weil die Eheleute das Zusammenleben bereits vorgängig aufgegeben haben, kann das Opfer aus Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 AIG keinen Anspruch auf Weiterbestand des Aufenthaltsrechts mehr ableiten (BGE 137II345 E.3.2.3; BGr, 29.November 2010, 2C_590/2010, E.2.5; Spescha, Art.50 N.26).

Der Beschwerdeführer gab an, von seiner Ehefrau körperliche und psychische Gewalt erfahren zu haben. Die geltend gemachte häusliche Gewalt substanziierte der Beschwerdeführer jedoch nicht weiter und er reichte keine entsprechenden Belege ein. Insbesondere ist das eingereichte Arztzeugnis vom 11.Juli 2022, in welchem die Psychiaterin bzw. die Psychotherapeutin des Beschwerdeführers ausführen, seine Ehefrau sei "richtig schlimm und gemein" gewesen, nicht als Beleg für häusliche Gewalt im Sinn von Art.50 Abs.2 AIG zu werten. Auch dem Laborbericht vom 23.September 2022 sowie dem Schreiben betreffend das Risiko, ein Koronaereignis (z.B. Herzinfarkt) zu erleiden, können keine Hinweise auf häusliche Gewalt entnommen werden. Der Beschwerdeführer hat die angeblich während des Zusammenlebens seitens seiner Ehefrau erlittene körperliche und psychische Gewalt folglich nicht hinreichend dargetan.

Die Textnachrichten, mit welchen die Ehefrau des Beschwerdeführers ihn gemäss seiner Angabe "bedroht", er könne seine Tochter nicht mehr sehen und diese werde einen anderen Mann als Vater kennenlernen, wurden erst nach der Trennung verschickt. Daher könnte der Beschwerdeführer, selbst wenn die Ehefrau des Beschwerdeführers durch die Textnachrichten psychische Gewalt ausgeübt hätte, daraus keinen Aufenthaltsanspruch im Sinn von Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 AIG ableiten.

5.

5.1 Der Beschwerdeführer hat eine in der Schweiz niederlassungsberechtigte Tochter. Wird der Fortbestand der elterlichen Beziehung zu einem hier gefestigt anwesenheitsberechtigten Kind durch die aufenthaltsbeendende Massnahme infrage gestellt, tangiert dies das Recht auf Familienleben nach Art.8 Abs.1 EMRK bzw. Art.13 Abs.1 BV, weshalb unter Umständen ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art.50 Abs.1 lit.b AIG besteht (VGr, 16.Juni 2022, VB.2021.00658, E.2.1 und VB.2020.00548, 8.Juni 2021, E.4.1; vgl. BGE 140 II 289 E.3.4.1, 138 II 229 E.3.1). Der unbestimmte Rechtsbegriff der "wichtigen persönlichen Gründe" im Sinn von Art.50 Abs.1 lit.b AIG wird hierfür im Licht des verfassungs- und konventionsrechtlich verankerten Rechts auf Achtung des Familienlebens gemäss Art.8 Abs.1 EMRK bzw. Art.13 Abs.1 BV ausgelegt (BGE143 I 21 E.4.1, 140 I 145E.3.2; BGr, 15.Februar 2022, 2C_934/2021, E.4.2, und 9.August 2021, 2C_358/2021, E.3.2.1; VGr, 16.Juni 2022, VB.2021.00658, E.2.2).

Nach Art.8 Abs.2 EMRK ist ein gesetzlich vorgesehener Eingriff in das Rechtsgut des Familienlebens statthaft, soweit er in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit der Moral zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Konvention verlangt insofern eine Abwägung der sich gegenüberstehenden individuellen Interessen an der Erteilung der Bewilligung einerseits und der öffentlichen Interessen an deren Verweigerung andererseits.

Bei der Interessenabwägung ist dem Kindeswohl und dem grundlegenden Bedürfnis des Kindes Rechnung zu tragen, in möglichst engem Kontakt mit beiden Elternteilen aufwachsen zu können (BGr, 25.Juli 2019, 2C_221/2019, E.3.4; BGE143 I 21 E.5.5.1; EGMR, 8.November 2016, El Ghatet, 56971/10, §46). Nach Art.9 Abs.3 des Übereinkommens vom 20.November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention, KRK, SR0.107) achten die Vertragsstaaten das Recht des Kindes, das von einem beiden Elternteilen getrennt lebt, regelmässige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen pflegen zu können, soweit dies nicht seinem Wohl widerspricht (vgl. BGE143 I 21 E.5.5.1 mit Hinweis). Das Kindesinteresse ist bei allen Entscheiden vorrangig zu berücksichtigen (vgl. Art.3 Abs.1 KRK), was ausländerrechtlich im Rahmen der Interessenabwägung von Art.8 Abs.2 EMRK zu geschehen hat. Dabei ist das Kindeswohl in der Interessenabwägung nur ein wesentliches Element unter anderen und somit nicht allein ausschlaggebend (BGr, 25.Juli 2019, 2C_221/2019, E.3.4; BGE143 I 21 E.5.5.4).

5.2 Der nicht sorge- bzw. nicht hauptsächlich betreuungsberechtigte ausländische Elternteil kann die familiäre Beziehung mit seinem Kind in der Regel ohnehin nur im Rahmen des ihm eingeräumten Besuchsrechts leben. Hierfür ist nicht unbedingt erforderlich, dass er sich dauerhaft im selben Land aufhält wie das Kind und dort über ein Anwesenheitsrecht verfügt. Unter Umständen genügt es, wenn der Kontakt zum Kind im Rahmen von Kurzaufenthalten, Ferienbesuchen über die modernen Kommunikationsmittel vom Ausland her wahrgenommen werden kann. Gegebenenfalls sind die zivilrechtlichen Modalitäten den ausländerrechtlichen Vorgaben anzupassen (zum Ganzen BGE144 I 91 E.5.1, 143 I 21 E.5.3, je mit weiteren Hinweisen; VGr, 27.Mai 2021, VB.2020.00528, E.3.3).

Wenn die Beziehung zwischen einem nicht sorge- bzw. nicht hauptsächlich betreuungsberechtigten ausländischen Elternteil und einem in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Kind zu beurteilen ist und der Aufenthalt des Kindes nicht von demjenigen dieses Elternteils abhängt, stellt das Bundesgericht für die auf Art.8 Abs.1 EMRK gestützte Erteilung Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung an den betreffenden Elternteil folgende Anforderungen auf: Es muss eine (1)in affektiver und (2)in wirtschaftlicher Hinsicht enge Eltern-Kind-Beziehung vorliegen; (3)diese müsste wegen der Distanz zwischen der Schweiz und dem Staat, in welchen die ausländische Person auszureisen hätte, praktisch nicht mehr aufrechterhalten werden können; (4)die ausreisepflichtige Person muss sich hier weitgehend tadellos verhalten. Diese Anforderungen sind in einer Gesamtabwägung zu würdigen (BGE144 I 91 E.5.2, 143 I 21 E.5.2; VGr, 27.Mai 2021, VB.2020.00528, E.3.5).

Das Kriterium des tadellosen Verhaltens wird vom Bundesgericht streng gehandhabt. Es wird abgeschwächt, sofern eine aufenthaltsbeendende Massnahme gegenüber dem ausländischen, die Obhut ausübenden Elternteil zur Folge hat, dass ein Schweizer Kind mit diesem ausreisen müsste. Im Übrigen kann das Gewicht des Kriteriums nur in spezifischen Fällen bzw. bei besonderen Umständen relativiert werden, die es ausnahmsweise rechtfertigen, untergeordnete Verstösse gegen die öffentliche Ordnung nicht so stark zu gewichten, dass sie von vornherein die anderen Kriterien aufwiegen. Dies gilt namentlich, wenn das Kind die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt und der betreffende Elternteil bisher über eine Anwesenheitsbewilligung verfügte, die elterliche Sorge innehat sowie eine sehr enge Beziehung zum Kind pflegt (VGr, 27.Mai 2021, VB.2020.00528, E.4.4.1; BGr, 9.Dezember 2019, 2C_493/2018, E.3.2, und 24.April 2019, 2C_904/2018, E.5.1f., je mit Hinweisen; vgl. BGE140 I 145 E.4.3).

5.3 Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau leben seit dem 1.Juni 2022 freiwillig getrennt. Seither lebt die gemeinsame Tochter bei der Ehefrau des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer machte in seinen Stellungnahmen vom 14.Juli 2022 und vom 16.September 2022 zwar geltend, er wolle beim Gericht die Obhut für seine Tochter beantragen. Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer unterdessen ein Eheschutzverfahren eingeleitet hat, um die alleinige geteilte Obhut über seine Tochter zu erhalten, bestehen jedoch keine. Folglich ist der Beschwerdeführer spätestens seit der Trennung von seiner Ehefrau vor über sechs Monaten nicht mehr die Hauptbetreuungsperson seiner zweijährigen Tochter. Die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung an den Beschwerdeführer hätte dementsprechend zum aktuellen Zeitpunkt nicht zur Folge, dass seine Tochter entweder mit ihm ausreisen müsste ihre Hauptbetreuungsperson verlieren würde. Daher sind bei der Beurteilung des Aufenthaltsanspruchs des Beschwerdeführers gestützt auf Art.8 EMRK diejenigen Voraussetzungen anzuwenden, die gemäss Rechtsprechung für den nicht hauptsächlich betreuungsberechtigten ausländischen Elternteil gelten.

5.4 Von 2008 bis 2014 erwirkte der Beschwerdeführer in Deutschland zahlreiche Jugendstrafen und im Jahr 2019 verurteilte ihn das Landgericht E zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Mit Urteil vom 5.Februar 2018 sprach das Bezirksgericht F den Beschwerdeführer zudem der vorsätzlichen qualifizierten groben Verkehrsregelverletzung sowie des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung schuldig. Es verurteilte ihn zu einer teilbedingten Freiheitstrafe von 18Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Der Beschwerdeführer hat sich folglich nicht weitgehend tadellos verhalten.

Die Probezeit für den vom Bezirksgericht F bedingt ausgesprochenen Teil der Strafe ist noch nicht abgelaufen. Für eine seit dem letzten Delikt vollzogene biografische Kehrtwende bestehen nicht genügend Hinweise. Die Tochter des Beschwerdeführers ist nicht Schweizer Bürgerin. Es sind auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, welche die Straffälligkeit des Beschwerdeführers in den Hintergrund treten lassen. Die Bedeutung des Kriteriums des tadellosen Verhaltens ist daher nicht im Sinn der unter E.5.2 wiedergegebenen Rechtsprechung zu relativieren.

5.5 Seitens des Beschwerdeführers liegt kein weitestgehend tadelloses Verhalten vor. Daher ist ihm gestützt auf Art.50 Abs.1 lit.b AIG und Art.8 Abs.1 EMRK sowie Art.13 Abs.1 BV trotz der Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter keine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Stiefkindern, seine psychischen Probleme sowie sein längerer Aufenthalt in Deutschland vermögen daran nichts zu ändern. Ob die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Tochter in affektiver und wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt eng genug wäre, um eine Aufenthaltsbewilligung zu rechtfertigen, kann offenbleiben.

6.

6.1 In einer dem Beschwerdeführer in der Türkei allenfalls drohenden strafrechtlichen Verfolgung ist kein wichtiger persönlicher Grund im Sinn von Art.50 Abs.1 lit.b AIG zu sehen, da es am notwendigen Konnex zur Ehe fehlt (vgl. Thomas Hugi Yar, Von Trennungen, Härtefällen und Delikten Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und Familiengemeinschaft, in: Alberto Achermann et al. [Hrsg.], Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, Bern 2013, S.31ff., 81; BGr, 18.August 2020, 2C_335/2020, E.3.2 4.Januar 2019, 2C_982/2018, E.3.3.1 2C_766/2013, 1.November 2014, E.2.2 2C_1062/2013, 28.März 2014, E.3.2.2).

6.2 Der Beschwerdeführer hält sich nach eigenen Angaben noch nicht fünf Jahre in der Schweiz auf. Die ermessensweise Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an den Beschwerdeführer kommt daher aufgrund des Vorrangs des Asylverfahrens gemäss Art.14 AsylG nicht in Betracht (vgl. Art.14 Abs.2 lit.a AsylG). Die ausländerrechtliche Zulassung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls im Sinn von Art.30 Abs.1 lit.b AIG verfolgt ferner nicht das Ziel, ausländische Personen gegen den Missbrauch staatlicher Gewalt im Herkunftsland zu schützen. Dafür stehen die Rechtsinstitute des Asyls der vorläufigen Aufnahme zur Verfügung (VGr, 19.Mai 2022, VB.2021.00820, E.5.8.1 und 9.November 2021, VB.2021.00484, E.5.2; vgl. auch BVGr, 5.Dezember 2012, C-930/2009, E.4.5). Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgung in der Türkei ist dementsprechend im Asylverfahren zu beurteilen.

7.

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung des Entscheids des Beschwerdegegners sowie von Dispositiv-Ziff.I des Entscheids der Vorinstanz und die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung beantragt.

8.

Die Verfahrenskosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (§65a Abs.2 in Verbindung mit §13 Abs.2 Satz1 VRG). Eine Parteientschädigung ist ihm nicht zuzusprechen (§17 Abs.2 VRG).

9.

9.1 Der Beschwerdeführer ersucht wie bereits vor der Vorinstanz um Gewährung unentgeltlicher Prozessführung und Rechtsvertretung.

9.2 Gemäss §16 Abs.1 VRG haben Private, welchen die nötigen Mittel fehlen und deren Begehren nicht offenkundig aussichtslos erscheinen, auf Ersuchen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung. Ein Anspruch auf Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsvertretung besteht, wenn sie zusätzlich nicht in der Lage sind, ihre Rechte im Verfahren selbst zu wahren (§16 Abs.2 VRG). Offenkundig aussichtslos sind Begehren, deren Chancen auf Gutheissung um derart viel kleiner als jene auf Abweisung erscheinen, dass sie kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (Kaspar Plüss in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3.A., Zürichetc. 2014, §16 N.46).

9.3 Der Beschwerdeführer ist mittellos. Hinweise darauf, dass er die Stelle bei der HGmbH gemäss Arbeitsvertrag vom 14.November 2021 antreten konnte, bestehen keine.

Als der Beschwerdeführer Rekurs bzw. Beschwerde erhob, lebte er noch mit seiner in der Schweiz niederlassungsberechtigten Ehefrau und der gemeinsamen Tochter zusammen. Seine Ehefrau hat zwei voreheliche Kinder (Jahrgang 2009 und 2011), die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind. Eine Umsiedlung der Familie in die Türkei hätte sich nicht ohne Weiteres als zumutbar erwiesen. Gemäss Feststellung der Vorinstanz wären genügend finanzielle Mittel für einen Familiennachzug nach Art.43 Abs.1 lit.c AIG vorhanden gewesen. Der Anwesenheitsanspruch des Beschwerdeführers hing zum Zeitpunkt der Rekurs- bzw. Beschwerdeerhebung nicht von der strengen Voraussetzung des tadellosen Verhaltens ab. Zumindest zum damaligen Zeitpunkt war die Rekurs- bzw. Beschwerdeerhebung nicht offensichtlich aussichtslos. Dem Beschwerdeführer ist daher die unentgeltliche Rechtspflege für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren zu gewähren.

9.4 Die Vorinstanz wies die Gesuche des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sowie um Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsvertretung für das Rekursverfahren ab und auferlegte die Kosten des Rekursverfahrens dem Beschwerdeführer. Soweit dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Prozessführung sowie die unentgeltliche Rechtsvertretung im Rekursverfahren verweigert wurden, ist die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zur Festlegung der Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertretung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

9.5 Gemäss §9 Abs.1 der Gebührenverordnung des Verwaltungsgerichts vom 3.Juli 2018 (GebV VGr, LS175.252) wird der unentgeltlichen Rechtsbeiständin dem unentgeltlichen Rechtsbeistand der notwendige Zeitaufwand nach den Stundenansätzen des Obergerichts für die amtliche Verteidigung entschädigt, wobei die Bedeutung der Streitsache und die Schwierigkeit des Prozesses berücksichtigt und die Barauslagen separat entschädigt werden. Die Entschädigung beträgt nach §3 der Verordnung (des Obergerichts) über die Anwaltsgebühren vom 8.September 2010 (LS215.3) in der Regel Fr.220.- pro Stunde für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte; für vor Verwaltungsgericht selbständig auftretende Juristinnen Juristen ohne Anwaltspatent gilt in der Regel ein Ansatz von Fr.170.- pro Stunde.

Nach §9 Abs.1 GebV VGr hat die unentgeltliche Rechtsbeiständin der unentgeltliche Rechtsbeistand dem Gericht nach dessen Aufforderung eine detaillierte Zusammenstellung über den Zeitaufwand und über die Auslagen einzureichen. Lic.iur.B reichte am 5.Dezember 2022 eine Kostennote ein, in welcher sie einen Aufwand von insgesamt 9,5Stunden sowie eine Auslagenpauschale im Betrag von Fr.100.- geltend macht. Die Kosten von Fr.100.- für Auslagen werden nicht detailliert aufgelistet und erweisen sich als zu hoch, weshalb sie auf pauschal Fr.50.- zu reduzieren sind. Der geltend gemachte Aufwand von 9,5Stunden ist angemessen. Der Stundenansatz beträgt Fr.170.-. Somit ist lic.iur.B mit Fr.1'665.- zuzüglich Mehrwertsteuer aus der Gerichtskasse zu entschädigen. Sie ist jedoch darauf aufmerksam zu machen, dass sich die eingereichte Honorarnote grundsätzlich auch bezüglich des Stundenaufwands als zu wenig detailliert erweist.

9.6 Der Beschwerdeführer ist darauf hinzuweisen, dass gemäss §16 Abs.4 VRG eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, zur Nachzahlung verpflichtet ist, sobald sie dazu in der Lage ist. Der Anspruch des Kantons verjährt zehn Jahre nach Abschluss des Verfahrens.

10.

Zur Rechtsmittelbelehrung des nachstehenden Dispositivs ist Folgendes zu erläutern: Soweit ein Anwesenheitsanspruch geltend gemacht wird, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art.82ff. des Bundesgerichtsgesetzes vom 17.Juni 2005 (BGG, SR173.110) zulässig. Ansonsten steht die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gemäss Art.113ff. BGG offen. Werden beide Rechtsmittel ergriffen, hat dies in der gleichen Rechtsschrift zu geschehen (Art.119 Abs.1 BGG).

Demgemäss erkennt die Kammer:

Fr. 2'500.--; die übrigen Kosten betragen:
Fr. 120.-- Zustellkosten,
Fr. 2'620.-- Total der Kosten.

a) die Parteien;
b) die Sicherheitsdirektion;
c) das Staatssekretariat für Migration (SEM);
d) die Gerichtskasse (zur Ausrichtung der Entschädigung).

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