Zusammenfassung des Urteils STBER.2020.99: Verwaltungsgericht
In dem vorliegenden Fall handelt es sich um ein Strafverfahren vor dem Obergericht in Solothurn, bei dem es um versuchte schwere Körperverletzung, Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, Ungehorsam im Betreibungs- und Konkursverfahren sowie den Widerruf einer Vorstrafe geht. Die Staatsanwaltschaft tritt als Anschlussberufungsklägerin auf, während der Beschuldigte und Berufungskläger von Rechtsanwalt Marcel Haltiner vertreten wird. Die Hauptverhandlung wird zweigeteilt, um zunächst die Tatfrage zu klären und dann die Schuldfrage zu behandeln. Es werden verschiedene Beweisanträge gestellt und die Parteien äussern sich zu einem vorgeschlagenen Tatinterlokut. Es folgen weitere Verhandlungsschritte, darunter die Beweisaufnahme, Parteivorträge und schliesslich die mündliche Urteilseröffnung. Das Gericht wendet den Grundsatz `in dubio pro reo` an und führt eine freie Beweiswürdigung durch. Am Ende wird das Urteil verkündet, in dem der Beschuldigte unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt wird.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2020.99 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 11.04.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Beschuldigten; Privatklägerin; Recht; Staat; Urteil; Täter; Landes; Schuld; Körper; Aussage; Opfer; Landesverweisung; Beweis; Person; Körperverletzung; Massnahme; Apos; Verfahren; Berufung; Täters; Verletzung; Gericht; Urteils |
Rechtsnorm: | Art. 10 StPO ;Art. 122 StGB ;Art. 123 StGB ;Art. 126 StGB ;Art. 126 StPO ;Art. 16 StGB ;Art. 18 StGB ;Art. 19 StGB ;Art. 19a BetmG;Art. 219 StPO ;Art. 22 StGB ;Art. 303 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 391 StPO ;Art. 416 StPO ;Art. 42 StGB ;Art. 43 StGB ;Art. 46 StGB ;Art. 47 StGB ;Art. 48a StGB ;Art. 5 BV ;Art. 50 StGB ;Art. 56 StGB ;Art. 63 StGB ;Art. 63a StGB ;Art. 63b StGB ;Art. 65 StGB ;Art. 66a StGB ;Art. 66b StGB ; |
Referenz BGE: | 115 IV 286; 120 Ia 36; 121 IV 49; 122 IV 49; 124 IV 53; 125 IV 242; 133 I 33; 133 IV 1; 133 IV 9; 134 I 1; 134 IV 132; 134 IV 140; 134 IV 17; 134 IV 1; 135 IV 12; 136 IV 156; 136 IV 55; 139 IV 243; 142 IV 309; 143 IV 1; 144 IV 113; 144 IV 168; 144 IV 332; 144 IV 92; 145 IV 167; 145 IV 364; 145 IV 55; 147 IV 167; 147 IV 55; 148 IV 89; |
Kommentar: | Stefan Trechsel, Mark Pieth, Schweizer, Praxis, 3. Aufl., Zürich, Art. 22 StGB, 2018 |
Geschäftsnummer: | STBER.2020.99 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 11.04.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2022.47 |
Titel: | versuchte schwere Körperverletzung, Widerhandlung gegen das BetmG, Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren und Widerruf einer Vorstrafe |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 11. April 2022 Es wirken mit: Oberrichter Marti Ersatzrichterin Lupi De Bruycker Gerichtsschreiber Wiedmer In Sachen Staatsanwaltschaft, Barfüssergasse 28, Franziskanerhof, Postfach 157, 4502 Solothurn
Anschlussberufungsklägerin
gegen
A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Marcel Haltiner
Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend versuchte schwere Körperverletzung, Widerhandlung gegen das BetmG, Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren und Widerruf einer Vorstrafe
Es erscheinen zum ersten Teil der Hauptverhandlung vor Obergericht vom 9. Dezember 2021: 1. Staatsanwältin H.___, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A.___, Beschuldigter und Berufungskläger; 3. Rechtsanwalt Marcel Haltiner, amtlicher Verteidiger des Beschuldigten; 4. B.___, Privatklägerin und Auskunftsperson; 5. Rechtsanwältin Stephanie Selig, unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerin
Als Zuhörer/Zuschauer erscheinen zudem:
- zwei Schulklassen; - ein Medienvertreter; - Familienangehörige des Beschuldigten.
Die Verhandlung beginnt um 08:35 Uhr.
Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung, stellt die Anwesenden fest und gibt die Besetzung des Berufungsgerichts bekannt.
In der Folge weist der Vorsitzende auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 11. August 2020 hin und fasst dieses zusammen. Er nennt die von den Parteien angefochtenen und die in Rechtskraft erwachsenen Urteilspunkte.
Tatinterlokut
Der Vorsitzende führt aus, dass das Gericht ein Tatinterlokut in Betracht ziehe. Dabei werde die Hauptverhandlung zweigeteilt. In einem ersten Verfahrensteil werde ausschliesslich die Tatfrage und in einem zweiten Teil im Falle einer Tatbestandsmässigkeit die Schuldfrage sowie die Folgen eines Schuld- Freispruchs behandelt.
Anschliessend weist die Referentin auf die Gründe für das Tatinterlokut hin:
1. Der Beschuldigte sei im Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert gewesen. Die nachgewiesene Blutalkoholkonzentration sei rückgerechnet auf den Tatzeitpunkt bei maximal 2,24 Gew. ‰ gelegen.
2. Es sei Kokain und THC beim Beschuldigten nachgewiesen worden. Damit stehe fest, dass ein Mischkonsum vorgelegen habe. Gemäss toxikologischem Abschlussbericht können sich die Wirkungen und Nebenwirkungen der konsumierten Stoffe gegenseitig verstärken.
3. Der Beschuldigte sei nach dem Vorfall im Bürgerspital Solothurn untersucht worden. Dabei sei eine mittelgradige Beeinträchtigung festgestellt worden.
4. Gemäss dem polizeilichen Wahrnehmungsbericht sei der Beschuldigte anlässlich der Festnahme sichtlich aufgelöst (weinerlich) gewesen und auf dem Amthausplatz am Boden gesessen. Später bei der Untersuchung im Bürgerspital Solothurn sei er durch weinerliches bis aufbrausendes Verhalten aufgefallen.
5. Der Beschuldigte sei in der Vergangenheit wegen psychischer und physischer Probleme von sich aus in einer Psychiatrie gewesen.
All diese Aspekte begründeten Zweifel an einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Beschuldigten. Wenn der Beschuldigte die Tat nicht begangen habe, erübrige sich die Einholung eines Gutachtens zur Schuldfrage. Wenn ihm hingegen ein tatbestandsmässiges Verhalten nachgewiesen werden könne, brauche es ein Gutachten, um die Zweifel an der Schuldfähigkeit des Beschuldigten zu eliminieren. Der Weg vom Zweifel zur prozessualen Gewissheit führe über den Gutachter, der über das für die Entscheidung nötige Fachwissen verfüge und dieses Fachwissen dem Gericht vermitteln könne. Eine Zweiteilung des Verfahrens sei deshalb angezeigt.
Der Vorsitzende weist darauf hin, dass den Parteien nun die Gelegenheit eingeräumt werde, sich zum angedachten Tatinterlokut zu äussern. Sofern dies für die Vorbereitung gewünscht werde, könne die Verhandlung kurz unterbrochen werden.
Rechtsanwalt Haltiner beantragt eine kurze Pause, damit er dem Beschuldigten das vom Obergericht angedachte Tatinterlokut erklären könne. Die Verhandlung wird für 10 Minuten unterbrochen.
Staatsanwältin H.___:
Man sei nun seit über zweieinhalb Jahren am vorliegenden Straffall. Sie finde es schwierig, dass ein Gutachter nun darüber entscheiden solle, was damals der Zustand des Beschuldigten gewesen sei. Der Gutachter werde sehen, dass ein Mischkonsum vorgelegen habe: Der Beschuldigte habe einen Intus von max. 2,25 Promille gehabt und Kokain sowie THC konsumiert. Das wisse man selber bereits. Der Gutachter werde ausschliesslich die Fakten in den Akten würdigen können. Was habe es demnach für einen Sinn, ein Gutachten in Auftrag zu geben? Ein Gutachten würde keinen Mehrwert bringen, sondern wäre nur ein Verlust im Hinblick auf die Verfahrensdauer. Der Zustand des Beschuldigten könne im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Für sie sei die vorgesehene Erstellung eines Gutachtens im Zusammenhang mit der Schuldfähigkeit des Beschuldigten ein Leerlauf, der nicht nötig sei. Sie stelle damit den folgenden Antrag:
Es sei kein Tatinterlokut durchzuführen.
Rechtsanwältin Selig:
Sie könne sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft anschliessen. Sie sehe nicht, was für einen Gewinn das Gutachten im laufenden Verfahren bringen solle. Alle Fakten lägen auf dem Tisch. Diese sprächen nicht für eine verminderte Schuldfähigkeit des Beschuldigten. Man wisse auch, dass der Beschuldigte unmittelbar vor der Tat noch fähig gewesen sei, normal zu laufen und zu reden. Aus ihrer Sicht liege der Entscheid über die Schuldfähigkeit bei der vorliegenden Konstellation in der Kompetenz des Gerichts. Sie habe nicht das Gefühl, dass durch ein Gutachten grosse neue Erkenntnisse zu Tage treten würden. Sie stelle deshalb den folgenden Antrag:
Es sei kein Tatinterlokut durchzuführen.
Rechtsanwalt Haltiner:
Er schliesse sich der Ansicht des Obergerichts an. Herr A.___ sei sehr stark alkoholisiert gewesen und habe Kokain sowie THC konsumiert. Sein Zustand beim Amthausplatz sei sehr bedenklich gewesen. Diese Umstände deuteten darauf hin, dass an seiner Schuldfähigkeit gezweifelt werden müsse. Zuerst müsse aber die Tatfrage geklärt werden und erst dann die Schuldfähigkeit. Er stelle deshalb den folgenden Antrag:
Es sei ein Tatinterlokut anzuordnen.
Das Gericht zieht sich zur geheimen Beratung über die Zweiteilung der Hauptverhandlung zurück. Die Verhandlung wird für 10 Minuten unterbrochen.
Die Referentin eröffnet hierauf mündlich folgenden Beschluss:
«Die Verhandlung wird zweigeteilt. In der ersten Phase geht es ausschliesslich um die Tatfrage (Tatinterlokut). Darauf wird die heutige Hauptverhandlung beschränkt.»
Die Referentin verweist in ihrer Begründung auf die eingangs der Verhandlung dargelegte Argumentation. Das Gericht sei der Überzeugung, dass die Würdigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten durch ein Gutachten vorzunehmen sei. Das Gericht könne nicht in die Rolle des Gutachters schlüpfen. Es werde aber alles daran gesetzt, dass das Gutachten schnell erstellt und das Verfahren zügig vorangetrieben werde.
Der Vorsitzende skizziert den vorgesehenen weiteren Verhandlungsablauf wie folgt:
1. Vorfragen, Vorbemerkungen und Anträge der Parteivertreter; 2. Einvernahme der Auskunftsperson; 3. Befragung des Beschuldigten; 4. weitere Beweisanträge und Abschluss des Beweisverfahrens; 5. Parteivorträge; 6. geheime Beratung zum Zwischenentscheid; 7. schriftliche Eröffnung des Zwischenentscheides (bei Freispruch: Endentscheides).
Rechtsanwalt Haltiner legt seine Kostennote der Staatsanwältin zur Einsicht vor.
Vormerkungen der Parteien
Keine Vorbemerkungen seitens der Parteien.
Beweisabnahme
Die Privatklägerin wird, nachdem sie von der Referentin auf ihre Rechte und Pflichten hingewiesen worden ist, als Auskunftsperson einvernommen.
Der Beschuldigte wird, nachdem er von der Referentin auf sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen sowie die Aussagen und die Mitwirkung verweigern zu dürfen, hingewiesen worden ist, zur Sache befragt.
Die Parteivertreter stellen keine weiteren Beweisanträge, so dass das Beweisverfahren vom Vorsitzenden geschlossen wird.
Parteivorträge
Staatsanwältin H.___ stellt und begründet für die Anschlussberufungsklägerin den Antrag, der Beschuldigte A.___ sei in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils wegen versuchter schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen.
Rechtsanwältin Stephanie Selig stellt und begründet im Namen und Auftrag der Privatklägerin den Antrag, der Beschuldigte A.___ sei wegen versuchter schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen.
Rechtsanwalt Marcel Haltiner stellt und begründet im Namen und Auftrag des Beschuldigten und Berufungsklägers den Antrag, der Beschuldigte A.___ sei vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung freizusprechen.
Hierauf halten die Staatsanwältin, die Privatklägerin und der amtliche Verteidiger einen zweiten Parteivortrag.
Damit endet der öffentliche Teil der ersten Hauptverhandlung um 10:09 Uhr und das Gericht zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück. Es erscheinen zum zweiten Teil der Hauptverhandlung vor Obergericht vom 8. April 2022: 1. Staatsanwältin H.___, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A.___, Beschuldigter und Berufungskläger; 3. Rechtsanwalt Marcel Haltiner, amtlicher Verteidiger des Beschuldigten; 4. B.___, Privatklägerin; 5. Rechtsanwältin Stephanie Selig, unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerin; 6. S.___ als Sachverständiger.
Zudem erscheinen:
- eine Medienvertreterin; - Familienangehörige des Beschuldigten; - eine Schulklasse.
Die Verhandlung beginnt um 08:35 Uhr.
Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung, stellt die Anwesenden fest und gibt die Besetzung des Berufungsgerichts bekannt.
Der Vorsitzende macht auf das erfolgte Tatinterlokut aufmerksam. Ein Zwischenurteil sei bereits ergangen. Es sei ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden zur Schuldfähigkeit, Legalprognose und einer eventuellen Massnahme.
Der Vorsitzende skizziert den vorgesehenen weiteren Verhandlungsablauf wie folgt:
1. Vorfragen, Vorbemerkungen und Anträge der Parteivertreter; 2. Befragung des Beschuldigten; 3. Einvernahme des Sachverständigen; 4. weitere Beweisanträge und Abschluss des Beweisverfahrens; 5. Parteivorträge; 6. Letztes Wort des Beschuldigten. 7. geheime Urteilsberatung; 8. mündliche Eröffnung des Urteils, vorgesehen gleichentags um 17.00 Uhr.
RA Haltiner reicht seine Honorarnote der Staatsanwältin zur Einsicht vor.
Vormerkungen der Parteien
Keine Vorbemerkungen seitens der Parteien. Beweisabnahme
Der Beschuldigte wird, nachdem er von der Referentin auf sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen sowie die Aussage und Mitwirkung verweigern zu dürfen, hingewiesen worden ist, zur Sache befragt.
Dr. S.___ wird, nachdem er von der Referentin auf seine Rechte und Pflichten hingewiesen worden ist, als Sachverständiger einvernommen.
Die Parteivertreter stellen keine weiteren Beweisanträge, so dass das Beweisverfahren vom Vorsitzenden geschlossen wird.
Parteivorträge
Staatsanwältin H.___ stellt und begründet für die Anschlussberufungsklägerin die folgenden Anträge (OGer AS 299): «1. Der Beschuldigte sei, unter Anrechnung der erstandenen Haft, mit einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten zu bestrafen. 2. Für den Beschuldigten sei eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB anzuordnen. 3. Der Widerruf des bedingten gewährten Vollzuges für eine Gelstrafe sei betreffend folgender Verfahren zu widerrufen: - Verfahren gemäss Urteil der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 18. September 2014 (Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je CHF 70.00) - Verfahren gemäss Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt vom 19. September 2014 (Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00) - Verfahren gemäss Urteil der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 8. Oktober 2018 (Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00) 4. A.___ sei für die Dauer von 8 Jahren des Landes zu verweisen. 5. Über die Zivilforderungen sei von Amtes wegen zu entscheiden. 6. Die Entschädigungen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsbeiständin sowie die Kostenfolgen für das erstinstanzliche Verfahren seien gemäss Ziffern 15-17 des vorinstanzlichen Verfahrens festzulegen. 7. Die Kosten des Verfahrens vor Obergericht seien dem Beschuldigten aufzuerlegen. 8. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung für das Verfahren vor Obergericht sei gemäss eingereichter Honorarnote festzulegen, unter Vorbehalt des Rückforderungsanspruches des Staates während 10 Jahren.»
Rechtsanwältin Stephanie Selig stellt und begründet im Namen und Auftrag der Privatklägerin die folgenden Anträge (OGer AS 300): « 1. Der Beschuldigte sei schuldig zu sprechen wegen versuchter schwerer Körperverletzung zum Nachteil der Privatklägerin B.___, begangen am 4. März 2019 in Solothurn, und angemessen zu bestrafen. 2. Der Beschuldigte sei zu verpflichten, der Privatklägerin eine Genugtuungssumme in Höhe von CHF 3'000.00 zu bezahlen nebst Zins in der Höhe von 5% seit dem 4. März 2019. 3. Der Beschuldigte sei für inskünftig aus und in Zusammenhang mit der verurteilten Straftat anfallenden Kosten dem Grundsatz nach bei einer Haftungsquote von 100% für haftpflichtig zu erklären. 4. Es seien sowohl betreffend das erstinstanzliche wie auch das vorliegende Berufungsverfahren die Honorarnoten der unentgeltlichen Rechtsvertreterin der Privatklägerin zu genehmigen und der Beschuldigte zur Zahlung einer Parteientschädigung in Höhe der genehmigten Honorarnote zu verpflichten. Im Umfang der Aufwendungen für die unentgeltliche Rechtspflege seien die Kosten vom Kanton zu übernehmen. Für die Differenz zum vollen Honorar sei ein Nachforderungsanspruch festzulegen. 5. Es sei der Beschuldigte zur Übernahme der Verfahrenskosten erster wie auch zweiter Instanz zu verpflichten.»
Rechtsanwalt Marcel Haltiner stellt und begründet im Namen und Auftrag des Beschuldigten und Berufungsklägers die folgenden Anträge (OGer AS 301): « 1. Der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von 5 Jahren zu verurteilen. 2. Die ausgestandene Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 35 Tagen sei im Erstehungsfall an die Freiheitsstrafe anzurechnen. 3. Vom Widerruf der mit Urteil der Staatsanwaltschaft vom 18.09.2014 ausgesprochenen Geldstrafe von 45 Tagessätzen à CHF 70.00, der mit dem Urteil des Amtsgerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt vom 19.09.2014 ausgesprochenen Geldstrafe von 120 Tagessätzen à CHF 10.00 und der mit Urteil der Staatsanwaltschaft vom 08.10.2018 ausgesprochenen Geldstrafe von 25 TS à CHF 30.00 sei abzusehen. 4. Von der Anordnung der Landesverweisung sei abzusehen. 5. Die Zivilforderung der Privatklägerin sei im richterlichen Ermessen auszufällen. 6. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers des Angeklagten für das vorliegende Verfahren sei gemäss eingereichter Kostennote festzusetzen und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu tragen. 7. Die Kosten des Verfahrens seien mindestens im Umfang von der Hälfte durch den Staat zu tragen.»
Letztes Wort des Beschuldigten
Der Beschuldigte verzichtet auf sein Recht auf das letzte Wort.
Damit endet der öffentliche Teil der zweiten Hauptverhandlung um 10:40 Uhr und das Gericht zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück.
Es erscheinen zur mündlichen Urteilseröffnung vom 11. April 2022 um 10:30 Uhr:
1. Staatsanwältin H.___, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A.___, Beschuldigter und Berufungskläger; 3. Rechtsanwalt Marcel Haltiner, amtlicher Verteidiger des Beschuldigten; 4. B.___, Privatklägerin; 5. Rechtsanwältin Stephanie Selig, unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerin;
Zudem erscheinen:
- eine Medienvertreterin; - die Freundin des Beschuldigten.
Der Vorsitzende stellt die Anwesenden fest und weist vorab darauf hin, dass das Urteil des Berufungsgerichts im Rahmen der mündlichen Eröffnung nur summarisch begründet werde. Massgeblich sei die schriftliche Begründung des Urteils, welches den Parteien später eröffnet werde und ab deren Zustellung dann auch die Rechtsmittelfrist zu laufen beginne.
Anschliessend verliest die Referentin den Urteilsspruch. Sie äussert sich zur Strafzumessung (Tat- und Täterkomponenten, ausgefälltes Strafmass, Vollzugsform, Anrechnung) und zum Verzicht auf Ordnung einer ambulanten Massnahme. Ebenso begründet sie kurz den Entscheid des Berufungsgerichts betreffend Landesverweisung. Mit den Angaben zur Kostenverteilung schliesst die Referentin die summarische Urteilsbegründung.
Um 10:55 Uhr erklärt der Vorsitzende die mündliche Urteilseröffnung für geschlossen.
Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I. Prozessgeschichte
1. Am 4. März 2019, in der Nacht nach dem Fasnachtssonntag, ging um 1:23 Uhr bei der Alarmzentrale Solothurn die Meldung ein, dass eine Frau in der Stadt Solothurn in der Region des Restaurants «Chutz» und der «Billardbar» attackiert worden sei (Akten STA.2019.1082, Ordner 1 Seite [nachfolgend zit. «AS»] 6). Vor Ort machten drei Frauen (B.___, C.___ und D.___) der ausgerückten Polizeipatrouille Angaben zum Signalement des Täters und zu dessen Fluchtrichtung. Auf dem Amtshausplatz traf die Patrouille in der Folge auf A.___, auf welchen nach der Einschätzung der Polizisten das Signalement zutraf (AS 7).
2. Gegen A.___ (nachfolgend Beschuldigter bzw. Berufungskläger) wurde mit Verfügung vom 4. März 2019 eine Strafuntersuchung betreffend einfache Körperverletzung, evtl. versuchte schwere Körperverletzung eröffnet (AS 159) und es wurde ihm Rechtsanwalt Marcel Haltiner als amtlicher Verteidiger bestellt (AS 240). Der Beschuldigte wurde am 4. März 2019 um 1:40 Uhr auf dem Posten der Stadtpolizei Solothurn vorläufig festgenommen (AS 163) und am darauf folgenden Tag (5.3.2021) um 14:20 Uhr wieder entlassen (AS 169).
3. Mit Eingabe vom 12. März 2019 konstituierte sich B.___ im Straf- und Zivilpunkt als Privatklägerin (AS 13). Mit Verfügung vom 21. November 2019 wurde der Privatklägerin zur Durchsetzung des Zivilanspruchs die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und ihr Rechtsanwältin Denise Lüthi als unentgeltliche Rechtsbeiständin bestellt (AS 238).
4. Die Staatsanwaltschaft erhob am 28. November 2019 Anklage gegen den Beschuldigten wegen versuchter schwerer Körperverletzung nach Art. 122 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, mehrfacher Übertretung nach Art. 19a Ziff. 1 BetmG und Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren nach Art. 323 StGB und machte darauf aufmerksam, dass im gerichtlichen Verfahren auch über den Widerruf des mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8. Oktober 2018 gewährten bedingten Strafvollzuges für eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00 (STA.2018.2883) sowie über die Anordnung der obligatorischen Landesverweisung zu entscheiden sei (Ordner Richteramt Solothurn-Lebern, Seite [nachfolgend zitiert «S-L AS»] 1 ff.).
5. Mit Verfügung vom 12. Februar 2020 (S-L AS 6 ff.) wurde die Hauptverhandlung vor Amtsgericht Solothurn-Lebern auf den 31. August 2020 angesetzt und den Parteien mitgeteilt, dass das Gericht anlässlich dieser auch über den Widerruf des gewährten bedingten Strafvollzuges folgender Vorstrafen zu befinden habe: Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00 gemäss Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt vom 19. September 2014, wobei die ursprünglich auf drei Jahre festgesetzte Probezeit mit Strafbefehl vom 5. Oktober 2015 um ein Jahr und sechs Monate verlängert worden war (vgl. Akten STA.2019.1082, Ordner 2, Verfahren STA.2015.2199 [nachfolgend zit. «Vorakten, Geschäftsnummer, AS»] 4 f.) sowie Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00 bei einer Probezeit von drei Jahren gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8. Oktober 2018 (Vorakten, STA.2018.2883). Auf letztgenannte Strafe wird bereits in der Anklageschrift vom 28. November 2019 ausdrücklich Bezug genommen (S-L AS 1). Die Widerrufsthematik stellte sich ebenfalls in Bezug auf den mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Solothurn am 18. September 2014 gewährten Strafaufschub für eine Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je CHF 70.00 bei einer Probezeit von insgesamt viereinhalb Jahren (vgl. hierzu die Eingabe der Staatsanwaltschaft vom 27.1.2020, S-L AS 41, mit welcher auch der amtliche Verteidiger bedient worden war).
6. Am 31. August 2020 erging folgendes Urteil des Amtsgerichts von Solothurn-Leber (S-L AS 114 ff.):
1. Das Strafverfahren gegen A.___ wegen mehrfacher Übertretung des BetmG, angeblich begangen vor dem 31. August 2017, ist zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt. 2. A.___ wird vom Vorwurf des Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren, angeblich begangen in der Zeit vom 13. September 2019 bis 8. November 2019, freigesprochen. 3. A.___ hat sich schuldig gemacht: - der versuchten schweren Körperverletzung, begangen am 4. März 2019; - der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, begangen in der Zeit vom 31. August 2017 bis 4. März 2019. 4. A.___ wird verurteilt zu: a) einer Freiheitsstrafe von 38 Monaten; b) einer Busse von CHF 200.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 2 Tagen. 5. A.___ sind 2 Tage Untersuchungshaft an die Freiheitsstrafe angerechnet. 6. Für A.___ wird zur Sicherung des Strafvollzugs für die Dauer von 6 Monaten Sicherheitshaft angeordnet. 7. Bei folgenden Verfahren gegen A.___ wird der bedingt gewährte Vollzug für eine Geldstrafe widerrufen und die Geldstrafe als vollstreckbar erklärt: - Verfahren gemäss Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 18. September 2014 (bedingt gewährter Vollzug für eine Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je CHF 70.00); - Verfahren gemäss Urteil des Amtsgerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt vom 19. September 2014 (bedingt gewährter Vollzug für eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00); - Verfahren gemäss Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8. Oktober 2018 (bedingt gewährter Vollzug für eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00). 8. A.___ wird für die Dauer von 5 Jahren des Landes verwiesen. 9. Die Landesverweisung wird im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben. 10. Folgende bei A.___ sichergestellten Gegenstände werden eingezogen und sind, soweit noch nicht geschehen, durch die Polizei nach Rechtskraft des Urteils zu vernichten bzw. allenfalls zu verwerten (Fahrradhelm):
11. Folgende bei A.___ sichergestellten Gegenstände sind diesem nach Rechtskraft des Urteils zurückzugeben:
12. B.___ wird zur Geltendmachung ihrer Schadenersatzforderung von CHF 1'667.90 nebst Zins zu 5% seit dem 4. März 2019 auf den Zivilweg verwiesen. 13. A.___ wird für inskünftig aus und in Zusammenhang mit der verurteilten Straftat anfallende Kosten dem Grundsatz nach zu 100% schadenersatzpflichtig erklärt. Zur Ausmittlung der Schadenshöhe wird B.___ auf den Zivilweg verwiesen. 14. A.___ wird verurteilt, B.___ CHF 3'000.00 zuzüglich 5% Zins seit dem 4. März 2019 als Genugtuung zu bezahlen. 15. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Marcel Haltiner, wird auf CHF 7'228.80 (Honorar CHF 6'222.00, Auslagen CHF 490.00, 7,7 % MwSt CHF 516.80) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. 16. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von B.___, Rechtsanwältin Denise Lüthi, heute vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig, wird auf CHF 5'347.50 (Honorar CHF 4'714.20, Auslagen CHF 251.00, 7,7% MwSt CHF 382.30) festgesetzt und ist zufolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse von A.___ vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 1'410.30 (Differenz zu vollem Honorar à CHF 230.00 pro Stunde), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben. 17. A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 5'000.00, total CHF 11'131.00, zu bezahlen.
7. Die vom Beschuldigten erhobene Beschwerde (S-L AS 52 ff.) gegen die von der Vorinstanz angeordnete Sicherheitshaft (vgl. Dispositiv-Ziff. 6 des erstinstanzlichen Urteils sowie den begründeten Beschluss vom 1.9.2020, S-L AS 121 ff.) wurde von der Beschwerdekammer des Obergerichts mit Beschluss vom 1. Oktober 2020 gutgeheissen (S-L AS 74 ff.). Sie verneinte eine massgebliche Fluchtgefahr sowie einen anderen besonderen Haftgrund. Nach den üblichen Austrittsformalitäten wurde der Beschuldigte am 2. Oktober 2020 aus der Sicherheitshaft entlassen (vgl. Dossier BKBES.2020.116).
8. Gegen das erstinstanzliche Urteil meldete der Beschuldigte am 11. September 2020 fristgerecht die Berufung an (S-L AS 129 ff.). Das motivierte Urteil wurde dem amtlichen Verteidiger am 2. Dezember 2020 zugestellt (S-L AS 183). Mit Berufungserklärung vom 22. Dezember 2020 (Akten Berufungsverfahren vor Obergericht, Seite [nachfolgend zit. «OGer AS»] 11 f.) lässt der Beschuldigte folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteilsdispositivs anfechten:
- Ziff. 3 Alinea 1: Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung - Ziff. 4 (teilweise): soweit die Freiheitsstrafe betreffend; - Ziff. 5: Anrechnung Untersuchungshaft; - Ziff. 7: Widerruf des gewährten bedingten Strafvollzuges hinsichtlich dreier Vorstrafen; - Ziff. 8: Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren; - Ziff. 9: Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem; - Ziff. 12, 13 und 14: Zivilforderungen; - Ziff. 15 (teilweise): amtliches Honorar, soweit den Rückforderungsanspruch des Staates betreffend; - Ziff. 16 (teilweise): Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin der Privatklägerin, soweit den Rückforderungsanspruch des Staates betreffend; - Ziff. 17: Kostenverlegung zu Lasten des Beschuldigten.
Beantragt werden vom Beschuldigten ein Freispruch von Vorhalt der versuchten schweren Körperverletzung sowie das Absehen von einer Bestrafung (konkret einer Freiheits- Geldstrafe, die ausgefällte Busse für die mehrfache BetmG-Übertretung wird ausdrücklich anerkannt), eine Entschädigung für die zu Unrecht ausgestandene Untersuchungshaft, die Aufhebung des angeordneten Widerrufes, die Aufhebung der Landesverweisung und deren Ausschreibung im SIS sowie die Abweisung sämtlicher Zivilforderungen. Hinsichtlich der Verfahrenskosten wehrt sich der Beschuldigte gegen die vollständige Kostenauflage zu seinen Lasten und den umfassenden Rückforderungsanspruch des Staates.
9. Mit Eingabe vom 4. Januar 2021 erklärte die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung. Sie ficht das Urteil bezüglich Dispositiv-Ziff. 8 an und verlangt die Anordnung einer länger dauernden Landesverweisung (OGer AS 19).
10. Die Privatklägerin verzichtete mit Eingabe vom 12. Januar 2021 auf eine Anschlussberufungserklärung (OGer AS 22).
11. Die amtliche Verteidigung durch Rechtsanwalt Marcel Haltiner, wurde für das Berufungsverfahren bestätigt (OGer AS 24). Der Privatklägerin wurde nach Eingang der Belege die unentgeltliche Rechtspflege für das Berufungsverfahren bewilligt und es wurde ihr Rechtsanwältin Stephanie Selig, die bereits anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung stellvertretend für Rechtsanwältin Denise Lüthi die Interessenwahrung der Privatklägerin wahrgenommen hatte, als unentgeltliche Rechtsbeiständin beigeordnet (OGer AS 39).
12. Nicht angefochten und in Rechtskraft erwachsen sind folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:
- Ziff. 1: Verfahrenseinstellung zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung, soweit die mehrfache BetmG-Übertretung (AnklS. Ziff. 2) im Tatzeitraum vor dem 31. August 2017 betreffend;
- Ziff. 2: Freispruch vom Vorwurf des Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren (AnklS. Ziff. 3);
- Ziff. 3 Alinea 2: Schuldspruch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a Ziff. 1 BetmG, begangen in der Zeit vom 31. August 2017 bis 4. März 2019;
- Ziff. 4 lit. b: Busse von CHF 200.00 (ersatzweise zwei Tage Freiheitsstrafe) für die mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes;
- Ziff. 10: Vernichtung bzw. Verwertung sichergestellter Gegenstände;
- Ziff. 11: Herausgabe sichergestellter Gegenstände;
- Ziff. 15 (teilweise): Höhe der Entschädigung für den amtlichen Verteidiger;
- Ziff. 16 (teilweise): Höhe der Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsbeiständin.
13. Nach Durchführung des ersten Teils der Hauptverhandlung wurde den Parteien mit Verfügung vom 14. Dezember 2021 mitgeteilt, dass für die Ausarbeitung eines Gutachtens Dr. med. S.___ als sachverständige Person vorgeschlagen werde. Ebenso wurden die Parteien mit dem vorgesehenen Fragekatalog bedient (Akten Obergericht [nachfolgend «OGer»], Aktenseite [AS] 152 f.).
14. Dr. med. S.___ wurde, nachdem gegen seine Einsetzung keine Einwände erhoben worden waren, mit Verfügung vom 23. Dezember 2021 mit der Erstellung eines Gutachtens betreffend A.___ beauftragt (OGer AS 162 ff.).
15. Das Zwischenurteil vom 9. Dezember 2021, welches ausschliesslich die Tatfrage behandelt, wurde den Parteien am 12. bzw. 13. Januar 2022 zugestellt (OGer AS 220 ff.).
16. Ebenfalls am 13. Januar 2022 wurde der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft, wonach [ein Filmbeitrag eines Fernsehsenders] zu den Akten zu nehmen sei, von der Instruktionsrichterin abgewiesen (OGer AS 223 f.). Der weitere Beweisantrag der Staatsanwaltschaft, wonach der Gamma-Glutamyltransferase-Wert sowie Marker der beim Beschuldigten abgenommenen Blutprobe zu bestimmen seien, wurde gegenstandslos: Mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 teilte das IRM Bern mit, dass sämtliche Asservate betreffend A.___ bereits vernichtet worden seien (OGer AS 160).
17. Das Gutachten von Dr. S.___ ging schliesslich am 21. Februar 2022 beim Gericht ein (OGer AS 230 ff.).
18. Der zweite Teil der Hauptverhandlung fand am 8. April 2022 statt. In Bezug auf den Verhandlungsablauf und die Parteianträge wird auf das vorstehende Verhandlungsprotokoll verwiesen.
II. Beweiswürdigung
1. Allgemeines zur Beweiswürdigung
1.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f.) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen. Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).
1.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Je nach der Art des Beweismittels lassen sich diese grundsätzlich in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben, namentlich Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen, Angeschuldigten in Einvernahmen) und sachliche (Augenschein und Beweisobjekte, namentlich Urkunden) unterteilen. Zu den verschiedenen Beweismitteln ist anzuführen, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung eine Rangordnung verbietet. Insbesondere sind die Aussagen von Zeugen und Angeschuldigten voll gültige Beweismittel mit derselben Beweiseignung. Bei der Würdigung der Beweise ist weniger die Form, sondern vielmehr der Gesamteindruck (d.h. die Art und Weise der Bekundung sowie die Überzeugungskraft) massgebend.
1.3 Die Beweiskraft von persönlichen Beweismitteln wird vor allem bei der polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Einvernahme ermittelt. Dabei wird die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage durch methodische Analyse ihres Inhalts – Aussageanalyse – darauf überprüft, ob die auf ein bestimmtes Geschehen bezogenen Angaben einem tatsächlichen Erleben des Aussagenden entspringen. Hierbei wird einerseits zwischen Realitätskriterien und den Phantasie- und Lügensignalen anderseits unterschieden: Damit eine Aussage als zuverlässig gewürdigt werden kann, ist sie insbesondere auf das Vorhandensein von Realitätskriterien und umgekehrt auf das Fehlen von Phantasiesignalen zu überprüfen. Es wird zunächst davon ausgegangen, dass die Aussage gerade nicht realitätsbegründet ist, und erst wenn sich diese Annahme (Nullhypothese) aufgrund der festgestellten Realitätskriterien nicht mehr halten lässt, wird geschlossen, dass die Aussage einem wirklichen Erleben entspricht und wahr ist (vgl. BGE 133 I 33). Eine beschuldigte Person erzählt im Gegensatz zu einem Zeugen/einer Zeugin bzw. einem Opfer im Regelfall nicht eine Geschichte, die sich unter Berücksichtigung der Aussageentstehung und -entwicklung anhand der Aussagequalität auf ihren Realitätsbezug überprüfen lässt. Eine beschuldigte Person ist aufgefordert, eine bestehende Geschichte zu bestätigen zu verneinen. Die Realkennzeichenanalyse ist damit bei beschuldigten Personen in aller Regel kein taugliches Mittel der Glaubhaftigkeitsbeurteilung.
Die wichtigsten Kennzeichen wahrheitsgetreuer Aussagen eines Zeugen, einer Zeugin bzw. eines Opfers und somit Realkennzeichen sind innere Geschlossenheit und Folgerichtigkeit in der Darstellung des Geschehens. Die Schilderung des Vorfalls in so charakteristischer und detaillierter Weise, wie sie nur von demjenigen zu erwarten ist, der den Vorfall selbst erlebt hat, ist ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der Aussage. Für die Korrektheit der Aussage spricht im Weiteren die Konstanz in den Schilderungen bei verschiedenen Befragungen. Aussagecharakteristika wie ganzheitliche Detailliertheit, individuelle Prägung, sachverhaltsbezogene Verflechtung, Strukturgleichheit, Homogenität, Konstanz des Aussageinhalts, Selbstbelastung und unvorteilhafte Darstellung der eigenen Rolle sowie Entlastungsbemerkungen zu Gunsten des Beschuldigten sprechen daher für einen Realitätsbezug. Bei wahrheitswidrigen Bekundungen fehlen diese Kennzeichen regelmässig. Indizien für bewusst unbewusst falsche Aussagen, d.h. für Phantasiesignale und Lügenmerkmale, sind Unstimmigkeiten grobe Widersprüche in den eigenen Aussagen, Zurückhaltung in Bezug auf Aussagen zu den zentralen Begebenheiten, Verweigerung der Erweiterung der Erlebnisschilderung, erhebliche Abschwächungen Übersteigerungen im Verlaufe mehrerer Einvernahmen, unklare, verschwommene ausweichende Antworten (Abschweifungen und Flucht in andere, irrelevante Themenbereiche) und gleichförmig, eingeübt wirkende Aussagen. Damit der Richter einer Aussage Glauben schenken kann, muss der Aussageninhalt aufgrund des Grads der Detaillierung und der inhaltlichen Besonderheit sowie der Homogenität überzeugen und darf keine signifikanten Phantasie- und Lügensignale ausstrahlen (vgl. BGE 133 I 33; Möller/Maier, Grenzen und Möglichkeiten von Glaubwürdigkeitsbegutachtungen im Strafprozess, SJZ 96 [2000], S. 249 ff.; Ferrari, Erkenntnisse aus der Aussagepsychologie, Plädoyer 4/09, S. 34 ff.).
1.4 Indizien (Anzeichen) sind Hilfstatsachen, die, wenn selber bewiesen, auf eine andere, unmittelbar rechtserhebliche Tatsache schliessen lassen. Der erfolgreiche Indizienbeweis begründet eine der Lebenserfahrung entsprechende Vermutung, dass die nicht bewiesene Tatsache gegeben ist. Für sich allein betrachtet deuten Indizien jeweils nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache hin. Gemeinsam – einander ergänzend und verstärkend – können Indizien aber zum Schluss führen, dass die rechtserhebliche Tatsache nach der allgemeinen Lebenserfahrung gegeben sein muss. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleichgestellt. Im Urteil 6B_291/2016 vom 4. August 2016 legte das Bundesgericht die Bedeutung des Grundsatzes «in dubio pro reo» im Zusammenhang mit Indizien wie folgt dar (E. 2.1): «Strafurteile ergehen häufig auf der Grundlage von Indizien, was weder die Unschuldsvermutung noch die aus ihr abgeleiteten Teilrechte verletzt. Dabei findet der Grundsatz ‹in dubio pro reo› nicht auf einzelne Indizien Anwendung, sondern entfaltet seine Wirkung bei der Beweiswürdigung als Ganzes. Massgebend ist nicht eine isolierte Betrachtung der einzelnen Beweise, welche für sich allein genommen nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen und insofern Zweifel offenlassen, sondern deren gesamthafte Würdigung (Urteile 6B_913/2015 vom 19.5.2016 E. 1.3.3; 6B_759/2014 vom 24.11.2014 E. 1.1; je mit Hinweisen)».
2. Vorhalt
Der zur Anklage gebrachte Lebenssachverhalt lautet wie folgt (AnklS. Ziff. 1): « Versuchte schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) begangen am 04. März 2019, 01:10 Uhr, in Solothurn, Stalden 1, zum Nachteil von B.___ (Privatklägerin). Die Privatklägerin schaute in einer ersten Phase zum Beschuldigten herüber, zumal sie davon ausging, er habe sie angesprochen. Daraufhin schrie der Beschuldigte sie an und die Privatklägerin fragte ihn, was sein Problem sei. Danach bewarf der Beschuldigte die Privatklägerin unvermittelt mit einem Fahrradhelm, welcher die Privatklägerin am Bein traf, sie jedoch nicht verletzte. Als der Beschuldigte auf die Privatklägerin zusteuerte, versuchten zwei unbekannte Männer den Beschuldigten zunächst festzuhalten, was jedoch misslang. In einer zweiten Phase näherte sich der Beschuldigte der Privatklägerin schnellen Schrittes, wobei sich die ebenfalls vor Ort anwesende C.___ (Lebenspartnerin der Privatklägerin) schützend vor die Privatklägerin stellte. Dennoch versuchte der Beschuldigte die Privatklägerin 3-4 Mal mit der Faust am Oberkörper zu attackieren, wobei der Beschuldigte die Privatklägerin mit einem Streifschlag am linken Arm verletzte. Anschliessend brach der Beschuldigte seitlich aus und stürzte sich mit grosser Wucht auf die Privatklägerin, worauf diese bäuchlings zu Fall kam und mit der linken Kopfseite auf der Strasse ungebremst aufschlug. Dabei verletzte sich die Privatklägerin insbesondere am Kopf. Danach setzte sich der Beschuldigte während diesem dynamischen Geschehen rittlings auf den Rücken der Privatklägerin und attackierte sie mit 2-3 Faustschlägen im Gesicht, wodurch sich die Privatklägerin ebenfalls Verletzungen zuzog. Im Zuge dieses dynamischen Geschehens gelang es C.___ zusammen mit einem der beiden unbekannten Männer den Beschuldigten von der Privatklägerin wegzuziehen. Während dieses Manövers von C.___ und dem unbekannten Mann trat der Beschuldigte mit voller Wucht in vertikaler Richtung mind. 1-2 Mal, ev. sogar 3-4 Mal, auf die rechte Kopfseite der wehrlosen Privatklägerin ein, so dass in der Folge das Schuhprofil auf der Gesichts- und Kopfhaut der Privatklägerin sichtbar war und sie sich auch verletzte. Dabei erlitt die Privatklägerin folgende Verletzungen: · Schädelhirntrauma 1. Grades · Ellenbogenkontusion links mit 3x2 cm grossem Hämatom · 6x3 cm grosse Schwellung frontal links über der Augenbraue · oberflächliche Abschürfung am Kopf (rechts/frontal) Dass kein rechtsgenüglicher Nachweis erbracht werden kann, dass die Privatklägerin im Rahmen des hier interessierenden Vorgangs i.S. von Art. 122 StGB verletzt wurde, ändert nichts daran, dass der Beschuldigte durch das wenig kontrollierbare mehrfache Treten mit dem Fuss und mehrfache Schlagen mit der Faust an den Schädel sowie die nicht kalkulierbaren Folgen eines ungebremsten gestreckten frontalen Falls auf den Kopf Kopfverletzungen der Privatklägerin, allenfalls sogar im Ausmass einer schweren Körperverletzung (Beeinträchtigung von Hirnfunktionen), billigend in Kauf genommen hat, zumal der Beschuldigte wusste, dass ein derart wuchtiger Überraschungsangriff der Privatklägerin keine Möglichkeit zur adäquaten Abwehr zu zeitnah Einleitung von präventiven Massnahmen im Hinblick auf den Sturz bot.»
3. Täterschaft
3.1 Die Verteidigung machte anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und vor Obergericht geltend, es bestünden erhebliche Zweifel, dass der Beschuldigte der Täter sei (S-L AS 105 f., Duplik: AS 107). Zur Begründung führte er aus, die Privatklägerin habe den Beschuldigten im Rahmen der durchgeführten Fotowahlkonfrontation nicht eindeutig identifizieren können, was doch sehr erstaune, da sie diesen an der Erstbefragung zweifelsfrei erkannt habe und er ihr in der Tatnacht von der Polizei «auf dem Silbertablett» serviert worden sei. Es sei nicht aktenkundig, welche Angaben die drei Befragten zum Signalement des Täters vor der Festnahme des Beschuldigten gemacht hätten. Vielmehr falle auf, dass alle Täterbeschreibungen erfolgt seien, nachdem der Beschuldigte den Befragten bereits präsentiert worden sei. Die Zeugin C.___ habe sich auf die Jacke konzentriert. Jedoch könne allein gestützt auf eine Jacke mit einem Symbol auf dem Rücken der Täter nicht identifiziert werden. Das Gesicht des Beschuldigten habe sich die Zeugin C.___ merken können, weil auch sie den (angeblichen) Täter von der Polizei serviert bekommen habe. Insgesamt hätten drei Personen eine Beschreibung des Täters zu Protokoll gegeben, wobei von allen weisse Schuhe der Herstellermarke Nike Adidas genannt worden seien, wohingegen die vom Beschuldigten anlässlich der Festnahme getragenen Schuhe neongelb und ohne Markenbezeichnung gewesen seien. Unabhängig davon, wie die Lichtverhältnisse damals gewesen seien, neongelb bleibe neongelb und physikalisch sei es nicht möglich, dass die neongelbe Farbe weiss (er)scheine. Sowohl die Privatklägerin wie auch die Zeugin C.___ erwähnten ein Cap, das der Täter getragen haben solle, doch der Beschuldigte habe kein solches Cap dabeigehabt. Der Umstand, dass der Beschuldigte anlässlich seiner Anhaltung stark alkoholisiert gewesen sei, spreche für ein träges, antriebsloses und lethargisches Verhalten. Der Beschuldigte wiege zudem nur 55 kg und sei 1,77 m gross. In seinem damaligen Zustand und angesichts seiner körperlichen Statur sei es ihm gar nicht möglich gewesen, sich von der Zeugin C.___, einer Sicherheitsdienstmitarbeiterin, sowie von einem anderen Mann loszureissen und sich gegen die beiden anderen Personen durchzusetzen. Wenn der Beschuldigte, der damals leicht an den Händen geblutet und Hautabschürfungen gehabt habe, wirklich der Täter gewesen wäre, hätte man Blut Hautpartikel an den Kleidern der Privatklägerin bzw. Spuren bei Frau C.___ und am Fahrradhelm, den er angeblich zugeworfen habe, feststellen können. Für die Erstellung eines DNA-Profils genüge bereits die kleinste Menge an DNA. Dass nur der Beschuldigte dort gewesen sein solle, erachte er als lebensfremd vor dem Hintergrund, dass damals ein Grossanlass (Fasnacht) stattgefunden habe und die Stadt voller Menschen gewesen sei. Es sitze die falsche Person auf der Anklagebank.
3.2 Zur Frage der Täteridentifikation liegen folgende Beweismittel vor:
3.2.1 Aussagen der Privatklägerin
Anlässlich der polizeilichen Erstbefragung vom 4. März 2019 (3:20 Uhr) umschrieb die Privatklägerin den Mann, von welchem sie mehrfach geschlagen worden sei, wie folgt (AS 44): «dunkle, kurze Haare, schlank, ein Kapuzenpulli, also Jacke mit einem weissen Symbol auf dem Rücken und [so] glaube ich graue Hosen, einen Bart und Capi, helle Schuhe.»
Als die Polizei ihr die Person gezeigt habe, habe sie diese zweifelsfrei am Gesicht erkannt. Ihre Freundin habe die Jacke erkannt (AS 44).
Wenige Stunden später, im Rahmen der polizeilichen Einvernahme, welche gleichentags kurz nach 11:00 Uhr stattfand, ergänzte die Privatklägerin auf die entsprechende Frage (AS 50 ff.), sie habe den Mann zum ersten Mal gesehen, als er mit dem Rücken zu ihnen (Privatklägerin, C.___, D.___) vor der Beifahrertüre eines Autos gestanden sei. Der Mann sei etwa drei, dreieinhalb Meter von ihr entfernt gestanden, als er etwas zu ihr gesagt habe. Herr A.___ sei ihr total unbekannt, noch nie gesehen, noch nie gehört. Die Kleider des Täters wisse sie noch, er habe eine graue Hose und eine dunkle Jacke mit einem Symbol auf dem Rücken und weisse Turnschuhe getragen (Auf die Frage, welchen Eindruck dieser auf sie gemacht habe) Ziemlich aggressiv, aggressiv und angetrunken, mehr könne sie dazu nicht sagen. (Auf Frage) Es sei für sie schwierig, seine Grösse und sein Gewicht zu schätzen, sie würde sagen so 170 cm gross und ca. 85 kg schwer, etwas schmächtig, nicht so ein Kasten.
Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 6. November 2019 gab die Privatklägerin an (AS 135 ff.), sie habe den Täter anhand der Schuhe identifizieren können. Der Täter sei etwas grösser als sie, zierlich, er habe kurze, dunkle Haare und einen Dreitage-Bart gehabt, er sei nach der Attacke Richtung Amthausplatz geflüchtet.
Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung sagte die Privatklägerin auf die Frage, woran sie den Beschuldigten als Täter erkannt habe, es sei ja so schnell gegangen. Sie habe ihn hauptsächlich an den Schuhen erkannt, die ihres Erachtens weiss gewesen seien, auch an der Statur. (Woran sie diesen bei der Fotowahlkonfrontation erkannt habe, ohne 100 % sicher gewesen sei) Es habe zwei Bilder gegeben, die sich recht geähnelt hätten. Einer der abgebildeten Männer sei etwas kräftiger, der andere etwas schmächtiger gewesen. Sie habe seine Statur im Kopf gehabt und ihn deshalb erkannt. Sie schloss auf die entsprechende Frage aus, dass es jemand anders gewesen sein könnte, der am 4. März 2019 auf sie losgegangen sei (S-L AS 94). Auch vor Obergericht schloss die Privatklägerin eine Verwechslung aus.
3.2.2 Aussagen von C.___
Im Rahmen der Erstbefragung vom 4. März 2019 (2:56 Uhr) gab die Lebenspartnerin der Privatklägerin, C.___, zu Protokoll (AS 69), der Mann habe ein Basecap getragen, schwarze Jacke mit einem Zeichen auf dem Rücken (Flügel), weisse Schuhe, ca. 170 cm gross, ausländischer Typ, schwarze Hosen.
Im Rahmen der polizeilichen Einvernahme (5.3.2019, 10:30 Uhr, AS 71 ff.) führte C.___ als Auskunftsperson aus, sie habe sich die Jacke des Täters gemerkt, als sie diesem nachgesprungen sei. Als die Polizei dann relativ schnell wieder zurückgekommen sei, habe sie die Jacke sehen können und gesagt: «Ja, das isch er». Der Täter habe auf sie einen gestressten und aggressiven Eindruck gemacht, nicht torkelnd so, recht angespannt. Sie habe diesen vor dem Angriff auf ihre Freundin gar nicht zu fest registriert gehabt. Auf die Frage, ob sie den Täter beschreiben könne, schüttelte die Einvernommene den Kopf. Sie habe sich auf die Jacke konzentriert. Diese sei ganz dunkel gewesen und habe ein weisses silbriges Sujet auf dem Rücken gehabt, gedruckt gestickt, eher gestickt. Er habe Sportschuhe getragen, weisse Schuhe, die sich nachher (im Polizeiauto) als gelb herausgestellt hätten. Mit den Farben sei das in der Nacht wirklich irreführend. Sie denke, der Täter sei etwas grösser als sie selber (= 1,57 m) gewesen. Als Zeugin bestätigte sie anlässlich der Hauptverhandlung vor erster Instanz (S-L AS 86 ff.), sie habe die Jacke des Täters im Kopf gehabt. Anlässlich der Fotowahlkonfrontation sei sie sich zu 90 % sicher gewesen. Sie habe den Täter damals an der Wunde erkannt gehabt. Es habe zwei Personen auf den Fotos mit einer Wunde gehabt, aber das Bild Nr. 3 sei ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Es könne aus ihrer Sicht ziemlich sicher nicht jemand anderes gewesen sein, der auf die Privatklägerin losgegangen sei. Herrn A.___ habe sie vor diesem Vorfall vom 4. März 2019 noch nie gesehen.
3.2.3 Aussagen von D.___
D.___ führte anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 5. März 2019 (8:30 Uhr) aus (AS 90 ff.), als die Polizei mit einer Person zum Tatort zurückgekommen sei, sei sie der Meinung gewesen, dass diese Person der Täter gewesen sei. Das Einzige, was sie irritiert habe, sei folgendes gewesen: Sie habe gedacht, dass er weisse Turnschuhe (Markenschuhe) getragen habe im Dunkeln, doch als er im Kastenwagen ganz hinten gesessen sei, habe er ganz hellgrüne, hellgelbe Turnschuhe getragen. Der Täter habe auf sie einen verwirrten und nervösen Eindruck gemacht, sie habe das Gefühl gehabt, er sei nicht mehr ganz bei der Sache gewesen. Sie beschrieb ihn als «schmächtig, also dünn, etwa 1,70 - 1,75 m gross», das Gesicht eines Südländers. Sie habe ihn nur kurz von vorne gesehen, mehrheitlich von hinten. Sie glaube, ihn wahrscheinlich nicht mehr zu erkennen.
3.2.4 Aussagen des Beschuldigten
Anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 4. März 2019 (AS 123 f.) beantwortete der Beschuldigte zur Sache lediglich die Frage, wie es ihm jetzt gehe. Hierauf gab er zu Protokoll, er werde keine Aussagen machen, so dass die Einvernahme beendet wurde (AS 125).
Anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 6. November 2019 (AS 143 ff.) bestätigte er wiederum, keine Aussagen zur Sache machen zu wollen (AS 145) und blieb auch dabei, als die Staatsanwältin trotz dieser Erklärung dazu überging, dem Beschuldigten um die 40 konkrete Fragen zur Sache zu stellen. Im Zusammenhang mit der ihm drohenden Landesverweisung beantwortete der Beschuldigte hingegen gewisse Fragestellungen (vgl. AS 150).
Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 31. August 2020 machte der Beschuldigte vollumfänglich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch
3.2.5 Fotowahlkonfrontation
Sowohl mit der Privatklägerin als auch mit C.___ und D.___ wurde am 11. März 2019 eine Fotowahlgegenüberstellung durchgeführt. Auf Vorlage von 8 Porträtaufnahmen, die alle die Selektionskriterien (Geburtsjahr 1985 - 1990, Körpergrösse 160 - 175 cm, Herkunft: Mitteleuropa, schlanke Statur, vgl. AS 65) erfüllten, gab die Privatklägerin zwei Fotos an (AS 61 und AS 63, bzw. das Bild des Beschuldigten mit der Nr. «PCN 29 510851 14» sowie das weitere Bild Nr. «PCN 29 510177 24»), ohne sich sicher zu sein (vgl. AS 56). Auch D.___ bezeichnete die auf denselben Bildern (PCN 29 510177 24 [AS 97] und PCN 29 510851 14 [AS 103] abgebildeten Männer als mögliche Täter (AS 96), während sich C.___ auf die Aufnahme des Beschuldigten (PCN 29 510851 14, AS 82) beschränkte und bemerkte, sich zu 90 % sicher zu sein; das Bild gehe ihr gerade nicht mehr aus dem Kopf, sie wolle aber nichts Falsches behaupten (AS 79).
3.2.6 Zeitpunkt und Ort der Festnahme des Beschuldigten
Der Beschuldigte wurde am 4. März 2021 um 1:40 Uhr, d.h. 20 Minuten nach dem Ereigniszeitpunkt, vorläufig festgenommen (AS 163). Gemäss dem Wahrnehmungsbericht des Gfr I.___ vom 8. März 2019 konnte der Beschuldigte aufgrund des abgegebenen Signalements und der bekannten Fluchtrichtung von der ausgerückten Patrouille der Stadtpolizei am Amthausplatz betroffen werden (AS 17).
3.2.7 Zustand des Beschuldigten während und unmittelbar nach der Festnahme
Gemäss dem polizeilichen Wahrnehmungsbericht sei der angetroffene Mann anlässlich der Festnahme sichtlich aufgelöst (weinerlich) gewesen und auf dem Boden gesessen. Die Hände zeigten frische Schürfwunden, welche teils bluteten (AS 17). Nachdem der Beschuldigte ins Bürgerspital verbracht worden war, fiel er schliesslich durch starke Stimmungsschwankungen (von weinerlich bis aufbrausend) auf (AS 19). Der Beschuldigte war in der Tatnacht erheblich alkoholisiert: Gemäss den Berechnungen des IRM Bern betrug im Ereigniszeitpunkt (4.3.2019, 1:20 Uhr) die minimale, rückgerechnete Alkoholkonzentration im Blut 1,48 Gew. ‰ und die maximale 2,24 Gew. ‰ (AS 36 f.). Zudem konnten im Venenblut wie auch im Urin des Beschuldigten Cocain und THC/Cannaboide nachgewiesen werden (AS 34 f.). Bereits der auf dem Polizeiposten durchgeführte Drugwipe-Test fiel positiv auf Kokain aus (vgl. AS 19).
3.2.8 Von den Strafverfolgungsbehörden wurden diverse weitere Abklärungen und Untersuchungen getätigt, ohne dass sich daraus jedoch aussagekräftige Erkenntnisse hinsichtlich der Täterschaft ergaben. Im Einzelnen:
- Zeugenaufruf: Auf einen in der Presse publizierten Zeugenaufruf hin meldete sich E.___, der in der Folge am 15. März 2019 als Auskunftsperson polizeilich befragt wurde (AS 107 ff.). Er schilderte, wie ihm am 4. März 2019 um ca. 18:00 Uhr anlässlich der sog. «Monster Gugge» vor der St. Ursen-Kathedrale ein nicht verkleideter Mann aufgefallen sei, der mit einer Bierdose herumgespritzt, andere Personen angepöbelt habe und aggressiv aufgetreten sei. Zum Vorfall, der Gegenstand dieses Verfahrens bildet und sich über sechs Stunden später an einem anderen Ort in der Stadt (im Bereich des Stalden 1) abgespielt hatte, konnte er keine Angaben machen. Die beiden Männer, welche gemäss den Aussagen aller drei befragten Frauen (Privatklägerin, C.___, D.___) dem Opfer Hilfe geleistet, sich dann aber vor dem Eintreffen der Polizeipatrouille vom Tatort entfernt hatten, konnten auch mit dem Zeugenaufruf nicht ausfindig gemacht werden.
- DNA-Untersuchung: Dem Kriminaltechnischen Dienst der Kantonspolizei Solothurn wurden folgende sichergestellten Gegenstände übergeben (vgl. Spurenträgerauflistung, AS 196): Freizeitschuhe, Grösse 41, limonengrün, Herren Jogging-Hose, Herrenjacke, beschädigter Velohelm. Ab zwei Spurenträgern (Herrenjacke des Beschuldigten und Fahrradhelm) wurden mehrere DNA-Spuren asserviert (vgl. Spurenauflistung AS 194 f.) und dem IRM Basel zur Auswertung zugestellt (AS 192). Dessen Erkenntnisse erschöpften sich darin, dass ein Asservat (Spur ab linkem Ärmel des Oberarms der Herrenjacke, deren Eigentümer der Beschuldigte ist) sieben vergleichbare DNA-Systeme mit dem gespeicherten Profil von A.___ aufwies (AS 193). Anhand der weiteren DNA-Spuren konnten keine DNA-Profile erstellt werden (AS 192). Die Kleidung der Geschädigten wurde gemäss dem polizeilichen Wahrnehmungsbericht vom 8. März 2019 ebenfalls sichergestellt (AS 17). In der Strafanzeige wird vermerkt, es sei von dieser eine DNA-Auswertung gemacht worden, wobei keine DNA-Spuren des Beschuldigten hätten gefunden werden können (AS 9). Der an besagter Stelle zitierte Rapport (Nr. 988280), abgelegt unter AS 191 f., nennt jedoch ausschliesslich Kleidungsstücke des Beschuldigten und auch auf der bereits erwähnten Spurenträgerauflistung (AS 196) fehlt die Kleidung der Geschädigten. Deren kriminaltechnische Untersuchung blieb folglich aus.
- Rückwirkende TK der Rufnummer […]: Das Haftgericht genehmigte am 7. Juni 2019 die von der Staatsanwaltschaft angeordnete rückwirkende TK der vorgenannten Natelnummer, welche auf den Namen des Bruders des Beschuldigten, F.___, registriert ist (AS 177), vom Beschuldigten aber mehrfach als seine Rufnummer bezeichnet wurde (AS 181 ff.). Für den überprüften Zeitraum (3.3. - 4.3.2019) waren keinerlei Daten vorhanden (AS 185 f.).
- Vergleichsuntersuchung zwischen dem fotografierten Verletzungsbild im Gesicht der Privatklägerin und dem Sohlenprofil der sichergestellten Schuhe des Beschuldigten: Von den sichergestellten Schuhe wurden Vergleichsabdrücke reproduziert und diese mit den Tatortspuren im Überdeckungsverfahren verglichen, um etwaige Übereinstimmungen feststellen zu können. Die fotografisch dargestellten Verletzungen werden im Untersuchungsbericht als einfache, streifenartige Hautrötungen ohne zusammenhängende Musterkomplexe beschrieben. Es hätten keine aussagekräftigen Übereinstimmungen mit den Vergleichsabdrücken festgestellt werden können. Man habe lediglich einige streifenähnliche Bereiche finden können, welche ähnliche Abstände wie die balkenartigen Profilelemente der untersuchten Schuhe aufwiesen, eine abschliessende Aussage sei nicht möglich. (AS 22, fotografischen Aufnahmen: AS 28).
3.3 Würdigung
Die drei Befragten machten in den tatnächsten Befragungen spezifische Angaben zum Erscheinungsbild des Täters, die auf den Beschuldigten genau zutreffen (vgl. Fotos auf AS 26 und das Fotoblatt anlässlich der Fotowahlkonfrontation): Die Privatklägerin sprach von einer etwas schmächtigen Person, nicht so ein Kasten. Er sei zierlich, schlank, habe kurze dunkle Haare, einen Dreitage-Bart und sei ca. 170 cm gross. C.___ sprach von einem Täter, der etwas grösser als sie selber (1,57 m) gewesen sei, ca. 170 cm, ein ausländischer Typ. D.___ beschrieb den Täter als schmächtig, also dünn, etwa 1,70 - 1,75 m gross und mit dem Gesicht eines Südländers.
Allen drei Befragten fielen zudem die Schuhe des Täters auf und bezeichneten diese als helle bzw. auch ausdrücklich als weisse Turn- Sportschuhe. Wenn die Verteidigung in diesem Zusammenhang vorbringt, der Beschuldigte habe neongelbe Schuhe getragen (vgl. hierzu die Fotoaufnahmen unter AS 28) und entgegen der Aussage von D.___ seien es auch keine Markenschuhe gewesen, so spricht dies nicht gegen die Täterschaft des Beschuldigten. Die wesentlichen Elemente (Schuhtyp: Turn- bzw. Sportschuh; helle Farbe) gaben die Befragten zutreffend wieder und die Argumentation der Verteidigung (neongelb/neongrün sei nicht weiss) lässt die konkreten Umstände des Vorfalls unberücksichtigt: Dieser ereignete sich nachts um 01:20 Uhr bei Dunkelheit. Unter diesen Bedingungen lässt sich weiss und neongelb – wenn überhaupt – kaum voneinander unterscheiden. Es handelt sich lediglich um farbliche Nuancen. Erst recht muss dies gelten, wenn man berücksichtigt, dass das Tatgeschehen von den Befragten als Gerangel und Wirrwarr bezeichnet wurde und alles – auch dies hoben C.___ und D.___ hervor – sehr schnell ging. Ein solcher Unterschied tritt zu Tage, wenn die Schuhe bei Helligkeit (tagsüber) wahrgenommen beleuchtet werden. Entsprechend wiesen denn auch C.___ und D.___ bereits im Rahmen ihrer Befragung auf diesen Unterschied hin.
Ein wesentliches Element hinsichtlich der Täteridentifikation sind schliesslich auch die Hinweise von C.___ und der Privatklägerin auf die vom Täter getragene Jacke. C.___ prägten sich hierzu diverse Details ein: Es sei eine sehr dunkle bzw. schwarze Jacke mit einem Zeichen auf dem Rücken (Flügel) gewesen, die Jacke habe ein weisses silbriges Sujet auf dem Rücken gehabt. Darauf habe sie sich konzentriert und daran habe sie den Täter auch erkannt, als dieser von der Patrouille zum Tatort gebracht worden sei. Auch die Privatklägerin erwähnte eine Jacke mit einem weissen Symbol auf dem Rücken und gab zudem in allen Befragungen an, die Person sei anfänglich mit dem Rücken zu ihr gestanden. Ein Foto der vom Beschuldigten anlässlich der Festnahme getragenen Jacke finden sich in den Akten unter AS 27 und weist alle von C.___ genannten Elemente auf: Bei dem hellen Symbol handelt sich bei näherer Betrachtung um zwei spiegelbildlich angeordnete Totenschädel, welche mit den weiteren aufgedruckten aufgestickten Elementen, d.h. gesamthaft betrachtet, ein Flügelpaar ergeben. Dieses auffällige und besondere Symbol ist ein seltenes Erkennungsmerkmal, das herausstach und sich die beiden Befragten deshalb auch gut einprägen konnten. Es waren diese Hinweise zum äusseren Erscheinungsbild und zur auffälligen Jacke des Täters, die zur Festnahme des Beschuldigten führten. Nur wenige Minuten nach dem Ereignis und in unmittelbarer Konfrontation mit dem Beschuldigten bestätigten sowohl die Privatklägerin als auch C.___, dass es sich hierbei um den Täter handle. Der Umstand, dass das von ihnen abgegebene Signalement erst mit den polizeilichen Erstbefragungen, d.h. zu einem Zeitpunkt, als der Beschuldigte bereits den Befragten gegenübergestellt worden war, Eingang in die Akten fand, weckt entgegen der Verteidigung keine erheblichen Zweifel an der Festnahme des Beschuldigten. Für die Polizeipatrouille stand damals im Zentrum, ohne Zeitverlust baldmöglichst ausschwärmen zu können, um den flüchtigen Täter zu fassen, und sicherlich nicht die Niederschrift des Signalements. Das von den drei befragten Frauen abgegebene Signalement war aber stets der massgebliche Orientierungspunkt auf der Suche nach dem Täter (vgl. hierzu auch den polizeilichen Wahrnehmungsbericht, AS 17: Es sei auf dem Amthausplatz eine männliche Person betroffen worden, auf welche das Signalement gepasst habe).
Für die Täterschaft des Beschuldigten sprechen aber auch Ort und Zeit seiner vorläufigen Festnahme: Bereits 17 Minuten nach Eingang des Anrufes auf der Notfallzentrale konnte der Beschuldigte beim Amthausplatz verhaftet werden, dabei handelt es sich um jenen Platz, der die Befragten unmittelbar zuvor gegenüber der Polizei als Fluchtrichtung des Täters angegeben hatten. Auch wenn einzuräumen ist, dass sich aufgrund der Fasnacht und Freinächte diverser Restaurants in den frühen Morgenstunden des Rosenmontags (4.3.2019) mehr Menschen in der Stadt aufhielten als an einem gewöhnlichen Montagmorgen kurz nach Mitternacht, kann der Argumentation der Verteidigung nicht gefolgt werden. Das fasnächtliche Treiben verlagerte sich nach Mitternacht immer mehr in die Innenräume (Beizen und Bars) und Guggenmusik-Formationen bespielten für die verbleibenden Besucher die Hauptgassen und Hauptplätze der Innenstadt, während auf einem Platz ausserhalb der Stadtmauern (Amthausplatz) keine grossen Menschenmengen mehr anzutreffen waren. Hinzu kommt, dass es sich hierbei vor allem um fasnächtlich verkleidete Personen gehandelt haben dürfte, während der Beschuldigte gerade nicht verkleidet war und eine nicht alltägliche Jacke mit einem auffälligen Symbol auf dem Rücken trug. Damit hob er sich äusserlich von anderen Personen ab. Eine Verwechslung kann unter diesen Umständen ausgeschlossen werden.
Die Fotowahlgegenüberstellung fand eine Woche nach dem Vorfall statt, so dass die Erinnerung der drei befragten Personen nicht mehr ganz frisch war. Eine weitere Schwierigkeit lag darin, dass sich die Befragten bei jedem Einzelbild für gegen die Täterbezeichnung entscheiden mussten, was einen Direktvergleich der Bilder ausschloss. Auch wenn sich keine der drei befragten Personen zu 100 % sicher war, gaben diese alle das Foto an, welches die beschuldigte Person zeigt. C.___ beschränkte sich gar auf dieses eine Foto und war sich zu 90 % sicher, während die Privatklägerin und D.___ auch die Täterschaft von PCN 29 510177 24 für möglich hielten, der von seinem Erscheinungsbild her (schlank, Augen-/Nasenpartie) dem Beschuldigten stark ähnelt. Zusammengefasst stellt die Fotowahlkonfrontation ein Beweiselement dar, welches den Beschuldigten – entgegen der Verteidigung – nicht ent-, sondern belastet. Auch die weiteren Argumente der Verteidigung verfangen nicht: Es trifft zwar zu, dass sowohl die Privatklägerin als auch C.___ als weiteres Kleidungsstück ein (Baseball)-Cap erwähnten und der Beschuldigte anlässlich seiner Festnahme ein solches weder trug noch mitführte. Dies allein bildet aber kein Ausschlusskriterium für die Täterschaft, da der Beschuldigte dieses Cap, als er vom Tatort weggerannt ist, verloren bewusst weggeworfen haben könnte. Ebenso ist allgemein bekannt, dass die Möglichkeiten eines DNA-Nachweises in der Praxis begrenzt sind. Häufig können anhand der vorgefundenen Spuren nur sog. Mischprofile erstellt werden, während die Erstellung eines Einzelprofils, das sich zweifelsfrei nur einem Individuum zuordnen lässt, misslingt. Hinzu kommt, dass die Kleidung der Privatklägerin – soweit ersichtlich (vgl. hierzu auch vorstehende Ziff. II.3.2.8, 2. Lemma) – gar nie auf DNA-Spuren des Beschuldigten untersucht worden ist.
Die Verteidigung behauptete schliesslich auch, die erhebliche Alkoholisierung des Beschuldigten habe ein träges, antriebsloses und lethargisches Verhalten zur Folge gehabt, so dass es diesem gar nicht möglich gewesen wäre, sich – den Aussagen der befragten Personen entsprechend – gegen mehrere Personen, darunter auch eine Mitarbeiterin einer Sicherheitsfirma, im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung durchzusetzen.
Die Wirkungen eines übermässigen Alkoholkonsums auf Körper und Psyche sind vielfältig und individuell oft unterschiedlich. Neben der von der Verteidigung erwähnten Lethargie kann der Alkoholkonsum bekanntermassen auch stark enthemmend wirken sowie die Risikobereitschaft und das Aggressionspotenzial erhöhen. Gerade bei einem Mischkonsum von Alkohol und Kokain, der vorliegend nachgewiesen ist, werden diese Wirkungen beschrieben. Der stark aggressive, angespannte und nervöse Eindruck, den der Täter bei allen drei Befragten hinterliess, sowie der weinerliche bis aufbrausende Eindruck, den das Bürgerspital umschrieb, lassen sich mit dem festgestellten Konsum der genannten Substanzen gut vereinbaren. Auch die Tatsache, dass der Beschuldigte an den Händen frische, zum Teil leicht blutende Schürfwunden aufwies, die zu dem von den Befragten geschilderten Tathergang (vgl. deren Aussagen im nachfolgenden Kapitel) passen, sprechen für seine Täterschaft. Zudem geht aus den Polizeiberichten nicht hervor, dass sich der Beschuldigte seiner Festnahme der Blut- und Urinabgabe im Bürgerspital widersetzt hat. Die frischen Wunden können folglich nicht von einer Auseinandersetzung mit Beamten herrühren.
Abschliessend ist zu erwähnen, dass der Beschuldigte seine Täterschaft nicht bestritt, sondern schwieg, was sein Recht ist, zugleich aber auch erstaunt. Es liegt nahe, dass eine Person, die – wie vorliegend – in den Fokus der Ermittlungen gerät und sich mit einem derart schweren Vorwurf konfrontiert sieht, alles unternimmt, um die behauptete Täterschaft zu entkräften. Es bleibt das Fazit zu ziehen, dass vom Beschuldigten nichts geltend gemacht wurde, was gegen seine Täterschaft spricht, und solche entlastende Momente vom Gericht auch nicht zu erkennen sind. Die dargelegten Indizien lassen in einer Gesamtschau keinen Zweifel daran, dass es sich beim Beschuldigten um jene Person handelt, welche wenige Minuten vor seiner Festnahme beim Amthausplatz die Privatklägerin beim Stalden 1 angegriffen hatte. 4. Sachverhalt
Nachfolgend ist zu prüfen, ob der zur Anklage gebrachte Sachverhalt nachgewiesen werden kann.
4.1 Mit der Privatklägerin wurde noch in der Tatnacht, ca. zwei Stunden nach dem Vorfall, um 3:20 Uhr, eine polizeiliche Erstbefragung durchgeführt (vgl. AS 44 ff), in welcher sie zusammengefasst folgendes ausführte: Sie sei, von der Tigerbar herkommend, zusammen mit ihrer Lebenspartnerin und ihrer Freundin den Stalden hinuntergelaufen. Auf der Höhe der Billardbar habe sie auf der rechten Seite ein Fahrzeug wahrgenommen, neben diesem Auto sei ein Mann mit dem Rücken zu ihnen gestanden. Sie habe zu ihm rüber geschaut, dies in der Annahme, er spreche sie an. Sie glaube jedoch, dass dieser Mann den Autofahrer gefragt habe, ob er mitfahren könne. Er habe sie angeschrien, sie habe nicht verstanden, was er geschrien habe. In Bezug auf die weitere Chronologie der Ereignisse gab die Privatklägerin an, der Beschuldigte habe ihr einen Fahrradhelm zugeworfen, der sie am Bein getroffen, aber nicht verletzt habe. Der Beschuldigte habe versucht, sie mit den Fäusten Richtung Oberkörper zu schlagen. Er habe sie am linken Arm getroffen (Hämatom am Oberarm). Die zwei Männer vom Fahrzeug hätten den Beschuldigten zurückgehalten, auch ihre Freundin, C.___, sei dazwischen gegangen. Der Beschuldigte habe von den beiden Männern wegkommen können. Er habe sie gepackt und sie sei zu Boden gefallen, sie habe sich den Kopf angeschlagen, mit der linken Seite sei sie auf dem Boden aufgeschlagen und der Beschuldigte habe, während sie am Boden gelegen sei, mit der Faust mehrere Male auf ihre rechte Gesichtshälfte geschlagen. Wie oft er zugeschlagen habe, könne sie nicht sagen. Sie habe sich zu schützen versucht, indem sie ihre Arme gehoben habe (AS 44). Die zwei Männer und ihre Freundin hätten den Beschuldigten zurückziehen wollen. Dieser habe sich aber befreien können und er habe dann begonnen, mit einem Bein auf ihren Kopf zu «trampen», gerade von oben herab. Er habe sie sicherlich drei- bis viermal getroffen (auf der rechten Seite). Irgendjemand habe dann den Beschuldigten weggezogen. Dieser sei dann weggelaufen. Das Bewusstsein habe sie nie verloren.
Noch gleichentags (4.3.2019, kurz nach 11:00 Uhr, AS 48 ff.) fand die polizeiliche Einvernahme der Privatklägerin statt, in welcher sie die folgenden präzisierenden und ergänzenden Angaben machte: Sie drei (Privatklägerin, C.___, D.___) hätten es lustig gehabt, als sie die Strasse hinunter gegangen seien (AS 51). Nachdem der Beschuldigte ihr irgendetwas zugeschrien gehabt habe, habe sie ihn gefragt, was denn sein Problem sei. Dann sei bereits der Fahrradhelm entgegengeflogen. Sie habe keine Ahnung, weshalb der Beschuldigte auf sie losgegangen sei. Er habe sich ihr schnell genähert, wie ein Hund, den man von der Leine lasse, wenn er sich freue, dass er «Gassi» gehen dürfe (AS 51). Nachdem die zwei Herren den Beschuldigten von ihr weggerissen hätten, dieser sich dann aber wieder von ihnen habe befreien können, sei er auf sie «zuegsecklet» gekommen und dann seien sie schon geflogen. Er habe darauf ihr mindestens zwei- bis dreimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen (AS 52). (Auf die Frage, wie stark er zugeschlagen habe) Schon ordentlich stark. (Wie stark sich der Schlag auf einer Skala von 1 -10 angefühlt habe) Sie würde 6 sagen, sie habe aber noch nie «geschlegelt» und wisse nicht, wie hoch die 10 sei. Nachdem C.___ den Beschuldigten kurzzeitig nach hinten weggezogen bzw. weggerissen gehabt habe, sei dieser weiter auf sie losgegangen und habe mit dem Fuss gegen sie getreten. Einer der unbekannten Männer habe den Beschuldigten von hinten wie beim Rettungsschwimmergriff festgehalten, dieser habe aber trotzdem noch gegen sie treten können. (Auf entsprechende Frage) Mindestens drei- bis viermal, ziemlich stark. (Wiederum befragt nach einer Einordnung auf einer Skala von 1 -10) zwischen 6 und 7.
Anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme (AS 135 ff.), welche in Anwesenheit des amtlichen Verteidigers und des Beschuldigten am 6. November 2019 stattfand, führte die Privatklägerin aus, sie (Privatklägerin, C.___, D.___) hätten es recht lustig gehabt, da C.___ mit dem Natel von D.___ nicht klargekommen sei (das Natel ihrer Partnerin habe keinen Akku mehr gehabt). Wiederum führte sie aus, wie ein Fahrradhelm geflogen gekommen sei, worauf sie den Beschuldigten gefragt habe, was das Problem sei und weshalb er ihr den Helm angeworfen habe. Dann sei das Gerangel schon losgegangen (AS 138). Vor ihrem Fall sei sie einmal von ihm getroffen worden. (Auf die Frage, ob sie den Sturz mit den Händen anderswie habe abbremsen können) Nein, sie sei direkt mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen (AS 139). Die Verletzungen an ihrem Auge habe sie sich vom Sturz auf den Boden zugezogen (AS 139). Auf dem Boden liegend, habe der Beschuldigte mindestens zwei- bis dreimal, vielleicht auch fünf bis sechsmal auf sie eingeschlagen und sie am Kopf getroffen. Er sei in diesem Moment mehr weniger auf ihr drauf gesessen. Zu den Fusstritten sei es gekommen, als sich der Beschuldigte vom Sicherheitsgriff von Frau C.___ (dabei habe auch einer der Männer geholfen) wieder habe befreien können. Wie oft er sie mit dem Fuss getreten habe, könne sie nicht beantworten, ein- bis zweimal. Es könne auch öfter gewesen sein. Es sei schon massiv gewesen. (Auf die Frage, wo auf einer Skala von 1 -10) bei 8 - 9, der Fussabdruck sei ja deutlich zu sehen gewesen (AS 140). Sie könne sich nicht erklären, wieso sie vom Beschuldigten derart angegriffen worden sei (AS141).
Vor erster Instanz führte sie in Bezug auf ihren Sturz aus, er habe sie umgerissen durch den Schwung, so dass ihr Kopf auf den Boden geschmettert sei. Dann sei er auf sie gesessen und habe mit den Fäusten auf sie geschlagen. (Auf die Frage, ob der Beschuldigte sie mit den Fäusten am Kopf an den Armen getroffen habe) Sie glaube beides (S-L AS 94). Sie habe sich mit den Armen gegen die Faustschläge und Fusstritte zu schützen versucht. (Auf die Frage, ob die Fusstritte sie am Kopf an den Armen getroffen hätten) Am Kopf auf jeden Fall, sie denke an beiden Orten (S-L AS 95). (Auf entsprechende Frage) Weder habe sie sich von ihm provoziert gefühlt, noch habe sie diesen auf irgendeine Weise provoziert (S-L AS 93).
Vor Obergericht führte die Privatklägerin zusammengefasst aus, der Beschuldigte sei völlig überraschend auf sie zugesprungen gekommen und habe sie irgendwie mit Schwung umgerissen. Sie sei auf dem Asphalt aufgeschlagen und dann erst mal liegen geblieben. Er sei auf sie gesessen. Sie könne sich noch erinnern, dass Frau C.___ den Beschuldigten weggezogen habe. Ebenso wisse sie noch, dass massive Faustschläge auf sie eingegangen seien und ihr der Beschuldigte zum Schluss auch noch einen massiven Schlag mit dem Fuss gegen ihren Kopf versetzt habe (OGer AS 135).
4.2 C.___ wurde ebenfalls mehrfach befragt (polizeiliche Erstbefragung: AS 67 ff., polizeiliche Einvernahme vom 5.3.2019, durchgeführt in Anwesenheit des amtlichen Verteidigers und des Beschuldigten: AS 71 ff., vor erster Instanz: S-L AS 86 ff.) und führte zusammengefasst folgendes aus: Sie seien zwischen der Billard-Bar und dem Aaremürli auf eine männliche Person gestossen (AS 68 f.). Er sei aufdringlich geworden und auf sie zugekommen. Dieser Mann habe auf einmal ihre Partnerin, die Privatklägerin, gepackt und versucht, sie mit der Faust zu schlagen. Er sei spezifisch auf ihre Partnerin losgegangen. Weshalb das so gewesen sei, könne sie sich wirklich nicht erklären. Er habe einfache ihre Partnerin fixiert. Es sei zu einem Gerangel gekommen (AS 67). Sie sei dazwischen gegangen, im Gemenge drinnen gestanden und habe ihre Partnerin schützen wollen. Es sei ein Wirrwarr gewesen, auch mit den Männern, die ihnen geholfen hätten (AS 74). Der Beschuldigte habe sie (C.___) weggestossen und auch von dem Mann, der zu Hilfe gekommen sei, habe sich der Beschuldigte losgerissen. Es sei dem Beschuldigten gelungen, ihre Partnerin mit einem Stoss in die Kniekehle auf den Boden zu bringen (AS 67). Anlässlich der polizeilichen Einvernahme sagte sie auf die Frage, ob die Privatklägerin erst auf die Knie gefallen sei, aus, ihre Partnerin sei vermutlich direkt auf den Kopf gefallen. (Auf die Frage nach der Position der beiden auf dem Boden) Der Beschuldigte sei rittlings auf dem Rücken der Privatklägerin gesessen und habe mit der Faust mehrmals auf die Privatklägerin geschlagen. Der Mann, der zu Hilfe gekommen sei, habe den Beschuldigten nach vorne (über den Kopf des Opfers) weggezogen. Dabei habe der Beschuldigte mehrmals mit seinem Fuss gegen den Kopf der Privatklägerin getreten (AS 74), diese Tritte seien von oben nach unten erfolgt, also nicht von der Seite her. Es sei so gewesen, wie wenn dieser von oben etwas habe zerquetschen wollen (AS 74 f.). Mit den Füssen habe er drei- bis fünfmal getreten, wie oft er mit den Fäusten geschlagen habe, wisse sie nicht genau, sie habe es sich nicht gemerkt (AS 74). (Auf die entsprechende Frage) Nein, es sei für sie nicht einfach ein Zappeln des Beschuldigten über dem Kopf der Privatklägerin gewesen, als dieser weggezogen worden sei, für sie sei es ein bewusstes Treten gewesen, ziemlich mutwillig (S-L AS 89). Erst als der Beschuldigte realisiert habe, dass sie die Polizei gerufen habe, sei er sofort Richtung Amthausplatz weggesprungen (AS 69, 75). Ergänzend wies C.___ darauf hin, dass sie in einem Club im Sicherheitsdienst angestellt sei und dort einmal in der Woche ein Abwehrtraining habe. Sie habe den Beschuldigten nicht verletzen, sondern neutralisieren wollen, letzteres sei ihr aber definitiv nicht gelungen (AS 75). (In Bezug auf das Geschehen unmittelbar vor dem Angriff und auf die Frage, ob sie wisse, was der Beschuldigte gesagt habe, als er die Privatklägerin angeschrien habe) Sie sei relativ weit hinten gewesen, sie habe mit dem Taxi(dienst) telefonieren wollen. Es sei ganz sicher geschrien worden, auch sie habe geschrien, da sie gewollt habe, dass es aufhöre. Es habe von beiden Seiten keine Provokationen vor dem Vorfall gegeben, der Angriff sei für sie wirklich aus dem Nichts gekommen. Bevor der Beschuldigte auf die Privatklägerin losgegangen sei, hätten sie es ziemlich lustig gehabt und gelacht. Weshalb der Beschuldigte so reagiert habe, sei für sie ein Rätsel (S-L AS 88).
4.3 D.___ wurde einen Tag nach dem Vorfall (5.3.2019) als Auskunftsperson polizeilich befragt und führte im Wesentlichen folgendes aus (AS 90 ff.): Sie seien vom «Tiger» (= Restaurant Tiger) runter gelaufen und Frau C.___ habe ihr Natel gehabt und habe ein Taxi anrufen wollen. Der Beschuldigte sei dort bei einem Auto gestanden. Sie (Privatklägerin, C.___, D.___) hätten vermutlich gelacht und es lustig gehabt. Sie wisse nicht, ob sich der Beschuldigte über sie aufgeregt das Gefühl gehabt habe, sie würden über ihn lachen. Sie habe keine Ahnung. Er habe etwas geworfen und darauf sei es eskaliert. Alles sei «mega» schnell gegangen. Weshalb es plötzlich eskaliert sei, wisse sie nicht. Sie habe das Gefühl gehabt, dass es sich um ein «Turntäschli» gehandelt habe (AS 91), es sei aber, wie sich herausgestellt habe, ein Fahrradhelm gewesen, den er wie eine Bowlingkugel geschossen habe (AS 92). Sie sei zum Autofahrer gegangen und habe diesem gesagt, er solle seinen Kollegen wegnehmen, worauf dieser immer wieder gesagt habe «isch nid mi Kolleg». Im Augenwinkel habe sie gesehen, dass sie am Boden gelegen seien. Sie habe nicht gesehen, wer mit wem auf wem oben gewesen sei. Als Frau C.___, die immer noch das Natel von ihr gehabt habe, gesagt habe, sie rufe die Polizei an, sei dieser auf und davon. Sie seien ihm noch nachgesprungen, aber er sei schon schnell gewesen, so dass er weg gewesen sei, weshalb sie wieder zurück zur Privatklägerin gekehrt seien. Wie genau der Beschuldigte tätlich geworden sei gegen die Privatklägerin, könne sie nicht sagen.
4.4 Ärztliche Berichte
4.4.1 Notfallbericht
Die Privatklägerin wurde am 4. März 2019 um 2:00 Uhr mit der Ambulanz zum Notfall des Bürgerspitals Solothurn gefahren, im Notfallbericht wurden folgende Hauptdiagnosen festgehalten:
- Schädelhirntrauma (SHT) 1. Grades nach Kopfanprall und Fusstritt; - Ellenbogenkontusion, links.
Im Rahmen der Anamnese wurden eine 6 cm x 3 cm grosse Schwellung (frontal links über der Augenbraue) sowie oberflächliche Abschürfungen (rechts frontal) festgehalten. Die Schmerzen seien hauptsächlich frontal und parietal (seitlich) links, sowie am Ellbogen links.
Der neurologische Status der Patientin wird im Notfallbericht im Wesentlichen wie folgt umschrieben:
- GCS 15 (GCS steht als Kürzel für das sog. Glasgow Coma Score, einem Bewertungsschema für Bewusstseins- und Hirnfunktionsstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma, wobei die Skala von minimal 3 bis maximal 15 Punkten reicht. Der Glasgow Coma Score lässt auch eine grobe Abschätzung des Schweregrades eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) zu, ein erreichter Wert von 15 - 13 Punkten wird als leichtes SHT (sog. Hirnerschütterung), ein Wert von 12 - 9 Punkten als mittelschweres und ein Wert von 8 - 3 Punkten als schweres SHT eingestuft (Quelle: https://flexikon.doccheck.com/de/Glasgow_Coma_Score, letztmals besucht am 21.11.2021). - Druckdolenz parietal (Scheitelbein) und frontal (Stirnbein) links über der Schädelkalotte (= knöchernes Dach des Schädels, welches das Gehirn schützt). - Halswirbelsäule dezent druckdolent, aber in alle Richtungen frei beweglich. - Ansonsten wurden keine Auffälligkeiten festgestellt: Die Patientin sei örtlich und zeitlich orientiert gewesen, kein Meningismus (= schmerzhafte Nackensteifigkeit), Augenfolgebewegung in alle Richtungen ohne Sakkaden (= sehr schnelle, ruckartige Augenbewegung) Doppelbilder möglich, Lichtreaktion beidseits direkt und konsensuell prompt, kein Nystagmus (= umgangssprachlich «Augenzittern», unkontrolliertes Zittern Zucken der Augen), übriger Hirnnervenstatus kursorisch unauffällig, Gehör intakt ebenso intakte Oberflächensensibilität.
Bei unauffälligem neurologischem Status, keinem Bewusstseinsverlust und keiner Ereignisamnesie sowie jungem Alter der Patientin sei auf eine bildgebende Diagnostik verzichtet worden (AS 42).
Der Patientin wurde für vier Tage eine 100 % Arbeitsunfähigkeit attestiert sowie Dafalgan (Wirkstoff Paracetamol) und Novalgin (Wirkstoff Metamizol Natrium) verschrieben (AS 43).
4.4.2 Untersuchungsbericht des Amteiarztes und fotografische Aufnahmen
Der Amteiarzt (Dr. med. G.___) untersuchte die Privatklägerin ca. 10 Stunden nach dem Ereignis und kam zu folgende Feststellungen: An der rechten Kopfseite bzw. Scheitelseite habe ein Areal (ca. 10 cm x 7 cm) festgestellt werden können, in dem mehrere, zur Körperlängsachse senkrecht verlaufende, ca. 0,5 cm breite Hautrötungen und -abschürfungen mit einer ausgeprägten Druckschmerzhaftigkeit lägen. An der linken Stirn (seitlich) finde sich ein ca. 6 cm x 5 cm grosses Hautareal mit oberflächlichen Hautabschürfungen mit kleinsten Einzelabschürfungen. Das betroffene Areal sei deutlich geschwollen und druckschmerzhaft (AS 38). Am Ellbogen (seitlich) des linken Armes wurde zudem eine rundliche Hautunterblutung festgestellt (AS 39). Die Privatklägerin trage zahlreiche Piercings an der Gesichtshaut, Ohrschmuck und Zungenpiercings. Alle diese Artefakte seien nicht ausgerissen und nicht umblutet und es fehlten keine Piercings (AS 38).
Die vom Amteiarzt umschriebenen Verletzungen sind auch fotografisch dokumentiert worden:
- AS 28 und 31: Hautareal auf der rechten Kopfseite; - AS 29: Hautareal an der linken Stirnseite; - AS 30: Hämatom am linken Arm, Ellbogen (seitlich). Diese Feststellungen interpretierte der Amteiarzt folgendermassen: Die Oberfläche der Beule an der linken Stirnseite zeige ein Muster, das vereinbar sei mit dem Abdruck zum Beispiel von Strassenbelag. Die Befunde seien vereinbar mit dem geschilderten Ereignishergang, nämlich Treten gegen den Kopf mit Abschürfungen an der Gegenseite im Sinne des Abdrucks des Widerlagers. Die Verletzungen seien frisch gewesen. Eine unmittelbare Lebensgefahr habe nicht bestanden und bei der Spitaluntersuchung sowie bei der durch ihn vorgenommenen Untersuchung hätten keine Hinweise auf eine Verletzung des Gehirns bestanden. Eine Selbstbeibringung dieser Verletzungen sei wenig wahrscheinlich (AS 39).
Beim Beschuldigten stellte der Amteiarzt eine Hautabschürfung im Bereich des linken Wangenknochens und im Bereich der Schläfe eine streifige Hautrötung fest. Mehrere Finger hätten eine kleinflächige Hautunterblutung aufgewiesen. Am Knie habe sich eine frische Abschürfung befunden. Der Beschuldigte habe zudem eine Druckschmerzhaftigkeit an der rechten Schulter angegeben (AS 39). Zu ergänzen ist, dass gemäss dem polizeilichen Wahrnehmungsbericht der Beschuldigte an den Händen frische, zum Teil leicht blutende Schürfwunden aufwies (AS 17). Der Amteiarzt kommt zum Schluss, der Beschuldigte weise mehrere, eher unspezifische frische Verletzungen auf, welche durchaus als Folgen einer tätlichen Auseinandersetzung angesprochen werden könnten (AS 39).
4.5 Würdigung
Die Aussagen der Privatklägerin, insbesondere ihre tatnächsten Angaben zum Vorfall, sind detailreich und im Wesentlichen konstant. So schilderte sie stets, wie der Beschuldigte ihr einen Fahrradhelm entgegengeworfen habe, sie in der Folge von einem Faustschlag des Beschuldigten am linken Arm getroffen bzw. gestreift worden und es diesem gelungen sei, sie zu Fall zu bringen, so dass sie mit ihrer linken Kopfseite am Boden aufgeschlagen sei. Ebenso führte sie aus, wie der Beschuldigte ihr hierauf mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzt und später auch noch von oben herab mit dem Fuss gegen ihren Kopfbereich getreten habe. Als weiteres konstantes Element gab sie jeweils zu Protokoll, wie die beiden unbekannt gebliebenen Männer als auch ihre Partnerin sowohl vor ihrem Sturz als auch in der darauffolgenden Phase versucht hätten, den Beschuldigten von ihr fernzuhalten, sich dieser aber mehrmals befreien bzw. losreissen konnte. Es fällt auf, dass die Privatklägerin in den Einvernahmen nicht nur umschrieb, was der Beschuldigte ihr angetan haben soll, sondern sie vielmehr auch Nebensächlichkeiten und Komplikationen schilderte, die keinen Bezug zu den Handlungen des Beschuldigten aufweisen. Dies spricht klar für einen realen Erlebnishintergrund ihrer Aussagen. So schilderte sie beispielsweise, dass das Handy von C.___ keinen Akku mehr gehabt habe, weshalb ihre Partnerin auf das Gerät von D.___ ausgewichen sei und man es lustig gehabt habe, weil sie mit deren Handy nicht klargekommen sei. Ebenso lassen sich Aussagen finden, die gegen einen Belastungseifer sprechen, so zum Beispiel ihre Aussagen, der Fahrradhelm habe sie zwar am Bein getroffen, aber nicht verletzt. Bereits im Rahmen der Erstbefragung stellte sie auch klar, während des Angriffs nie das Bewusstsein verloren zu haben. Die Intensität der von ihr erlittenen Faustschläge und Fusstritte bewertete sie ursprünglich auf einer Skala von 1 bis 10 mit 6 bzw. mit 6 - 7, was für eine differenzierte Einschätzung der Privatklägerin und gegen einen Belastungseifer spricht. Einzuräumen ist, dass die Privatklägerin im weiteren Verlauf der Untersuchung (anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 6.11.2019) die Stärke der gegen sie angewandten Gewalt höher einstufte als noch anlässlich der polizeilichen Befragung vom 4. März 2019. Der Bewertungsunterschied (Stufe 8-9 statt 6-7) fällt aber nicht derart erheblich aus, dass darin eine massgebliche Aggravationstendenz erblickt werden kann. Für die Glaubhaftigkeit der Privatklägerin spricht des Weiteren, dass sie immer wieder Erinnerungslücken eingestand. So wies sie in den späteren Einvernahmen darauf hin, sich nicht an die genaue Anzahl der erlittenen Schläge erinnern zu können. Auch die Wiedergabe von eigenen Äusserungen (sie habe den Beschuldigten gefragt, was sein Problem sei), sowie ihre reflektierenden Aussagen über ihre Annahme und eine mögliche Fehlinterpretation (sie sei davon ausgegangen, vom Beschuldigten angesprochen worden zu sein, sie glaube jedoch nun, dass dieser den Autofahrer gefragt habe, ob er mitfahren könne) sprechen für einen realen Erlebnishintergrund.
Die Aussagen der Privatklägerin erweisen sich als glaubhaft und decken sich mit den Schilderungen von C.___, die der Privatklägerin zu Hilfe kam und detaillierte Angaben zur Lage des Beschuldigten auf dem Opfer und zu den von ihr wahrgenommenen Schlägen und Tritten gegen das Opfer machen konnte. Es ist auch davon auszugehen, dass der von der Privatklägerin zu Protokoll gegebene Rettungsschwimmergriff eines Helfers nicht von dem auf dem Bauch liegenden Opfer, dessen Blickwinkel nach unten auf die Seite ausgerichtet gewesen war, sondern von C.___ wahrgenommen worden ist. Die Zeugin schilderte anschaulich, wie der Beschuldigte, nachdem er die Privatklägerin zu Boden gebracht gehabt habe, rittlings auf deren Rücken gesessen sei und mit der Faust mehrmals auf die Privatklägerin geschlagen habe. Schliesslich habe er drei- bis fünfmal mit dem Fuss von oben nach unten (nicht seitlich) gegen ihren Kopf getreten. Es sei so gewesen, wie wenn dieser von oben etwas habe zerquetschen wollen. Diese Fusstritte des Beschuldigten seien erfolgt, als der Mann, der zu Hilfe gekommen sei, den Beschuldigten (über den Kopf des Opfers) weggezogen habe.
Anders als C.___ und die beiden unbekannt gebliebenen Männer ging D.___ nicht dazwischen. Der von ihr wiedergegebene Dialog mit dem Mann beim Auto wirkt lebensnah und glaubhaft. Wie bereits C.___ gab auch D.___ zu Protokoll, dass der Beschuldigte sofort die Flucht ergriffen habe, als er realisiert habe, dass die Polizei benachrichtigt worden sei. Zum Tathergang selbst machte sie jedoch kaum Angaben und es erstaunt, dass sie in Anbetracht der bedrohlichen Ausnahmesituation, in welcher sich ihre Freundin (die Privatklägerin) damals befand, kaum etwas mitbekommen haben will.
Wesentlich ist schliesslich, dass die als glaubhaft eingestuften Aussagen von C.___ und der Privatklägerin zum Tathergang mit den ärztlich festgestellten und fotografisch dokumentierten Verletzungen des Opfers korrespondieren. Beide Frauen schilderten, wie sich die vom Beschuldigten ausgeübte Gewalt gegen den Kopf des Opfers richtete und genau in dessen oberen Bereich (rechte Kopfseite bzw. Scheitelseite sowie linke Stirn) konnten denn auch Hautabschürfungen und Hautrötungen lokalisiert werden, wobei die Verletzung an der linken Stirnseite deutlich geschwollen war (Beule) und das darauf erkennbare oberflächliche Muster gemäss dem Bericht des Amteiarztes mit dem Abdruck von Strassenbelag vereinbar ist. Letzteres deckt sich mit der Aussage der Privatklägerin, wonach sie mit der linken Kopfseite auf dem Boden gelandet sei, sowie mit der von C.___ geschilderten Bauchlage des Opfers. Beim Opfer wurde eine ausgeprägte Druckschmerzhaftigkeit der beiden Areale auf der rechten Kopfseite und linken Stirnseite festgestellt sowie ein Schädelhirntrauma (1. Grades) diagnostiziert. Ob die streifenartigen Hautrötungen auf der rechten Kopfseite das Schuhsohlenprofil des Beschuldigten zeigen, konnte nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden (vgl. hierzu die Ausführungen unter vorstehender Ziff. II. 3.2.8). Es steht indes gestützt auf die Aussagen der Zeugin C.___ und die Angaben des Opfers ausser Zweifel, dass der Beschuldigte das Opfer mit vertikalen Fusstritten gegen den Kopf traktiert hat.
Auch die dokumentierten Verletzungen des Beschuldigten lassen sich ohne Weiteres mit den Schilderungen von C.___ in Einklang bringen: Der Beschuldigte war rittlings auf dem Opfer und zog sich die Schürfwunden am Knie und den Händen sowie Druckschmerzen an der Schulter in der tätlichen Auseinandersetzung mit C.___ und den beiden unbekannt gebliebenen Männern zu, die mehrfach versuchten, ihn vom Opfer fernzuhalten bzw. wegzureissen.
4.6 Beweisergebnis
Es ist gestützt auf die glaubhaften Aussagen der Privatklägerin, C.___ und D.___ und die ärztlichen Berichte folgender Sachverhalt zum Beweisergebnis zu erheben:
Die Privatklägerin schaute beim Stalden 1 zum Beschuldigten herüber, der sich in einer Distanz von etwa drei, dreieinhalb Metern bei einem Auto befand, da sie davon ausging, von diesem angesprochen worden zu sein. Dieser schrie die Privatklägerin ohne erkennbaren Grund an, worauf die Privatklägerin entgegnete, was sein Problem sei. In der Folge bewarf der Beschuldigte die Privatklägerin mit einem Fahrradhelm, welcher die Privatklägerin am Bein traf, ohne sie jedoch zu verletzen. Der Beschuldigte setzte hierauf zu einem überraschenden Angriff an, indem er sich schnell der Privatklägerin näherte («zuegsecklet») und versuchte, diese mit seinen Fäusten Richtung Oberkörper zu schlagen. Er traf sie am linken Arm, wodurch sie sich eine Ellenbogenkontusion links mit einem 3 cm x 2 cm grossen Hämatom zuzog. Sowohl C.___, ihre damalige Lebenspartnerin, als auch die beiden unbekannt gebliebenen Männer, die sich anfänglich im Auto befunden hatten, kamen der Privatklägerin zu Hilfe und versuchten, den Beschuldigten von der Privatklägerin fernzuhalten. Dieser vermochte sich aber loszureissen und brachte die Privatklägerin mit Schwung nach vorne zu Fall, so dass deren linke Kopfseite auf dem Beton der Strasse aufschlug und sie bäuchlings auf dem Boden liegen blieb. Nach den Schilderungen der Privatklägerin ging der Beschuldigte bei diesem Überraschungsangriff ebenfalls zu Boden. Er setzte sich hierauf rittlings auf den Rücken des wehrlosen und vom Sturz verletzten Opfers und versetzte diesem mehrere (mind. 2 – 3) Faustschläge, welche gegen den Kopf, nicht aber gegen den frontalen Gesichtsbereich gerichtet waren, denn die von der Privatklägerin im Bereich der Unterlippe, der Backe, des Kinns und der Nase sowie zwischen der Augenpartie getragenen Piercings blieben gemäss den ärztlichen Feststellungen gänzlich unbeschädigt und waren nicht umblutet. Die Privatklägerin versuchte, sich gegen die Faustschläge zu schützen, indem sie ihre Arme hob. Die Gewalteinwirkung dieser Faustschläge war erheblich, wenn auch nicht am obersten Ende der Skala. Die Privatklägerin sprach von massiven, ordentlich starken Schlägen und verwies auf die Stufe 6 von 10. Auch in dieser Phase des Tatgeschehens versuchten C.___ und die beiden unbekannt gebliebenen Männer der Privatklägerin zu helfen und einzugreifen. Es handelte sich auf engstem Raum um ein unübersichtliches, unruhiges und dynamisches Geschehen, welches C.___ mit den Worten Gerangel, Gemenge und «Wirrwarr» umschrieb. Ihr und einem der beiden Männer gelang es schliesslich, den Beschuldigten zu ergreifen und über dem Kopf der Privatklägerin wegzuziehen bzw. wegzureissen. In diesem Moment trat der Beschuldigte von oben nach unten mit dem Fuss auf die rechte Kopfseite des Opfers ein. C.___ hielt zu dieser Bewegung fest, es habe so ausgesehen, als ob der Beschuldigte von oben etwas habe zerquetschen wollen. Zur Anzahl der Fusstritte machte die Privatklägerin unterschiedliche Angaben. Vor dem Hintergrund, dass sie in den tatnächsten Befragungen stets mehrere Fusstritte nannte (AS 46: «sicherlich drei- bis viermal»; AS 52: «mindestens drei- bis viermal») und sich diesbezüglich erst aufgrund der zeitlichen Distanz zum Vorfall eine Unsicherheit ergab (AS 140: «das kann ich nicht beantworten, 1 - 2 Mal. Es kann auch öfter gewesen sein»), sowie in Anbetracht der Tatsache, dass C.___ ebenfalls mehrere Fusstritte erwähnte (AS 74: «drei bis fünf Mal»), ist von mind. zwei Fusstritten auszugehen. Diese führte der Beschuldigte nicht mit voller, aber erheblicher Wucht (Stufe 6 - 7 auf einer Skala von 10) aus. Als der Beschuldigte realisierte, dass C.___ mit dem Natel die Polizei alarmieren konnte, verliess er fluchtartig den Tatort, ohne dass es C.___ und D.___ gelang, den Beschuldigten einzuholen.
Aufgrund dieser Attacke zog sich sie Privatklägerin ein Schädelhirntrauma 1. Grades zu. Zudem erlitt sie eine Ellenbogenkontusion, eine 6 cm x 3 cm grosse Schwellung (grosse Beule) frontal links über der Augenbraue und eine oberflächliche Abschürfung am Kopf (rechts/frontal). Noch auf der Notfallstation wurde ihr eine 100 % Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von vier Tagen attestiert. Ca. 10 Stunden nach dem Ereignis (anlässlich ihrer Untersuchung durch den Amteiarzt) gab das Opfer Schmerzen an beiden Seiten des Kopfes an. Die Schwellung oberhalb des linken Auges, eine Verdickung des Knochens, sei – so die Ausführungen der Privatklägerin im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Schlusseinvernahme vom 6. November 2019 und vor erster Instanz – nach wie vor vorhanden.
III. Rechtliche Würdigung
1. Allgemeine Ausführungen zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen nach Art. 122 und 123 StGB
1.1 Gemäss Art. 122 StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer vorsätzlich
- einen Menschen lebensgefährlich verletzt (Absatz 1); - den Körper, ein wichtiges Organ Glied eines Menschen verstümmelt ein wichtiges Organ Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt (Absatz 2); - eine andere schwere Schädigung des Körpers der körperlichen geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht (Absatz 3).
Mit der Generalklausel gemäss Abs. 3 von Art. 122 StGB sollen Fälle erfasst werden, welche den unter Abs. 2 beispielhaft aufgezählten Beeinträchtigungen hinsichtlich ihrer Qualität und ihrer Auswirkungen ähnlich sind und etwa mit einer langen Bewusstlosigkeit, einem schweren und lang dauernden Krankenlager, einem ausserordentlich langen Heilungsprozess einer Arbeitsunfähigkeit während eines grossen Zeitraumes verbunden sind (BGE 124 IV 53 E. 2 S. 57). Unter die Generalklausel fällt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung angesichts der tiefgreifenden und lebenslangen Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Gesundheit beispielsweise auch die Infizierung mit dem HI-Virus (BGE 144 IV 92 E. 2.4).
1.2 Die schwere Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB unterscheidet sich von der einfachen gemäss Art. 123 StGB durch den Erfolg. Das Tatmittel wird nicht näher bezeichnet und ist daher auch unerheblich. Das Gleiche gilt für das Tatvorgehen. Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB erfasst alle Körperverletzungen, welche noch nicht als schwer i.S. von Art. 122 StGB (vgl. den Wortlaut «Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper Gesundheit schädigt, ….»), aber auch nicht mehr als blosse Tätlichkeiten i.S. von Art. 126 StGB zu qualifizieren sind. Unter den letztgenannten Begriff werden Störungen des Wohlbefindens, beispielsweise Schürfungen, Kratzwunden, harmlosen Quetschungen, die in kürzester Zeit vorübergehen und ausheilen, subsumiert.
1.3 In subjektiver Hinsicht ist sowohl bei der schweren als auch bei der einfachen Körperverletzung (Eventual-)Vorsatz erforderlich, der sich auf die Schwere der Verletzung beziehen muss.
1.3.1 Direkter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter um die Tatumstände weiss und er den Willen hat, den Tatbestand zu verwirklichen. Der Täter muss sich gegen das rechtlich geschützte Gut entscheiden, die Verwirklichung des Tatbestandes muss das eigentliche Handlungsziel des Täters sein ihm als eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung seines Ziels erscheinen.
1.3.2 Ein eventualvorsätzliches Verhalten ist gegeben, wenn der Täter die Verwirklichung des tatbestandsmässigen Erfolges als Folge seines Verhaltens für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt bzw. sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 125 IV 242 E. 3c S. 251).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft innere Tatsachen. Bei einem fehlenden Geständnis des Täters muss aus äusseren Umständen auf diese inneren Tatsachen geschlossen werden. In der Praxis stützt sich das Gericht beim Nachweis des Eventualvorsatzes somit auf äusserlich feststellbare Indizien, die es erlauben, Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters zu ziehen. Zu den relevanten Umständen für die Entscheidung der Frage, ob ein Täter eventualvorsätzlich handelte, gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser das Risiko des Erfolgseintritts ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen und damit eventualvorsätzlich gehandelt. Dahinter steckt der Gedanke, dass in der Missachtung elementarer Sorgfaltsregeln eine Gleichgültigkeit gegenüber Integritätsinteressen Dritter zum Ausdruck kommt, welche – in besonders krassen Fällen – auch den Schluss auf die Inkaufnahme des Verletzungserfolgs zulässt (BGE 135 IV 12 S. 17 E. 2.3.2). Eventualvorsatz kann indessen auch vorliegen, wenn der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht in diesem Sinne sehr wahrscheinlich, sondern bloss möglich war. Doch darf nicht allein aus dem Wissen des Täters um die Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 17; 133 IV 1 E. 4.5 S. 6 f.; je mit Hinweisen). Solche Umstände liegen namentlich vor, wenn der Täter das ihm bekannte Risiko nicht kalkulieren und dosieren kann und das Opfer keine Abwehrchancen hat (BGE 133 IV 1 E. 4.5 S. 7; 131 IV 1 E. 2.2 S. 5).
1.4 Versuch liegt vor, wenn der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seine Tatentschlossenheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind (Stefan Trechsel/Christopher Geth in: Stefan Trechsel/Mark Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Vor Art. 22 StGB N 1).
2. Subsumption
2.1 Der objektive Tatbestand von Art. 122 StGB ist vorliegend nicht erfüllt: Die Privatklägerin wurde nicht im Sinne von Abs. 1 vom Beschuldigten in unmittelbare Lebensgefahr gebracht. Sie verlor auch nicht das Bewusstsein. Zudem ist keine der eingetretenen Verletzungen unter Abs. 2 von Art. 122 StGB zu subsumieren. Das unter der Schädeldecke liegende Gehirn wurde vom Beschuldigten nicht unbrauchbar gemacht, die Arbeitsunfähigkeit war gemäss ärztlichem Attest zeitlich auf vier Tage begrenzt und die Schwellung oberhalb des linken Auges, eine Verdickung des Knochens, die gemäss der Privatklägerin nach wie vor erkenntlich ist, erreicht nicht ein Ausmass, das die Bezeichnung als Entstellung rechtfertigt. Ebenso wenig findet die Generalklausel gemäss Abs. 3 von Art. 122 StGB vorliegend Anwendung.
2.2 In objektiver Hinsicht handelt es sich bei den durch den Beschuldigten verursachten und in der Anklageschrift genannten Schädigungen um eine einfache Körperverletzung.
2.3 Zu prüfen bleibt, was der Beschuldigte in subjektiver Hinsicht wollte bzw. eventualvorsätzlich in Kauf nahm. Die Anklageschrift wirft dem Beschuldigten vor, eine schwere Körperverletzung (Beeinträchtigung von Hirnfunktionen) billigend in Kauf genommen zu haben.
2.3.1 Das Bundesgericht hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung verschiedentlich mit Körperverletzungen in Folge von Fusstritten gegen den Kopf des Opfers befasst, wobei teils die Abgrenzung der einfachen zur versuchten schweren Körperverletzung, teils die Abgrenzung der Körperverletzungsdelikte zur versuchten eventualvorsätzlichen Tötung zur Beurteilung stand (vgl. Urteile 6B_181/2015 vom 23.6.2015; 6B_1250/2013 vom 24.4.2015; 6B_839/2014 vom 21.4.2015; 6B_901/2014 vom 27.2.2015; 6B_222/2014 vom 15.7.2014; 6B_222/2014 vom 15.7.2014; 6B_370/2013 vom 16.1.2014; 6B_45/3013 vom 18.7. 2013; 6B_954/2010 vom 10.3. 2011; 6P.184-188 und 6S.418/2006 vom 21.2.2007).
Als besonders instruktiv erweist sich in Bezug auf die Abgrenzungsproblematik das Urteil des Bundesgerichts 6B_1180/2015 vom 13. Mai 2016, dem folgender Sachverhalt zu Grunde lag:
„X.________ rannte am Donnerstag, 4. Oktober 2012, gegen 21.00 Uhr, in Turbenthal von hinten auf die auf dem Trottoir dorfauswärts gehende A.________ zu und griff sie an, indem er ihr mit beiden Händen von hinten auf den Kopf presste und sie in seitlicher Drehung zu Boden drückte. Als sie auf dem Rücken auf dem Boden lag, zerrte er sie am Handgelenk zwei bis vier Meter zum neben der Strasse gelegenen Holzhäuschen, warf sich im Bereich der Hausecke auf sie, zerrte zwei bis drei Mal heftig an ihrer Gurtschnalle und hielt ihr den Mund zu, als sie zu schreien begann. A.________ setzte sich durch die Annahme, er wolle den Gurt öffnen und sie vergewaltigen, in Panik versetzt, mit Händen und Füssen zur Wehr und biss X.________ in die Hand, mit welcher er ihr den Mund zuhielt. X.________ stellte sich daraufhin auf der Höhe ihres Kopfes neben die am Boden liegende Frau und trat ihr mit dem Fuss mindestens zwei Mal sowie mehrfach, mindestens zwei Mal, mit dem Knie gegen den Kopf, insbesondere auch gegen das Gesicht. Ehe er von A.________ abliess, presste er sie mit beiden Händen auf Brusthöhe kräftig gegen den Oberkörper zu Boden. A.________ erlitt durch die Gewalteinwirkung eine leichte Gehirnerschütterung mit starken Kopfschmerzen, mehrere Blutergüsse an der linken Schläfe, an der linken Wange, an der Oberlippe sowie an der Bindehaut des linken Auges sowie am Hinterkopf, am linken Unterarm und am linken Knie. Sie war während einer Woche arbeitsunfähig.“ (…)
Auf Berufung des Beurteilten und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft sprach das Obergericht des Kantons Zürich am 3. September 2015 X.________ der versuchten schweren Körperverletzung schuldig und hielt fest (E. 2.2), diese Qualifikation gelte auch, wenn der Beschwerdeführer gemäss erstelltem Sachverhalt nicht «mit voller», sondern lediglich «mit einer gewissen Wucht» zugetreten habe. Denn er sei nach seinen eigenen Aussagen ausgerastet und der Übergriff sei in einer Kurzschlusshandlung erfolgt. In diesem Gemütszustand habe er unmöglich in der Lage sein können, die Intensität seiner wiederholten Tritte und Kniestösse derart zu steuern, dass er den Eintritt schwerer Verletzungen hätte ausschliessen können. Wer völlig unkontrolliert und ohne jegliche Zurückhaltung - wenn auch mit leichtem Schuhwerk - mehrmals auf den Kopf einer am Boden liegenden Person eintrete, ihr hernach in gleicher Art und Weise auch Kniestösse versetze und sich durch ihre Gegenwehr noch provozieren lasse, könne gar nicht anders, als den Deliktserfolg einer schweren Körperverletzung (z.B. Lebensgefahr, Verstümmelung eines wichtigen Organs, arge und bleibende Entstellung des Gesichts) ernstlich in Rechnung zu stellen, und lasse es offensichtlich «drauf ankommen». (....) Seine Vorgehensweise habe ihm allenfalls noch die Hoffnung erlaubt, die Sache werde glimpflich ausgehen. Die blosse Hoffnung auf das Ausbleiben des tatbestandsmässigen Erfolgs schliesse eine Inkaufnahme im Sinne eventualvorsätzlicher Tatbegehung aber nicht aus.
Dem hielt die Verteidigung entgegen (E. 2.3), nach den Feststellungen der Vorinstanz sei weder von einer besonderen Heftigkeit der Tritte auszugehen, noch sei das Opfer abwehrunfähig gewesen, noch habe es signifikant schwere Verletzungen erlitten. Das aktenmässig belegte Verletzungsbild sowie die medizinischen Befunde ergäben nicht die geringsten Hinweise darauf, dass das effektive Tatgeschehen mit einem relevanten Risiko der Verwirklichung einer Tatbestandsvariante von Art. 122 StGB einhergegangen wäre. Es lägen auch keine aggravierenden Umstände vor, welche den Schluss auf eventualvorsätzliches Handeln zuliessen. Der Beschwerdeführer machte weiter geltend, die äusserlich feststellbaren Indizien sprächen gegen den Schluss, dass er eine schwere Körperverletzung in Kauf genommen habe. Er habe die Privatklägerin nur mit mässiger Wucht getreten und sei damit entscheidend dafür verantwortlich gewesen, dass sie keine schweren Verletzungen erlitten habe. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass er die Intensität der Tritte habe steuern können und demzufolge bewusst auf eine intensivere Gewalteinwirkung verzichtet habe. Es seien keine Umstände ersichtlich, welche das unkalkulierbare Risiko einer schweren Körperverletzung begründet hätten.
Diese Argumentation der Verteidigung hielt einer Überprüfung durch das Bundesgericht nicht stand. Es hielt fest, die Vorinstanz nehme zutreffend an, dass es sich bei der Kopfregion um einen besonders sensiblen Bereich des menschlichen Körpers handle und dass Kopfverletzungen (insbesondere Verletzungen der Hirnregion) gravierende Folgen nach sich ziehen könnten. Dies stimme überein mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts, das mehrfach festgehalten habe, es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Fusstritte und Faustschläge in den Kopfbereich eines am Boden liegenden Opfers – selbst wenn dieses sich zusammenrolle und den Kopf mit den Händen zu schützen versuche – zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität führen könnten (Urteile 6B_208/2015 vom 24.8.2015 E. 12.4; 6B_181/2015 vom 23.6.2015 E. 2.3; vgl. auch die Urteile 6B_132/2015 vom 21.4.2015 E. 2.3.2; 6B_222/2014 vom 15.7. 2014 E. 1.4; ferner 6B_901/2014 vom 27.2.2015 E. 2.7.3). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers setze die bundesgerichtliche Rechtsprechung für die Erfüllung des Tatbestandes der versuchen schweren Körperverletzung nicht voraus, dass neben den eigentlichen Fusstritten Schlägen an den Kopf ein aggravierendes Moment, etwa eine besondere Heftigkeit der Tritte, die Wehrlosigkeit des Opfers, die Traktierung mit weiteren Gegenständen die Einwirkung mehrerer Personen, hinzutreten müsse. (…) Für die rechtliche Würdigung sei auch ohne Bedeutung, dass die Privatklägerin im zu beurteilenden Fall keine schweren Verletzungen erlitten habe. Denn dem Beschwerdeführer werde nicht eine vollendete, sondern lediglich eine versuchte eventualvorsätzliche schwere Körperverletzung vorgeworfen. Es liege in der Natur der versuchten Tatbegehung, dass der Erfolg nicht eintrete. Entscheidend sei demnach nicht, wie intensiv die Tritte tatsächlich gewesen seien, sondern was für Folgen der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tritte für möglich gehalten und in Kauf genommen habe (vgl. Urteil 6B_1250/2013 vom 24.4.2015 E. 1.4.1, mit Hinweis).
In einem weiteren vergleichbaren Entscheid (6B_132/2015 vom 21.4.2015) schützte das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz, welche auf eine eventualvorsätzlich versuchte schwere Körperverletzung geschlossen hatte, und führte folgendes aus (E. 2.3.1): Die Vorinstanz erwäge, wer einer Person, die wehrlos bäuchlings – das Gesicht gegen den Boden gerichtet – mindestens zweimal recht heftig den Kopf gegen den harten Boden schlage, der sei sich ohne Zweifel bewusst, dass durch dieses Verhalten Verletzungen im Rahmen einer schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB bewirkt werden könnten. Es müsse als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass aufgrund der Empfindlichkeit der gesamten Kopfregion grundsätzlich jede derartige Einwirkung mit – wie vorliegend – einer gewissen Wucht ausgeführt schwere Verletzungen hervorrufen könne.
2.3.2 Die Parallelen zum vorliegend zu beurteilenden Fall sind deutlich. Der Beschuldigte steuerte auf das völlig überraschte Opfer zu. Er habe sich ihr genähert wie ein Hund, den man von der Leine lasse, wenn er sich freue, dass er «Gassi» gehen dürfe. Er versetzte dem Opfer zuerst einen Faustschlag, der es am linken Arm streifte. Anschliessend vermochte sich der Beschuldigte trotz des von Dritten (insb. von C.___) geleisteten Widerstandes durchzusetzen und brachte das Opfer mit Schwung zu Fall, so dass dieses seine linke Kopfseite auf dem Betonbelag der Strasse anschlug und in Bauchlage liegen blieb. Die Anklagebehörde bezeichnete dieses Vorgehen zu Recht als Überraschungsangriff, der das Opfer überrumpelte. Der Beschuldigte sass hierauf rittlings auf den Rücken der von ihrer Statur her zierlichen Frau, was dieser keine Chance liess, sich aus eigener Kraft vom Beschuldigten wegzubewegen. Sie war dem Aggressor ausgeliefert. Der Beschuldigte wirkte in der darauffolgenden Phase erheblich auf das bereits vom Sturz verletzte und geschwächte Opfer ein: Er versetzte ihm mehrere (2 - 3) Faustschläge an den Kopf und trat – im Sinne einer weiteren Steigerung – noch mit mind. zwei Fusstritten von oben herab auf den Kopfbereich des Opfers ein. C.___ führte hierzu aus, es habe so ausgesehen, als ob der Beschuldigte von oben herab etwas habe zerquetschen wollen. Das Vorgehen des Täters, welches mehrere Phasen (verursachter Sturz des Opfers, mehrere Faustschläge, mehrere Fusstritte gegen den Kopfbereich des Opfers) umfasste, muss als sehr gefährlich qualifiziert werden und die ihm anzulastende Sorgfaltspflichtverletzung wiegt schwer. Er ging hartnäckig, vehement und entschlossen vor. Dies zeigte sich auch darin, dass es dem Beschuldigten mehrmals gelang, sich von mehreren Personen – darunter eine Sicherheitsdienstmitarbeiterin, die über spezifische Erfahrungen im Bereich der Körperverteidigung verfügt – loszureissen. Aus dem Verhalten des Beschuldigten ergibt sich nichts, was die Annahme rechtfertigen würde, dass sich sein Vorsatz auf die Zufügung lediglich einfacher Verletzungen beschränkt bzw. dass er sich bewusst zurückgehalten hat. Aufgrund des dynamischen Geschehens wäre es ihm auch gar nicht möglich gewesen, seine Schläge und Tritte in irgendeiner Weise verlässlich zu dosieren. Es gilt als allgemein bekannt, und das wusste demnach auch der Beschuldigte als medizinischer Laie, dass es sich beim Kopf – dem Zielobjekt seiner Attacken – um einen besonders sensiblen Bereich des menschlichen Körpers handelt, der vor allem in Anbetracht des unter der Schädeldecke liegenden Gehirns anfällig ist für schwere und bleibende neurologische Beeinträchtigungen. Dass ein solcher Erfolg ausblieb und die Attacke des Beschuldigten mit Blick auf die - physischen - Folgen vergleichsweise glimpflich endete (Schädel-Hirntrauma 1. Grades, attestierte Arbeitsunfähigkeit von vier Tagen), ist dem Zufall sowie dem couragierten Einsatz der zu Hilfe geeilten Personen zuzuschreiben. Dem Beschuldigten musste sich bei dieser Vorgehensweise das Risiko einer schweren Beeinträchtigung des Kopfes und insbesondere des Gehirns als derart wahrscheinlich aufdrängen, dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als Inkaufnahme einer schweren Körperverletzung gewertet werden kann. Es sind damit sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen einer eventualvorsätzlich versuchten schweren Körperverletzung erfüllt. Rechtfertigungsgründe liegen keine vor.
3. Schuldfähigkeit
Nachdem feststeht, dass der Beschuldigte am 4. März 2019 tatbestandsmässig und rechtswidrig eine versuchte schwere Körperverletzung begangen hat, ist als dritte Voraussetzung der Strafbarkeit zu prüfen, ob der Beschuldigte im Tatzeitpunkt schuldfähig war.
3.1 Gutachten von Dr. med. S.___ vom 17. Februar 2022
3.1.1 Der mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte Gutachter, Dr. med. S.___, ist Chefarzt und Leiter Forensische Psychiatrie, […] zertifizierter Forensischer Psychiater der Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie (SGFP), Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie und FMH Mitglied. Seine fachlichen Qualifikationen für die Erstellung eines wissenschaftlichen, forensisch-psychiatrischen Gutachtens stehen ausser Zweifel. Auch die weiteren formellen Vorgaben sind erfüllt: Der Gutachter verfügt über die erforderliche Unabhängigkeit und das Gutachten wurde auf der Basis der vollständigen Akten dieses Strafverfahrens, einschliesslich der Strafakten früherer Verfahren, erstellt. Zudem führte der Gutachter am 14. und 25. Januar 2022 zwei eigene Untersuchungen des Exploranden durch (insgesamt 2 Stunden und 40 Minuten). Als weitere Informationsquelle diente dem Gutachter die bei den Psychiatrischen Diensten (KPPP) eingeholte Krankengeschichte betreffend A.___ (vgl. Entbindungserklärung des Beschuldigten vom 14.1.2022: OGer AS 227; Verfügung der Instruktionsrichterin vom 24.1.2022: OGer AS 228). Das Vorgehen und die Ergebnisse der Begutachtung werden transparent und nachvollziehbar dargestellt, indem zwischen den Angaben aus den Akten, den lebensgeschichtlichen Angaben, dem Befund sowie der daran anknüpfenden gutachterlichen Interpretation bzw. Beurteilung differenziert wird. Die im Gutachtenauftrag erwähnten Fragestellungen werden begründet beantwortet. Demzufolge weist das von Dr. med. S.___ ausgearbeitete Gutachten keine formellen Mängel auf und ist verwertbar.
3.1.2 In inhaltlicher Hinsicht lässt sich dem Gutachten in Bezug auf die diagnostische Beurteilung und die Frage der Schuldfähigkeit Folgendes entnehmen:
Der Explorand zeige in wichtigen Persönlichkeitsfunktionsbereichen wie Affektsteuerung, den Kognitionen und der Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen überdauernde und deutliche Normabweichungen. Es steche dabei besonders die Thematiken einer emotionalen Instabilität hervor. Ebenso sei eine sehr hohe Impulsivität festzustellen. In Selbst- und Fremderleben werde dabei von unvorhersehbarer und launenhafter Stimmung berichtet. Zu sehen sei auch die Neigung zu emotionalen Ausbrüchen, der Explorand nenne es «Ausrasten», insbesondere dann, wenn er sich kontrolliert infrage gestellt fühle. Im Rahmen der Exploration bestätigte der Beschuldigte insbesondere, dass er jemand sei, der schnell «von 1 auf 100» sei (OGer AS 254). Ebenso bejahte er auf Frage des Gutachters, dass seine Stimmung leicht einmal kippen könne und er dann sehr schlechter Stimmung sei, wobei dies dann oft nicht lange anhalte. Des Weiteren zeigten sich Probleme im Durchhaltevermögen und in der Ausdauer. Dieses Störungsbild stelle im Leben des Exploranden ein erhebliches Handicap dar. Hohe Impulsivität, eine schlechte Emotionskontrolle sowie eine reduzierte Regeln- und Normengebundenheit führten nicht zuletzt auch immer wieder zu Konflikten mit dem Gesetz. Im klinischen Bild liege eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus (ICD-10: F60.30) vor. Hierzu führe das Klassifikationssystem IDC-10 fünf Kriterien an: Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenz zu handeln (1), deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann , wenn impulsive Handlungen unterbunden und getadelt würden (2), Neigung zu Ausbrüchen von Wut und Gewalt mit der Unfähigkeit, explosives Verhalten zu kontrollieren (3), Schwierigkeiten in der Bearbeitung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt würden (4), unbeständige und launische Stimmung (5). Bereits drei Kriterien reichten aus, um diese Diagnose stellen zu können. Beim Exploranden lägen gleich alle 5 typischen Kriterien dieser spezifischen Persönlichkeitsstörung vor. Die Störung des Exploranden imponiere als eine in üblicher Ausprägung im Vergleich der Gesamtgruppe der Personen mit einer solchen Problematik.
Nicht ungewöhnlich bei diesem Störungsbild sei eine Vorgeschichte mit einer Symptomatik in der Kindheit und Jugend, die sich dem Bild einer Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung (ADHS) zuordnen lasse. Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität, vor allem motorische Hyperaktivität seien typische Merkmale einer ADHS und lägen beim Exploranden vor, der nach seinen eigenen Angaben bereits ab der 1. Primarklasse und für drei Jahre lang mit spezifischer Medikation (Ritalin verwandte Präparate) behandelt worden sei. Auch heute sei der Explorand noch auffällig hyperaktiv, motorisch unruhig, immer in Bewegung, obwohl sich diese Komponente bei ADHS-Patienten in der Regel im Erwachsenenalter meist deutlich abschwäche. Die deutliche motorische Unruhe sei während der gesamten Untersuchung sehr auffällig gewesen und habe sich nicht gelegt. Der Explorand sei auch leicht ablenkbar und Planen falle ihm schwer. Zusammenfassend sei für den Tatzeitraum und heute mit grosser Wahrscheinlichkeit bei ihm eine Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung (ADHS, ICD 10: F90) zu diagnostizieren.
Häufig trete zur emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typus) auch eine Suchtstörung hinzu, weil Betroffene versuchten, die Substanzen (Suchtmittel) zur Emotionsregulation einzusetzen. Als weitere Gründe hierfür nennt der Gutachter die sich bei den Betroffenen leicht einstellende und zugleich schlecht erträgliche Langeweile und die häufige Suche nach einem Kick. Wende man sich dem Bereich des Konsums psychotroper Substanzen zu, so wisse man von einem jahrelangen, zum Teil ganz übermässigen und regelmässigen Cannabiskonsum des Exploranden (dieser gab gegenüber dem Gutachter an, mit 18 19 Jahren mit dem «Kiffen» angefangen zu haben, wobei er es täglich konsumiert habe und dann auch den ganzen Tag über, also schon morgens, dann auch mittags und abends). Die letzten zwei Jahre habe der Explorand gemäss seinen Angaben (Messwerte wie z.B. Haaranalyse lägen nicht vor) einen im Vergleich zu früher deutlich geminderten, gemässigteren Konsum betrieben. Gleichwohl scheine es berechtigt, die Diagnose eines Cannabis-Abhängigkeitssyndroms (IDS-10: F12.2) zu stellen. Diese Substanz habe üblicherweise und wohl auch beim Exploranden eine beruhigende Wirkung. Sie werde vermutlich in einer Art Selbstmedikation zur Emotionsregulation eingesetzt. Weiter sei beim Exploranden der Konsum von Kokain seit dem 20. Lebensjahr bekannt. Für die letzten Jahre habe er über einen deutlich reduzierten Konsum berichtet, nur noch ein- bis zweimal im Monat, während er zuvor eine Zeit lang nahezu täglich Kokain konsumiert haben möchte. Das Ausmass des Konsums erscheine aber doch unklar und auch in seinen lebensgeschichtlichen Angaben spiegle sich kein Konsum im Ausmass einer manifesten Abhängigkeit wider. Für den Tatzeitraum (und heute) lasse sich ein Kokain-Abhängigkeitssyndrom nicht ausreichend belegen. Weiter habe tatzeitnah Kokainkonsum nachgewiesen werden können, allerdings sei die Substanz schon weitgehend abgebaut gewesen und es hätten vor allem Metaboliten im Blut vorgelegen. Eine eigentliche «Intoxikation» sei deshalb für den Tatzeitpunkt aus Sicht des Gutachters zu verneinen. Für den Bereich des Alkoholkonsums liessen die Angaben des Exploranden keine Abhängigkeitskriterien nachzeichnen, allerdings sei zu sehen, dass beim Ereignis vom 3. auf den 4. März 2019 doch eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt worden sei. In diesem Zusammenhang wäre aus gutachterlicher Sicht die Analyse einer Haarprobe wichtig gewesen, um festzustellen, ob es sich hier mehr um einen Einzelkonsum einen im Tatzeitraum regelmässig hohen Konsum mit einer Gewöhnung gehandelt habe. Eine solche Haarprobe sei aber soweit erkennbar nicht entnommen und analysiert worden. Festzuhalten sei aber für den Tatmoment gestützt auf die Angaben des Exploranden und die Resultate des IRM (Bern) – es wurde eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,51 ‰ gemessen, was zurückgerechnet auf den Tatzeitpunkt eine minimale BAK von 1,48 ‰ und eine max. BAK von 2,24 ‰ ergab – eine akute Alkoholintoxikation (ICD 10: F10.0).
Zusammenfassend kommt der Gutachter hinsichtlich der Schuldfähigkeit zu folgender Einschätzung: Als überdauernde Störung liege beim Exploranden eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typus) und eine ADHS vor. Tatzeitaktuell habe weiter eine Abhängigkeitsstörung für Cannabis vorgelegen (mit Konsum im Tatzeitraum) sowie eine akute Alkoholintoxikation. Im Blut habe schliesslich auch noch Kokain und dessen Metaboliten nachgewiesen werden können. Zum Eigenerleben lägen keine Angaben vor. Man wisse nun vom Exploranden, dass er aufgrund seiner Störung emotional instabil sei und auch, dass er dazu neige, sehr schnell aggressiv zu reagieren. Die hier gezeigte Aggressivität erscheine vor allem Wut gesteuert. Es liege zudem eine allgemeine erhöhte Impulsivität vor, d.h. konkret, dass seine Affekte stark und schnell wechselten, und auch, dass der Explorand generell Handlungsimpulse schlecht steuern könne.
Von vergleichbaren Fällen wisse man, dass es manchmal nur wenig brauche, eventuell nur ein Missverständnis, um Aggressionshandlungen zu provozieren. Denkbar sei auch ein Ausagieren von Gewalt an «Zufallsopfern» nach Frustrationserfahrungen an ganz anderer Stelle. Nicht als zur Gewalt motivierender, aber als bedeutsam enthemmender Faktor dürfte schliesslich die akute Alkoholisierung anzusehen sein. Gemäss dem Gutachter lasse sich nicht erkennen, dass der Explorand aufgrund seiner Störungen nicht in der Lage gewesen sein sollte, wissen zu können, dass ein solches Handeln unrecht sei. Es sei demnach von einer vollen Einsichtsfähigkeit zu sprechen.
In Bezug auf die Steuerungsfähigkeit könne aber von einer für die Beurteilung der Schuldfähigkeit doch bedeutsamen Verminderung gesprochen werden. Dies aufgrund der vorliegenden Störung und der naturell bedingt verminderten Emotionskontrolle und hohen Impulsivität des Exploranden in Verbindung mit enthemmend wirkenden Substanzen (wie vor allem Alkohol) und unter der Annahme, dass kein regelmässiger und hoher Alkoholkonsum vorgelegen habe und der Explorand damit eher diesbezüglich nicht sehr konsumgewohnt gewesen sei. Mit Blick allein auf die Störungen liege man dabei im denkbaren Bereich leichter bis mittelgradig verminderter Schuldfähigkeit. Schaue man auf die Tatmerkmale – gemäss den Feststellungen des Obergerichts ein eher «dosiertes» Zutreten, ein Vorgehen in Phasen, ein rasches Ergreifen der Flucht, nachdem der Beschuldigte bemerkt habe, dass die Polizei verständigt worden sei – so spreche dies zusammenfassend aus ärztlicher Sicht doch für eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nur in einem Masse, dass eine leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit zuerkannt werden könne.
3.2 Vor Obergericht führte der Gutachter aus, dass es ein komplexer Prozess sei, herauszufinden, welche Störungen vorlägen und welche Auswirkungen diese hätten; ob Einsicht bestehe und inwieweit eine Steuerungsfähigkeit vorhanden sei. Vorliegend lägen zwei Störungen vor, die einen Einfluss hätten. Zum einen sei dies eine Persönlichkeitsstörung mit einer impulsiven Komponente und zum anderen die akute Alkoholintoxikation, die nicht unerheblich gewesen sei. Diese Störungen könnten durchaus eine verminderte Schuldfähigkeit im Rahmen der Steuerungsfähigkeit auslösen. Der Rahmen der verminderten Schuldfähigkeit sei leicht- bis mittelgradig. Dann müsse man einen Vergleichsrahmen betrachten. Der Vergleichsrahmen beziehe sich nicht auf gesunde Menschen, sondern auf Straftäter, die vergleichbare Taten verübt und die Probleme im Persönlichkeitsbereich hätten. Gerade eine Alkoholisierung sei bei Gewaltdelikten häufig. Das müsse man hier berücksichtigen. In einem weiteren Schritt müssten die Tatmerkmale angeschaut werden: Ob es Hinweise gebe darauf, wie gesteuert bzw. ungesteuert das ganze Tatgeschehen gewesen sei. Wie habe die Person auf Aussenreize reagiert. Diese Punkte habe er im Gutachten dargelegt und diskutiert. Schliesslich sei eine Abwägung all dieser Faktoren vorgenommen worden und er sei gesamthaft zum Schluss gekommen, dass eine verminderte Schuldfähigkeit in einem leichten Masse gesehen werden könne.
Zur Legalprognose führte der Gutachter aus, dass deren Beurteilung sich auf verschiedene Faktoren stützte. Zum einen seien das die psychische Störung und ihre kriminogene Bedeutung. Es gebe aber noch andere Faktoren, z.B. Vorstrafen, Lebenssituation, Verhalten nach einer Bestrafung, etc. Der Beschuldigte sei mit leichten Delikten in Erscheinung getreten, z.B. Besitz von verbotenen Waffen, Verkehrsdelikte, etc. Man sehe bei ihm eine hohe Reizbarkeit und Impulsivität. Es sei in Zukunft mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit solchen Delikten wieder in Erscheinung trete. Im Bereich der schweren Gewaltdelinquenz habe er bisher noch keine Vorstrafen. Bei diesen Delikten sei das Risiko nicht deutlich erhöht; es sei für solche Delikte leicht- bis mittelgradig erhöht.
3.3 Gerichtliche Schlussfolgerung betreffend Schuldfähigkeit
3.3.1 Das Gericht weicht bei Gerichtsgutachten nach der Praxis nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des medizinischen Experten ab, dessen Aufgabe es ist, seine Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu anderen Schlussfolgerungen gelangt. Eine abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Richter als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass er die Überprüfung durch einen Oberexperten für angezeigt hält, sei es, dass er ohne Oberexpertise vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (Urteil des Bundesgerichts 6B_951/2009 vom 26.2.2010 E. 2.3.).
3.3.2 Die gutachterlichen Einschätzungen zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten sind ausführlich begründet und schlüssig. Es ist mit dem Gutachter davon auszugehen, dass der Beschuldigte im Tatzeitpunkt nicht schuldunfähig war: Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten erachtet der Gutachter zur Zeit der Tat als nicht tangiert und auch die Steuerungsfähigkeit war nicht aufgehoben, sondern lediglich vermindert. Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise, welche diese Einschätzung in Frage stellen. Demnach ist auch die dritte Voraussetzung der Strafbarkeit gegeben.
Der Beschuldigte ist der versuchten schweren Körperverletzung, begangen am 4. März 2019, schuldig zu sprechen.
3.3.3 In Bezug auf die weitere – für die nachfolgende Strafzumessung – relevante Frage, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten im Tatzeitpunkt vermindert war, sind die gutachterlichen Ausführungen ebenfalls plausibel (in Bezug auf die leicht abweichende Gewichtung, vgl. nachfolgende Ziffer 3.3.4). Vorab gilt es festzuhalten, dass gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 122 IV 49 E. 1b S. 50 f.) – im Sinne einer Faustregel – bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 2 und 3 ‰ von einer verminderten Schuldfähigkeit auszugehen ist. Es besteht in diesem Bereich mit anderen Worten eine Vermutung für die Verminderung der Schuldfähigkeit, wobei diese Vermutung im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden könne. Solche Gegenindizien sind vorliegend jedoch nicht erstellt. So liegen gemäss dem Gutachter keine verlässlichen Hinweise auf eine Alkoholgewöhnung vor. Eine Haarprobe, deren Analyse eine gewisse Gewöhnung an hohe Alkoholmengen hätte dokumentieren können, wurde nicht entnommen und auch der Beschuldigte selbst machte keine Angaben, die auf einen Gewöhnungseffekt schliessen lassen. In Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» ist demnach auf die rückgerechnete maximale BAK von 2,24 ‰ abzustellen und gestützt darauf (mit dem Gutachter) von einer akuten Alkoholintoxikation im Tatzeitpunkt auszugehen, die enthemmend wirkte. Gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen ist demgegenüber eine Kokain-Intoxikation im Tatzeitpunkt zu verneinen. Ebenfalls von Relevanz ist mit Blick auf die Steuerungsfähigkeit die diagnostizierte emotional instabile Persönlichkeitsstörung, für die eine Neigung zu Ausbrüchen von Wut und Gewalt und der Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren, charakteristisch sind.
3.3.4 In einer Gesamtschau geht das Berufungsgericht unter Berücksichtigung beider Störungen (akute Alkoholintoxikation und emotional instabile Persönlichkeitsstörung) von einer leicht- bis mittelgradig verminderten Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt aus. Wenn der Gutachter den konkreten Grad der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit unter Einbezug der Tatmerkmale und insbesondere unter Hinweis auf das eher «dosierte» Zutreten des Beschuldigten leicht tiefer einstuft und im Ergebnis auf eine nur leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit schliesst (OGer AS 262), ist dem nicht zu folgen: Den Begriff des dosierten Zutreten, der eine gewisse Kontrolle, Zurückhaltung und Mässigung suggeriert, hat das Berufungsgericht im Zwischenurteil vom 9. Dezember 2021 nicht verwendet. Es hat vielmehr in seinem Beweisergebnis die vom Beschuldigten angewandte Gewalt als erheblich bezeichnet und festgehalten, dass ihm aufgrund des dynamischen Geschehens gar nicht möglich gewesen sei, seine Schläge und Tritte verlässlich zu dosieren (vgl. OGer AS 217).
IV. Strafzumessung
1. Allgemeine Ausführungen
1.1 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden.
1.2 Nach Art. 50 StGB hat der Richter die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten. Diese Bestimmung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten Recht, wonach der Richter die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben muss, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch auffallend milde ist (BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 20 mit Hinweisen).
1.3 Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der (schwersten) anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafschärfungs- Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert, worauf innerhalb dieses neuen Rahmens die Strafe nach den üblichen Zumessungskriterien festzusetzen wäre. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint (BGE 136 IV 55 E. 5.8 S. 63 mit Hinweisen).
1.4 Die verminderte Schuldfähigkeit bezieht sich auf die Tat, weshalb die Tatkomponenten einem vermindert schuldfähigen Täter nur nach Massgabe der noch vorhandenen Rest-Schuldfähigkeit zugerechnet werden können. Dagegen bleibt die strafzumessungsrechtliche Relevanz der Täterkomponenten von der Verminderung der Schuldfähigkeit unberührt. Der Richter hat deshalb allein die sich aus den Tatkomponenten resultierende (hypothetische) Strafe nach Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit zu reduzieren (BGE 134 IV 132 E. 6.1).
1.5 Art. 22 StGB sieht vor, dass das Gericht beim Vorliegen eines Versuches die Strafe mildern kann. Das Gericht ist damit grundsätzlich nicht an die angedrohte Mindeststrafe gebunden (Art. 48a StGB). Das Mass der Reduktion hängt beim vollendeten Versuch unter anderem von der Nähe des tatbestandsmässigen Erfolgs und von den tatsächlichen Folgen der Tat ab (BGE 121 IV 49 E. 1). Methodisch ist wie folgt vorzugehen: In einem ersten Schritt ist eine hypothetische Strafe für das vollendete Delikt zu bestimmen und diese in der Folge unter Berücksichtigung des Versuchs zu reduzieren (Urteil des Bundesgerichts 6B_865/2009 vom 25.3.2010 E. 1.6.1).
1.6.1 Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. Die Anforderungen an die Prognose der Legalbewährung für den Strafaufschub liegen nach neuem Recht etwas tiefer. Während nach früherem Recht eine günstige Prognose erforderlich war, genügt nunmehr das Fehlen einer ungünstigen Prognose. Der Strafaufschub ist nach neuem Recht die Regel, von der grundsätzlich nur bei ungünstiger Prognose abgewichen werden darf (Urteil des Bundesgerichts 6B_214/2007 vom 13.11.2007 E. 5.3.2). Relevante Faktoren für die Einschätzung des Rückfallrisikos sind etwa die strafrechtliche Vorbelastung, die Sozialisationsbiographie und das Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen Hinweise auf Suchtgefährdungen (BGE 134 I 1 E. 4.2.1 S. 5).
1.6.2 Auch bei der Ausfällung einer teilbedingten Strafe ist Grundvoraussetzung das Bestehen einer begründeten Aussicht auf Bewährung. Die subjektiven Voraussetzungen von Art. 42 StGB gelten somit auch für die Anwendung von Art. 43 StGB. Beim Institut des teilbedingten Strafvollzuges ist der Strafzweck der Spezialprävention in den Vordergrund zu stellen. Art. 43 StGB hat die Bedeutung, dass die Warnwirkung des Teilaufschubes angesichts des gleichzeitig angeordneten Teilvollzuges für die Zukunft eine weitaus bessere Prognose erlaubt (vgl. zum Ganzen Entscheid BGE 134 IV 1 E. 5.5.2 S. 15).
1.6.3 In die Beurteilung der Bewährungsaussichten im Falle des Widerrufs des bedingten Strafvollzugs einer Freiheitsstrafe ist im Rahmen der Gesamtwürdigung auch miteinzubeziehen, ob die neue Strafe bedingt unbedingt ausgesprochen wird. Der Richter kann zum Schluss kommen, dass vom Widerruf des bedingten Vollzugs für die frühere Strafe abgesehen werden kann, wenn die neue Strafe vollzogen wird. Auch das Umgekehrte ist zulässig: Wenn die frühere Strafe widerrufen wird, kann unter Berücksichtigung ihres nachträglichen Vollzugs eine Schlechtprognose für die neue Strafe i.S. von Art. 42 Abs. 1 StGB verneint und diese folglich bedingt ausgesprochen werden (vgl. zum Ganzen: BGE 134 IV 140 E. 4).
2. Konkrete Strafzumessung
2.1 Strafrahmen
Der Strafrahmen für das vollendete Delikt (schwere Körperverletzung nach Art. 122 StGB) beträgt sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.
2.2 Tatkomponenten
2.2.1 In einem ersten Schritt ist eine hypothetische Strafe für das vollendete Delikt zu bestimmen. Hätte sich der vom Beschuldigten in Kauf genommene Erfolg realisiert, hätte die Privatklägerin eine bleibende Beeinträchtigung ihrer Hirnfunktionen erlitten. Dies stellt – auch mit Blick auf die gesamten von Art. 122 StGB erfassten Verletzungen – einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität dar.
Bezüglich der Art und Weise der Tatausführung ist dem Beschuldigten anzulasten, dass er völlig überraschend die Privatklägerin attackierte und ihr keine Chance für eine Abwehrhandlung liess. Der Attacke ging keine Provokation Kränkung des Opfers voraus und geschah, wie es die damalige Lebenspartnerin der Privatklägerin umschrieb, aus dem Nichts heraus. Das Vorgehen des Beschuldigten umfasste mehrere Phasen und lässt gar eine Steigerung erkennen: Obwohl er das Opfer bereits zu Fall gebracht hatte, wodurch dieses die linke Kopfseite auf dem harten Untergrund (Betonbelag) angeschlagen hatte und wehrlos in Bauchlage liegen geblieben war, setzte er seine Attacke fort, indem er den aufgrund des Aufpralls bereits beschädigten Kopf mit mehreren Faustschlägen und schliesslich auch noch mit Fusstritten traktierte. Die Schläge und Tritte waren gemäss dem Beweisergebnis von erheblicher Intensität. Als besonders verwerflich und brutal ist das mehrfache Eintreten auf den Kopf des wehrlosen Opfers zu werten. Das Vorgehen des Beschuldigten war auch hartnäckig. Die Tatsache, dass gleich mehrere Personen dem Opfer halfen, veranlasste ihn nicht zu einem Rückzug und es gelang ihm mehrmals, sich von den Griffen dieser Personen loszureissen. Erst als er mitbekommen hatte, dass die Polizei alarmiert werden konnte, liess er vom Opfer ab. Zu Gunsten des Beschuldigten ist zu berücksichtigen, dass der Tat keine Planung voraus ging, sondern diese spontan erfolgte. Auch brachte er keine Schlagwerkzeuge zum Einsatz. Des Weiteren handelte er nicht direktvorsätzlich, sondern bloss mit Eventualvorsatz, was verschuldensmässig weniger schwer wiegt. Über das Tatmotiv können letztlich nur Mutmassungen angestellt werden. Der Beschuldigte wollte sich nicht zum Tatvorwurf äussern bzw. machte gegenüber dem Gutachter eine Amnesie geltend. Denkbar sind Wut und Frustration, wofür das Opfer aber überhaupt keine Ursache setzte. Es steht fest, dass der Beschuldigte das Opfer nicht kannte, es folglich keine Vorgeschichte gab. Eine am Tatort anwesende Freundin der Privatklägerin äusserte in ihrer Befragung die Vermutung, der Beschuldigte könnte möglicherweise das Lachen der Gruppe als Auslachen empfunden haben. Selbst wenn dem so wäre, könnte dies in keiner Weise seine Attacke gegen die Privatklägerin rechtfertigen. Auch nach dem Gutachter bleibt im Dunkeln, was konkret beim Beschuldigten «diese Wut getriggert hat» (OGer AS 261).
Das Tatverschulden ist unter Berücksichtigung all dieser Faktoren – jedoch vor Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit – als leicht bis mittelschwer zu qualifizieren und hierfür ist eine Einsatzstrafe von 44 Monaten angemessen. Dieses Strafmass markiert den Übergang vom ersten (untersten) Strafdrittel zum zweiten (mittleren) Strafdrittel.
2.2.2 Strafmilderung zufolge verminderter Schuldfähigkeit
Anwendung findet der Strafmilderungsgrund von Art. 19 Abs. 2 StGB. Gestützt auf das ausführlich begründete und plausible Gutachten (vgl. hierzu vorstehende Ziff. III.3.1.2), die ergänzenden Ausführungen des Gutachters anlässlich der Berufungsverhandlung (vgl. Ziff. III.3.2) sowie die gerichtlichen Wertungen (vgl. Ziff. III.3.3.4) ist im Ergebnis von einer leicht- bis mittelgradig verminderten Schuldfähigkeit auszugehen. Das festgestellte leichte bis mittelschwere Tatverschulden reduziert sich deshalb auf ein leichtes Tatverschulden, welches im mittleren Bereich des untersten Strafdrittels anzusiedeln ist. Angemessen erweisen sich 30 Monate Freiheitsstrafe.
2.3 Strafmilderung zufolge versuchter Tatbegehung
Massgebend für den Umfang der Reduktion zufolge Versuchs (Art. 22 Abs. 1 StGB) sind die Nähe des tatbestandsmässigen Erfolgs und die tatsächlichen Folgen der Tat. Die Privatklägerin verlor nie das Bewusstsein während der Attacke und die vorgenommenen Untersuchungen lieferten keine Hinweise auf eine Verletzung des Gehirns. Eine besondere Nähe zum tatbestandsmässigen Erfolg war folglich nicht eingetreten. Hinsichtlich der tatsächlichen Folgen sind das Schädelhirntrauma 1. Grades und die dokumentierten Verletzungen zu nennen, wobei beim Opfer nach wie vor eine (leichte) Schwellung oberhalb des linken Auges zu erkennen ist. Dokumentiert ist zudem eine viertägige Arbeitsunfähigkeit, die Privatklägerin gab hierzu vor Obergericht zu Protokoll, sie habe einen Monat nicht zur Arbeit gehen können (OGer AS 137). Ebenso berichtete die Privatklägerin von Verspannungen im Hals- und Nackenbereich sowie von wiederkehrenden Kopfschmerzen (OGer AS 136). Seelisch hinterliess der Vorfall ebenfalls deutliche Spuren beim Opfer, welches vor erster und zweiter Instanz von Angstzuständen und Panikattacken berichtete.
In Anbetracht dieser Faktoren sowie unter Berücksichtigung der Praxis der Strafkammer erscheint eine Strafreduktion um 30 %, was 9 Monaten entspricht, angemessen (= 21 Monate).
2.4 Täterkomponente
Vorleben: Der Beschuldigte ist als [europäischer] Staatsbürger in der Schweiz geboren und wuchs hier zusammen mit zwei Brüdern bei seinen Eltern auf. Nach der obligatorischen Schulzeit begann er eine Lehre […], die er nach zwei Jahren abbrach. Nach einer Umschulung […] arbeitete er […] in verschiedenen Firmen sowie […] im Gastgewerbe. Vielfach, gerade in jüngerer Vergangenheit, war der Beschuldigte ohne Arbeit.
In Bezug auf die aktuellen Verhältnisse ist bekannt, dass der Beschuldigte arbeitslos ist, bei seinen Eltern wohnhaft ist und von der Sozialhilfe unterstützt wird (vgl. OGer AS 81 ff.).
Zu seinen Lasten wirken sich die zahlreichen Vorstrafen aus, wobei relativierend festzuhalten ist, dass diese nun schon lange zurückliegen. Aktuell gehen aus dem Strafregister folgende Vorstrafen hervor (OGer AS 59 ff.):
- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 18. September 2014: bedingt vollziehbare Geldstrafe von 45 Tagessätzen (bei einer Probezeit von 3 Jahren) wegen Beschimpfung, Drohung und Hausfriedensbruchs;
- Urteil des Amtsgerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt vom 19. September 2014: bedingt vollziehbare Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00 (bei einer Probezeit von 3 Jahren) wegen falscher Anschuldigung, Fahrens eines Motorfahrzeuges in fahrunfähigem Zustand, Vergehen gegen das Waffengesetz, Busse von CHF 300.00 wegen mehrfacher Übertretung nach Art. 19a BetmG;
- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 5. Oktober 2015: unbedingt vollziehbare Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je CHF 50.00 wegen mehrfachen Betrugs, mehrfachen Vergehens gegen das BetmG, Busse von CHF 500.00 wegen Übertretung nach Art. 19a BetmG; Teilzusatzstrafe zum Urteil vom 19. September 2014 des Amtsgerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt;
- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8. Oktober 2018: bedingt vollziehbare Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00 (bei einer Probezeit von 3 Jahren) wegen Vergehens gegen das Waffengesetz, Busse von CHF 120.00 wegen Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren.
Ebenso zu seinen Lasten ist ein deutliches Bewährungsversagen des Beschuldigten festzustellen: Die versuchte schwere Körperverletzung beging er, als die Probezeit von gleich drei Vorstrafen lief.
Die Vorstrafen und die Delinquenz während laufender Probezeit rechtfertigen eine Straferhöhung um drei Monate.
Das Nachtatverhalten ist insgesamt neutral zu gewichten: Der Beschuldigte machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und zeigte keine Reue Einsicht. Seit dem 4. März 2019, d.h. in den letzten drei Jahren, ist der Beschuldigte nicht mehr durch schwere Verstösse gegen die Rechtsordnung in Erscheinung getreten, bekannt sind während des laufenden Verfahrens vier Verstösse mit Bagatellcharakter (drei davon nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, vgl. OGer AS 63): Zweimaliges Fahren ohne gültigen Fahrausweis sowie zwei Widerhandlungen gegen das Gesetz über das Halten von Hunden (Nichtbezahlen der obligatorischen Hundesteuer). Hier bestätigt sich das vom Gutachter gezeichnete Bild, wonach der Beschuldigte aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung eine reduzierte Regeln- und Normengebundenheit aufweise. Im Rahmen der Täterkomponente ist auch die sog. Folgeberücksichtigung vorzunehmen. Der Beschuldigte wird – wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen erschliesst – gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB des Landes verwiesen. Diese Massnahme hat in erster Linie pönalen Charakter. Aus Sicht des Beschuldigten handelt es sich hierbei um die eigentliche Hauptstrafe. Sie ist deshalb im Rahmen des Sanktionenpakets im Umfang von drei Monaten strafmindernd zu berücksichtigen.
In einer Gesamtschau wirken sich die Täterkomponenten neutral auf das Strafmass aus. Es bleibt folglich bei einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten.
2.5 Vollzugsform
Dieses Strafmass würde grundsätzlich den Aufschub des Strafvollzugs erlauben (Art. 42 Abs. 1 StGB). Das Fehlen einer Schlechtprognose muss jedoch im vorliegenden Fall verneint werden: Dagegen sprechen die deliktrelevante Persönlichkeitsstörung, der in der Vergangenheit regelmässige und zeitweise ganz übermässige Konsum psychotroper Substanzen (Cannabis, Kokain, gelegentlich auch übermässiger Alkoholkonsum), die Vorstrafen, das Bewährungsversagen, die instabilen beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie das Fehlen von Einsicht und Reue. Ergänzend wird auf die gutachterlichen Ausführungen zur Legalprognose unter nachfolgender Ziff. V.3.1 verwiesen.
Die Freiheitsstrafe von 21 Monaten ist demnach zwingend zu vollziehen.
2.6 Anrechnung Untersuchungshaft
Der Beschuldigte war insgesamt 35 Tage (4. März 2019 bis 5. März 2019; 31. August 2020 bis 2. Oktober 2020) in Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Die erstandene Haft wird in diesem Umfang an die Freiheitsstrafe angerechnet.
3. Widerruf
Der Beschuldigte beging die versuchte schwere Körperverletzung am 4. März 2019. Zu diesem Zeitpunkt lief die Probezeit von drei Vorstrafen. Für die am 18. und 19. September 2014 ausgefällten Geldstrafen wurde die Probezeit ursprünglich auf drei Jahre festgesetzt und mit Strafbefehl vom 5. Oktober 2015 schliesslich um je die Hälfte (= 1 Jahr und 6 Monate) verlängert (OGer AS 59 f.). Damit lief die Probezeit am 17. bzw. 18. März 2019 ab. Da seither mehr als drei Jahre vergangen sind, darf gemäss Art. 46 Abs. 5 StGB der Widerruf nicht mehr angeordnet werden.
Kein Anwendungsfall von Art. 46 Abs. 5 StGB besteht in Bezug auf den mit Strafbefehl vom 8. Oktober 2018 gewährten bedingten Strafvollzug für eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00 bei einer Probezeit von drei Jahren.
Der Beschuldigte wird nun erstmals eine Freiheitsstrafe verbüssen müssen, deren Dauer mit 21 Monaten beachtlich ist. Es ist davon auszugehen, dass der Vollzug dieser Strafe die nötige Warnwirkung entfalten und auf den Beschuldigten einen gehörigen Eindruck machen wird. Unter Berücksichtigung dieses Strafvollzuges kann auf den Widerruf verzichtet werden.
V. Therapeutische Massnahme
1. Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht die öffentliche Sicherheit dies erfordert und die Voraussetzungen der Artikel 59 - 61, 63 64 StGB erfüllt sind. Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist. Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Art. 59 - 61, 63 und 64 StGB sowie bei der Änderung der Sanktion nach Art. 65 StGB auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters, die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten und die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (Art. 56 Abs. 1 - 3 StGB).
2. Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht gemäss Art. 63 Abs. 1 StGB anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
- lit. a: der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht; und - lit. b: zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
3. Zur Frage nach der Legalprognose und der Anordnung einer Massnahme äussert sich der Gutachter Dr. S.___ wie folgt (OGer AS 262 ff.)):
3.1 Zur Bestimmung der Legalprognose wandte Dr. S.___ das statistische Prognoseinstrumente VRAG, das Instrument des PCL-R zur Prüfung der Psychopathy nach Prof. Hare und die Basler Kriterien nach Prof. Dr. Dittmann («Dittmann»-Liste) an. Bei der Anwendung des VRAG wurde gemäss Gutachter ein Summenwert von 11 erreicht, was der 6. von insgesamt 9 Risikokategorien entspricht. Das Rückfallrisiko für erneute Anklagen und Verurteilungen wegen eines Gewaltdelikts (einschliesslich Sexualdelikten) liege bei Straftätern mit einer vergleichbaren Merkmalskombination bei einem Beobachtungszeitraum von 7 Jahren bei 44 % und bei einem Beobachtungszeitraum von 10 Jahren bei 58 % (OGer AS 268 f.). Auf der Psychopathy-Scale nach Prof. Hare erreiche der Beschuldigte einen erhöhten Wert, der ermittelte Score (Gesamtsumme von 20 Punkten) liege aber unterhalb der Schwelle von 25 Punkten, ab welcher üblicherweise vom Vorliegen einer Psychopathy gesprochen werde (OGer AS 263, 268).
Der Gutachter kommt zum Schluss, dass mehrere deliktrelevante Störungen vorlägen. Beim Beschuldigten bestünden eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus (ICD-10: F60.30), eine ADHS (ICD-10: F90) sowie eine Suchtproblematik (regelmässiger und zeitweise ganz übermässiger Konsum psychotroper Substanzen, v.a. Cannabis, aber auch Kokain, gelegentlich auch übermässiger Alkoholkonsum, letzteres nachweislich im Tatzeitpunkt mit einer BAK von max. 2,24 ‰). Der Beschuldigte sei des Weiteren mit einem breiten Spektrum von unterschiedlichen Delikten in Erscheinung getreten (kriminelle Vielseitigkeit), jedoch nun erstmals mit einer schweren Gewalthandlung, die wie ein singuläres Ereignis erscheine und dessen Einordnung umso schwerer falle, als Auslöser und die Zusammenhänge unscharf blieben. Es bleibe unklar, was konkret die Wut getriggert habe (OGer AS 261). Vermutlich habe es hier Zufallsfaktoren gegeben vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeitsproblematik und der zusätzlichen enthemmend wirkenden Intoxikation zum Tatzeitpunkt. Zufallsfaktoren liessen sich aber nicht vorhersagen. Weil der Explorand angebe, weiter zu konsumieren, wenn auch – dies nach seinen eigenen Angaben, objektive Beweise hierfür fehlen – weniger als früher, und die Persönlichkeitsstörung überdauernd sei, sei durchaus eine Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass Ähnliches wieder passiere. Nicht zu sehen sei aber, dass er regelmässig in solche Tatsituationen gerate und immer das gleiche, deliktische Verhaltensmuster zeige. Zusammenfassend könne das Rückfallrisiko für erneute Gewaltdelinquenz in einem tiefen bis mittleren Bereich angesiedelt werden. Deutlich höher sei das Risiko angesichts der Unbeherrschtheit des Beschuldigten für Delikte in der Art wie Beschimpfung und Drohung. Bedenklich sei des Weiteren die besondere Waffenaffinität des Beschuldigten, wobei nicht bekannt sei, dass er schon jemals Waffen gegen andere zum Einsatz gebracht habe. Erhöht sei die legalprognostische Belastung auch für die anderen Deliktbereiche, in welchen der Beschuldigte bislang in Erscheinung getreten sei (hierzu zählen: SVG-Delikte, BetmG-Delikte, Widerhandlungen gegen das Waffengesetz, Betrugsdelikte).
3.2 In Bezug auf die Frage einer Massnahme hält der Gutachter fest, dass ein enger Zusammenhang zwischen den relevanten psychischen Störungen und dem gezeigten Tatverhalten bestehe und dass mit einer Behandlungsmassnahme dieser Belastung entgegengetreten werden könne. Konkret empfiehlt der Gutachter – im Falle einer Verurteilung zu einer unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe – die Anordnung einer strafvollzugsbegleitenden ambulanten Therapie nach Art. 63 StGB (OGer AS 263 f.).
3.3 Vor Obergericht bestätigte der Gutachter seine Empfehlung sowie seine Ansicht, wonach eine ambulante strafvollzugsbegleitende Massnahme gut durchführbar sei. Der Beschuldigte sei motiviert. Er sei offen, sich mit sich und seinen Problemen auseinanderzusetzen. Die Erfolgsaussichten seien gut. Vom Zeithorizont her sei eine zwei- bis dreijährige Therapie mit einer wöchentlichen Sitzung ein guter Rahmen. Idealerweise sollte die Massnahme nach Haftende fortgesetzt werden. Zumal sich dann neue Herausforderungen stellen würden; gerade betreffend Umgang mit Suchtmitteln. Es gebe viele Problematiken, an denen man arbeiten müsse.
4. Der Beschuldigte führte vor Obergericht aus, dass er bereit sei, sich im Rahmen einer ambulanten Therapie mit seinen psychischen Problemen auseinanderzusetzen. Auf die Frage, ob er offen sei für eine medikamentöse Behandlung führte er aus, er sei skeptisch, wenn es um Medikamente gehe. Er habe mal Erfahrungen gemacht mit Medikamenten. Er sei nicht überzeugt davon. Ansonsten sei er offen.
5. Würdigung
Die gutachterlichen Ausführungen zur Frage der Massnahme sind schlüssig und überzeugend. Eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB ist gestützt auf das psychiatrische Gutachten indiziert. Die Voraussetzungen von Art. 56, 63 StGB sind erfüllt.
Eingehend zu prüfen ist nachfolgend (Ziff. V.6.), ob das strafprozessuale Verschlechterungsverbot der Anordnung einer solchen Massnahme entgegensteht.
6. Reformatio in peius
6.1 Es stellt sich die Frage, ob die Anordnung einer ambulanten Massnahme nach Art. 63 StGB das Verschlechterungsverbot verletzt, wenn die Vorinstanz auf die Anordnung einer solchen verzichtet hatte.
6.2 Nach Art. 391 Abs. 2 StPO darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist (Verschlechterungsverbot, «reformatio in peius»). Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten. Für die Frage, ob eine unzulässige reformatio in peius vorliegt, ist das Dispositiv massgebend (BGE 147 IV 167 E. 1.5.2; 142 IV 129 E. 4.5; 139 IV 282 E. 2.6). Wird eine Anschlussberufung ergriffen, hebt diese im Umfang ihrer Anträge (Art. 401 Abs. 1 i.V.m. Art. 399 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 399 Abs. 4 lit. c StPO) das Verschlechterungsverbot auf (vgl. BGE 147 IV 167 E. 1.5.2 f.; Urteil 6B_1385/2019 vom 27. Februar 2020 E. 5.2.2; je mit Hinweisen). Die Rechtsprechung hat eine Verletzung des Verschlechterungsverbots bei der Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme im Berufungsverfahren verneint (BGE 144 IV 113 E. 4.3; Urteil 6B_805/2018 vom 6. Juni 2019 E. 1.3.2; je mit Hinweisen). Bislang hat sie sich nicht dazu ausgesprochen, ob eine erstmalige Anordnung einer ambulanten Massnahme im Berufungsverfahren zulässig ist, wenn erstinstanzlich darauf verzichtet wurde. Die Lehre hat sich unter Berufung auf das Verschlechterungsverbot mehrheitlich dagegen ausgesprochen; demgegenüber sei der Austausch therapeutischer Massnahmen grundsätzlich zulässig (Viktor Lieber, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 16 ff. zu Art. 391; Richard Calame, in: Commentaire romand, Code de procédure pénal suisse, 2. Aufl. 2019, N. 8 zu Art. 391 StPO; Marianne Heer, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 28 f. zu Art. 56 StGB; vgl. Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 1492 sechster Spiegelstrich).
6.3 Im publizierten Leitentscheid vom 12. Januar 2022 (BGE 148 IV 89) hat das Bundesgericht diese Frage nun geklärt. Es führt aus (E. 4.4):
«Vorliegend hatte das Kriminalgericht entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft von der Anordnung einer ambulanten Massnahme abgesehen. Diese verzichtete in ihrer Anschlussberufung darauf, erneut die Anordnung zu beantragen. Die Vorinstanz ordnete dennoch eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB an. Die Situation präsentiert sich vorliegend anders als bei der Umwandlung von einer ambulanten in eine stationäre Massnahme, die nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstösst (BGE 144 IV 113 E. 4.3; Urteil 6B_805/2018 vom 6. Juni 2019 E. 1.3.2; je mit Hinweisen). Eine einmal angeordnete ambulante Massnahme wird nur unter bestimmten Voraussetzungen wieder aufgehoben, nämlich zufolge erfolgreichen Abschlusses, Aussichtslosigkeit, Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer Erfolgslosigkeit (vgl. Art. 63a Abs. 2 und 3 StGB). Eine Aufhebung alleine auf Wunsch des Täters, wie dies im Rahmen einer freiwilligen Therapie grundsätzlich möglich ist, ist ausgeschlossen. Zudem kann eine aufgehobene ambulante Massnahme in eine andere ambulante Massnahme (BGE 143 IV 1 E. 5.4) in eine stationäre therapeutische Massnahme nach den Art. 59-61 StGB (Art. 63b Abs. 5 StGB) umgewandelt werden. Eine Umwandlung ist unter strengen Voraussetzungen selbst nach vollständiger Verbüssung der Strafe noch möglich (BGE 136 IV 156 E. 2 mit Hinweisen; Urteil 6B_805/2018 vom 6. Juni 2019 E. 1.3.1). Bei einer freiwilligen Therapie, wie sie sich der Beschwerdeführer nach dem erstinstanzlichen Urteil unterzogen hat, ist eine Umwandlung ausgeschlossen. Hier besteht einzig die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung einer stationären Massnahme durch das Gericht, welches die Strafe ausgesprochen hat (Art. 65 Abs. 1 StGB). Für die (nachträgliche) Anordnung und die Umwandlung von Massnahmen sind sowohl unterschiedliche Verfahren als auch unterschiedliche Voraussetzungen vorgesehen (vgl. BGE 145 IV 167 E. 1.6 f. mit Hinweisen). Die nachträgliche Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme anstelle einer reinen Strafe erfordert in jedem Fall, dass sich vor während des Vollzugs der Freiheitsstrafe - und damit nach der Rechtskraft des Urteils - neue Tatsachen Beweismittel ergeben haben, welche die Voraussetzungen einer Massnahme begründen können (BGE 142 IV 309 E. 2.3 mit Hinweisen). Nur der Täter, gegen den bereits erstinstanzlich eine therapeutische Massnahme angeordnet wurde, trägt von vornherein das Risiko einer nachträglichen Anpassung bzw. Umwandlung der angeordneten Massnahme. Die erstmalige Anordnung der ambulanten Massnahme im Berufungsverfahren verletzt daher das Verschlechterungsverbot nach Art. 391 Abs. 2 StPO.»
6.4 Nachdem, wie eingangs erwähnt (Ziff. V.6.1), die Vorinstanz von einer therapeutischen Massnahme abgesehen hat, ist der Berufungsinstanz deren (erstmalige) Anordnung aufgrund des Verschlechterungsverbots verwehrt. Der Antrag der Staatsanwaltschaft ist deshalb abzuweisen.
VI. Landesverweisung
1.1 Die von Volk und Ständen angenommene Verfassungsinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer» (Ausschaffungsinitiative) und deren Umsetzung durch das verfassungsrechtlich berufene Organ des Bundesparlaments führt zu einer klaren Verschärfung der Praxis mittels der strafrechtlichen Landesverweisung (BGE 145 IV 55 E.4.3 S. 62). Nach Art. 66a Abs. 1 StGB hat das Gericht eine Person ausländischer Staatsangehörigkeit aus der Schweiz zu verweisen, wenn diese wegen einer der in den lit. a bis lit. o abschliessend aufgezählten Katalogtaten verurteilt wird; dies unabhängig von der verhängten Strafhöhe. Die Dauer der obligatorischen Landesverweisung beträgt – mit Ausnahme des Wiederholungsfalls, der Art. 66b StGB regelt – mindestens fünf und maximal 15 Jahre. Art. 66a Abs. 1 StGB erfasst auch den Versuch einer Katalogtat (BGE 144 IV 168 E. 1.4.1 S. 171). Das Gericht hat bei der Festlegung der Dauer der Landesverweisung insbesondere den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (Carlo Bertossa in: PK StGB, Art. 66a StGB N 7 mit Verweis auf die Botschaft S. 6021).
Ausländer sind alle Personen, die im Zeitpunkt der Tat nicht über das schweizerische Bürgerrecht verfügen. Auf den ausländerrechtlichen Status kommt es demgemäss nicht an. Hinsichtlich der Landesverweisung von EU-Bürgern und der Tragweite des Freizügigkeitsabkommens (FZA) hat das Bundesgericht in BGE 145 IV 364 folgendes festgehalten: Mit dem Abschluss des FZA hat die Schweiz Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU im Wesentlichen ein weitgehendes und reziprokes Recht auf Erwerbstätigkeit eingeräumt. Das FZA enthält keine strafrechtlichen Bestimmungen und ist kein strafrechtliches Abkommen (BGE 145 IV 55 E. 3.3 S. 59). Das FZA hat keinen Einfluss auf die Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts. Die Schweiz hat jedoch bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu beachten (E. 3.4.1). Die aufgrund des FZA eingeräumten Rechte dürfen nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden (E. 3.5). Bei der strafrechtlichen Landesverweisung ist deshalb – soweit Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU betroffen sind – im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Massnahme zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verhältnismässig ist (E. 3.9).
1.2 Das Gericht kann nach Art. 66a Abs. 2 StGB ausnahmsweise von der obligatorischen Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde (sog. Härtefallklausel) und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (sog. Interessenabwägung, Angemessenheit Verhältnismässigkeit im engeren Sinne).
Art. 66a Abs. 2 StGB ist zwar als «Kann»-Vorschrift formuliert, was aber nicht heisst, dass das Gericht frei entscheiden kann, ob es die Bestimmung zur Anwendung bringt nicht. Sind die Voraussetzungen von Art. 66a Abs. 2 StGB erfüllt, verlangt das in Art. 5 Abs. 2 BV verankerte Verhältnismässigkeitsprinzip, von einer Landesverweisung abzusehen (BGE 144 IV 332 E. 3.3 S. 339 f. sowie Urteil des Bundesgerichts 6B_1070/2018 vom 14.8.2019 E. 6.2.3).
Art. 66a StGB lässt mit der Härtefallklausel in Abs. 2 eine individuelle Einzelfallbeurteilung zu (Urteil des Bundesgerichts 6B_378/2018 vom 22.5.2019 E. 2.2, zur Publikation vorgesehen). Die Härtefallklausel ist nach der Intention des Gesetzgebers und dem Gesetzeswortlaut restriktiv anzuwenden (Urteile des Bundesgerichts 6B_378/2018 vom 22.5.2019 E. 2.2; 6B_907/2018 vom 23.11.2018 E. 2.3 mit Hinweis auf 6B_371/2018 vom 21.8.2018 E. 2.5). Bei deren Prüfung hat das Gericht namentlich der besonderen Situation von in der Schweiz geborenen aufgewachsenen Ausländern (sog. «Secondos») Rechnung zu tragen (vgl. Satz 2), zumal diese oftmals keinen Bezug mehr zu ihrem Heimatstaat haben und nur noch formell Ausländer sind, was am Ausländerstatus nichts ändert, in der Verhältnismässigkeitsprüfung aber wesentlich ins Gewicht fallen kann (vgl. Urteil 2C_826/2018 vom 30.1.2019 E. 8.2.3). Diese (Ausländer der zweiten Generation begünstigende) Praxis ist mit Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB Gesetz geworden (Urteil 6B_627/2018 vom 22.3.2019 E. 1.5).
Im Rahmen der Härtefallprüfung sind einerseits die Verwurzelung des Beschuldigten in der Schweiz und andererseits seine Reintegrationschancen in seiner Heimat zu untersuchen. Im Einzelnen sind die Anwesenheitsdauer, die familiären Verhältnisse, die Arbeits- und Ausbildungssituation sowie die Resozialisierungschancen zu gewichten, wobei jeweils die Situation in der Schweiz und im Heimatland zu berücksichtigen ist (Busslinger/Übersax in: plädoyer 5/16 S. 96 ff.).
1.3 Wird der schwere persönliche Härtefall bejaht, ist sodann in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob das öffentliche Interesse an der Landesverweisung die privaten Interessen der beschuldigten Person an einem Verbleib überwiegt. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ausweisung in angemessenem Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht, sind die folgenden Kriterien zu berücksichtigen: Die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in der Schweiz, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmestaat und das Ausmass seiner Bindungen zum Herkunftsstaat. Weiter ist der Schweregrad der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen (Gless/Petrig/Tobler in: forum poenale 2/2018, S. 97 ff.).
Bei der Prüfung der öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung sind die Höhe der ausgefällten Strafe, die Deliktsart, die strafrechtliche Vorbelastung sowie die Frage, ob die betroffene Person bereits einmal eine Freiheitsstrafe verbüssen musste und vom Migrationsamt hat verwarnt werden müssen, zu berücksichtigen (Busslinger/Übersax, a.a.O., S. 103).
Überwiegen die öffentlichen Interessen, so ist selbst bei Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls eine Landesverweisung auszusprechen, wobei die vorgängige Bejahung eines Härtefalls stets ein erhebliches privates Interesse impliziert. Sind die privaten Interessen jedoch höher zumindest gleich hoch einzustufen wie das öffentliche Interesse, ist von einer Landesverweisung abzusehen.
1.4 Von einer Landesverweisung kann ferner gemäss Art. 66a Abs. 3 StGB abgesehen werden, wenn die Tat in entschuldbarer Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB) in entschuldbarem Notstand (Art. 18 Abs. 1 StGB) begangen wurde. Die Aufzählung der Strafmilderungsgründe in Abs. 3 von Art. 66a StGB ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung abschliessender Natur (BGE 144 IV 168 E. 1.4.2 S. 171 f.).
2. Im vorliegenden Fall hat sich der Beschuldigte, der [europäischer] Staatsbürger ist, wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht. Es liegt damit eine Anlasstat für die sog. obligatorische Landesverweisung vor (Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB).
2.1 In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die Landesverweisung für den Beschuldigten einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde.
Die Vorinstanz hat einen schweren persönlichen Härtefall verneint (vgl. hierzu US 39). Fest steht, dass der Beschuldigte in der Schweiz sowohl geboren als auch aufgewachsen ist. Er hat bislang weder in seinem Heimatstaat noch in einem anderen Staat ausserhalb der Schweiz gelebt. Er ist seit seiner Geburt im Besitz der Niederlassungsbewilligung und zwischenzeitlich annähernd 35 Jahre in der Schweiz wohnhaft. Damit gehört er zu genau jener Gruppe von ausländischen Staatsbürgern, welche der Gesetzgeber mit Einführung der Härtefallklausel im Blick hatte (vgl. Art. 66a Abs. 2 [Satz 2] StGB: «Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind.»). Seine familiären und sozialen Bezugspersonen leben alle in der Schweiz. Es sind dies seine Eltern, die beiden Brüder, seine Schwägerin und seine Nichte. Seine Partnerin L.___ lebt ebenfalls in der Schweiz und ist Schweizer Staatsbürgerin. Der Beschuldigte ist ledig und kinderlos. Mit seinen Eltern scheint der Beschuldigte in einem engen Verhältnis zu stehen: So geht aus den Ausführungen des Verteidigers und den Erhebungsberichten hervor, dass die Eltern ihren Sohn wieder bei sich aufgenommen haben. Die Eltern haben eine stützende Funktion und dies nicht nur finanziell, sondern auch ganz allgemein in Bezug auf die Alltagsbewältigung. In Bezug auf seine familiären Verhältnisse liess der Beschuldigte ausführen, dass von seiner Familie nur noch ein Onkel (väterlicherseits) [im Herkunftsland] lebe, wobei er zu diesem keinen Kontakt mehr pflege. Letztmals [im Herkunftsland] soll der Beschuldigte vor mittlerweile 4 Jahren im Rahmen eines Ferienaufenthaltes gewesen sein (vgl. die Ausführungen des Verteidigers im Haftbeschwerdeverfahren, Dossier-BKBES, AS 57). Seine näheren Bezugspersonen leben somit ausschliesslich hier in der Schweiz. Die Schweiz ist nun seit 34 1/2 Jahren ununterbrochen sein Lebensmittelpunkt. Ein schwerer persönlicher Härtefall ist bei dieser Ausgangslage zu bejahen, auch wenn einzuräumen ist, dass die Integration des Beschuldigten in beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht trotz dieser sehr langen Aufenthaltsdauer bislang nicht gelang. Darauf (wie auch auf die Resozialisierungschancen des Beschuldigten [im Herkunftsland]) ist im Rahmen der nachfolgenden Interessenabwägung näher einzugehen.
2.2 Interessenabwägung
Nachdem ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht worden ist, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung die privaten Interessen des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz überwiegen.
2.2.1 Zu den öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung ist Folgendes festzuhalten: Die vom Beschuldigten begangene versuchte schwere Körperverletzung (Anlasstat für die obligatorische Landesverweisung) stellt ein schweres Verbrechen dar. Die körperliche Integrität ist eines der zentralsten Rechtsgüter überhaupt. Dementsprechend schwer wiegt deren Verletzung, was der Gesetzgeber mit dem angedrohten Strafmass (Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren) und der Sanktionsart (ausschliesslich Freiheitsstrafe) zum Ausdruck gebracht hat. Nach dem Beweisergebnis traf die Attacke des Beschuldigten das Opfer völlig unerwartet und ohne dass dieses hierfür irgendeine Ursache (z.B. Provokation, Kränkung) gesetzt hätte. Die Tat war von erheblicher Gewalt gekennzeichnet. Besonders gravierend ist mit Blick auf die öffentlichen Interessen (Wahrung der öffentlichen Sicherheit), dass der Beschuldigte das Opfer zuerst mit Wucht zu Fall brachte und dann, als dieses bereits wehrlos auf dem Bauch auf dem Boden lag, gleich mehrfach auf den Kopf eintrat. Das Tatverschulden wurde – unter Berücksichtigung der im Tatzeitpunkt bestehenden leicht- bis mittelgradig verminderten Schuldfähigkeit – als leicht qualifiziert. Der Beschuldigte manifestierte mit der Anlasstat eine besondere Gefährlichkeit und Brutalität. Der Schutz der Allgemeinheit vor Gewaltdelinquenz ist ein besonders hochwertiges öffentliches Interesse und zugleich ein Kernanliegen der Landesverweisung. Die Interessen an einer Landesverweisung zur Wahrung der Sicherheit sind mit Blick auf die Anlasstat besonders hoch zu gewichten. Die Prüfung der öffentlichen Interessen erschöpft sich nicht in einer isolierten Betrachtung des Anlassdeliktes. Einzubeziehen sind auch die Vorstrafen des Beschuldigten, wobei das Gericht auch die vor dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangenen Straftaten berücksichtigen darf (Urteil des Bundesgerichts 6B_651/2018 vom 17.10.2018 E. 8.3.3). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist es auch zulässig, aus dem Strafregister entfernte Verurteilungen zu berücksichtigen; gelöschte Straftaten seien in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen (Urteil 6B_188/2021 vom 23. Juni 2021 E. 2.2.1 mit dem weiteren Hinweis auf das Urteil 6B_1044/2019 vom 17. Februar 2020 E. 2.6). Im Strafregister sind aktuell vier Vorstrafen verzeichnet, es kann auf die Auflistung unter vorstehender Ziff. IV.2.4 verwiesen werden. Keine dieser Vorstrafen erreicht den Schweregrad der Anlasstat, doch kann auch nicht von Bagatelldelikten die Rede sein und es fällt die kriminelle Vielseitigkeit bzw. die Bandbreite der verletzten bzw. gefährdeten Rechtsgüter auf (Vergehen gegen das Waffengesetz, Verkehrsdelikte, mehrere Widerhandlungen gegen das BetmG, Delikte gegen das Vermögen, gegen die Rechtspflege, mehrere Vergehen gegen die Freiheit). Festzuhalten ist auch, dass der mehrfache Betrug, begangen am 14. Juli 2014 und 21. August 2014 – nach neuem Recht – eine Katalogtat für die obligatorische Landesverweisung darstellt (vgl. Art. 66a Abs. 1 lit. f StGB). Die falsche Anschuldigung (Art. 303 StGB), begangen im Frühling 2013, bildet nach neuem Recht keine Katalogtat, ist aber ebenfalls kein leichtes Delikt: Der Beschuldigte wurde schuldig gesprochen, weil er einen Arbeitskollegen wider besseres Wissens einer Übertretung (Tätlichkeiten) beschuldigte (Anwendungsfall von Art. 303 Ziff. 2 StGB: Vergehen, kein Verbrechen). Hervorzuheben ist auch die Verurteilung wegen mehrfachen Vergehens gegen das BetmG im Jahre 2015: Der Beschuldigte verschenkte und verkaufte nicht nur Kleinstmengen Marihuana an Drittpersonen, sondern nahm auch zweimalig eine Hanf-Indooranlage mit mindestens 98 Pflanzen in Betrieb und unterhielt diese, was eine nicht unbeachtliche kriminelle Energie voraussetzte (vgl. Vorakten: STA.2015.2199, AS 3 sowie Fotos unter AS 45). Am 4. April 2014 drang der Beschuldigte gegen den Willen in die Privatwohnung der Geschädigten ein (Schuldspruch wegen Hausfriedensbruch) und zwei Tage später bedrohte er deren Partner mittels einer Geste (konkret fuhr der Beschuldigte mit seiner Hand waagrecht vor seinem Hals vorbei) mit dem Tod (vgl. Strafbefehl vom 18.9.2014, STA.2014.2525). Aus den beigezogenen Vorakten gehen schliesslich zwei weitere, zwischenzeitlich im Strafregister gelöschte Verurteilungen hervor wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und Fahrens ohne Führerausweis (Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13.11.2008) sowie wegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung (Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 26.1.2010, STA.2009.4225). Der Amtsbericht des Migrationsamtes vom 19. März 2019 erwähnt insgesamt 11 Strafverfahren, welche mit einer Verurteilung des Beschuldigten endeten (AS 262). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 aufgrund seines straffälligen Verhaltens ermahnt und ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass straffällige Ausländer aus der Schweiz weggewiesen werden können. Das Migrationsamt machte ihm mit dem Schreiben unmissverständlich klar, dass von ihm künftig ein klagloses Verhalten erwartet wird (AS 262). Diese Ermahnung konnte nicht eine grundlegende Haltungsänderung und eine – längerfristige – Abkehr von der Delinquenz bewirken (vgl. Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8.10.2018 sowie die – in der Gesamtschau – am schwersten wiegende Tat der versuchten schweren Körperverletzung). In die Würdigung der öffentlichen Interessen hat auch die belastete Legalprognose (vgl. hierzu die Ausführungen des Gutachters: Ziff. V.3.1), die fehlende berufliche und wirtschaftliche Integration sowie die Verschuldung des Beschuldigten einzufliessen. Obwohl der Beschuldigte hier geboren und aufgewachsen ist, gelang es ihm nicht, in der Schweiz beruflich längerfristig Fuss zu fassen: Der Beschuldigte ist aktuell arbeitslos. Ebenso ist keine Erwerbstätigkeit für die Jahre 2021 und 2020 dokumentiert. Die letzten Anstellungen gehen auf das Jahr 2019 zurück: Einmonatige Anstellung im [Restaurant 1] in […] im Mai 2019 sowie zweimonatiger Einsatz im September und Oktober 2019 über eine Personalvermittlungsplattform (OGer AS 150). Häufig war der Beschuldigte nur temporär für wenige Monate erwerbstätig. Die längsten Anstellungen in der Gastronomie und im Logistikbereich dauerten in etwa ein Jahr bzw. in einem Fall etwas mehr als 1 ¾ Jahre (vgl. OGer AS 150: Anstellung im [Restaurant 2] in […] von Dezember 2012 bis September 2013; OGer AS 149: Anstellung im bei der K.___ AG von Februar 2010 bis März 2011; OGer AS 116 f.: Anstellung [in einer Firma] in […] von September 2006 bis Juli 2008). Die finanzielle Situation des Beschuldigten ist stark getrübt: Es ist auf das eingeholte Verlustscheinregister (OGer AS 91 ff.) und auf den Auszug aus dem Betreibungsregister (OGer AS 87 ff.) zu verweisen: Es bestehen 57 nicht getilgte Verlustscheine aus Pfändungen im Umfang von CHF 68'639.80. Der Beschuldigte ist aktuell auf Sozialhilfeleistungen angewiesen (vgl. OGer AS 81 ff.: monatlicher Betrag von CHF 877.50 im Jahr 2021). 2.2.2 Private Interessen und Chancen auf Integration [im Herkunftsland]
Die privaten Interessen an einem Verbleib des Beschuldigten in der Schweiz sind gewichtig, da dieses Land nun seit 34 1/2 Jahren seine Heimat und sein Lebensmittelpunkt ist. Demzufolge wurde auch ein Härtefall bejaht. Nicht behauptet werden kann jedoch, die Integration [im Herkunftsland] sei von Vornherein zum Scheitern verurteilt, denn es sind auch Anknüpfungspunkte auszumachen. So spricht der Beschuldigte fliessend die […] Sprache. Damit verfügt er über eine Schlüsselkompetenz im Hinblick auf die Integration [im Herkunftsland]. Dass ihm der aktive mündliche Gebrauch der […] Sprache Probleme bereitet, wie dies der Beschuldigte vor Obergericht nun erstmals behauptet hat, ist nicht glaubhaft. […] ist seine Erstsprache und er hat sich bislang nur dahingehend geäussert, dass er [sie] einfach nicht perfekt schreiben könne (AS 150). Dass seine schriftlichen Kenntnisse der […] Sprache weniger gut sind, wird seine Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt einschränken. Relativierend muss hierzu aber ausgeführt werden, dass der Beschuldigte bislang berufliche Tätigkeiten im Niedriglohnsektor wahrgenommen hat, die keine besonderen schriftlichen Kenntnisse erforderten (z.B. in der Gastronomie […]). Mit Blick auf den bedeutsamen Tourismus- und Gastgewerbesektor [im Herkunftsland] kann nicht behauptet werden, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt seien dort wesentlich schlechter als in der Schweiz. Seine sehr guten Deutschkenntnisse werden dem Beschuldigten, der eine Anstellung im Gastgewerbesektor anstrebt, angesichts der zahlreichen Touristen [im Herkunftsland] aus dem deutschsprachigen Raum von Vorteil sein. Die Ausganslage in beruflicher Hinsicht dürfte somit zumindest vergleichbar sein. Die Schwierigkeiten, mit welchen sich der Beschuldigte in sozialer und beruflicher Hinsicht konfrontiert sieht, sind sowohl in der Schweiz als auch [im Herkunftsland] dieselben: abgebrochene Lehre, relativ tiefer Bildungsstand und vor allem sein Störungsbild (emotional instabile Persönlichkeitsstörung, ADHS, Cannabis-Abhängigkeitssyndrom).
Dass der Beschuldigte gemäss seinen eigenen Angaben [im Herkunftsland] nur noch einen Onkel hat und seine nahen Bezugspersonen alle in der Schweiz leben und hier gemäss den Angaben des Beschuldigten vor Obergericht auch hier bleiben wollen, wird ihn hart treffen. Dieser Nachteil ist aber mit Blick auf die gewichtigen öffentlichen Interessen und vor dem Hintergrund, dass die Härtefallklausel nach dem Willen des Gesetzgebers und gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung restriktiv anzuwenden ist, hinzunehmen. Sofern der Beschuldigte eine Erwerbstätigkeit findet, darf er sich als EU-Bürger auch in der Nähe seiner Bezugspersonen in Deutschland Österreich aufhalten (vgl. hierzu auch Ziff. VI.2.6).
2.3 Zusammenfassend überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung des Beschuldigten dessen privaten Interessen an einem weiteren Verbleib in der Schweiz. Demzufolge sind die Voraussetzungen von Art. 66a Abs. 2 StGB nicht erfüllt.
2.4 Der Anordnung einer Landesverweisung kann das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA; SR 0.142.112.681) entgegenstehen (BGE 145 IV 364 E. 3.9). Das FZA gewährt Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern der Europäischen Union unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz (Art. 1 Bst. a FZA). Dieser Anspruch darf grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA entzogen werden, namentlich wenn die Landesverweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit Gesundheit gerechtfertigt ist (vgl. Oberholzer Niklaus, Landesverweisung – aktueller Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins [ZBJV] 156/2020 227, S. 245).
Das FZA bildet vorliegend keinen Hinderungsgrund für die Anordnung einer Landesverweisung. Das Bundesgericht wie auch der EuGH betonen in ihren Entscheiden zum FZA stets, dass die Berechtigung zum Aufenthalt ein rechtskonformes Verhalten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I des FZA bedingt. Nach dieser Bestimmung kann aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit das Aufenthaltsrecht eingeschränkt werden. Das FZA erlaubt die Wegweisung von EU-Bürgern, wenn diese zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheint. Bei der zu prüfenden Frage, ob Art. 5 Abs. 1 Anhang I der Landesverweisung entgegenstehe, handle es sich – so das Bundegericht (BGE 145 IV 364 E. 3.9 mit Verweis auf Art. 5 Abs. 2 BV) – im Wesentlichen um die Prüfung der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns. Die Prognose über das Wohlverhalten und die Resozialisierung gebe in der fremdenpolizeilichen Abwägung, in der das allgemeine Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund stehe, nicht den Ausschlag. Ausgangspunkt und Massstab für die ausländerrechtliche Interessenabwägung sei die Schwere des Verschuldens, die sich in der Dauer der verfahrensauslösenden Freiheitsstrafe niederschlage; selbst eine einmalige Straftat könne eine aufenthaltsbeendende Massnahme rechtfertigen, wenn die Rechtsgutverletzung schwer wiege (BGE 145 IV 364 E. 3.5.2 S. 372; Urteil 6B_736/2019 vom 3.4.2020 E. 1.1.3). Es reiche bereits ein geringes, aber tatsächlich vorhandenes Rückfallrisiko für eine aufenthaltsbeendende Massnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I des FZA, sofern dieses Risiko eine schwere Verletzung hoher Rechtsgüter wie beispielsweise die körperliche Unversehrtheit beschlage (BGE 145 IV 364 E. 3.5.2 mit Hinweis auf Urteil 2C_828/2016 vom 17.7.2017 E. 3.2). Ein solches Rückfallrisiko ist vorliegend klar zu bejahen (vgl. die Ausführungen unter Ziff. IV.2.5 und V.3.1). Die Anordnung der Landesverweisung hält einer Verhältnismässigkeitsprüfung stand (vgl. hierzu vorstehende Ziff. VI.2.2 und 2.3). Im vorliegenden Fall ist deshalb kein Konflikt zwischen der Anordnung einer Landesverweisung und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz im Zusammenhang mit dem FZA auszumachen.
Der Beschuldigte ist gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB des Landes zu verweisen.
2.5 Dauer der Landesverweisung
Die obligatorische Landesverweisung ist gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB für fünf bis 15 Jahre anzuordnen. Die Dauer hat verhältnismässig zu sein. Die Vorinstanz hat sich für die Minimaldauer von fünf Jahren entschieden und dies mit der versuchten Tatbegehung begründet (vgl. US 39). Die Staatsanwaltschaft fordert mit Anschlussberufung die Anordnung einer länger dauernden Landesverweisung. Beantragt werden acht Jahre (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung, S. 7 vorstehend).
Bei der Dauer der Landesverweisung ist in erster Linie dem Verhältnismässigkeitsprinzip durch einen Vergleich der betroffenen Interessen Rechnung zu tragen. Beim Versuch handelt es sich um einen vom Verschulden unabhängigen Strafzumessungsfaktor. Für die Dauer der Landesverweisung sollte deshalb der Versuch nicht das alleinige Kriterium bilden. Es handelt sich bei der (versuchten) schweren Körperverletzung um ein schweres Verbrechen, auch im Quervergleich mit anderen im Katalog von Art. 66a Abs. 1 StGB aufgeführten Anlasstaten. Bei der körperlichen Integrität handelt es sich um ein besonders hochwertiges Rechtsgut. Das Eintreten auf den Kopf eines bereits wehrlos auf dem Boden liegenden (Zufalls)Opfer zeugt von hoher Brutalität. Der Beschuldigte liess erst vom Opfer ab, nachdem er wahrgenommen hatte, dass die Polizei benachrichtigt worden war. Auf der anderen Seite ist in Bezug auf die Vorwerfbarkeit des Handelns zu berücksichtigen, dass das konkrete Tatverschulden unter Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit des Täters im Tatzeitpunkt gerade noch als leicht einzustufen ist und die Wegweisung den Beschuldigten schwer trifft, weil er in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist und nun seit 34 1/2 Jahren ununterbrochen hier lebt.
Die Dauer der Landesverweisung ist mit Blick auf diese unterschiedlichen Interessen nicht auf das gesetzliche Minimum festzulegen, sondern dieses ist um ein Jahr auf sechs Jahre zu erhöhen.
2.6 Keine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS)
In das SIS ausgeschrieben werden können nur sogenannte Drittstaatenangehörige. Darunter fallen gemäss Art. 3 lit. d SIS-II Personen, die weder Bürger der EU noch Drittstaatenangehörige sind, die sich auf ein Freizügigkeitsrecht berufen können. Damit werden die Wirkungen der Landesverweisung (d.h. Einreise- und Aufenthaltsverweigerung) auf alle Schengen-Staaten ausgedehnt. Da der Beschuldigte Bürger des EU-Landes Italien ist, fällt eine Ausschreibung von Vornherein ausser Betracht. Auf die SIS-Ausschreibung wird in der Begründung der Vorinstanz auch gar nicht eingegangen. Es ist davon auszugehen, dass diese Ausschreibung aus Versehen Eingang in das Urteilsdispositiv gefunden hat.
VII. Zivilforderungen der Privatklägerin
1. Die Vorinstanz hat die von der Privatklägerin geltend gemachte Schadenersatzforderung von CHF 1'667.90 zuzüglich Zins (Arztrechnung der Solothurner Spitäler vom 23.4.2019) mangels hinreichender Begründung auf den Zivilweg verwiesen (vgl. hierzu US 42). Dieser Entscheid blieb von der Privatklägerin unangefochten. Der Beschuldigte selbst wendet sich dagegen aufgrund des beantragten Freispruches. Bei dieser Ausgangslage ist der vorinstanzliche Entscheid zu bestätigen.
2. Für die künftigen aus und in Zusammenhang mit der verurteilten Straftat anfallenden Kosten ist der Beschuldigte gegenüber der Privatklägerin in Anwendung von Art. 126 Abs. 3 StPO zu 100 % haftpflichtig zu erklären und sie ist im Übrigen auf den Zivilweg zu verweisen.
3. Genugtuung
Es wird in Bezug auf die Anspruchsvoraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuung auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen (US 42). Die Privatklägerin wurde durch die brutale Attacke des Beschuldigten vom 4. März 2019 widerrechtlich in ihrer Persönlichkeit verletzt. Der Schweregrad der erlittenen körperlichen und seelischen Verletzungen rechtfertigt es, den Beschuldigten zur Zahlung einer Genugtuung an die Beschuldigte zu verpflichten.
Hinsichtlich der erlittenen physischen Verletzungen kann auf die Ausführungen unter den vorstehenden Ziff. II.4.4.1 und 4.4.2 verwiesen werden.
Auch ohne eingereichte Therapie- und Arztberichte ist gestützt auf die glaubhaften Aussagen der Privatklägerin davon auszugehen, dass das Gewaltdelikt diese seelisch erschüttert hat. Sie wurde an jenem Abend völlig grundlos und überraschend vom Beschuldigten angegriffen, dies in einer ihr sonst so vertrauten Umgebung. Sie war der Gewalt des Aggressors, nachdem sie von diesem zu Fall gebracht worden war, wehrlos am Boden liegend, ausgeliefert. Die Fusstritte gegen den Kopf waren besonders erniedrigend für das Opfer. Der Kontrast zu dem unmittelbar zuvor Erlebten (Besuch der Fasnacht, vergnügter Abend zusammen mit der damaligen Lebenspartnerin und einer Freundin) könnte für das Opfer nicht grösser gewesen sein. Die Aussagen der Privatklägerin wie auch von C.___, ihrer damaligen Lebenspartnerin, machen deutlich, dass der Gewaltexzess des Beschuldigten eine Zäsur im Leben des Opfers markierte. Ihre Rechtsvertreterin führte aus, durch die Tat habe ihre Klientin wie einen «Knick» erlitten. Das Vertrauen in die Menschen sei erschüttert worden. Auch berichtet sie von einer einmonatigen Arbeitsunfähigkeit ihrer Klientin. C.___ führte vor erster Instanz aus, die Privatklägerin habe sich seither grundlegend verändert. Sie habe diese jeden Abend von der Arbeit abholen müssen. Für eine gewisse Zeit habe die Privatklägerin gar nicht mehr das Haus verlassen wollen. Sie sei ein wenig daran zerbrochen (S-L AS 90). Die Privatklägerin selbst gab vor erster Instanz zu Protokoll, sie habe nach wie vor Angst im Dunkeln und wenn sie alleine sei, habe sie ihr Handy stets griffbereit, falls etwas wäre. Sie sei aktuell nicht in psychologischer Behandlung, habe aber vor, wieder zu gehen. Die Kopfschmerzen seien noch da, auch sehr starke Verspannungen im Hals- und Nackenbereich. Über dem Auge habe sie eine Verdickung des Knochens, die nicht mehr weggehe (S-L AS 93, ebenso vor Obergericht), dementsprechend erinnert die Privatklägerin auch ein äusserlich wahrnehmbares Merkmal im Gesicht stets an diesen Vorfall.
Insbesondere mit Blick auf die erheblichen psychischen Folgen, welche die Tat des Beschuldigten bei der Privatklägerin verursacht hat, erweist sich die Höhe der Genugtuung von CHF 3’000.00, zzgl. Zins von 5 % seit dem 4. März 2019, als gerechtfertigt. Auch in diesem Punkt ist das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.
VIII. Genugtuung des Beschuldigten
Der Beschuldigte hat Anspruch auf Entschädigung. Anspruchsgrundlage bildet Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Beschwerdekammer hat die von der Vorinstanz angeordnete Haft auf die Beschwerde des Beschuldigten hin mit Beschluss vom 1. Oktober 2020 aufgehoben: Die von der Vorinstanz angeordnete Haft war sowohl formell (Verletzung des rechtlichen Gehörs, den Parteien wurde anlässlich der HV vor erster Instanz nicht die Möglichkeit eingeräumt, sich zur Frage der Haft zu äussern) wie auch materiell (Fehlen eines besonderen Haftgrundes, Verneinung der Fluchtgefahr) unrechtmässig.
Der Beschuldigte war vom 31. August 2020 bis zum 2. Oktober 2020 total 33 Tage in Haft. Hinzu kommt ein weiterer halber Hafttag, denn der Beschuldigte hätte spätestens 24 Stunden nach seiner vorläufigen Festnahme einem haftgerichtlichen Verfahren zugeführt entlassen werden müssen (Art. 219 Abs. 4 StPO), was vorliegend nicht eingehalten wurde. Der Beschuldigte wurde am 4. März 2019 um 01:40 Uhr verhaftet. Seine Entlassung erfolgte am 5. März 2019 um 14:20 Uhr. Der Beschuldigte wurde folglich einen halben Tag ohne Rechtstitel festgenommen. Somit sind 33 ½ Tage zu entschädigen. Pro Tag erhält der Beschuldigte eine Genugtuung von CHF 70.00, die im Hinblick auf die zugleich erfolgte Strafreduktion im Umfang der Hafttage an die Freiheitsstrafe (vgl. vorstehende Ziff. IV.2.6) als angemessen erscheint.
Dem Beschuldigten wird nach dem Gesagten für die rechtswidrige Haft von 33.5 Tagen eine Genugtuung von pauschal CHF 2’345.00 zugesprochen. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Verrechnung der Genugtuung mit den Verfahrenskosten ausgeschlossen (vgl. BGE 147 IV 55 E. 2.5 und 2.6 sowie BGE 139 IV 243 E. 5).
IX. Kosten- und Entschädigungsfolgen
1. Erstinstanzliches Verfahren
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens wird angesichts des Freispruches (Vorhalt gemäss AKS Ziff. 3: Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren) und der teilweisen Verfahrenseinstellung zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung eine Kostenausscheidung im Umfang von 10 % vorgenommen. Der Beschuldigte hat demnach die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 5'000.00, total CHF 11'131.00, im Umfang von 90%, ausmachend CHF 10'017.90, zu bezahlen. Im Übrigen gehen sie zu Lasten des Staates Solothurn.
Demzufolge wird auch der Rückforderungsanspruch des Staates gegenüber dem Beschuldigten auf 90 % beschränkt.
Bei der unentgeltlichen Rechtsbeiständin der Privatklägerin bleibt es analog dem erstinstanzlichen Urteil bei einem vollen Rückforderungsanspruch und einem vollen Nachforderungsanspruch (Bestätigung des Schuldspruches, Bestätigung der Genugtuung).
2. Berufungsverfahren
Das erstinstanzliche Urteil wurde weitgehend bestätigt. Das Strafmass wurde reduziert und auf den Widerruf des bedingten Strafvollzuges verzichtet. Jedoch gab es eine Erhöhung der Dauer der Landesverweisung. Es rechtfertigt sich daher, dem Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 6'000.00, total CHF 13'911.60, im Umfang von 80%, ausmachend CHF 11'129.30, aufzuerlegen. Im Übrigen (20%) gehen sie zu Lasten des Staates Solothurn.
Der amtliche Verteidiger von A.___, Rechtsanwalt Marcel Haltiner, macht für das Berufungsverfahren einen Arbeitsaufwand von 27.53 Stunden zu CHF 180.00 und Auslagen von CHF 176.70 geltend, was nicht zu beanstanden ist. Unter Hinzurechnung der zweiten Berufungsverhandlung und Urteilseröffnung von 2.75 Stunden werden dem amtlichen Verteidiger total 30.28 Stunden entschädigt. Unter Hinzurechnung der Auslagen und der Mehrwertsteuer wird die Entschädigung auf CHF 6'060.40 festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates im Umfang von 80%.
Die unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerin, Rechtsanwältin Stephanie Selig, macht in ihrer Honorarnote für das Berufungsverfahren einen Arbeitsaufwand von 18.84 Stunden à CHF 230.00 und Auslagen von CHF 209.00 geltend. Die Honorarnote ist um 4.67 Stunden bei den Positionen «Aktenstudium», «Vorbereitung der HV», «Besprechung mit Klientin» sowie «Vorbereitung Verhandlung» zu kürzen, da im Berufungsverfahren einzig das psychiatrische Gutachten neu zu den Akten gekommen ist. Die Verarbeitung der daraus relevanten Erkenntnisse hielt sich für die Vertreterin der Privatklägerin sehr in Grenzen. Im Übrigen ist die Honorarnote nicht zu beanstanden. Unter Hinzurechnung der zweiten Berufungsverhandlung und Urteilseröffnung von 2.75 Stunden werden der unentgeltlichen Rechtsbeiständin total 16.92 Stunden entschädigt.
Die Entschädigung wird mithin zum Stundenansatz für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung von CHF 180.00 inkl. Auslagen und MwSt. auf CHF 3'505.20 (Honorar CHF 3'045.60, Auslagen CHF 209.00, 7,7% MwSt. CHF 250.60) festgesetzt und ist zufolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse von A.___ vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 911.15 (Differenz zu vollem Honorar à CHF 230.00 pro Stunde), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
Demnach wird in Anwendung der Art. 122 i.V.m. 22 Abs. 1 StGB; Art. 19a Ziff. 1 BetmG; Art. 19 Abs. 2, Art. 40, Art. 46 Abs. 2 und Abs. 5, Art. 47, Art. 51, Art. 66a Abs. 1 lit. b, Art. 69, Art. 106, Art. 109 StGB; Art. 122 ff., Art. 135, Art. 138, Art. 267, Art. 335 ff., Art. 391 Abs. 2, Art. 398 ff., Art. 416 ff. StPO; § 146 Abs. 1 lit. c, § 158 GT erkannt: 1. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des erstinstanzlichen Urteils wird das Strafverfahren gegen A.___ wegen mehrfacher Übertretung des BetmG, angeblich begangen vor dem 31. August 2017, zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt.
2. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 2 des erstinstanzlichen Urteils wird A.___ vom Vorwurf des Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren, angeblich begangen in der Zeit vom 13. September 2019 bis 8. November 2019, freigesprochen.
3. A.___ hat sich gemäss teilweiser rechtskräftiger Ziffer 3 des erstinstanzlichen Urteils der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, begangen in der Zeit vom 31. August 2017 bis 4. März 2019, schuldig gemacht.
4. A.___ hat sich schuldig gemacht der versuchten schweren Körperverletzung, begangen am 4. März 2019.
5. A.___ wird gemäss rechtskräftiger Ziffer 4 lit. b des erstinstanzlichen Urteils zu einer Busse von CHF 200.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 2 Tagen, verurteilt.
6. A.___ wird zudem zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.
7. A.___ werden die erstandene Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 35 Tagen (4. März 2019 bis 5. März 2019; 31. August 2020 bis 2. Oktober 2020) an die Freiheitsstrafe angerechnet.
8. A.___ wird für die rechtswidrige Haft von 33.5 Tagen eine Genugtuung von pauschal CHF 2’345.00 zugesprochen.
9. Auf die Frage des Widerrufs des A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 18. September 2014 gewährten bedingten Strafvollzugs für eine Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je CHF 70.00 wird zufolge Zeitablaufs nicht eingetreten.
10. Auf die Frage des Widerrufs des A.___ mit Urteil des Amtsgerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt vom 19. September 2014 gewährten bedingten Strafvollzugs für eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00 wird zufolge Zeitablaufs nicht eingetreten.
11. Auf den Widerruf des A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 8. Oktober 2018 gewährten bedingten Strafvollzugs für eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je CHF 30.00 wird verzichtet.
12. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung einer vollzugsbegleitenden ambulanten Massnahme nach Art. 63 StGB wird abgewiesen.
13. A.___ wird für die Dauer von 6 Jahren des Landes verwiesen.
14. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 10 des erstinstanzlichen Urteils werden folgende bei A.___ sichergestellten Gegenstände eingezogen und sind, soweit noch nicht geschehen, durch die Polizei nach Rechtskraft des Urteils zu vernichten bzw. allenfalls zu verwerten (Fahrradhelm):
15. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 11 des erstinstanzlichen Urteils sind folgende bei A.___ sichergestellten Gegenstände diesem nach Rechtskraft des Urteils zurückzugeben:
16. B.___ wird zur Geltendmachung ihrer Schadenersatzforderung von CHF 1'667.90 nebst Zins zu 5% seit dem 4. März 2019 auf den Zivilweg verwiesen.
17. A.___ wird für inskünftig aus und in Zusammenhang mit der verurteilten Straftat anfallende Kosten dem Grundsatz nach zu 100% haftpflichtig erklärt. Im Übrigen wird B.___ auf den Zivilweg verwiesen.
18. A.___ wird verurteilt, B.___ CHF 3'000.00 zuzüglich 5% Zins seit dem 4. März 2019 als Genugtuung zu bezahlen.
19. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Marcel Haltiner, ist gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 15 des erstinstanzlichen Urteils für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 7'228.80 (Honorar CHF 6'222.00, Auslagen CHF 490.00, 7,7 % MwSt. CHF 516.80) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat bezahlt worden. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 90%, ausmachend CHF 6'505.90, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
20. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Marcel Haltiner, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 6'060.40 (Honorar CHF 5'450.40, Auslagen CHF 176.70, 7,7 % MwSt. CHF 433.30) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 80%, ausmachend CHF 4'848.30, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
21. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von B.___, Rechtsanwältin Denise Lüthi, hier vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig, ist gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 16 des erstinstanzlichen Urteils für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 5'347.50 (Honorar CHF 4'714.20, Auslagen CHF 251.00, 7,7% MwSt. CHF 382.30) festgesetzt und zufolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse von A.___ vom Staat bezahlt worden. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 90%, ausmachend CHF 4'812.75, sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 1'269.25 (Differenz zu vollem Honorar à CHF 230.00 pro Stunde [90%]), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.
22. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von B.___, Rechtsanwältin Stephanie Selig, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 3'505.20 (Honorar CHF 3'045.60, Auslagen CHF 209.00, 7,7% MwSt. CHF 250.60) festgesetzt und ist zufolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse von A.___ vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 911.15 (Differenz zu vollem Honorar à CHF 230.00 pro Stunde), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.
23. A.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 5'000.00, total CHF 11'131.00, im Umfang von 90%, ausmachend CHF 10'017.90, zu bezahlen. Im Übrigen gehen sie zu Lasten des Staates Solothurn.
24. A.___ hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 6'000.00, total CHF 13'911.60, im Umfang von 80%, ausmachend CHF 11'129.30, zu bezahlen. Im Übrigen gehen sie zu Lasten des Staates Solothurn.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Vizepräsident Der Gerichtsschreiber Kiefer Wiedmer
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