Zusammenfassung des Urteils VWBES.2007.104: Verwaltungsgericht
Das Bundesgericht hat entschieden, dass Störungen einer Nachbarliegenschaft durch den Betrieb eines staatlich geführten Gassenzimmers als Einwirkungen im Sinne des Schweizerischen Zivilgesetzbuches gelten. Es wurde festgestellt, dass ideelle Immissionen, die das seelische Empfinden beeinträchtigen, im Zusammenhang mit materiellen Immissionen relevant sind. Das Gericht hat sich auch mit ideellen Immissionen des Sexgewerbes befasst und betont, dass eine starke Störung nur bei erheblichem Konfliktpotenzial zwischen verschiedenen Nutzungen vorliegt. In einem konkreten Fall in einer Kernzone wurde entschieden, dass der Betrieb einer Gassenküche und einer Anlaufstelle zonenkonform ist und keine übermässigen Immissionen verursacht. Das Verwaltungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2007.104 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 09.07.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Baubewilligung Gassenküche |
Schlagwörter: | Anlaufstelle; Umgebung; Immissionen; Betrieb; Personen; Gassenküche; Vorstadt; Restaurants; Bundesgericht; Drogenszene; Stadt; Rathaus; Urteil; Gebiet; Rathausgasse; Quot;Adlersquot; Barliegenschaft; Einwirkungen; Kernzone; Umfeld; Kunden; Vorfälle; Öffnungszeiten; Gassenzimmer; Spritzen; Barliegenschaften |
Rechtsnorm: | Art. 684 ZGB ; |
Referenz BGE: | 108 la 140; 119 II 411; |
Kommentar: | - |
Ideelle Immissionen sind solche Einwirkungen, die das seelische Empfinden verletzen beziehungsweise unangenehme psychische Eindrücke erwecken (BGE 108 la 140 ff.). Gemäss Bernhard Waldmann ("Schutz vor ideellen Immissionen in Wohngebieten", in: BR 2005, S. 156 f.) sind derartige Immissionen beachtlich, solange sie in Verbindung mit materiellen Immissionen in Erscheinung treten. Blosses (psychisches) Unbehagen darüber, was im Innern eines Raumes vor sich gehen könnte welche Personen ein Gebäude benutzen, sollten im Immissionsschutzrecht keine Rolle spielen. Das Immissionsschutzrecht dürfe keine Handhabe bieten, um subjektiven Ängsten und Unbehagen, die eine stereotype, herabwürdigende Einstellung zu gewissen Personengruppen Handlungen zum Ausdruck bringen, zum Durchbruch zu verhelfen. Es kann nachfolgend also lediglich um ideelle Immissionen gehen, die sich auch materiell auf die Nachbarliegenschaften auswirken.
Das Bundesgericht und das Verwaltungsgericht haben sich mit ideellen Immissionen vor allem des Sexgewerbes befasst. Nach der entsprechenden Praxis des Bundesgerichts können nicht nur Lärm und Gerüche, sondern auch eine unästhetische sonst wie unerfreuliche Umgebung die Wohnqualität den Ruf der Wohngegend beeinträchtigen. Die Qualifizierung ideeller Immissionen als stark störend setzt aber nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein erhebliches Konfliktpotential zwischen den sich entgegenstehenden Nutzungen voraus (BGE 108 la 140; Urteile 1P.771/2001 vom 5. Mai 2003; 1P.191/1997 vom 26. November 1997). Es sei nicht willkürlich, bei einem vorgeschriebenen Wohnanteil von 60 Prozent auf ein dicht überbautes Gebiet mit einem hohen Wohnanteil bzw. einer intensiven Wohnnutzung zu schliessen und (sex-)gewerbliche Betriebe aufgrund ihrer Immissionen als stark störend einzustufen (ZBl 2004, S. 111 bzw. unveröffentlichte BGE 1P.771/2001 und 1P.773/2001 vom 5. Mai 2003). Die negativen Auswirkungen eines Gewerbes auf die Nachbarschaft seien naturgemäss umso stärker, je dichter ein Gebiet bewohnt sei.
Anhand dieser Praxis ist die vorliegende Situation einer abstrakten Immissionsbeurteilung zu unterziehen. Eine Nutzung ist in einer Kernzone nur auszuschliessen, wenn sie typischerweise Belästigungen zur Folge hat, die über das hinausgehen, was mit einer gemischten Nutzung verträglich ist. Dabei geht es vor allem um die von den Benützern der Betriebe beim Betreten und Verlassen der Gassenküche und der Anlaufstelle verursachten Immissionen, wobei die Auflagen zu berücksichtigen sind, welche die Betreiber dazu anhalten, eine unsachgemässe unerlaubte Nutzung der Anlage und ihrer Umgebung zu unterbinden.
c) Die Vorstadt liegt in einer Kernzone und gehört zum historischen Kern der Stadt. Es handelt sich um ein Quartier, das gemischt genutzt wird. Wie die bestehende Nutzung und die zugeordnete Empfindlichkeitsstufe III mit einem Immissionsgrenzwert von 65 dB(A) zeigen, wird nicht besonders auf die Wohnnutzung Rücksicht genommen. Das Gebiet hat städtischen Charakter und wird im Erdgeschoss in der Regel gewerblich genutzt. An der Berntorstrasse werden verschiedene Restaurants betrieben. Es gibt Gewerbebetriebe für Bodenbeläge, Musikalien und Antiquitäten. Neben dem Kino wird ein grösseres Rotlicht-Etablissement geführt. An der Schöngrünstrasse wirtschaftet ein Handelsbetrieb. An der Adlergasse hat es Restaurants, Clublokale und Garagen. Im Oberen Winkel werden Restaurants, ein Tagungszentrum, eine grössere Weinkellerei und verschiedene Läden betrieben. Es wird Handel getrieben und eine bedeutende Anzahl Arbeitsplätze ist vorhanden. Gerade die vielen Restaurants sorgen spätabends für eine unruhige Wohnumgebung.
In den Obergeschossen der Liegenschaften werden 0, 1, 2 selten 4 Wohnungen genutzt. Die Vorstadt wird zudem von der stark befahrenen Berntorstrasse belastet. Es handelt sich um keine bevorzugte Wohnlage. Besonders für Familien mit Kindern ist das Umfeld nicht geeignet. Es bestehen deshalb auch keine Wohnschutzvorschriften. Es bestehen bereits die üblichen Konflikte zwischen den Lärmimmissionen der Restaurants und dem Wohnen.
Im Bauvorhaben sollen die bestehende Gassenküche und die bestehende Anlaufstelle zusammenführt werden. Anhaltspunkte für die Immissionsbeurteilung des Bauvorhabens ergeben sich aus dem bisherigen Betrieb dieser Räume an der Rathausgasse und in der Vorstadt.
An der Rathausgasse, direkt hinter dem Rathaus, wird die Gassenküche seit Jahren betrieben. Es werden dort täglich ca. 40 verbilligte Mittagessen an Randständige der Alkoholikerund Drogenszene abgegeben. Die Kunden der Gassenküche halten sich tagsüber nicht in der Umgebung des Betriebs auf. Eine Anfrage bei der Stadtpolizei Solothurn, die auch Rücksprache mit der Kantonspolizei Solothurn genommen hat, hat Folgendes ergeben: Die Stadtpolizei musste seit Bestehen der Gassenküche in der Rathausgasse noch nie ausrücken, im unmittelbaren Umfeld gab es keine Vorfälle.
Diese Gassenküche soll nun in das Erdgeschoss des "Adlers" transferiert werden. Es sollen 55 Sitzplätze eingerichtet werden. Der Betrieb soll von 10 Uhr morgens bis 19.30 Uhr am Abend geöffnet sein. Ziel ist es, an Randständige zwei Mahlzeiten pro Tag gegen Entgelt abzugeben. Es zeigt sich bereits an der Rathausgasse, dass sich die Kunden der Küche nicht in deren Umgebung, sondern beispielsweise auf dem Amthausplatz aufhalten. Auch wenn das Wanderverhalten der Alkoholikerszene nicht vorausgesagt werden kann, sie werden sich auch weiterhin kaum in der unwirtlichen Umgebung des "Adlers" aufhalten. In der Kernzone ist der Betrieb dieser Gassenküche mit den angenommenen Auswirkungen auf die Umgebung zonenkonform. Es gehen von ihr keine Emissionen aus, die über das hinausgehen, was in der Vorstadt von Restaurants, Bars und Etablissements des Rotlichtmilieus geduldet wird.
Die Anlaufstelle der Stadt besteht bereits seit mehr als einem Jahrzehnt ca. 580 m südlich des "Adlers" an der Dornacherstasse in der Vorstadt. Die Anlaufstelle wird konkurrenziert von der Heroin-Abgabestelle in einem anderen Quartier. Vor Jahren, als noch eine überregionale offene Drogenszene bestand, wirkte sich die Anlaufstelle offensichtlich negativ auf die umliegenden Liegenschaften aus. Inzwischen konnte die offene Drogenszene (zumindest aus der Vorstadt) zum Verschwinden gebracht werden. Die Anlaufstelle wurde weiterhin täglich von 15.45 bis 19.30 Uhr betrieben. In dieser Zeit werden täglich Spritzen an ca. 20 Personen abgegeben. Ausserhalb der Öffnungszeiten wirkt die Anlaufstelle völlig verlassen. Auch während der Öffnungszeiten bilden sich keine Gruppen, die in der Umgebung verweilen. Der Dornacherplatz ist leer. Die Kunden der Anlaufstelle scheinen sich teilweise auf dem Amthausplatz im Westen der Altstadt aufzuhalten. Auch die Drogenhändler wirken nicht bei der Anlaufstelle, sondern beispielsweise am Kreuzackerquai. Die Drogenkranken suchen die Anlaufstelle nur kurz auf. Nach Auskunft der Stadtund Kantonspolizei funktioniert der Betrieb der Anlaufstelle seit dem Auflösen der offenen Drogenszene störungsfrei. Im unmittelbaren Umfeld gibt es keine Vorfälle, lediglich im Gebiet zwischen Bahnhof und Anlaufstelle gibt es ab und zu Reklamationen wegen Dealertätigkeiten. Zudem sind sporadisch gewisse Vorfälle in der Unterführung "Blaue Post" zu registrieren, indem sich dort drogenkranke Personen aufhalten. Zur Zeit ist diese Problematik jedoch nicht aktuell.
Die neue Anlaufstelle im "Adler" rechnet weiterhin mit dem Besuch von 20 Personen am Tag. Die Öffnungszeiten werden nicht erhöht. Es ist davon auszugehen, dass sich in der Umgebung des "Adlers" keine Gruppen bilden werden. Die kleine Anzahl Personen wird in der Umgebung der Anlaufstelle nicht besonders auffallen. Gemäss den Auflagen der Baubewilligung wird die Polizei vermehrt patrouillieren. Die Betreiber sind verpflichtet, regelmässige Kontrollgänge um das Haus und in der näheren Umgebung durchzuführen und die Reinigung der Umgebung sicherzustellen. Es werden zudem bauliche Massnahmen getroffen, um das Verweilen in toten Winkeln zu verhindern. Die Anlaufstelle ist am vorgesehenen Ort zonenkonform.
Verwaltungsgericht, Urteil vom 9. Juli 2007 (VWBES.2007.104)
Das Bundesgericht hat die Beschwerden gegen den Entscheid am 31. Januar 2008 abgewiesen; BGE 1C_262/2007.)
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