Zusammenfassung des Urteils VWBES.2021.29: Verwaltungsgericht
Zusammenfassung: A.___ reiste 2012 in die Schweiz ein und hatte mehrere abgelehnte Asylgesuche. Es wurde Ausschaffungshaft angeordnet, die jedoch mehrmals verlängert und vom Bundesgericht aufgehoben wurde. Es gab weitere Haftanordnungen, Beschwerden und Gerichtsverfahren, die sich um die Durchsetzung der Ausschaffung drehten. Letztendlich wurde die Beschwerde gegen die Haft abgewiesen, da die Haft als recht- und verhältnismässig angesehen wurde. Der Beschwerdeführer wurde aus der Haft entlassen, und die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2021.29 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 09.03.2021 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Ausschaffung; Recht; Ausschaffungshaft; Urteil; Bundesgericht; Beschwerde; Verwaltungsgericht; Haftgericht; Beschwerdeführers; Schweiz; Gehör; Akten; Wegweisung; Entscheid; Verfügung; Administrativhaft; Verletzung; Anspruch; Solothurn; Durchsetzungshaft; Verfahren; Person; Asylgesuch; Heimat; Untersuchungsgefängnis; äftig |
Rechtsnorm: | Art. 31 BV ;Art. 5 EMRK ;Art. 78 AIG ;Art. 81 AIG ; |
Referenz BGE: | 142 I 135; 146 II 201; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VWBES.2021.29 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 09.03.2021 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2021.55 |
Titel: | Ausschaffungshaft |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 9. März 2021 Es wirken mit: Oberrichter Frey Oberrichter Müller Gerichtsschreiberin Kaufmann In Sachen A.___, vertreten durch Leonie Haug, Asylex
Beschwerdeführer
gegen
1. Haftgericht 2. Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt
Beschwerdegegner
betreffend Ausschaffungshaft zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. A.___ (in der Folge Beschwerdeführer) reiste 2012 in die Schweiz ein. Am 3. Oktober 2014 wurde sein Asylgesuch abgelehnt. Sein zweites Asylgesuch wurde am 7. September 2015 abgewiesen. Das Migrationsamt des Kantons Solothurn (MISA) lehnte es zudem ab, eine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls zu erteilen. Am 6. Februar 2020 ordnete es die Ausschaffungshaft für drei Monate an. Die Haft wurde genehmigt. Der Beschwerdeführer weigerte sich am 28. Februar 2020 indessen, einen Flug in seine Heimat anzutreten. Eine begleitete Ausschaffung konnte am 20. März 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Die Haft wurde erstmals am 4. Mai 2020 und ein weiteres Mal am 4. August 2020 bis am 4. November 2020 verlängert. Eine gegen den Entscheid vom 4. August 2020 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. September 2020 ab (VWBES.2020.304). Mit Urteil vom 21. Oktober 2020 hob das Bundesgericht den Entscheid auf und verfügte die unverzügliche Entlassung des Beschwerdeführers aus der Ausschaffungshaft (Urteil 2C_768/2020).
2. Mit Entscheid des Haftgerichts vom 27. Oktober 2020 wurde die vom Migrationsamt angeordnete Vorbereitungshaft vom 23. Oktober bis zum 26. Oktober 2020 und die anschliessend angeordnete Durchsetzungshaft bis zum 25. November 2020 genehmigt. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. November 2020 ab (VWBES.2020.433). Die gegen dieses Urteil beim Bundesgericht am 23. November 2020 erhobene Beschwerde ist hängig (Verfahren 2C_961/2020). Das Gesuch um sofortige Haftentlassung wies der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung mit Verfügung vom 24. November 2020 ab. Am 15. November 2020 scheiterte eine Rückschaffung in polizeilicher Begleitung von Genf aus mit einem Linienflug nach Äthiopien, weil der Beschwerdeführer nicht kooperierte und sich weigerte, ins Flugzeug einzusteigen. Am 24. November 2020 verlängerte das MISA die Durchsetzungshaft bis am 25. Januar 2021. Am 26. November 2020 wurde der Beschwerdeführer gegen Leistung eines Depots als Sicherheit aus der Administrativhaft entlassen.
3. Der Beschwerdeführer wurde am 27. August 2019 von den äthiopischen Behörden definitiv als Staatsangehöriger anerkannt und es wurde ihm am 14. Oktober 2019 ein Laisser-Passer ausgestellt, welches am 28. September 2020 erneuert wurde und bis am 27. März 2021 gültig ist.
4. Am 11. September 2020 hatte der Beschwerdeführer sein drittes Asylgesuch eingereicht, auf welches das SEM am 18. September 2020 nicht eintrat. Es wies ihn erneut aus der Schweiz weg, setzte die Ausreisefrist auf den 27. Oktober 2020 und beauftragte das MISA mit dem Vollzug. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine gegen den Asylentscheid erhobene Beschwerde am 26. Oktober 2020 (Urteil E-4809/2020) ab und erachtete den Wegweisungsvollzug als zulässig, zumutbar und möglich (E. 12). Im Auftrag des MISA wurde der Beschwerdeführer am 13. Januar 2021 im Zentrum für Asylsuchende angehalten, und am 14. Januar 2021 verfügte das MISA Ausschaffungshaft bis am 12. März 2021. Mit Entscheid vom 15. Januar 2021 genehmigte das Haftgericht die beantragte Ausschaffungshaft bis 12. März 2021.
5. Am 24. Januar 2021 wandte sich die Vertreterin des Beschwerdeführers an das Komitee gegen die Folter der UN-Menschenrechtskommission, welche ein Verfahren gegen die Schweiz eröffnete und veranlasste, dass der Wegweisungsvollzug ausgesetzt und der Beschwerdeführer am 26. Januar 2021 aus der Haft entlassen wurde.
6. Am 28. Januar 2021 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Lea Hungerbühler, beim Verwaltungsgericht Beschwerde und stellte folgende Rechtsbegehren:
1. Es sei festzustellen, dass die Haft unrechtmässig sowie unangemessen war; 2. Es sei die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers vom 13. Januar 2021 festzustellen; 3. Eventualiter sei das Urteil des Haftgerichts vom 15. Januar 2021 aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; 4. Dem Beschwerdeführer sei zufolge Mittellosigkeit die unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung zu gewähren und Rechtsanwältin Lea Hungerbühler, substituiert durch MLaw Leonie Haug, als unentgeltlicher Rechtsbeiständin zu mandatieren und auf einen allfälligen Kostenvorschuss zu verzichten; 5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Vorinstanz.
Zur Begründung wurde ausgeführt, das Bundesgericht habe im Urteil vom 21. Oktober 2020 festgestellt, dass die Administrativhaft rechtswidrig sei. Dennoch sei die Haft vom MISA bis am 26. November 2020 widerrechtlich fortgeführt worden. Vorab werde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt, da die Akten der Vertretung nicht in paginierter Form zur Verfügung gestellt worden seien. Zudem sei die Rechtsvertretung nicht über die Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Januar 2021 informiert bzw. eingeladen worden und es sei ihm nicht ermöglicht worden, mit seiner Rechtsbeiständin zu telefonieren. Das Vorliegen eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheids werde nicht bestritten. Hingegen bestünden keine konkreten Anzeichen eines Entzuges vor einer allfälligen Rückweisung. Der Beschwerdeführer halte sich ohne weiteres und seit seiner Entlassung Ende November durchgehend in der zugewiesenen Asylunterkunft auf. Es fehle zudem an der Absehbarkeit der Rückführung, da der am 27. Januar 2021 geplante Flug aufgrund einer rechtlichen Unmöglichkeit ohne den Beschwerdeführer stattgefunden habe. Schliesslich sei die angeordnete Administrativhaft nicht verhältnismässig, mildere Mittel, wie z.B. eine Eingrenzung, seien im Falle des Beschwerdeführers nie erfolglos angeordnet worden. Die angeordnete Haft sei nicht ultima ratio. Während vieler Monate sei er illegalerweise in Haft behalten worden, habe grosses Unrecht erfahren und sei schliesslich unzulässigerweise erneut inhaftiert worden. Die angeordnete Haft sei weder geeignet, erforderlich noch zumutbar und damit offensichtlich unverhältnismässig. Sie stelle folglich eine Verletzung von Art. 5 EMRK dar. Der Beschwerdeführer sei vom 13. bis zum 26. Januar 2021 im Untersuchungsgefängnis Solothurn untergebracht gewesen. Dies entspräche nicht den Voraussetzungen für ausländerrechtliche Administrativhaft, weshalb festzustellen sei, dass diese Unterbringung rechtswidrig sei.
7. Mit Schreiben vom 2. Februar 2021 nahm das MISA namens des Departements des Innern (DdI) zur Beschwerde Stellung und beantragte, diese abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit (ebenfalls) abzuweisen. Der Beschwerdeführer habe anlässlich der Hafteröffnung am 13. Januar 2021 angegeben, dass er einen Freund in Basel und auch seine Anwältin selber informieren werde. Entsprechendes sei in der Verfügung zur Anordnung der Ausschaffungshaft vermerkt worden. Die Vertreterin sei dann am 14. Januar 2021 über die Haftanordnung in Kenntnis gesetzt worden und habe auch von der Möglichkeit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung des Haftgerichts Gebrauch gemacht. Bezüglich des Vorwurfs, dass der Beschwerdeführer durch den Versand von Akten ohne Aktenverzeichnis Nachteile erfahren haben solle, gelte es festzuhalten, dass nach kantonalem Recht kein Anspruch auf die Zustellung von paginierten Akten bestehe. Es sei problemlos möglich, mit den chronologisch geordneten Akten zu arbeiten, selbst wenn diese nicht paginiert seien. Bezüglich Untertauchensgefahr gelte es festzuhalten, dass der Beschwerdeführer am 28. Februar 2020 einen unbegleiteten und am 15. November 2020 einen polizeilich begleiteten Linienflug nach Äthiopien verweigert habe. Zudem habe er die Papierbeschaffung nie unterstützt, sondern zu vereiteln versucht. Es sei deshalb offenkundig nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer für einen Rückflug in sein Heimatland bereitgehalten und diesen auch angetreten hätte. Die Untertauchensgefahr erscheine somit als erheblich. Die Absehbarkeit des Wegweisungsvollzugs sei während der gesamten Dauer der Haftanordnung gegeben gewesen. Deshalb hätte der Beschwerdeführer wohl zugewartet und erst 3 Tage vor der geplanten Rückschaffung eine Eingabe an den UN-Ausschuss gerichtet. Damit zeige sich auch, dass keine mildere Massnahme als die Ausschaffungshaft dem Ziel der Rückführung des rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesenen Beschwerdeführers gedient hätte. Zu den geltend gemachten unzulässigen Haftbedingungen im Untersuchungsgefängnis Solothurn sei festzuhalten, dass dieses sehr wohl eine Abteilung für die Administrativhaft unterhalte. Dass aufgrund der besonderen Umstände der Corona-Pandemie einige Zellen im separierten Trakt anderweitig genützt würden, sei hingegen sehr wohl als begründete Ausnahme zu verstehen. Dass dieser Situation, wenn immer möglich Rechnung getragen werde und Personen anderweitig, beispielsweise im Gefängnis Bässlergut, platziert würden, habe der Beschwerdeführer selbst erfahren, sei er doch längere Zeit dort untergebracht gewesen.
8. Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 replizierte der Beschwerdeführer und wiederholte, dass die Ausschaffungshaft unzulässig gewesen sei, da Verfahrensrechte verletzt worden seien, kein Haftgrund gegeben gewesen sei, die Haft unverhältnismässig und die Haftbedingungen unzulässig gewesen seien.
II.
1.1 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (§ 11 Einführungsverordnung zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und zum Asylgesetz [EAuV, BGS 512.153]; § 49 Gerichtsorganisationsgesetz [GO, BGS 125.12]). A.___ ist durch die Verfügung des Haftgerichts vom 15. Januar 2020 beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde vom 28. Januar 2021 ist im Grundsatz einzutreten.
1.2 Der Beschwerdeführer ist am 26. Januar 2021 aus der Ausschaffungshaft entlassen worden. Hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren gestellten Feststellungsbegehren fehlt es deshalb prinzipiell am schutzwürdigen (aktuellen und praktischen) Interesse an einer Beurteilung, insbesondere was die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung anbelangt.
1.3 Das Bundesgericht tritt aber ausnahmsweise auf eine Beschwerde dennoch ein, wenn sich die aufgeworfene Frage unter gleichen ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen kann, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung der Rechtsfrage wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1S. 143; 139 I 206 E. 1.1 S. 208). In Fällen, in denen durch die EMRK geschützte Ansprüche zur Diskussion stehen (Art. 5 EMRK bzw. Art. 31 BV), tritt das Bundesgericht regelmässig auf Feststellungsanträge ein, auch wenn kein unmittelbares aktuelles praktisches Interesse mehr an der Beurteilung der Rechtmässigkeit des Haftregimes besteht. Es tut dies auch im Hinblick darauf, dass solche Fragen auch Gegenstand eines Verfahrens vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bilden könnten (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 2C_844/2020 vom 30. Oktober 2020). Dasselbe gilt für das Verwaltungsgericht. Es ist deshalb zu prüfen, ob die am 15. Januar 2021 angeordnete Ausschaffungshaft unrechtmässig unangemessen war.
2. Zur Sicherung des Vollzugs eines erstinstanzlichen Weg- Ausweisungsentscheids einer erstinstanzlichen Landesverweisung kann eine ausländische Person in Ausschaffungshaft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere, weil sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 Ausländer- und Integrationsgesetz [AIG, SR 142.20]). Dasselbe gilt, wenn ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 AIG). Die beiden Haftgründe werden in der Praxis zum Haftgrund der «Untertauchensgefahr» zusammengefasst (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_871/2012 vom 28. Januar 2013 E. 4.1). Eine Untertauchensgefahr liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich die ausländische Person der Ausschaffung entziehen will, insbesondere, weil ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich den Anordnungen der Ausländerbehörde im Zusammenhang mit ihrer Ausschaffung widersetzen wird. Dies ist regelmässig der Fall, wenn sie bereits einmal untergetaucht ist, durch erkennbare unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollziehungsbemühungen zu erschweren versucht sonst klar zu erkennen gibt, dass sie nicht bereit ist, in ihre Heimat zurückzukehren (Urteil des Bundesgerichts 2C_1063/2019 vom 17. Januar 2020, E. 4.1).
3.1 Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist offensichtlich. Zur Haftanordnung bis 26. November 2020 kann auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 18. November 2020 (VWBES.2020.433) verwiesen werden. Das Verwaltungsgericht hat dort ausgeführt:
«2.2 Das Haftgericht hat in seinem Urteil treffend dargelegt, dass diese Voraussetzungen erfüllt waren: Der Beschwerdeführer hatte bereits erfolglos zwei Asylgesuche gestellt. Seit mehreren Jahren war klar, dass er die Schweiz zu verlassen hatte. Am 28. Februar 2020 weigerte er sich, in seine Heimat zu fliegen, im März 2020 war die Ausschaffung wegen der Corona-Pandemie nicht möglich. Als sich im Laufe der Ausschaffungshaft abzeichnete, dass eine etwaige Rückschaffung im Herbst möglich sein könnte – das Laissez-passer wurde am 28. September 2020 tatsächlich ausgestellt - stellte der Beschwerdeführer am 11. September 2020 ein drittes Asylgesuch (ein Wiedererwägungsgesuch), auf welches das SEM innert Wochenfrist nicht eintrat (act. 547 ff.). Der zeitliche Zusammenhang ist offensichtlich, hatte doch der Beschwerdeführer während fünf Jahren kein Asylgesuch mehr gestellt und sah sich nun offenbar aufgrund der drohenden Ausschaffung dazu veranlasst, es nochmals zu versuchen. Das MISA seinerseits hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anlass, die damals noch andauernde Ausschaffungshaft in eine Vorbereitungshaft umzuwandeln. Erst das beim MISA am 23. Oktober 2020 eingegangene (siehe Stempel act. 618) Urteil des Bundesgerichts vom 21. Oktober 2020, in welchem die Rechtswidrigkeit der Ausschaffungshaft festgestellt und der Hinweis auf eine mögliche Durchsetzungshaft gemacht wurde (E. 6.1 des bundesgerichtlichen Urteils), bewog das MISA dazu, die Vorbereitungshaft anzuordnen. Wie das Haftgericht richtig ausführt, ist dies nicht zu beanstanden, war doch erst mit Vorliegen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2020 letztinstanzlich geklärt, dass dem Beschwerdeführer auch weiterhin kein Flüchtlingsstatus zukommt. Insofern kann in einem ersten Zwischenschritt festgehalten werden, dass die Vorbereitungshaft grundsätzlich zu Recht angeordnet wurde. Auf die Verhältnismässigkeit der Massnahme ist in E. 3.3 hiernach einzugehen.
3.1 Seit dem 27. Oktober 2020 sitzt der Beschwerdeführer nun in Durchsetzungshaft. Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- Ausweisung die rechtskräftige Landesverweisung aufgrund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so kann sie, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, laut Art. 78 Abs. 1 AIG in Durchsetzungshaft genommen werden, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt. Die Haft kann für einen Monat angeordnet werden. Sie kann mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde jeweils um zwei Monate verlängert werden, sofern die betroffene Person weiterhin nicht bereit ist, ihr Verhalten zu ändern und auszureisen. Vorbehalten bleibt Art. 79 (Art. 78 Abs. 2 AIG). Die Haft wird laut Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG beendet, wenn eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich ist, obwohl die betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (lit. a). Die Ausschaffungshaft geht gegenüber der Durchsetzungshaft vor. Zunächst obliegt es der Behörde, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und unter Beachtung des Beschleunigungsgebots auf die Ausschaffung hinzuarbeiten (Zünd, a.a.O., Art. 78 N 3).
3.2 Die Ausschaffungshaft wurde vom Bundesgericht als rechtswidrig aufgehoben. Im Zeitpunkt des kantonalen Urteils habe nur eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit bestanden, die Wegweisung des Beschwerdeführers innert absehbarer Zeit vollstrecken zu können. Ein Laissez-passer wurde in der Folge – noch während der Rechtshängigkeit am Bundesgericht – zwar ausgestellt, aber die polizeilich begleitete Ausreise per Linienflug am Sonntag, 15. November 2020 wurde wiederum wegen des Widerstands des Beschwerdeführers verunmöglicht. Die Erwägung des Haftgerichts vom 27. Oktober 2020, wonach aufgrund der Corona-Situation nicht klar sei, wann Flüge nach Äthiopien wieder möglich seien, ist insofern zu relativieren. Nach wie vor finden sich im Internet Angebote für Flüge nach Addis Abeba (statt vieler: https://www.momondo.ch/flight-search/GVA-ADD/ 2020-11-18/2020-11-25?sort=bestflight_a, abgerufen am 17. November 2020; auch auf der Buchungsseite von ebookers finden sich Flüge der Ethiopian Airlines, der Turkish Airlines der Emirates nach Addis Abeba). Für die Region Tigray bestehen seit Anfang November 2020 Einschränkungen, die Lage dort ist unübersichtlich und die weitere Entwicklung ungewiss (https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/ vertretungen-und-reisehinweise/aethiopien/reisehinweise-fueraethiopien.html, abgerufen am 17. November 2020). Allerdings liegt diese Region im Norden des Landes, im Grenzgebiet zu Eritrea. Das Bundesverwaltungsgericht und das SEM haben sich in ihren Entscheiden eingehend mit der Situation in der Heimat des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht hielt in E. 9.1 fest, auch wenn das Land nach wie vor unter ethnischen Konflikten leide, sei insgesamt von einer positiven Entwicklung der politischen Situation auszugehen. Rein praktisch sind also Flüge nach Addis Abeba nach wie vor möglich.»
3.2 Ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid liegt mit dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2020 (erneut und unbestritten) vor und der Vollzug ist nach wie vor ausstehend. Ebenso besteht nach wie vor Untertauchensgefahr; sie hat sich eher noch verstärkt. Der Beschwerdeführer verweigert nach wie vor jegliche Kooperation und hat auch anlässlich seiner Einvernahme durch das MISA am 13. Januar 2021 (act. 854 ff.) und an der Verhandlung vor dem Haftgericht am 15. Januar unmissverständlich und wiederholt geäussert, nicht nach Äthiopien zurückgehen zu wollen. Die Rückkehr war aber ohne weiteres möglich, wie das SEM in seinem Amtsbericht vom 2. Dezember 2020 zuhanden des Bundesgerichts bestätigte (act. 835 f). Von fehlender Absehbarkeit kann keine Rede sein. Die Vorinstanz hat das Vorliegen eines Haftgrundes im Sinne von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG zu Recht bejaht. Daran ändert nichts, dass sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Anhaltung am 13. Januar 2021 klaglos in der Asylunterkunft Balmberg aufgehalten hat und anlässlich des letzten Ausschaffungsversuchs im Anmeldeformular zum Flug als «hochanständige Person» bezeichnet wurde (act. 704). Die kantonale Behörde durfte nach drei abgewiesenen Asylverfahren und all den bisherigen Vollzugsbemühungen davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer sich auch künftig nicht an ihre Verfügungen halten werde.
3.3 Auch bezüglich der Frage der Verhältnismässigkeit der angeordneten Ausschaffungshaft kann auf das oben zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. November 2020 verwiesen werden:
3.3 Gescheitert ist der Vollzug der rechtskräftig entschiedenen Wegweisung (vgl. act. 675) des Beschwerdeführers an dessen Widerstand, der sich einmal in passiver Form manifestiert hat, indem der Beschwerdeführer nie Hand zur Beschaffung von Reisepapieren geboten hat. Aktiven Widerstand hat er nun bereits zweimal geleistet, als es um die Durchführung der Flüge ging, einmal Ende Februar 2020 und nun erneut am 15. November 2020. Zudem ist der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Anwesenheit in der Schweiz mehrfach untergetaucht und wurde zuletzt im Rahmen eines Dublin-Verfahrens von Deutschland in die Schweiz überstellt. Anlässlich der Anhörung vor dem Haftgericht am 27. Oktober 2020 gab er denn auch an, er sei nicht bereit, in seine Heimat zurückzureisen, weil er dort für fünf Jahre ins Gefängnis müsse. Eine Wohnadresse konnte er nicht benennen, er gab an, während seines Untertauchens «überall, im Wald» gewesen zu sein. Ein milderes Mittel wie etwa die Eingrenzung ist darum nicht tauglich, um die Wegweisung zu gewährleisten. Das hat der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten in der Vergangenheit gezeigt. Die Durchsetzungshaft, die maximal für 18 Monate angeordnet werden darf, wurde hier erstmals für einen Monat genehmigt. Sie verstösst also nicht gegen das Übermassverbot. Sowohl die Voraussetzung für die vom MISA angeordnete Vorbereitungs- als auch die Durchsetzungshaft waren bzw. sind erfüllt. Die angeordneten Massnahmen sind angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers verhältnismässig. Eine andere Möglichkeit, die Wegweisung mit milderen Mitteln zu vollstrecken, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat es in der Hand, die Haft durch seine Kooperation möglichst rasch zu beenden.
All dies gilt weiterhin, auch wenn nun wieder eine Ausschaffungshaft zu beurteilen ist. Eine mildere Massnahme, wie die angeführte Eingrenzung, konnte angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit bereits untergetaucht ist und sich der Behörde entzogen hat, nicht infrage kommen. Auch erwies sich die verfügte Dauer der Ausschaffungshaft von 2 Monaten angesichts der Schwierigkeiten des Wegweisungsvollzug (Papierbeschaffung und 2-malige Verweigerung des Rückflugs) als verhältnismässig.
3.4 Zusammenfassend erweist sich die angeordnete Administrativhaft als recht- und verhältnismässig. Das gegenteilige Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers ist abzuweisen.
4.1 Wie oben (II. 1.2) angeführt, kann auf das Eventualbegehren (Rückweisung an das Haftgericht zur Neubeurteilung) nicht eingetreten werden. Ob an der Feststellung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beim bisherigen Ergebnis noch ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse besteht, kann offenbleiben, denn die entsprechenden Vorwürfe sind unbegründet.
4.2 Der Beschwerdeführer und seine Vertreterin monieren (wiederholt), die Akten seien nicht paginiert. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Die dem Gericht zur Verfügung stehenden, vom MISA geführten Akten umfassen aktuell 926 Seiten (ohne Verzeichnis), sind paginiert und stehen in elektronischer Form zur Verfügung. Sie wurden der Vertreterin am 17. November 2020 ebenfalls in elektronischer Form zugestellt (act. 723 f). Dass diese nicht immer tagesaktuell paginiert werden, versteht sich von selbst. Das Haftgericht verfügt denn auch primär in elektronischer Form über die Akten des MISA und arbeitet selbst in der Regel nur mit der angefochtenen respektive zu beurteilenden Verfügung und wenigen weiteren allenfalls massgeblichen Dokumenten. Wieso diese zwingend paginiert werden müssten, legt der Beschwerdeführer nicht im Entferntesten dar. Im Übrigen besteht nach kantonalem Recht kein Anspruch auf paginierte Akten. Wie das Bundesgericht im Urteil 6B_1095/2019 vom 30. Oktober 2019 in E. 3.3.2 festgehalten hat, greift es trotz «suboptimaler Aktenführung» regelmässig nicht ein, wenn das rechtliche Gehör, die Verteidigungsrechte und die Verfahrensfairness gewährleistet scheinen. Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann keine Rede sein.
4.3 Im Weiteren moniert der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dadurch, dass die Rechtsvertretung nicht über die Durchführung des rechtlichen Gehörs am 13. Januar 2021 informiert bzw. zu diesem eingeladen worden sei. Es mag sein, dass die Unterlassung dieses Telefonats (ein Anspruch auf Vorankündigung respektive Verschiebung besteht ohnehin nicht) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt. Dieser allfällige kleine Mangel wurde aber bereits am Folgetag mit Zustellung der Haftanordnung und dann mit Teilnahme und Darlegen des Standpunkts an der Haftverhandlung geheilt. Dem MISA kann auch nicht der Vorwurf gemacht werden, die Rechtsvertreterin nicht über die Inhaftierung informiert zu haben. Aus dem Einvernahmeprotokoll vom 13. Januar 2021 geht unmissverständlich hervor, dass der Beschwerdeführer ausgesagt hat, dies selbst zu tun. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt damit nicht vor.
4.4 Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, das Untersuchungsgefängnis (UG) in Solothurn sei keine geeignete Hafteinrichtung i.S.v. Art. 81 AIG für die Durchführung von Ausschaffungshaft, besteht angesichts seiner Haftentlassung kein aktuelles und praktisches Interesse mehr an weiteren Ausführungen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Untersuchungsgefängnis Solothurn sehr wohl eine Abteilung für Administrativhaft unterhält (vgl. https://so.ch/verwaltung/departement-des-innern/amt-fuer-justizvollzug/untersuchungsgefaengnisse/ug-solothurn/) und damit – nebst dem Hauptzweck für Untersuchungshaft – auch für die Administrativhaft eine geeignete Anstalt im Sinne von Art. 81 Abs. 2 AIG darstellt. Wie der Beschwerdeführer selber weiss, vollzieht der Kanton Solothurn die Administrativhaft möglichst im dafür spezialisierten Gefängnis Bässlergut in Basel. Wenn immer möglich und insbesondere, wenn Einvernahmen Verhandlungen bevorstehen, wird aus praktischen und nachvollziehbaren Gründen das Untersuchungsgefängnis Solothurn bevorzugt. Dass im vorliegenden Fall bei einer Anhaltung am 13. Januar 2021 und einer geplanten Rückführung am 27. Januar 2021 das Untersuchungsgefängnis Solothurn als Haftvollzugsanstalt gewählt wurde, ist deshalb nicht zu beanstanden. In begründeten Ausnahmefällen kann die Haft sogar in ordentlichen Haftanstalten vollzogen werden, wenn die Trennung von den anderen Häftlingen sichergestellt bleibt und ein administrativ anderweitig nicht bewältigbarer wichtiger Grund für dieses Vorgehen spricht (vgl. BGE 146 II 201 E. 8 S. 216 f.). Die Haftbedingungen sind demnach vor dem Hintergrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (erneut) nicht zu beanstanden.
5. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird. Nach § 77 Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG, BGS 124.11) werden die Prozesskosten in sinngemässer Anwendung der Art. 106 - 109 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) auferlegt. Praxisgemäss wird auf die Erhebung von Kosten verzichtet, so dass das gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos wird. Nach § 76 Abs. 1 VRG kann eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel für die Prozessführung verfügt, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege verlangen, wenn der Prozess nicht als aussichtslos mutwillig erscheint. Wie sich aus den Erwägungen ergibt, war die Beschwerde aussichtslos, so dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ebenfalls abgewiesen werden muss. Als unterlegene Partei hat der Beschwerdeführer zudem keinen Anspruch auf Ausrichtung einer Parteientschädigung.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 2. Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben. 3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird abgewiesen. 4. Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Scherrer Reber Kaufmann
Das vorliegende Urteil wurde vom Bundesgericht mit Urteil 2C_278/2020 vom 27. Juli 2021 teilweise (Ziffer 3) aufgehoben.
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