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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2022.173)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.173: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin A. reiste 2000 in die Schweiz ein, heiratete einen Landsmann und erhielt Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen. Nach der Trennung wurde die Niederlassungsbewilligung widerrufen, da sie hauptsächlich in der Türkei lebte. Das Migrationsamt verfügte die Wegweisung, gegen die A. Beschwerde einreichte. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab, da A. länger als zwei Jahre in der Türkei lebte. Die Kosten des Verfahrens von CHF 1'500 muss A. tragen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.173

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2022.173
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2022.173 vom 10.03.2023 (SO)
Datum:10.03.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Schweiz; Aufenthalt; Niederlassungsbewilligung; Aufenthalts; Recht; Urteil; Türkei; Bundesgericht; Verwaltungsgericht; Lebensmittelpunkt; Behörde; Bundesgerichts; Landesabwesenheit; Ausland; Erlöschen; Aufenthaltsbewilligung; Tochter; Verfügung; Ausreise; Gericht; Frist; Behörden; Rente; Wegweisung; Kantons; Entscheid; Kantonswechsel; Eingabe
Rechtsnorm: Art. 29 AIG ;Art. 37 AIG ;Art. 4 AIG ;Art. 57 AIG ;Art. 61 AIG ;Art. 63 AIG ;Art. 64 AIG ;Art. 90 AIG ;Art. 96 AIG ;
Referenz BGE:124 V 215; 126 II 377; 144 I 266; 145 II 322;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.173

 
Geschäftsnummer: VWBES.2022.173
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 10.03.2023 
FindInfo-Nummer: O_VW.2023.59
Titel: Niederlassungsbewilligung / Aufenthaltsbewilligung / Wegweisung

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 10. März 2023    

Es wirken mit:

Vizepräsident Müller

Oberrichter Thomann

Ersatzrichter Etter   

Gerichtsschreiber Schaad

In Sachen

 A.___   

 

Beschwerdeführerin

 

 

 

gegen

 

 

 

Departement des Innern,    vertreten durch Migrationsamt,    

 

Beschwerdegegner

 

 

 

 

betreffend     Niederlassungsbewilligung / Aufenthaltsbewilligung / Wegweisung


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. A.___, geb. [...] 1963 (nachfolgend Beschwerdeführerin), reiste am 4. September 2000 in die Schweiz ein, um im selben Monat den hierzulande niedergelassenen Landsmann B.___ zu heiraten. Die Migrationsbehörden des Kantons Freiburg erteilten ihr in der Folge eine Aufenthalts- und am 25. August 2005 eine Niederlassungsbewilligung. Im Rahmen eines Familiennachzugs folgten am 10. Februar 2001 die gemeinsame Tochter (geb. [...] 1986) und der gemeinsame Sohn (geb. [...] 1991). Nach der gerichtlichen Tren­nung am 21. August 2012 kehrte der Ehemann am 7. Juni 2013 in die Türkei zurück. Die gemeinsame Liegenschaft in Freiburg wurde am 17. Juli 2017 verkauft. Am 17. Sep­tember 2018 ersuchte die Beschwerdeführerin um Kantonswechsel, welchen das Migrationsamt Solothurn (MISA) in der Folge bewilligte. Während die Tochter über eine Niederlassungsbewilligung verfügt, wurde die Niederlassungsbewilligung des Sohnes am 27. März 2015 widerrufen und er wurde mit einem Einreiseverbot belegt.

 

2. Via Schweizerisches Generalkonsulat Istanbul wurde dem MISA am 5. September 2019 eine Verdachtsmeldung unterbreitet, wonach die Beschwerdeführerin seit 2013 hauptsächlich in der Türkei lebe. Das MISA leitete in der Folge Abklärungen ein und ersuchte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15. November 2021 zur Sachverhaltsabklärung namentlich bzgl. Lebensmittelpunkt beizutragen. Es folgten eine Stellungnahme vom 25. November 2021 sowie ein Besuch am Schalter des MISA, wobei festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin kein Deutsch und praktisch kein Französisch spricht, weshalb ihr Schwiegersohn übersetzte. Sodann nahm sie mit Eingabe vom 24. Februar 2022 das rechtliche Gehör wahr.

 

3. Mit Verfügung vom 31. März 2022 stellte das MISA fest, dass die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin erloschen sei und keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werde. Das MISA verfügte die Wegweisung per 30. Juni 2022 und hielt die Beschwerdeführerin an, sich bei der Einwohnergemeinde abzumelden und die Ausreise mittels Abgabe einer Ausreisemeldekarte an der Schweizer Grenze bestätigen zu lassen.

 

4. Gegen die vorgenannte Verfügung wurde mit Eingabe vom 27. April 2022 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und darum ersucht, «die Situation erneut zu überprüfen».

 

5. Der Beschwerde wurde mit Verfügung vom 29. April 2022 aufschiebende Wirkung erteilt. Das MISA verzichtete auf eine weitere Vernehmlassung, hielt an der Verfügung fest und ersuchte um vollständige Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge. Die Eingabe des MISA wurde der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 23. Mai 2022 zugestellt. Damit verbunden erging der Hinweis, wonach das Gericht von hinreichenden Äusserungsmöglichkeiten ausgehe, jedoch die Verfahrensparteien zu allfälligen weitere Bemerkungen bis am 13. Juni 2022 einlade. Weitere Eingaben blieben aus.

II.

 

1. Die Beschwerde ist – unter Berücksichtigung der Gerichtsferien – frist- und trotz rudimentären Antrags formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht ist zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2.1 Die Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 34 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, SR 142.20) ist auf Dauer angelegt; sie vermittelt den für ausländische Staatsangehörige günstigsten Aufenthaltsstatus mit gefestigtem Aufenthaltsrecht. Aus dem für die Frage der Aufrechterhaltung einer Niederlassungsbewilligung massgeblichen Gesetzesrecht (Art. 61 Abs. 2 Satz 1 AIG) ist ersichtlich, dass die Aufrechterhaltung einer ausländerrechtlichen Bewilligung eine minimale physische Präsenz auf dem schweizerischen Staatsgebiet voraussetzt (BGE 145 II 322 E. 2.2). Verlässt die Ausländerin der Ausländer die Schweiz, ohne sich abzumelden, so erlischt die Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung nach sechs Monaten. Auf Gesuch hin kann die Niederlassungsbewilligung während vier Jahren aufrechterhalten werden (Art. 61 Abs. 2 AIG). Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt es weder auf die Motive der Landesabwesenheit noch auf die Absichten des Betroffenen an (Urteile 2C_461/2012 vom 7. November 2012 E. 2.4.1; 2C_980/2010 vom 21. Juni 2011 E. 2.1; 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 5.1 je mit Hinweisen). Gar das unfreiwillige Verweilen im Ausland über die Frist hinaus lässt die Bewilligung erlöschen (Urteil des Bundesgerichts 2C_819/2016 vom 14. November 2016 E. 2.1), so dass namentlich auch eine Inhaftierung im Ausland diese Konsequenz nach sich ziehen kann (Urteil des Bundesgerichts 2C_512/2013 vom 17. Februar 2014 E. 2). Auch eine sechsmonatige Untersuchungshaft im Ausland, deren ursächliches Strafverfahren mangels nachweisbaren strafrechtlichen Vorwurfs im Nachhinein eingestellt wird, führt zum Erlöschen der Niederlassungsbewilligung, da es nicht auf die Motive resp. Freiwilligkeit der Landesabwesenheit ankommt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_397/2018 vom 1. Mai 2019 E. 5.1). Art. 61 Abs. 2 AIG beruht auf dem Gedanken, dass nach einem längeren Auslandaufenthalt der Zusammenhang mit der bisherigen Anwesenheitsgrundlage abbricht, was namentlich darin zum Ausdruck kommt, dass nach sechs Monaten Landesabwesenheit auch die mit der unbefristeten Niederlassungsbewilligung verbundene gefestigte Rechtsposition dahinfällt (Urteil des Bundesgerichts 2C_483/2014 vom 26. Mai 2014 E. 2.3). Mit Art. 61 Abs. 2 AIG hat der Gesetzgeber einen – in jeder Hinsicht – absoluten und zwingenden Erlöschensgrund geschaffen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_327/2013 vom 23. Oktober 2013 E. 2.1; 2A.740/2004 vom 10. März 2005 E. 2.2).

 

2.2 Der Grundsatz, wonach niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ziehen darf, setzt voraus, dass die betroffene Person von den massgebenden gesetzlichen Grundlagen Kenntnis hat und demgemäss die Folgen der Unkenntnis tragen muss. Anders ausgedrückt: Rechtsunkenntnis schadet. Eine abweichende Behandlung fällt lediglich dann in Betracht, wenn die betroffene Person sich auf den Vertrauensschutz berufen kann (vgl. BGE 124 V 215 E. 3b). Ein vertrauensrechtlich relevanter Anknüpfungspunkt kann dabei nicht nur eine falsche behördliche Auskunft, sondern auch die Verletzung einer gesetzlich statuierten Informationspflicht das Unterlassen einer darüber hinausgehenden, sich indessen aufgrund der konkreten Umstände aufdrängenden Aufklärung sein (vgl. BGE 124 V 215 E. 2b/aa). Die blosse Erteilung einer Bewilligung begründet regelmässig kein schutzwürdiges Vertrauen in deren Verlängerung (BGE 126 II 377 E. 3b). Das Bundesgericht hat es abgelehnt, aus Art. 57 AIG eine umfassende Informationspflicht für Behörden abzuleiten (Urteil des Bundesgerichts 2C_339/2019 vom 14. November 2019 E. 5.1). Besondere Informations- Aufklärungspflichten der Behörden hinsichtlich Kantonswechseln des Erlöschensgrundes gemäss Art. 61 Abs. 2 AIG kennt das Gesetz nicht.

 

2.3 Die verfügende Behörde hat im Rahmen der Untersuchungsmaxime abzuklären, ob der gesetzlich verlangte Inlandsaufenthalt tatsächlich längerfristig ununterbrochen war. Nebst der Untersuchungsmaxime obliegt es allerdings auch der ausländischen Person, an der Feststellung des für die Anwendung des AIG massgebenden Sachverhalts mitzuwirken (Mitwirkungspflicht, Art. 90 AIG). Dies gilt im besonderen Masse für Umstände, die die Beschwerdeführerin besser kennt als die Behörde und welche ohne ihre Mitwirkung gar nicht nicht mit vernünftigem Aufwand erhoben werden können. Die entsprechenden (Mitwirkungs-) Pflichten gelten umso strenger, je mehr Indizien vorliegen, welche darauf schliessen lassen, dass sich der Lebensmittelpunkt seit Jahren nicht mehr in der Schweiz befindet (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts VWBES.2021.426 vom 22. August 2022 E. 3).

 

2.4 Die Vorinstanz stützte sich bei der Eruierung der Heimataufenthalte in erster Linie auf die Stempel im Reisepass sowie die türkischen Ein- und Ausreisebelege. Diese zeigen, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem 12. Juni 2013 oft und über erhebliche Zeitspannen hinweg in der Heimat aufgehalten hat. Konkret eruierte das MISA vier Phasen der Landesabwesenheit, welche über sechs Monate dauerten (6. September 2013 bis 19. Mai 2014; 20. März 2015 bis 29. September 2015; 22. November 2015 bis 2. Juni 2016; 4. Juli 2016 bis 4. Februar 2017). Insgesamt war sie seit dem 12. Juni 2013 bis zum Erlass der Verfügung insgesamt fünf Jahre und zehn Monate in der Türkei, während sie sich nur zwei Jahre und zehn Monate in der Schweiz aufhielt. Die Aufenthaltsdauer in der Schweiz erreichte nie fünf Monate am Stück. Darüber hinaus stellte das MISA fest, dass sich nicht nur mit Blick auf die Reisetätigkeit ihr Lebensmittelpunkt seit mindestens 2014 nicht mehr in der Schweiz befinde. Konkret erwog das MISA u.a. das nichtexistenzsichernde Renteneinkommen der Beschwerdeführerin (lediglich IV-Rente von CHF 630.00 pro Monat), die fehlenden Sprachkenntnisse, welche nicht ansatzweise mit einem über 21-jährigen Aufenthalt in der Schweiz korrelieren würden, die informelle Wohnsituation (fehlende Erwähnung der Beschwerdeführerin im Mietvertrag der Tochter) und die starke sprachliche und soziale Verwurzelung in der Türkei (Beziehungsnetz mit Mutter, Bruder, Sohn und diversen Tanten).

 

2.5 Die Beschwerdeführerin bestreitet weder die Reisetätigkeit noch die diversen über sechsmonatigen Aufenthalte in der Türkei, noch die informelle Wohnsituation, noch die (fehlenden) Sprachkenntnisse noch die finanzielle Situation (fehlende Ergänzungsleistungen seit Abmeldung in Freiburg; Verlustscheine über CHF 18'061.20). Stattdessen macht die Beschwerdeführerin geltend, die Auslandsaufenthalte hätten «Notsituationen» dargestellt und sie habe in Unkenntnis der Rechtslage gehandelt, wobei sie fehlende Aufklärung seitens der Behörden bemängelt. Sodann behauptet sie pauschal, ihr Lebensmittelpunkt befinde sich in der Schweiz. Letzteres untermauert sie jedoch mit keinerlei Beweismitteln.

 

2.6 Zwar mögen die behaupteten Gründe die Auslandsaufenthalte als verständlich und nachvollziehbar, teils gar als ehrenwert darlegen (Pflege der betagten Mutter, Unterstützung des Sohnes nach dessen Rückreise in die Türkei, Wahrnehmung von Gerichtsterminen bzgl. Scheidung, Zahnarztbesuche in der Türkei usw.). Doch kommt es – wie erwähnt – nicht auf die Motive die Freiwilligkeit der (unstrittigen) Landesabwesenheit an, sondern deren über sechsmonatige Dauer ist entscheidend. Die zwingende Konsequenz der über sechsmonatigen Landesabwesenheit(en) ist (auch vorliegend) das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung. Dies würde gar gelten, wenn der Lebensmittelpunkt trotz Auslandsaufenthalten nach wie vor in der Schweiz anzusiedeln wäre.

 

2.7 Die Beschwerdeführerin hat weder die Behörden um Auskunft ersucht noch bestehen spezielle Umstände, welche eine Aufklärung der Behörden aufdrängten. Aus der Genehmigung des Kantonswechsels lässt sich nichts ableiten, denn die Behörde prüft gemäss Art. 37 Abs. 3 AIG lediglich auf Widerrufsgründe (Art. 63 AIG), jedoch nicht das Erlöschen (Art. 61 Abs. 2 AIG). Kommt hinzu, dass die Gesuchstellung um Geneh­migung des Kantonswechsels darauf hindeutet, dass der Beschwerdeführerin durchaus bekannt war, dass ein Ortswechsel resp. der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse für ihren Bewilligungsstatus von Bedeutung ist (abgesehen vom Hinweis auf dem Formular hinsichtlich Vollständigkeit der Angaben zum Aufenthalt). Des Weiteren deutet das vorge­nannte Argument «Notsituation» darauf hin, dass die Beschwerdeführerin unabhängig von der Kenntnis der Rechtslage landesabwesend geblieben wäre, um die Familie zu unterstützen. Die sinngemässe Argumentation der Beschwerdeführerin, wo­nach ihr die Rechtslage nicht bekannt war und die Behörden sie nicht vor dem Erlöschen der Niederlassungsbewilligung warnten, verfängt mithin nicht. Ein besonderes Ver­trauensschutzelement, welches dem Erlöschen der Niederlassungsbewilligung ganz ausnahmsweise entgegenstehen könnte, ist nicht erkennbar.

 

3. Das MISA prüfte sodann, ob im Rahmen einer Wiederzulassung aufgrund eines anderen Aufenthaltszwecks eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen sei und verneinte dies.

 

3.1 Das MISA stellt sich auf den Standpunkt, wonach sich der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin mit Blick auf ihre Reisetätigkeit und ihre Lebensverhältnisse spätestens seit dem 7. März 2014 (erste nachgewiesene Überschreitung der sechsmonatigen Frist) in der Türkei befinde (siehe oben Ziff. 2.4). Damit liege ihre freiwillige Ausreise aus der Schweiz länger als zwei Jahre zurück resp. betrage ihre Landesabwesenheit mehr als zwei Jahre, womit gemäss Art. 49 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) und kantonaler Praxis (s.a. SOG 2011 Nr. 30) die zeitlichen Erfordernisse für die Wiederzulassung offensichtlich nicht gegeben seien.

 

3.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet die vom MISA beschriebene Lebenssituation nicht, sondern behauptet pauschal, ihr Lebensmittelpunkt befinde sich nach wie vor in der Schweiz (vgl. Ziff. 2.5 oben). Damit verkennt sie ihre Mitwirkungspflichten (vgl. Ziff. 2.3 oben). Abgesehen von den Besuchen bei der Tochter sowie (nicht näher spezifizierten) Arzt- resp. Labor- resp. Apothekenbesuchen findet sich kein Anknüpfungspunkt zur Schweiz. Insbesondere die knapp doppelt so lange Aufenthaltsdauer in der Türkei (insb. unter Berücksichtigung der Motivation, die Mutter zu pflegen), die finanzielle Situation und das Beziehungsnetz in der Türkei zeichnen ein Gesamtbild, das zweifelsfrei auf einen seit vielen Jahren bestehenden Lebensmittelpunkt in der Heimat schliessen lässt, selbst wenn reger Kontakt zur Tochter in der Schweiz besteht und sie in der Schweiz noch zusätzlich krankenversichert ist (dem Krankenversicherer wurden gemäss Betreibungsregister diverse Verlustscheine ausgestellt). Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin offenbar auch nach der langen Zeit in der Schweiz keiner Landessprache mächtig ist. Eine Wiederzulassung gemäss Art. 30 lit. k AIG scheidet damit aus.

 

3.3 Von den Zulassungsvoraussetzungen kann schliesslich aufgrund eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls abgewichen werden (Art. 30 lit. b AIG). Gemäss Art. 31 VZAE sind diesbezüglich u.a. die Möglichkeiten für die Wiedereingliederung im Herkunftsstaat, die finanziellen Verhältnisse, die Integration, der Gesundheitszustand und die Familienverhältnisse (insbesondere Zeitpunkt der Einschulung der Kinder) zu berücksichtigen. Da die Beschwerdegegnerin bestens im Herkunftsstaat eingegliedert ist, lediglich ein nichtexistenzsicherndes Renteneinkommen besteht, die Integration in der Schweiz u.a. im Hinblick auf die Sprachkompetenzen (s.a. Art. 4 Abs. 4 AIG) sehr fraglich ist und die Familienverhältnisse keinen zwingenden Aufenthalt in der Schweiz indizieren, ist ein persönlicher Härtefall nicht dargetan. Daran ändern auch die seitens der Beschwerdeführerin sehr vage behaupteten gesundheitlicher Gründe («psychisch angeschlagen») nichts.

 

3.4 Eine Zulassung aus anderen Gründen scheitert – wie das MISA zu Recht erwägt – an der finanziellen Situation. So können Rentnerinnen lediglich zugelassen werden, wenn sie über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen (Art. 28 lit. c AIG i.V.m. Art. 25 Abs. 3 VZAE). Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, der Aufenthalt in der Schweiz sei in Zusammenhang mit einer in der Schweiz geplanten medizinischen Behandlung notwendig (vgl. Art. 29 AIG, welcher eine Wiederausreise voraussetzt). Infolgedessen durfte die Vorinstanz willkürfrei von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung absehen. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich hierbei um «Kann-Bestimmungen» handelt, also kein Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung besteht.

 

4. Das öffentliche Interesse an der Wegweisung der Beschwerdeführerin liegt in der Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a der Bundesverfassung [SR 101], BGE 144 I 266 E. 3.7). Nicht zu beanstanden ist daher die in der Folge verfügte Wegweisung, die konsequenterweise gestützt auf Art. 64 Abs. 1 AIG erfolgt ist und auch vor Art. 96 AIG standhält. Dazu kann vorab auf die treffenden Erwägungen im angefoch­tenen Entscheid verwiesen werden. Liegt der Lebensmittelpunkt der Beschwer­deführerin bereits in der Heimat, ist es ihr auch zumutbar, sie dorthin wegzuweisen. Den Kontakt zur erwachsenen Tochter und zum Schwiegersohn kann sie mit modernen Kommunikationsmitteln und Ferienreisen weiterhin pflegen (Touristenvisum vorausgesetzt, es wurde kein Einreiseverbot gesprochen). Die IV-Rentenhöhe von CHF 630.00 indiziert eine halbe Rente (vgl. BSV-Rententabelle 2021 [https://sozialver­sicherungen.admin.ch/de/d/6850/download?version=15, besucht am 3. März 2023]), welche dem Grundsatz nach exportierbar ist (vgl. Art. 10 des Abkommens zwischen der Schweiz und der Republik Türkei über die soziale Sicherheit [SR 0.831.109.763.1]). Nachdem die angesetzte Frist zur Ausreise allerdings inzwischen abgelaufen ist, ist diese angemessen zu verlängern.

 

5. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Da die Frist zur Ausreise mittlerweile verstrichen ist, ist diese neu auf zwei Monate nach Rechtskraft dieses Urteils festzusetzen. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1'500.00 festzusetzen sind. Parteientschädigungen werden keine gesprochen.

 

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Die Beschwerdeführerin hat die Schweiz innert zweier Monate seit Rechtskraft dieses Urteils zu verlassen.

3.    Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 zu bezahlen.

 

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Der Vizepräsident                                                             Der Gerichtsschreiber

Müller                                                                                Schaad

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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