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Urteil Verwaltungsgericht (SO - OGBES.2024.5)

Zusammenfassung des Urteils OGBES.2024.5: Verwaltungsgericht

Das Obergericht hat entschieden, dass die handschriftlichen Dokumente vom 23. Juni 2016, die als Testamente angesehen wurden, formell eröffnet werden müssen. Die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Janine Spirig, hatte gegen die Verfügung der Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegegnerin hatte die Dokumente nicht formell eröffnet, da sie sie nicht als Testamente betrachtete. Das Obergericht entschied, dass die Beschwerde begründet ist und die Beschwerdegegnerin die Dokumente formell eröffnen muss. Die Kosten des Verfahrens trägt der Staat, und die Beschwerdeführerin erhält eine Entschädigung von CHF 3'621.45.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts OGBES.2024.5

Kanton:SO
Fallnummer:OGBES.2024.5
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Obergericht
Verwaltungsgericht Entscheid OGBES.2024.5 vom 20.09.2024 (SO)
Datum:20.09.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Verfügung; Recht; Amtschreiberei; Klient; Erbschaft; Klientschaft; Dokumente; Eröffnung; Obergericht; E-Mail; Stunden; Olten-Gösgen; Erbschaftsamt; Testament; Erblasser; Aufwand; Urteil; Obergerichts; Erblasserin; Verfügungen; Gericht; Zivilkammer; Entscheid; Apos; Verfahren
Rechtsnorm: Art. 557 ZGB ;Art. 558 ZGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Thomas Geiser, Stephan Wolf, Basler Zivilgesetzbuch II, Art. 557 ZGB, 2023

Entscheid des Verwaltungsgerichts OGBES.2024.5

 
Geschäftsnummer: OGBES.2024.5
Instanz: Obergericht
Entscheiddatum: 20.09.2024 
FindInfo-Nummer: O_OG.2024.8
Titel: Nachlass der B.___ sel. (Dossier-Nr. [...])

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

Urteil vom 20. September 2024

Es wirken mit:

Präsidentin Kofmel

Oberrichterin Hunkeler  

Oberrichter Hagmann

Gerichtsschreiberin Zimmermann

In Sachen

A.___, C.___, vertreten durch Rechtsanwältin Janine Spirig,

 

Beschwerdeführerin

 

 

gegen

 

 

Amtschreiberei Olten-Gösgen Erbschaftsamt,

 

Beschwerdegegnerin

 

 

 

betreffend     Nachlass der B.___ sel. (Dossier-Nr. [...])


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

 

I.

 

1. Am [...] 2022 verstarb B.___ sel. (nachfolgend: Erblasserin).

 

2. Am 1. Mai 2024 eröffnete die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, C.___ eine eigenhändige letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 18. August 2003 mittels Fotokopie. Darin habe die Erblasserin für den Fall, dass sie gleichzeitig mit ihrem Ehemann verstirbt, C.___ als Erben eingesetzt. Die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, hielt dazu fest, dass zufolge Vorversterbens des Ehemannes der Erblasserin am [...] 2020 die Verfügung nicht zur Auswirkung gelange. Am 4. Juli 2012 sei die Verfügung ausserdem durchgestrichen und als ungültig bezeichnet worden. Die Verfügung entfalte demnach ohnehin keine Rechtswirkung mehr. In der Verfügung vom 1. Mai 2024 hielt die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, ausserdem fest, dass ihr zwei weitere handschriftliche Dokumente, datiert vom 23. Juni 2016, vorliegen würden. Der Auskunft der gesetzlichen Erben der Erblasserin zufolge, seien diese vom Ehemann der Erblasserin und nicht von ihr eigenhändig verfasst und unterzeichnet worden. Im Weiteren seien beide Dokumente mit dem Zusatz «Entwurf» gekennzeichnet, womit kein Testament vorliege. Unter diesen Standpunkten komme die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, zum Schluss, dass C.___ als in diesen Schriftstücken erwähnter Begünstigter die Dokumente vom 23. Juni 2016 nicht formell zu eröffnen seien, weil sie nicht als Testamente angesehen würden. Gestützt darauf wurde folgende Verfügung erlassen:

 

1.    Die Dokumente, datiert vom 23. Juni 2016 und mit «Entwurf» überschrieben, werden nicht als Testamente qualifiziert. Sie entfalten keinerlei Rechtswirkung im vorliegenden Nachlassverfahren.

2.    C.___ werden diese Dokumente nicht formell eröffnet.

3.    C.___ wird von diesem Entscheid mittels der vorliegenden Verfügung in Kenntnis gesetzt.

 

3. Am 13. Mai 2024 erhob A.___ (C.___) (nachfolgend: Beschwerdeführerin), vertreten durch Rechtsanwältin Janine Spirig, Beschwerde gegen die Verfügung der Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, vom 1. Mai 2024 betreffend den Nachlass von B.___. Darin stellte sie folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Es sei die Nichtigkeit der Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 1. Mai 2024 im Nachlass der B.___ (geb. [...]1936, verst. [...]2022, von [...] SO, zul. whft. gewesen in [...], m.A. im [...]) festzustellen, eventualiter sei die Verfügung aufzuheben.

2.    Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin die letztwilligen Verfügungen der Erblasserin B.___ förmlich zu eröffnen.

3.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zzgl. MWST. zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

4. Die einlässliche Begründung der Beschwerde wurde am 11. Juli 2024 eingereicht.

 

5. Mit Vernehmlassung vom 31. Juli 2024 nahm die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt (nachfolgend: Beschwerdegegnerin), zur Beschwerde Stellung und beantragte die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde.

 

6. Am 23. August 2024 reichte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zur Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin vom 31. Juli 2024 ein.

 

7. Auf die Ausführungen der Parteien wird im Folgenden soweit entscheidrelevant eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen. Von der Durchführung einer Parteibefragung kann angesichts der klaren Sachlage abgesehen werden.

 

 

II.

 

1. Die Tätigkeit des Amtschreibers im Erbgangsverfahren unterliegt der Aufsicht des Obergerichtes. Gegen Anordnungen und Unterlassungen des Amtschreibers kann beim Obergericht innert 10 Tagen nach Kenntnisnahme Beschwerde geführt werden (§ 225 des Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [EG ZGB, BGS 211.1]). Die Zivilkammer des Obergerichts beurteilt entsprechende Beschwerden gegen Entscheide des Amtschreibers (§ 30 Abs. 1 lit. g des Gesetzes über die Gerichtsorganisation [GO, BGS 125.12]). Das Beschwerdeverfahren richtet sich unter Vorbehalt abweichender Vorschriften des Bundesrechts nach den Bestimmungen des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (VRG, BGS 124.11, § 50 Abs. 2 der Verordnung über die Geschäftsführung der Amtschreibereien, ASV, BGS 123.21).

 

2.1 Gemäss Art. 558 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) erhalten alle an der Erbschaft Beteiligten auf Kosten der Erbschaft eine Abschrift der eröffneten Verfügung, soweit diese sie angeht.

 

2.2 Mit Verfügung vom 1. Mai 2024 stellte die Beschwerdegegnerin im Nachlassverfahren von B.___ C.___ Dokumente zu. In ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin nun geltend, dass C.___ ein Betrieb der A.___ sei. Mangels eigener Rechtspersönlichkeit sei vorliegend die A.___ Beschwerdeführerin. Die Beschwerdegegnerin hätte ihre Verfügung an die A.___ und nicht direkt an C.___ richten müssen. Indem sie dies nicht getan habe, entfalte die Verfügung der Beschwerdegegnerin keinerlei Rechtswirkungen.

 

2.3 Gemäss § 3 lit. c der Gemeindeordnung der A.___ gehört zu den Aufgaben der A.___ insbesondere die Betriebsführung des C.___. Zu Recht hält die Beschwerdeführerin fest, dass A.___, mangels eigener Rechtspersönlichkeit des C.___, rechtmässige Adressatin und folglich Beschwerdeführerin ist. Es stellt sich die Frage nach den Auswirkungen der Zustellung der Verfügung vom 1. Mai 2024 an C.___.

 

2.4 Aus der mangelhaften Eröffnung eines amtlichen Schriftstücks dürfen den Parteien keine Nachteile erwachsen. Kein Rechtsnachteil besteht, wenn die fehlerhafte Eröffnung ihren Zweck trotz des Mangels erreicht hat. Es ist im individuell-konkreten Fall zu prüfen, ob die betroffene Person durch den gerügten Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt worden ist (zum Ganzen: Urteil des Bundesgerichts 2C_901/2017 E. 2.2.4).

 

2.5 In ihrer Vernehmlassung vom 31. Juli 2024 schilderte die Beschwerdegegnerin, dass C.___ bereits in vielen Verfahren vor der Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, als Erbin Vermächtnisnehmerin behandelt worden sei. Dieses sei jeweils durch zeichnungsberechtigte Personen der A.___ vertreten worden. Die Adressierung sämtlicher Korrespondenz an die Adresse des C.___ sei bis anhin nie bemängelt worden. Daher habe die Beschwerdegegnerin davon ausgehen dürfen, dass auch die vorliegend umstrittene Verfügung korrekt adressiert sei. Dieses Vorgehen der Beschwerdegegnerin wird von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 23. August 2024 nicht bestritten. Dass der Beschwerdeführerin durch die Eröffnung an C.___ ein Nachteil entstanden sei, wird von der Beschwerdeführerin weder geltend gemacht noch wäre ein solcher erkennbar.

 

2.6 Nach dem Gesagten hat ein allfälliger Eröffnungsmangel keinen Nachteil auf Seiten der Beschwerdeführerin hervorgerufen und es ist aus diesem Grund nicht die von der Beschwerdeführerin beantragte Nichtigkeit der Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 1. Mai 2024 festzustellen.

 

3.1 Gemäss § 23 Abs. 1 VRG sind die Parteien vor Erlass einer Verfügung eines Entscheides anzuhören. Sie haben das Recht, sich schriftlich zur Sache zu äussern und an den Beweisvorkehren teilzunehmen. Die vorgängige Anhörung kann bei Dringlichkeit unterbleiben; sie ist möglichst bald nachzuholen (§ 23 Abs. 2 VRG). In nichtstreitigen Fällen und im Verfahren zur Festsetzung von Nebensteuern kann sie gänzlich unterbleiben (§ 23 Abs. 3 VRG).

 

3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sie vor Erlass der streitigen Verfügung mindestens angehört und ihr die Möglichkeit hätte eingeräumt werden müssen, sich schriftlich zur Sache zu äussern und an den Beweisvorkehren teilzunehmen. Die Beschwerdegegnerin habe jedoch die streitige Verfügung erlassen, ohne die Beschwerdeführerin vorher anzuhören, womit das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt worden und die angefochtene Verfügung nichtig sei.

 

3.3 Eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs kann ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie auch die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (Urteil des Bundesgerichts 8C_626/2018 E. 4 mit weiteren Hinweisen).

 

3.4 Nach § 67bis Abs. 1 VRG kann die Verletzung von kantonalem Bundesrecht als auch die unrichtige unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes geltend gemacht werden. Zumal die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde beantragt, würde eine Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf führen. Es kann somit offen bleiben, ob die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin vor Erlass der Verfügung vom 1. Mai 2024 hätte anhören müssen, da eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs spätestens im vorliegenden Beschwerdeverfahren geheilt worden wäre. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich von vornherein als unbegründet.

 

4.1 Art. 557 Abs. 1 ZGB schreibt vor, dass die Verfügung des Erblassers binnen Monatsfrist nach der Einlieferung von der zuständigen Behörde eröffnet werden muss. Zu der Eröffnung werden die Erben, soweit sie den Behörden bekannt sind, vorgeladen (Art. 557 Abs. 2 ZGB). Hinterlässt der Erblasser mehr als eine Verfügung, so sind sie alle der Behörde einzuliefern und von ihr zu eröffnen (Art. 557 Abs. 3 ZGB). Gemäss Art. 558 Abs. 1 ZGB erhalten alle an der Erbschaft Beteiligten auf Kosten der Erbschaft eine Abschrift der eröffneten Verfügung, soweit diese sie angeht. An Bedachte unbekannten Aufenthalts erfolgt die Mitteilung durch eine angemessene öffentliche Auskündung (Art. 558 Abs. 2 ZGB).

 

4.2 Wie einleitend ausgeführt, eröffnete die Beschwerdegegnerin die zwei handschriftlichen Dokumente vom 23. Juni 2016 nicht formell, weil sie diese nicht als Testamente ansieht. Die Beschwerdeführerin moniert, dass die Beschwerdegegnerin ihre Prüf- und Entscheidungskompetenzen überschritten bzw. missachtet habe. So habe sie nebst einer inhaltlichen Würdigung der letztwilligen Verfügungen auch eine rechtliche Qualifikation derer vorgenommen, welche dem Gericht vorbehalten sei. Es hätte ihrer Ansicht nach eine formelle Eröffnung ohne rechtliche Interpretationen und Würdigungen erfolgen müssen.

 

4.3 Zu eröffnen sind grundsätzlich alle der Einlieferungspflicht unterliegenden Verfügungen, auch jene, die von der Behörde als formungültig nichtig betrachtet werden (Daniel Leu/Daniel Gabrieli in: Thomas Geiser/Stephan Wolf [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, Basel 2023, Art. 557 ZGB N 10). Die Behörde hat eine Prüfungspflicht, ob alle eingelieferten Dokumente nach ihrem Inhalt als eröffnungsfähige Willenserklärungen des Erblassers von Todes wegen erscheinen und wer prima facie als Berechtigter daraus hervorgeht. Dabei handelt es sich um eine vorläufige, unpräjudizielle Prüfung ohne materiell-rechtliche Wirkung. Im Zweifelsfalle ist die Eröffnung vorzunehmen, damit die am Nachlass Beteiligten die Möglichkeit haben, ihre Rechte vor dem ordentlichen Richter geltend zu machen (Daniel Leu/Daniel Gabrieli, a.a.O., N 11). Die Beurteilung der materiellen Rechtslage ist nicht Sache der Eröffnungsbehörde, sondern des ordentlichen Zivilrichters. Die Auslegung durch die Eröffnungsbehörde ist vorläufig und unpräjudiziell, weshalb ihr keinerlei Verbindlichkeit materiellrechtliche Wirkung zukommt (vgl. Frank Emmel in: Daniel Abt/Thomas Weibel [Hrsg.], Praxiskommentar Erbrecht, Basel 2019, Art. 557 ZGB N 3).

 

4.4 Nebst der Lehre hält auch die Rechtsprechung fest, dass die Auslegung eines Testaments durch die Amtschreiberei immer nur provisorischen, unpräjudiziellen Charakter hat, d.h. sie hat keine materiell-rechtliche Wirkung. Über die formelle und materielle Rechtsgültigkeit einer letztwilligen Verfügung und die definitive Ordnung der materiellen Rechtsverhältnisse befindet die Amtschreiberei nicht; dies bleibt im Streitfall dem anzurufenden ordentlichen Zivilgericht vorbehalten. Da im Testamentseröffnungsverfahren somit grundsätzlich nicht über materielles Recht entschieden wird und das Urteil dem ordentlichen Gericht vorbehalten bleibt, prüft die Zivilkammer des Obergerichts im Rechtsmittelverfahren auch lediglich, ob die Amtschreiberei bei der Testamentseröffnung in diesem beschränkten Rahmen zutreffend vorgegangen ist (vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, LF220032 E. 3.1). Die Testamentseröffnungsbehörde hat grundsätzlich alle der Einlieferungspflicht unterliegenden Verfügungen zu eröffnen, auch jene, die von der Eröffnungsbehörde als formungültig nichtig betrachtet werden. Denn die Testamentseröffnung dient den an der Erbschaft Beteiligten namentlich dazu, die letztwillige Verfügung zur Kenntnis zu nehmen und sie gegebenenfalls anfechten zu können. Mangelhafte letztwillige Verfügungen sind in der Regel lediglich anfechtbar, weshalb sie gültig bleiben, sofern sie nicht (mit Erfolg) angefochten werden. (vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, LF220032 E. 3.4).

 

4.5 Die Beschwerdegegnerin sah die Dokumente vom 23. Juni 2016 offensichtlich als Verfügungen von Todes wegen an, ansonsten sie diese in der Verfügung vom 1. Mai 2024 nicht zu erwähnen und keine Kopien hätte zustellen müssen. Dass sie diese in vorläufiger Auslegung nicht als Testamente qualifizierte, hätte keinen Einfluss auf die Eröffnung der Dokumente haben dürfen. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung sind sämtliche der Einlieferungspflicht unterliegenden Verfügungen zu eröffnen, auch jene, die die Amtschreiberei als formungültig nichtig betrachtet. Die Beurteilung der materiellen Rechtslage ist nicht Sache der Amtschreiberei und damit auch nicht Gegenstand der Überprüfung des Verfahrens durch die Zivilkammer des Obergerichts. Die Beschwerdegegnerin hätte auch die Dokumente vom 23. Juni 2016 formell eröffnen müssen.

 

5. Die Beschwerde erweist sich als begründet, sie ist gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 1. Mai 2024 ist aufzuheben und diese zu verpflichten, die Dokumente vom 23. Juni 2016 formell zu eröffnen.

 

6.1 Dem Verfahrensausgang entsprechend auferliegen die Prozesskosten dem Staat. Die Zentrale Gerichtskasse wird angewiesen, der Beschwerdeführerin den von ihr geleisteten Kostenvorschuss von CHF 1'300.00 zurückzuerstatten.

 

6.2 Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin macht für das Beschwerdeverfahren einen Aufwand von 19.55 Stunden à CHF 295.00 zuzüglich MwSt. von 8.1 % (CHF 472.90) geltend. Dieser Aufwand erscheint unangemessen hoch. Für die Arbeiten vom 7. Mai 2024 (Dossiereröffnung, COI, Rechnung an Klient, Dossierschliessung, Ablage, Empfang Vf. von Klient, Studium, Notieren Frist, E-Mails von und an Klientschaft, E-Mail an EA O-G , Anruf Klientschaft) erscheint ein Aufwand von insgesamt einer Stunde angemessen, insbesondere in Anbetracht der Länge der Verfügung der Beschwerdegegnerin (2 Seiten) und der Tatsache, dass zum Teil Kanzleiaufwand geltend gemacht wird, der bereits im Stundenansatz einer Anwältin inbegriffen und nicht separat zu vergüten ist. Auch für die Arbeiten vom 8. Mai 2024 (E-Mail von Hr. [...], Studium Unterlagen, E-Mail an Klientschaft, Anruf an  EA O-G, E-Mails von und an Klientschaft, Aktenstudium, E-Mail mit Einschätzung und Empfehlung an Klientschaft) erscheint ein Aufwand von insgesamt einer Stunde angemessen. Die Rechtsvertreterin hatte bereits am Vortag telefonisch und per E-Mail Kontakt mit der Klientschaft. Für die Arbeiten vom 10. und 13. Mai 2024 wurden 5.75 Stunden für drei E-Mails an die Klientschaft, eine E-Mail von der Klientschaft und die Beschwerde mit Beweismittelverzeichnis geltend gemacht. In Anbetracht der Länge der Beschwerde (5.5 Seiten ohne Deckblatt und Schlusswort) und dem bis dahin regen Austausch mit der Klientschaft erscheint ein Aufwand von total 4 Stunden angemessen. Der Aufwand für die Korrespondenz mit der Beschwerdegegnerin zwischen dem 29. Mai 2024 und 10. Juni 2024 sowie die E-Mail an die Klientschaft vom 29. Mai 2024 wird auf insgesamt 0.5 Stunden gekürzt. Beim Schreiben an das Obergericht vom 10. Juni 2024 handelt es sich um nicht zusätzlich zu entschädigenden Kanzleiaufwand. Davon wird auch bei der E-Mail an die Klientschaft, welche gleichentags verschickt wurde, ausgegangen. Diese Position von 0.5 Stunden am 10. Juni 2024 wird gestrichen. Der Aufwand vom 11. Juni 2024 für Empfang Akten EA O-G, Kurzstudium, Aktenstudium, E-Mail an Klientschaft, div. Mails von Klientschaft wird auf total 0.5 Stunden gekürzt. Der Anrufversuch an die Klientschaft vom 13. Juni 2024 ist nicht zu entschädigen. Der Aufwand zwischen dem 27. Juni 2024 und 23. August 2024 (ohne Schlussarbeiten), der mehrheitlich mit der Beschwerdebegründung zusammenhängt, ist auf total 3 Stunden zu kürzen, da die Beschwerdebegründung mehrheitlich mit dem Inhalt der Beschwerde vom 13. Mai 2024 übereinstimmt. Zudem handelt es sich beim Fristerstreckungsgesuch vom 19. August 2024 um nicht zusätzlich zu entschädigenden Kanzleiaufwand. Es resultiert ein zu entschädigender Aufwand von total 11.71 Stunden. Es ist ein Stundenansatz von CHF 280.00 angemessen. So resultiert ein Betrag von CHF 3'278.80 (11.71 Stunden à CHF 280.00). Zuzüglich Spesen von CHF 71.30 und Mehrwertsteuer von 8.1 % ergibt sich ein zu vom Kanton Solothurn zu entschädigender Betrag von CHF 3'621.45.

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung der Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, vom 1. Mai 2024 wird aufgehoben. Die Amtschreiberei Olten-Gösgen, Erbschaftsamt, wird angewiesen die Dokumente vom 23. Juni 2016 formell an A.___ zu eröffnen.

2.    Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens gehen zu Lasten des Staates. Die Zentrale Gerichtskasse des Kantons Solothurn wird angewiesen, A.___, C.___, den von ihr geleisteten Kostenvorschuss von CHF 1'300.00 zurückzuerstatten.

3.    Der Kanton Solothurn hat A.___, C.___, eine Parteientschädigung von CHF 3'621.45 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt mehr als CHF 30'000.00.

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Die Gerichtsschreiberin

Kofmel                                                                              Zimmermann

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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