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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2011/10)

Zusammenfassung des Urteils IV 2011/10: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin A. hat sich aufgrund gesundheitlicher Probleme um IV-Leistungen bemüht, da sie nach einem Unfall an verschiedenen Beschwerden leidet. Nach verschiedenen ärztlichen Untersuchungen und Gutachten wurde festgestellt, dass sie eine gewisse Arbeitsfähigkeit besitzt, jedoch nicht in der Lage ist, ihre bisherige Tätigkeit als Reinigungskraft auszuüben. Es gab Diskrepanzen in den Diagnosen und Arbeitsfähigkeitsschätzungen der Ärzte. Aufgrund dieser Unsicherheiten wurde die Angelegenheit an die Beschwerdegegnerin zurückverwiesen, um weitere Abklärungen vorzunehmen. Die bisherige Verfügung wurde aufgehoben, und die Beschwerdeführerin erhielt eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.- sowie eine Erstattung der Gerichtsgebühr von Fr. 600.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2011/10

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2011/10
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2011/10 vom 13.12.2012 (SG)
Datum:13.12.2012
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 16 ATSG. Invaliditätsbemessung mittels Einkommensvergleich (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. Dezember 2012, IV 2011/10).
Schlagwörter: Arbeit; Arbeitsfähigkeit; IV-act; Verfügung; Recht; Gutachter; Ärzte; Arbeitsunfähigkeit; IV-Stelle; Rente; Rechtsvertreter; Unfall; Diagnose; Valideneinkommen; MEDAS; Hilfsarbeit; Bezug; Tagesklinik; Bericht; Diagnosen; Schwindel; Angst
Rechtsnorm: Art. 16 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2011/10

Entscheid Versicherungsgericht, 13.12.2012

Vizepräsident Joachim Huber, Versicherungsrichterin Christiane Gallati Schneider, Versicherungsrichter Martin Rutishauser; Gerichtsschreiber Ralph Jöhl

Entscheid vom 13. Dezember 2012

in Sachen A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Kreso Glavas, Haus zur alten Dorfbank, 9313 Muolen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Rente

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Sachverhalt:

A.

    1. A. meldete sich am 1. Oktober 2007 zum Bezug von IV-Leistungen an (IV-act.

      1). Im Anmeldeformular gab sie u.a. an, sie habe keinen Beruf erlernt. Med. pract.

      B. , Ärztin für Allgemeinmedizin, berichtete der IV-Stelle am 5. November 2007 (IV- act. 12), sie habe folgende Diagnosen erhoben: Posttraumatisches Syndrom mit Angststörung und Schmerzen (linke Körperhälfte, besonders Nackenbereich und Hüfte) und St. n. operativer Entfernung eines Vestibularis-Schwannoms rechts am 20. August 2007 (mit rechts Hypo- und links Hyperakusis, Schwindel, Gangunsicherheit). Sie gab weiter an, die Versicherte sei am 29. September 2006 von einem unbekannten Mann mit dem Velo umgestossen worden und auf die linke Seite gefallen. Sie habe Prellungen des Ellbogens, des Gesässes und des Unterschenkels links erlitten. In der Folge habe sich ein posttraumatisches Syndrom mit Angststörung und Schmerzen in der ganzen linken Körperhälfte entwickelt. Am 30. Mai 2007 sei ein unklares, passageres sensibles Hemisyndrom links aufgetreten. Ein Akustikusneurinom links sei diagnostiziert und am 20. August 2007 operativ entfernt worden. Durch diesen Eingriff habe sich die Angst- und Schmerzsymptomatik massiv verschlechtert. Neu seien eine Gangunsicherheit und Schwindel aufgetreten, die sich trotz eines Rehabilitationsaufenthalts in Valens nicht gebessert hätten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Reinigungsdienst sei nicht mehr möglich. Die Versicherte klage über Ohrgeräusche, Hörverminderung, Gleichgewichtsstörungen, massive Nackenschmerzen vor allem rechts mit Ausstrahlung in Schulter und Arm, Schwindel, allgemeine Kraftlosigkeit und schlechten Schlaf mit Alpträumen. Dr. med. C. , FMH Physikalische Medizin und Rehabilitation, Manuelle Medizin SAMM, hatte der Hausärztin am 26. April 2007 mitgeteilt (IV-act. 12-7), ein MRI der LWS habe ausser einer initialen Chondrose L5/S1 keine gravierende Pathologie gezeigt. Die Klinik Valens hatte in einem vorläufigen Austrittsbericht vom 26. September 2007 angegeben (IV-act. 12-17), die Rehabilitation sei komplikationslos verlaufen und es hätten deutliche Fortschritte erzielt werden können. Die Versicherte habe subjektiv eine minimale Besserung angegeben. Sie habe v. a. kaum veränderte Schmerzen in der linken Körperhälfte beschrieben. Die D. AG teilte der IV-Stelle am 28. November 2007 mit (IV-act. 22), sie beschäftige die Versicherte seit dem 1. Juli 2002 als

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      Reinigungsmitarbeiterin mit einem leicht reduzierten Beschäftigungsgrad. Der Lohn betrage Fr. 20.30 zuzüglich die Ferienentschädigung von Fr. 2.16, die Feiertagsentschädigung von Fr. -.90 und den 13. Monatslohn von Fr. 1.69. Die Ärzte der Klinik Valens berichteten der IV-Stelle am 14. November 2007 (IV-act. 23), die Versicherte leide nach der Tumorentfernung rechts an Hypo- und links an Hyperakusis, Schwindel und Gangunsicherheit. Ausserdem bestehe ein posttraumatisches Syndrom mit Angststörung und Schmerzen. Durch die Behandlung mit Citalopram und Trittico sei es zu einer diskreten Stimmungsaufhellung gekommen. Die Angst stehe aber weiter im Vordergrund. Dr. med. E. , Psychiatrie und Psychotherapie FMH, teilte der IV- Stelle am 24. Februar 2008 mit (IV-act. 30), die Versicherte gebe einen massiven Schwindel, eine Gangunsicherheit, einen Tinnitus rechtsbetont und ausgeprägte Schmerzen in der linken Körperhälfte an. Auf dem rechten Ohr höre sie gar nicht, auf dem linken Ohr viel zu laut. Sie könne nicht schlafen und werde von Alpträumen geplagt. Sie habe starke Kopfschmerzen. Sie traue sich nicht, allein aus dem Haus zu gehen, so dass sie überallhin begleitet werden müsse. Die vorbestehenden Ängste mit Zittern und Schreckhaftigkeit seien unverändert geblieben. Es bestünden massive Konzentrationsschwierigkeiten und ein negatives Selbstbild. Die Versicherte sei aktuell in stationärer Behandlung. Sie sei vollständig arbeitsunfähig. Die Ärzte der Psychiatrischen Dienste F. berichteten der Hausärztin am 13. März 2008 (IV-act. 33), die Versicherte sei wegen des Tinnitus eingetreten. Während des stationären Aufenthalts habe sich eine durch den Unfall verursachte posttraumatische Belastungsstörung mit mittelgradiger depressiver Episode, generalisierten Angstzuständen, Alpträumen und Flashbacks gezeigt. Die Tinnitusbehandlung habe deshalb nur am Rand durchgeführt werden können. Im Vordergrund hätten stabilisierende Massnahmen gestanden. Der stationäre Aufenthalt sei wegen Problemen mit dem Ehemann (körperliche Gewalt gegenüber der Tochter) vorzeitig abgebrochen worden.

    2. Die IV-Stelle beauftragte die MEDAS Zentralschweiz mit einer interdisziplinären Begutachtung (IV-act. 36). Der rheumatologische Gutachter führte in seinem Konsilium vom 28. Mai 2008 (IV-act. 47-23 ff.) aus, die Untersuchung habe ein chronifiziertes, therapierefraktäres, deutlich linksbetontes Ganzkörpersyndrom ohne objektivierbares organisches Korrelat am Bewegungsapparat ergeben. Die aktiv leichte bis höchstens mässiggradige Beweglichkeitseinschränkung aller Wirbelsäulenabschnitte sei als

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      schmerzbedingte Selbstlimitierung aufzufassen, da passiv keine Bewegungseinschränkung bestehe. Zudem hätten sich weder klinisch noch bildgebend Anhaltspunkte für eine Systeminstabilität für wesentliche degenerative Veränderungen gezeigt. Der klinische Untersuch habe auch keine Indizien für eine radikuläre Reiz- Ausfallsymptomatik - weder auf zervikalem noch auf lumbalem Niveau - ergeben. Die beiden Schultergelenke hätten sich frei beweglich und ohne Hinweis auf eine Impingementsymptomatik gezeigt. Insgesamt habe eine erhebliche Diskrepanz zwischen den von der Versicherten als vollständig invalidisierend erlebten Beschwerden und den objektivierbaren Befunden am Bewegungsapparat bestanden. Das Beschwerdebild sei nicht erklärbar, denn es sei ein altersentsprechender Normalbefund erhoben worden. Aus rheumatologischer Sicht bestehe somit keine Arbeitsunfähigkeit. Der psychiatrische Gutachter gab in seinem Konsilium an (IV-act.

      47-32 ff.), bei der Versicherten bestünden eine Unfallverarbeitungsstörung und wahrscheinlich auch eine Verarbeitungsstörung des operierten Akustikusneurinoms. Diese beiden Faktoren dürften sich gegenseitig verstärkt haben. Zur Zeit der Verarbeitung von Unfall und Operation hätten massive soziale Probleme bestanden, allen voran die Auseinandersetzung mit dem invaliden Ehemann, so dass die Versicherte mit der Tochter ausgezogen sei und nun bei ihren Eltern lebe. Die Versicherte fühle sich entwurzelt, sei verunsichert, ziehe sich von der Gesellschaft zurück und halte sich oft nur noch im Bett auf. Diagnostisch hätten sich eine dissoziative Empfindungsstörung und eine Verarbeitungsstörung diagnostizieren lassen. Diese Störungen seien auf dem Weg zur Chronifizierung und könnten schon bald zu einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung führen. Der fortgeschrittene soziale Rückzug sei im Sinn der Foerster'schen Prognosekriterien eine ungünstige Voraussetzung für eine berufliche Wiedereingliederung. Hoffnung gebe die noch laufende psychiatrische Behandlung. Zudem sollte die Versicherte möglichst umgehend in ein Arbeitstraining aufgenommen werden, um der depressiven Neigung und der Chronifizierung entgegen zu wirken. Sie sollte in einem geschützten Arbeitsmilieu mit einem Beschäftigungsgrad von 50% wieder lernen, an die zumutbaren Leistungsgrenzen heranzukommen. Das Pensum könnte dann je nach dem Fortschritt erhöht werden. Eine unverzügliche Wiedereingliederung in die freie Wirtschaft werde der Versicherten kaum gelingen. Der neurootologische Gutachter berichtete am 6. Juni 2008 (IV-act. 47-39 ff.), er habe folgende Diagnosen erhoben:

      Chronische peripher-vestibuläre Funktionsstörung rechts (zentral unvollständig kompensiert bei St. n. Entfernung eines Vestibularisschwannoms rechts am 20. August 2007 und Taubheit rechts) und V. a. vestibuläre Migräne. Die subjektiv geklagten (Schwindel-) Beschwerden seien eindeutig objektivierbar. Als Reinigungsfrau sei die Versicherte wegen dieser Beschwerden nicht mehr arbeitsfähig. Wie hoch die Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit (sitzend in ruhiger Umgebung) sei, hänge davon ab, ob und wie stark die zentrale Kompensation sich verbessern werde bzw. durch ein Gleichgewichtstraining noch verbessert werden könne. Eine genaue Einschätzung der Arbeitsfähigkeit sei aktuell nicht möglich. Eine 100%ige Arbeitsfähigkeit werde wohl kaum mehr erreicht werden. Die gesamte Liste der Diagnosen mit wesentlicher Einschränkung der Arbeitsfähigkeit lautete: Chronische peripher-vestibuläre Funktionsstörung rechts, zentral bisher unvollständig kompensiert, Rhinophonia aperta, V. a. vestibuläre Migräne, dissoziative Empfindungsstörung mit einem chronifizierten, linksbetonten Ganzkörperschmerzsyndrom ohne entsprechendes Substrat am Bewegungsapparat und Anpassungsstörung mit Störungen im Sozialverhalten und mit ängstlich-depressiver Symptomatik im Rahmen einer Fehlverarbeitung nach Unfall und Krankheit. Für eine sitzende Tätigkeit in ruhiger Umgebung, eventuell in einem geschützten Rahmen, veranschlagten die Gutachter die momentane Arbeitsfähigkeit gesamthaft auf 50%, wobei sich die neurootologische und psychiatrische Beeinträchtigung gleichermassen auswirkten. Diese Einschätzung galt in Übereinstimmung mit der Hausärztin rückwirkend ab dem 30. Mai 2007. Dr. med.

      G. vom RAD betrachtete das Gutachten als umfassend, kohärent, widerspruchsfrei und in seinen Schlussfolgerungen nachvollziehbar (IV- act. 53).

    3. Am 22. Dezember 2008 verfügte die IV-Stelle die Kostenübernahme für ein Hörgerät (IV-act. 61). Sie schloss am 17. April 2009 die Arbeitsvermittlung ab (IV-act. 66), da sich die Versicherte subjektiv nicht in der Lage fühle, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Med. pract. B. teilte der IV-Stelle am 10. August 2009 mit (IV-act. 68), der Vestibularisausfall rechts sollte bei genügender Übung zentral kompensiert werden können. Da sich die Versicherte aber wegen des Schwindels und der Schmerzen kaum bewege, sei das bisher nicht geschehen. Es sei fraglich, ob die Kompensation noch möglich sei. Die Angst- und Depressionssymptomatik sei trotz medikamentöser und Psychotherapie kaum besser geworden. Die Prognose sei auch hier schlecht. Die von der MEDAS angegebene Arbeitsfähigkeit von 50% könne nicht realisiert werden.

      Dr. E. berichtete am 12. Oktober 2009 (IV-act. 71), sie habe die folgenden Diagnosen erhoben: Mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, posttraumatische Belastungsstörung (nach Fahrradunfall 2006), St. n. Operation eines Akustikusneurinoms rechts am 20. August 2007 mit rechts Hypo-, links Hyperakusis, Tinnitus bds. rechtsbetont, V. a. anhaltende somatoforme Schmerzstörung (DD: Dissoziative Empfindungsstörung). Dr. E. führte weiter aus, die Versicherte sei psychisch vollkommen dekompensiert. Alle bisher unternommenen ambulanten Therapieversuche seien von frustrierendem Erfolg gewesen. Nach der Therapie in der Klinik H. sollte eine neue Beurteilung der Arbeitsfähigkeit erfolgen. Am 18. Dezember 2009 teilte Dr. E. mit (IV-act. 78), die stationäre Therapie sei nicht zustande gekommen. Die Versicherte werde am 12. Januar 2010 in die Tagesklinik

      I. eintreten. Die Ärzte dieser Tagesklinik berichteten am 30. März 2010 (IV-act. 84), im Vergleich zum psychiatrischen Konsilium vom 28. Mai 2008 seien keine signifikanten Änderungen eingetreten. Die Versicherte wirke extrem auf ihre körperliche Symptomatik fixiert. In ihrem Schmerzverhalten wirke sie verunsichert, zögerlich und verängstigt. Sie habe wiederholt angegeben, dass sie nicht in der Lage sei, sich körperlich etwas zuzutrauen. Die Ärzte gaben weiter an, die Motivation der Versicherten, aus eigener Kraft wieder zur früheren Leistung zurückzufinden, sei eher bescheiden. Die Versicherte fühle sich extrem müde und bereits nach kleinsten Tätigkeiten massiv erschöpft. Sie klage über Schwindelgefühle und ausgeprägte depressive Stimmungsschwankungen. Häufig fühle sie sich lust- und freudlos und ohne Energie. Sie leide an chronischen Schlafstörungen, z.T. auch an Durchschlafstörungen mit frühem Erwachen. Immer wieder komme es zu Alpträumen, die sich inhaltlich um den Velounfall drehten. Aufgrund der geschilderten, subjektiven Ermüdung und Erschöpfung verbunden mit Schlafproblemen, Konzentrationsproblemen und Defiziten im Kurzzeitgedächtnis sehe sich die Versicherte nicht in der Lage, irgendeiner Tätigkeit nachzugehen. Die Ärzte der Tagesklinik nannten folgende Diagnosen: Dissoziative Empfindungsstörung und Anpassungsstörung mit Störungen im Sozialverhalten und mit ängstlich depressiver Symptomatik im Rahmen einer Fehlverarbeitung nach Unfall und Krankheit (DD: Übergang zu anhaltender somatoformer Schmerzstörung). Die Ärzte gaben weiter an, bei einer sitzenden Tätigkeit in ruhiger Umgebung, eventuell in einem geschützten Rahmen, sei aus psychiatrischer Sicht eine Arbeitsfähigkeit von 50% der Norm

      denkbar. Dr. G. vom RAD notierte am 13. April 2010 (IV-act. 85), die Versicherte sei weiterhin zu 50% arbeitsfähig, vorerst in einem geschützten Rahmen, dann in der freien Wirtschaft.

    4. Die IV-Stelle verglich ein anhand des Lohns an der letzten Arbeitsstelle ermitteltes Valideneinkommen (2008) von Fr. 43'119.-- mit einem ausgehend von einem (deutlich höheren, aber bis auf eine Differenz von 5% herabgesetzten) Durchschnittseinkommen (2008) bei einem Arbeitsfähigkeitsgrad von 50% ermittelten zumutbaren Invalideneinkommen von Fr. 22'638.-- und errechnete so einen Invaliditätsgrad von 48% (IV-act. 89). Mit einem Vorbescheid vom 28. Juni 2010 teilte sie der Versicherten mit (IV-act. 92), dass sie beabsichtige, ihr rückwirkend ab 1. Mai 2008 eine Viertelsrente zuzusprechen. Die Versicherte wandte am 27. Juli 2010 ein (IV-act. 97), vor Mai 2008 habe sie einen Anspruch auf eine ganze Rente, danach einen Anspruch auf mindestens eine halbe Rente. Das Valideneinkommen 2007 betrage Fr. 47'629.45. Es habe keine Parallelisierung stattgefunden. Der Tabellenlohnabzug müsse mindestens 20% betragen. Mit einer Verfügung vom 3. Dezember 2010 sprach die IV-Stelle der Versicherten rückwirkend ab Mai 2008 eine Viertelsrente und entsprechende Kinderrente zu (IV-act. 104). Diese Verfügung wurde nicht dem Rechtsvertreter, der den Einwand gegen den Vorbescheid eingereicht hatte, sondern der Versicherten persönlich zugestellt. Der Rechtsvertreter machte die IV-Stelle am 13. Dezember 2010 auf diesen Fehler aufmerksam. Er verlangte eine korrekte Zustellung an sich selbst, da er es der IV-Stelle nicht erlaube, die Frist durch die falsche Zustellung zu verkürzen (IV- act. 106). Die IV-Stelle eröffnete ihm eine vom 15. Dezember datierende Verfügung (IV- act. 113-17 ff.). Am 30. Dezember 2010 stellte die IV-Stelle ihm ihre Akten zu (IV-act. 108).

B.

    1. Die Versicherte liess am 4. Januar 2011 Beschwerde erheben und die Zusprache einer ganzen Rente ab Unfalltag (29. September 2006) bis zur medizinischen Begutachtung resp. bis 31. Juli 2008 und für die Zeit danach die Zusprache einer halben Rente beantragen (act. G 1). Der Rechtsvertreter machte in formeller Hinsicht sinngemäss geltend, er habe sofort Beschwerde eingereicht, um nicht mit den Fristen zu spielen. Die Beschwerdegegnerin habe ihm die Verfügung vom 3. Dezember 2010

      am 17. Dezember 2010 zugestellt, ohne sich zu dieser Fristverkürzung zu äussern. Das Verfahren und das Verhalten der Beschwerdegegnerin würden mit jeder gewünschten Deutlichkeit gerügt. Zudem sei die Verfügungsbegründung unzureichend, so dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliege. In materieller Hinsicht machte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin geltend, diese sei gemäss den Angaben der medizinischen Sachverständigen nur in einem geschützten Rahmen zu 50% arbeitsfähig. Das sei vom RAD akzeptiert worden. Sie sei zu Recht als Vollerwerbstätige qualifiziert worden. Bei der Ermittlung des Valideneinkommens sei die Beschwerdegegnerin von einem zu tiefen Betrag ausgegangen, weil sie bloss die Teuerung bis 2008 aufgerechnet habe. Zudem hätte ein Zuschlag von 10% erfolgen müssen, weil die Beschwerdeführerin nur zu 90% gearbeitet habe. Es sei bei der Arbeitgeberin abzuklären, was die Beschwerdeführerin im Jahr 2010 verdient hätte, wenn sie zu 100% angestellt gewesen wäre. Die Beschwerdegegnerin habe sich geweigert, zur Frage der Parallelisierung Stellung zu nehmen. Das Invalideneinkommen sei zu hoch angesetzt worden. Seit dem Unfall und wegen der Kopfoperation sei die Beschwerdeführerin mindestens bis zur Begutachtung zu 100% arbeitsunfähig gewesen. Für die Zeit danach sei mindestens eine halbe Rente zuzusprechen, weil es der Beschwerdeführerin nicht möglich sei, mehr als die Hälfte des Valideneinkommens zu verdienen.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 1. März 2011 die Abweisung der Beschwerde (act. G 4). Sie machte unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung geltend, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Verfügung der Rechtsvertreter mit einer neuen Beschwerdefrist zu eröffnen, da der Beschwerdeführerin durch die mangelhafte Eröffnung kein Nachteil entstanden sei. Mit der Verfügung sei das rechtliche Gehör verletzt worden, indem nur global auf die Einwände eingegangen worden sei. Diese leichte Verletzung des rechtlichen Gehörs könne praxisgemäss geheilt werden. Invalidisierende Beschwerden bestünden erst seit 2007. Deshalb könne auf das Einkommen 2006 abgestellt werden. Dieses habe bei einem Arbeitspensum von 94ç Fr. 40'660.-- betragen. Umgerechnet auf 100% resultiere ein Einkommen von Fr.

      43'262.--. Eine Aufwertung könne unterbleiben. Das Durchschnittseinkommen der Hilfsarbeiterinnen 2006 habe sich auf Fr. 50'278.-- belaufen. Es sei bis zu einer positiven Differenz von 5% zum Valideneinkommen zu kürzen. Die Differenz von 5% sei zu belassen, weil nur deutliche Abweichungen zur Parallelisierung Anlass gäben. Das

      Invalideneinkommen betrage somit Fr. 22'713.--. Daraus ergebe sich ein Invaliditätsgrad von 48%. Somit bestehe ab Mai 2008 ein Anspruch auf eine Viertelsrente.

    3. Die Beschwerdeführerin liess am 9. März 2011 ausführen (act. 7), sie nehme zur Kenntnis, dass sich die Beschwerdegegnerin der Vorverlegung der Invalidenrente (Beginn des Wartejahrs am Unfalltag) nicht widersetze. Die Rente sei somit ein Jahr nach dem Unfall laufen zu lassen. Der Beginn des Wartejahrs müsse spätestens nach der Kopf- und Tumoroperation angenommen werden. Die Bemerkung der Beschwerdegegnerin, dass die Erwerbstätigkeit vorerst im geschützten Rahmen ausgeübt werden solle, sei eine Erfindung der Beschwerdegegnerin und im Gutachten nicht enthalten. Der Verkürzung der Beschwerdefrist sei bei der Kostenverlegung Rechnung zu tragen. Dasselbe gelte für die Anerkennung als Vollerwerbstätige. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2007 habe die Beschwerdeführerin Fr. 39'406.50 verdient. Das Valideneinkommen müsse deshalb auf mindestens Fr. 46'023.40 erhöht werden. Am Vorwurf der fehlenden Parallelisierung müsse festgehalten werden. Im Übrigen hätte ein zusätzlicher Abzug vom Invalideneinkommen erfolgen müssen.

    4. Die Beschwerdegegnerin verzichtete am 16. März 2011 auf eine Duplik (act. G 9).

    5. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin reichte am 20. Juni 2011 (act. G 11) den Rentenentscheid der Personalvorsorgeeinrichtung der D. AG ein. Die Beschwerdeführerin erhielt bei einem Invaliditätsgrad von 48% eine Rente von 25%. Der Rechtsvertreter machte in seinem Begleitschreiben geltend, die Beschwerdegegnerin habe mit ihren gekünstelten Rechenspielen eine halbe Rente der zweiten Säule verhindert.

    6. Die Gerichtsleitung machte den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am

18. Oktober 2012 darauf aufmerksam (act. G 13), dass mit der Möglichkeit einer Rückweisung zur weiteren medizinischen Abklärung zu rechnen sei und dass daraus dann faktisch eine reformatio in peius entstehen könnte. Sie wies den Rechtsvertreter auf die Möglichkeit hin, dem durch einen Beschwerderückzug zu entgehen. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin erklärte am 19. November 2012 (act. G 16), an der Beschwerde festhalten zu wollen. Er reichte einen Bericht der H. AG an Dr.

E. vom 25. September 2012 ein (act. G 16.1). Die Ärzte hatten folgende Diagnosen angegeben: Posttraumatische Belastungsstörung mit mittelgradiger depressiver Komorbidität, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, DD: Dissoziative Empfindungsstörung. Der psychopathologische Befund beim Eintritt in die Klinik war (verkürzt) folgendermassen beschrieben worden: Deutliche Konzentrationsstörungen und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, Berichte über Gedankenkreisen und Blockaden, diffuse Angstzustände, Panikattacken mit vegetativer Symptomatik, Insuffizienzgefühle, gestörte Selbstwertgefühle, Schuldgefühle, verminderte Antriebslage, psychomotorische Störungen, phasenweise Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse, dissoziative Episoden, Ein- und Durchschlafstörungen, lebensmüde Gedanken ohne Suizidalität, ausgeprägte Intrusionen auf sämtlichen perzeptiven Ebenen, Wiedererleben des Unfallereignisses, anhaltende somatoforme Symptomatik, Nervosität, Reizbarkeit, hohe Anspannung, Hyperarousal und Hypervigilanz, Isolation und Rückzug, Veränderung der Affektregulierung mit anhaltender dysphorischer Verstimmung. Die Ärzte hatten weiter angegeben, die Versicherte sei zurückgezogen gewesen, habe aber zu einigen Mitpatienten einen guten Kontakt gehabt und habe mit diesen gemeinsame Aktivitäten (z.B. Einkaufen) unternommen. Die Versicherte habe erkannt, dass sich solche Aktivitäten positiv auf ihr Befinden auswirkten. Mit der SWICA-Casemanagerin seien Möglichkeiten besprochen worden, um die Versicherte bei der Einhaltung einer Tagesstruktur und beim Erledigen alltäglicher Verpflichtungen zu unterstützen.

Erwägungen:

1.

Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, er sei nur über die Zustellung einer Verfügung an seine Mandantin informiert worden. Daraufhin habe er die Beschwerdegegnerin am 13. Dezember 2010 ersucht, die Verfügung - formell korrekt - ihm zu eröffnen. Das hat die Beschwerdegegnerin mit der an den Rechtsvertreter adressierten neuen Verfügung vom 15. Dezember 2010 auch getan. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Rechtsvertreter die Verfügung vom 3. Dezember 2010 nie in Händen gehabt hat. Hätte die Beschwerdegegnerin ihm nur eine Kopie dieser an die Beschwerdeführerin adressierten Verfügung geschickt, wäre der

Fristenlauf mit der nachgeholten Zustellung ausgelöst worden. Da die Beschwerdegegnerin aber am 15. Dezember 2010 eine inhaltlich mit derjenigen vom 3. Dezember 2010 identische Verfügung erlassen hat, kann nur eine dieser beiden Verfügungen rechtswirksam sein und den Anfechtungsgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bilden. Das zwingt dazu, die Verfügung vom 3. Dezember 2010 als nichtig zu betrachten, weil sie nie wirksam eröffnet worden ist. Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 15. Dezember 2010 ist rechtzeitig erhoben worden.

2.

Der Anspruch auf eine Invalidenrente setzt als erstes voraus, dass die durch eine Gesundheitsbeeinträchtigung herabgesetzte Erwerbsfähigkeit nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wiederhergestellt, erhalten verbessert werden kann (Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG). Angesichts der bisher erfolglosen Behandlung der inzwischen chronifizierten psychischen Beeinträchtigung ist davon auszugehen, dass es keine medizinische Eingliederungsmassnahme (Therapie) gibt, die geeignet wäre, die herabgesetzte Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen wenigstens zu verbessern. Die Beschwerdeführerin hat gemäss ihren eigenen (überzeugenden) Angaben keinen Beruf erlernt. Sie ist demnach als Hilfsarbeiterin zu qualifizieren. Als solche kann sie ohne berufliche Eingliederungsmassnahme (mit Ausnahme der nicht unter Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG zu subsumierenden Arbeitsvermittlung) in eine adaptierte Hilfsarbeit wechseln. Deshalb wird die Aufnahme einer adaptierten Hilfsarbeit als selbstverständliche Eingliederungsmassnahme ohne weiteres fingiert. Besteht allerdings auch in einer adaptierten Hilfsarbeit nur eine reduzierte Arbeitsfähigkeit, kommt als berufliche Eingliederungsmassnahme nur eine sogenannt höherwertige Umschulung (Art. 17 Abs. 1 IVG) in Frage, denn damit könnte das Lohnpotential der verbliebenen Arbeitsfähigkeit so erhöht werden, dass die Arbeitsunfähigkeit bezogen auf das Valideneinkommen keine nur noch eine stark reduzierte Lohneinbusse bewirken würde. Der höhere Stundenlohn würde im Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) die Arbeitsunfähigkeit ausgleichen. Die höherwertige Umschulung bestünde hier in einer Berufslehre. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Beschwerdeführerin in der Lage wäre, zunächst das schulische Wissen und die Deutschkenntnisse so zu verbessern, dass sie dem schulischen Teil der Berufslehre zu folgen vermöchte. Dann müsste sie auch dem beruflichen Teil der Lehre intellektuell gewachsen sein. Die Akten lassen darauf

schliessen, dass dies nicht der Fall ist und dass die Beschwerdeführerin gesundheitlich auch gar nicht in der Lage ist, sich einer derart aufwendigen beruflichen Eingliederung zu unterziehen. Die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG ist also erfüllt.

3.

Der Rentenanspruch kann erst entstehen, wenn die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen ist (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG). Dr. J. hat am 5. November 2007 für die Periode 2. bis 23. Oktober 2006 und dann wieder für die Zeit ab 30. Mai 2007 eine Arbeitsunfähigkeit angegeben. Die D. AG hat nur für die Zeit ab 29. Mai 2007 Abwesenheitslisten eingereicht. Im Bericht der Klinik Valens vom 14. November 2007 ist zwar für die Zeit ab dem Unfall im Jahr 2006 ein posttraumatisches Syndrom erwähnt worden, aber eine Arbeitsunfähigkeit findet sich in diesem Bericht erst ab Mai 2007. Auch im polydisziplinären Gutachten wird erst für die Zeit ab Mai 2007 eine Arbeitsunfähigkeit bestätigt. Für die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie sei ab dem Unfall durchgehend arbeitsunfähig gewesen, fehlt in den Akten jeder Beleg. Wäre diese Behauptung richtig, hätte med. pract. B. dies der Beschwerdegegnerin angegeben, denn sie hat die Beschwerdeführerin bereits seit 2003 behandelt. Demnach steht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die Beschwerdeführerin frühestens ab Mai 2007 zu mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen sein kann. Demnach kann frühestens ab Mai 2008 ein Rentenanspruch bestanden haben.

4.

    1. Ein Rentenanspruch besteht, wenn die versicherte Person nach dem Ablauf des Wartejahrs zu mindestens 40% invalid ist (Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG). Gemäss den Angaben der D. AG ist die Beschwerdeführerin mit einem reduzierten Beschäftigungsgrad (37,6 Std. pro Woche statt 40 Std.) tätig gewesen. Angesichts der äusserst beengten finanziellen Situation nach der faktischen Trennung vom Ehemann besteht die plausibelste Verhaltensweise der Beschwerdeführerin im fiktiven "Gesundheitsfall" in der Ausübung einer vollzeitlichen Hilfsarbeit. Der Invaliditätsgrad ist deshalb mittels eines reinen Einkommensvergleichs zu ermitteln (Art. 28a Abs. 1 IVG

      i.V.m. Art. 16 ATSG). Dabei ist das Einkommen, das die versicherte Person nach dem Eintritt der Invalidität und nach der Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen), in Beziehung zu setzen zum Erwerbseinkommen, das die versicherte Person erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen). Bevor das Valideneinkommen und das zumutbare Invalideneinkommen ermittelt werden können, müssen die erwerblichen Verhältnisse feststehen, in denen das jeweilige Einkommen zu erzielen wäre. Die erwerblichen Verhältnisse, die der Ermittlung des Valideneinkommens zugrunde gelegt werden, sind nicht real, denn es wird von der Fiktion ausgegangen, dass die versicherte Person noch gesund und damit in der angestammten Erwerbstätigkeit voll arbeitsfähig sei (sog. Validenkarriere). In vielen Fällen sind auch die erwerblichen Verhältnisse, anhand derer das zumutbare Invalideneinkommen zu bemessen ist (sog. Invalidenkarriere), zumindest teilweise fiktiv. Die real noch vorhandene Restarbeitsfähigkeit wird nämlich oft nicht mehr zur Erzielung eines Erwerbseinkommens eingesetzt, weil die versicherte Person sich für vollständig arbeitsunfähig hält weil sie arbeitslos ist. Es kann aber auch sein, dass zwar noch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, die Restarbeitsfähigkeit dabei aber nicht vollumfänglich in einer unterqualifizierten Erwerbstätigkeit eingesetzt wird. In diesen Fällen wird die - quantitativ und qualitativ - vollständige Ausnützung der Restarbeitsfähigkeit fingiert.

    2. Die Beschwerdeführerin hat bei der D. AG einen Lohn erzielt, der - auch nach einer Aufrechnung auf einen Beschäftigungsgrad von 100% - deutlich tiefer als der schweizerische Zentralwert der Hilfsarbeiterinnenlöhne gewesen ist. Wäre ihr ein Arbeitsplatz angeboten worden, der in Bezug auf die Anforderungen an die Arbeitsleistung und in Bezug auf die äusseren Umstände (Arbeitsweg, Arbeitszeit, Arbeitsplatzsicherheit usw.) jedenfalls nicht schlechter gewesen wäre als der Arbeitsplatz bei der D. AG, an dem ihr aber ein dem schweizerischen Durchschnitt entsprechender Lohn ausgerichtet worden wäre, dann hätte sie diesen Arbeitsplatz sofort angetreten. Es deutet nämlich nichts darauf hin, dass sie eine Veranlassung gehabt hätte, bei der D. AG zu bleiben und auf die Erzielung eines deutlichen höheren Lohns zu verzichten. Den Arbeitsplatz bei der D. AG dürfte die Beschwerdeführerin nur aufgrund arbeitsmarktlicher Zwänge angetreten haben, die es

ihr praktisch verunmöglicht haben, in der Region einen besser entlöhnten Arbeitsplatz zu finden. Die Validenkarriere der Beschwerdeführerin besteht deshalb nicht in der effektiv ausgeübten Tätigkeit bei der D. AG, sondern in einer durchschnittlichen - und damit auch durchschnittlich entlöhnten - Hilfsarbeit. Dasselbe gilt für die Invalidenkarriere, denn auch hier muss davon ausgegangen werden, dass eine durchschnittliche Verwertung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit an einem behinderungsadaptierten Hilfsarbeitsplatz erfolgt. Das Valideneinkommen und das Ausgangseinkommen zur Bemessung der zumutbaren Invalideneinkommens entsprechen demnach dem gesamtschweizerischen Zentralwert der Hilfsarbeiterinnen­ löhne.

4.3

      1. Der nächste Schritt bei der Bestimmung des Invaliditätsgrads ist die Ermittlung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit in einer leidensadaptierten Tätigkeit. Der rheumatologische Gutachter der MEDAS Zentralschweiz hat einen altersentsprechenden Normalbefund erhoben. Er hat die geklagten Beschwerden aus der Sicht seines Fachgebiets nicht erklären können und ist deshalb - wiederum aus der Sicht seines Fachgebiets - von einer uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit ausgegangen.

      2. Der neurootologische Gutachter der MEDAS Zentralschweiz hat festgestellt, dass die Beschwerdeführerin beim Gehen eine eindeutige Rechtstendenz aufweise. Sobald sie sich visuell nicht mehr orientieren könne, verliere sie das Gleichgewicht. Der Schwankschwindel resp. die Gleichgewichtsstörungen passten zu einer Vestibularisstörung und könnten eindeutig belegt werden. Das gelte nicht für den

        gemäss den Angaben der Beschwerdeführerin für Minuten anhaltenden Drehschwindel. Dieser sei sehr atypisch für eine Vestibularisstörung und er habe nach der Schwannomentfernung persistiert. Der neurootologische Gutachter hat die Vermutung geäussert, dass als Ursache am ehesten eine Migräne in Frage komme. Dieser Frage ist er allerdings nicht weiter nachgegangen, es ist bei der Vermutung geblieben. Für die bisherige Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Reinigungsfrau hat der Gutachter eine vollständige Arbeitsunfähigkeit angenommen, was angesichts der Notwendigkeit, bei der Arbeit ungünstige Positionen (vornübergeneigt, kniend, kauernd, über Kopf) einnehmen zu müssen, nachvollziehbar ist. Dasselbe gilt für die für die Arbeit im

        eigenen Haushalt angegebene Arbeitsunfähigkeit von 50%, denn auch dort sind ungünstige Arbeitshaltungen unumgänglich. In Bezug auf eine adaptierte, sitzend auszuübende Erwerbstätigkeit hingegen ist nicht einzusehen, weshalb die Rechtstendenz und die Gleichgewichtsprobleme die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen sollten. Hier fehlt also im neurootologischen Teil des MEDAS-Gutachtens eine überzeugende Begründung. Es besteht ein weiterer Abklärungsbedarf. Die psychiatrische Untersuchung anlässlich der MEDAS-Begutachtung hat eine Anpassungsstörung mit Beeinträchtigung des Sozialverhaltens und mit ängstlich depressiver Symptomatik sowie eine dissoziative Empfindungsstörung aufgezeigt. Dabei handelt es sich im Fall der Beschwerdeführerin offenbar um eine Vorstufe zur anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, m.a.W. es liegt eines jener Krankheitsbilder vor, bei denen rechtsprechungsgemäss zu vermuten ist, dass die subjektive Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung durch eine zumutbare Willensanstrengung überwunden werden kann. Der psychiatrische Gutachter ist sich dieses Umstands zwar bewusst gewesen, aber eine Auseinandersetzung mit dieser Vermutung (bzw. mit den Foerster'schen Kriterien) ist weitgehend unterblieben. Als einziges Kriterium ist ein fortgeschrittener sozialer Rückzug genannt worden, aber der Gutachter hat nicht geltend gemacht, dass dieses Kriterium allein ausreiche, um die subjektive Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung wenigstens im Umfang von 50% zu einer nicht mehr überwindbaren, objektiven zu machen. Die ausschlaggebenden Gründe für die Annahme des Gutachters, die Arbeitsfähigkeit sei objektiv eingeschränkt, dürften die Fixierung der Beschwerdeführerin auf die (somatisch nicht erklärbaren) Schmerzen und das Schonverhalten gewesen sein. Diese Symptome sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht geeignet, die zumutbare Willensanstrengung zur vollständigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung zu beeinträchtigen sogar zu verhindern. Im Übrigen ist der psychiatrische Gutachter nicht davon ausgegangen, dass die von ihm angegebene Arbeitsunfähigkeit von 50% unüberwindbar sei. Er hat nämlich eine erwerbliche Betätigung in einem geschützten Rahmen im Umfang von 50% als therapeutische Massnahme empfohlen und damit eine Erhöhung der Arbeitsfähigkeit auf mehr als 50% als möglich erachtet. Er ist also selbst von einer Überwindbarkeit der Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung ausgegangen, wobei er aber in Bezug auf den Zeitbedarf pessimistischer gewesen ist, als es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzunehmen gewesen wäre. Die

        Arbeitsfähigkeitsschätzung der MEDAS Zentralschweiz kann deshalb, soweit sie auf der (in Bezug auf die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit vagen) Beurteilung des neurootologischen Gutachters beruht, nicht als überwiegend wahrscheinlich richtig betrachtet werden. Die neurootologische Abklärung erweist sich deshalb als unzureichend; sie wird noch zu ergänzen sein.

      3. Die behandelnde Psychiaterin Dr. E. hat den psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin pessimistischer eingeschätzt als der psychiatrische Gutachter der MEDAS Zentralschweiz. Sie hat als zusätzliche, vom Gutachter nicht genannte Diagnosen eine mittelgradige depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung angegeben. Insbesondere der Schwere der angegebenen Depression entsprechend hat sie eine Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin verneint. Die Umschreibung der Symptome weicht allerdings nur unerheblich von derjenigen des Gutachters ab. Dr. E. hat lediglich zusätzlich Depersonalisations- und Derealisationsphänomene als Indizien für eine Ich-Schwäche angegeben. Schon aufgrund der Erfahrungstatsache, dass behandelnde Ärzte aufgrund ihrer engen, therapeutisch ausgerichteten Beziehung zum Patienten dazu neigen, dessen in aller Regel sehr pessimistische Selbsteinschätzung zu übernehmen und deshalb sowohl bei der Diagnosestellung als insbesondere auch bei der Arbeitsfähigkeitsschätzung ebenfalls pessimistisch zu sein, kann die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. E. nicht als überwiegend wahrscheinlich richtig qualifiziert werden. Im Bericht der Tagesklinik des Psychiatrie-Zentrums K. ist eine Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin von 50% angegebenen worden. Diese Arbeitsunfähigkeit ist aber mit anderen Symptomen erklärt worden, als Dr. E. ihrer Arbeitsfähigkeitsschätzung zugrunde gelegt hat. Die Ärzte der Tagesklinik haben eine ausgeprägte Ermüdung und Erschöpfung verbunden mit Schlafproblemen, Konzentrationsprobleme und Defizite im Kurzzeitgedächtnis angegeben. Der Umstand allein, dass die Arbeitsfähigkeitsschätzung grundsätzlich mit derjenigen des psychiatrischen Gutachters übereingestimmt hat, ist kein Beleg für die Richtigkeit. Auch hier muss wieder auf die Erfahrungstatsache hingewiesen werden, dass behandelnde Ärzte ihre Patienten in Bezug auf die Schwere der Krankheit und das Ausmass der verbliebenen Arbeitsfähigkeit zu pessimistisch einzuschätzen pflegen. Immerhin ist im Bericht der Tagesklinik eine für die anhaltende somatoforme Schmerzstörung typische Einstellung der Beschwerdeführerin beschrieben worden:

        Sehr bescheidene Motivation, aus eigener Kraft wieder zur früheren Leistung zurückzufinden, sehr klagsam, ohne aber einen sehr leidenden Eindruck zu machen, Ablehnung selbst kleinster Belastungen und Anforderungen, was objektiv nicht nachvollziehbar war. Die Ärzte der Tagesklinik haben zudem das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung entschieden verneint. Die im Zeitablauf schwankenden Einschätzungen sind nicht auf erhebliche Veränderungen des Gesundheitszustands zurückzuführen, sondern beruhen, wie die weitgehend übereinstimmenden Ausführungen zur Art und Schwere der grundsätzlichen Symptome zeigen, auf einem seit längerer Zeit weitgehend stabilen Gesundheitszustand. Das gilt auch für den im Beschwerdeverfahren eingereichten Bericht der H. , der deshalb bei der Beurteilung des psychischen Zustands der Beschwerdeführerin gewürdigt werden kann, weil er angesichts der Stabilität der Krankheit Rückschlüsse auf die Situation bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung zulässt. In diesem neuesten Bericht taucht wieder die von der Tagesklinik ausdrücklich verneinte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung auf und die Beschwerdeführerin wird wieder als mittelgradig depressiv bezeichnet. Im Bericht der Tagesklinik ist nur von einem ängstlich-depressiven Zustand die Rede gewesen. Die Beschwerdeführerin ist in H. als völlig arbeitsunfähig eingeschätzt worden. Auch hier muss wieder auf bereits erwähnte Erfahrungstatsache verwiesen werden, dass behandelnde Ärzte vermutungsweise nicht objektiv berichten. Würden die von den verschiedenen mit dem Fall der Beschwerdeführerin befassten Ärzten gestellten Diagnosen nach Art und Schwere übereinstimmen, könnte wohl davon ausgegangen werden, dass die Beurteilung durch den psychiatrischen Gutachter der MEDAS Zentralschweiz die objektivste sein müsse und dass sie die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit belege. Angesichts der von Facharztbericht zu Facharztbericht stark divergierenden Diagnosestellung besteht aber der Verdacht, dass keine der verschiedenen Einschätzungen richtig sein könnte, d.h. dass die Beschwerdeführerin durch eine eindringlich und überzeugend geschilderte, aber übermässig pessimistische Selbsteinschätzung eine Unsicherheit in der Diagnosestellung bewirkt haben könnte, die stark abweichende und generell zu pessimistische Arbeitsfähigkeitsschätzungen zur Folge gehabt haben könnte. Das muss auch für die Beurteilung durch den psychiatrischen Gutachter der MEDAS Zentralschweiz gelten. Im Übrigen hat dieser die

        Frage, ob ein Anwendungsfall der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Arbeitsfähigkeit bei einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bei einem vergleichbaren Syndrom vorliege, nur ansatzweise beantwortet. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine der psychiatrischen Arbeitsfähigkeitsschätzungen zu überzeugen vermag. Der massgebende Sachverhalt erweist sich auch in Bezug auf eine allfällige Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch eine psychische Erkrankung als unzureichend abgeklärt.

      4. Die Invaliditätsbemessung mittels eines Einkommensvergleichs scheitert also am Umstand, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin in einer leidensadaptierten Tätigkeit nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststeht. Die angefochtene Verfügung ist demnach in Verletzung der Untersuchungs- und Beweispflicht der Beschwerdegegnerin ergangen. Sie ist als rechtswidrig aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin wird die entsprechenden Abklärungen (zumindest neurootologischer und psychiatrischer Art) nachzuholen haben.

5.

Die angefochtene Verfügung ist somit aufzuheben und die Sache ist zur weiteren Abklärung des massgebenden Sachverhalts an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Dieser Verfahrensausgang ist praxisgemäss in Bezug auf die Verfahrenskosten als vollumfängliches Obsiegen der Beschwerdeführerin zu qualifizieren. Sie hat deshalb einen Anspruch auf den Ersatz der gesamten Vertretungskosten. Diese Kosten sind angesichts des als durchschnittlich zu wertenden Vertretungsaufwands praxisgemäss auf Fr. 3'500.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) festzusetzen. Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat auch für die Gerichtskosten aufzukommen. Da der Beurteilungsaufwand ebenfalls als durchschnittlich zu betrachten ist, wird die Gerichtsgebühr praxisgemäss auf Fr. 600.-- festgesetzt. Der Kostenvorschuss von Fr. 600.-- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

entschieden:

1. Die Beschwerde wird dahingehend gutgeheissen, dass die Verfügung vom

15. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur weiteren Abklärung und zur neuen

Verfügung im Sinn der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird.

  1. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung

    von Fr. 3'500.-- zu bezahlen (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer).

  2. Die Beschwerdegegnerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- zu bezahlen; der

in gleicher Höhe geleistete Vorschuss wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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