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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:IV 2009/446
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2009/446 vom 13.12.2011 (SG)
Datum:13.12.2011
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 8, 16 ATSG. Invaliditätsbemessung mittels Einkommensvergleich (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. Dezember 2011, IV 2009/446).
Schlagwörter: Arbeit; Beschwerde; Fähig; Beschwerdeführerin; Arbeitsfähigkeit; IV-act; Hilfsarbeit; Schmerz; Sachverständige; Rheumatologische; Zumutbare; Invalidität; Wäre; Leichte; Arbeitsunfähigkeit; Invaliditätsgrad; Neurologische; Einkommen; IV-Stelle; Gutachten; Recht; Rente; Sicht; Hilfsarbeiterinnen; Invalideneinkommen; Wurzel; Müsse; Adaptierte; Valideneinkommen
Rechtsnorm: Art. 16 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Entscheid Versicherungsgericht, 13.12.2011

Präsident Martin Rutishauser, Versicherungsrichter Joachim Huber, Versicherungsrichterin Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiber Ralph Jöhl

Entscheid vom 13. Dezember 2011 in Sachen

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Fürsprecher Marco Büchel, LL.M., c/o K & B Rechtsanwälte,

Freudenbergstrasse 24, Postfach 213, 9240 Uzwil,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Rente

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Sachverhalt:

A.

A. meldete sich am 9. August 2004 zum Bezug von IV-Leistungen an (IV-act. 1). Dr. med. B. berichtete am 20. August 2004 (IV-act. 6), die Versicherte leide an einem lumbovertebralen Schmerzsyndrom, an einem zervikobrachialen Schmerzsyndrom und an einer depressiven Episode. Als Mitarbeiterin im Versandservice sei sie seit dem 25. August 2003 wechselnd zwischen 100% und 50% arbeitsunfähig. In den letzten Monaten habe eine deutliche Schmerzausbreitung stattgefunden. Die C. AG teilte am 23. August 2004 mit (IV-act. 7), sie habe die Versicherte von 1997 bis Ende November 2004 als Versandmitarbeiterin beschäftigt. Der Monatslohn habe im Jahr 2004 Fr. 2'850.-- (x12 zuzüglich Gratifikation) betragen. 2002 habe die Versicherte Fr. 35'600.-- verdient, 2003 Fr. 35'200.--. Das Zentrum für Medizinische Begutachtung (ZMB) führte in seinem Gutachten vom 28. März 2006 (IV-act. 22) aus, die Erhebung des allgemeinen und internistischen Status habe ein erhebliches Übergewicht (BMI 33) und eine arterielle Hypertonie gezeigt, die aber keine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hätten. Die rheumatologische Untersuchung habe ergeben, dass ein chronisches zervikales und lumbales Schmerzsyndrom vorliege. Daneben bestehe der Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung. Bei der Versicherten fänden sich eine Einschränkung der HWS-Beweglichkeit (bei massiver Gegeninnervation) und eine Fehlhaltung der LWS. Der objektivierbare Befund sei aber diskret. Der neurologische Sachverständige habe eine chronische, multifaktoriell bedingte Kopfschmerzproblematik (aktuell medikamenteninduziert) und eine somatoforme rechtsseitige Schmerz- und sensomotorische Ausfallsymptomatik ohne organisches Korrelat diagnostiziert. Er habe dazu angegeben, bei der Kopfschmerzproblematik spielten wohl auch psychische Faktoren mit. Deskriptiv liege ein rechtsseitiges Schmerzsyndrom vor, für das sich aus neurologischer Sicht keine Erklärung ergebe. Es habe weder ein Cervical- noch ein Lumbovertebralsyndrom nachgewiesen werden können. Anhaltspunkte für eine radikuläre Reiz- oder Ausfallsymptomatik am rechten Arm oder am rechten Bein fehlten. Sowohl die rechtsseitige Schwäche als auch die rechtsseitige Sensibilitätsstörung seien als funktionell zu interpretieren. Der objektivierbare Befund und die angegebenen Beschwerden seien diskrepant. Aufgrund der symmetrischen Trophik und der symmetrisch abgelaufenen Schuhabsätze sei

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davon auszugehen, dass das Hinken nicht immer so ausgeprägt sei wie anlässlich der Untersuchungssituation. Es bestehe der Verdacht auf eine somatoforme Störung, wobei ein sekundäres ausgeweitetes leichtgradiges organisches Korrelat im Sinn eines Lumbovertebralsyndroms nicht auszuschliessen sei. Der psychiatrische Sachverständige habe mitgeteilt, die Versicherte leide an einer depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, mit somatischem Syndrom bei einer einfach strukturierten Persönlichkeit. Bei der Untersuchung habe die Versicherte als klagsam, schicksalsergeben und bedrückt imponiert. Sie sei in ihrem ganzen Erleben in ihren somatischen Beschwerden gefangen und scheine sich selbst als invalid und zu keinerlei Aktivitäten mehr fähig zu erleben. Das scheine sich zur Gewissheit verdichtet zu haben. Das Krankheitsbild zeige erhebliche regressive Züge, denn die Versicherte traue sich keine Arbeitsleistung mehr zu und sie habe die ganze Haushaltführung delegiert. In psychodynamischer Hinsicht sei anzunehmen, dass die Versicherte während Jahren der Mehrfachbelastung als erwerbstätige Mutter und Hausfrau gewachsen gewesen sei, dabei aber an der Grenze der psychophysischen Belastbarkeit gearbeitet habe. Zusammenfassend wurde im Gutachten festgehalten, in der Gesamtbeurteilung seien die Sachverständigen von einer Arbeitsfähigkeit der Versicherten am letzten Arbeitsplatz von 70% ausgegangen, wobei ausschliesslich psychische Gründe für die Arbeitsunfähigkeit verantwortlich seien. Da die Versicherte auch in jeder anderen Tätigkeit in ihrer Ausdauer und in ihrer Belastbarkeit eingeschränkt wäre, gebe es keine adaptierte Tätigkeit, bei der die Arbeitsfähigkeit höher wäre. Am 1. Juni 2006 gab der zuständige Sachverständige des ZMB ergänzend an (IV-act. 29), der rheumatologische Sachverständige habe mit der Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms nur Schmerzen ohne objektivierbares Korrelat gemeint. Die rheumatologische Diagnose sei deshalb Teil der psychiatrischen Diagnose bzw. der depressiven Störung. Aus rheumatologischer und neurologischer Sicht bestehe keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Die IV-Stelle ermittelte das Valideneinkommen ausgehend vom zuletzt erzielten Lohn. Sie setzte es auf Fr. 37'100.-- fest. Auch das zumutbare Invalideneinkommen wurde ausgehend von diesem Einkommen ermittelt. Die IV-Stelle nahm keinen zusätzlichen Abzug vor, so dass das zumutbare Invalideneinkommen Fr. 25'970.-- ausmachte, was einem Invaliditätsgrad von 30% entsprach (IV-act. 31). Mit einer Verfügung vom 28. September 2006 wies sie das

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Rentenbegehren ab (IV-act. 37). Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

B.

B.a Die Versicherte meldete sich am 14. Januar 2009 erneut zum Bezug von IV- Leistungen an (IV-act. 44). Dr. med. B. , Arzt für Allgemeine Medizin FMH, gab der IV-Stelle am 15. Januar 2009 an, im Rahmen eines Bandscheibenvorfalls L4/5 mit Wurzelkompressionssyndrom L5 links hätten am 13. und 21. September 2007 Bandscheibenoperationen durchgeführt werden müssen. Es persistiere eine Restischialgie, die eine Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit bewirkt habe (IV-act. 50). Dr. D. vom RAD hielt am 23. Februar 2009 fest, eine Verschlechterung sei hausärztlich gestützt. Die genauen Auswirkungen auf die zumutbare Arbeitsfähigkeit

seien gutachterlich zu evaluieren (IV-act. 59). Die IV-Stelle beauftragte am 3. März 2009 das ZMB mit einer Verlaufsbegutachtung (IV-act. 62).

    1. Die Sachverständigen des ZMB berichteten in ihrem Gutachten vom 8. September 2009 (IV-act. 69), aus internistischer Sicht bestehe eine Kombination von Adipositas, arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus. Dabei handle es sich vermutlich um ein metabolisches Syndrom. Der Blutdruck sei noch zu hoch, so dass eine Intensivierung der entsprechenden Behandlung notwendig sei. Die Blutzuckerstoffwechsellage sei optimal eingestellt.

    2. Der rheumatologische Sachverständige hielt fest, die Versicherte habe angegeben, nach der ersten Abklärung seien verstärkte Kreuzschmerzen mit Ausstrahlungen in das linke Bein aufgetreten. Im Jahr 2007 seien zwei Rückenoperationen vorgenommen worden. Diese hätten die Schmerzen aber praktisch nicht beeinflusst. Eine Wurzelinfiltration L5 links habe die Beschwerden nur ganz wenig gebessert. Der rheumatologische Sachverständige gab weiter an, er habe ein persistierendes Lumbovertebralsyndrom mit eher pseudoradikulärer Ausstrahlung in das linke Bein (bei St. n. interlaminärer Fenestrierung LWK 4/5 links und Sequesterotomie sowie Nukleotomie bei Diskushernie LWK 4/5 links mit Wurzelkompression links am 13. September 2007 und Revision mit Resequesterotomie und Renukleotomie am 21. September 2007 bei Rest-/Frührezidiv-Vorfall LWK 4/5

      links, St. n. Wurzelinfiltration L5 links am 23. Januar 2008 ohne Wirkung) und deutliche psychosomatische Überlagerungszeichen diagnostiziert. Bei der Begutachtung von 2006 seien keine Überlagerungszeichen (z.B. Waddell-Non-Organic-Signs oder variierende Bewegungsausmasse) festgehalten worden, weshalb jetzt kein Vergleich habe durchgeführt werden können. In der klinischen Untersuchung hätten die typischen lokalen Schmerzen und auch die Ausstrahlung in das linke Bein bis in die Grosszehe an verschiedenen Orten (nach lumbal, über dem Operationsgebiet, im Bereich des medialen Beckenkamms links) provoziert werden können. Aus diesem Grund seien die Beschwerden eher pseudoradikulär im Sinn der Schmerzausstrahlung. Immerhin müsse davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Kreuzschmerzen als diskogen zu betrachten sei. Daneben bestünden aber auch typische Überlagerungszeichen wie vier von fünf Waddell-Non-Organic-Signs oder variierende Bewegungsausmasse (z.B. im Bereich HWS). Insgesamt bestehe aus rheumatologischer Sicht eine verminderte Belastbarkeit der LWS aufgrund der Diskopathie, die als teilweise am Beschwerdebild mitbeteiligt erscheine. Klinisch hätten jedoch die nicht-somatischen Beschwerden im Vordergrund gestanden. Das erkläre auch, weshalb die Wurzelinfiltration keine Wirkung gezeigt habe. Für rückenadaptierte leichte Arbeiten bestehe eine weitgehende Arbeitsfähigkeit. Die leichte Verminderung sei im Sinn eines verminderten Rendements resp. eines erhöhten Pausenbedarfs zu verstehen. Seit 2006 sei also eine Verschlechterung eingetreten, weil nun auch aus rheumatologischer Sicht eine Arbeitsunfähigkeit bestehe.

    3. Der neurologische Sachverständige berichtete, er habe ein chronisches Lumbovertebralsyndrom mit intermittierend pseudoradikulärer Reiz- und persistierend sensibler Ausfallsymptomatik der Wurzel L5 links, eine multifaktoriell bedingte chronische Kopfschmerzproblematik, aktuell medikamenteninduziert, und eine funktionelle Überlagerung/Ausweitung diagnostiziert. Der objektivierbare Befund lumbal sei diskret. Die intermittierende Ausstrahlung in das linke Bein sei wahrscheinlich pseudoradikulärer Natur. Sichere Anhaltspunkte für eine anhaltende Radikulopathie fehlten sowohl klinisch als auch neuroradiologisch. Die angegebene Gefühlsverminderung sei als residuell bei St. n. Kompression der Wurzel L5 zu werten. Die Kopfschmerzen seien wahrscheinlich multifaktoriell zu beurteilen. Bei einer täglichen Einnahme von Analgetika seien die Kopfschmerzen nach wie vor als schmerzmittelinduziert zu beurteilen. Eine Überlagerung durch psychische Faktoren sei

      unter Berücksichtigung der Gesamtsituation sehr wahrscheinlich. Zeichen für eine funktionelle Überlagerung seien bei der Untersuchung nicht nur des Rückens und der Beine, sondern auch der Arme festzustellen gewesen. Auch die Resultate bei den Gleichgewichtsprüfungen seien als funktionell überlagert zu beurteilen. Eine wechselbelastende Tätigkeit sei aus neurologischer Sicht zu 70% zumutbar.

    4. Der psychiatrische Sachverständige führte aus, die Versicherte leide an einer leichtgradigen depressiven Episode bei einer einfach strukturierten und beeindruckbaren Persönlichkeit. Im Vergleich zum Vorgutachten lasse sich eine gewisse Verbesserung erkennen, denn die Versicherte habe während der Untersuchung immer wieder lächeln, einmal sogar herzhaft lachen können. Sie habe nicht monoton in ihren psychomotorischen Funktionen gewirkt. Freudlosigkeit und Suizidgedanken seien nicht mehr nachweisbar gewesen. Die Versicherte habe über einen weitgehend unauffälligen Tagesablauf berichtet. Sie habe - anders als bei der ersten Abklärung - angegeben, sie mache leichtere Haushaltarbeiten selbst. Sie sei zudem gern mit ihren drei Freundinnen zusammen. Für eine Besserung der depressiven Episode spreche auch, dass die Versicherte nun kein Antidepressivum mehr einnehme. Aus psychiatrischer Sicht hätten sich keine Belastungen nachweisen lassen, die schwerwiegend genug wären, um in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Schmerzen zu stehen. Es lasse sich auch keine schwerwiegende Kindheitsbelastung nachweisen. Deshalb könne die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nicht gestellt werden. Die Arbeitsfähigkeit sei somit nur noch leicht eingeschränkt.

    5. Die Kommission für medizinische Beurteilung ermittelte auf der Grundlage dieser fachspezifischen Erhebungen eine Arbeitsunfähigkeit von 20% in einer adaptierten Tätigkeit (körperlich leicht, keine dauernden unergonomischen körperlichen Zwangshaltungen, kein dauerndes Stehen). Sie begründete diese Arbeitsunfähigkeit mit dem erhöhten Pausenbedarf und der verminderten Belastbarkeit aus psychischen Gründen. Dr. D. vom RAD bezeichnete dieses Gutachten als versicherungsmedizinisch plausibel. Die Arbeitsfähigkeit "adaptiert" betrage 80% (IV- act. 70).

    6. Die IV-Stelle passte die Einkommenszahlen gemäss dem früheren Einkommensvergleich der Nominallohnentwicklung bis 2008 an und ermittelte daraus einen Invaliditätsgrad von 20% (IV-act. 71). Mit einem Vorbescheid vom 17. September 2009 teilte sie der Versicherten mit, dass sie beabsichtige, das Rentenbegehren abzuweisen (IV-act. 74). Die Versicherte liess am 16. Oktober 2009 beantragen, es sei ihr mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen; eventualiter seien der medizinische Sachverhalt zu klären und danach der Invaliditätsgrad neu zu bestimmen (IV-act. 82). Zur Begründung liess sie insbesondere geltend machen, die Sachverständigen des ZMB hätten übersehen, dass der Neurologe nur eine Arbeitsfähigkeit von 70% angegeben habe. Im Übrigen hätte aufgrund ihres Alters, der Anzahl der Dienstjahre bei der C. AG und der Teilzeitarbeit ein zusätzlicher Abzug von 20% erfolgen müssen. Damit resultiere ein Invaliditätsgrad von 44%. Die IV-Stelle nahm eine Veränderung im Einkommensvergleich vor. Sie ermittelte das zumutbare Invalideneinkommen anhand des statistischen Zentralwerts der Löhne der Hilfsarbeiterinnen, wobei sie die Korrektur wegen des Minderverdiensts bei der C. AG nicht vollumfänglich vornahm, sondern der entsprechenden höchstrichterlichen Rechtsprechung gemäss im Umfang von 5% unterliess. Ausserdem nahm sie einen Abzug vom so ermittelten Einkommen von 10% vor. Es resultierte neu ein Invaliditätsgrad von 24% (IV-act. 83). Mit einer Verfügung vom 27. Oktober 2009 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren ab (IV-act. 84).

C.

    1. Die Versicherte liess am 26. November 2009 Beschwerde erheben (act. G1). Ihr Rechtsvertreter beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 27. Oktober 2009 und die Zusprache mindestens einer halben Invalidenrente; eventualiter sei der medizinische Sachverhalt zu klären und danach der Invaliditätsgrad neu zu bestimmen. Zur Begründung führte der Rechtsvertreter sinngemäss aus, der neurologische Sachverständige habe eine Arbeitsunfähigkeit von 30% angegeben, aber bei der Gesamtbeurteilung sei die Arbeitsunfähigkeit nur mit 20% bemessen worden. Das sei nicht der einzige Widerspruch. Der rheumatologische Sachverständige habe nämlich zunächst eine weitgehende Arbeitsfähigkeit und dann eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit angegeben. Im Weiteren sei nicht nachvollziehbar, weshalb die chronische Kopfschmerzproblematik neu nicht mehr als eine der Ursachen der Arbeitsunfähigkeit angegeben werde. Aufgrund dieser Widersprüche und

      Unstimmigkeiten erweise sich das Gutachten des ZMB vom 19. März 2009 als nicht beweiskräftig, so dass eine Oberexpertise notwendig sei. Sollte das Gericht das ZMB- Gutachten als überzeugend qualifizieren, müsse von einem Arbeitsfähigkeitsgrad von 70% ausgegangen werden. Bei der Ermittlung des zumutbaren Invalideneinkommens müsse der maximal zulässige Tabellenlohnabzug von 25% Berücksichtigung finden, denn die Beschwerdeführerin sei über 50 Jahre alt, sie sei seit 1990 beim letzten Arbeitgeber tätig gewesen, sie sei leidensbedingt auf eine leichte, sitzende Tätigkeit angewiesen, bei der sie zahlreichen weiteren Einschränkungen unterworfen sei, und sie könne nur noch in Teilzeit arbeiten. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 38'477.-- und einem zumutbaren Invalideneinkommen von Fr. 19'025.25 resultiere ein Invaliditätsgrad von 50,55%.

    2. Dr. D. vom RAD hielt am 23. Dezember 2009 fest (IV-act. 88), den rheumatologischen Einschränkungen sei mit einer Arbeitsunfähigkeit von 30% ausreichend Rechnung getragen, da sie nur einen vermehrten Pausenbedarf zur Folge hätten. Aus psychiatrischer Sicht sei ebenfalls nur ein vermehrter Pausenbedarf gegeben. Dieser bewirke eine Arbeitsunfähigkeit von 20%. Es sei sowohl der MEDAS als auch dem RAD entgangen, dass im neurologischen Teilgutachten eine Arbeitsfähigkeit von 70% attestiert worden sei. Die Konsensbeurteilung (Arbeitsfähigkeit 80%) sei deshalb nicht nachvollziehbar. Richtigerweise müsse von einer Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit von 70% ausgegangen werden. Bis auf dieses Detail überzeuge das Gutachten, so dass keine erneute Begutachtung notwendig sei. Die Beschwerdegegnerin beantragte daraufhin am 14. Januar 2010 die Abweisung der Beschwerde (act. G4). Zur Begründung führte sie insbesondere aus, es gebe kein neurologisches Korrelat für die Kopfschmerzen. Die einzige objektivierbare Ursache für die Kopfschmerzen sei der Schmerzmittelkonsum. Dieser könnte zumutbarerweise gestoppt werden. Da keine weiteren neurologischen Befunde erhoben worden seien, könne nicht auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung des entsprechenden Sachverständigen abgestellt werden. Die Kritik an der rheumatologischen Abklärung sei nicht gerechtfertigt, da die Rückenbeschwerden die Arbeitsfähigkeit nur in qualitativer Hinsicht einschränkten. Die leichte depressive Störung sei nicht invalidisierend, da die entsprechenden Beeinträchtigungen durch eine zumutbare Willensanstrengung dergestalt überwunden werden könnten, dass die

Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt wäre. Der Tabellenlohnabzug sei mit 10% korrekt festgesetzt worden. Der Invaliditätsgrad betrage nur 5%.

Erwägungen:

1.

Gemäss Art. 16 ATSG ist das Einkommen, das die versicherte Person nach dem Eintritt der Invalidität und nach der Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen), in Beziehung zu setzen zum Erwerbseinkommen, das die versicherte Person erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen).

    1. Grundlage der Bemessung des Valideneinkommens bildet jene erwerbliche Situation, in der sich die versicherte Person befinden würde bzw. befinden könnte, wenn sie nicht krank geworden wäre. Diese hypothetische erwerbliche Situation wird als Validenkarriere bezeichnet. Ausgehend von dieser Validenkarriere wird das Valideneinkommen ermittelt. Die C. AG hat angegeben, sie habe die Beschwerdeführerin ab Februar 1997 als Versandmitarbeiterin beschäftigt. Das individuelle Beitragskonto (IK) der Beschwerdeführerin weist die C. AG aber bereits seit November 1990 als Arbeitgeberin aus. Das lässt den Schluss zu, dass die Beschwerdeführerin schon bald nach ihrer Einreise in die Schweiz im Januar 1989 die Stelle bei der C. AG angetreten hat und dort mit einem Beschäftigungsgrad von 100% angestellt gewesen ist. Mangels anderslautender Indizien ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, wäre sie nicht krank geworden, weiterhin zu 100% erwerbstätig gewesen wäre. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb zu Recht einen reinen Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) vorgenommen. Dabei hat die Beschwerdegegnerin ein Valideneinkommen berücksichtigt, das dem bei der C. AG erzielbaren Lohn entsprochen hat. Sie hat also die Tätigkeit bei der C. AG als Validenkarriere der Beschwerdeführerin betrachtet. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Einreise in die Schweiz die Stelle bei der C. AG trotz der stark unterdurchschnittlichen Entlöhnung angenommen und dann auch lange Jahre beibehalten hat, deutet indessen darauf hin, dass der regionale Arbeitsmarkt keine

      besser entlöhnte Verwertung der Arbeitskraft zugelassen hat und die Beschwerdeführerin durch die äusseren Umstände, auf die sie keinen Einfluss gehabt hat, dazu gezwungen gewesen ist, für die C. AG zu arbeiten. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin freiwillig zu einem deutlich unterdurchschnittlichen Lohn gearbeitet hat. Wäre ihr vor dem Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung eine Arbeitsstelle angeboten worden, die qualitativ (Arbeitsweg, Arbeitszeit, Anforderungen an die Leistungsfähigkeit usw.) der Arbeit bei der C. AG gleichwertig gewesen wäre, die aber deutlich besser, nämlich dem schweizerischen Durchschnitt entsprechend, entlöhnt worden wäre, so hätte die Beschwerdeführerin wohl nicht gezögert, diese Stelle anzutreten. Die Validenkarriere der Beschwerdeführerin bestimmt sich demnach nicht nach einer hypothetisch weiterhin ausgeübten Hilfsarbeit bei der C. AG, sondern nach einer - ebenso hypothetischen - Hilfsarbeit, die dem schweizerischen Durchschnitt entspricht. Die Validenkarriere der Beschwerdeführerin ist deshalb eine Hilfsarbeit in irgendeiner Branche, bei der ein Lohn erzielt werden könnte, der dem schweizerischen Durchschnitt der Hilfsarbeiterinnenlöhne aller Branchen entsprechen würde. Die Beschwerdeführerin ist seit 2003 arbeitsunfähig geschrieben. Da die mit der 5. IV- Revision an sich aufgehobenen Bestimmungen betreffend die Entstehung des Rentenanspruchs aufgrund einer entsprechenden intertemporalrechtlichen Praxis (vgl. die IV-Rundschreiben Nr. 253 und Nr. 300 des Bundesamtes für Sozialversicherungen) im Fall der Beschwerdeführerin weiter anwendbar sind, steht ein Rentenanspruch ab 2006 (Abweisung eines ersten Rentengesuchs, vgl. IV-act. 37) zur Diskussion (aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG). Massgebend für den Einkommensvergleich sind deshalb die Einkommenszahlen des Jahres 2006. Der Zentralwert der Hilfsarbeiterinnenlöhne hat gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2006 Fr. 4'019.-- betragen. Umgerechnet von 40 auf den damaligen schweizerischen Durchschnitt von 41,7 Wochenarbeitsstunden beträgt das Valideneinkommen der Beschwerdeführerin Fr. 4'189.81 bzw. Fr. 50'278.--.

    2. Die zumutbare Invalidenkarriere der Beschwerdeführerin besteht trotz der gegenüber den Ärzten geäusserten Auffassung, in jeder Art von Erwerbstätigkeit vollumfänglich arbeitsunfähig zu sein, in einer körperlich leichten Tätigkeit, bei der keine dauernden unergonomischen Zwangshaltungen eingenommen und die nicht dauernd im Stehen ausgeübt werden müssen. Dies wird denn auch vom

Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin anerkannt. Derartige, sogenannt adaptierte Hilfsarbeiten sind nicht auf bestimmte Branchen beschränkt. Deshalb entspricht das Ausgangseinkommen zur Ermittlung des zumutbaren Invalideneinkommens dem schweizerischen Zentralwert der Hilfsarbeiterinnenlöhne aller Branchen. Es beläuft sich auf Fr. 50'278.--. Strittig ist die in einer adaptierten Hilfsarbeit bestehende Arbeitsfähigkeit. Es ist mit Dr. D. vom RAD davon auszugehen, dass die im zweiten Gutachten angegebene Gesamtarbeitsfähigkeit von 80% auf einem Versehen beruht. Das eigentliche Ergebnis der zweiten Begutachtung ist eine Arbeitsfähigkeit von 70%. Die Kritik der Beschwerdeführerin an der polydisziplinären medizinischen Abklärung bezieht sich zur Hauptsache auf diese Unstimmigkeit in Bezug auf die Gesamtarbeitsunfähigkeit. Ihr ist durch das Abstellen auf eine Arbeitsfähigkeit "adaptiert" von 70% Rechnung getragen. Das entspricht einem Jahreseinkommen von Fr. 35'195.--. Die Beschwerdeführerin verlangt einen zusätzlichen Abzug von 25%, weil sie nur noch eine Teilzeitarbeit ausüben könne und weil diese Teilzeitarbeit nur noch eine leichte und sitzend auszuübende sein könne. Mit dem zweitgenannten Argument unterstellt die Beschwerdeführerin, dass leichte, sitzende Hilfsarbeiten generell tiefer entlöhnt würden als körperlich beanspruchende Hilfsarbeiten. Dafür fehlt jeder statistische Nachweis. Ökonomisch betrachtet ist dieses Argument nicht nachvollziehbar, denn der "Wert" einer Arbeit hängt im modernen Wirtschaftsleben auch bei Hilfsarbeiterinnen längst nicht mehr von der körperlichen Leistung ab. Eine sitzend auszuübende leichte Hilfsarbeit kann durchaus einen durchschnittlichen Lohn rechtfertigen, denn auch Eigenschaften wie Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Reaktionsvermögen, Fingerfertigkeit usw. können an einem entsprechenden Arbeitsplatz wertvoll sein. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass Frauen bei Teilzeitbeschäftigung keinen überproportionalen Lohnnachteil in Kauf nehmen müssten. Ob dies zutrifft, ist zu bezweifeln, denn die entsprechende Statistik könnte auch dadurch beeinflusst sein, dass bei Hilfsarbeiterinnen die Teilzeitbeschäftigung sehr viel häufiger ist als bei Hilfsarbeitern, dass sie also - wenigstens zahlenmässig - den "Normalfall" darstellt und deshalb den Durchschnittslohn entscheidend prägt. Die Frage kann vorliegend offen bleiben, weil die Beschwerdeführerin aus anderen Gründen nicht in der Lage sein dürfte, einen Lohn von 70% des Zentralwerts zu erzielen. Die Beschwerdeführerin weist nämlich Konkurrenznachteile gegenüber gesunden Hilfsarbeiterinnen auf: Sie könnte nicht vorübergehend ihren

Beschäftigungsgrad erhöhen oder sogar Überstunden leisten; sie könnte nicht vorübergehend an einem anderen, nicht adaptierten Arbeitsplatz eingesetzt werden; jeder ökonomisch denkende Arbeitgeber müsste davon ausgehen, dass die Gefahr überdurchschnittlicher Krankheitsabsenzen bestünde; generell benötigte die Beschwerdeführerin seitens der Vorgesetzten und der Kolleginnen vermehrte Rücksichtnahme; schliesslich würde sie beim Wechsel der Arbeitsstelle einen Dienstaltersnachteil erleiden, der allerdings bei Hilfsarbeiterinnen erfahrungsgemäss gering ist. Diese Nachteile sind in einem durchschnittlichen Ausmass vorhanden, so dass sich ein zusätzlicher Abzug von 10% als angemessen erweist. Damit beträgt das Invalideneinkommen Fr. 31'676.--. Die behinderungsbedingte Erwerbseinbusse von Fr. 18'602.-- entspricht einem Invaliditätsgrad von 37%. Die Beschwerdegegnerin hat also im Ergebnis zu Recht einen Rentenanspruch der Beschwerdeführerin verneint.

2.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Die vollumfänglich unterliegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, so dass das entsprechende Begehren ebenfalls abzuweisen ist. Das Beschwerdeverfahren in IV- Sachen ist kostenpflichtig. Die Gerichtsgebühr richtet sich nach dem Verfahrensaufwand (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Dieser ist im vorliegenden Fall als durchschnittlich zu werten, so dass sich eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- rechtfertigt. Diese Gebühr ist vollumfänglich durch die unterliegende Beschwerdeführerin zu tragen; sie ist durch den in gleicher

Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

entschieden:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Die Beschwerdeführerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- zu bezahlen;

diese Gebühr ist durch den in gleicher Höhe geleisteten Vorschuss gedeckt.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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