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Urteil Verwaltungsgericht (SO - ZKBER.2023.12)

Zusammenfassung des Urteils ZKBER.2023.12: Verwaltungsgericht

A.___

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts ZKBER.2023.12

Kanton:SO
Fallnummer:ZKBER.2023.12
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Zivilkammer
Verwaltungsgericht Entscheid ZKBER.2023.12 vom 30.10.2023 (SO)
Datum:30.10.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Mietzins; Berufung; Beweis; Vergleich; Mietzinse; Miete; Berufungsklägerin; Mieter; Herabsetzung; Vermutung; Missbräuchlichkeit; Mietzinses; Berufungsbeklagte; Vergleichsobjekte; Vermieter; Beweislast; Vorinstanz; Quartier; Gutachten; Urteil; Gericht; Quartierüblichkeit; Klage; Apos; Bundesgericht; Anfangsmietzins
Rechtsnorm: Art. 104 ZPO ;Art. 243 ZPO ;Art. 269 OR ;Art. 269a OR ;Art. 270a OR ;Art. 8 ZGB ;
Referenz BGE:122 III 257; 127 III 411; 141 III 569; 147 III 431;
Kommentar:
Thomas Sutter, Thomas Sutter-Somm, Sutter-Somm, David, Schweizer, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich, Art. 104 OR, 2016

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZKBER.2023.12

 
Geschäftsnummer: ZKBER.2023.12
Instanz: Zivilkammer
Entscheiddatum: 30.10.2023 
FindInfo-Nummer: O_ZK.2023.129
Titel: Forderung aus Mietvertrag (vereinfachtes Verfahren gemäss Art. 243 ff. ZPO)

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

 

Urteil vom 30. Oktober 2023                                 

Es wirken mit:

Präsidentin Hunkeler

Oberrichterin Kofmel

Oberrichter Frey    

Gerichtsschreiber Schaller

In Sachen

A.___,

vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Brodbeck,

 

Berufungsklägerin

 

 

gegen

 

 

B.___,

vertreten durch Advokat Lukas Polivka

 

Berufungsbeklagter

 

betreffend Forderung aus Mietvertrag (vereinfachtes Verfahren gemäss Art. 243 ff. ZPO)


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

1. Die Parteien schlossen per 1. Februar 2010 einen Mietvertrag für eine 5 ½-Zimmerwohnung an der [...]strasse [...] in [...] ab.

 

2. A.___ (im Folgenden die Klägerin die Mieterin) erhob am 1. Februar 2021 beim Richteramt Dorneck-Thierstein gegen B.___ (im Folgenden der Beklagte der Vermieter) sowohl Klage betreffend Mietvertragsänderung wie auch Klage auf Herabsetzung des Mietzinses. Sie verlangte u.a., es sei festzustellen, dass die vom Beklagten mit amtlichem Formular angezeigte Mietvertragsänderung vom 17. Juni 2020 nichtig sei und dass der monatliche Nettomietzins der Wohnung per 1. Oktober 2020 um CHF 389.60 auf CHF 1'810.40 herabzusetzen sei, u.K.u.E.F.

 

3. Der Beklagte schloss in seiner Klageantwort vom 2. Juli 2021 auf vollumfängliche Abweisung der Klage, u.K.u.E.F.

 

4. Am 2. November 2022 fällte die Amtsgerichtspräsidentin folgendes Urteil:

1.    Auf die Klage betreffend «Mietvertragsänderung vom 17.06.2020» wird nicht eingetreten.

2.    Die Klage betreffend Mietzinssenkung wird abgewiesen.

3.    Die Klägerin hat dem Beklagten eine Parteientschädigung von CHF 9'274.90 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen.

4.    Die Gerichtskosten von CHF 5'400.00 hat die Klägerin zu bezahlen. Sie werden mit dem von der Klägerin geleisteten Gerichtskostenvorschusses verrechnet.

 

5. Gegen das begründete Urteil erhob die Klägerin (im Folgenden auch die Berufungsklägerin) am 27. Februar 2023 frist- und formgerecht Berufung an das Obergericht und verlangte die Aufhebung der Ziffern 2, 3 und 4. Dementsprechend wiederholte sie das bei der Vorinstanz gestellte Rechtsbegehren, dass der monatliche Nettomietzins der 5 ½ Zimmerwohnung an der [...]strasse [...] in [...] vom 1. Oktober 2020 bis 31. Januar 2023 um CHF 389.60 auf CHF 1'810.40 herabzusetzen sei, u.K.u.E.F. In Bezug auf die Mietvertragsänderung blieb das vor-instanzliche Urteil unangefochten und bildet im Weiteren keinen Bestandteil des vorliegenden Berufungsverfahrens.

 

6. Der Beklagte (im Folgenden auch der Berufungsbeklagte) beantragte in seiner Berufungsantwort vom 11. Mai 2023, die Berufung sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, u.K.u.E.F. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 

7. Auf die Ausführungen der Parteien und der Vorinstanz wird im Folgenden soweit entscheidrelevant eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.

1. Die Amtsgerichtspräsidentin hat die Abweisung des Begehrens um Herabsetzung des Mietzinses damit begründet, dass das eingeholte gerichtliche Gutachten die Anfangsvermutung der Missbräuchlichkeit des Mietzinses umgestossen habe. Die Mieterschaft trage die Beweislast für die behauptete Missbräuchlichkeit des Mietzinses. Gemäss Art. 269a lit. a OR seien Mietzinse nicht missbräuchlich, wenn sie im Rahmen der orts- quartierüblichen Mietzinse lägen. Bei der Anfechtung des Mietzinses obliege der Nachweis der fünf Vergleichsobjekte der Mieterschaft. Die Vermieterschaft, welche nicht die Beweislast habe, müsse bei der Beweiserhebung loyal mitwirken und die Elemente liefern, die sie alleine halte. Bei der Vermutung der Missbräuchlichkeit handle es sich um eine tatsächliche Vermutung. Tatsächliche Vermutungen bewirkten keine Umkehr der Beweislast zu Gunsten des Vermutungsträgers, sondern beträfen lediglich die Beweiswürdigung. Der Vermutungsträger könne den ihm obliegenden (Haupt-)Beweis unter Berufung auf die tatsächliche Vermutung erbringen. Folglich trage im vorliegenden Fall die Klägerin die Beweislast betreffend die behauptete Missbräuchlichkeit des Mietzinses. Falls die Vermutung der Missbräuchlichkeit greife, könne der Beklagte an der Vermutung Zweifel streuen. Gelinge ihm das, so habe die Klägerin wiederum den vollen Beweis der Missbräuchlichkeit zu erbringen. Die Reduktion des Referenzzinssatzes führe zur Anwendbarkeit der Vermutung zugunsten der Klägerin, dass die aktuellen Mietzinse missbräuchlich seien. Mit dem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten der [...] habe der Beklagte als Vermieter genügend Zweifel an der Richtigkeit der Indizien (Senkung des Referenzzinssatzes) der Missbräuchlichkeit des Mietzinses streuen können. Im Gutachten würden fünf Vergleichsobjekte in den umliegenden Gemeinden [...] und [...] herangezogen. Die Vergleichsobjekte hätten zwischen 4.5 und 5.5 Zimmer ([...]strasse: 5.5), eine vergleichbare Lage und Distanz zur Schule, zu Einkaufsmöglichkeiten, zur Naherholung und zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie eine vergleichbare Ausstattung. Die Bauperiode liege zwischen 1978 und 2003 ([...]strasse: 1998). Die Vergleichsobjekte eigneten sich somit für die Entkräftung der Vermutung der Missbräuchlichkeit, zumal in diesem Stadium nicht der eigentliche Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit erfolgen müsse. Aus dem Gutachten werde ersichtlich, dass der Mietzins von CHF 2'260.00 (bestritten) resp. CHF 2'460.00 der Liegenschaft an der [...]strasse weit unter der Missbrauchsgrenze von CHF 2'721.00 liege. Es könne vorliegend deshalb nicht von einem missbräuchlichen Mietzins gesprochen werden.

 

2.1 Die Berufungsklägerin bringt zusammenfassend vor, dass die Vorinstanz von einer unrichtigen Beweismass- und Beweislastverteilung ausgegangen sei. Die Urteile A4_559/2015 vom 22. August 2016, E. 2.1 und 4A_250/2012 vom 28. August 2012, E. 2.3, auf welche die Vorderrichterin ihre Auffassung stütze, seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Im Fall A4_559/2015 habe die Mieterschaft ein Herabsetzungsbegehren gestellt und sich zur Begründung auf die Nettorendite berufen. Dort liege der Beweis für einen unzulässigen Ertrag beim Mieter. Die nicht beweisbelastete Partei müsse bei der Beschaffung der Unterlagen nach Treu und Glauben mitwirken und jene Belege einreichen, auf die nur sie Zugriff habe. Im Fall 4A_250/2012 habe das Bundesgericht beurteilen müssen ob ein von der Mieterschaft angefochtener Anfangsmietzins missbräuchlich sei. Das Bundesgericht habe ausgeführt, bei der Anfechtung des Anfangsmietzinses müsse die Mieterschaft die Tatsachen beweisen, die es erlaubten, die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses festzustellen. Der Vermieter müsse jedoch bei der Beweisführung loyal mitwirken. Die Vorinstanz verkenne, dass die Berufungsklägerin das Herabsetzungsbegehren unter Berufung auf Art. 270a OR infolge des gesunkenen Referenzzinssatzes gestellt habe. Die Beweislastverteilung sei mit Blick auf die unterschiedlichen Berufungsgründe nicht identisch. Sie trage den Nachweis des von ihr geltend gemachten Senkungsgrundes. Mit dem gesunkenen Referenzzinssatz habe sie den Beweis der Missbräuchlichkeit des Mietzinses erbracht. Der Beweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses liege beim Berufungsbeklagten, da er diesen Einwand als rechtshindernde Tatsache gegen das Senkungsbegehren der Berufungsklägerin erhebe. Es genüge somit nicht, dass er lediglich Zweifel an der von ihr bewiesenen Missbräuchlichkeit erwecke.

 

2.2 Gestützt auf das Gerichtsgutachten und die Ausführungen des Gutachters anlässlich der Hauptverhandlung gelinge dem Berufungsbeklagten der Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit nicht. Die Vorinstanz führe in pauschaler Weise aus, dass im Gerichtsgutachten fünf Vergleichsobjekte in den umliegenden Gemeinden [...] und [...] herangezogen worden seien. Sie habe sich nicht mit den Vergleichsobjekten und mit den Kriterien gemäss Art. 11 Abs. 1 VMWG auseinandergesetzt. Dies führe zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. So habe sich die Vorinstanz insbesondere nicht zur der von der Berufungsklägerin geltend gemachten Tatsache geäussert, dass es sich bei den im Gutachten genannten Vergleichsobjekten nicht um tatsächlich vermietete Objekte handle, sondern um Inserate. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei der Vergleich mit Vermietungsinseraten nicht zulässig, weshalb die im Gutachten genannten Objekte für den Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit bereits vorab ausscheiden würden. In Bezug auf das Kriterium «Lage» müssten die Vergleichsobjekte in der Regel in der gleichen Ortschaft, dass heisse, der gleichen politischen Gemeinde liegen. Zudem erlaube das Gutachten keine Rückschlüsse über die Lage der Wohnungen in Bezug auf Immissionen, Aussicht und Besonnung. Auch in Bezug auf das Kriterium «Grösse» und das Kriterium «Bauperiode» seien die verglichenen Wohnungen mit dem vorliegend streitbetroffenen Mietobjekt nicht vergleichbar. Weiter enthalte das Gutachten nur rudimentäre Aussagen über den «Zustand» und die «Ausstattung», welche keinen Vergleich der genannten Objekte mit der von der Berufungsklägerin gemieteten Wohnung erlaubten. Schliesslich enthalte das Gutachten keine Angaben über die Kostenstände der darin erwähnten Objekte.

 

3. Der Berufungsbeklagte hält dem entgegen, er habe im vorinstanzlichen Verfahren in Bezug auf die Frage des orts- und quartierüblichen Mietzinses die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens beantragt, in welchem fünf Vergleichsobjekte zur Erörterung der im Raum stehenden Problematik herangezogen worden seien. Das angebliche Erfordernis der fünf Vergleichsobjekte, auf welche sich die Klägerin fälschlicherweise berufe, sei ein «Steinzeitmodell» aus dem letzten Jahrtausend, als noch keine Markttransparenz bestanden habe. Art. 11 Abs. 1 VMWG stelle Verordnungsrecht dar, wohl ohne gesetzliche Grundlage. Die Anzahl von fünf Vergleichsobjekten ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der Verordnung, sondern aus der Rechtsprechung. Es müsse möglich sein, den orts- und quartierüblichen Mietzins im Sinne der prozessrechtlichen Beweismittelfreiheit mit allen zulässigen Beweismitteln zu erwahren. Dazu gehöre auch der Beweis mittels Gutachten. Aus diesem sei hervorgegangen, dass der orts- und quartierübliche Mietzins für das von der Berufungsklägerin gemietete Mietobjekt weit über dem von ihr zu bezahlenden Nettomietzins liege. Darauf aufbauend sei folglich nicht nur die Vermutung der Missbräuchlichkeit des in Frage stehenden Mietzinses umgestossen, sondern vielmehr sogar der Nachweis dafür erbracht worden, dass der aktuelle Nettomietzins als orts- und quartierüblich gelte. Somit stelle sich die von der Berufungsklägerin in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gestellte Frage der Beweislastverteilung gar nicht. Wenn der monatliche Nettomietzins von CHF 2'200.00 orts- und quartierüblich sei, bestehe schon von vornherein keine Grundlage für die von der Berufungsklägerin geforderten Mietzinssenkung.

 

4.1 Mietzinse sind missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird (Art. 269 OR, erster Nebensatz). Mietzinse sind nach Art. 269a OR in der Regel nicht missbräuchlich, wenn sie insbesondere im Rahmen der orts- quartierüblichen Mietzinse liegen (lit. a) durch Kostensteigerungen begründet sind (lit. b). Nach Art. 270a Abs. 1 OR kann der Mieter den Mietzins als missbräuchlich anfechten und die Herabsetzung auf den nächstmöglichen Kündigungstermin verlangen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass der Vermieter wegen einer wesentlichen Änderung der Berechnungsgrundlagen, vor allem wegen einer Kostensenkung, einen nach den Artikeln 269 und 269a übersetzten Ertrag aus der Mietsache erzielt.

 

4.2 Mehr als andere Bestimmungen sind diejenigen über das mietrechtliche pretium iustum das Resultat eines politischen Kompromisses, welcher zu einer auf fundamentalen Widersprüchen beruhenden Gesetzgebung geführt hat. Sie stellt (nebeneinander!) auf die Ertragslage, die Vergleichsmiete und auf die Veränderung der Kostenfaktoren seit der letzten Mietzinsfestsetzung ab (Roger Weber in: Heinrich Honsell et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2020, Art. 269 N 4). Art. 269 ist ein Bekenntnis zum Prinzip der Kostenmiete und f.rt zusammen mit der Anpassung an die Vergleichsmiete (Art. 269a lit. a) und der Erzielung einer kostendeckenden Bruttorendite (Art. 269a lit. c) zu einer absoluten, d. h. zu einer von der früheren Mietzinsgestaltung unabhängigen Berechnung des zulässigen Mietzinses (a.a.O., N 5). Relative Anpassungsgründe sind demgegenüber die Kostenveränderungen nach lit. b und der Teuerungsausgleich auf dem risikotragenden Kapital nach lit. e. Dahinter steckt die Überlegung, dass ein zuvor angemessener Mietzins nicht missbräuchlich werden kann, solange er sich im Rahmen der allgemeinen Veränderungen seit der letzten Mietzinsfestsetzung hält, während zwangsläufig ein Missbrauchsverdacht aufkommt, wenn ein allgemein gesunkenes Kostenniveau nicht auf den Mietzins durchschlägt (a.a.O., 269a N 6).

 

5.1 Im vorliegenden Fall stützt die Berufungsklägerin ihre Herabsetzungsbegehren auf den gesunkenen Referenzzinssatz, also eine Kostenveränderung nach Art. 269a lit. b OR. Demgegenüber beruft sich der Berufungsbeklagte auf die Vergleichsmiete der Orts- und Quartierüblichkeit nach lit. a dieser Bestimmung. Die Berufung auf die Vergleichsmiete zur Abwehr eines Senkungsbegehrens gestützt auf relative Anpassungsgründe ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung voraussetzungslos zulässig (a.a.O., N 4b mit Hinweis auf BGE 122 III 257 E. 4; dasselbe ergibt sich im Übrigen auch aus dem von der Vorinstanz zitierten Urteil 4A_559/2015 = Pra 106 [2017] Nr. 93 E. 1.2). Die Beweislast für die Höhe der Vergleichsmiete trägt nach Art. 8 ZGB diejenige Partei, die daraus Rechte ableitet, mithin diejenige, welche das Kriterium für sich beansprucht (a.a.O., N 5; mit Hinweis auf BGE 127 III 411 = Pra 2002 Nr. 25, der die Beweislast gleich verteilt). Der Vermieter hat die Orts- und Quartierüblichkeit substantiiert, unter Beachtung des von der Rechtsprechung verlangten Nachweises nicht missbräuchlicher Mietzinse für vergleichbare Objekte darzutun (BGE 122 III 257 E. 4). Schliesslich lag dem Fall BGE 141 III 569 (= Pra 2016 Nr. 99) dieselbe Konstellation zugrunde wie dem vorliegenden. Dort hat das Bundesgericht Folgendes festgehalten: «Wenn der Mieter aufgrund einer Senkung des Hypothekarzinses eine Herabsetzung des Mietzinses verlangt und der Vermieter sich auf die orts- quartierüblichen Mietzinse beruft, trägt der Vermieter die Beweislast für die üblichen Mietzinse». Damit hat das Bundesgericht die Beweislastverteilung für die vorliegende Konstellation entschieden. Die Beweislast für die Orts- und Quartierüblichkeit trägt der Vermieter.

 

5.2 Der Vollständigkeit halber wird nachfolgend auf die von der Amtsgerichtspräsidentin zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung eingegangen. Im Urteil 4A_559/2015 vom 22. August 2016 hat die Mieterin eine Ertragsberechnung verlangt und dass ihr die zu dieser Berechnung notwendigen Belege übergeben werden. Der Vermieter wehrte sich beim Bundesgericht erfolgreich dagegen, dass ihm eine Ertragsberechnung auferlegt wurde und ihn die Vorinstanz wegen seiner fehlenden Mitwirkung sanktioniert habe. In diesem Zusammenhang hielt das Bundesgericht fest, dass der Mieter die Beweislast für den zulässigen Ertrag der Liegenschaft trägt. Hier ging es um einen absoluten Anpassungsgrund, den der Mieter angerufen hatte. Auch im Urteil 4A_250/2012 vom 28. August 2012 haben die Mieter einen absoluten Anpassungsgrund geltend gemacht. Sie haben den Anfangsmietzins angefochten und sich dafür auf die Orts- und Quartierüblichkeit berufen. Sie hatten ernsthafte Beweise vorgelegt, die darauf hindeuteten, dass die Miete missbräuchlich ist. Die Vermieterin hingegen hatte es versäumt, Vergleichszahlen zur Ermittlung der ortsüblichen Mieten Belege für eine Renditeberechnung vorzulegen. Es ist der Vermieterin deshalb nicht gelungen, das Beweisergebnis in Zweifel zu ziehen, welches die Vorbringen der Mieter nahelegten. Auch im Entscheid BGE 147 III 431 ging es um eine Anfechtung des Anfangsmietzinses. Der Mieter stützte seine Anfechtung auf die tatsächliche Vermutung der Missbräuchlichkeit bei einer massiven Erhöhung des Anfangsmietzinses von deutlich über 10 %. Damit war der Beweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses, den der Mieter trägt, aber noch nicht abschliessend erbracht. Vielmehr ist es der Vermieterin gelungen, beim Gericht begründete Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu erwecken. Nur in diesem Fall obliegt es dem Mieter, mit Hilfe von fünf Vergleichsobjekten bzw. einer amtlichen Statistik die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses nachzuweisen, da ihm der Beweis der Missbräuchlichkeit nicht gelungen ist. Im vorliegend zu beurteilenden Fall hingegen stützt sich das Herabsetzungsbegehren auf Art. 269a lit. b OR. Diese Bestimmung enthält eine gesetzliche Vermutung, wonach eine Senkung des Referenzzinssatzes einen Anspruch auf eine Herabsetzung des Mietzinses gibt. Eine gesetzliche Vermutung unterscheidet sich von einer tatsächlichen Vermutung, die auch natürliche richterliche Vermutung genannt wird. Eine solche Vermutung wirkt sich nur in der Beweiswürdigung aus. Sie verändert die Beweislastverteilung nicht (Max Guldener, Grundriss des Zivilprozessrechts, Bern 1984, Seite 143 f.).

 

6. Der Berufungsbeklagte beruft sich auf die Orts- und Quartierüblichkeit des umstrittenen Mietzinses. Das Kriterium der Orts- und Quartierüblichkeit stellt auf einen Mietzinsvergleich mit ähnlichen Objekten ab und heisst deswegen auch Vergleichsmiete (Roger Weber, a.a.O., Art. 269a N 1). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein konkreter Vergleich stattzufinden, der mindestens fünf vergleichbare Objekte in derselben Ortschaft im gleichen Stadtquartier erfassen soll (a.a.O., N 2; mit zahlreichen Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). Der Vermieter kann gegen ein Begehren auf Herabsetzung des Mietzinses einwenden, dass dieser den in der Ortschaft im Quartier üblichen Mietzinsen entspricht und dass er demzufolge nicht missbräuchlich ist. Wenn der Vermieter sich auf die üblichen Mietzinse beruft, bestimmt Art. 11 VMWG die für die Berechnung massgeblichen Mietzinse. Es handelt sich um Mietzinse, die nach Lage, Grösse, Ausstattung, Zustand und Bauperiode mit der Mietsache vergleichbar sind (Abs. 1). Die amtlichen Statistiken sind zu berücksichtigen (Abs. 4). Der Richter muss aufgrund der Kriterien von Art. 11 VMWG konkrete Vergleiche ziehen. Die üblichen Mietzinse können nicht aufgrund eines «Gesamteindrucks» bestimmt werden (BGE 141 III 569 E. 2.2 = Pra 2016 Nr. 99, zitiert bei Roger Weber, a.a.O.). Die in Art. 11 Abs. 1 VMWG genannten fünf Vergleichskriterien, die bezüglich der Vergleichbarkeit der Wohnung des Geschäftsraums im konkreten Fall gegeben sein müssen, werden äusserst streng gehandhabt. Eine vergleichbare Lage im Ort bzw. Quartier, d. h. in einer historischen und administrativen Einheit innerhalb einer Stadt hängt von der Verkehrslage und der übrigen Infrastruktur (Schulen, Einkaufs- und Naherholungsmöglichkeiten; Passantenlage usw.), den Immissionen, aber auch etwa der Aussicht und Besonnung ab (Roger Weber, a.a.O., N 2a, wiederum mit zahlreichen Hinweisen). Die Beweislast ist sehr häufig prozessentscheidend. Denn der Nachweis des entsprechenden Mietzinsniveaus ist infolge der strengen Vergleichskriterien oft schlicht nicht dann nur mit grossem Aufwand zu erbringen (Roger Weber, a.a.O., N 5). Dabei gilt, dass private Statistiken und Inserate über Mietangebote keine tauglichen Beweismittel sind (BGE 141 III 569 E. 3.2.1 = Pra 2016 Nr. 99 und in mp 2016, Zeitschrift für schweizerisches Mietrecht, S. 66 ff.).

 

7. Bereits nach dem Kriterium der «Lage» erweisen sich die vom Gutachter aufgeführten Vergleichsobjekte als untauglich. Die Vergleichsobjekte befinden sich in [...] und [...], das streitgegenständliche Mietobjekt hingegen in [...]. Das Mietobjekt, dessen Mietzins als orts- und quartierüblich bewiesen werden soll, liegt in einer anderen Gemeinde als die vom Gutachter aufgeführten Vergleichsobjekte. Damit ist die Lage nicht vergleichbar. Zudem handelt es sich bei den im Gutachten genannten Objekten nach den Angaben des Gutachters um Inserate. Der Gutachter räumte ein, dass es keinen Nachweis gibt, dass die Wohnungen vermietet sind (Protokoll der Befragung vom 26. Oktober 2022, Ziff. 32 ff.). Weiter führte er aus, dass die Mietverträge der Vergleichsobjekte nicht herangezogen worden sind (a.a.O., Ziff. 58 ff. und 97 f.). Es ist somit nicht erstellt, dass die Vergleichsobjekte tatsächlich zum genannten Mietzins vermietet sind. Blosse Inserate genügen den strengen Kriterien an den nach Art. 11 Abs. 1 VMWG geforderten konkreten Vergleich nicht. Auch über die Kostenstände der verglichenen Wohnung kann der Gutachter keine genauen Aussagen machen (a.a.O., Ziff. 94 ff.). Damit ist ein Vergleich mit diesen Wohnungen ausgeschlossen. Der nach Art. 11 VMWG geforderte konkrete Vergleich kann auch nicht durch einen Gesamteindruck, den die Vorderrichterin aus dem Gutachten und den Aussagen des Gutachters gewonnen hat, ersetzt werden. Da kein Vergleich möglich ist und bereits das Kriterium der Lage klar nicht erfüllt ist, muss auf die weiteren Rügen zu den anderen Kriterien nicht mehr eingegangen werden. Entgegen den Ausführungen des Berufungsbeklagten fehlt es somit an einem Nachweis, dass der Mietzins, dessen Herabsetzung die Berufungsklägerin verlangt, orts- und quartierüblich ist.

 

8. Der Berufungsbeklagte dringt mit seiner Anrufung der Orts- und Quartierüblichkeit nicht durch. Für diesen Fall hält er auch im Berufungsverfahren daran fest, dass das von der Berufungsklägerin gestellte Mietzinsherabsetzungsbegehren vom 16. Juni 2020 ungenügend und mangelhaft gewesen sei. Die Berufungsklägerin hat ihr Gesuch um Mietzinsreduktion mit der Senkung des Referenzzinssatzes auf 1.25 % begründet. Der Berufungsbeklagte rügt, in diesem Gesuch würde kein konkreter neuer Nettomietzinsbetrag genannt. Er verweist diesbezüglich auf Peter Higi / Anton Bühlmann in: Jörg Schmid [Hrsg.], Zürcher Kommentar, Obligationenrecht, Zürich 2022, Art. 270a N 84). Der zitierten Kommentarstelle lässt sich eine solche Anforderung indessen nicht entnehmen. Die dort gemachte Aussage, gebunden sei der Mieter mit der Klageanhebung vor der Schlichtungsbehörde an den in der Begründung seiner Klage aufgeführten Sachverhalt insofern, als dort die Gründe verbindlich bezeichnet werden können, betrifft eine andere Thematik. An anderer Stelle verlangen die zitierten Autoren, dass das Gesuch den Umfang der als zutreffend erachteten Herabsetzung in einer für einen vernünftigen und korrekten Leser klar erkennbaren Art offenzulegen hat (a.a.O., N 70). Auch hier ist von einer genauen Bezifferung keine Rede. Weiter ist das vom Mieter beim Vermieter gestellte Herabsetzungsbegehren entgegen dem Vorbringen des Berufungsbeklagten auch noch keine Gestaltungsklage. Vielmehr hat das entsprechende Gesuch blossen «Offertcharakter» (a.a.O., N 68). Selbst in seiner Herabsetzungsklage an die Schlichtungsbehörde hat der Mieter mit seinem Antrag lediglich etwa das mögliche Ausmass des Mietzinses zu bestimmen, der nach seiner Auffassung nicht missbräuchlich ist. Ausserdem ist er vor der Schlichtungsbehörde und in einem gerichtlichen Verfahren nicht einmal an diesen Inhalt seiner Klage zwingend gebunden (a.a.O., N 83). Der Zweck des Vorverfahrens liegt darin, den Parteien zu einem «Meinungsaustausch» vor dem eigentlichen Verfahren anzuhalten. Demnach müssen sich beide Parteien im Vorverfahren noch nicht endgültig festlegen und sind an ihre Erklärungen im Vorverfahren im nachfolgenden Schlichtungs- und Gerichtsverfahren insoweit nicht vollständig gebunden (a.a.O., N 66). Schliesslich werden auch in Art. 270a Abs. 1 und 2 OR keine konkreten Anforderungen an das Herabsetzungsgesuch des Mieters gestellt. Angesichts des Zweckes des Vorverfahrens und dessen Formlosigkeit und hat die Vorderrichterin das von der Berufungsklägerin gestellte Herabsetzungsgesuch vom 16. Juni 2020 richtigerweise als genügend erachtet. Dieses lässt erkennen, in welchem Umfang die Berufungsklägerin den Mietzins reduziert haben wollte. Der Berufungsbeklagte hätte problemlos dazu Stellung nehmen können.

 

9. Die Amtsgerichtspräsidentin hat ihrem Entscheid die Überlegung zugrunde gelegt, dass es dem Berufungsbeklagten gelungen ist, genügend Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Mietzinses zu erwecken. Diese Folgerung beruht auf einer unzutreffenden Beweislastverteilung. Der gesunkene Referenzzinssatz begründet die Vermutung, dass der zuvor angemessene Mietzins missbräuchlich geworden ist, weil die entsprechende Kostensenkung nicht an die Berufungsklägerin weitergegeben worden ist. Dem Berufungsbeklagten ist der Beweis des Gegenteils, dass der beanstandete Mietzins im Rahmen des Orts- und Quartierüblichen liegt und damit nicht missbräuchlich ist, misslungen. Damit steht der Berufungsklägerin ein durch den gesunkenen Referenzzinssatz begründeter Herabsetzungsanspruch zu. Wegen den von ihr gezogenen Schlussfolgerungen hat sich die Vorderrichterin gar nicht mit dem von der Berufungsklägerin geltend gemachten Herabsetzungsanspruch befassen müssen. Weiter hat sich der Berufungsbeklagte bereits bei der Vorinstanz auf die seit den Vertragsabschlüssen eingetretene allgemeine Kostensteigerung berufen. Die Berufungsklägerin hat die allgemeine Kostensteigerung und wertvermehrenden Investitionen seitens des Berufungsbeklagten bestritten. Da sie die Missbräuchlichkeit verneint hatte, bestand für die Amtsgerichtspräsidentin ebenfalls keine Veranlassung, sich mit diesen Fragen zu befassen. Damit wurde ein wesentlicher Teil der Klage und der dagegen erhobenen Einwendungen nicht beurteilt und der dazugehörige Sachverhalt nicht festgestellt. Bei dieser Sachlage würde die Berufungsinstanz nicht neu im Sinne von Art. 318 lit. a ZPO, sondern in erheblichem Umfang als erste Instanz entscheiden. Schliesslich hat auch der Berufungsbeklagte eventualiter einen Rückweisungsantrag gestellt. Die Sache ist demnach gemäss Art. 318 Abs. 1 lit. c ZPO an die Amtsgerichtspräsidentin zurückzuweisen.

 

10. Die Berufungsklägerin ist zwar mit ihren Rügen gegen das angefochtene Urteil durchgedrungen. Trotzdem können die von ihr gestellten Rechtsbegehren nicht gutgeheissen werden. Die geltend gemachten Herabsetzungsansprüche werden von der ersten Instanz erst noch beurteilt werden müssen. Dementsprechend sieht Art. 104 Abs. 4 ZPO für einen Rückweisungsentscheid vor, dass die obere Instanz die Verteilung der Prozesskosten des Rechtsmittelverfahrens der Vorinstanz überlässt. Über die Höhe ihrer Gerichtskosten muss sich die obere Instanz aber auf alle Fälle aussprechen (David Jenny in: Thomas Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2016, Art. 104 N 11). Der Entscheid über deren Verteilung sowie der Entscheid über die Parteientschädigung wird der Vorinstanz überlassen. Bei der späteren Verlegung durch die Vorinstanz werden das endgültige Prozessergebnis und nicht das Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens entscheidend sein. Massgebend wird sein, welche Partei später mit ihren ursprünglichen Begehren in der Sache obsiegt (Hans Schmid / Ingrid Jent-Sørensen in: Paul Oberhammer et al. [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, Basel 2021, Art. 104 N 7). Die Entscheidgebühr für das Berufungsverfahren wird auf CHF 2’500.00 festgesetzt. Diese wird mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

Demnach wird erkannt:

1.    Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und die Ziffern 2, 3 und 4 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Dorneck-Thierstein vom 2. November 2022 werden aufgehoben.

2.    Die Sache wird zur Beurteilung der geltend gemachten Herabsetzungsansprüche an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.    Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden auf CHF 2'500.00 festgesetzt. Diese werden mit dem von A.___ geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. Die Amtsgerichtspräsidentin von Dorneck-Thierstein wird in ihrem Entscheid auch über die Verlegung der Gerichts- und der Parteikosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben.

 

Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 15'000.00.

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Der Gerichtsschreiber

Hunkeler                                                                           Schaller



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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