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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:KV 2015/15
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:KV - Krankenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid KV 2015/15 vom 19.12.2017 (SG)
Datum:19.12.2017
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG. Erlass. Guter Glaube im Fall einer Doppelzahlung und erkennbar unrechtmässiger Zusprache von Leistungen aus der Restfinanzierung von Pflegekosten verneint (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. Dezember 2017, KV 2015/15).
Schlagwörter: Beschwerde; Mitteilung; J-act; Beschwerdeführer; Leistung; Restfinanzierung; Pflegekosten; P-act; Beschwerdegegnerin; Person; Rückforderung; Anspruch; Erlass; Glaube; Zeitraum; Adressierte; Glauben; Leistungen; Liegende; Bundesgerichts; Postkonto; Betreff; Kopie; Einsprache; Lautend; Urteil; Gebotene; Gallen; Begründung
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:112 V 104;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Entscheid vom 19. Dezember 2017

Besetzung

Präsident Joachim Huber, Versicherungsrichterin Christiane

Gallati Schneider und a.o. Versicherungsrichterin Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiber

Philipp Geertsen Geschäftsnr.

KV 2015/15

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführer,

    vertreten durch Rechtsanwältin Karin Herzog, M.A. HSG in Law,

    Amparo Anwälte und Notare, Neugasse 26, Postfach 148, 9001 St. Gallen,

    gegen

    Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Pflegefinanzierung (Erlass der Rückforderung) Sachverhalt

    A.

    1. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (SVA) erhielt am 12. Oktober 2012 die Mitteilung, dass die im Pflegezentrum B. für C. anfallenden Pflegekosten nach RAI/RUG (für einen Ferienaufenthalt) seit 30. September 2012 die Stufe 7 betragen würden (siehe act. 60 des Dossiers von C. [nachfolgend: P-act.]; zum Jahrgang siehe P-act. 64-4). In der an die D. AG adressierten Mitteilung vom

      29. Oktober 2012 mit dem Betreff „A. , […]“ legte die SVA den Anspruch auf Restfinanzierung der Pflegekosten für den Zeitraum vom 30. September bis 6. Oktober 2012 auf Fr. 59.40 pro Tag fest. Die Leistung werde auf das auf „A. “ lautende Postkonto XXXXXX ausbezahlt (act. 185 des Dossiers von A. [nachfolgend: J-act.]). In der ELAR-Notiz vom 15. November 2012 wurde festgehalten, die Restfinanzierungsleistung („PF“) sei dem Ehemann anstatt der Ehefrau ausbezahlt worden. Daher sei eine Korrektur vorzunehmen (P-act. 57). Die SVA forderte daraufhin die für den Zeitraum vom 30. September bis 6. Oktober 2012 geleistete Restfinanzierung der Pflegekosten mit der Mitteilung vom 5. Dezember 2012 zurück. Wiederum war diese an die D. AG adressiert. Der Betreff bezog sich auf A. (J- act. 184). In der ebenfalls an die D. AG adressierten Mitteilung vom 18. Januar 2013

      setzte die SVA den Anspruch von C. auf Restfinanzierung der Pflegekosten für die Dauer vom 30. September bis 6. Oktober 2012 auf Fr. 59.40 pro Tag fest. Die Leistung werde auf das Postkonto XXXXXX lautend auf C. überwiesen (P-act. 55).

    2. Am 4. Juli 2014 erhielt die SVA die Meldung, dass die Pflegetaxe für C. ab 1. Juni 2014 nach RAI/RUG die Stufe 7 betrage (P-act. 52; siehe auch die vom Pflegezentrum B. unterzeichnete Meldung vom 10. Juli 2014, P-act. 49). In der an C. adressierten Mitteilung vom 31. Juli 2014 setzte die SVA deren Anspruch auf Restfinanzierung der Pflegekosten für die Zeit ab 3. Juni 2014 auf Fr. 59.40 pro Tag fest. Die Überweisung sah sie auf das Postkonto XXXXXX lautend auf C. vor (P-act. 48; zum Umfang der Leistungen aus der Restfinanzierung für Pflegekosten für das Jahr 2014 siehe P-act. 35).

    3. Die SVA erliess am 12. September 2014 eine an die D. AG adressierte Mitteilung mit dem Betreff „A. “ und ermittelte darin für die Zeit ab 1. Juli 2014 einen Anspruch auf Restfinanzierung von Fr. 59.40 pro Tag. Die Leistung werde auf das Postkonto XXXXXX lautend auf „A. “ überwiesen (J-act. 119). Am 24. Februar 2015 verfügte die SVA zulasten von A. die Rückforderung für die im Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis 31. Januar 2015 ausgerichteten Restfinanzierungsbeiträge von insgesamt Fr. 12‘771.--. Auch die Verfügung war an die D. AG adressiert. Bei einer internen Prüfung sei festgestellt worden, dass die Heimrechnung vom Juli 2014 C. betreffe und sich ihr Ehegatte nicht im Heim aufhalte. Deswegen habe dieser im Zeitraum vom

1. Juli 2014 bis 31. Januar 2015 keinen Anspruch auf Restfinanzierung der Pflegekosten (J-act. 95). Die Rückforderungsverfügung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft. Am 20. April 2015 stellte der Versicherte ein Gesuch um Erlass der Rückforderung (J-act. 93; siehe auch die ergänzende Begründung vom 22. Mai 2015, J-act. 90). Die SVA wies das Erlassgesuch mit Verfügung vom 16. Juni 2015 ab, da der Leistungsbezug durch A. nicht gutgläubig erfolgt sei (J-act. 87). Dagegen erhob A. am 10. Juli 2015 Einsprache. Er habe die Leistungen in gutem Glauben bezogen und sei sich der Falschauszahlungen nicht bewusst gewesen (J-act. 84). Mit Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2015 wies die SVA die Einsprache ab (J-act. 76).

B.

    1. Gegen den Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2015 richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 23. November 2015. Der Beschwerdeführer beantragt darin dessen Aufhebung und den Erlass der Rückforderung in der Höhe von Fr. 12‘771.--; alles unter Kosten und Entschädigungsfolge. Zur Begründung bringt er im

      Wesentlichen vor, die Mitteilung vom 12. September 2014 betreffend den Anspruch auf Restfinanzierung der Pflegekosten sei ausschliesslich der D. AG zugestellt worden, obwohl der Beschwerdegegnerin mehrfach mitgeteilt worden sei, dass ihm persönlich Kopien zugestellt werden müssten. Die D. AG sei davon ausgegangen, dass er (der Beschwerdeführer) eine Kopie der Mitteilung vom 12. September 2014 erhalten habe. Hinzu komme, dass aus der Mitteilung nicht ohne weiteres hervorgehe, dass die Leistungen aus der Restfinanzierung der Pflegekosten für einen angeblichen Pflegeheimaufenthalt von ihm ausgerichtet würden. Es sei vielmehr so, dass die Korrespondenz der Beschwerdegegnerin stets an ihn gerichtet gewesen sei, auch wenn es seine Ehefrau betroffen habe. Er habe die Fehlzahlungen nicht bemerken können (act. G 1; siehe auch die ergänzende Begründung vom 5. Januar 2016, act. G 5).

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Beschwerdeantwort vom 29. Januar 2016 unter Verweis auf die Begründung des angefochtenen Einspracheentscheids die Abweisung der Beschwerde (act. G 7).

    3. Am 9. Juni 2017 verstarb C. (P-act. 3).

    4. Mit Schreiben vom 10. Juli 2017 forderte das Versicherungsgericht die

      Beschwerdegegnerin zur Edition der vollständigen Akten auf (act. G 9).

    5. Der Beschwerdeführer nahm am 4. September 2017 Stellung zu den von der

Beschwerdegegnerin edierten Akten (act. G 13).

Erwägungen

1.

Zwischen den Parteien umstritten und nachfolgend zu prüfen ist der Erlass der Rückforderung für zu Unrecht an den Beschwerdeführer ausgerichtete Leistungen der

Restfinanzierung der Pflegekosten für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis 31. Januar 2015 im Betrag von Fr. 12‘771.--. Die dem Erlassgesuch zugrunde liegende Rückforderung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft. Sie bildet nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

    1. Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben bezogen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt (Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Der gute Glaube als Erlassvoraussetzung ist nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben. Die leistungsempfangende Person darf sich vielmehr nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben (Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 2017, 8C_79/2017, E. 4.1). Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen konnte oder bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen können (Urteil des Bundesgerichts vom 19. September 2013, 9C_385/2013, E. 2.2). Wie in anderen Bereichen beurteilt sich das Mass der erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Massstab, wobei das der betroffenen Person in ihrer Subjektivität Mögliche und Zumutbare nicht ausgeblendet werden darf. Das Verhalten, das den guten Glauben ausschliesst, braucht nicht in einer Melde- oder Anzeigepflichtverletzung zu bestehen. Auch ein anderes Verhalten, z.B. die Unterlassung, sich bei der Verwaltung zu erkundigen, fällt in Betracht (Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 2017, 8C_79/2017, E. 4.1 mit Hinweisen).

    2. Die mangelnde Gutgläubigkeit infolge eines leicht erkennbaren Rechtsmangels kann durch ein allfälliges Fehlverhalten seitens der Verwaltung grundsätzlich nicht aufgehoben werden. Denn dass einer Behörde im Rahmen der Massenverwaltung vereinzelt Fehler unterlaufen, ist kaum vermeidbar und untermauert die Sorgfaltspflicht der einzelnen leistungsempfangenden Personen namentlich mit Bezug auf klar ersichtliche und leicht verständliche Sachverhaltselemente (Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 2017, 8C_79/2017, E. 4.2 mit Hinweisen).

2.

Zunächst ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer einräumt, identische Zahlungen erhalten zu haben (J-act. 84-1). Diese Doppelzahlung erfolgte unbestrittenermassen für denselben Zeitraum und auf dasselbe Postkonto (J- act. 79). Hinzu kommt, dass unbestrittenermassen der Zahlungsvermerk auf die Pflegekosten hinwies und die leistungsbegünstigte Person aufgeführt wurde (J-act. 79; siehe zur Namensangabe der begünstigten Person auch die jeweiligen Mitteilungen

„lautend auf“ in J-act. 119-1 bzw. P-act. 55). Angesichts dieser Sachlage hätte dem Beschwerdeführer die unrechtmässige Doppelzahlung bei der gebotenen Aufmerksamkeit auffallen müssen. Sie begründete zumindest einen Anlass für eine Erkundigung bei der Beschwerdegegnerin. Es kann ihm daher der Vorwurf nicht erspart bleiben, sich bei der Kontrolle der Zahlungseingänge grob fahrlässig verhalten bzw. dieser Aufgabe nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Diese Sichtweise wird durch die Angaben des Beschwerdeführers bekräftigt, dass er unter einem enormen Finanzdruck gelitten habe und die laufenden Rechnungen gerade so zu bezahlen vermocht habe, weshalb er die Doppeleinzahlung nicht bemerkt habe (J-act. 84-1). Aus dieser Aussage ist nämlich - bei allem Verständnis für die damalige anspruchsvolle Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin - ebenfalls zu schliessen, dass der Beschwerdeführer offenbar in der fraglichen Zeit bis Januar 2015 dem Zahlungsverkehr, insbesondere den Zahlungseingängen, nicht das gebotene Mass an Sorgfalt und Aufmerksamkeit gewidmet hat.

3.

Des Weiteren ist nicht verständlich, weshalb der Vertreterin des Beschwerdeführers, der D. AG, die unrechtmässige Leistungszusprache in der Mitteilung vom 12. September 2014 nicht aufgefallen war. Denn aus der Mitteilung, insbesondere dem Betreff sowie der Bemerkung zur von der Auszahlung begünstigten Person, geht ausdrücklich hervor, dass die Beschwerdegegnerin irrtümlich den Beschwerdeführer als leistungsberechtigt betrachtet hat. Die Person der Ehegattin wird nicht genannt (J- act. 119). Ins Gewicht fällt zudem, dass die D. AG bereits früher, am 29. Oktober 2012, eine Mitteilung erhielt, die - abgesehen vom Zeitraum der Leistungsausrichtung - einen identischen Inhalt aufwies bzw. ebenfalls allein den Beschwerdeführer als Leistungsberechtigten betreffend Restfinanzierung der Pflegekosten aufführte (J-act. 185). Diese Mitteilung bzw. die darin angeordnete Leistungszusprache führte bereits

damals zur (wiederum) der D. AG mitgeteilten Rückforderung (J-act. 184; vgl. vorne lit. A.a). Aufgrund dieser Erfahrung hätte die D. AG bei gebotener Sorgfalt Anlass gehabt, an der Rechtmässigkeit der Leistungszusprache zu zweifeln und sich bei der Beschwerdegegnerin zu erkundigen. Dieses Verhalten seiner Vertreterin hat sich der Beschwerdeführer anrechnen zu lassen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 19. Januar 2011, 9C_921/2010, E. 2 mit Hinweisen u.a. auf BGE 112 V 104 E. 3b). Aus dem Umstand, dass er - wie bereits bei den Mitteilungen vom 29. Oktober 2012 (J-act. 185) und 5. Dezember 2012 (J-act. 184) - von der Beschwerdegegnerin nicht mit einer Kopie der Mitteilung vom 12. September 2014 bedient wurde, vermag er nichts zu Gunsten seiner Vertreterin abzuleiten. Denn diese durfte mangels entsprechender Angabe auf der Mitteilung vom 12. September 2014 trotz des im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht Gegenstand bildenden Ergänzungsleistungsverfahren geäusserten Wunsches um „Zustellung von Kopien der Verfügungen“ (J-act. 139) nicht ohne Weiteres annehmen, der Beschwerdeführer sei mit einer Kopie der Mitteilung bedient worden. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die an die D. AG adressierte Mitteilung vom 18. Januar 2013 betreffend die Ansprüche von C. auf die Restfinanzierung der Pflegekosten - entgegen der Darstellung in der Beschwerde (act. G 1, Rz 8) - weder im Betreff noch in Bezug auf die auszahlungsbegünstigte Person den Beschwerdeführer nannte (P-act. 55). Gleiches gilt mit Blick auf die an C. adressierte Mitteilung vom 31. Juli 2014 (P-act. 48).

4.

Nach dem Gesagten fehlt es am guten Glauben des Leistungsbezugs, weshalb die Frage, ob eine grosse Härte im Sinn von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG vorliegt, offen bleiben kann. Die Beschwerde ist abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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