Zusammenfassung des Urteils VWBES.2017.370: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat am 19. Dezember 2017 über eine Beschwerde in Bezug auf den Neubau eines Bundesasylzentrums entschieden. Die Beschwerdeführer verlangten die Aufhebung der Baubewilligung, da sie der Meinung waren, dass sie durch das geplante Zentrum beeinträchtigt werden könnten. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Beschwerdeführer keine ausreichende räumliche Beziehungsnähe zum Bauprojekt hatten und auch kein praktisches Interesse daran, das Zentrum zu verhindern. Daher wurde die Beschwerde abgewiesen und die Beschwerdeführer wurden verpflichtet, die Gerichtskosten in Höhe von CHF 900.00 zu tragen.
| Kanton: | SO |
| Fallnummer: | VWBES.2017.370 |
| Instanz: | Verwaltungsgericht |
| Abteilung: | - |
| Datum: | 19.12.2017 |
| Rechtskraft: | - |
| Leitsatz/Stichwort: | Neubau Bundesasylzentrum |
| Schlagwörter: | Beschwer; Verwaltungs; Interesse; Verwaltungsgericht; Bundesgericht; Baubehörde; Zentrum; Verfahren; Recht; Entscheid; Anlage; Immissionen; Aufhebung; Beziehung; Distanz; Autobahn; Urteil; Bauten; Anlagen; Ausgang; Bundesgerichts; Betrieb; Sicherheit; Lärm; Flumenthal; Bundesasylzentrum; Einsprache |
| Rechtsnorm: | - |
| Referenz BGE: | 125 II 293; 133 II 181; 136 II 281; |
| Kommentar: | Alain Griffel, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich, 2014 |
Es wirken mit:
Präsidentin Scherrer Reber
Oberrichter Müller
Oberrichter Stöckli
Gerichtsschreiber Schaad
In Sachen
1. A.___
2. B.___
3. C.___
4. D.___
5. E.___
6. F.___
7. G.___
8. H.___
9. I.___
alle vertreten durch D.___
Beschwerdeführer
gegen
1. Baukommission der Einwohnergemeinde Flumenthal, 4534 Flumenthal
2. Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch Bundesamt für Bauten und Logistik, 3003 Bern
Beschwerdegegnerinnen
betreffend Neubau Bundesasylzentrum
zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Am 29. August 2017 bewilligte die Bauund Werkkommission Flumenthal auf GB Nr. 624, einer Parzelle, deren südlicher Teil in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen liegt, ein Bundesasylzentrum. Auf die Einsprache der vorgenannten Einsprecher ist sie nicht eingetreten.
2. Die Einsprecher erhoben Verwaltungsbeschwerde. Weil das Grundstück dem Kanton Solothurn gehört, kommt die Sprungbeschwerde nach § 2 Abs. 4 der Kantonalen Bauverordnung (KBV, BGS 711.61) zur Anwendung. Beschwerdeinstanz ist das Verwaltungsgericht. Entsprechend hat das Bauund Justizdepartement die Eingabe ans Verwaltungsgericht weitergeleitet.
3. Die Beschwerdeführer verlangen die Aufhebung der Baubewilligung. Auf die einzelnen Rügen ist im Folgenden, soweit erforderlich, einzugehen.
4. Die kommunale Baubehörde und das kantonale Bauund Justizdepartement haben auf eine Vernehmlassung verzichtet, ebenso das Bundesamt für Bauten und Logistik.
II.
1. Die Beschwerde ist fristund formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12 i.V.m. § 2 Abs. 4 KBV). Gegenstand des vorliegenden Verfahren ist, ob die kommunale Baubehörde auf die Einsprachen hätte eintreten müssen. Bloss insofern haben die Beschwerdeführer ein schützenswertes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen kommunalen Entscheids.
2.1 Zur Verwaltungsund Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach kantonalem Recht legitimiert, wer durch eine Verfügung einen Entscheid besonders berührt wird und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung Änderung hat (§ 12 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen; Verwaltungsrechtspflegegesetz; BGS 124.11). Dies entspricht dem Bundesrecht. Zumindest im Umfang von letzterem muss die Beschwerdemöglichkeit auch auf kantonaler Stufe bestehen.
2.2 Nach Art. 89 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG, SR 173.110) ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht befugt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung Änderung hat.
Das Bundesgericht verlangt gestützt auf Art. 89 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) neben der formellen Beschwer, dass ein Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung Änderung des angefochtenen Entscheids zieht. Die Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4236 Ziff. 2.3.1.2). Ein Kriterium für die Beurteilung der Beschwerdebefugnis ist die räumliche Distanz des Nachbarn zum umstrittenen Bauvorhaben, wobei es nicht auf abstrakt bestimmte Distanzwerte ankommt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_133/2008 vom 6. Juni 2008 E. 2.4 mit Hinweisen). Das Beschwerderecht wird in der Regel anerkannt, wenn der Bau Betrieb einer projektierten Anlage mit Sicherheit grosser Wahrscheinlichkeit zu Immissionen führt und der Beschwerdeführer durch diese - seien es Lärm-, Staub-, Erschütterungs-, Lichtoder andere Einwirkungen - betroffen wird. Sind solche Beeinträchtigungen zu erwarten, ändert auch der Umstand, dass eine grosse Anzahl von Personen betroffen ist, nichts an der Beschwerdebefugnis. So hat das Bundesgericht schon erkannt, dass bei grossflächigen Immissionen ein sehr weiter Kreis Betroffener zur Beschwerdeführung legitimiert sein kann, zum Beispiel die Anwohner eines Flughafens einschliesslich jener, die in der Verlängerung der Flugpisten wohnen (d.h. im Bereich der Anund Abflugschneisen; BGE 125 II 293 E. 3a S. 303 f.), all jene Personen, die von Schiesslärm betroffen sind, wenn sie den Lärm deutlich hören können und dadurch in ihrer Ruhe gestört werden (BGE 133 II 181 E. 3.2.2 mit Hinweisen). In dicht besiedelten Gebieten kann grundsätzlich sehr vielen Personen die Beschwerdelegitimation zukommen, ohne dass von einer unzulässigen Popularbeschwerde gesprochen werden müsste (siehe die Zusammenfassung dieser Praxis in BGE 136 II 281 E. 2.3.1 S. 285).
2.3 Diese Grundsätze sind auch hier massgebend (BVR 2013 S. 348 E. 4.2). Es ist zunächst festzuhalten, dass ausschlaggebend nicht allein Distanz allfälliger Sichtkontakt sind. Sind mit einem Betrieb Immissionen verbunden, kann dieser auch weiter als 100 m entfernt sein und braucht vom Grundstück der Beschwerdeführer nicht per se einsehbar zu sein (SOG 2013 Nr. 21).
2.4 Die Lehre unterscheidet Elemente der materiellen Beschwer, die sich nicht vollständig auseinanderhalten lassen: Besondere Beziehung zur Streitsache, praktisches Interesse, eigenes Interesse, unmittelbares Interesse, aktuelles Interesse. Diese Elemente sind zur Beurteilung der Legitimation zentral und dienen der Abgrenzung zur verpönten Popularbeschwerde. Weiter ist vorauszusetzen, dass ein Beschwerdeführer einen eigenen persönlichen praktischen Nutzen an der Rechtsmittelerhebung hat. Die Wahrnehmung öffentlicher Interessen genügt nicht (Alain Griffel [Hrsg.]: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 2014, N 13 und 21 zu § 21 ZH-VRG).
3.1 In Luftlinie gemessen beträgt die Distanz von der südlichen Parzellengrenze des Baugrundstücks zum nächstgelegenen Wohnhaus in Deitingen (Frauenholzstrasse 6) ca. 250 m. Die Messung führt aber nicht nur über den Russbach, sondern auch über die Autobahn A1. Eine direkte Wegverbindung besteht nicht. Die Distanz und der Autobahnlärm werden verhindern, dass irgendwelche Immissionen aus dem Zentrum zu diesem Haus gelangen. Von den Beschwerdeführern wohnt C.___ am Kanalweg [ ] am nächsten. Luftlinie sind es ca. 550 m. Das ist eindeutig zu weit weg, um von allfälligen Immissionen betroffen zu sein. Es wird sich auch kaum je ein Asylbewerber in die Quartiere der Beschwerdeführer «verirren».
3.2 Es ist nicht ersichtlich, welchen persönlichen praktischen Nutzen die einzelnen Beschwerdeführer hätten, wenn sie das Zentrum erfolgreich verhindern könnten. Materielle Immissionen (Lärm, Staub, Gerüche, Erschütterungen) werden ja gar keine geltend gemacht. Die Beschwerdeführer berufen sich zum Teil auf kommunale Interessen, jedenfalls auf das, was sie dafür halten. Das ist nicht angängig.
4. Es geht vereinfacht gesagt darum, ein grosses Haus zu bauen und zu betreiben. In einem Bauverfahren können nur konkrete Massnahamen vor Ort in direktem Zusammenhang mit dem Bauprojekt angeordnet werden. Es ist nicht möglich, für Grundstücke Anlagen andernorts Auflagen zu machen (Autobahnbrücke sperren abreissen, Sicherheitsdienst am Bahnhof einführen u. dgl. mehr).
5. Ein «Rayonverbot», eine Einoder Ausgrenzung ist nicht generell, sondern nur im konkreten Einzelfall möglich. Sie ist Sache des Migrationsamts und nicht der Baubehörde.
6. Der Umstand, dass bereits andere Anlagen bestehen noch geplant sind (Justizvollzugsanstalt, Untersuchungsgefängnis, Verbreiterung der Autobahn) hindert grundsätzlich nicht, ein weiteres Vorhaben zu bewilligen. Dies zumal, abgesehen von der A1, keine Lärmimmissionen vorbestehen zu erwarten sind. Das Vorhaben liegt auch nicht in einer Schutzzone, sondern in einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen.
7. Für die öffentliche Sicherheit ist die Kantonspolizei und nicht die Baubehörde gar ein kommunales Komitee zuständig. Es ist nicht angängig, dass man den künftigen Bewohnern des Zentrums pauschal und unsubstantiiert, im Voraus vorsorglich unterstellt, sie würden sich ohnedies nicht an Gesetze und gesellschaftliche Normen halten. Es kann keine Baubewilligung mit der Begründung verweigert werden, künftige Bewohner seien «sicher kriminell».
8. Bei Grossprojekten ist es nicht ungewöhnlich, dass die Unterlagen noch nicht bis in die letzte Einzelheit vollständig sind, wenn das Baugesuch eingereicht wird. Es wäre höchst unwirtschaftlich, alles im Detail zu planen und auszuarbeiten, um sodann erst zu erfahren, dass die Baubehörde das Vorhaben ablehnt. Eine andere Frage ist, ob und wie nachgereichte Unterlagen den Einsprechern zur Kenntnis zu bringen sind. Im vorliegenden Fall kann die Frage offenbleiben, da den Beschwerdeführern ohnedies die räumliche Beziehungsnähe fehlt.
9. Die Beschwerdeführer behaupten, die Zahl der Asylsuchenden sei rückläufig. Dies ist hier belanglos. Eine Baubehörde hat zu prüfen, ob die bauund planungsrechtlichen Vorgaben erfüllt sind.
10.1 Prozessgegenstand ist, wie gesagt, die baurechtliche Bewilligung für die Erstellung eines Bundesasylzentrums. Es besteht ein eminentes öffentliches Interesse an der Erstellung solcher Zentren, die die Grundlage für die raschere Durchführung der Asylverfahren als öffentliche Aufgabe bilden. Es ist notorisch, dass die Bereithaltung von Unterkünften für Asylbewerbende eine beträchtliche logistische Herausforderung darstellt (Urteil des Veraltungsgerichts Zürich VB.2017.00336). Das Verwaltungsgericht hat zwar durchaus ein gewisses Verständnis für Befürchtungen der Beschwerdeführer. Indessen werden sich aus dem Zentrum kaum Probleme ergeben, sobald sich der Betrieb eingespielt hat. Folgende Website beantwortet die wichtigsten Fragen: www.sem.admin.ch/sem/de/home/asyl/beschleunigung/bundesasylunterkuenfte/faq.html
10.2 Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Anlage gemäss Baugesuch eingezäunt wird. Der Eingang wird permanent überwacht. Während 24 Stunden besteht ein Sicherheitsdienst. Wer den Betrieb erheblich stört, kann in ein besonderes Zentrum verlegt werden. Die Asylsuchenden sind verpflichtet, sich für das Verfahren zur Verfügung zu halten und Hausarbeit zu leisten. Es bestehen Beschäftigungsprogramme. Für den Ausgang braucht es eine Bewilligung. Von Montag bis Freitag darf das Zentrum von 09:00 bis 17:00 Uhr verlassen werden. An den Wochenenden dauert der Ausgang bis 19:00 Uhr. Die verkehrsmässige Erschliessung erfolgt via Luterbachstrasse Justizvollzugsanstalt. Die Brücke über die Autobahn in den Schachen dient nur noch dem Langsamverkehr und als Notzufahrt. Der Deitinger Schachen ist nicht betroffen.
11. Die kommunale Baubehörde ist demnach zu Recht nicht auf die Einsprachen eingetreten, weil die örtliche Beziehungsnähe der Beschwerdeführer fehlt. Es ist aber auch kein eigenes, praktisches, unmittelbares Interesse ersichtlich, das Zentrum zu verhindern. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang haben die Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf insgesamt CHF 900.00 festzusetzen und mit den geleisteten Kostenvorschüssen zu verrechnen sind.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 900.00 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber
Scherrer Reber Schaad
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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