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Urteil Handelsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:HG.2007.87
Instanz:Handelsgericht
Abteilung:Handelsgericht
Handelsgericht Entscheid HG.2007.87 vom 13.11.2008 (SG)
Datum:13.11.2008
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ (SR 0.274.131), Art. 73 Abs. 2 GerG (sGS 941.1), Art. 61
Schlagwörter: Vertrag; Vertrags; Schaden; Partei; Klage; Klagte; Gericht; Entgangen; Beweis; Beklagten; Produkte; Gerichtsstand; Parteien; Entgangene; Schadenersatz; Gewinn; Handels; Umsatz; Geschäft; Entgangenen; Klageantwort; Einreichung; Handelsgericht; Menge; Konkurrenzprodukte; Klageschrift; Vereinbart; Pflicht; Marge
Rechtsnorm: Art. 116 IPRG ; Art. 123 ZPO ; Art. 14 ZPO ; Art. 165 ZPO ; Art. 42 OR ; Art. 61 ZPO ; Art. 74 OR ; Art. 90 ZPO ; Art. 91 ZPO ; Art. 97 OR ;
Referenz BGE:104 II 198; 124 III 436; 128 II 22; 132 III 268; 89 I 65;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
und Art. 165 Abs. 2 ZPO (sGS 961.2); Art. 17 Abs. 1 LugÜ (SR 275.11); Art. 97

Abs. 1 und Art. 42 Abs. 2 OR (SR 220). Eine Partei, die an einem Verfahren überhaupt nicht teilnimmt, verzichtet integral auf ihr rechtliches Gehör. Verweigert eine ausländische Beklagte die Annahme der ihr in einer der gesetzlichen Formen nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ zugestellten Klageschrift, kann darauf verzichtet werden, Mitteilungen an sie im Amtsblatt zu veröffentlichen oder ihr zur Einreichung einer Klageantwort eine Nachfrist zu setzen. Die Säumigkeit mit der Einreichung einer Klageantwort führt zu einem Entscheid alleine aufgrund der in der Klageschrift enthaltenen Behauptungen und Beweismittel. Auf die Substanzierungspflicht und die Beweislast hat die Säumigkeit keinen Einfluss, doch kann das Gericht eher aufgrund von Indizien, tatsächlichen Vermutungen und aufgrund der Lebenserfahrung einen Beweis als erbracht betrachten. Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung: Haben zwei Parteien als Gerichtsstand den Ort vereinbart, an welchem die eine bei Vertragsschluss ihren Sitz hatte, so ist dies nach den Umständen als Verweisung auf den jeweiligen Sitz der betreffenden Partei in der Schweiz zu verstehen; für den vorliegenden Fall wurde dies bejaht. Schadenersatz für entgangenen Gewinn bei Verletzung einer Alleinabnahmeverpflichtung. Schätzung des entgangenen Gewinns nach Ermessen. Schadenersatz für entgangenen Gewinn bei Verletzung eines nachwirkenden vertraglichen Verbots, Konkurrenzprodukte zu vertreiben (Handelsgericht St. Gallen, 13. November 2008, HG.2007.87).Das Kassationsgericht hat dieses Urteil mit Entscheid vom 10. September 2009 bestätigt.

Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ (SR 0.274.131), Art. 73 Abs. 2 GerG (sGS 941.1), Art. 61 und

Art. 165 Abs. 2 ZPO (sGS 961.2); Art. 17 Abs. 1 LugÜ (SR 275.11); Art. 97 Abs. 1 und

Art. 42 Abs. 2 OR (SR 220). Eine Partei, die an einem Verfahren überhaupt nicht

teilnimmt, verzichtet integral auf ihr rechtliches Gehör. Verweigert eine ausländische Beklagte die Annahme der ihr in einer der gesetzlichen Formen nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ zugestellten Klageschrift, kann darauf verzichtet werden, Mitteilungen an sie im Amtsblatt zu veröffentlichen oder ihr zur Einreichung einer Klageantwort eine Nachfrist zu setzen. Die Säumigkeit mit der Einreichung einer Klageantwort führt zu einem Entscheid alleine aufgrund der in der Klageschrift enthaltenen Behauptungen und Beweismittel. Auf die Substanzierungspflicht und die Beweislast hat die Säumigkeit keinen Einfluss, doch kann das Gericht eher aufgrund von Indizien, tatsächlichen Vermutungen und aufgrund der Lebenserfahrung einen Beweis als erbracht betrachten. Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung: Haben zwei Parteien als Gerichtsstand den Ort vereinbart, an welchem die eine bei Vertragsschluss ihren Sitz hatte, so ist dies nach den Umständen als Verweisung auf den jeweiligen Sitz der betreffenden Partei in der Schweiz zu verstehen; für den vorliegenden Fall wurde dies bejaht. Schadenersatz für entgangenen Gewinn bei Verletzung einer Alleinabnahmeverpflichtung. Schätzung des entgangenen Gewinns nach Ermessen. Schadenersatz für entgangenen Gewinn bei Verletzung eines nachwirkenden vertraglichen Verbots, Konkurrenzprodukte zu vertreiben (Handelsgericht St. Gallen, 13. November 2008, HG.2007.87).

Erwägungen:

I.

  1. Die X. AG (Klägerin) mit früherem Sitz in A. (Schweiz), dann in B. (Schweiz) und jetzt im Kanton St. Gallen vertreibt unter anderem Produkte der Gattung N. Mit Vertrag vom 1./5. Oktober 1991 räumte sie der Y. A.S. (Beklagte) mit Sitz in C., Norwegen, die exklusiven Verkaufsrechte für ihre Produkte für Norwegen und weitere Gebiete ein. Die Beklagte verpflichtete sich, während der Vertragsdauer keine identischen oder ähnlichen Produkte herzustellen, herstellen zu lassen oder zu verkaufen. Sollte die

    Beklagte den Vertrag kündigen, verpflichtete sie sich zusätzlich, während zwölf Monaten nach Beendigung des Vertrags keine identischen oder ähnlichen Produkte zu kaufen, zu vermitteln oder herzustellen. Der Vertrag wurde schweizerischem Recht unterstellt; als Gerichtsstand wurde die Stadt A. vereinbart.

  2. Am 10. Juni 2005 teilte die Y. A.S. der X. AG mit, dass kein Vertrag zwischen den Parteien bestehe und dass sie die Geschäftsbeziehung mit ihr beende. Am 14. Juni 2005 bestätigte die X. AG die Kündigung des Vertrags auf den 31. Dezember 2005. Mit Entscheid vom 6. Juli 2006 hiess das Handelsgericht St.Gallen eine Klage der X. AG, mit welcher sie von der Y. A.S. die Bezahlung offener Rechnungen forderte, weitgehend gut (HG.2005.99).

  3. Am 2. November 2007 klagte die X. AG gegen die Y. A.S. auf Schadenersatz, weil diese ihrer Verpflichtung, während der Vertragsdauer und bis zwölf Monate danach keine Konkurrenzprodukte zu vertreiben, nicht nachgekommen sei.

  4. Am 14. November 2007 versuchte das Handelsgericht, der Beklagten die Klage samt Aufforderung zur Einreichung einer Klageantwort auf dem Rechtshilfeweg zuzustellen. Die Beklagte weigerte sich, die nicht auf Norwegisch übersetzten Dokumente entgegenzunehmen. Am 2. Juni 2008 veranlasste das Handelsgericht erneut die Zustellung der Dokumente; die Klageschrift, das Verzeichnis der Beilagen und die Aufforderung des Handelsgerichtspräsidenten zur Einreichung einer Klageantwort lagen auch in beglaubigter Übersetzung auf Norwegisch bei. Am 24. Juni 2008 wurde die Beklagte über den Inhalt der Dokumente in Kenntnis gesetzt und verweigerte die Annahme erneut. Sie hat sich danach auch nicht zur Klage vernehmen lassen.

II.

  1. Die Klageschrift, das Verzeichnis der Beilagen und die Aufforderung des Handelsgerichtspräsidenten zur Einreichung einer Klageantwort wurden der Beklagten in norwegischer Übersetzung zugestellt (vgl. Art. 5 Abs. 3 des Haager Zustellungs- Übereinkommens vom 15. November 1965 HZÜ, SR 0.274.131). Beweisurkunden, die

    einer Klage beigefügt sind, brauchen für eine gültige Zustellung nicht übersetzt zu werden (vgl. das Urteil des EuGH vom 8. Mai 2008 i.S. Ingenieurbüro Michael Weiss und Partner GbR v. Industrie- und Handelskammer Berlin, Rs. C-14/07, zu Art. 8 Abs. 1 der EG-Zustellungsverordnung Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000). Da die Dokumente in einer der gesetzlichen Formen nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ zugestellt worden sind, ist die Zustellung trotz Annahmeverweigerung gültig (vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. a HZÜ).

    Die Beklagte hat sich durch ihre Annahmeverweigerung am Verfahren desinteressiert gezeigt. Eine Partei, die an einem Verfahren überhaupt nicht teilnimmt, verzichtet integral auf ihr rechtliches Gehör (Urteil des Kassationsgerichts St.Gallen vom 12. Juli 2007 i.S. F. gegen P., S. 10). Es war daher nicht nötig, Mitteilungen an sie im Amtsblatt zu veröffentlichen (Art. 73 Abs. 2 GerG) oder ihr zur Einreichung einer Klageantwort eine Nachfrist zu setzen (Art. 165 Abs. 2 ZPO).

    Wird eine Partei säumig, so ist das Verfahren ohne die versäumten Handlungen weiterzuführen (Art. 61 ZPO). Die Beklagte ist also zu behandeln, als hätte sie auf die Einreichung einer Klageantwort verzichtet. Dies führt nach st.gallischem Zivilprozessrecht nicht zur Fiktion einer Anerkennung der tatsächlichen Klagegründe, sondern zu einem Entscheid aufgrund der Akten (dazu und zum Folgenden GVP 1993 Nr. 63; Christoph Leuenberger/Beatrice Uffer-Tobler, Kommentar ZPO SG, Bern 1999, Art. 61 N 1a, Art. 91 N 1b). Die Streitsache ist mit anderen Worten alleine aufgrund der in der Klageschrift enthaltenen Behauptungen und Beweismittel zu beurteilen. Hingegen hat die Säumnis der Beklagten keinen Einfluss auf die Substanzierungspflicht und die Beweislast. Aus der Säumnis darf zwar nicht ohne weiteres geschlossen werden, eine von der Gegenpartei behauptete Tatsache sei nicht streitig und daher nicht zu beweisen, doch kann das Gericht eher aufgrund von Indizien, tatsächlichen Vermutungen und aufgrund der Lebenserfahrung einen Beweis als erbracht betrachten, als wenn die Beklagte die Behauptungen der Klägerin substanziert bestreiten würde. Zudem ist das Desinteresse der säumigen Partei am Verfahren als Indiz bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. Art. 91 Abs. 2 ZPO).

  2. Die Parteien haben in ihrem Vertrag vom 1./5. Oktober 1991 als Gerichtsstand die Stadt A. – den damaligen Sitz der Klägerin – vereinbart. Nach Auffassung der Klägerin

    hätten die Parteien damals gewollt, dass am (schweizerischen) Sitz der Klägerin geklagt werden kann.

    Die Gültigkeit der Gerichtsstandsklausel beurteilt sich nach den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens (LugÜ, SR 0.275.11), da die Klage nach dessen Inkrafttreten eingereicht wurde (Art. 54 Abs. 1 LugÜ; BGE 124 III 436 E. 4). Vorliegend sind die Gültigkeitsvoraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 LugÜ erfüllt.

    Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist nach dem wirklichen übereinstimmenden Willen der Parteien auszulegen; falls sich dieser nicht feststellen lässt, ist ihr Inhalt nach dem Vertrauensprinzip zu ermitteln, also danach, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen nach Treu und Glauben verstanden werden durfte (BGE 132 III 268 E. 2.3.2). Haben zwei Parteien als Gerichtsstand den Ort vereinbart, an welchem die eine ihren Sitz hat, so liegt es nach der allgemeinen Lebenserfahrung nahe, dass dieser Gerichtsstand alleine oder doch hauptsächlich im Hinblick auf den Wohnsitz der einen Partei vereinbart wurde (BGE 89 I 65 E. 2). Dafür spricht vorliegend auch, dass der vereinbarte Gerichtsstand bei Vertragsschluss dem gesetzlichen Gerichtsstand am Erfüllungsort entspricht (Art. 5 Ziff. 1 LugÜ; vgl. Ziff. 7.3 des Vertrags und Art. 74 OR). Es ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien überhaupt bedachten, dass die Klägerin ihren Sitz verlegen könnte, geschweige denn für diesen Fall den Gerichtsstand des Erfüllungsorts zugunsten des alten Sitzes der Klägerin abbedingen wollten, zu welchem keine Partei mehr eine Beziehung hatte. Die Parteien haben auch ihre Geschäftsbeziehung ungeachtet der zweimaligen Sitzverlegung der Klägerin weitergeführt. Schliesslich hat sich die Beklagte in das Verfahren vor dem Handelsgericht HG.2005.99, welches den selben Vertrag betraf, eingelassen und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie die Gerichtsstandsklausel gleich auslegt wie die Klägerin, nämlich als Verweisung auf den Gerichtsstand am Sitz der Klägerin.

    Aus diesen Gründen sind die Gerichte des Kantons St. Gallen örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 ZPO.

  3. Der Vertrag untersteht schweizerischem Recht (Art. 116 IPRG). In einer

    Besprechung vom 10. Juni 2005 ermahnte die Klägerin die Beklagte, ihren

    Vertragspflichten nachzukommen, worauf die Beklagte erklärte, es bestehe kein Vertrag zwischen den Parteien, sondern ihre Geschäftsbeziehung sei eine normale "buyer and seller"-Beziehung, wobei sie diese beende. Mangels Hinweises auf eine frühere Vertragskündigung ist davon auszugehen, dass der Vertrag am 10. Juni 2005 noch gültig war. Am 14. Juni 2005 bestätigte die Klägerin die Kündigung des Vertrags durch die Beklagte auf den 31. Dezember 2005. Da die Beklagte darauf nicht reagierte, kann als erwiesen gelten, dass der Vertrag von ihr per 31. Dezember 2005 gekündigt wurde.

  4. Gemäss Ziff. 6.2 des Vertrags hatten die Parteien jeweils per 30. November eine Prognose über die Menge der verkauften Ware für das folgende Jahr zu erstellen. Die Beklagte war sodann verpflichtet, mindestens 70% der prognostizierten Mengen abzunehmen (Ziff. 6.3). Nach Ziff. 12.2 des Vertrags durfte die Beklagte während der Vertragsdauer keine identischen oder ähnlichen Produkte herstellen, herstellen lassen oder verkaufen. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, diese Pflichten ab April 2005 bis zum Vertragsende verletzt zu haben, und fordert dafür Schadenersatz.

    1. Wer eine vertragliche Pflicht verletzt, haftet für den daraus entstehenden Schaden, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle (Art. 97 Abs. 1 OR). Die Klägerin behauptet nicht, die Parteien hätten eine Verkaufsprognose für das Jahr 2005 erstellt, aufgrund derer die Beklagte gemäss Ziff. 6.3 des Vertrags zur Abnahme einer bestimmten Menge Ware verpflichtet gewesen wäre. Jedoch habe die Beklagte der Klägerin dadurch einen Schaden zugefügt, dass sie im fraglichen Zeitraum entgegen Ziff. 12.2 des Vertrags Produkte von Konkurrenten bezogen habe.

      Die Beklagte hielt in der Besprechungsnotiz vom 10. Juni 2005 fest, sie kaufe Produkte, wo immer der Service und der Preis zum Markt passten. Zudem gaben die Beklagte und die Z. AG in Deutschland – eine Konkurrentin der Klägerin – 2006 öffentlich bekannt, dass die Beklagte die Produkte der Z. AG in Norwegen vertreibe. Die Umsatzentwicklung des Handels zwischen der Klägerin und der Beklagten deutet darauf hin, dass die Beklagte seit April 2005 Produkte bei anderen Lieferanten – insbesondere bei der Z. AG – bezog: Zwischen 2002 und 2004 stiegen die Umsätze stetig an und betrugen im Jahr 2004 rund Fr. 138'000.–. Im ersten Quartal 2005 betrug der Umsatz Fr. 33'688.50. Danach stellte die Beklagte die Bestellungen bei der

      Klägerin ein. Umgekehrt war der Gesamtumsatz der Beklagten im Jahre 2005 doppelt so hoch wie 2004, was beweist, dass die Einstellung der Bestellungen bei der Klägerin nicht auf einen schlechten Geschäftsgang der Beklagten zurückzuführen war. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass die Beklagte von April bis Dezember 2005 tatsächlich ihre Pflicht verletzte, keine Konkurrenzprodukte zu vertreiben.

    2. Der Schaden aus einer Vertragsverletzung errechnet sich aus der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögen des Geschädigten und dem Stand, den sein Vermögen hätte, wenn der Vertrag korrekt erfüllt worden wäre (positives Vertragsinteresse nach der Differenztheorie, siehe statt aller BGE 128 II 22 E. 2e/aa). Die Klägerin macht einen entgangenen Gewinn geltend. Dieser ist eine hypothetische Grösse (BGE 104 II 198, 201). Als entgangen gilt der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Ist der Gewinn nicht genau berechenbar, so ist es dem Gericht erlaubt, den nicht ziffernmässig nachweisbaren Schaden nach Ermessen zu schätzen (Art. 42 Abs. 2 OR; vgl. BGE 104 II 198, 201; Niklaus Lüchinger, Schadenersatz im Vertragsrecht, Diss. Freiburg 1999, Rn. 153 ff. m.w.H.; BSK OR I-Wiegand, Art. 97 N 38).

      Die Klägerin möchte ihren entgangenen Gewinn auf Basis der Produktmenge berechnen, welche die Beklagte zwischen April und Dezember 2005 von der Z. AG bezogen und verkauft hat. Gestützt darauf sei der Umsatz zu errechnen, welcher der Klägerin entgangen ist. Ihre Marge beziffert die Klägerin auf 40%. Aus dem Umsatz für das erste Quartal 2005 von Fr. 33'688.50 rechnet die Klägerin für den Rest des Jahres einen entgangenen Umsatz von ca. Fr. 100'000.– hoch, was einem Nettoschaden von Fr. 40'000.– entsprechen würde. Für die genaue Schadensberechnung verlangt die Klägerin die Edition der Buchhaltung des Jahres 2005 samt der zugehörigen Lieferscheine und Lieferfakturen durch die Beklagte. Die Klägerin verlangt ausserdem, dass die Z. AG den Vertrag mit der Beklagten, Lieferscheine und Lieferfakturen über sämtliche Lieferungen an die Beklagte des Jahres 2005 sowie die zugehörigen Buchhaltungsbelege ediere. Die Klägerin selbst ist bereit, ihre eigene Marge durch einen Sachverständigen nachprüfen zu lassen.

      Der Umsatz, welcher der Klägerin durch den Vertragsbruch entgangen ist, lässt sich nicht ohne weiteres anhand der Angaben über Menge und Preise der von der Beklagten vertriebenen Konkurrenzprodukte berechnen: Aus den Akten geht hervor, dass die Beklagte die Geschäftsbeziehung mit der Klägerin beendete, weil sie ihre Produkte für zu teuer hielt und diese nur schwer absetzen konnte. Die Beklagte wird die Konkurrenzprodukte zu tieferen Preisen gekauft und deshalb möglicherweise in grösseren Mengen umgesetzt haben. Deshalb wären die Geschäftsunterlagen der Beklagten und der Z. AG bloss Indizien für die Grössenordnung der entgangenen Umsätze; eine genaue Berechnung lassen sie nicht zu.

      Da die Beklagte zur Edition von Beweisunterlagen nicht gezwungen werden kann, impliziert ihre Säumnis eine Beweisvereitelung, was als Indiz für das Bestehen der Tatsache zu werten ist, die mit der Mitwirkung hätte bewiesen werden sollen (Art. 123 Abs. 2 ZPO; Leuenberger/Uffer-Tobler, Art. 123 N 9b). Die Schätzung der Klägerin, die ihren Umsatz aus dem ersten Quartal 2005 auf das ganze Jahr 2005 extrapoliert, kann daher als gute Näherung an den für die Schadensberechnung massgebenden gewöhnlichen Geschäftsgang angesehen werden, auch wenn ihre Umsätze aus dem Geschäft mit der Beklagten in der Vergangenheit quartalsweise stark schwankten. Von einer Edition von Geschäftsunterlagen durch die Z. AG sind aus den erwähnten Gründen keine Erkenntnisse zu erwarten, die eine genauere Schadensberechnung zulassen, weshalb das Editionsbegehren abzulehnen ist (Art. 90 Abs. 1 ZPO). Der entgangene Umsatz der Klägerin ist mithin nach Ermessen (Art. 42 Abs. 2 OR) auf

      Fr. 100'000.– zu schätzen.

      Die von der Klägerin behauptete Marge von 40% könnte wegen der Säumnis der Beklagten grundsätzlich als erwiesen gelten. Aus den Akten ergibt sich aber, dass die Klägerin der Beklagten am 15. Juni 2005 mitteilte, die Preise per 1. Juli 2005 um 15% zu senken. Da solche kurzfristige Preissenkungen normalerweise zu Lasten der Marge der Zwischenhändlerin gehen, ist es unwahrscheinlich, dass die Klägerin zwischen April und Dezember 2005 im Geschäft mit der Beklagten eine konstante Marge von 40% hätte erzielen können.

      Die Klägerin verlangt eine Expertise über die Höhe ihrer Marge im fraglichen Zeitraum. Eine solche würde indessen bei der Schadensberechnung zu einer Scheingenauigkeit

      führen, denn die andere Grundlage für die Schadensberechnung – der Umsatz, welcher der Klägerin entgangen ist – kann nur relativ grob geschätzt werden. Der Beweisantrag der Klägerin ist daher abzuweisen (Art. 90 Abs. 1 ZPO) und ihre Marge nach Ermessen (Art. 42 Abs. 2 OR) für April bis Juni 2005 auf 40% zu schätzen und für Juli bis Dezember 2005 – unter Berücksichtigung der Preissenkung – auf 25%. Daraus ergibt sich für April bis Juni 2005 ein entgangener Gewinn von rund Fr. 13'000.– und für Juli bis Dezember 2005 Fr. 17'000.–, insgesamt also Fr. 30'000.–.

    3. Die Kausalität zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden steht ausser Zweifel und die säumige Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass sie kein Verschulden trifft. Die Beklagte haftet somit für den Schaden, den sie der Klägerin durch die Verletzung ihrer Pflicht, während der Vertragsdauer keine Konkurrenzprodukte zu vertreiben, zugefügt hat. Sie hat Schadenersatz in der Höhe von Fr. 30'000.– zu leisten.

    4. Die Klägerin macht sodann Verzugszinse geltend. Erklärt ein Schuldner unmissverständlich, er werde einen Vertrag nicht erfüllen (antizipierter Vertragsbruch), so gerät er bei Fälligkeit einer vertraglichen Forderung auch ohne Mahnung in Verzug (BSK OR I-Wiegand, Art. 102 N 11 m.w.H.). Die Äusserung der Beklagten vom 10. Juni 2005, es bestehe gar kein Vertrag zwischen den Parteien, ist als antizipierter Vertragsbruch zu werten. Da die Klägerin aber keinen bestimmten Fälligkeitszeitpunkt nennt, ist der Verzugszins erst ab jenem Zeitpunkt zuzusprechen, in dem Fälligkeit und Verzug spätestens eintraten, nämlich dem Ende des Vertragsverhältnisses am 31. Dezember 2005. Die Beklagte hat folglich die Schadenersatzforderung ab dem 1. Januar 2006 zu verzinsen.

  5. Ziff. 12.3 des Vertrags sah vor, dass die Beklagte, falls sie den Vertrag kündigt, während zwölf Monaten nach Beendigung des Vertrags keine identischen oder ähnlichen Produkte kaufen, vermitteln oder herstellen dürfe. Da der Vertrag am 31. Dezember 2005 auslief, bestand diese Pflicht während des ganzen Jahres 2006. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, diese Pflicht verletzt zu haben, und fordert dafür Schadenersatz.

    1. Die Vertragsverletzung durch die Beklagte kann als erwiesen gelten, da sie schon während der Vertragsdauer ihre Pflicht verletzte, keine Konkurrenzprodukte zu

      vertreiben (siehe vorne Ziff. 4a), und die Beklagte wie auch die Z. AG 2006 ihre

      Vertriebspartnerschaft öffentlich bekanntgaben.

    2. Die Klägerin möchte ihren Schaden auf die gleiche Weise berechnen, wie sie dies für den Zeitraum von April bis Dezember 2005 tut, als der Vertrag noch in Kraft war, und stellt analoge Beweisanträge (siehe vorne Ziff. 4b). Unter Vorbehalt des Beweisergebnisses schätzt sie den entgangen Umsatz auf mindestens Fr. 120'000.–. Indessen war die Beklagte ab dem 1. Januar 2006 nicht mehr verpflichtet, die Produkte der Klägerin zu beziehen, da der Vertrag Ende 2005 ausgelaufen war. Um sich vertragskonform zu verhalten, hatte die Beklagte die Wahl, im Jahr 2006 entweder gar keine Produkte einzukaufen oder weiterhin – ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein

    – die Produkte der Klägerin zu beziehen. Der Klägerin konnte folglich nur ein Umsatz mit der Beklagten entgehen, wenn diese bei vertragskonformem Verhalten überhaupt weiterhin die Produkte der Klägerin bezogen hätte. Dies ist weder erwiesen noch wahrscheinlich, denn die Parteien waren, wie die Klägerin selbst einräumt, zerstritten. Die Klägerin legt auch nicht dar, welche Menge die Beklagte im Jahr 2006 bei vertragskonformem Verhalten von ihr bezogen hätte; jedenfalls ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht davon auszugehen, dass diese Menge auch nur annähernd der Menge entsprochen hätte, die die Beklagte vor April 2005 bei der Klägerin bezog. Die Behauptungen der Klägerin sind mithin nicht geeignet, die Höhe ihres Schadens im Jahr 2006 zu beweisen, weshalb ihr für diesen Zeitraum auch kein Schadenersatz zusteht.

    Aus diesen Gründen sind auch die Beweisanträge der Klägerin, soweit sie sich auf das

    Jahr 2006 beziehen, mangels rechtlicher Relevanz abzuweisen (Art. 90 Abs. 1 ZPO).

  6. Die Klage ist somit im Umfang von Fr. 30'000.– zuzüglich 5% Zins seit dem

1. Januar 2006 gutzuheissen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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