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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2017.256)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2017.256: Verwaltungsgericht

Die Eltern A. und B. haben zwei Kinder und leben getrennt. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) beauftragte ein Gutachten für das Besuchsrecht des Vaters. Nach verschiedenen Entscheiden wurden Verfahrenskosten in Höhe von CHF 6'572.00 den Eltern auferlegt. Der Vater erhob Beschwerde aufgrund seiner finanziellen Situation. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Kosten aufgrund der Bedürftigkeit des Vaters erlassen werden sollen. Die Beschwerde wurde somit gutgeheissen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2017.256

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2017.256
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2017.256 vom 10.11.2017 (SO)
Datum:10.11.2017
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verfahrenskosten
Schlagwörter: Entscheid; Verfahren; Recht; Ziffer; Gebühr; Kindseltern; Gutachten; Entscheids; Kinder; Verfahrens; Gutachtens; Höhe; Verfügung; Interesse; Verwaltungsgericht; Verhältnisse; Widerruf; Gebühren; Regel; Verfahrenskosten; Regelung; Jugendpsychiatrie; Baselland; Interessen; Eltern; Kindes; Erwachsenenschutzbehörde; Erhebung
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:137 I 69;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2017.256

Urteil vom

Es wirken mit:

Präsidentin Scherrer Reber

Oberrichter Stöckli

Oberrichter Müller

Gerichtsschreiberin Kaufmann

In Sachen

A.___

Beschwerdeführer

gegen

KESB Dorneck-Thierstein/Thal-Gäu,

Beschwerdegegnerin

betreffend Verfahrenskosten


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

I.

1. B.___ und A.___ sind die Eltern von C.___ (geb. 2005) und D.___ (geb. 2004). Die Kinder leben bei der Mutter. Mit Entscheid vom 2. Dezember 2015 gab die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Thal-Gäu/Dorneck-Thierstein ein Gutachten in Auftrag zur Regelung des Besuchsrechts zum Kindsvater. In Ziffer 2.10 der Erwägungen wurde erwähnt, über die Erhebung einer Gebühr inkl. der Auferlegung der Gutachterkosten werde mit dem Endentscheid entschieden.

2. Am 3. Oktober 2016 ging das Gutachten bei der KESB ein. Empfohlen wurde darin die Weiterführung der familientherapeutischen Begleitung.

3. Mit (End-)Entscheid vom 2. November 2016 erteilte die KESB den Kindseltern die vorerst bis zum 30. April 2017 befristete Weisung, die Familientherapie weiterhin zu besuchen. Es wurden keine Verfahrenskosten erhoben (Ziffer 3.5).

4. Am 28. November 2016 ging die Rechnung der Kinderund Jugendpsychiatrie Baselland für die Erstellung des Gutachtens bei der KESB ein.

5. Mit Entscheid vom 13. Juni 2017 widerrief die KESB Ziffer 3.5 ihres Entscheids vom 2. November 2016 und erliess folgenden Entscheid:

Es werden Verfahrenskosten in Höhe von CHF 500.00 erhoben und den Kindseltern je hälftig auferlegt. Die Kosten des Gutachtens vom 30. September 2016 der Kinderund Jugendpsychiatrie Baselland in Höhe von CHF 6'072.00 sind von den Kindseltern hälftig zu bezahlen. Auf die Erhebung des Anteils der Kindsmutter wird zufolge Bedürftigkeit verzichtet. Der Kindsvater hat einen hälftigen Anteil zu bezahlen.

6. Gegen diesen Entscheid erhob der Kindsvater, A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer genannt) am 9. Juli 2017 Beschwerde an das Verwaltungsgericht und beantragte, mit Hinweis auf seine prekäre finanzielle Situation, auf die Kostenauferlegung zu verzichten.

7. Mit Vernehmlassung vom 8. August 2017 beantragte die KESB die Abweisung der Beschwerde. Den Kindseltern sei mit Schreiben vom 25. Januar 2017 mitgeteilt worden, dass das Verfahren grundsätzlich kostenpflichtig sei und es sei ihnen Gelegenheit gegeben worden, bis zum 21. Februar 2017 zu belegen, dass die finanziellen Verhältnisse die Kostentragung nicht erlaubten. Der Beschwerdeführer habe keine entsprechenden Belege eingereicht.

8. Mit Stellungnahme vom 29. August 2017 wies der Beschwerdeführer erneut auf seine prekäre finanzielle Situation hin und belegte diese zur Begründung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege.

II.

1. Die Beschwerde ist fristund formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. Art. 450 Abs. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch [ZGB, SR 210] i.V.m. § 130 Abs. 1 Einführungsgesetz zum ZGB [EG ZGB, BGS 211.1]). A.___ ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.1 Widerruf einer Verfügung bedeutet, dass die verfügende allenfalls eine übergeordnete Behörde eine meist rechtskräftige fehlerhafte Verfügung von Amtes wegen ändert. Das Gesetz kann die Voraussetzungen des Widerrufs ausdrücklich regeln. Liegt keine gesetzliche Regelung vor, so muss die Widerrufbarkeit aufgrund allgemeiner Kriterien beurteilt werden. Es ist eine Interessenabwägung erforderlich. Dabei ist zwischen dem Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts einerseits und dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz andererseits abzuwägen (Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 1215, 1226 f.).

In § 22 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Solothurn (VRG, BGS 124.11) ist der Widerruf ausdrücklich geregelt. Demnach können Verfügungen und Entscheide durch die zuständige Behörde die Aufsichtsbehörde abgeändert widerrufen werden, falls sich die Verhältnisse geändert haben oder, sofern Rückkommensgründe bestehen, also Umstände, welche eine Verfügung einen Entscheid als materiell rechtswidrig erscheinen lassen (Fritz Gygi, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 308 ff.), wenn überwiegende Interessen dies erfordern.

2.2 Vorliegend haben sich die Verhältnisse nicht geändert. Es war bereits im Zeitpunkt, als mit Entscheid vom 2. November 2016 keine Kosten erhoben wurden, klar, dass noch eine Rechnung der Kinderund Jugendpsychiatrie Baselland eintreffen würde. Es ist deshalb zu prüfen, ob aufgrund der Kosten für die Erstellung des Gutachtens und der Kosten für den Erlass des Entscheids der KESB, welche den Kindseltern anfänglich nicht zur Bezahlung auferlegt wurden, Umstände vorliegen, welche den Entscheid vom 2. November 2016 als materiell rechtswidrig erscheinen lassen und falls das Vorliegen von Rückkommensgründen bejaht wird ob (den Vertrauensschutz und die Rechtssicherheit) überwiegende Interessen einen Widerruf dieses Entscheids erfordern.

2.3.1 Gemäss § 149 EG ZGB ist das Verfahren vor der KESB grundsätzlich kostenfrei (Abs. 1). Für bestimmte Verrichtungen und Verfügungen werden durch die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Gebühren erhoben, sofern die gebührenpflichtige Person nicht als bedürftig im Sinne der Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege gilt (Abs. 2). Gebührenpflichtig sind die durch eine Verfügung betroffenen Personen; in Kinderbelangen gelten in der Regel die Eltern als betroffene Personen (Abs. 3). Die Art der Geschäfte sowie die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem kantonalen Gebührentarif (GT, BGS 615.11). Auslagen sind zusätzlich zu ersetzen (Abs. 4).

§ 87 GT regelt, für welche Verrichtungen der KESB welche Gebühren zu erheben sind. Gemäss lit. g sind für das Verfahren zur Regelung, Ausgestaltung und Umsetzung des persönlichen Verkehrs, einschliesslich der Anordnung, Änderung und Aufhebung von Schutzmassnahmen Gebühren von CHF 200.00 bis CHF 5'000.00 zu erheben.

2.3.2 Bei der Rechnung für die Erstellung des Gutachtens handelt es sich ganz offensichtlich um Auslagen, welche laut § 149 Abs. 4 EG ZGB zu ersetzen sind. Indem die KESB in ihrem Entscheid vom 2. November 2017 entgegen der Regelung von § 149 EG ZGB i.V.m. § 87 lit. g EG ZGB keine Gebühr erhoben hat und sich die Auslagen nicht gemäss § 149 Abs. 4 EG ZGB ersetzen liess, hat sie einen materiell rechtswidrigen Entscheid erlassen.

2.4.1 Es ist deshalb zu prüfen, ob die Interessen an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts die Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes überwiegen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dazu aber erforderlich, dass die Voraussetzungen für den Vertrauensschutz überhaupt gegeben sind (BGE 137 I 69 E. 2.5 S. 72 f.). Der Beschwerdeführer muss also auf die Richtigkeit von Ziffer 3.5 des Entscheids vom 2. November 2016, in welchem festgelegt wurde, dass keine Kosten erhoben würden, vertraut haben.

2.4.2 Dies ist vorliegend zu verneinen. Der Beschwerdeführer hat sich nie darauf berufen, dass er auf die Richtigkeit von Ziffer 3.5 vertraut habe und damit von der Unentgeltlichkeit des Verfahrens aufgegangen wäre. Er bringt einzig vor, nicht im Stande zu sein, die Kosten zu bezahlen.

2.5 Die Voraussetzungen des Widerrufs sind damit erfüllt und die Vorinstanz hat zurecht Ziffer 3.5 des Entscheids vom 2. November 2016 widerrufen und die Auslagen für die Erstellung des Gutachtens sowie die Gebühr für den Entscheid zur Regelung des Besuchsrechts den Kindseltern auferlegt.

3.1 Zu prüfen ist weiter, ob allenfalls gemäss § 149 Abs. 2 EG ZGB von der Gebührenauferlegung an den Beschwerdeführer abzusehen ist, da er als bedürftig im Sinne der Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege gilt, er also nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (vgl. § 76 Abs. 1 VRG).

3.2 Die Vorinstanz gab dem Beschwerdeführer aus diesem Grund mit Schreiben vom 25. Januar 2017 Gelegenheit, bis zum 21. Februar 2017 seine finanziellen Verhältnisse darzulegen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach, weshalb ihm die Vorinstanz die Hälfte der Kosten grundsätzlich zurecht auferlegte.

3.3 Inzwischen hat der Beschwerdeführer diverse Belege bezüglich seiner finanziellen Verhältnisse eingereicht, aus welchen ersichtlich ist, dass er in der Rahmenfrist seit 29. Februar 2016 bis zum 7. Juni 2017 254 Arbeitslosentaggelder bezogen hat und nun per 1. Dezember 2017 einen neuen Arbeitsvertrag abschliessen konnte. Als die angefochtene Verfügung vom 13. Juni 2017 erlassen wurde, war er gemäss seinen Angaben arbeitslos. Am 4. Juli 2017 ist sein Sohn [...] geboren, womit er nun für den Unterhalt von vier Kindern sowie von sich und seiner Ehefrau aufzukommen hat. Zudem hat er bei seinem Vater mehr als CHF 40'000.00 Schulden. Nach Berechnung seines Bedarfs gilt er als bedürftig im Sinn der unentgeltlichen Rechtspflege.

4. Zwar hat der Beschwerdeführer seine finanziellen Verhältnisse vor der Vorinstanz nicht offengelegt, weshalb diese ihm die Kosten zu Recht auferlegt hat. Nachdem er aber unterdessen seine Bedürftigkeit im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheides belegt hat er erhielt Arbeitslosenunterstützung nur bis 10 Tage vor dessen Erlass und gemäss § 68 Abs. 3 VRG neue Beweismittel im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zulässig sind, ist heute klar, dass er Anspruch auf Kostenbefreiung hatte.

5. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet; sie ist gutzuheissen: Ziffer 3.1 des Entscheids vom 13. Juni 2017 der Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Thal-Gäu/Dorneck-Thierstein ist wie folgt neu zu formulieren:

Ziffer 3.5 des Entscheids vom 2. November 2016 wird widerrufen und lautet neu wie folgt:

Es werden Verfahrenskosten in Höhe von CHF 500.00 erhoben und den Kindseltern je hälftig auferlegt. Die Kosten des Gutachtens vom 30. September 2016 der Kinderund Jugendpsychiatrie Baselland in Höhe von CHF 6'072.00 sind von den Kindseltern hälftig zu bezahlen. Auf die Erhebung wird zufolge Bedürftigkeit beider Elternteile verzichtet.

6. Bei diesem Ausgang hat der Kanton Solothurn die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen.

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird gutgeheissen: Ziffer 3.1 des Entscheids vom 13. Juni 2017 der Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Thal-Gäu/Dorneck-Thierstein wird wie folgt neu formuliert:

Ziffer 3.5 des Entscheids vom 2. November 2016 wird widerrufen und lautet neu wie folgt: Es werden Verfahrenskosten in Höhe von CHF 500.00 erhoben und den Kindseltern je hälftig auferlegt. Die Kosten des Gutachtens vom 30. September 2016 der Kinderund Jugendpsychiatrie Baselland in Höhe von CHF 6'072.00 sind von den Kindseltern hälftig zu bezahlen. Auf die Erhebung wird zufolge Bedürftigkeit beider Elternteile verzichtet.

2.    Der Kanton Solothurn hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu tragen.


Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Der Streitwert beträgt CHF 6'600. Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin

Scherrer Reber Kaufmann



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