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Urteil Verwaltungsgericht (SO)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2020.84
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2020.84 vom 09.04.2020 (SO)
Datum:09.04.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Ausschaffungshaft
Schlagwörter: Beschwerde; Beschwerdeführer; Urteil; Recht; Wegweisung; Afghanistan; Ausschaffung; Vollzug; Migration; Ausschaffungshaft; Bundesgericht; Beschwerdeführers; Landes; Bundesgerichts; Migrationsamt; Unentgeltliche; Akten; Verfügung; Landesverweisung; Wegweisungsvollzug; Haftgericht; Sicherheitslage; Rechtsanwältin; Staat; Person; Schweiz; Taliban; Hinweis; Verwaltungsgericht
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ; Art. 3 EMRK ; Art. 60 StGB ; Art. 76 AIG ; Art. 79 AIG ; Art. 80 AIG ;
Referenz BGE:130 II 56; 139 I 206;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Urteil vom 9. April 2020

Es wirken mit:

Präsidentin Scherrer Reber

Oberrichter Stöckli

Oberrichter Frey

Gerichtsschreiberin Gottesman

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig

Beschwerdeführer

gegen

1. Haftgericht

2. Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt

Beschwerdegegner

betreffend Ausschaffungshaft


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

I.

1. A.___ (geb. 1979, nachfolgend Beschwerdeführer genannt) stammt aus Afghanistan. Er reiste am 1. November 2007 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Das damalige Bundesamt für Migration wies das Gesuch mit Verfügung vom 10. Dezember 2008 ab und wies den Beschwerdeführer aus der Schweiz weg. Zu Gunsten einer vorläufigen Aufnahme wurde die Wegweisung zufolge Unzumutbarkeit nicht vollzogen. Auf ein vom Beschwerdeführer gestelltes Gesuch um Familiennachzug trat das Migrationsamt mit Verfügung vom 16. April 2014 nicht ein. Ein erneut gestelltes Familiennachzugsgesuch wurde vom damaligen Bundesamt für Migration am 5. Dezember 2014 abgelehnt.

2. Das Amtsgericht Dorneck-Thierstein sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 8. Februar 2019 der Brandstiftung, des Diebstahls, der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie zu einer Busse von CHF 300.00. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zu Gunsten einer stationären Massnahme gemäss Art. 60 Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) aufgeschoben und der Beschwerdeführer für 8 Jahre des Landes verwiesen. Infolge Rückzugs der dagegen erhobenen Berufung erwuchs dieses Urteil in Rechtskraft.

3. Mit Anfrage vom 4. Dezember 2019 ersuchte das Migrationsamt das Staatssekretariat für Migration (SEM) um einen Amtsbericht zu möglichen Hinderungsgründen für den Vollzug der Landesverweisung. Mit Stellungnahme vom 15. Januar 2020 teilte das SEM dem Migrationsamt mit, dass bei einer allfälligen Wegweisung des Beschwerdeführers keine Vollzugshindernisse weder im flüchtlingsrechtlichen noch im menschenrechtlichen Rückschiebungsverbot zu erkennen seien.

4. Mit Schreiben vom 13. Januar 2020 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, dass die ihm gewährte vorläufige Aufnahme infolge der rechtskräftigen Landesverweisung erloschen sei.

5. Mit Schreiben vom 7. Februar 2020 bat das SEM die afghanische Botschaft um Bekanntgabe eines Datums zwecks Anerkennung und Identifizierung des Beschwerdeführers.

6. Mit Verfügung vom 17. Februar 2020 hob das Amt für Justizvollzug namens des Departements des Innern (DdI) die für den Beschwerdeführer mit Urteil des Amtsgerichts Dorneck-Thierstein vom 8. Februar 2019 angeordnete stationäre Massnahme nach Art. 60 StGB zufolge Aussichtslosigkeit per 1. März 2020 auf und übergab den Beschwerdeführer zur Vollstreckung der Landesverweisung per 28. Februar 2020 an das Migrationsamt.

7. Am 28. Februar 2020 wurde der Beschwerdeführer aus dem Vollzug ins Untersuchungsgefängnis (UG) Solothurn überführt, wo ihm gleichentags das rechtliche Gehör zu den Gründen der Ausschaffungshaft gewährt wurde.

8. Am 28. Februar 2020 verfügte das Migrationsamt die Ausschaffungshaft für drei Monate im Untersuchungsgefängnis Solothurn oder in einer anderen geeigneten Institution. Nach einer mündlichen Verhandlung genehmigte das Haftgericht mit Verfügung vom 3. März 2020 die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Ausschaffungshaft für drei Monate, d.h. bis am 28. Mai 2020.

9. Mit Beschwerde vom 13. März 2020 wandte sich der Beschwerdeführer, v.d. Rechtsanwältin Stephanie Selig, an das Verwaltungsgericht und stellte folgende Rechtsbegehren:

1.    Es sei die Verfügung des Haftgerichts vom 3. März 2020 aufzuheben und der Beschwerdeführer sei umgehend aus der Haft zu entlassen.

2.    Es sei dem Beschwerdeführer die integrale unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren unter Beiordnung der unterzeichneten Rechtsanwältin als unentgeltliche Rechtsbeiständin.

3.    Unter Kostenund Entschädigungsfolge.

Zudem liess der Beschwerdeführer folgende Verfahrensanträge stellen:

1.    Es seien die Akten der Vorinstanz beizuziehen.

2.    Es seien der unterzeichneten Rechtsanwältin die Verfahrensakten nach Beizug der Vorakten zur Einsichtnahme zuzustellen.

3.    Es sei dem Beschwerdeführer nach Gewährung der Akteneinsicht Frist zur einlässlichen Begründung der Beschwerde anzusetzen.

10. Mit Präsidialverfügung vom 16. März 2020 wurde dem Beschwerdeführer die integrale unentgeltliche Rechtspflege samt unentgeltlichem Rechtsbeistand bewilligt.

11. Am 26. März 2020 erfolgte fristgerecht die ergänzende Beschwerdebegründung.

12. Das Haftgericht beantragte mit Eingabe vom 30. März 2020 die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.

13. Mit Vernehmlassung vom 2. April 2020 schloss das Migrationsamt namens des DdI auf vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge.

14. Der Beschwerdeführer replizierte am 7. April 2020.

15. Für die weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die Akten verwiesen; soweit erforderlich, ist im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen darauf einzugehen.

II.

1. Die Beschwerde ist fristund formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.1 Zur Sicherung des Vollzugs eines erstinstanzlichen Wegoder Ausweisungsentscheids oder einer erstinstanzlichen Landesverweisung kann eine ausländische Person in Ausschaffungshaft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 Ausländerund Integrationsgesetz [AIG, SR 142.20]). Dasselbe gilt, wenn ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 AIG). Die beiden Haftgründe werden in der Praxis zum Haftgrund der «Untertauchensgefahr» zusammengefasst (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_871/2012 vom 28. Januar 2013 E. 4.1 mit Hinweisen). Eine solche liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich die ausländische Person der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich den Anordnungen der Ausländerbehörde im Zusammenhang mit ihrer Ausschaffung widersetzen wird. Dies ist regelmässig der Fall, wenn sie bereits einmal untergetaucht ist, durch erkennbare unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollziehungsbemühungen zu erschweren versucht oder sonst klar zu erkennen gibt, dass sie nicht bereit ist, in ihre Heimat zurückzukehren (BGE 130 II 56 E. 3.1 S. 58 f., das Ganze zitiert aus: Urteil des Bundesgerichts 2C_1063/2019 vom 17. Januar 2020, E. 4.1).

2.2 Gegen den Beschwerdeführer liegt eine rechtskräftige Landesverweisung vor. Der Beschwerdeführer hat gegenüber den Behörden sodann wiederholt klar zu erkennen gegeben, nicht freiwillig nach Afghanistan zurückkehren zu wollen. Dazu kann auf E. 4 des Haftentscheids vom 3. März 2020 verwiesen werden. Jedenfalls hat die Vorinstanz den Haftgrund der Untertauchensgefahr gemäss Art. 76 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG zu Recht bejaht, was vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird. Ob die Ausschaffungshaft zusätzlich aufgrund Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 AIG i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. g und h AIG angezeigt ist, so das Haftgericht, kann bei diesem Ergebnis offen bleiben. Mit Blick auf das Urteil des Amtsgerichts Dorneck-Thierstein vom 8. Februar 2019 dürften aber auch diese Haftgründe gegeben sein.

3.1 Zu prüfen ist, ob auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung der Ausschaffungshaft erfüllt sind. Nach Art. 76 Abs. 4 AIG hat die zuständige Behörde die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen (Beschleunigungsgebot). Bei der Überprüfung des Entscheids über Anordnung, Fortsetzung und Aufhebung der Haft berücksichtigt die richterliche Behörde auch die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs (Art. 80 Abs. 4 AIG). Die Haft wird namentlich beendet, wenn der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG). In diesem Rahmen muss die ausländerrechtliche Festhaltung auch insgesamt verhältnismässig bleiben und darf die maximale Haftdauer nach Art. 79 AIG in keinem Fall überschreiten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_268/2018 vom 11. April 2018, E. 2.2. m.w.H).

3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Rückkehr nach Afghanistan sei ihm infolge seiner instabilen gesundheitlichen Situation und aufgrund der existenzbedrohenden Lage in Afghanistan unzumutbar. Sodann bestreitet der Beschwerdeführer mit Blick auf die gegenwärtige globale Pandemiesituation die tatsächliche und rechtliche Durchführbarkeit der Wegweisung.

4.1 Ist der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG), lässt sich die Ausschaffungshaft nicht mehr mit einem hängigen Wegweisungsverfahren rechtfertigen; sie verstösst zugleich gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. f Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101). Wie es sich mit der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Einzelnen verhält, bildet Gegenstand einer nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmenden Prognose. Massgebend ist, ob der Wegweisungsvollzug mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innert absehbarer Zeit möglich erscheint oder nicht. Die Haft verstösst gegen Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG und ist zugleich unverhältnismässig, wenn triftige Gründe dafür sprechen, dass die Wegweisung innert vernünftiger Frist nicht vollzogen werden kann (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61 mit Hinweisen; Urteil 2C_846/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 4.3.1). Die Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne von Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG kann mitunter auf gesundheitlichen Gründen beruhen, etwa wenn eine länger dauernde Transportunfähigkeit vorliegt (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61; Urteil 2C_542/2008 vom 26. August 2008 E. 3.1). Unter dem Blickwinkel von Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG ist die Haft indes nur aufzuheben, wenn keine oder bloss eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit besteht, dass die ausländische Person transportfähig wird, nicht indessen bei einer ernsthaften, wenn auch allenfalls (noch) geringen Aussicht hierauf (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61; Urteile 2C_700/2015 vom 8. Dezember 2015 E. 4.3.1; 2C_542/ 2008 vom 26. August 2008 E. 3.1). Unter Vorbehalt einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die betroffene Person ist die Frage nach der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne von Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG nicht notwendigerweise im Hinblick auf die maximale Haftdauer, sondern vielmehr auf einen den gesamten Umständen des konkreten Falles angemessenen Zeitraum zu beurteilen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_268/2018 vom 11. April 2018, E. 2.3.1).

4.2 Das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 76 Abs. 4 AIG verlangt, dass der Vollzug der Wegweisung mit dem nötigen Nachdruck verfolgt wird. Die für den Wegweisungsvollzug notwendigen Vorkehrungen sind umgehend zu treffen. Das Beschleunigungsgebot gilt als verletzt, wenn während mehr als zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf den Vollzug der Wegweisung getroffen wurden (Untätigkeit der Behörden), ohne dass die Verzögerung in erster Linie auf das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selbst zurückgeht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_268/2018 vom 11. April 2018, E. 2.3.2 u.a. mit Hinweis auf BGE 139 I 206 E. 2.1 S. 211).

5. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung und auch in ambulanter suchttherapeutischer Behandlung war. So wurde denn auch mit Urteil des Amtsgerichts Dorneck-Thierstein vom 8. Februar 2019 nebst der Landesverweisung eine stationäre Suchttherapie angeordnet. Auch gewisse körperliche Beschwerden sind in den Akten dokumentiert. Der Beschwerdeführer verkennt indes, dass eine Krankheit die Ausschaffungshaft nicht dahinfallen lässt; diese ist unter Umständen in einer geeigneten Anstalt oder Klinik zu vollziehen, wozu die Haft nicht formell aufgehoben werden muss, sondern eine Verlegung während des Haftvollzugs genügt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2A.671/2006 vom 11. Dezember 2006, E. 2.4). Den geltend gemachten gesundheitlichen Problemen ist im Rahmen der medizinischen Versorgung im Gefängnis Bässlergut, wo der Beschwerdeführer derzeit untergebracht ist, Rechnung zu tragen. Eine länger dauernde Transportunfähigkeit macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.

6.1 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Urteil D-5800/2016 vom 13. Oktober 2017 eingehend mit der Lage in Afghanistan befasst. Dabei hat es zahlreiche Quellen ausgewertet (vgl. die Auflistung in E. 6.3.2) und sich detailliert mit den Anschlägen dort auseinandergesetzt (E. 8.2.2). Es hat erwogen, dass die Sicherheitslage in Kabul äusserst prekär sei (E. 8.2.3), eine Mehrheit der Bevölkerung in Siedlungen lebe, die einen schlechten oder keinen Zugang zur grundlegenden Infrastruktur (Strom, Trinkwasser etc.) hätten (E. 8.3.1), die Gesundheitsversorgung mangelhaft sei (E. 8.3.2) und der starke Bevölkerungszuwachs die bestehenden Probleme weiter verschärfe (E. 8.3.3). Die Sicherheitslage wie auch die humanitäre Situation habe sich klar verschlechtert und die Lage in Kabul sei grundsätzlich als existenzbedrohend und deshalb unzumutbar zu qualifizieren. Nur beim Vorliegen besonders günstiger Voraussetzungen könne von der Zumutbarkeit des Vollzugs ausgegangen werden (E. 8.4; das Ganze zitiert aus: Urteil des Bundesgerichts vom 22. November 2019, E. 3.2.3.).

6.2 Was die Zulässigkeit des Vollzugs betrifft, so hat das Bundesgericht in einem neueren Entscheid betreffend Afghanistan bzw. Kabul erwogen, dass die Rückkehr in eine Situation, die in einem Staat allgemein üblich sei, ohne Hinweise auf eine konkrete Gefährdung der Einzelperson grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK verstosse (vgl. Urteil 2C_915/2017 vom 24. November 2017 E. 5.2 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht in einem aktuellen Urteil davon aus, dass Rückführungen nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden Lage nicht generell unzulässig seien (Urteil des EGMR A.A. gegen die Schweiz vom 5. November 2019 [Nr. 32218/17], Rz. 46).; das Ganze zitiert aus: Urteil des Bundesgerichts vom 22. November 2019, E. 3.2.5.).

6.3 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Verfügung des SEM vom 10. Dezember 2008 abgelehnt wurde. Darin wurde ausgeführt, die vom Beschwerdeführer angeführten Ereignisse hätten im Jahr 2000 in Afghanistan stattgefunden, zu einem Zeitpunkt, als die Taliban noch die Herrschaft in Afghanistan ausgeübt hätten. Seither habe sich die Lage in Afghanistan geändert. Der Herrschaft der Taliban habe das Eingreifen der USA im Herbst 2001 ein Ende gesetzt. Im Jahr 2005 seien Parlamentswahlen abgehalten worden. Nach einer anfänglichen Verbesserung der Lage nach dem Sturz der Taliban habe sich die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan in der letzten Zeit zwar verschlechtert und bleibe angespannt. Die Taliban hätten ihre Aktivitäten verstärkt und ihren Einfluss besonders in den südlichen und südöstlichen Provinzen sowie teilweise im Westen des Landes ausdehnen können. Der Heimatdistrikt des Beschwerdeführers gelte heute aber noch als vergleichsweise sicher. Vor diesem Hintergrund bestehe für den Beschwerdeführer dort keine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die Taliban, die gezielt gegen ihn gerichtet sei. Es sei unwahrscheinlich, dass der

Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Verfolgungsmassnahmen durch Leute der Sepahi-Gruppe, mit denen sein Vater und sein Bruder früher Probleme gehabt hätten, ausgesetzt sein werde. Da der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, könne auch der Grundsatz der Nichtrückschiebung gemäss Art. 5 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG, SR 142.31) nicht angewandt werden. Ferner ergäben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Gesuchsteller im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine durch Art. 3 EMRK verbotene Strafe oder Behandlung drohe.

6.4 Das SEM kommt im Rahmen seiner Stellungnahme an das Migrationsamt vom 15. Januar 2020 zum Schluss, es seien bei einer allfälligen Wegweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan weder im flüchtlingsrechtlichen (Art. 33 FK, Art. 5 Abs. 1 AsylG) noch im menschenrechtlichen Rückschiebungsverbot (Art. 3 EMRK) und damit letztendlich auch in einer Verletzung von Art. 3 FoK und Art. 7 UNO-Pakt II zu erkennen. Zur Begründung wird ausgeführt, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien vom SEM als nicht flüchtlingsrechtlich relevant erachtet worden. Aufgrund der dem SEM bekannten Aktenlage (Asylakten und Urteil vom 8. Februar 2019) liessen sich auch keine Hinweise dafür finden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner früheren Asylgründe bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer Gefährdung gemäss Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Auch die Menschenrechtsund Sicherheitslage in Afghanistan, die sich zwar verschlechtert hätten, liessen den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen, da nicht von einer derart desolaten Sicherheitslage ausgegangen werden müsse, dass die hohen Anforderungen des «real risks» einer unmenschlichen Behandlung erfüllt wären (vgl. z.B. Urteil des BVGer vom 30. Oktober 2019, D-5431/2018). Im Ergebnis dürfte dem Wegweisungsvollzug des Beschwerdeführers nach Afghanistan damit das menschenrechtliche Rückschiebungsverbot nicht entgegenstehen.

6.5 Auch die vom Beschwerdeführer umfassende Darstellung der aktuellen Lage in Afghanistan vermag die aktuelle Einschätzung des SEM nicht in Zweifel zu ziehen. Eine konkrete Gefährdung seiner Person legt der Beschwerdeführer nicht dar. Die von ihm vorgebrachte allgemeine Verschlechterung der Sicherheitslage genügt nicht, um den Vollzug der Landesverweisung als unzumutbar erscheinen zu lassen.

7. Die zur Zeit vorherrschende COVID-19-Pandemie führt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers im jetzigen Zeitpunkt nicht dazu, dass die Ausschaffung undurchführbar ist. Das SEM teilte den kantonalen Migrationsbehörden am 27. März 2020 mit, Rückführungen in die Herkunftsstaaten seien nicht generell ausgesetzt worden. Sie würden jedoch in einem stark eingeschränkten Rahmen stattfinden. Wie es sich mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Flugverkehr in den nächsten Wochen und Monaten verhalten wird, ist ungewiss. Vorliegend wurde die Ausschaffungshaft für drei Monate angeordnet. Mit Blick auf Art. 79 AIG besteht damit theoretisch die Möglichkeit der Haftverlängerung. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Ausschaffung aufgrund der Pandemie voraussichtlich nicht innerhalb der gesetzlichen Haftdauer vollzogen werden kann.

8. Demnach hat das Haftgericht die Verfügung des Migrationsamtes vom 28. Februar 2020 zu Recht geschützt und die angeordnete Ausschaffungshaft für die Dauer von drei Monaten genehmigt. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, weshalb sie vollumfänglich abzuweisen ist. Für das Beschwerdeverfahren sind praxisgemäss keine Kosten zu erheben.

9. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin, Rechtsanwältin Stephanie Selig, wird gemäss der eingereichten Kostennote, die zu keinen Bemerkungen Anlass gibt, auf CHF 2'631.00 (Honorar: CHF 2'442.90, Auslagen: CH 93.00, MWST:188.10) festgesetzt und ist infolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald der Beschwerdeführer zur Nachzahlung in der Lage ist (vgl. Art. 123 Schweizerische Zivilprozessordnung, ZPO, SR 272).

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben.

3.    Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin, Rechtsanwältin Stephanie Selig, wird auf CHF 2'631.00 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat Solothurn zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald der Beschwerdeführer zur Nachzahlung in der Lage ist (vgl. Art. 123 ZPO).

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin

Scherrer Reber Gottesman



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