Zusammenfassung des Urteils VB.2003.00329: Verwaltungsgericht
A ist türkischer Staatsbürger und lebt in der Schweiz. Seine Tochter B lebt in der Türkei bei ihrer Mutter C. A beantragt die Einreiseerlaubnis für B, die abgelehnt wird. A und B legen Rekurs ein, der ebenfalls abgelehnt wird. Daraufhin erheben sie Beschwerde, um B die Einreise zu ermöglichen. Es wird diskutiert, ob A eine vorrangige familiäre Beziehung zu B hat. Das Gericht entscheidet schliesslich, dass die Beschwerde abgewiesen wird, da keine vorrangige Beziehung zwischen A und B nachgewiesen wurde.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | VB.2003.00329 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | 4. Abteilung/4. Kammer |
Datum: | 03.12.2003 |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
Leitsatz/Stichwort: | Familiennachzug der 11-jährigen Tochter aus erster Ehe wegen Vorrangs von deren Beziehung zum andern Elternteil (Mutter) und/oder zur Grossmutter verweigert. |
Schlagwörter: | Eltern; Beziehung; Elternteil; Sorge; Familie; Mutter; Sorgerecht; Schweiz; Familiennachzug; Tochter; Massnahme; Kinder; Beschwerdeführenden; Kindes; Entscheid; Gericht; Sorgerechts; Verfahren; Pflege; Beschwerde; Familiennachzugs; Einreise; Verhältnis; Beziehungen; Recht; Umteilung |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Cyril Hegnauer, Berner , Art. 252 ZGB ZG, 1984 |
A, geboren 1968, türkischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 8.September 1990 in die Schweiz ein, wo er bei seiner Ehefrau, der türkischen Staatsangehörigen C, geboren 1967, Wohnsitz nahm. Aus dieser Ehe stammt das Kind B, geboren 1992. 1995 erhielt A die Niederlassungsbewilligung für den Kanton Zürich. Die Ehe zwischen ihm und C wurde 1996 in der Türkei geschieden und das Kind B unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. Diese reiste mit B am 21.Oktober 1996 in die Türkei zurück, wo sich das Kind seither aufhält und die Schule besucht. A heiratete 1997 die 1976 geborene E, welche sich seit dem 3.Mai 1997 bei ihm in der Schweiz aufhält und seit dem 13.Mai 2002 im Besitz der Niederlassungsbewilligung ist. Am 22.Juni 1998 wurde ihnen die Tochter F geboren, die ebenfalls über eine Niederlassungsbewilligung verfügt.
Mit Urteil des Bezirksgerichts X in der Türkei vom 16.September 2002 wurde das Sorgerecht für die Tochter B von der Mutter C auf A übertragen und der Mutter ein monatliches Besuchsrecht gegenüber der Tochter eingeräumt. Am 16.Januar 2003 stellte A das Gesuch um Erteilung einer Einreisebewilligung für die Tochter B im Rahmen des Familiennachzugs. Nach Beantwortung diverser Fragen des Migrationsamts durch A wies dieses am 7.Mai 2003 das Gesuch um Einreisebewilligung ab.
II.
Dagegen liessen A und B am 10.Juni 2003 Rekurs beim Regierungsrat erheben und im Wesentlichen beantragen, es sei das Gesuch um Einreisebewilligung gutzuheissen und dem Kind B im Rahmen einer vorsorglichen Massnahme die vorzeitige Einreise in die Schweiz zu erlauben. Gleichentags stellte ihre Vertreterin beim Migrationsamt ein Wiedererwägungsgesuch, auf welches das Amt mit Schreiben vom 18.Juni 2003 nicht eintrat. In der Stellungnahme zum Rekurs beantragte das Migrationsamt dessen Abweisung. Mit Beschluss vom 23.Juli 2003 wies der Regierungsrat den Rekurs ab. Am 24.Juli 2003 liessen A und B noch verschiedene Unterlagen nachreichen, die im Rekursverfahren keine Beachtung mehr finden konnten.
III.
Gegen den Beschluss vom 23.Juli 2003 liess A am 19.September 2003 im eigenen und im Namen seiner Tochter Beschwerde erheben und die folgenden Anträge stellen:
"1. Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben.
2. Der Beschwerdeführerin (B) sei die sofortige Einreise in die Schweiz zum Verbleib beim Beschwerdeführer (A) zu bewilligen.
3. Der Beschwerdeführerin sei die Niederlassungsbewilligung zu erteilen.
4. Die Beschwerde sei beschleunigt zu behandeln [dies als vorsorgliche Massnahme].
5. Die Beschwerdeführerin sei unmittelbar durch einen Vertreter eine geeignete Stelle zu der Frage ihrer vorrangigen familiären Beziehung sowie zu den Gründen für ihren Willen, in die Schweiz zu übersiedeln, anzuhören.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Staatskasse."
Die Staatskanzlei liess sich am 21./22.Oktober 2003 namens des Regierungsrates mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen. Die Beschwerdegegnerin verzichtete stillschweigend auf Beschwerdeantwort.
Die Kammer zieht in Erwägung:
2.3.1 Die beantragte beschleunigte Behandlung des vorliegenden Verfahrens lässt sich nicht in den Mantel einer vorsorglichen Massnahme kleiden, um dem Beschleunigungsgebot auf diese Weise die Eigenschaft eines durchsetzbaren Anspruchs zu vermitteln. Vorsorgliche Massnahmen sind Anordnungen in Verfügungsform, die im Hinblick auf ein einzuleitendes Hauptverfahren während dessen Dauer erlassen werden, um die Wirksamkeit des nachfolgend zu erlassenden Entscheids in der Hauptsache sicherzustellen (Kölz/Bosshart/Röhl, §6 N.1+5). Mit vorsorglichen Massnahmen wird eine materielle Übergangslösung bis zur Entscheidung in der Hauptsache getroffen (vgl. Isabelle Häner, Vorsorgliche Massnahmen im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, ZSR 116/1997 II, S.253ff., Rz.2 S.264). Eine solche stellt die beschleunigte Behandlung des Verfahrens nicht dar, weshalb sie von vornherein als vorsorgliche Massnahme ausser Betracht fällt.
2.3.2 Allerdings könnte auch Antrag 2 (es sei der Beschwerdeführerin2 die sofortige Einreise in die Schweiz zu bewilligen) als Begehren um eine vorsorgliche Massnahme aufgefasst werden. Der Beschwerdebegründung lässt sich dies jedoch nicht entnehmen. Die Frage kann ohnehin offen bleiben; ein schwerer, wahrscheinlich eintretender Nachteil für die Beschwerdeführerin 2 das Verhältnis zwischen den Beschwerdeführenden, der die Wirksamkeit des Endentscheids vereiteln würde, wird nicht dargetan (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, §6 N.10). Sollte Antrag 2 ein Begehren um vorsorgliche Massnahmen darstellen, könnte diesem folglich nicht stattgegeben werden.
4.4.1 Nach dem türkischen Zivilgesetzbuch Nr.4721 vom 22.November 2001 (tZGB), in Kraft seit 1.Januar 2002, regelt das Gericht mit dem Scheidungs- Trennungsurteil die Rechte der Eltern und ihre persönlichen Beziehungen zu dem Kind, nachdem die Eltern soweit möglich gehört worden sind. Bei der Ausgestaltung der persönlichen Beziehungen zwischen dem Kind und dem Ehegatten, dem die Ausübung des Sorgerechts nicht übertragen wurde, wird das Wohl des Kindes unter Berücksichtigung von Gesundheit, Erziehung und Moral zugrundegelegt (Art.182 Abs.1 und 2 tZGB). Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Scheidung sind ohne richterliche Zustimmung nicht wirksam (Art.184 Ziff.5 tZGB). Jeder Elternteil hat das Recht, mit demjenigen Kind, das nicht unter seiner elterlichen Sorge steht ihm nicht zugesprochen wurde, angemessenen persönlichen Verkehr zu pflegen (Art.323 tZGB). Das Recht zum persönlichen Verkehr kann allerdings versagt entzogen werden, wenn der betreffende Elternteil schwerwiegendes Desinteresse zeigt sonstige schwerwiegende Gründe vorliegen (Art.324 Abs.2 tZGB). Ändern sich die Verhältnisse der Eltern infolge von Ereignissen wie Heirat mit einer dritten Person, Wegzug Tod eines Ehegatten massgeblich, so trifft das Gericht auf Begehren eines Elternteils von Amts wegen die erforderlichen Massnahmen (Art.183 tZGB), wobei die im Scheidungsverfahren geltenden Grundsätze zu berücksichtigen sind.
4.4.2 Nach dem eben Ausgeführten hätte sich das Bezirksgericht X beim Entscheid über die Umteilung des Sorgerechts über die Beschwerdeführerin2 an den Beschwerdeführer1 demnach nicht allein auf das Argument der besseren Ausbildungsmöglichkeiten im Ausland abstützen dürfen, sagen diese doch wenig darüber aus, ob eine Ausbildung im Ausland und die damit verbundene Unterbringung beim dort lebenden Elternteil mit dem Wohl des Kindes vereinbar sind. Es ist hier allerdings nicht der Ort, um das Verfahren vor dem Bezirksgericht X im Detail auf seine Rechtmässigkeit hin zu überprüfen. Nach der Praxis soll der Begriff des Kindeswohls bei kleinen Kindern primär das Bedürfnis nach mütterlicher Zuwendung, bei älteren mehr den Gedanken der Förderung betonen, weshalb dort eher Entscheidungen zugunsten der Väter ergehen können (Alexander Bergmann/Murad Ferid/Dieter Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Band XVII: Türkei, Frankfurt a.M./Berlin 2003, S.44). Dies ändert aber nichts daran, dass dem erwähnten Gerichtsurteil eine Verlagerung der Beziehungsintensität auf den Beschwerdeführer1 nicht zu entnehmen ist und für die Umteilung des Sorgerechts die Beziehung des Beschwerdeführers1 zur Beschwerdeführerin2 in erster Linie nicht ausschlaggebend war. Dass den besseren Ausbildungsmöglichkeiten im Ausland eine verlagerte Beziehungsintensität zum dort lebenden Elternteil immanent wäre, lässt sich jedenfalls nicht generell annehmen.
4.4.3 Offensichtlich unzutreffend ist das Vorbringen der Beschwerdeführenden, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Beschwerdeführer 1 faktisch das Einverständnis der Mutter C vorausgesetzt habe. Damit soll wohl erklärt werden,
Nach Art.183 tZGB hätte es dem Beschwerdeführer 1 allerdings offen gestanden, die Umteilung des Sorgerechts schon zu verlangen, als er sich 1997 erneut verheiratet hatte, spätestens aber, nachdem sich C seiner Darstellung zufolge bereits im Herbst 1997 von der Tochter abgewandt und diese seinen Eltern zur Pflege überlassen hatte. Wenn die Kindsmutter auf diese Weise schon damals durch nachhaltiges Desinteresse an der Pflege und Erziehung ihres eigenen Kindes aufgefallen wäre, hätte der Beschwerdeführer 2 wohl gute Chancen gehabt, auf dem Klageweg die Umteilung der elterlichen Sorge zu erreichen, möglicherweise sogar, ohne dass der Kindsmutter ein Besuchsrecht eingeräumt worden wäre (vgl. Art.182 Abs.2 in Verbindung mit Art.324 Abs.2 tZGB). Ein Versagen der leiblichen Mutter der Beschwerdeführerin2 ist von den Beschwerdeführenden allerdings gerade nicht nachgewiesen worden. Dies mag erklären, weshalb der Beschwerdeführer1 das Einverständnis der Kindsmutter zur Umteilung der elterlichen Sorge einholen und sie davon überzeugen musste, einer Sorgerechtsumteilung zuzustimmen und selber Klage zu erheben, was offenbar einige Zeit in Anspruch nahm. Es bleibt daher festzuhalten, dass auch der Zeitpunkt der Sorgerechtsübertragung und die damit verbundenen Umstände gegen ein vorrangiges Verhältnis des Beschwerdeführers1 zur Beschwerdeführerin2 sprechen.
4.4.4 Abzulehnen ist die Meinung der Beschwerdeführenden, die Frage der vorrangigen Beziehung könne sich nicht zwischen einem Elternteil und Drittpersonen stellen. Es kann dazu auf die zitierte Bundesgerichtsrechtsprechung verwiesen werden (vorn 3.1). Wenig überzeugend erscheint zudem die Darstellung in der Beschwerdeschrift, wonach die in der Familie offen deklarierten Bemühungen des Beschwerdeführers1, das Sorgerecht für die Beschwerdeführerin2 zu erlangen, die Grossmutter von der Vorstellung abgehalten habe, die Rolle der Mutter übernehmen zu müssen. Konkrete Bemühungen zur Umteilung des Sorgerechts werden vom Beschwerdeführer1 weder in zeitlicher noch sachlicher Hinsicht dargelegt. Ob die Grossmutter wegen der behaupteten Bemühungen um die Sorgerechtsumteilung ihre Pflegeaufgabe immer nur als vorübergehend und vorläufig begriffen habe, kann als innerer Vorgang offen bleiben. Massgebend ist, ob und inwiefern sich ihre behauptete Einstellung gegenüber der Beschwerdeführerin2 ausgewirkt hat. Darüber erfährt man nichts Substanzielles. Daran ändert auch das Vorbringen nichts, wonach sich die Haltung der Grossmutter, gerade angesichts der erneuten Heirat des Beschwerdeführers 1 und der Geburt von dessen zweiter Tochter F (1998) nur vorläufig die Pflegeaufgabe auszuüben, auch im Umgang mit der Beschwerdeführerin2 niedergeschlagen haben soll, was nicht näher ausgeführt wird. Dass das Kind seine Grossmutter von Anfang an in einer nur provisorischen Pflege- und Erziehungsfunktion erlebt hätte, ist damit nicht dargetan.
4.4.5 Insgesamt ist daher nicht von der vorrangigen Beziehung des Beschwerdeführers1 zur Beschwerdeführerin2 auszugehen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer1 seiner Pflicht zur Mitwirkung bei der Abklärung der genauen Verhältnisse nur unzureichend nachgekommen ist. So verlangte die Beschwerdegegnerin am 28.Februar 2003 unter anderem Auskunft darüber, wo genau, bei wem und in welchem Beziehungsfeld die Beschwerdeführerin2 seit ihrer Geburt gelebt habe. Der Beschwerdeführer1 gab an, diese habe seit Juni 1996 bei seinen Eltern gelebt, was seiner eigenen Darstellung im Rechtsmittelverfahren widerspricht. Der Beschwerdeführer1 unterliess es zudem, irgendwelche Zeugnisse der Beschwerdeführerin2 einzulegen, woraus sich allenfalls deren Aufenthaltsort nach dem Schulwechsel im Mai 2001 hätte ersehen lassen, und erwähnte, die Tochter besuche die Primarschule in X, während es gemäss Beschwerdeschrift diejenige von Y, 50 km entfernt von X, gewesen sein soll. Demnach ist davon auszugehen, dass die vorrangige Beziehung der Beschwerdeführerin2 zur Grossmutter und/oder zur leiblichen Mutter besteht, nicht aber zum Beschwerdeführer1.
Sofern die Beschwerdeführenden beantragen, es sei der Beschwerdeführerin2 Gelegenheit zu geben, sich unmittelbar durch einen unabhängigen Vertreter eine geeignete Stelle frei zu den aktuellen Betreuungsverhältnissen und den Gründen für ihren Willen, in die Schweiz zu übersiedeln, zu äussern, ist ihnen nicht zu folgen. Einerseits liegt ein undatiertes Schreiben des Kindes bei den Akten, das im vorliegenden Verfahren noch berücksichtigt werden kann und woraus der Wille des Kindes, in die Schweiz zum Beschwerdeführer1 zu ziehen, hervorgeht (Kölz/Bosshart/Röhl, §52 N.11f.). Anderseits ist ein Kind nach der UNO-Kinderrechtekonvention im fremdenpolizeilichen Verfahren nicht zwingend persönlich, sondern lediglich in angemessener Weise anzuhören. Die Anhörung kann je nach der zu behandelnden Problematik und den Umständen des Einzelfalles auch schriftlich über einen Vertreter vorgenommen werden (BGE 124II361 E.3c mit Hinweisen). Vorliegend ist die Beschwerdeführerin2 am Verfahren beteiligt und über ihren Vater auch anwaltschaftlich vertreten. Die Anforderungen von Art.12 KRK müssen demnach als erfüllt gelten (vgl. auch BGer, 11.Dezember 2002, 2A.456/2002, E.3.6, www.bger.ch).
Demgemäss entscheidet die Kammer:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf
Fr. 2'000.--; die übrigen Kosten betragen:
Fr. 60.-- Zustellungskosten,
Fr. 2'060.-- Total der Kosten.
3. Die Gerichtskosten werden den Beschwerdeführenden je zur Hälfte auferlegt, unter solidarischer Haftung füreinander.
4. Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.
5. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der Zustellung an gerechnet, Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben werden.
6.
Abweichende Meinung des Gerichtssekretärs
(§71 VRG in Verbindung mit §138 Abs.4 des Gerichtsverfassungsgesetzes
vom 13. Juni 1976)
Gegen den vorliegenden Entscheid sind zwei Einwände vorzubringen; der eine betrifft die Voraussetzungen des Familiennachzugs (und richtet sich somit auch gegen die entsprechende bundesgerichtliche Praxis), der andere die Beweiswürdigung.
Der Entscheid des Verwaltungsgerichts geht im Einklang mit der bundesgerichtlichen Praxis davon aus, dass dem Familiennachzug durch einen einzelnen Elternteil eine vorrangige Beziehung nicht nur zum andern Elternteil, sondern auch zu weiteren (nahen) Verwandten entgegenstehen könne. Zudem müssten in einem solchen Fall stichhaltige Gründe den Nachzug rechtfertigen; dieser müsse sich zur Pflege des Kindes als notwendig erweisen.
Das Bundesgericht ordnet die Frage implizit der Prüfung der Tangierung des Schutzbereichs zu. Davon kann namentlich deshalb ausgegangen werden, weil es sie unter dem Gesichtspunkt des Zwecks des Familiennachzugs betrachtet. Dieser Aspekt ist der Umschreibung des Schutzbereichs des Grundrechts auf Familienleben zuzuordnen (BGE 129II11 E.3.1.1).
Werden allerdings die entscheidenden Fragen bereits unter dem Gesichtspunkt abgehandelt, ob der Schutzbereich des Grundrechts tangiert ist, so wird der Grundrechtsschutz tendenziell entwertet, weil die Abwägung nach weniger transparenten Voraussetzungen erfolgt, als wenn die Kriterien von Art.8 Abs.2 EMRK bzw. Art.36 BV zur Anwendung gelangen.
"Eine rein grammatikalische Auslegung des alten Textes von Art.17 Abs.2 ANAG lässt zwar den Schluss auf einen bedingungslosen Anspruch auf Einbezug des Kindes in die Niederlassungsbewilligung des Elternteiles in der Schweiz zu, sofern ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind vorgesehen ist (Peter Kottusch, Zur rechtlichen Regelung des Familiennachzugs von Ausländern, in: ZBl 90/1989, S.346). Der neue Wortlaut von Art.17 Abs.2 ANAG verdeutlicht aber die schon früher geltende (vgl. Kottusch, a.a.O., S.346f.) Ausrichtung des Gesetzes auf die rechtliche Absicherung des Zusammenlebens der Gesamtfamilie; das Gesetz verlangt nun ausdrücklich, dass die Kinder mit ihren Eltern (Plural) zusammen wohnen werden. Nach der Systematik vgl. die beiden ersten Sätze der Bestimmung geht Art.17 Abs.2 ANAG vom Zusammenleben von Vater und Mutter aus, wobei dies natürlich unter dem Vorbehalt steht, dass beide Eltern überhaupt noch leben. Die Nachzugsregelung ist daher zugeschnitten auf den Fall, dass die eheliche Beziehung der gemeinsamen Eltern intakt ist (vgl. BBl 1987III322)."
Diese Begründung ist fragwürdig.
Diese Praxis widerspricht auch der zum Recht auf Familienleben gemäss Art.8 EMRK entwickelten Systematik, indem sie die Beziehungen innerhalb der Kernfamilie weniger stark gewichtet als Beziehungen zu weiteren Verwandten. (Zur Definition des Familienlebens vgl. etwa Martina Caroni, Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, Berlin 1999, S.21ff.)
Schliesslich ist auch die Unzulässigkeit einer (faktischen) Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern zu beachten; diese Frage stellt sich im Anwendungsbereich von Art.8 EMRK unter dem Gesichtspunkt einer allfälligen Diskriminierung aufgrund der Geburt im Sinn von Art.14 EMRK und im Anwendungsbereich von Art.17 Abs.2 ANAG aufgrund einer systematischen Auslegung unter Miteinbezug der bewussten Abschaffung der einst unterschiedlichen Wertung von Ehelichkeit und Ausserehelichkeit im Zivilgesetzbuch (ZGB; vgl. hierzu Cyril Hegnauer, Berner Kommentar, 1984, Einleitung [zu Art.252-269c ZGB] N.63): Zwar knüpft die bundesgerichtliche Praxis grundsätzlich nicht daran an, ob das Kind ehelich nichtehelich geboren wurde (wobei in BGE 129II11 E.3.3.1 immerhin gewisse Erleichterungen für den Familiennachzug durch einen verwitweten Elternteil eingeräumt wurden). Doch sind faktisch nichteheliche Kinder von der Benachteiligung besonders betroffen. Nicht überzeugend ist die Argumentation des Bundesgerichts, es liege keine Diskriminierung vor, weil die Kinder verheirateter Eltern nach der Vorstellung des Gesetzgebers regelmässig zusammen mit dem vorerst in der Heimat zurückgebliebenen Elternteil nachgezogen würden und sich die Frage ihrer Beziehungen zu Drittpersonen deshalb im Normalfall gar nicht stelle (BGE 125II585 E.2c): Manchmal stellt sich diese Frage gleichwohl, doch das Bundesgericht berücksichtigt die Beziehungen zu Drittpersonen bei Kindern zusammenlebender Eltern auch dann grundsätzlich nicht, wenn diese Kinder im Heimatland vorerst von Dritten betreut werden (BGE 126II329 E.3b). Es geht auch nicht an, allein erziehenden Eltern allgemein häufigeren Missbrauch zu unterstellen (vgl. BGE 126II329 E.3b).
Der Nachzug im Rahmen von Einelternfamilien und durch verwitwete Elternteile ist daher dem Nachzug durch beide Elternteile gleichzustellen.
natürlich unter dem Vorbehalt , dass beide Eltern überhaupt noch leben" (Hervorhebung nicht im Original). Diese Formulierung zeigt, dass die Praxis für verwitwete Eltern nicht gelten sollte und im Übrigen auch nicht auf Einelternfamilien zugeschnitten war. Ohne Bezug auf diesen Entscheid hat das Gericht dagegen nicht nur die Einelternfamilien, sondern (in BGE 129II11 E.3.1.4+3.3.1) auch den Familiennachzug durch einen verwitweten Elternteil grundsätzlich den strengeren Regeln des Familiennachzugs für Kinder, die beim andern Elternteil leben, unterstellt.
"Sind die Eltern jedoch voneinander getrennt gar geschieden, und hält sich der eine Elternteil in der Schweiz, der andere aber im Ausland auf, kann es gar nicht um eine Zusammenführung der Gesamtfamilie gehen. In solchen Fällen entspricht es dem Gesetzeszweck nicht, einen bedingungslosen Anspruch auf Nachzug der Kinder anzunehmen. Ein Nachzugsrecht setzt vielmehr voraus, dass das Kind zum in der Schweiz lebenden Elternteil die vorrangige familiäre Beziehung unterhält.
Dabei kommt es nicht nur auf die bisherigen Verhältnisse an, sondern es können auch nachträglich eingetretene gar künftige Umstände wesentlich werden. Namentlich kann nicht entscheidend sein, in welchem Land das Kind bisher seinen Lebensmittelpunkt hatte, bliebe doch sonst ein Nachzugsrecht praktisch immer wirkungslos. Zu berücksichtigen ist aber, bei welchem Elternteil das Kind bisher gelebt hat, beziehungsweise wem in der Scheidung das Sorgerecht zugesprochen worden ist; sollte sich das Kindesinteresse in der Zwischenzeit geändert haben, so wäre für eine Anpassung der familiären Verhältnisse in der Regel zunächst der privatrechtliche Weg zu beschreiten. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen klare Anhaltspunkte für neue familiäre Abhängigkeiten zum Beispiel beim Tod des sorgeberechtigten Elternteils bei neu sich abzeichnenden Pflegebedürfnissen für eine wesentliche Verlagerung der Beziehungsintensitäten bestehen."
BGE 118Ib153 E.2b ist somit nur zu entnehmen, dass der Familiennachzug durch einen geschiedenen Elternteil grundsätzlich davon abhänge, ob dem betreffenden Elternteil das Sorgerecht zustehe, unter Vorbehalt klarer Anhaltspunkte für eine wesentliche Verlagerung der Beziehungsintensität. Die Bezugnahme auf diesen Entscheid in BGE 122II385 E.4b ist demnach bewusst unbewusst irreführend. Das Kriterium der "Notwendigkeit" des Familiennachzugs, dessen Geltungsbereich später auf Einelternfamilien und verwitwete Elternteile ausgedehnt wurde, wird methodisch nicht überzeugend eingeführt.
"Il est vrai que ces derniers [die Eltern] ont choisi, après que Sinem [die Tochter] ait passé les trois premières années de sa vie avec sa mère, de laisser leur aînée en Turquie lorsque la deuxième requérante [die Mutter] est venue rejoindre son époux aux Pays-Bas Cette circonstance intervenue dans la prime enfance de Sinem ne saurait toutefois être considérée comme une décision irrevocable de fixer, à tout jamais, son lieu de résidence dans ce pays et de ne garder avec elle que des liens épisodiques et distendus, renonçant definitivement à sa compagnie et abandonnant par là toute idée de réunification de leur famille."
Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass eine vorrangige Beziehung der Beschwerdeführerin 2 zur Grossmutter dem Familiennachzug nicht a priori entgegengehalten werden kann. Das Gegenteil gälte allerdings in Bezug auf eine vorrangige Beziehung zur Mutter.
2.3.1 Bei der Mitwirkungspflicht handelt es sich um eine beschränkte Pflicht der Beteiligten, an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken. Sie korreliert mit dem Mitwirkungsrecht bei der Beweisbeschaffung. Im Allgemeinen endet die behördliche Untersuchungspflicht und beginnt die Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten dort, wo keine besonderen Umstände und Anhaltspunkte in den Akten es den Verwaltungsbehörden nahelegen, den Sachverhalt weiter zu erforschen. Die Beteiligten sind über die ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten aufzuklären. Lassen sie an der Mitwirkung fehlen, so darf gleichwohl nur mit Zurückhaltung von der Fiktion ausgegangen werden, der zu belegende Sachverhalt habe sich nicht verwirklicht (Kölz/Bosshart/Röhl, §7 N.60+62+63+68).
2.3.2 Im vorliegenden Fall boten die Beschwerdeführenden die Aussage der Tochter sowie Bestätigungen weiterer Verwandter als Beweismittel an. Das Verwaltungsgericht weist diese Ansinnen ab. Es geht aber nicht an, einerseits die Abnahme angebotener Beweismittel abzulehnen und anderseits eine angeblich ungenügende Erfüllung der Mitwirkungspflicht zu Ungunsten der Beschwerdeführenden zu gewichten (vgl. auch BGE 118Ib153 E.1c S.158). Auch das akribische, teilweise lebensfremde Sammeln und Auflisten von Widersprüchen und Auslassungen in den Äusserungen der Beschwerdeführenden und in den eingereichten Dokumenten vermag eine seriöse Sachverhaltsabklärung zu welcher die Beschwerdeführenden natürlich heranzuziehen wären nicht zu ersetzen.
Im vorliegenden Fall hätte demnach das Verwaltungsgericht zumindest klären müssen (bzw. die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin anhalten müssen abzuklären), ob die Beschwerdeführerin 2 von der Mutter (genügend) betreut wird. Wenn dies zu verneinen wäre, müsste eine umfassende Interessenabwägung zur Bewilligung des Familiennachzugs führen. Es wäre sogar ebenfalls vertretbar gewesen, aufgrund der Akten eine vorrangige Beziehung zur Mutter zu verneinen (weil die Beschwerdeführerin 2 jedenfalls 1997-2001 bei den Grosseltern lebte und sich seither zumindest sporadisch bei diesen aufhalten dürfte) und die Beschwerde gutzuheissen.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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