Zusammenfassung des Urteils I/1-2013/95, 96: Verwaltungsrekurskommission
X und Y wurden für die Kantons- und Gemeindesteuer 2011 sowie die direkte Bundessteuer 2011 veranlagt, wobei ein Forderungsverzicht einer Bank dem steuerbaren Einkommen zugerechnet wurde. Nach erfolgloser Einsprache erhoben sie Rekurs gegen die Haftungsverfügungen, da X aus der Solidarhaftung entlassen werden sollte. Die Verwaltungsrekurskommission entschied zugunsten von X, da die Ehefrau dauerhaft zahlungsunfähig war und die Schulden aus ihrer Geschäftstätigkeit stammten. Der Rekurs wurde somit gutgeheissen, die Kosten des Verfahrens trägt der Staat, und X haftet nicht für die Steuerschulden seiner Ehefrau.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | I/1-2013/95, 96 |
Instanz: | Verwaltungsrekurskommission |
Abteilung: | Abgaben und öffentliche Dienstpflichten |
Datum: | 11.12.2013 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art 25 Abs. 1 StG (sGS 811.1), Art. 13 Abs. 1 DBG (SR 642.1). Solidarhaftung der Ehegatten für Steuern. Einer Steuerpflichtigen wurde aufgrund eines Forderungsverzichts einer Bank ein entsprechendes Einkommen aufgerechnet. Die Forderung beruhte auf der selbständigen Tätigkeit der Ehefrau vor der Heirat. Im konkreten Fall wurde eine Zahlungsunfähigkeit der Ehefrau angekommen und die Haftung des Ehemannes |
Schlagwörter: | Ehegatte; Haftung; Ehefrau; Ehegatten; Bundessteuer; Einsprache; Rekurs; Zahlungsunfähigkeit; Entscheid; Gemeindesteuer; Einkommen; Solidarhaftung; Einspracheentscheid; Verwaltungsrekurskommission; Steueramt; Recht; Kantons; Konkurs; Forderung; Rekurrent; Rekurrenten; Einspracheentscheide; Entscheide; Bundesgesetz; Ehemann; Thomas; Eidgenössische; Steuerverwaltung |
Rechtsnorm: | Art. 13 DBG ;Art. 144 DBG ;Art. 159 ZGB ;Art. 166 ZGB ;Art. 6 ZGB ; |
Referenz BGE: | 122 I 145; 122 I 146; 130 II 509; 135 II 260; |
Kommentar: | - |
Dezember 2013, I/1-2013/95, 96).
Präsident Thomas Vögeli, Mitglieder Rudolf Lippuner und Martin Würmli; Gerichtsschreiber Philipp Lenz
X und Y, Rekurrenten und Beschwerdeführer,
vertreten durch Fritz F. Kern, FAMA Treuhand GmbH, Herbrigsteig 1, 9042 Speicher,
gegen
Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen, Vorinstanz,
und
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Abteilung
Recht, Eigerstrasse 65, 3003 Bern, Beschwerdebeteiligte,
betreffend
Haftungsverfügung (Kantons- und Gemeindesteuer 2011) Haftungsverfügung (direkte Bundessteuer 2011)
Sachverhalt:
A.- X und Y heirateten am 20. Mai 2011 und wohnen in E. Die Ehefrau hatte zuvor bis Ende März 2011 ein Café als Einzelunternehmung geführt, welche im Handelsregister eingetragen war. Per Ende März 2011 wurde diese aufgelöst und der Eintrag im Handelsregister am 16. Mai 2011 gelöscht. Die Eheleute X und Y wurden für die Kantons- und Gemeindesteuer 2011 mit einem steuerbaren Einkommen von
Fr. 192'000.--, ohne steuerbares Vermögen, und für die direkte Bundessteuer 2011 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 175'600.-- veranlagt. Bei der Veranlagung der Einkünfte wurde ein Forderungsverzicht einer Bank gegenüber der Ehefrau, welche im Zusammenhang mit deren selbständiger Erwerbstätigkeit stand, im Betrag von
Fr. 190'632.-- dem steuerbaren Einkommen zugerechnet. Gegen die Veranlagungen vom 1. Mai 2012 erhoben die Eheleute X und Y erfolglos Einsprache. Die Einspracheentscheide vom 15. August 2012 erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.
B.- Mit Schreiben vom 31. Mai 2012 ersuchten X und Y um Aufhebung der Solidarhaftung des Ehemannes mit der Begründung, die Heirat sei nach der Liquidation des maroden Unternehmens der Ehefrau erfolgt. Mit Verfügung vom 13. November 2012 wies das Gemeindesteueramt E. dieses Begehren ab mit der Begründung, die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 1 DBG bzw. Art. 25 Abs. 1 StG seien derzeit nicht gegeben. Es seien keine aktuellen Verlustscheine vorhanden und es sei kein Konkurs eröffnet worden. Die Ehefrau generiere derzeit zwar kein Einkommen; es wäre ihr aber zuzumuten, eine Anstellung zu suchen. Gegen die Haftungsverfügungen erhob X Einsprache, die vom kantonalen Steueramt mit Entscheiden vom 2. Mai 2013 abgewiesen wurde.
C.- Mit Eingabe ihres Vertreters vom 3. Juni 2013 erhoben X und Y Rekurs und Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission mit dem Antrag, die
Haftungsentscheide seien aufzuheben und X sei aus der Solidarhaftung für die direkte Bundessteuer 2011 und die Kantons- und Gemeindesteuern 2011 zu entlassen.
Die Vorinstanz teilte am 15. August 2013 mit, sie verzichte auf eine Stellungnahme zum Rekurs und zur Beschwerde.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat stillschweigend auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet.
Auf die Erwägungen der angefochtenen Entscheide sowie die Vorbringen der Rekurrenten bzw. Beschwerdeführer wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.
Erwägungen:
1.- Angefochten sind die Einspracheentscheide hinsichtlich der Haftung des Ehemannes X für die Kantons- und Gemeindesteuern 2011 sowie der direkten Bundessteuer 2011. Zwar müssen für Rekurs und Beschwerde verschiedene Entscheide ergehen; sie können indessen in einem einzigen Dokument mit Verweisungen und einem gemeinsamen Dispositiv, das die beiden Steuern allerdings ausdrücklich ausein-anderhält, enthalten sein (vgl. BGE 130 II 509 = Pra 2005 Nr. 114 E. 8.3; BGE 135 II 260 = Pra 2010 Nr. 37 E. 1.3.1).
Die Eintretensvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen. Angefochten sind Einspracheentscheide über die Haftung für Steuern des Ehegatten. Diese Entscheide sind dem Bereich des Vollzugs des Steuergesetzes zuzurechnen. Die Verwaltungsrekurskommission ist zum Sachentscheid zuständig (Art. 41 lit. h Ziff. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt: VRP). Die Befugnis zur Rekurs- bzw. zur Beschwerdeerhebung ist zumindest für X gegeben. Ob auch die Legitimation der Ehefrau zu bejahen ist, erscheint fraglich, kann aber offen bleiben. Der Rekurs und die Beschwerde vom 3. Juni 2013 sind rechtzeitig eingereicht worden und können in formeller und inhaltlicher Hinsicht als den gesetzlichen Anforderungen genügend betrachtet werden (Art. 194 Abs. 1 des St. Galler Steuergesetzes, sGS
811.1, abgekürzt: StG; Art. 140 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer, SR 642.11, abgekürzt: DBG; Art. 7 der Verordnung zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, sGS 815.1; Art. 48 VRP). Auf den Rekurs und die Beschwerde ist einzutreten.
2.- Nach Art. 25 Abs. 1 StG haften gemeinsam steuerpflichtige Ehegatten solidarisch. Bei ausgewiesener Zahlungsunfähigkeit des einen Ehegatten haftet der andere für den Steueranteil, der auf sein Einkommen und sein Vermögen entfällt. Art. 13 Abs. 1 DBG enthält eine ähnlich lautende Bestimmung. Danach haften Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, solidarisch für die Gesamtsteuer. Jeder Gatte haftet jedoch nur für seinen Anteil an der Gesamtsteuer, wenn einer von beiden zahlungsunfähig ist. Die Bestimmungen unterscheiden sich somit nur dadurch, dass das kantonale Recht eine ausgewiesene Zahlungsunfähigkeit verlangt, während beim Bundesrecht eine solche Qualifizierung fehlt.
Zahlungsunfähigkeit liegt vorab dann vor, wenn Verlustscheine bestehen, der Konkurs eröffnet ist ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung abgeschlossen wurde (Greminger/Bärtschi, in: Zweifel/Athanas (Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a, 2. Aufl. 2008, N 3 zu Art. 13; Weidmann/ Grossmann/Ziger-lig, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6. Aufl. 1999, S. 413). Die genannten Kriterien sind zwar die offenkundigsten, um die Zahlungsunfähigkeit darzulegen, aber nicht die einzigen. Die Zahlungsunfähigkeit muss auch dann anerkannt werden, wenn andere schlüssige Merkmale nachgewiesen werden, die das dauernde Unvermögen des Schuldners belegen, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, so zum Beispiel die umfassende Überschuldung. Dem Kriterium der Dauerhaftigkeit kommt dabei entscheidende Bedeutung zu, weshalb ein bloss vorübergehendes Unvermögen des Schuldners, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit nicht genügt (Greminger/Bärtschi, a.a.O., N 3 zu Art. 13 DBG; vgl. auch Eidgenössische Steuerverwaltung, Kreisschreiben Nr. 30, Ehepaar- und Familienbesteuerung nach dem DBG, 21. Dezember 2010, Ziff. 6.2.1).
Die Solidarhaftung der Ehegatten wurde von der Verwaltungsrekurskommission bereits in einem früheren Entscheid kritisch beurteilt (vgl. VRKE I/1-1999/106 vom
12. Juli 2000 in: SGE 2000 Nr. 16). Die Verwaltungsrekurskommission hielt in diesem Urteil fest, die uneingeschränkte Solidarhaftung der Ehegatten widerspreche den Wertvorstellungen des neuen Eherechts, das den Ehegatten unter anderem die finanzielle Selbständigkeit gebracht habe (Art. 159 ff. ZGB). Danach hafte grundsätzlich jeder Ehegatte für seine persönlichen Schulden (Art. 202, 234, 249 ZGB). Eine Haftung für Schulden des Partners besteht nur in genau umschriebenen Fällen, zu denen Steuerschulden nicht gehörten (Art. 166 ZGB; VRKE I/2 vom 16. Mai 2000 i.S. E.Z.). Dennoch lasse das Bundesgericht die Solidarhaftung unter Berufung auf Art. 13 Abs. 1 DBG zu. Es führe dazu aus, mit dieser Bestimmung habe der Bundesgesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die vom Bundeszivilgesetzgeber vorgesehene, grundsätzlich individuelle Haftung der Ehegatten den Steuergesetzgeber nicht binde (BGE 122 I 146). Dies gelte seit jeher für den Bundesgesetzgeber, ändere aber nichts daran, dass der kantonale Gesetzgeber ungeachtet des Vorbehalts von Art. 6 ZGB das Bundeszivilrecht nicht verunmöglichen übermässig erschweren auch nur seinem Sinn und Geist zuwiderhandeln dürfe (BGE 122 I 145 mit Hinweisen). Das geschehe aber, wenn er die gesellschaftspolitisch verbrämte, in Wirklichkeit fiskalisch motivierte Faktorenaddition auch noch ins Bezugsverfahren führe und jeden Ehegatten für die gesamte Steuerforderung haften lasse. Namhafte Autoren lehnten daher die steuerrechtliche Solidarhaftung ab (Thomas Müller, Die solidarische Mithaftung im Bundessteuerrecht, Bern 1999, S. 207; Thomas Koller, Privatrecht und Steuerrecht, Bern 1993, S. 426 ff. mit Hinweisen; Peter Böckli, Eintracht und Hader mit Steuerfolgen, in: StR 46 1991, S. 223 ff., namentlich S. 246 ff.). Der Haftungsbegrenzung von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 StG liege der Gedanke zugrunde, dass es dem Ehegatten, der die volle Steuerschuld bezahlt hat, nicht nur schwer möglich sei, Regress auf einen zahlungsunfähigen Partner zu nehmen (Rolf Hartl, Die verfahrensrechtliche Stellung der gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten und ihre Haftung, Diss. Zürich 1989, S. 162; Müller, a.a.O., S. 211). Der Gesetzgeber habe sich hier dem Gerechtigkeitsgefühl durchaus nicht verschlossen. Es dränge sich deshalb auf, die Vorschrift über die Haftungsbeschränkung weitherzig auszulegen und auf den Fall auszudehnen, dass ein Ehegatte faktisch nicht greifbar sei (Koller, a.a.O., S. 423 und 435 f.). Die Abwesenheit mit unbekanntem Aufenthalt sei mit andern Worten der Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen. Dies folge aus dem Gebot der Gleichbehandlung,
das nicht nur in der Rechtsetzung, sondern auch in der Rechtsanwendung zu beachten sei (VRKE I/1-1999/106 vom 12. Juli 2000 in: SGE 2000 Nr. 16).
Gemäss Auszug aus dem Betreibungsregister sind gegen die Ehefrau keine offenen Verlustscheine vorhanden. Einzelne Forderungen sind im Betreibungsregister eingetragen. Ein Konkursverfahren fand offenbar nicht statt. Aktenkundig ist, dass eine Bank auf ihre Forderung von Fr. 200'000.-- zuzüglich Zinsen verzichtete. Die Bank hielt ausdrücklich fest, sie könnte sich dem Konkursverfahren anschliessen und ebenfalls die Betreibung einleiten. Davon habe sie Abstand nehmen und es der Betroffenen ermöglichen wollen, nach dem Konkurs und den damit verbundenen weiteren offenen Lieferantenforderungen einen Neustart zu gestatten. Förmliche Forderungsverzichte anderer Gläubiger sind nicht ausgewiesen. Aufgrund der vorliegenden Akten besteht kein Zweifel, dass im Rahmen der Geschäftsaufgabe verschiedene Gläubiger der Ehefrau zu Schaden kamen. Diese Forderungen haben immer noch Bestand, und es rechtfertigt sich daher, die Ehefrau als dauerhaft zahlungsunfähig einzustufen. Es ist davon auszugehen, dass sie sowohl unter Berücksichtigung des betreibungsrechtlichen Existenzminiums als auch eines angemessenen Einkommens nicht in der Lage ist, ihre Schulden umfassend zu tilgen (vgl. ASA 80 S. 659, 672). Daher ist die solidarische Haftung des Ehemannes aufzuheben, zumal die Überschuldung ausschliesslich auf der vor der Eheschliessung betriebenen Geschäftstätigkeit der Ehefrau beruht und sie allein in deren Einflussbereich entstanden ist. Dies rechtfertigt es nicht, den Ehemann für allfällige Steuerschulden der Ehefrau zu belangen. Der Rekurs und die Beschwerde sind demnach gutzuheissen. Die Einspracheentscheide des kantonalen Steueramtes vom 2. Mai 2013 sind aufzuheben und es ist festzustellen, dass der Rekurrent und Beschwerdeführer für die Steuerforderungen gegenüber seiner Ehefrau nicht haftet.
3.- Dem Verfahrensausgang entsprechend gehen die amtlichen Kosten der Verfahren zu Lasten des Staates (Art. 95 Abs. 1 VRP; Art. 144 Abs. 1 DBG). Eine Entscheidgebühr von Fr. 800.-- ist angemessen (Art. 144 Abs. 5 DBG i.V.m. Art. 7 Ziff. 122 Gerichtskostenverordnung, sGS 941.12). Der Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-- ist den Rekurrenten und Beschwerdeführern zurückzuerstatten.
Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen, da kein Antrag gestellt wurde (Art. 98ter VRP i.V.m. Art. 105 Abs. 2 des Zivilprozessgesetzes, SR 272).
Entscheid:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der Einspracheentscheid des kantonalen Steueramtes vom 2. Mai 2013 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass X für die Kantons- und Gemeindesteuern 2011 von Y nicht haftet.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Einspracheentscheid des kantonalen Steueramtes vom 2. Mai 2013 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass X für die direkte Bundessteuer 2011 von Y nicht haftet.
Die Verfahrenskosten von Fr. 800.-- trägt der Staat.
Den Rekurrenten und Beschwerdeführern wird der Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-- zurückerstattet.
Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.
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