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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:IV 2018/340
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2018/340 vom 09.12.2019 (SG)
Datum:09.12.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 21 Abs. 1 IVG. Ziff. 5.07.2* Anh. HVI. Art. 43 Abs. 1 ATSG. Hörgerät als Hilfsmittel. Härtefallregelung bei einer Tätigkeit im Aufgabenbereich (Haushalt). Ungenügende Sachverhaltsabklärung (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 9. Dezember 2019, IV 2018/340).
Schlagwörter: Beschwerde; Hörgerät; Hörgeräte; Hörgeräteversorgung; Beschwerdeführerin; Beschwerdegegnerin; Haushalt; IV-act; Aufgaben; Abklärung; Verfügung; Anspruch; Aufgabenbereich; Hilfsmittel; Härtefall; Erwerbstätigkeit; IV-Stelle; Härtefallregelung; Teurere; Gericht; Familie; Hörgeräten; Person; Pauschal; Haushaltführung; Wäre; Hörverlust; Respektive; Angefochtene
Rechtsnorm: Art. 42 ATSG ; Art. 43 ATSG ; Art. 49 ATSG ;
Referenz BGE:132 V 215;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Entscheid vom 9. Dezember 2019

Besetzung

Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin Huber- Studerus; Gerichtsschreiberin Annina Janett

Geschäftsnr. IV 2018/340

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand Hilfsmittel (Hörgerät) Sachverhalt

A.

    1. A. meldete sich im Februar 2011 zum Bezug von Hörgeräten (Hilfsmittel) bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen an. Sie gab an, sie sei Hausfrau und leide seit 2006 an einem Gehörschaden (IV-act. 1). Dr. med. B. , ORL FMH, berichtete am 7. Juni 2011, bei der Versicherten lägen eine progrediente, hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits sowie eine atrophe Narbe im linken Trommelfell vor (IV-act. 10, vgl. auch den Schlussbericht vom 2. Mai 2012, IV-act. 15). Am 8. Mai 2012 erteilte die IV-Stelle eine Kostengutsprache für zwei Hörgeräte (Oticon Hit Pro RITE) gemäss Indikationsstufe 2 im Betrag von Fr. 3'045.60 (IV-act. 17).

    2. Im November 2017 meldete sich die Versicherte erneut zum Bezug von Hörgeräten an. Sie gab einen hochgradigen Hörverlust an und machte einen Härtefall geltend (IV-act. 19). Im Bericht über die Hörgeräteanpassung vom 12. Januar 2018 wurde festgehalten, dass sich das Gehör der Versicherten massiv verschlechtert habe, sodass von einem hochgradigen bzw. von einem an Taubheit grenzenden Hörverlust gesprochen werden müsse. Im Sommer 2016 habe sich herausgestellt, dass die Hörgeräteversorgung nicht mehr ausreichend gewesen sei, weil sich die Hörleistung der Versicherten in den letzten Jahren massiv verschlechtert habe. Zudem habe die Versicherte über die letzten Jahre eine stark ausgeprägte Lärmempfindlichkeit entwickelt, die sich auch durch Schmerzen im Kopf und Halsbereich geäussert habe. Die Hörgeräteanpassung sei bei der Versicherten in sämtlichen Punkten von einer Standardanpassung abgewichen. Der Zeitaufwand sei enorm gewesen. Die Hörgeräteeinstellung habe fast wöchentlich angepasst werden müssen, da sich das Hörempfinden der Versicherten geändert habe. Die Gewöhnung an die Geräusche sei ein sehr langer und teils schwerer Prozess gewesen (IV-act. 21).

A.c.

Dr. C. berichtete im Rahmen der ärztlichen Erstexpertise vom 18. Januar 2018,

dass der Gesamthörverlust 99.8% betrage. Der Unterschied des Hörverlustes nach

CPT-AMA zwischen rechts und links betrage weniger als 30%, der Unterschied des Diskriminationsverlustes im Sprachtest in Ruhe zwischen rechts und links betrage weniger als 50% und der Unterschied der Sprachhörschwelle zwischen links und rechts betrage weniger als 50dB. Die Voraussetzungen für eine binaurale Versorgung seien gegeben. Zusätzliche Erschwernisse (wie z.B. eine relevante Sehbehinderung) oder audiologische Erschwernisse für die Hörgeräteanpassung lägen nicht vor (IV-act. 22). Am 31. Januar 2018 erteilte die IV-Stelle der Versicherten eine Gutsprache für eine binaurale Hörgerätepauschale (im Betrag von Fr. 1'650.--; IV-act. 23).

    1. Im Rahmen der Prüfung der Härtefallregelung forderte die IV-Stelle die Versicherte auf, ein Tragejournal auszufüllen (vgl. IV-act. 24, 26 f.). In diesem Journal gab die Versicherte in der Folge an, dass ihr bei ihrer Tätigkeit als Hausfrau alle Arbeiten, insbesondere aber das Kochen, schwerfielen, da die Geräusche der Küchenutensilien sehr schmerzhaft seien. Auch das Einkaufen falle ihr schwer, da es ihr unangenehm sei, wenn sie die Kassiererin nicht verstehe oder wenn sie im Weg stehe und es nicht merke. Die Kommunikation in der Familie sei mittlerweile sehr eingeschränkt und es gebe oft Missverständnisse. Sie habe vier Kinder, weshalb es in der Wohnung meistens sehr laut sei. Sie habe sehr viele verschiedene neue Hörgeräte ausprobiert und diese jeweils auch lange genug getestet. Schliesslich habe sie dann die aktuellen Hörgeräte ausprobiert und diese seien um Einiges besser gewesen als die anderen. Sie habe bewusst versucht, günstigere Hörgeräte zu nehmen, aber deren Nutzen sei sehr gering gewesen. Sie benötige Hörgeräte aus jener Preisklasse, zu der ihre jetzigen Hörgeräte gehörten (IV-act. 28).

    2. Am 21. Juni 2018 kündigte die IV-Stelle der Versicherten die Abweisung des Begehrens um eine Hörgeräteversorgung im Härtefall an. Sie hielt sinngemäss fest, die Mehrkosten für eine Hörgeräteversorgung nach Art. 5.07.2* HVI (Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung) könnten nur in Betracht gezogen werden, wenn diese Hörgeräteversorgung für eine Erwerbstätigkeit notwendig sei. Da die Versicherte keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, erfülle sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht. Die Bewältigung des Haushaltes sei mit einer einfachen respektive auch ohne eine Hörgeräteversorgung uneingeschränkt möglich (IV-act. 30). Dagegen wandte die Versicherte am 15. August 2018 ein, dass die Rz 2053* KHMI (Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmittel durch die

      Invalidenversicherung) betreffend die Härtefallregelung auch für Tätigkeiten im Aufgabenbereich, also z.B. in der Haushaltführung, zur Anwendung komme. Da sie nicht in der Lage sei, ihre Umwelt ohne die [notwendige] Hörgeräteversorgung zu verstehen, benötige sie diese auch für die Tätigkeit in der Haushaltführung. Unabhängig davon wäre es ihr ohne die notwendige Hörgeräteversorgung auch nicht möglich, sich um eine Stelle zu bewerben und damit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (IV-act. 31).

    3. Mit Verfügung vom 12. September 2018 wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren ab. Zum Einwand der Versicherten führte sie aus, der Aufgabenbereich bzw. die Haushaltführung könne, wie bereits im Vorbescheid erwähnt, auch mit einer einfachen respektive ohne eine Hörgeräteversorgung uneingeschränkt erledigt werden. Die Invalidenversicherung übernehme einfache und zweckmässige Hilfsmittel. Die Mehrkosten der Hörgeräteversorgung könnten deshalb nicht übernommen werden. Sollte die Versicherte zwischenzeitlich doch noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen und/oder nachweislich die Stellensuche belegen können, könne der Anspruch erneut geprüft werden (IV-act. 32). Der Hörgeräteakustiker hielt am 12. Oktober 2018 fest, die aktuelle Hörgeräteversorgung sei nicht nur der Hörsituation gut angepasst, sondern auch für die Tätigkeit im Haushalt notwendig (IV-act. 37).

B.

    1. Gegen die Abweisungsverfügung vom 12. September 2018 erhob die Versicherte am 12. Oktober 2018 Beschwerde. Sie stellte den Antrag, die Verfügung sei aufzuheben und ihr Gesuch vom 27. November 2017 sei gutzuheissen. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, die Beschwerdegegnerin habe das Gesuch ohne nähere Abklärung der konkreten Hörsituation abgewiesen. Sie habe sich nicht dazu geäussert, inwiefern der Hörverlust für die Haushaltführung relevant sei. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass der Hörverlust für die Haushaltführung generell irrelevant sei. Angemessen wäre es gewesen, wenn unter Beizug fachmännischer Hilfe abgewogen worden wäre, ob die Hörgeräteversorgung notwendig sei. Sie wohne mit ihrem Ehemann in einer mittelgrossen Wohnung und ihre vier Kinder seien am Wochenende zu Hause. Tagsüber sei sie alleine zu Hause und erledige alle Haushaltarbeiten. Die aktuelle Hörgeräteversorgung sei absolut

      unerlässlich, da es in der Bewältigung des Haushaltes zahlreiche Situationen gebe, in denen das Hören notwendig sei, wenn man sich das Hören gewöhnt sei. Ohne das aktuelle Hörgerät könne sie weder die Hausklingel noch das Telefon hören und die Kommunikation mit der Aussenwelt und der Familie sei erheblich eingeschränkt. In formeller Hinsicht machte die Beschwerdeführerin geltend, die rechtliche Grundlage (Art. 5.07.2* HVI) sei ihr nicht als Beilage mitgeschickt worden (act. G 1).

    2. Im Oktober 2018 ersuchte die Beschwerdeführerin um die unentgeltliche Rechtspflege (vgl. act. G 3).

    3. Der Fachbereich nahm am 19. November 2018 intern zur Beschwerde Stellung. Die zuständige Sachbearbeiterin hielt fest, eine Kostenübernahme für ein Hilfsmittel bei der Tätigkeit im Aufgabenbereich komme nur in Frage, wenn dadurch die Arbeitsfähigkeit um in der Regel 10% gesteigert werden könne. Die meisten Haushalttätigkeiten könnten auch ohne gutes Hörvermögen ausgeführt werden. Die Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung sei höchstens für die "Pflege und Betreuung von Kindern und/oder Angehörigen" vorstellbar. Da sich jedoch alle Kinder der Beschwerdeführerin im Studium befänden, sei eine 10%ige Leistungssteigerung dank leistungsfähigeren Hörgeräten nicht vorstellbar. Deshalb seien keine weiteren Abklärungen betreffend die Tätigkeit im Aufgabenbereich in die Wege geleitet worden. Auf die subjektiv wahrgenommenen Einschränkungen der Beschwerdeführerin könne leider kaum Rücksicht genommen werden. Schliesslich sei darauf hinzuweisen, dass gemäss der Rz 2052* KHMI nur ein Anspruch auf eine einfache und zweckmässige Versorgung und nicht auf die bestmögliche Versorgung bestehe (IV-act. 38).

    4. Am 6. Dezember 2018 beantragte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde; sie verwies zur Begründung auf die Stellungnahme des Fachbereichs (act. G 6).

    5. Am 11. Dezember 2018 bewilligte das Gericht die unentgeltliche Rechtspflege

      (Befreiung von den Gerichtskosten) für das hängige Beschwerdeverfahren (act. G 7).

    6. In ihrer Replik vom 28. Januar 2019 brachte die Beschwerdeführerin im

      Wesentlichen nochmals das bereits in der Beschwerde Dargelegte vor (act. G 10).

    7. Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf die Einreichung einer Duplik (vgl. act.

G 12).

Erwägungen

1.

    1. Am 31. Januar 2018 hat die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin eine Gutsprache für eine binaurale Hörgerätepauschale (im Betrag von Fr. 1'650.--) erteilt (IV-act. 23). Die von der Beschwerdeführerin beantragte Übernahme der Mehrkosten der Hörgeräteversorgung im Sinne der Härtefallregelung hat die Beschwerdegegnerin mit einer Verfügung vom 12. September 2018 abgewiesen (IV-act. 32). Streitig und vorliegend zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin das "Härtefallgesuch" der Beschwerdeführerin zu Recht abgelehnt hat.

    2. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerde vom 12. Oktober 2018 geltend gemacht, dass sie die einschlägige rechtliche Grundlage (Art. 5.07.2* HVI) nicht als Beilage zur Verfügung mitgeschickt habe. Damit hat die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 49 Abs. 3 ATSG – als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 42 ATSG – gerügt. Tatsächlich hat es die Beschwerdeführerin versäumt, der angefochtenen Verfügung die genannte Verordnungsbestimmung beizulegen. Zwar enthält die leistungsabweisende Verfügung einen Auszug aus den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen; die massgebliche Norm der "Härtefallregelung Hörgeräteversorgung" gemäss Ziff. 5.07.2* HVI fehlt jedoch. Damit hat die Beschwerdegegnerin die Begründungspflicht verletzt. Dieser formelle Mangel wäre mit der Aufhebung der angefochtenen Verfügung und der Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin zur Gehörsgewährung und anschliessenden neuen Verfügung zu beheben. Allerdings hat die Beschwerdeführerin keinen entsprechenden Beschwerdeantrag gestellt. Die Anträge der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren sind vielmehr so zu interpretieren, dass sie auf die Rückweisung der Sache aus formellen Gründen verzichtet und die Beurteilung ihres Leistungsbegehrens vorzieht. Rechtsprechungsgemäss muss die Verfahrensrechtswidrigkeit angesichts der von der Beschwerdeführerin bevorzugten Verfahrensbeschleunigung ignoriert werden.

2.

    1. Gemäss Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG hat eine versicherte Person im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste einen Anspruch auf jene Hilfsmittel, die sie für die

      Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder einer Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, für die Aus- und Weiterbildung oder zum Zweck der funktionellen Angewöhnung bedarf. Der Anspruch auf ein Hilfsmittel gestützt auf Art. 21 Abs. 1 IVG setzt demnach die erwerbliche Eingliederungswirksamkeit desselben voraus. In der entsprechenden Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung sind die entsprechenden Hilfsmittel mit einem (*) gekennzeichnet (vgl. Art. 2 Abs. 2 HVI i.V.m. Art. 14 IVV).

    2. Während der Anspruch auf den Pauschalbeitrag an ein Hörgerät gemäss Ziff. 5.07 Anhang HVI keine erwerbliche Eingliederungswirksamkeit voraussetzt, ist die Härtefallregelung der Hörgeräteversorgung gemäss Ziff. 5.07.2* Anhang HVI mit einem (*) gekennzeichnet. Ein Anspruch auf eine über die Pauschale hinausgehende Vergütung der Hörgeräteversorgung besteht also nur, wenn dadurch ein wesentlicher erwerblicher Eingliederungserfolg erzielt werden kann. Für einen sich auf Ziff. 5.07.2* Anhang HVI stützenden Anspruch ist massgebend, ob die versicherte Person für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung ihrer Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, für die Aus- und Weiterbildung oder zum Zweck der funktionellen Angewöhnung auf ein teureres Hörgerät angewiesen ist. Diese Frage kann nicht unabhängig von der erwerblichen Situation respektive im Falle der Beschwerdeführerin von den Verhältnissen und Anforderungen des konkreten Aufgabenbereichs, d.h. im eigenen Haushalt, beantwortet werden.

    3. Ob die in Ziff. 5.07 Anhang HVI festgelegte Pauschale ausreichend ist oder ob ein Härtefall i.S.v. Ziff. 5.07.2* Anhang HVI vorliegt, lässt sich nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beantworten. Damit ist es zwingend erforderlich, den für den Anspruch auf die Übernahme der Mehrkosten der Hörgeräteversorgung gemäss der Härtefallregelung massgebenden Sachverhalt umfassend und sorgfältig zu ermitteln.

2.4.

      1. Die Beschwerdegegnerin hat die vorgesehene Abweisung des Leistungsbegehrens im Vorbescheid vom 21. Juni 2018 noch hauptsächlich damit begründet, dass die Beschwerdeführerin keiner Erwerbstätigkeit nachgehe (IV-act. 30), was den zitierten gesetzlichen Bestimmungen nicht standhält. Für einen allfälligen Anspruch auf eine Hörgeräteversorgung ist nicht ausschlaggebend, ob die versicherte Person eine Erwerbstätigkeit ausübt oder im Aufgabenbereich tätig ist (vgl. vorstehende E. 2.1 f.). In der Verfügung vom 12. September 2018 hat die

        Beschwerdegegnerin ihre Begründung angepasst und das Leistungsbegehren abgewiesen, weil "der Aufgabenbereich bzw. die Haushaltführung auch mit einer einfachen respektive ohne Hörgeräteversorgung uneingeschränkt erledigt werden" könne (IV-act. 36). Die Beschwerdegegnerin hat allerdings keinerlei Abklärungen getätigt. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eine Stellungnahme des Fachbereichs einzuholen. Dieser hat seinerseits die Möglichkeit einer Leistungssteigerung dank eines besseren Hörvermögens zum Vornherein verneint und weitere Abklärungen gar als "nicht zielführend" (IV-act. 38) erachtet. Dabei hat sich die zuständige Sachbearbeiterin auf Rz 1021 KHMI gestützt, wonach Hilfsmittel für die Tätigkeit im Aufgabenbereich nur abgegeben werden können, wenn die Arbeitsfähigkeit in der Regel um 10% (gemäss der Haushaltsabklärung) gesteigert werden könne. Eine solche Haushaltabklärung hat aber nicht stattgefunden. Die Beschwerdegegnerin hat somit weder abgeklärt, welche Aufgaben die Beschwerdeführerin im Haushalt konkret zu erledigen hat, noch welche konkreten Anforderungen diese Aufgaben an das Hörvermögen der Beschwerdeführerin stellen. Ohne diese Abklärung ist eine Beantwortung der Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit die Beschwerdeführerin bei der Erledigung dieser Aufgaben mit den teureren Hörgeräten leistungsfähiger wäre als mit der derzeitigen Hörgeräteversorgung, überhaupt nicht möglich. Die Aussage, dass eine Leistungssteigerung dank teureren Hörgeräten "nicht vorstellbar" sei, genügt nicht. Ein Abstellen auf fachliche Erfahrungswerte, wie es die Beschwerdegegnerin offenbar getan hat, kann die Abklärung an Ort und Stelle nicht ersetzen. Wie der Fachbereich im Übrigen selbst dargelegt hat, sind bei der Härtefallregelung gemäss Ziff. 5.07.2* Anhang HVI die Kriterien der Erwerbstätigkeit bzw. der Tätigkeit im Aufgabenbereich heranzuziehen. Bezüglich der Abklärung einer allfälligen Einschränkung im Aufgabenbereich Haushalt kann dabei nichts anderes gelten als bezüglich der Abklärung die Erwerbssituation bei Erwerbstätigen. Abzuklären ist folglich, ob eine teurere Hörgeräteversorgung der Beschwerdeführerin eine spürbare Leistungssteigerung bei der Besorgung ihres Haushaltes ermöglicht bzw. ob die Beschwerdeführerin mit den teureren Hörgeräten erheblich leistungsfähiger ist als mit der pauschalen Hörgeräteversorgung. Mit dem Unterlassen dieser zwingend notwendigen Abklärung hat die Beschwerdegegnerin ihre Untersuchungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG) verletzt.

      2. Sollte die Beschwerdegegnerin nach der Durchführung der genannten Abklärung zum Schluss kommen, dass nachweislich keine Leistungssteigerung im Haushalt erreicht wird, hat sie in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob bei der

Beschwerdeführerin allenfalls ein derart spezieller Hörschaden vorliegt, dass er mit einer durchschnittlichen, pauschal abgegoltenen Hörgeräteversorgung gar nicht adäquat bzw. einfach und zweckmässig (Rz 2052 KHMI) behandelt werden kann, respektive ob das Hörvermögen der Beschwerdeführerin mit einer durchschnittlichen Hörgeräteversorgung überhaupt auf das von der Pauschale gedeckte Durchschnittsniveau gehoben werden kann.

    1. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass das Argument der Schadenminderungspflicht, das vom Fachbereich der Beschwerdegegnerin im Rahmen der Leistungsverweigerung ebenfalls herangezogen worden ist, darauf abzielt, einen über eine pauschale Hörgeräteversorgung hinausgehenden Anspruch zum Vornherein auszuschliessen. Wenn nämlich die Familienangehörigen die Erledigung des Haushaltes für die versicherte Person übernehmen, hat diese gar keinen Aufgabenbereich mehr und ist dementsprechend in ihrer Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt. Diesbezüglich ist anzumerken, dass es eine solche Schadenminderungspflicht von Familienangehörigen entgegen der konstanten Bundesgerichtspraxis nicht gibt. Die Invalidität besteht in der behinderungsbedingten Einbusse an persönlicher Leistungsfähigkeit der versicherten Person und nicht etwa in der Fähigkeit der versicherten Person plus ihrer Familie als Einheit bzw. "Team", den Haushalt zu erledigen. Die Einschränkung im Haushalt ist deshalb unabhängig von der Verfügbarkeit bzw. von der blossen Existenz von Familienangehörigen zu bemessen (vgl. dazu statt vieler den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14. September 2018, IV 2016/247, E. 3.1).

    2. Zusammenfassend beruht die angefochtene Verfügung auf einem ungenügend abgeklärten Sachverhalt und ist deshalb rechtswidrig. Sie ist aufzuheben und die Sache ist zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin und zur anschliessenden neuen Verfügung zurückzuweisen. Diese wird umfassende Abklärungen zur Beantwortung der Frage tätigen, ob der Beschwerdeführerin die Besorgung ihres Haushaltes mit der pauschalen Hörgeräteversorgung möglich ist, oder ob sie auf eine teurere Hörgeräteversorgung, die eine Vergütung der Kosten gemäss der Ziff. 5.07.2* Anhang HVI rechtfertigt, angewiesen ist.

3.

    1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde ist die angefochtene Verfügung vom

      12. September 2018 aufzuheben und die Sache ist zur Durchführung weiterer Abklärungen und zur anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

    2. Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.-- bis Fr. 1'000.-- festgelegt (Art. 69 Abs. 1 bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- erscheint in der vorliegend zu beurteilenden Angelegenheit als angemessen. Die Rückweisung der Sache zur ergänzenden Abklärung und neuen Beurteilung an die Verwaltung ist als volles Obsiegen der Beschwerdeführerin zu werten (BGE 132 V 215 E. 6.2). Dementsprechend ist die Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Verfügung vom 12. September 2018 aufgehoben und die Sache wird zur weiteren Abklärung und zur anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Die Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten von Fr. 600.-- zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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