Zusammenfassung des Urteils VWBES.2017.115: Verwaltungsgericht
Eine Autofahrerin, A.___, verursachte einen Unfall, als sie während der Fahrt am Autoradio manipulierte und die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlor. Sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und ihr Führerschein für drei Monate entzogen. A.___ legte Beschwerde ein und argumentierte, dass der Unfall nicht auf das Manipulieren am Autoradio, sondern auf die Strassenverhältnisse zurückzuführen sei. Das Verwaltungsgericht entschied, dass A.___ eine mittelschwere Verkehrsregelverletzung begangen habe und ihren Führerschein für einen Monat entzogen bekommt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kanton Solothurn.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2017.115 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 26.06.2017 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Führerausweisentzug |
Schlagwörter: | Verkehr; Verkehrs; Strasse; Verwaltungs; Fahrzeug; Recht; Strassen; Verkehrsregel; Widerhandlung; Verhalten; Verwaltungsgericht; Unfall; Geschwindigkeit; Führer; Behörde; Führerausweis; Gefährdung; Strassenverhältnisse; Befehl; Umstände; Gefahr; Fahrlässigkeit; Kanton; Urteil; Verkehrsregeln; Verfügung; Verkehrsregelverletzung; Beschwerde |
Rechtsnorm: | Art. 16b SVG ;Art. 3 VRV ;Art. 31 SVG ;Art. 90 SVG ; |
Referenz BGE: | 119 Ib 158; 120 IV 63; 126 II 192; 127 II 302; 135 II 138; 136 II 447; |
Kommentar: | - |
Es wirken mit:
Präsidentin Scherrer Reber
Oberrichter Müller
Oberrichter Stöckli
Gerichtsschreiberin Kofmel
In Sachen
A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Leiser,
Beschwerdeführerin
gegen
Bauund Justizdepartement, vertreten durch Motorfahrzeugkontrolle,
Beschwerdegegner
betreffend Führerausweisentzug
zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Gemäss Unfallaufnahmerapport der Regionalpolizei Seeland Berner Jura vom 10. Januar 2017 fuhr A.___ mit ihrem Personenwagen um 15:35 Uhr in [Ort] ausserorts auf der [Strasse], als sie in einer leichten Rechtskurve am Autoradio manipulierte. In der Folge geriet sie nach links auf die Gegenfahrbahn, wo sie mit einem korrekt entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Im Anzeigerapport vom 25. Januar 2017 wurde A.___ Nichtbeherrschen des Fahrzeugs (Manipulieren am Autoradio) sowie Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse zur Last gelegt.
2. Am 9. Februar 2017 erging der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern. A.___ wurde wegen einfachen Verletzungen der Verkehrsregeln zu einer Busse von CHF 300.00 verurteilt.
3. Gestützt auf den Unfallrapport entzog ihr die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn (nachfolgend: MFK) namens des Bauund Justizdepartements (nachfolgend: BJD) den Führerausweis mit Verfügung vom 15. März 2017 für die Dauer von drei Monaten. Sie stufte das Verhalten von A.___ (Vornehmen einer Verrichtung, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert und zu einem Unfall geführt hat) als schwere Verkehrswiderhandlung ein.
4. Dagegen liess A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) am 27. März 2017 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn erheben mit den folgenden Rechtsbegehren:
1. Der Beschwerdeführerin sei aufgrund einer mittelschweren Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 16b SVG der Führerausweis für einen Monat zu entziehen. Die Verfügung [ ] der Beschwerdegegnerin vom 15. März 2017 sei entsprechend abzuändern.
2. Es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
3. Unter Kostenund Entschädigungsfolge.
5. Mit Präsidialverfügung vom 28. März 2017 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.
6. Mit Beschwerdeantwort vom 15. Mai 2017 schloss die MFK auf Abweisung der Beschwerde.
7. Mit Replik vom 18. Mai 2017 (Postaufgabe) liess die Beschwerdeführerin an den bereits gestellten Rechtsbegehren festhalten.
8. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen der Vorinstanz wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachfolgend darauf einzugehen.
II.
1. Die Beschwerde ist fristund formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Die Beschwerdeführerin ersucht um Parteibefragung. Dies würde die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung voraussetzen, was von der Beschwerdeführerin trotz entsprechendem Hinweis in der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 28. März 2017 nicht verlangt wurde. Gemäss § 52 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (VRG, BGS 124.11) sind die Verwaltungsgerichtsbehörden nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden. Nach § 71 VRG finden mündliche Verhandlungen nur bei Disziplinarbeschwerden statt. In allen übrigen Fällen entscheiden die Verwaltungsgerichtsbehörden aufgrund der Akten; sie können jedoch, auf Antrag von Amtes wegen, eine Verhandlung anordnen, sofern dies als notwendig erachtet wird und Sinn macht. Im vorliegenden Fall wurden die Vorakten beigezogen und die Beschwerdeführerin hat ihren Standpunkt in der Beschwerdeschrift und in der Replik ausführlich aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen relevanten Erkenntnisse das Gericht durch eine Parteibefragung anlässlich einer Verhandlung gewinnen könnte. Der Antrag ist deshalb abzuweisen.
3. Die Geschwindigkeit ist stets an die Umstände, namentlich an die Strassenverhältnisse, anzupassen (Art. 32 Abs. 1 Strassenverkehrsgesetz, SVG, SR 741.01). Der Fahrzeuglenker muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann (Art. 31 Abs. 1 SVG). Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verkehrsregelnverordnung, VRV, SR 741.11). Der Fahrzeuglenker darf beim Fahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV). Das Mass der Aufmerksamkeit, die der Fahrzeugführer nach Art. 31 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VRV der Strasse und dem Verkehr zuzuwenden hat, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (BGE 127 II 302 E. 3c; 122 IV 225 E. 2b; 120 IV 63 E. 2a). Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV untersagt explizit jede die Fahrzeugbedienung erschwerende Verrichtung (vgl. zum Ganzen: Urteil des BGer 6B_1183/2014 vom 27. Oktober 2015 E. 1.3 mit Verweis auf BGE 120 IV 63 E. 2d). Die Anforderungen an den Führer, sein Fahrzeug ständig zu beherrschen gehört zu den wesentlichsten und wohl wichtigsten Verkehrsregeln (Andreas Roth in: Marcel Alexander Niggli et al. [Hrsg.], Strassenverkehrsgesetz, Basler Kommentar, Basel 2014, Art. 31 N 1; Philippe Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetzgebung und Ordnungsbussengesetz, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen, Art. 31 N 2).
4.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz gehe von einem falschen Sachverhalt aus. Sie sei nicht von der Strasse abgekommen, weil sie am Radio hantiert habe, sondern weil sie aufgrund der Strassenverhältnisse (schneebedeckte und vereiste Strasse) ins Rutschen gekommen sei. Ursächlich für den Unfall sei ein Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse gewesen. Dies ergebe sich klar aus dem Strafbefehl und aus den Aussagen der Unfallbeteiligten.
4.2 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt es zu verhindern, dass derselbe Lebensvorgang zu voneinander abweichenden Sachverhaltsfeststellungen von Verwaltungsund Justizbehörden führt und insbesondere die erhobenen Beweise in verschiedener Weise gewürdigt und rechtlich beurteilt werden. Die Verwaltungsbehörde hat daher - sofern ein Strafverfahren eingeleitet worden ist - mit dem Erlass einer administrativen Massnahme grundsätzlich zuzuwarten, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt (BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb; Urteil des BGer 1C_581/2016 vom 9. März 2017 E. 2.3). Denn das Strafverfahren bietet durch die verstärkten Mitwirkungsrechte des Beschuldigten, die umfassenderen persönlichen und sachlichen Ermittlungsinstrumente sowie die weiterreichenderen prozessualen Befugnisse besser Gewähr dafür, dass das Ergebnis der Sachverhaltsermittlung näher bei der materiellen Wahrheit liegt als im nicht durchwegs derselben Formstrenge unterliegenden Verwaltungsverfahren (BGE 119 Ib 158 E. 2/c/bb).
4.3 Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Vorinstanz den Strafbefehl vom 9. Februar 2017 nicht beigezogen hat. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hätte sich aber auch bei Vorliegen des Strafbefehls nichts an der Sachverhaltsfeststellung geändert:
4.4.1 Gemäss Unfallaufnahmeprotokoll vom 10. Januar 2017 bzw. Polizeirapport vom 25. Januar 2017 der Regionalpolizei Seeland - Berner Jura war die Beschwerdeführerin am 10. Januar 2017, ca. 15:35 Uhr, mit ihrem Personenwagen in [Ort] von der [...] herkommend auf der [Strasse] in Fahrtrichtung [ ] unterwegs. Nach Aussagen der Beschwerdeführerin habe diese ihr Autoradio manipuliert und sei in der Folge nach links auf die Gegenfahrbahn geraten, wo wie mit einem korrekt entgegenkommenden Personenwagen kollidiert sei.
4.4.2 Mit inzwischen rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. Februar 2017 wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin eine Verrichtung vorgenommen hat, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwerte (Manipulieren am Autoradio), und dass sie die Geschwindigkeit nicht an die Strassenverkehrsverhältnisse angepasst hat. Die Strafbehörde hat das Verhalten als einfache Verletzung von Verkehrsregeln qualifiziert (Art. 90 Abs. 1 SVG).
4.5 In sachverhaltsmässiger Hinsicht kann damit als erstellt gelten, dass die Beschwerdeführerin einerseits eine Verrichtung vornahm, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwerte und andererseits, dass sie ihre Geschwindigkeit nicht an die Strassenverhältnisse anpasste. Ob schlussendlich die eine die andere Handlung eine Kombination davon zum Unfall geführt hat, ist unerheblich.
5.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Voraussetzungen für einen schweren Fall im Sinn von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG vorliegen. Auszugehen sei von einer mittelschweren Widerhandlung gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG.
5.2 Die Vorinstanz hat das Verhalten der Beschwerdeführerin als schwere Gefährdung des Verkehrs im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG, der inhaltlich mit Art. 90 Ziff. 2 SVG übereinstimmt, gewürdigt. Im Strafbefehl vom 9. Februar 2017 wurde lediglich auf eine einfache Verkehrsregelverletzung im Sinn von Art. 90 Ziff. 1 SVG geschlossen.
5.3 Die Verwaltungsbehörde ist nur dann an die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts durch das Strafurteil gebunden, wenn die rechtliche Würdigung sehr stark von Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (BGE 136 II 447 E. 3.1; 124 II 103 E. 1c/bb; 119 Ib 158 E. 3c/bb). Dies ist hier nicht der Fall, da die Strafbehörde ebenfalls bloss aufgrund der Akten entschieden und die Beschwerdeführerin den Strafbefehl nicht angefochten hat. Insbesondere schliesst die Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG («einfache» Verkehrsregelverletzung) durch den Strafrichter nicht aus, dass die in ihrer Rechtsanwendung freie Administrativbehörde ihre Massnahme auf Art. 16c SVG (schwere Verkehrsregelverletzung) stützt (vgl. BGE 102 Ib 193 E. 3 und 4).
5.4 Streitig ist vorliegend, ob es sich bei dem massnahmenauslösenden Ereignis um eine mittelschwere schwere Widerhandlung im Sinn von Art. 16b bzw. 16c SVG handelt. Eine mittelschwere Widerhandlung begeht, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG). Eine schwere Widerhandlung begeht, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt (Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG). Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG stellt einen Auffangtatbestand dar, der immer dann greift, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung nach Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind (BGE 135 II 138 E. 2.2.2). Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn das Verschulden gross, die Gefährdung aber gering umgekehrt das Verschulden gering und die Gefährdung gross ist.
5.5.1 Die Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG setzt zunächst voraus, dass eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und dadurch die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet worden ist.
5.5.2 Die Beschwerdeführerin geriet mit ihrem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn, weil sie ihre Aufmerksamkeit der Bedienung des Radios widmete, anstatt der Strasse und dem Verkehr und weil sie ihre Geschwindigkeit nicht den Strassenverhältnissen angepasst hatte. Ihre Unaufmerksamkeit hatte zur Folge, dass sie auf der Gegenfahrbahn mit einem korrekt entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Die Beschwerdeführerin verletzte mit ihrem Verhalten wichtige Verkehrsvorschriften in objektiv schwerer Weise. Die durch ihr Verhalten geschaffene Gefahr hat sich verwirklicht. Die Vorinstanz ist bei diesen Gegebenheiten in objektiver Hinsicht zu Recht von einer groben Verkehrsregelverletzung ausgegangen.
5.6.1 Weiter setzt die Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit voraus. Diese ist zu bejahen, wenn der Lenker sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Lenker die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also unbewusst fahrlässig gehandelt hat. In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen). In solchen Fällen bedarf jedoch die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung. Sie wird nur zu bejahen sein, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls auf Rücksichtslosigkeit beruht und daher besonders vorwerfbar ist. Mit dem Begriff der «Rücksichtslosigkeit» wird eine besondere Gleichgültigkeit bzw. ein bedenkenoder gewissenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern umschrieben, das nicht nur im bewussten «Sichhinwegsetzen», sondern auch im blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen liegen kann. In Fällen unbewusster Fahrlässigkeit darf nicht einfach aus dem objektiven Tatbestand auf die Erfüllung des subjektiven geschlossen werden. Vielmehr ist aufgrund der gesamten Umstände zu ermitteln, ob das Übersehen eines Signals einer Gefahrensituation auf Rücksichtslosigkeit beruht nicht. Dazu ist einerseits zu prüfen, welcher Grad an Aufmerksamkeit vom Lenker unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände verlangt werden konnte, namentlich der Verkehrsdichte, der örtlichen Gegebenheiten, der Tageszeit, der Sichtverhältnisse, der voraussehbaren Gefahrenquellen, der besonderen und/oder sich wiederholenden Signalisation etc.. Anders gesagt ist zu fragen, ob die besonderen Umstände den Lenker zum Nachlassen seiner Wachsamkeit verleitet haben ob sie im Gegenteil seine Aufmerksamkeit besonders auf sich hätten ziehen müssen. Andererseits muss die Wichtigkeit der verletzten Verkehrsregel geprüft werden, d.h., je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird die Rücksichtslosigkeit zu bejahen sein, sofern nicht besondere Gegenindizien vorliegen. Von der kombinierten Gewichtung dieser verschiedenen Elemente hängt die Qualifikation der Fahrlässigkeit ab (vgl. Cédric Mizel: Die Grundtatbestände der neuen Warnungsentzüge des SVG und ihre Beziehung zum Strafrecht, in: ZStrR 124/2006 S. 31).
5.6.2 Dem Polizeirapport kann entnommen werden, dass sich der Unfall ausserorts in einer leichten Rechtskurve ereignete. Zum Unfallzeitpunkt, einem Dienstag, 15:35 Uhr, fiel Schnee, die Strasse war schnee(matsch)bedeckt und teilweise vereist. Die Beschwerdeführerin gab gegenüber der Polizei zu Protokoll, sie sei mit ca. 60 km/h gefahren. Vor ihr seien keine anderen Fahrzeuge gewesen.
5.6.3 Der Umstand, dass die Strasse schneeund eisbedeckt war, ist sicherlich erschwerend zu werten. Auf schneeund eisbedeckten Strassen kann die Lenkund Bremsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt sein. Das Wissen darum, dass die Schleudergefahr und damit die Unfallgefahr auf verschneiten Strassen gross ist, kann allgemein vorausgesetzt werden. Ebenso bekannt ist der Umstand, dass sich diese Gefahr mit zunehmender Geschwindigkeit erhöht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_38/2011 vom 5. Mai 2011 E. 5.1 mit Hinweis auf BGE 126 II 192 E. 2a). Die Strassenverhältnisse hätten somit eine erhöhte Aufmerksamkeit der Beschwerdeführerin und eine weitere Herabsetzung der Geschwindigkeit erfordert.
5.6.4 Für die Beschwerdeführerin spricht aber, dass sich die Widerhandlung bei Tag - gemäss Polizeirapport war die Sicht nicht beeinträchtigt -, auf einer Ausserortsstrecke in einer nur leichten Kurve und bei geringem Verkehrsaufkommen ereignete. Sodann war die Beschwerdeführerin ortskundig, befand sie sich doch auf ihrem Arbeitsweg. Schliesslich hat die Beschwerdeführerin den winterlichen Verhältnissen Rechnung getragen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Ausserortsstrecke nicht ausgeschöpft. Diese Umstände entschuldigen die Beschwerdeführerin zwar keineswegs, lassen ihr Verschulden aber in einem etwas milderen Licht erscheinen. Auch wenn die erschwerten Witterungsbedingungen eine erhöhte Sorgfalt erfordert hätten, kann der Beschwerdeführerin kein rücksichtsloses Verhalten vorgeworfen werden. Insgesamt kann ihr Verhalten nicht als geradezu grobfahrlässig bzw. rücksichtslos qualifiziert werden.
5.7 Der Beschwerdeführerin ist somit vorzuwerfen, durch das Hantieren am Radio und dem Nichtanpassen der Geschwindigkeit die Verkehrssicherheit in objektiver Hinsicht qualifiziert gefährdet zu haben. Subjektiv ist ihr aber in administrativrechtlicher Hinsicht keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Die vorliegend zu beurteilende Widerhandlung ist damit unter Berücksichtigung aller Umstände als mittelschwer i.S.v. Art. 16b SVG zu qualifizieren.
5.8 Gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG wird nach einer mittelschweren Widerhandlung der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen.
6.1 Die Beschwerde erweist sich somit als begründet, weshalb sie gutzuheissen ist. Die Ziffern 1 bis 3 der angefochtenen Verfügung des BJD vom 15. März 2017 sind aufzuheben und der Beschwerdeführerin ist der Führerausweis für die Dauer von einem Monate (ab Einsendung des Führerausweises an die MFK) zu entziehen.
6.2 Die vorinstanzlichen Kosten gehen unverändert vollumfänglich zu Lasten der Beschwerdeführerin, welche durch ihr Verhalten das Administrativverfahren ausgelöst hat. Ziffer 4 der angefochtenen Verfügung bleibt somit bestehen.
6.3 Beim vorliegenden Verfahrensausgang hat der Kanton Solothurn die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu tragen. Der Kostenvorschuss in der Höhe von CHF 800.00 ist der Beschwerdeführerin vollumfänglich zurückzuerstatten. Zudem ist der Beschwerdeführerin - ebenfalls zu Lasten des Kantons (§ 77 VRG) eine Parteientschädigung zu entrichten, welche antragsgemäss auf CHF 2305.05 (inkl. Auslagen und MwSt.) festzusetzen ist.
Demnach wird erkannt:
1. In Gutheissung der Beschwerde werden die Ziffern 1 bis 3 der Verfügung des BJD vom 15. März 2017 aufgehoben.
2. A.___ wird der Führerausweis infolge mittelschwerer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften (Art. 16b SVG) für die Dauer von einem Monat entzogen.
3. Der Führerausweis ist innert 30 Tagen nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils an die MFK einzusenden.
4. Der Kanton hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen.
5. Der Kanton Solothurn hat A.___ für das Verfahren vor Verwaltungsgericht eine Parteientschädigung von CHF 2305.05 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin
Scherrer Reber Kofmel
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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