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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:EL 2016/52
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:EL - Ergänzungsleistungen
Versicherungsgericht Entscheid EL 2016/52 vom 12.11.2018 (SG)
Datum:12.11.2018
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 1a Abs. 2 der st. gallischen Verordnung über die nach Ergänzungsleistungsgesetz anrechenbare Tagespauschale, Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG, Art. 61 lit. g ATSG. Die im st. gallischen Verordnungsrecht vorgenommene Beschränkung der Tagespauschale bei Kindern in Kinderheimen ist aufgrund der innerkantonalen Finanzierung der Kinderheime nur auf im Kanton St. Gallen liegende Heime anwendbar und wird bundesrechtswidrig sowie verfassungswidrig, sobald ein EL-Bezüger in einem ausserkantonalen Kinderheim lebt und aufgrund der zu niedrigen Tagespauschale in eine Sozialhilfeabhängigkeit gerät. Um die somit in Bezug auf Kinder in ausserkantonalen vorhandene Lücke in der st. gallischen Verordnungsgebung zu füllen und auf den individuellen Bedarf des einzelnen EL-Bezügers ausreichend eingehen zu können, ist es daher unumgänglich, die massgeblichen Ansätze betreffend die Maximalbeträge der Tagespauschalen des Kantons, in dem sich das vom EL-Bezüger bewohnte Heim befindet, als eigenes kantonales Ausnahmerecht zu übernehmen. Nur so kann nämlich gewährleistet werden, dass genau so viele Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden, wie für die vollständige Deckung der durch den Heimaufenthalt unvermeidbar für die versicherte Person anfallenden Kosten nötig sind.Stehen sich in einem streitigen Verfahren vor dem Versicherungsgericht zwei Behörden gegenüber, hat die obsiegende Behörde einen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 12. November 2018, EL 2016/52). Beim Bundesgericht angefochten.
Schlagwörter: Kanton; Beschwerde; Kinder; Recht; Sozialhilfe; Partei; Pauschal; Pauschale; Ergänzungsleistung; Tagestaxe; Tagespauschale; Gallen; Ergänzungsleistungen; Gallische; Recht; Anspruch; Parteien; Sozialhilfeabhängigkeit; Parteientschädigung; Beschwerdegegner; Beschwerdeführerin; Beschwerdegegnerin; Person; Tagespauschalen; Mutter; Thurgau; Tagespauschalenverordnung; Obsiegen
Rechtsnorm: Art. 39 KVG ; Art. 68 BGG ;
Referenz BGE:126 V 149; 133 V 188; 143 V 9;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:Ueli Kieser; Ueli Kieser;
Entscheid
Entscheid vom 12. November 2018

Besetzung

Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin Huber-

Studerus; Gerichtsschreiberin Annemarie Haase Geschäftsnr.

EL 2016/52

Parteien

Politische Gemeinde Bürglen, Soziale Dienste, Mühlestrasse 2, 8575 Bürglen TG,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsagent Edwin Bigger,

RGB Consulting, Sonnenbühlstrasse 3, 9200 Gossau, gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand

Ergänzungsleistung zur IV-Kinderrente (für A. ) Sachverhalt

A.

    1. A. lebte seit dem 13. August 2006 aufgrund einer Fremdplatzierung durch die Vormundschaftsbehörde im Sozialpädagogischen Kleinheim für Kinder und Jugendliche B. im Kanton Thurgau und hatte ihren Wohnsitz in C. (TG). Gemäss einem Schreiben der IV-Stelle des Kantons St. Gallen hatte sie ab dem 1. Februar 2015

      einen Kinderrentenanspruch zur ganzen IV-Rente ihrer Mutter (act. G 3.2/8-1). Die Mutter der Versicherten lebte im Kanton St. Gallen und bezog dort Ergänzungsleistungen zu ihrer ganzen IV-Rente. Aufgrund des Kinderrentenanspruchs war auch die Versicherte seit dem 1. Februar 2015 grundsätzlich in die EL- Anspruchsberechnung ihrer Mutter einzubeziehen. Weil jedoch aufgrund der unterschiedlichen Wohnsitze der Versicherten und ihrer Mutter eine gesonderte Berechnung des EL-Anspruchs der Versicherten vorgenommen werden musste, musste auch die Anmeldung separat stattfinden. Die Versicherte wurde deshalb von den Sozialen Diensten der Gemeinde C. am 27. Juni 2016 bei der EL- Durchführungsstelle des Kantons St. Gallen zum Bezug von Ergänzungsleistungen angemeldet (act. G 3.2/7). Die Gemeinde C. stellte ein Gesuch um Drittauszahlung (act. G 3.2/12). Den dem EL-Anmeldeformular beigelegten Akten ist zu entnehmen, dass sich die Tagestaxe für den Heimaufenthalt im Jahr 2015 auf Fr. 226.85 belaufen hatte. Seit 2016 betrug sie Fr. 240.66 (act. G 3.2/10). Der Vater der Versicherten zahlte im Jahr 2016 einen Unterhalt von monatlich Fr. 712.-- sowie Ausbildungszulagen in Höhe von Fr. 250.-- (act. G 3.2/8 S. 4 und 6). Laut einer internen Notiz der EL- Durchführungsstelle zog die Mutter der Versicherten per 1. April 2016 vom Kanton St. Gallen in den Kanton Zürich, weshalb der EL-Anspruch der Versicherten per 1. April 2016 durch die EL-Durchführungsstelle des Kantons Zürich zu prüfen war (act. G 3.2/5).

    2. Mit einer Verfügung vom 15. Juli 2016 lehnte die EL-Durchführungsstelle den Anspruch auf Ergänzungsleistungen vom 1. Februar 2015 bis 31. März 2016 ab. Zur Begründung führte sie aus, bei einem Aufenthalt in einem Kinder- oder Jugendheim könne aufgrund der im st. gallischen Verordnungsrecht in einem solchen Fall vorgesehenen Beschränkung der Tagespauschalen lediglich eine Pauschale von Fr. 33.-- pro Tag berücksichtigt werden. Der EL-Anspruch ab dem 1. April 2016 sei aufgrund des Wegzugs der Mutter durch die EL-Durchführungsstelle des Kantons Zürich zu prüfen (act. G 3.2/3)

    3. Dagegen erhob die Gemeinde C. eine Einsprache. Sie beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 15. Juli 2016 sowie die Zusprache der gesondert berechneten Ergänzungsleistungen zur IV unter Anrechnung der jeweils vollen Tagestaxe in Höhe von Fr. 226.85 (2015) bzw. Fr. 240.66 (2016). Zur Begründung führte

      sie an, dass das B. in D. vom Kanton Thurgau als Heim anerkannt und der Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE) unterstellt sei, weshalb die Beschränkung der Tagestaxe nicht zu einer Sozialhilfeabhängigkeit der Versicherten führen dürfe. Der Kanton Thurgau sehe zur Deckung eines aufgrund einer Herabsetzung der Tagestaxe entstehenden Ausfalls - anders als der Kanton St. Gallen

      - in seinem Sozialhilfegesetz keine nicht rückerstattungspflichtigen Staatsbeiträge vor. Vielmehr müsse die Gemeinde C. mittels wirtschaftlicher Sozialhilfe einspringen. Ausserdem habe die EL-Durchführungsstelle einem in einer thurgauischen, nicht als IVSE-Einrichtung anerkannten Pflegefamilie fremdplatzierten Kind die volle Tagestaxe gewährt und deshalb im vorliegenden Fall das Rechtsgleichheitsgebot verletzt. Als Grund für diese Ungleichbehandlung könne insbesondere nicht vorgebracht werden, dass es sich aufgrund der kurzen Berechnungsperiode um einen Einzelfall handle. Insgesamt sei auch gegen das Legalitätsprinzip und das Willkürverbot verstossen worden (act. G 3.1/7).

    4. Am 17. November 2016 wies die EL-Durchführungsstelle die Einsprache der Versicherten ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kanton St. Gallen habe von seiner Kompetenz, die Höhe der Kosten für den Heimaufenthalt zu begrenzen, Gebrauch gemacht. Dies sei insbesondere auch im konkreten Fall nicht bundesrechtswidrig, weil Kindesschutzmassnahmen, insbesondere Fremdplatzierungen, durch die Eltern und subsidiär durch die Gemeinde und nicht durch das Kind selbst zu finanzieren seien. Da die Kosten für die Unterbringung also durch die Gemeinde erbracht würden, gingen diese Kosten nicht zu Lasten der Versicherten. Hinzu komme, dass das Sozialhilfegesetz keine Rückerstattungspflicht dieser Leistungen bis zur Mündigkeit vorsehe und die Versicherte somit bis zum Heimaustritt keine Sozialhilfe beantragen müsse. Somit sei die Finanzierung des Heimaufenthalts gesichert. Da es sich bei dem Fall, auf den die Gemeinde C. unter der Berufung einer Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots durch die EL-Durchführungsstelle gestützt habe, um einen Fehlentscheid gehandelt habe, sei zu bemerken, dass kein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht bestehe. Die Rügen betreffend das Legalitätsprinzip und das Willkürverbot seien nicht substantiiert worden, weshalb nicht weiter darauf einzugehen sei (act. G 3.1/4).

B.

    1. Gegen diesen Einspracheentscheid erhob die Gemeinde C. (nachfolgend Beschwerdeführerin) am 28. November 2016 eine Beschwerde; sie liess die Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids vom 17. November 2016 und die Zusprache der sich unter der Berücksichtigung der tatsächlichen Tagestaxen ergebenden Ergänzungsleistungen beantragen. Zur Begründung erklärte sie ergänzend zu ihren Ausführungen in der Einsprache, dass die Versicherte bereits seit längerem laufend sozialhilferechtlich unterstützt werden müsse. Deshalb sei es unter der zusätzlichen Berücksichtigung dessen, dass das thurgauische Sozialhilfegesetz für Kinder in Kinder- und Jugendheimen der IVSE keine Staats- und Gemeindebeiträge bzw. Subventionen vorsehe, nicht nachvollziehbar, warum die EL-Durchführungsstelle (nachfolgend Beschwerdegegnerin) davon ausgehe, die zu niedrig angerechnete Tagestaxe führe nicht zur Sozialhilfebedürftigkeit der Versicherten. Zudem habe die Beschwerdegegnerin das Rechtsgleichheitsgebot sehr wohl verletzt, da in dem in der Einsprache genannten Fall eben gerade bundesrechtskonform gehandelt worden sei und deshalb nicht von einer Gleichbehandlung im Unrecht die Rede sein könne (act. G 1).

    2. In einer Beschwerdeantwort vom 20. Januar 2017 beantragte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. Ergänzend zu ihren Erwägungen im Einspracheentscheid führte sie aus, dass es sich beim B. nicht um ein durch den Kanton St. Gallen anerkanntes Heim handle und die von der Beschwerdeführerin erwähnte IVSE nur bei interkantonalen Sachverhalten anwendbar sei. Wenn der Kanton St. Gallen dem Kanton Thurgau den vollen Heimtagessatz zahle, ohne die Möglichkeit zu haben, bei der Festsetzung der Tagestaxe des Heimes mitwirken zu können, könne dies zu überhöhten Tarifen führen. Der Kanton Thurgau selbst sehe übrigens lediglich einen maximalen Tagessatz von Fr. 205.-- vor, weshalb ohnehin nicht der volle Tagessatz von Fr. 226.85 bzw. Fr. 240.66 berücksichtigt werden könne (act. G 3).

    3. In ihrer Replik vom 6. Februar 2017 erklärte die Beschwerdeführerin, das B. sei durch den Kanton Thurgau als Heim anerkannt und eine zusätzliche Anerkennung durch einen anderen Kanton sei nicht erforderlich. Zudem sei die thurgauische Bestimmung, nach welcher ein maximaler Tagessatz von Fr. 205.-- anzurechnen sei, im Gegensatz zur st. gallischen Regelung bundesrechtskonform, da sie nicht zu einer Sozialhilfeabhängigkeit der Versicherten führe (act. G 5).

    4. In der Duplik vom 1. März 2017 führte die Beschwerdegegnerin aus, dass gemäss der Bundesgerichtsrechtsprechung nur diejenigen EL-Bezüger von einer Sozialhilfeabhängigkeit zu bewahren seien, die sich in einem Pflegeheim aufhielten. Da dieser Schutz nicht auch für andere Heime gelte und da es sich beim B. um ein Kinder- und Jugendheim und nicht um ein vom Kanton St. Gallen anerkanntes Pflegeheim handle, sei eine durch die bei Weitem nicht gedeckte Tagestaxe verursachte Sozialhilfeabhängigkeit zulässig und hinzunehmen (act. G 7).

    5. Am 6. März 2017 lud die Verfahrensleitung die Versicherte ein, dem Beschwerdeverfahren als Partei beizutreten (act. G 8). Die Versicherte liess sich innert der ihr angesetzten Frist nicht vernehmen.

    6. Nach dem Abschluss des Schriftenwechsels (act. G 9) reichte die Beschwerdeführerin am 4. Oktober 2017 eine ergänzende Stellungnahme ein und erklärte zunächst, an dem mit der Beschwerdeschrift gestellten Rechtsbegehren und der Replik vollumfänglich festzuhalten. Zur Praxis des Bundesgerichts führte sie sinngemäss aus, diese führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, indem behinderte Personen, alte Menschen und Kinder, die auf eine Heimumgebung angewiesen seien, gegenüber den pflegebedürftigen Personen schlechter gestellt seien. Diese Rechtsprechung ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass die st. gallische Maximaltagestaxe mit Fr. 33.-- zu beanstanden sei, weil sie die elementarsten Bedürfnisse der betroffenen Kinder nicht zu decken vermöge. Das fremdplatzierte Kind benötige nämlich nicht, wie beispielsweise ein Arbeitnehmer im Betrieb und im Hausdienst, lediglich eine Verpflegung und eine Unterkunft, sondern zusätzlich auch eine Betreuung. Letztere sei mit der Tagestaxe von Fr. 33.-- nicht gedeckt, womit diese Begrenzung der Tagestaxe dem eigentlichen Zweck der Ergänzungsleistungen zuwiderlaufe, indem die absolut notwendigen Kosten eines minderjähren Kindes nicht gedeckt würden. Im Übrigen würde so auch eine Schlechterstellung der fremdplatzierten Kinder gegenüber der zuhause lebenden Kinder geschaffen (act. G 10).

    7. Am 18. Dezember 2017 lud die Verfahrensleitung auch die Mutter der Versicherten ein, dem Beschwerdeverfahren als Partei beizutreten (act. G 13). Die Mutter der Versicherten liess sich innert der ihr angesetzten Frist nicht vernehmen.

Erwägungen

1.

    1. Gemäss Art. 59 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (SR 830.1; ATSG) ist jede Person beschwerdelegitimiert, die durch den Einspracheentscheid berührt ist und die ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Die Beschwerdelegitimation ist nicht auf die anspruchsberechtigten Personen beschränkt. Gemäss dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 113/05 vom 8. Juni 2005 ist die Sozialhilfebehörde, die einen Versicherten regelmässig (in casu: seit fünf Jahren) unterstützt, legitimiert, die den Rentenanspruch ablehnende Verfügung der IV-Stelle in eigenem Namen mit Einsprache anzufechten und gegen den Einspracheentscheid Beschwerde zu führen (vgl. Entscheid des Bundesgerichtes vom 8. Januar 2007, BGE 133 V 188 S. 193). Weil die Versicherte durch die Beschwerdeführerin sozialhilferechtliche Unterstützungen bekommt, die sich, sollte ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu ihrer IV- Kinderrente bestehen, im Umfang dieses Anspruchs vermindern würden, ist das schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführerin im konkreten Fall zu bejahen. Die Beschwerdeführerin ist somit beschwerdelegitimiert, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

    2. Die Mutter der minderjährigen Versicherten sowie die Versicherte selbst sind beigeladen worden (act. 8, 13). Weil sie sich nicht haben vernehmen lassen, sind sie nicht Partei dieses Beschwerdeverfahrens. Trotzdem haben sie nach Abschluss dieses Beschwerdeverfahrens einen Anspruch auf die Zustellung des Urteils.

2.

    1. Kinder, die einen Kinderrentenanspruch begründen, haben gemäss Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (SR 831.30; ELG) keinen eigenen EL-Anspruch. Die jährliche EL für sie wird, wenn sie nicht bei den Eltern leben, gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. c der Verordnung über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (SR 831.301; ELV) gesondert berechnet. Auch bei gesonderter

      Berechnung werden ihre Ausgaben und Einnahmen aber wie die eines Anspruchsberechtigten nach Massgabe der Art. 9 ff. ELG eingesetzt (RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Band XIV Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz 48). Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG). Gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG ist bei Personen, die dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital leben, die Tagestaxe als Ausgabe anzurechnen. Dabei können die Kantone die Kosten begrenzen, die wegen des Aufenthaltes in einem Heim oder einem Spital berücksichtigt werden, wenn sie dafür sorgen, dass durch den Aufenthalt in einem anerkannten Pflegeheim in der Regel keine Sozialhilfeabhängigkeit begründet wird. Im Rahmen der Verfügung vom 15. Juli 2016 hat die Beschwerdegegnerin nicht die tatsächliche Tagestaxe, sondern nur den sich aus Art. 1a Abs. 2 der st. gallischen Verordnung über die nach Ergänzungsleistungsgesetz anrechenbare Tagespauschale (sGS 351.52, nachfolgend Tagespauschalenverordnung) auf ein Jahr hochgerechneten Maximalbetrag berücksichtigt. Gemäss Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung entspricht die anrechenbare Tagespauschale bei Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der Alters- oder Invalidenversicherung begründen, bei einem Aufenthalt im Kinder- oder Jugendheim höchstens dem Ansatz für Verpflegung und Unterkunft nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (SR 831.101; AHVV). Gemäss Art. 11 Abs. 1 AHVV werden Verpflegung und Unterkunft der Arbeitnehmer im Betrieb und im Hausdienst unter Vorbehalt der Beiträge für mitarbeitende Familienmitglieder mit Fr. 33.-- im Tag bewertet.

    2. Strittig ist, ob die Beschwerdegegnerin die Tagestaxe zu Recht nach Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung bzw. nach Art. 11 Abs. 1 AHVV auf Fr. 33.-- pro Tag begrenzt hat. Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, das B. sei als Heim im Sinne des Art. 25a ELV zu betrachten, weil es durch den Kanton Thurgau anerkannt sei und sich auf der Liste der IVSE befinde. Weil die durch die Beschwerdegegnerin angerechnete Tagestaxe die tatsächliche Tagestaxe stark unterschreite, führe die Begrenzung gemäss Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung zu einer Sozialhilfeabhängigkeit der Versicherten. Deshalb sei die durch den Kanton St. Gallen festgesetzte Maximaltagestaxe bundesrechts- und verfassungswidrig (act. G 1). Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid vom 13. Januar 2017 festgehalten, Art. 10 Abs.

      2 lit. a ELG verpflichte die Kantone nicht dazu, die Tagestaxen auch bei anderen Einrichtungen als den nach Art. 39 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (SR 832.10; KVG) anerkannten Pflegeheimen so festzusetzen, dass die dort lebenden EL-Bezüger - in der Regel - keine Sozialhilfe beantragen müssten (vgl. Entscheid des Bundesgerichtes vom 13. Januar 2017, BGE 143 V 9, E 6.1). Pflegeheime sind gemäss Art. 39 Abs. 3 KVG Geburtshäuser sowie Anstalten, Einrichtungen oder ihre Abteilungen, die der Pflege und medizinischen Betreuung sowie der Rehabilitation von Langzeitpatienten und -patientinnen dienen. Das B. ist hingegen ein sozialpädagogisches Kleinheim für Kinder und Jugendliche (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2018). Es dient also weder der Pflege noch der medizinischen Betreuung oder Rehabilitation von Langzeitpatienten, sondern ist auf die sozialpädagogische Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet.

    3. Der Zweck des Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG ist es, den Missbrauch der Ergänzungsleistungen durch die Heimbewohner durch Kosten für Leistungen, die nicht der Gewährleistung des Existenzbedarfs dienen, zu verhindern (JÖHL, a.a.O., Rz 81). Der st. gallische Verordnungsgeber hat im Rahmen der ihm mit Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG übertragenen Kompetenz in Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung für Kinder und Jugendliche in Kinderheimen eine Maximaltagestaxe festgesetzt, die dem entspricht, was Arbeiternehmern im Betrieb und im Hausdienst gemäss Art. 11 Abs. 1 AHVV zugestanden wird. Wie die Beschwerdeführerin jedoch korrekt ausgeführt hat, berücksichtigt der Art. 11 Abs. 1 AHVV lediglich die Kosten für die Verpflegung und die Unterkunft. Anders als Arbeitnehmer sind minderjährige Kinder aber betreuungsbedürftig, weshalb bei einem Heimaufenthalt eines Kindes regelmässig auch Betreuungskosten anfallen. Weil die Betreuung eines Kindes zwingend notwendig ist, kann es sich bei Kosten für eine Kinderbetreuung nicht um sogenannte "Luxuskosten" handeln, die mittels des letzten Teilsatzes des Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG durch die Kantone von der Abzugsfähigkeit ausgeschlossen werden können. Nun hat der Kanton St. Gallen aber eine Verschiebung der Kostenübernahme vorgesehen, indem die Betreuungskosten von Kindern in st. gallischen Heimen nicht durch die Ergänzungsleistungen, sondern indirekt durch staatliche Leistungen an die Heime gedeckt werden. Bei einem zivilrechtlich angeordneten Aufenthalt in einem IVSE

      Kinder- oder Jugendheim des Kantons St. Gallen wird der Ausfall der EL durch die

      Beschränkung der abzugsfähigen Tagestaxe in Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung also durch (nicht rückerstattungspflichtige) Staatsbeiträge an die Heime aufgefangen (Art. 41 bis 43 des st. gallischen Sozialhilfegesetzes [SHG; sGS 381.1]). Somit kann, solange ein Kind in einem st. gallischen Kinder- oder Jugendheim untergebracht ist, trotz der Beschränkung der Kostenübernahme durch die EL auf die Kosten für Verpflegung und Unterkunft in Höhe von Fr. 33.-- pro Tag keine Sozialhilfeabhängigkeit entstehen, da die übrigen Kosten (und somit auch jene, die für die Betreuung eines Kindes anfallen) vom Staat getragen werden. Im Kanton Thurgau gibt es keine vergleichbare Aufteilung der Kostentragung. Stattdessen hat der Kanton Thurgau in § 6 Abs. 1 Ziff. 1 der Verordnung des Regierungsrates zum Gesetz über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (RB 831.31; TG ELV) bei einem Aufenthalt in einem Kinderheim oder einer heimähnlichen Institution, die eine professionelle Betreuung von Kindern garantiert, eine maximal anrechenbare Tagestaxe in Höhe von Fr. 205.-- vorgesehen. Ein Staatsbeitrag, wie der Kanton St. Gallen ihn für die IVSE-anerkannten Kinder- und Jugendheime vorsieht, existiert im Kanton Thurgau nicht. Die Finanzierung läuft stattdessen über die Ergänzungsleistungen oder über die Sozialhilfe (vgl. dazu § 17 des thurgauischen Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe). Würde also der Art. 1a der st. gallischen Tagespauschalenverordnung auf ein vom Kanton Thurgau anerkanntes ISVE- Kinderheim angewandt, würde dies dazu führen, dass eine planwidrige Leistungslücke entstünde, die durch die zuständige thurgauische Wohnsitzgemeinde im Rahmen der Sozialhilfe zu füllen wäre. Dass die Unterstützungsbeiträge im Kanton Thurgau erst zurückbezahlt werden müssen, wenn sie nach dem vollendeten 18. Altersjahr bezogen worden sind (vgl. § 18 Abs. 2 SHG TG), ändert daran nichts.

    4. Im vorliegenden Fall geht es also nicht darum, ob Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG die Kantone bei der Begrenzung der Tagestaxen in Bezug auf die Pflegeheime im Sinne des Art. 39 KVG oder allgemein in Bezug auf Heime im Sinne des Art. 25 ELV einschränken will. Vielmehr stellt sich die Frage, ob Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG zulässt, dass eine kantonalrechtlich festgelegte Maximaltagestaxe in einem fremden Kanton zu einer Sozialhilfeabhängigkeit führt. Zu prüfen ist im konkreten Fall deshalb, ob die infolge der Aufteilung der Kostentragung im Kanton St. Gallen rechtmässige Beschränkung der durch die Ergänzungsleistungen zu übernehmende Tagestaxe eines im eigenen Kanton liegenden Kinderheimes auf Fr. 33.-- auch bei einem

ausserkantonalen Heimaufenthalt, bei dem sie zu einer Sozialhilfeabhängigkeit führt, rechtmässig ist. Der Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG ist gemäss den Materialien allein deshalb nicht auf alle Heime ausgedehnt worden, weil "der alters- und sozialpolitische Bereich die eigene Domäne der Kantone" sei und ein "unnötiger Eingriff in die kantonalen Kompetenzen" vermieden werden solle (AB 2006 N 1249 ff.). Jeder Kanton soll also selbst bestimmen können, wie die Finanzierung der Heime im eigenen Kanton ausgestaltet werden soll. Folgt man der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. E 2.2), so dürften betreffend die in Art. 39 KVG nicht genannten Heime die in den jeweiligen kantonalen Bestimmungen festgelegten Maximaltagespauschalen unabhängig vom EL-Bezug zu Sozialhilfeabhängigkeiten führen. Diese Rechtsprechung kann sich jedoch - wenn überhaupt - nur auf innerkantonale Sachverhalte beziehen. Soll nämlich die Kompetenz der Kantone in Bezug auf die Regelung der alters- und sozialpolitischen Fragen im jeweils eigenen Kanton nicht durch bundesrechtliche Normen eingeschränkt werden, so darf eine solche Einschränkung erst Recht nicht durch fremde kantonalrechtliche Normen geschehen, indem diese zu einer ungewollten und unkontrollierbaren Belastung des Sozialhilfesystems eines anderen Kantons führen. Ein unter Ausnutzung der mit Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG gewährten Freiheit entstandenes, innerkantonal funktionierendes Finanzierungssystem darf deshalb gestützt auf Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG auf keinen Fall das Sozialhilfesystem eines anderen Kantons belasten.

3.

    1. Der st. gallische Verordnungsgeber hat mit der in Art. 1a der Tagespauschalenverordnung vorgenommenen Beschränkung der Tagespauschale bzw. mit der damit einhergehenden Verschiebung der Kostenübernahme auf einen staatlichen Kostenträger erreichen wollen, dass die jeweils kostengünstigere Lösung bei der Unterbringung gesucht werde (Protokoll der Regierung des Kantons St. Gallen, Sitzung vom 20. Dezember 2011/ Nr. 874 betreffend den II. Nachtrag zur Verordnung über die nach Ergänzungsleistungsgesetz anrechenbare Tagespauschale; Erlass). Allenfalls könnte man daher im konkreten Fall argumentieren, dass die Versicherte sich aus freien Stücken im thurgauischen Kinderheim B. befinde und dass darin eine Verzichtshandlung gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG in der Form der Inkaufnahme unnötiger anerkannter Ausgaben zu erblicken sei. Die Versicherte lebt jedoch seit 2006

      aufgrund einer Fremdplatzierung durch die Vormundschaftsbehörde im B. (vgl. act. 3.2/8 S. 8). Ein Umzug zum Zeitpunkt des Beginns des IV-Kinderrentenanspruchs (vgl. act. G 3.2/8 S. 1) aus der vertrauten Umgebung in ein st. gallisches Kinderheim im Wohnkanton der Mutter wäre deshalb nicht ohne Weiteres möglich und wohl auch nicht sinnvoll gewesen, da die Mutter bereits im April 2016 in einen anderen Kanton gezogen ist (vgl. act. G 3.2/5) und die Versicherte dann erneut das Kinderheim hätte wechseln müssen, um den ergänzungsleistungsrechtlichen Eigenheiten des neuen Wohnortkantons ihrer Mutter Rechnung zu tragen. Deshalb liegt keine Verzichtshandlung vor.

    2. Der Sinn und Zweck der Ergänzungsleistungen besteht darin, den Existenzbedarf der versicherten Personen zu decken, indirekt also darin, eine Sozialhilfeabhängigkeit zu vermeiden. Interpretiert man den gestützt auf Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG erlassenen Art. 1a Abs. 2 der st. gallischen Tagespauschalenverordnung rein grammatikalisch, führt die darin vorgesehene Beschränkung der Tagespauschale bei Kindern in Kinderheimen auf Fr. 33.-- dank der innerkantonalen Finanzierung bei im Kanton St. Gallen liegenden Heimen nicht zu einer Sozialhilfeabhängigkeit (vgl. E 2.3). Sobald ein EL-Bezüger oder eine in die Anspruchsberechnung einbezogene Person bzw. eine Person mit einem Drittauszahlungsanspruch jedoch in einem ausserkantonalen Kinderheim lebt, besteht die Gefahr, dass sie aufgrund der im Kanton St. Gallen niedrig angesetzten Maximaltagespauschale in eine Sozialhilfeabhängigkeit geraten könnte. Der Art. 1a Abs. 2 der st. gallischen Tagespauschalenverordnung würde in diesem Fall sowohl Bundesrecht (vgl. Art. 2 Abs. 1 ELG) als auch Verfassungsrecht (Art. 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [SR 101; BV]) verletzen. Es existiert nämlich keine gesetzliche Grundlage, die den Kanton St. Gallen dazu legitimieren würde, von dem Grundsatz des ELG abzuweichen, nach dem die Ergänzungsleistungen der Deckung des Existenzbedarfs dienen und vor einer Sozialhilfeabhängigkeit bewahren sollen. Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG gibt den Kantonen nämlich nur die Kompetenz, die durch die EL zu übernehmenden Tagestaxen der kantonseigenen Heime zu begrenzen (bzw. die Finanzierung nach Belieben zu verschieben; vgl. E 2.4). Er ist vorliegend also nicht anwendbar. Abgesehen davon liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor, wenn Kinder, die auf eine Heimumgebung in einem fremden Kanton angewiesen sind, aufgrund einer kantonalrechtlich

vorgesehenen Beschränkung der maximalen Tagestaxe in eine Sozialhilfeabhängigkeit geraten, während Kinder in einem kantonseigenen Kinderheim eben davor bewahrt werden. Weil Art. 1a Abs. 2 der Tagespauschalenverordnung keine Ausnahmebestimmung für Kinder in ausserkantonalen Kinderheimen vorsieht, liegt eine ausfüllungsbedürftige Lücke im st. gallischen Verordnungsrecht vor. Um den Existenzbedarf des Kindes abzudecken, muss die Ergänzungsleistung so hoch sein, dass trotz des Heimaufenthaltes keine Sozialhilfeabhängigkeit entsteht. Dies kann nur dadurch gewährleistet werden, dass die massgeblichen Ansätze betreffend die Maximalbeträge der Tagespauschalen des Kantons, in dem sich das vom EL-Bezüger bewohnte Heim befindet, übernommen werden. Die die Lücke in Art. 1a Abs. 2 der st. gallischen Tagespauschalenverordnung füllende Norm muss deshalb etwa folgendermassen lauten: "Sind Kinder, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der Alters- oder Invalidenversicherung begründen, in einem ausserkantonalen, IVSE- anerkannten Kinder- oder Jugendheim untergebracht, entspricht die anrechenbare Tagespauschale höchstens dem Maximalansatz, der im EL-Recht des Kantons, in dem sich das Heim befindet, vorgesehen ist." Im vorliegenden Fall muss also lückenfüllend der § 6 Abs. 1 Ziff. 1 TG ELV als st. gallisches "Ersatzrecht" angewendet werden. Die konkrete Tagestaxe des B. liegt zwar über der vom Kanton Thurgau in § 6 Abs. 1 Ziff. 1 TG ELV vorgesehenen Maximaltaxe von Fr. 205.--, aber es ist davon auszugehen, dass der thurgauische Verordnungsgeber bei der Festsetzung der Maximaltagestaxe in Höhe von Fr. 205.-- unter der Berücksichtigung der Art. 10 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz ELG den innerkantonalen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung getragen hat. Ausserdem wäre es stossend, wenn der Versicherten allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Mutter im Kanton St. Gallen lebt, eine höhere Tagespauschale durch die EL finanziert würde als den anderen Heimbewohnern, die im Kanton Thurgau Ergänzungsleistungen beziehen. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb bei der EL- Berechnung der Versicherten unter analoger Anwendung des § 6 Abs. 1 Ziff. 1 TG ELV eine maximale Tagespauschale von Fr. 205.-- zu berücksichtigen.

4.

    1. Im Sinne der vorstehenden Erwägungen ist der Einspracheentscheid vom 17.

      November 2016 in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. Die Sache ist zur

      Neuberechnung der Ergänzungsleistungen im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

    2. Gerichtskosten sind gemäss Art. 61 lit. a ATSG keine zu erheben.

    3. Grundsätzlich handelt es sich bei der verwaltungsverfahrensrechtlichen Parteientschädigungspflicht um eine Kausalhaftung, die im Wesentlichen einzig an das Unterliegen des Ersatzpflichtigen knüpft und nicht nach dem Verschulden fragt. Sie hat den Zweck, die obsiegende Partei schadlos zu halten (MARTIN BERNET, Die Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Rz 154a, 163). Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die Beschwerde führende Person einen Anspruch auf den Ersatz der Parteikosten. Mit der Beschränkung des Wortlauts auf die "Beschwerde führende Person" soll der Beschwerdegegner - also der Versicherungsträger - vom Parteientschädigungsanspruch ausgeschlossen werden. Diese Ausnahmeregelung soll die Einhaltung des im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatzes des kostenlosen Verfahrens (Art. 61 lit. a ATSG) gewährleisten und ausserdem zur Waffengleichheit zwischen den (privaten und den behördlichen) Parteien beitragen (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Auflage 2015, Rz 199 zu Art. 61, vgl. BERNET a.a.O., Rz 199, vgl. auch BGE 126 V 149 E. 4a f.). Der Grundsatz des kostenlosen Verfahrens trägt nämlich der Tatsache Rechnung, dass das Ziel der materiellen Richtigkeit der Entscheide im Sozialversicherungsrecht ein hohes Gewicht hat. Versicherte Personen, die aufgrund ihrer meist obligatorischen Zugehörigkeit zu einer Sozialversicherung Beschwerde führen wollen, die Prozessaussichten aber angesichts der Komplexität der Fragestellung oft nur schwer abschätzen können, sollen deshalb nicht durch die Kostenpflichtigkeit des Verfahrens vor der Ergreifung eines Rechtsmittels abgeschreckt werden (KIESER, a.a.O., Rz 54 zu Art. 61). Vielmehr soll jede versicherte Person unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation ihre Rechte geltend machen können (vgl. AB 1999 N 1247 ff., insb. das Votum Suter). Die Einschränkung des Art. 61 lit. g ATSG kann deshalb nicht absolut, sondern nur für den Fall gelten, dass die aus sozialen Überlegungen schutzwürdige Partei, nämlich die private Beschwerdeführerin/ der private Beschwerdeführer, unterliegt und Gefahr läuft, den Versicherungsträger mit der Bezahlung einer Parteientschädigung schadlos halten zu müssen. Stehen sich hingegen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor dem Versicherungsgericht zwei Versicherungsträger gegenüber, besteht offensichtlich kein

      Grund, aus sozialen Überlegungen die Parteientschädigungspflicht auszuschliessen. Weil es keinen privaten Versicherten gibt, der aufgrund seiner sozialversicherungsspezifischen Schutzwürdigkeit vor der Tragung der Parteikosten des obsiegenden Versicherungsträgers bewahrt werden müsste, greift der Sozialgedanke nämlich nicht mehr. Übrig bleibt also nur noch der Grundgedanke der Schadloshaltung der obsiegenden und somit im Ergebnis zu Unrecht in ein Beschwerdeverfahren involvierten Partei. Würde auch in einem solchen Fall der Art. 61 lit. g ATSG zur Anwendung gelangen, würde dies zu einer zweckfremden Überdehnung der Norm führen. Die Parteikosten des obsiegenden müssen deshalb durch den unterliegenden Versicherungsträger übernommen werden. Dasselbe muss erst recht auch dann gelten, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um eine extrasystemische Streitigkeit geht und eine Behörde oder ein Gemeinwesen involviert ist, die bzw. das gar nicht mit der Ausrichtung von Sozialversicherungsleistungen betraut ist. Offenbar wird Art. 61 lit. g ATSG jedoch in Übereinstimmung mit Art. 68 Abs. 3 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (SR 173.110; BGG) ausgelegt, was dazu führt, dass Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen wird, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen (UELI KIESER, a.a.O., Rz 200 zu Art. 61). Dass im kantonalen Beschwerdeverfahren eine analoge Anwendung dieser im Verfahren vor Bundesgericht anzuwendenden Norm erforderlich sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Aufgrund der vorangehenden Ausführungen ist vielmehr anzunehmen, dass der Gesetzgeber in Art. 61 lit. g ATSG bewusst einzig unter der Berücksichtigung des Sozialgedankens eine Parteientschädigung für die obsiegende Beschwerdegegnerin ausgeschlossen hat. Über dieses Ziel schiesst der Art. 68 Abs. 3 BGG jedoch deutlich hinaus. Der Gesetzgeber hat in Art. 61 lit. g ATSG weder auf den Art. 68 Abs. 3 BGG verwiesen noch hat er anderweitig Anlass zur Annahme gegeben, dass der Sozialgedanke nicht nur die versicherte Person, sondern in unsachgemässer Weise auch die unterliegenden Behörden vor der Zahlung einer Parteientschädigung an eine obsiegende Behörde bewahren müsste. Auch das st. gallische Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (sGS 951.1; VRP) legt der Parteientschädigung den Sozialgedanken zugrunde (vgl. GVP 1987 Nr. 90). Weil gemäss Art. 98 f. VRP grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten besteht, der nach Obsiegen und Unterliegen auferlegt wird, würde auch im Anwendungsbereich des VRP

      eine Parteientschädigung zugesprochen, wenn zwei Behörden einander in einem Verfahren gegenüberstünden und der Sozialgedanke gar nicht zum Zuge käme. Ausserdem ist nicht einzusehen, weshalb eine obsiegende Behörde keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung haben soll, wenn sie "in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt hat". Unabhängig davon, ob der angefochtene Entscheid der unterliegenden Behörde den amtlichen Wirkungskreis der obsiegenden betroffen hat, fallen nämlich aufgrund des Beschwerdeverfahrens Kosten an, die nicht durch die Versichertengemeinschaft des obsiegenden Sozialversicherungsträgers bzw. wie hier durch die Steuerpflichtigen der obsiegenden Gemeinde zu tragen sind. Es besteht also kein Grund, Art. 61 lit. g ATSG in Übereinstimmung mit Art. 68 Abs. 3 BGG auszulegen und somit auch Behörden untereinander von der Bezahlung einer Parteientschädigung zu befreien.

    4. Im konkreten Fall hat sich die Beschwerdeführerin gegen die Anwendung einer kantonalen sozialversicherungsrechtlichen Regelung wehren müssen, die ansonsten zu einer Belastung im Bereich der Sozialhilfe geführt hätte. Die betroffene versicherte Person selbst sowie deren Mutter sind lediglich beigeladen und laufen nicht Gefahr, Parteikosten tragen zu müssen. Deshalb ist der obsiegenden Beschwerdeführerin eine volle Parteientschädigung durch die Beschwerdegegnerin zuzusprechen (Art. 61 lit. g ATSG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. c des st. gallischen Anwaltsgesetzes [sGS 963.70; SG AnwG]). In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vorn Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten (sGS 963.75; HonO) pauschal Fr. 1'000.-- bis Fr. 12'000.--. Der Rechtsagent der Beschwerdeführerin hat keine Kostennote eingereicht. Der massgebende Sachverhalt hat keine Probleme und angesichts des geringen Aktenanteils auch wenig zeitlichen Aufwand bereitet. Zudem ist lediglich eine einzelne Rechtsfrage zu beantworten gewesen. Der Vertretungsaufwand ist deshalb trotz des doppelten Schriftenwechsels als unterdurchschnittlich zu qualifizieren, weshalb eine pauschale Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen erscheint.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In Gutheissung der Beschwerde wird die Sache zur Neuberechnung der Ergänzungsleistungen im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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