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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2012/345)

Zusammenfassung des Urteils IV 2012/345: Versicherungsgericht

A. hat sich 2000 und 2002 bei der IV-Stelle für eine Rente der Invalidenversicherung angemeldet, nachdem sie wegen eines Unfalls und psychischer Probleme arbeitsunfähig geworden war. Nach verschiedenen Gutachten und Verfügungen wurde ihr eine halbe Rente zugesprochen. Trotz Einsprachen und Beschwerden wurde der Rentenanspruch mehrmals neu berechnet und angepasst. Letztendlich wurde A. eine halbe Rente bis 2012 zugesprochen. Die Beschwerde gegen die letzte Verfügung wurde abgewiesen, und A. wurde von den Gerichtskosten befreit.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2012/345

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2012/345
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2012/345 vom 08.12.2014 (SG)
Datum:08.12.2014
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 28 IVG. Art. 16 ATSG. Rückwirkende Zusprache einer befristeten, abgestuften Invalidenrente. Unteilbarkeit des Rentenanspruchs. Unteilbarkeit der Verfügung über den Rentenanspruch. „Verrechnung“ des Anspruchs mit bereits (vorsorglich) geleisteten Rentenzahlungen (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Dezember 2014, IV 2012/345).
Schlagwörter: Rente; Verfügung; Prozent; Gutachten; Arbeitsfähigkeit; IV-act; Sachverständige; Sachverständigen; MEDAS; Invalidität; Recht; IV-Stelle; Unfall; Ostschweiz; Rentenanspruch; Verfügungen; Gesundheitszustand; Arbeitsunfähigkeit; Invaliditätsgrad; Sicht; Austrittsbericht; Rehaklinik
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ;Art. 16 ATSG ;Art. 22 ATSG ;Art. 7 ATSG ;Art. 8 ATSG ;
Referenz BGE:125 V 413; 126 V 75; 127 V 294; 131 V 164;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2012/345

Entscheid Versicherungsgericht, 08.12.2014

Vizepräsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Karin Huber-Studerus und Marie-Theres Rüegg Haltinner; Gerichtsschreiber Tobias Bolt

Entscheid vom 8. Dezember 2014

in Sachen

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Eugen Koller, LL.M., Anwaltskanzlei St. Jakob,

St. Jakob Strasse 37, 9000 St. Gallen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

betreffend Rente Sachverhalt A.

    1. A. meldete sich am 7. Juli 2000 (IV-act. 5) und nochmals am 7. November 2002 (IV-act. 1) zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen an. Sie gab an, sie habe keine Berufsausbildung absolviert und bis zu einem Unfall im Jahr 1997 (Treppensturz mit nachfolgenden lumbalen Beschwerden; vgl. Fremdakten) als Betriebsmitarbeiterin gearbeitet. Seither sei sie vollständig arbeitsunfähig, wobei nebst den Unfallfolgen auch eine psychische Problematik eine Rolle spiele. Die Suva richte ihr eine Rente aus, die per 31. August 2002 gekürzt

      worden sei, weshalb ab diesem Datum eine volle (gemeint wohl: ganze) Rente der Invalidenversicherung beantragt werde. Gestützt auf einen Austrittsbericht der Rehaklinik Bellikon vom 23. August 2000, in dem eine aktuelle und innert drei Monaten auf 100 Prozent steigerbare Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent attestiert worden war (Fremdakten), sowie auf eine Verfügung der Suva vom 8. August 2002, mit der das bis zum 31. August 2002 ausgerichtete ganze Taggeld durch eine halbe Invalidenrente abgelöst worden war (Fremdakten), beantragte der Sachbearbeiter der IV-Stelle am

      16. Juni 2003 die Zusprache einer ganzen Rente ab dem 1. Juli 1999 („verspätete Anmeldung“) und einer halben Rente ab dem 1. September 2002 (IV-act. 36). Mit einer Verfügung vom 25. September 2003 sprach die IV-Stelle der Versicherten entsprechende Rentenleistungen zu (IV-act. 45).

    2. Eine gegen die Verfügung vom 25. September 2003 erhobene Einsprache (IV- act. 46) veranlasste die IV-Stelle, diese Verfügung am 11. Februar 2004 zu widerrufen (IV-act. 64) und die medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) Ostschweiz mit der Er­ stellung eines polydisziplinären Gutachtens zu beauftragen (IV-act. 69). Die Sachverständigen der MEDAS Ostschweiz erstatteten dieses Gutachten am

      15. November 2005 (IV-act. 73). Sie führten aus, die Versicherte leide im Wesentlichen

      an einem chronifizierten lumbospondylogenen Schmerzsyndrom und an einer

      rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittlerer Episode und somatischem Syndrom. Aus psychiatrischer Sicht müsse von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten ab April 2001 (Tod der 26 Jahre alten Tochter) und einer seit diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsunfähigkeit von 60 Prozent ausgegangen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei von einer Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent auszugehen. Mit einem Beschluss vom 22. Februar 2006 teilte die IV- Stelle der zuständigen Ausgleichskasse gestützt auf dieses Gutachten mit, sie solle der Versicherten im Namen der IV-Stelle eine halbe Rente ab dem 1. Juli 1999 und eine Dreiviertelsrente ab dem 1. Januar 2004 (Inkrafttreten der vierten IV-Revision mit Einführung der Dreiviertelsrenten) zusprechen und nötigenfalls eine Rückforderungsverfügung erlassen (IV-act. 82–2 f.). Die Ausgleichskasse antwortete

      am 3. März 2006 (IV-act. 82–1), sie habe der Versicherten für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 31. August 2002 gestützt auf eine rechtsgültige Verfügung eine ganze Rente ausgerichtet. Abgesehen davon, dass die Versicherte diese Rente zu Recht erhalten habe, stelle sich zumindest teilweise bezüglich der nachträglichen Korrektur des Rentenanspruchs die Frage der Verjährung. Am 8. März 2006 teilte die IV-Stelle der Ausgleichskasse mit (IV-act. 83), sie habe es versehentlich versäumt, ihr die Widerrufsverfügung vom 11. Februar 2004 zuzustellen. Es bleibe der Ausgleichskasse überlassen, wie sie bezüglich der Rückforderung verfahren wolle. Mit einer Verfügung vom 23. März 2006 wurde der Versicherten ab April 2006 eine Dreiviertelsrente zugesprochen (IV-act. 84). Eine dagegen erhobene Einsprache wurde am 8. Januar 2007 abgewiesen (IV-act. 100).

    3. Eine gegen den Einspracheentscheid vom 8. Januar 2007 erhobene Beschwerde wurde vom Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen am 21. Juli 2008 insofern gutgeheissen (IV 2007/75; vgl. IV-act. 112), als der Einspracheentscheid aufgehoben und die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei nicht zulässig gewesen, bloss über den Rentenanspruch ab April 2006 zu verfügen, da nur über den Rentenanspruch als Ganzes – und damit zwingend auch für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 31. März 2006 – verfügt werden könne. Mit einem Beschluss vom 24. Februar 2009 teilte die IV-Stelle der Ausgleichskasse mit (IV-act. 118), dass sie die Rentenleistungen ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 51 Prozent ab dem 9. Oktober 1998 und einem solchen von 61 Prozent ab dem 1. April 2001 neu berechnen solle. Dabei müsse sie beachten, dass

      eine verspätete Anmeldung vorliege, weshalb die Ausrichtung von Rentenleistungen für die Zeit vor dem 1. Juli 1999 nicht in Frage kommen könne. Zudem werde auf eine Rückforderung der zu viel ausgerichteten Rentenleistungen verzichtet. Mit mehreren Verfügungen vom 23. April 2009 wurden der Versicherten eine halbe Rente für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 31. Dezember 2003 und eine Dreiviertelsrente für die Zeit ab dem 1. Januar 2004 zugesprochen (IV-act. 121 ff.).

    4. Eine gegen die Verfügungen vom 23. April 2009 erhobene Beschwerde (IV-

act. 133) wurde vom Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit einem Entscheid vom 6. April 2011 insofern gutgeheissen (IV 2009/185; vgl. IV-act. 148), als die Verfügungen vom 23. April 2009 aufgehoben wurden und die IV-Stelle verpflichtet wurde, ein Vorbescheidsverfahren durchzuführen. In der Folge empfahl Dr. med. B. vom IV-internen regionalen ärztlichen Dienst (RAD), aktuelle medizinische Berichte einzuholen, die Suva-Akten zu aktualisieren und anschliessend die MEDAS Ostschweiz mit einer Verlaufsbegutachtung zu beauftragen (IV-act. 157). Das in der Folge in Auftrag gegebene Verlaufsgutachten wurde am 15. Februar 2012 erstattet (IV-act. 163). Die Sachverständigen führten aus, die bei der Begutachtung im Jahr 2005 diagnostizierte depressive Störung sei mittlerweile remittiert. Die Versicherte habe sich nach dem Tod ihrer Tochter wieder gut gefangen. Aus rheumatologischer Sicht sei ihr aber die zuletzt ausgeübte Tätigkeit seit dem 9. Oktober 1997 (Sturzereignis) bleibend nicht mehrzumutbar. Ab dem Jahr 2007/2008 lasse sich aus psychiatrischer Sicht keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr begründen, weshalb ab diesem Zeitpunktgesamthaft für eine leidensadaptierte Tätigkeit eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestehe. Gestützt auf dieses Gutachten teilte die IV-Stelle der Versicherten mit einem Vorbescheid vom 17. April 2012 mit (IV-act. 167), dass sie gedenke, ihr ab dem 1. Juli 1999 eine halbe und ab dem 1. April 2001 eine Dreiviertelsrente zuzusprechen, die Rentenleistungen aber auf das Ende des der Zustellung der vorgesehenen Verfügung folgenden Monats einzustellen. Dagegen liess die Versicherte am 23. Mai 2012 einwenden (IV-act. 168), entgegen der Ansicht der Sachverständigen und der IV-Stelle habe sich ihr Gesundheitszustand seit der letzten Begutachtung keineswegs verbessert. Eine allenfalls noch vorhandene Restarbeitsfähigkeit sei ohnehin nicht mehr verwertbar, da die Versicherte bereits 57 Jahre alt und seit 15 Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen sei. Ihre Nackenschmerzen seien zudem nicht genügend abgeklärt worden. Es dränge sich

deshalb eine weitere Begutachtung unter Beizug eines Neurologen auf. Nachdem der RAD-Arzt Dr. B. am 6. Juni 2012 ausgeführt hatte (IV-act. 170), es seien keine weiteren medizinischen Abklärungen nötig, sondern es könne auf das Gutachten der MEDAS Ostschweiz abgestellt werden, fasste die IV-Stelle am 4. Juli 2012 den Beschluss, der Versicherten eine Rente gemäss dem Vorbescheid auszurichten (IV- act. 172). Mit mehreren Verfügungen vom 17. Juli 2012 sprach die IV-Stelle der Versicherten schliesslich eine halbe Rente für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum

31. Dezember 2003 und eine Dreiviertelsrente für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. August 2012 zu. Angesichts der bereits geleisteten Rentenzahlungen resultierte keine Nachzahlung, sondern bloss noch ein Anspruch auf eine Monatsrente für den August 2012.

B.

    1. Mit einer Beschwerde vom 14. September 2012 (act. G 1) liess die Versicherte (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) die Aufhebung der Verfügungen vom 17. Juli 2012 und die Zusprache einer ganzen Rente ab dem 1. Juli 1999 beantragen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verfügung vom 25. September 2003 sei bloss teilweise mittels einer Einsprache angefochten worden; betreffend die Zusprache einer ganzen Rente bis und mit August 2002 sei sie in Rechtskraft erwachsen. Eine Wiedererwägung falle nicht in Betracht, zumal im Austrittsbericht der Rehaklinik Bellikon vom 28. Mai 2002 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit dem Unfall im Jahr 1997 attestiert worden sei. Das Gutachten der MEDAS Ostschweiz vom 15. November 2005 enthalte keine überzeugende Begründung für die davon abweichende Arbeitsfähigkeitsschätzung. Auch das Gutachten vom 15. Februar 2012 überzeuge nicht. Die Sachverständigen hätten die in den Berichten der behandelnden Ärzte erwähnten Befunde nicht umfassend berücksichtigt und seien teilweise augenscheinlich voreingenommen gewesen. Selbst wenn noch eine Restarbeitsfähigkeit vorhanden sei, sei diese bloss theoretischer Natur und angesichts des Alters der Beschwerdeführerin, der langen Absenz vom Arbeitsmarkt, der vielfältigen qualitativen Anforderungen an eine leidensadaptierte Tätigkeit, der mangelnden Deutschkenntnisse, der geringen Schulbildung und der Konzentrationsschwäche als Folge der Medikamenteneinnahme nicht mehr verwertbar. Schliesslich sei auch die Verrechnung der Rentenleistungen zu beanstanden. Es fehle

      an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen den verrechneten Leistungen. Ein Teil der Leistungen sei bereits erloschen. Die Beschwerdeführerin habe auch keine Melde- Auskunftspflicht verletzt. Selbst wenn also kein Anspruch auf eine ganze Rente bestehe, sei die Verrechnung unzulässig.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 2. November 2012 die Abweisung der Beschwerde und die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ab Juli 1999 bis aktuell keinen Anspruch auf eine Invalidenrente habe (act. G 7). Zur Begründung führte sie

      aus, die „Verrechnung“ gemäss den angefochtenen Verfügungen sei bloss theoretischer Natur und habe mit der Verrechnungsmöglichkeit gemäss Art. 22 Abs. 2 ATSG nichts zu tun. Den Verfügungen lasse sich entnehmen, dass gewissermassen die Rente ab Juli 1999 nachgezahlt und gleich wieder mit den bereits ausgerichteten Leistungen verrechnet werde. Tatsächlich habe die Beschwerdeführerin insgesamt mehr Leistungen als geschuldet erhalten, aber auf eine Rückforderung sei verzichtet worden. Da bisher weder eine Verfügung noch ein Einspracheentscheid in Rechtskraft erwachsen sei, sei der gesamte Rentenanspruch ab Juli 1999 zu Recht frei geprüft worden. In medizinischer Hinsicht sei auf die beiden Gutachten der MEDAS Ostschweiz abzustellen. Da im ersten MEDAS-Gutachten im Wesentlichen ein pathogenetisch-ätiologisch unklares Beschwerdebild ohne nachweisbare organische Genese diagnostiziert worden sei und die so genannten Foerster’schen Kriterien nicht erfüllt gewesen seien, sei in Abweichung von diesem Gutachten von einer vollen Arbeitsfähigkeit auszugehen. Damit habe im massgebenden Zeitraum ab Juli 1999 nie eine rentenbegründende Invalidität vorgelegen.

    3. Die Beschwerdeführerin liess am 20. Februar 2013 an ihren Anträgen festhalten (act. G 14). Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine Duplik (vgl. act. G 16).

Erwägungen:

1. Die Beschwerdegegnerin hat zwar am 17. Juli 2012 mehrere Verfügungen erlassen. Mit diesen Verfügungen hat sie aber insgesamt ausschliesslich über den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin ab Juli 1999 entschieden. Die Verfügungen sind daher zusammen als eine einzige Verfügung zu behandeln, mit der über das Rentengesuch der Beschwerdeführerin entschieden worden ist (vgl. BGE 131 V 164).

Über den Rentenanspruch kann weder teilweise verfügt werden noch kann eine Verfügung betreffend einen Rentenanspruch teilweise in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGE 125 V 413). Wie bereits im Entscheid IV 2007/75 vom 21. Juli 2008 ausgeführt worden ist, ist die Verfügung vom 25. September 2003 entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht teilweise in Rechtskraft erwachsen. Betreffend einen allfälligen Rentenanspruch der Beschwerdeführerin liegt noch keine rechtskräftige Verfügung im Recht. Den Gegenstand dieses Verfahrens bildet also der Rentenanspruch der Beschwerdeführerin als solcher bis zur Eröffnung der angefochtenen Verfügung. Bezüglich des Begehrens der Beschwerdegegnerin, es sei festzustellen, dass kein Rentenanspruch bestehe, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Feststellung rechtswidrig wäre, denn es besteht kein schutzwürdiges Interesse an einer solchen Feststellung. Das Begehren der Beschwerdegegnerin ist daher als Antrag auf Abweisung des Rentengesuchs zu interpretieren.

2.

2.1 Einen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben Versicherte, die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können, während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid sind (Art. 28 Abs. 1 IVG). Invalidität ist die voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG). Erwerbsunfähigkeit ist der durch eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachte und nach der zumutbaren Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1 ATSG). Bei erwerbstätig gewesenen Versicherten (vgl. Art. 28a Abs. 1 IVG) wird für die Bestimmung des Invaliditätsgrades das Erwerbseinkommen, das sie nach dem Eintritt der Invalidität und nach der Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihnen zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnten, zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnten, wenn sie nicht invalid geworden wären, in Beziehung gesetzt (Art. 16 ATSG).

2.2

      1. Die Beschwerdeführerin hat am 9. Oktober 1997 einen Unfall erlitten. Sie ist auf einer Treppe gestürzt und hat sich dabei Prellungen am Kopf und an der lumbalen Wirbelsäule zugezogen. Bereits seit Dezember 1990 hatte ein pseudoradiculäres Lumbovertebralsyndrom links bei Spondylolyse L3/4 und L4/5 sowie Olisthesis L4/5 Grad I–II, L3/4 Grad I und zusätzlicher Sacralisation L5 vorgelegen. Die behandelnden Ärzte der Rehaklinik Bellikon führten in ihrem Austrittsbericht vom 23. August 2000 betreffend die stationäre Behandlung vom 12. Juli bis 16. August 2000 aus (Fremdakten), die Beschwerdeführerin leide an einer segmentalen Funktionsstörung der lumbalen Wirbelsäule und an einer depressiven Anpassungsstörung. Aufgrund der Funktionsstörung des lumbo-sacralen Übergangs könne die Beschwerdeführerin monostatische Haltungsbelastungen nur noch zeitlich limitiert tolerieren. Auch die Gehfähigkeit sei beeinträchtigt. Für das Heben und Tragen von Lasten sei eine Limite von fünf bis zehn Kilogramm zu beachten. Die Beschwerdeführerin könne nicht länger dauernd Zwangshaltungen kauernde Positionen einnehmen. Sie müsse wechselbelastende Tätigkeiten ausführen. Rein subjektiv fühle sie sich stark eingeschränkt. Eine Schätzung der Arbeitsfähigkeit sei aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Verhaltens während der Behandlung nicht möglich. Die Beschwerdeführerin habe sich so präsentiert, dass eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung nicht vorstellbar sei. Aus orthopädischer Sicht bestehe aber gemäss einem Gutachten der Universitätsklinik Balgrist eine Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent für rückengerechte Tätigkeiten (mit einer prognostizierten Steigerung auf 100 Prozent innert drei Monaten). Dieser Einschätzung könnten sich die Ärzte der Rehaklinik Bellikon anschliessen. Aus psychiatrischer Sicht sei die Arbeitsfähigkeit zwar zusätzlich eingeschränkt, doch gesamthaft erachte man eine halbe Arbeitsleistung in adaptierten Tätigkeiten als zumutbar. Im erwähnten Gutachten der Universitätsklinik Balgrist vom

        26. April 2000 war ausgeführt worden (Fremdakten), aus orthopädischer Sicht lägen keine Befunde vor, die eine vollständige Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin begründen würden. Zur Zeit sei die Beschwerdeführerin zu 50 Prozent arbeitsfähig. Die Arbeitsfähigkeit werde nach einem weiteren Rehabilitationsaufenthalt innert drei Monaten auf 100 Prozent erhöht werden können. Eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin in der Zeit zwischen dem Unfall und der Begutachtung war nicht erwähnt worden. In einem Austrittsbericht der Rehaklinik Bellikon vom 14. Mai 1998 betreffend eine erste stationäre Behandlung vom 18. März

        bis zum 29. April 1998 war eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit noch als unrealistisch qualifiziert worden (Fremdakten). Die Sachverständigen der MEDAS Ostschweiz hielten in ihrem Gutachten vom 15. November 2005 fest (IV-act. 73), sie schlössen sich aus internistisch-rheumatologischer Sicht dem Gutachten der Universitätsklinik Balgrist an und gingen entsprechend von einer Arbeitsfähigkeit von mindestens 50 Prozent ab Oktober 1997 aus. In psychiatrischer Hinsicht habe sich der Gesundheitszustand ab April 2001 verschlechtert, weshalb ab diesem Zeitpunkt von einer Arbeitsfähigkeit von 40 Prozent auszugehen sei. In ihrem zweiten Gutachten vom

        15. Februar 2012 führten die Sachverständigen der MEDAS Ostschweiz aus (IV- act. 163), der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin habe sich

        mittlerweile erheblich verbessert. Die depressive Störung sei remittiert, weshalb aus psychiatrischer Sicht ab 2007/2008 keine Arbeitsunfähigkeit mehr attestiert werden könne.

      2. Der erste Austrittsbericht der Rehaklinik Bellikon vom 14. Mai 1998 enthält keine Arbeitsfähigkeitsschätzung, welche die Grundlage für die Bemessung der Invalidität der Beschwerdeführerin im damaligen Zeitraum bilden könnte. Die behandelnden Ärzte haben zwar festgehalten, dass eine Erwerbstätigkeit unrealistisch sei. In ihrem zweiten Austrittsbericht haben sie aber ebenfalls festgehalten, dass eine Erwerbstätigkeit unrealistisch sei, obwohl sie gleichzeitig die zumutbare Arbeitsfähigkeit mit einer überzeugenden Begründung auf 50 Prozent geschätzt haben. Aufgrund der von den Ärzten der Rehaklinik Bellikon im zweiten Austrittsbericht aufgezeigten Diskrepanz zwischen der „realistischen“ und der zumutbaren Arbeitsfähigkeit ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitsfähigkeitsschätzung im ersten Austrittsbericht ebenfalls nicht auf die zumutbare Arbeitsfähigkeit bezogen hat. Abgesehen von einer leichten Zunahme der depressiven Anpassungsstörung haben die Ärzte der Rehaklinik Bellikon auch keine Anhaltspunkte für eine Veränderung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin im Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten stationären Behandlung geliefert, womit eine zwischenzeitliche wesentliche Verbesserung ausgeschlossen ist. Auch im Gutachten der Universitätsklinik Balgrist ist keine Verbesserung des Gesundheitszustandes im Zeitraum zwischen dem Unfall und der Begutachtung erwähnt worden. Die übrigen medizinischen Akten vermögen ebenfalls keine weiter gehende Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Ebenso wenig kann aus dem Umstand, dass die Suva bis und mit Juli 2000 ein ganzes Taggeld

        ausgerichtet hat, hinsichtlich der für die Bemessung des Invaliditätsgrades entscheidenden Arbeitsfähigkeit etwas abgeleitet werden. Gesamthaft ist aufgrund des überzeugenden Austrittsberichtes der Rehaklinik Bellikon vom 23. August 2000, des überzeugenden Gutachtens der Universitätsklinik Balgrist vom 26. April 2000 und des ebenfalls überzeugenden Gutachtens der MEDAS Ostschweiz vom 15. November 2005 von einer im Wesentlichen psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent ab dem Unfalldatum auszugehen.

      3. Die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen der MEDAS Ostschweiz, der Verlust der Tochter im April 2001 habe die Arbeitsfähigkeit der ohnehin schon psychisch belasteten Beschwerdeführerin (Anpassungsstörung nach dem Unfall, schwerer Ehekonflikt) zusätzlich beeinträchtigt, erscheint als überzeugend. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin hat es sich beim damals diagnostizierten Leiden nicht ausschliesslich um ein unklares Beschwerdebild, sondern vielmehr um eine eigentliche depressive Störung gehandelt. So hat der psychiatrische Sachverständige denn auch eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode und somatischem Syndrom und – zusätzlich – bloss den Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Bei der depressiven Störung, die retrospektiv in den Jahren 2001–2005 als mindestens mittelgradig ausgeprägt qualifiziert worden ist, handelt es sich gemäss den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen um ein eigenständiges psychisches Leiden. Dieses ist im genannten Zeitraum genügend stark ausgeprägt gewesen, um eine (so genannt „invalidisierende“) Arbeitsunfähigkeit im

        vom Sachverständigen genannten Ausmass zu begründen. Entscheidend ist, dass es sich dabei um eine eigenständige Krankheit von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer gehandelt hat, die geeignet gewesen ist, die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin relevant zu beeinträchtigen. Ob und allenfalls in welchem Ausmass diese Krankheit auf psychosoziale Belastungen zurückzuführen ist, ist dagegen nicht entscheidend, denn bei der Invaliditätsbemessung müssen einzig psychosoziale Belastungen, welche die Arbeitsfähigkeit beeinflussen, ohne eine eigentliche Krankheit (mit-) zu verursachen, ausgeblendet werden (vgl. BGE 127 V 294). Folglich ist ausgehend vom Gutachten der MEDAS Ostschweiz vom 15. November 2005 von einer Arbeitsunfähigkeit von 60 Prozent ab April 2001 auszugehen.

      4. Die Beschwerdeführerin lässt eine Voreingenommenheit bzw. eine Befangenheit der Sachverständigen geltend machen. Sie hat ausführen lassen, die Sachverständigen seien wirtschaftlich von der Beschwerdegegnerin abhängig. Bei der zweiten Begutachtung seien sie voreingenommen gewesen, denn sie hätten die Beschwerden der Beschwerdeführerin nicht ernst genommen. Was den Vorwurf der wirtschaftlichen Abhängigkeit betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdegegnerin als eine das Gesetz vollziehende Behörde kein Interesse an einem bestimmten Untersuchungsergebnis haben kann. Ihre Aufgabe ist es, die massgebenden Rechtsnormen auf Einzelfälle anzuwenden, wobei sie insbesondere dem Legalitätsprinzip und dem Gleichbehandlungsgebot untersteht. Das bedeutet, dass es für die Beschwerdegegnerin im Einzelfall kein erwartetes gar erwünschtes Ergebnis geben darf. Ihr Ziel muss es vielmehr sein, das geltende Recht objektiv anzuwenden. Das aktuell politisch angestrebte Sparziel kann die Beschwerdegegnerin folglich nicht erreichen, indem sie Versicherten, denen von Gesetzes wegen eine Rente zustünde, diese Rente gesetzwidrig verweigert. Vielmehr muss sie hierfür den gesetzlichen Spielraum ausnutzen, das heisst den zwischenzeitlich erhöhten Massstab (objektiv) berücksichtigen und versuchen, von einer Invalidität betroffene Versicherte so rasch und gut als möglich wieder in den Erwerbsprozess einzugliedern. Letzteres gelingt nur, wenn medizinisch möglichst genau feststeht, welche Tätigkeiten einem betroffenen Versicherten in welchem Umfang noch zumutbar sind. Nur auf der Grundlage einer zuverlässigen medizinischen Aktenlage kann die Beschwerdegegnerin Versicherte bestmöglich wieder in den Erwerbsprozess eingliedern. Folglich muss sie von den mit ihr wirtschaftlich verbundenen MEDAS nicht ein möglichst strenges, sondern ein objektives Gutachten im Einzelfall erwarten, wenn sie das ihr gesetzlich auferlegte Ziel erreichen bzw. ihre gesetzliche Aufgabe erfüllen will. Eine MEDAS leistet der Beschwerdegegnerin also keinen Gefallen, wenn sie ein zu strenges Gutachten erstellt. Den MEDAS-Ärzten ist bewusst, dass ihre Verpflichtung darin besteht, möglichst objektive Gutachten zu erstellen, und dass sie der Beschwerdegegnerin bloss unnötigen Mehraufwand verursachen, wenn sie ein nicht objektives Gutachten erstatten. Es besteht folglich kein Anlass, eine generelle Befangenheit der MEDAS zufolge ihrer allfälligen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Beschwerdegegnerin anzunehmen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin liegen auch keine konkreten Indizien für eine Befangenheit eine Voreingenommenheit der

        Sachverständigen der MEDAS Ostschweiz vor. Es trifft zwar zu, dass im zweiten Gutachten vom 15. Februar 2012 die Rede von demonstrativem Verhalten der Beschwerdeführerin ist und sich an mehreren Stellen im Gutachten ähnliche Aussagen finden lassen. Daraus kann aber nicht auf eine Voreingenommenheit geschlossen werden. Aus dem Gutachten geht vielmehr hervor, dass es sich dabei um Beschreibungen der Beobachtungen der Sachverständigen handelt. Die Beschwerdeführerin hat sich also bei den Untersuchungen demonstrativ verhalten, was die Sachverständigen beobachtet und als Befund festgehalten haben. Selbstverständlich sind die Sachverständigen verpflichtet gewesen, ihre für die Schlussfolgerungen relevanten Beobachtungen objektiv festzuhalten. Ihre entsprechenden Ausführungen gehen nicht über das notwendige Mass hinaus und erscheinen nicht als unsachlich. Es besteht kein Hinweis dafür, dass die Sachverständigen die Beschwerdeführerin mit einer vorgefassten Meinung untersucht und diese Meinung anschliessend zu untermauern versucht hätten. Insgesamt ist das Gutachten umfassend, eingehend und nachvollziehbar ausgefallen und vermag zu überzeugen. Insbesondere leuchten auch die Ausführungen zur Remission der depressiven Störung und die differenziertere Beurteilung der somatischen Befunde ein. Das Attest einer nun – in Bezug auf leidensadaptierte Tätigkeiten – uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit ist also nicht etwa bloss auf eine strengere Zumutbarkeitsbeurteilung, sondern vielmehr auf eine tatsächliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin zurückzuführen, was als plausibel erscheint. Die Sachverständigen haben zwar ausgeführt, dass in somatischer Hinsicht seit der letzten Untersuchung keine wesentliche Veränderung eingetreten sei. Das Gutachten aus dem Jahr 2005 enthält aber keine exakte prozentuale Angabe der Arbeitsfähigkeit aus rein somatischer Sicht. Da der somatische Gesundheitszustand nicht strikt vom psychischen Gesundheitszustand getrennt werden kann und die früheren Atteste einer Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent für leidensadaptierte Tätigkeiten entsprechend teilweise auch dem psychischen Schmerzsyndrom Rechnung getragen haben, kann die retrospektive Arbeitsfähigkeitsschätzung der Sachverständigen aus rein somatischer Sicht nicht beanstandet werden. Zudem kann im Revisionsverfahren ebenfalls keine (künstliche) Trennung von Psyche und Soma vorgenommen werden. Vielmehr muss einem allfällig veränderten Gesundheitszustand insgesamt Rechnung getragen werden. Entscheidend ist vorliegend also, dass sich der Gesundheitszustand

        der Beschwerdeführerin tatsächlich wesentlich verbessert hat und sie gemäss dem überzeugenden Gutachten für leidensadaptierte Tätigkeiten uneingeschränkt arbeitsfähig ist.

      5. Damit stellt sich der Verlauf der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin nach dem Unfall im Oktober 1997 zusammenfassend wie folgt dar: Aufgrund des Unfalls ist ihr die davor ausgeübte Tätigkeit bleibend nicht mehr zumutbar. Leidensadaptierte Tätigkeiten (Wechselbelastung, Hebe- und Tragelimit von 5–10kg, keine Zwangspositionen) sind ihr dagegen ab Oktober 1997 zu 50 Prozent zumutbar gewesen. Im April 2001 hat sich ihre Arbeitsfähigkeit infolge der durch den Tod der Tochter verstärkten depressiven Störung auf 40 Prozent reduziert. Im Jahr 2007 2008 ist die depressive Störung remittiert, weshalb der Beschwerdeführerin seit diesem Zeitpunkt eine volle Arbeitsleistung in einer leidensadaptierten Tätigkeit zugemutet werden kann.

2.3 Da die Beschwerdeführerin vor dem Unfall vollzeitig als Hilfsarbeiterin tätig ge­ wesen ist, hat die Bemessung des Invaliditätsgrades anhand der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs zu erfolgen. Die Beschwerdeführerin ist als Hilfsarbeiterin erwerbstätig gewesen und hat einen durchschnittlichen Hilfsarbeiterinnenlohn erzielen können. Da ihr trotz ihrer Gesundheitsbeeinträchtigung leidensadaptierte Hilfsarbeitertätigkeiten zugemutet werden können, ist sie in der Lage, wiederum einen durchschnittlichen Hilfsarbeiterinnenlohn zu erzielen. Folglich entspricht der Ausgangswert des zumutbarerweise erzielbaren Invalideneinkommens dem Valideneinkommen, weshalb der Invaliditätsgrad anhand eines Prozentvergleichs bemessen werden kann. Der Invaliditätsgrad entspricht also dem Arbeitsunfähigkeitsgrad unter zusätzlicher Berücksichtigung eines allfälligen Abzugs vom Tabellenlohn (vgl. BGE 126 V 75). Hinsichtlich dieses Tabellenlohnabzuges sind die mehrjährige Absenz vom Arbeitsmarkt, die mangelnden Deutschkenntnisse und die geringe Schulbildung der Beschwerdeführerin nicht zu berücksichtigen, denn diese Umstände wirken sich nicht wesentlich auf die Lohnaussichten als Hilfsarbeiterin aus. Für Hilfsarbeiten sind weder gute Deutschkenntnisse noch eine durchschnittliche Schulbildung notwendig. Die Absenz vom Arbeitsmarkt spielt keine wesentliche Rolle, weil Hilfsarbeiten definitionsgemäss innert kürzester Zeit „on the job“ erlernt werden können und keine Berufserfahrung aktuellen Berufskenntnisse voraussetzen. Die

Beschwerdeführerin befindet sich auch noch nicht in einem derart weit fortgeschrittenen Alter, dass von einer wesentlich erschwerten Verwertbarkeit ausgegangen werden müsste. Allerdings wirken sich die zu erwartenden höheren Sozialabgaben lohnmindernd aus, was mit einem Abzug vom Tabellenlohn zu berücksichtigen ist. Die qualitativen Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit sind dagegen nicht derart weit gehend, dass von einer erheblichen Minderung der Lohnaussichten ausgegangen werden müsste. Allerdings ist mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit und einer mangelnden Flexibilität zu rechnen, was betriebswirtschaftlich betrachtet entsprechend höhere Lohnkosten verursacht. Gesamthaft rechtfertigt sich ein Abzug von zehn Prozent. Folglich hat der Invaliditätsgrad ab Oktober 1997 55 Prozent (= 1 – 0,9 × 0,5), ab April 2001 64 Prozent

(= 1 – 0,9 × 0,4) und ab spätestens Ende des Jahres 2008 zehn Prozent (= 1 – 0,9 × 1)

betragen.

3.

    1. Die Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin hat nicht mehr durch Eingliederungsmassnahmen wesentlich beeinflusst werden können, weshalb die Voraussetzung von Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG bereits unmittelbar nach dem Unfall im Oktober 1997 erfüllt gewesen ist. Das so genannte Wartejahr gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG ist im Oktober 1998 abgelaufen, da die Beschwerdeführerin in diesem

      Zeitpunkt bereits während eines Jahres zu mehr als 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen war und ab dann zu mehr als 40 Prozent invalid gewesen ist (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG). Da sich die Beschwerdeführerin allerdings erst im Juli 2000 (erstmals) zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung angemeldet hat, hat der Rentenanspruch gemäss dem damals geltenden Recht nicht vor Juli 1999 entstehen können. Angesichts des damaligen Invaliditätsgrades von 55 Prozent hat die Beschwerdeführerin ab Juli 1999 einen Anspruch auf eine halbe Rente gehabt. Da die Dreiviertelsrente erst im Rahmen der vierten IV-Revision am 1. Januar 2004 eingeführt worden ist, hat die Erhöhung des Invaliditätsgrades auf 64 Prozent im April 2001 den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin erst ab dem 1. Januar 2004 beeinflussen können (ein Anspruch auf eine ganze Rente hätte bis dahin erst ab einem Invaliditätsgrad von zwei Dritteln bestanden). Ab diesem Datum hat sie einen Anspruch auf eine Dreiviertelsrente gehabt. Spätestens Ende des Jahres 2008 hat der

      Invaliditätsgrad bloss noch zehn Prozent betragen, weshalb die Rente hätte eingestellt werden müssen. Da die Meldepflicht nicht missachtet worden ist (vgl. Art. 88 bis Abs. 2 lit. b IVV), hat die Rente allerdings erst auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats, also per 31. August 2012, eingestellt werden dürfen (Art. 88bis

      Abs. 2 lit. a IVV). Die in der angefochtenen Verfügung rückwirkend zugesprochene

      abgestufte, befristete Rente erweist sich folglich als korrekt.

    2. Die Beschwerdegegnerin hat bereits Rentenzahlungen geleistet, ohne sich dabei auf eine formell rechtskräftige Verfügung stützen zu können. Bei diesen Zahlungen kann es sich um nichts anderes als um einen vorgezogenen Vollzug der entsprechenden – noch nicht rechtskräftigen – Verfügungen gehandelt haben. Selbstverständlich müssen diese vorsorglichen Zahlungen bei der Vollstreckung der späteren rechtskräftigen und damit verbindlichen Verfügungen berücksichtigt werden, da ansonsten die einmal zugesprochenen Leistungen zumindest teilweise doppelt ausgerichtet würden. Die Beschwerdegegnerin hat die bereits ausgerichteten Leistungen in der angefochtenen Verfügung entsprechend berücksichtigt, dies aber missverständlich als „Verrechnung“ bezeichnet, obwohl es sich dabei gerade nicht um eine Verrechnung gehandelt hat. Der Grund für diese missverständliche Bezeichnung ist EDV-technischer Natur, denn die EDV der Beschwerdegegnerin lässt nur die Ausgestaltung als Rückforderung und Nachzahlung zu, auch wenn es rechtlich eben keine Rückforderung gegeben hat. Juristisch entscheidend ist natürlich die rechtliche Qualifikation und nicht die (juristisch verfälschende) technische Restriktion. Das Vorgehen der Beschwerdegegnerin ist – von der missverständlichen Bezeichnung abgesehen – rechtmässig gewesen. Verwirkungsfristen haben dabei nicht beachtet werden müssen, weil es keine Rückforderung gegeben hat. Allerdings hat die Beschwerdegegnerin insgesamt mehr Rentenleistungen ausgerichtet als sie in der angefochtenen Verfügung erwähnt hat, denn sie hatte gestützt auf die erste Verfügung vom 25. September 2003 für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 31. August 2002 statt einer halben eine ganze Rente ausgerichtet. Diese zu viel ausgerichteten Rentenleistungen hätte sie zurückfordern müssen. Da sie dies aber nicht getan hat, ist der Rückforderungsanspruch erloschen. Die Rückforderung fällt heute jedenfalls nicht mehr in Betracht. Damit erweist sich auch die Berücksichtigung der bereits geleisteten Rentenzahlungen in der angefochtenen Verfügung als korrekt.

4. Zusammenfassend ist die Verfügung vom 17. Juli 2012 als rechtmässig zu qualifizieren, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist. Die unterliegende Beschwerdeführerin hätte an sich die gemäss Art. 69 Abs. 1 bis IVG zu erhebenden und angesichts des durchschnittlichen Aufwandes auf 600 Franken festzusetzenden Gerichtskosten zu bezahlen. Zufolge der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung wird sie aber von der Bezahlung befreit. Der Staat hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin aufgrund der Bewilligung der unentgeltlichen

Rechtsverbeiständung zu entschädigen. Die Entschädigung wird auf 80 Prozent einer durchschnittlichen Honorarpauschale von 3’500 Franken (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer), also auf 2’800 Franken, festgesetzt. Sollten es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse dereinst gestatten, kann die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung der Gerichtskosten und zur Rückerstattung der Entschädigung ihres Rechtsvertreters verpflichtet werden (Art. 99 Abs. 2 VRP i.V.m. Art. 123 ZPO).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Die Beschwerdeführerin wird von der Bezahlung der Gerichtskosten von Fr. 600.-- befreit.

  3. Der Staat hat dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine Entschädigung von Fr. 2’800.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) auszurichten.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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