Zusammenfassung des Urteils B 2020/5: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht entschied in einem Fall betreffend Sozialhilfe, dass die politische Gemeinde Y. nicht verpflichtet ist, die Kosten für ärztliche Behandlungen von X. zu übernehmen, da diese nach dem Ende der Sozialhilfe abgerechnet wurden. X. hatte gegen den Entscheid des Departements des Innern Beschwerde erhoben, die jedoch abgewiesen wurde. Das Gericht stellte fest, dass gemäss den Prinzipien der Sozialhilfe die finanzielle Unterstützung nur für gegenwärtige Bedürfnisse gewährt wird. Da X. ab dem 1. März 2019 IV-Taggelder erhielt und nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen war, war die politische Gemeinde nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen, und X. wurde aufgefordert, die Gerichtskosten in Höhe von CHF 1'000 zu tragen.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | B 2020/5 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 08.05.2020 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Sozialhilfe. Ärztliche Behandlung, Krankheitskosten. Massgebend für die Übernahme der Krankheitskosten ist das Rechnungs- und nicht das Behandlungsdatum (Bedarfsdeckungs- und Gegenwärtigkeitsprinzip). Abweisung der Beschwerde (Verwaltungsgericht, B 2020/5). |
Schlagwörter: | Sozialhilfe; Taggeld; Rechnung; IV-Taggeld; Entscheid; Behandlung; Taggelder; Gallen; Leistungsabrechnung; Anspruch; Ergänzungsleistungen; IV-Taggelder; Vorinstanz; Krankenkasse; Invalidenversicherung; Übernahme; Rechnungs; Verwaltungsgericht; IV-Stelle; Lebensunterhalt; Wizent; Hilfe; Datum; Zeitpunkt; Doppelzahlung |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Besetzung
Abteilungspräsident Eugster; Verwaltungsrichterin Bietenharder, Verwaltungsrichter Engeler; Gerichtsschreiberin Schambeck
Verfahrensbeteiligte
X. ,
Beschwerdeführerin,
gegen
Departement des Innern des Kantons St. Gallen, Regierungsgebäude,
9001 St. Gallen, Vorinstanz, und
Politische Gemeinde Y. ,
Beschwerdegegnerin,
Gegenstand
Sozialhilfe (Leistungsabrechnung Krankenkasse)
Das Verwaltungsgericht stellt fest: A.
A.a.
X. , Jahrgang 1990, wurde nach einem Unterbruch ab 1. April 2018 sozialhilferechtlich von der politischen Gemeinde Y. unterstützt. Da X. ab dem 4. Februar 2019 an einer beruflichen Eingliederungsmassnahme der IV-Stelle teilnahm und ihr dafür ein Taggeld der Invalidenversicherung (IV) zugesprochen wurde (Verfügung der IV-Stelle vom 18. Januar 2019, act. 6/4/5), konnte sie per 28. Februar 2019 von der Sozialhilfe abgelöst werden (Kontoauszug der Sozialhilfe, act. 6/4/3).
A.b.
Mit E-Mail vom 16. April 2019 ersuchte X. die Sozialen Dienste Y. um Übernahme der Kosten gemäss Leistungsabrechnung der A. Krankenkasse AG vom 6. März 2019 für Behandlungen im Zeitraum vom 4. bis 25. Februar 2019 in der Höhe von CHF
109.45 (act. 6/4/1 und 6/4/6). Die Sozialen Dienste Y. lehnten die Kostenübernahme mit Verfügung vom 31. Mai 2019 ab. Sie führten aus, dass bei der Übernahme von Arztrechnungen bzw. medizinischen Kosten auf das Rechnungsdatum und nicht auf das Behandlungsdatum abgestellt werde (act. 6/4/9). Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Departement des Innern mit Entscheid vom 12. Dezember 2019 ab.
B.
Am 6. Januar 2020 erhob X. (Beschwerdeführerin) beim Verwaltungsgericht Beschwerde gegen den Entscheid des Departements des Innern (Vorinstanz) vom 12. Dezember 2019. Sie stellte den Antrag auf Aufhebung der Ziff. 1 des Entscheids der Vorinstanz und Übernahme der Kosten gemäss der Leistungsabrechnung der A. Krankenkasse AG vom 6. März 2019. Zudem beantragte sie die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne eines Verzichts auf Gerichtskostenvorschüsse.
Der Abteilungspräsident verzichtete mit Schreiben vom 8. Januar 2020 auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses und stellte gleichentags die Gegenstandslosigkeit des entsprechenden Antrags fest.
Die Vorinstanz schloss in ihrer Vernehmlassung vom 15. Januar 2020 auf Abweisung der Beschwerde und verwies auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid. Mit Eingabe vom 7. Februar 2020 ersuchte die politische Gemeinde Y. (Beschwerdegegnerin) ebenfalls um Abweisung der Beschwerde, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids und die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Begründung ihrer Anträge sowie die Akten wird, soweit für den Entscheid relevant, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.
Darüber zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
1. (…)
2.
2.1.
Nach Art. 2 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes (sGS 381.1, SHG) bezweckt persönliche Sozialhilfe, der Hilfebedürftigkeit vorzubeugen, deren Folgen nach Möglichkeit zu beseitigen zu mildern und die Eigenverantwortung und die Selbsthilfe der Hilfebedürftigen sowie ihre soziale und berufliche Integration zu fördern. Gestützt auf das in der Sozialhilfe massgebende Subsidiaritätsprinzip wird Sozialhilfe geleistet, soweit keine Hilfeleistung durch unterstützungspflichtige Verwandte andere Dritte gewährt wird diese nicht rechtzeitig verfügbar ist und kein Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen auf Sozialhilfe nach der besonderen Gesetzgebung besteht (Art. 2 Abs. 2 SHG). Anspruch auf finanzielle Sozialhilfe hat, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann (Art. 9 Abs. 1 SHG). Finanzielle Sozialhilfe umfasst Geld- und Sachleistungen sowie Kostengutsprachen. Sie wird rechtzeitig gewährt (Art. 10 Abs. 1 und 2 SHG). Zur materiellen Grundsicherung gehören nebst dem Grundbedarf für den Lebensunterhalt und den Wohnkosten auch die medizinische Grundversorgung (G. Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, Rz. 479 und S. 193 ff.; Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) Kapitel B).
Das Sozialhilferecht kennt eine Reihe von fundamentalen Prinzipien. Das Bedarfsdeckungs-, Tatsächlichkeits- und Gegenwärtigkeitsprinzip, das
Individualisierungs-, Final- und Subsidiaritätsprinzip skizzieren die Sozialhilfe als konkrete, gegenwärtige, individuelle, verschuldensunabhängige und nachrangige Hilfe (Wizent, a.a.O., S. 145 ff.; F. Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl. 1999,
S. 69 ff.). Als bedarfsorientierte Sozialleistung wird die Sozialhilfe für eine gegenwärtige Notlage ausgerichtet. Der grundlegende Lebensbedarf kann nur in dem Augenblick befriedigt werden, in welchem er besteht. Somit haben grundsätzlich nur gegenwärtig mittellose Personen Anspruch auf Sozialhilfe (Wizent, a.a.O., S. 160). In Bezug auf die zeitliche Übernahme von Kostenbeteiligungen und Arztrechnungen ist unter Berücksichtigung dieser Prinzipien grundsätzlich auf das Rechnungs- und nicht auf das Behandlungsdatum abzustellen, ausser es wurde vorgängig eine Kostengutsprache erteilt (Wizent, a.a.O., S. 160, Fussnote 418).
2.2.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin von der Beschwerdegegnerin bis zum 28. Februar 2019 sozialhilferechtlich unterstützt wurde (act. 6/4/3). Die Beschwerdeführerin war am 4., 15. und 25. Februar 2019 in ärztlicher Behandlung. Die Leistungsabrechnung betreffend diese Behandlungen stellte die A. Krankenkasse AG der Beschwerdeführerin am 6. März 2019 zu mit einer Zahlungsfrist von 30 Tagen (act. 6/4/6).
Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin erachten für die Übernahme der Arztrechnungen den Rechnungszeitpunkt als massgebend. Da die Beschwerdeführerin ab dem 1. März 2019 nicht mehr durch die Sozialhilfe unterstützt worden sei, könne die Rechnung vom 6. März 2019 nicht über die Sozialhilfe vergütet werden.
Dagegen beharrt die Beschwerdeführerin auf dem Standpunkt, dass die Arztbehandlungen noch während ihrer Unterstützungszeit stattgefunden hätten und daher zu übernehmen seien. Als die Auszahlung ihrer Waisenrente und der gleichzeitig ausbezahlten Ergänzungsleistungen eingestellt worden sei, sei ihr ausdrücklich erklärt worden, dass bundesrechtlich geregelt sei, dass für den Sozialversicherungsschutz und die Sozialhilfe nicht das Datum der Rechnung, sondern das Datum der ärztlichen Behandlung massgebend sei, damit Doppelauszahlungen verhindert werden könnten. Dies sei auch vorliegend im Verhältnis zu den ihr damals ausbezahlten IV-Taggeldern der Fall.
2.3.
Die Beschwerdeführerin bemerkt zu Recht, dass sie sich noch während des Bezugs der finanziellen Sozialhilfe im Februar 2019 in die ärztlichen Behandlungen gemäss der Leistungsabrechnung begeben hatte. Damit entstand die Forderung zwar grundsätzlich
im Zeitpunkt der Behandlung, jedoch wurde sie erst später, am 6. März 2019, in Rechnung gestellt. Beglichen werden konnte die Rechnung folglich erst ab dem Datum der Rechnungsstellung. Zu den grundlegenden Prinzipien in der Sozialhilfe gehören – wie bereits in E. 2.1 erwähnt – das Bedarfsdeckungs- und Gegenwärtigkeitsprinzip. Demnach ist bei der Sozialhilfe immer die gegenwärtige wirtschaftliche Situation einer Person ausschlaggebend. Ab 1. März 2019 wurde die Beschwerdeführerin nicht mehr durch die Sozialhilfe unterstützt, da ihr ab diesem Zeitpunkt IV-Taggelder ausbezahlt wurden und sie aus sozialhilferechtlicher Sicht nicht mehr bedürftig war. Dementsprechend ist die erst nach der Leistungseinstellung der Sozialhilfe am 6. März 2019 ausgestellte und damit erst ab diesem Datum zur Zahlung innert 30 Tagen fällig gewordene Rechnung nicht von der Beschwerdegegnerin zu übernehmen.
Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände betreffend allfällige Doppelzahlungen aufgrund der ausbezahlten IV-Taggelder bzw. dem ihrer Meinung nach gültigen Sozialversicherungsrecht sind nicht ohne Weiteres verständlich und nachvollziehbar. Der Beschwerdeführerin wurden im Zeitpunkt der Rechnungsstellung der A. Krankenkasse AG im März 2019 IV-Taggelder ausbezahlt. Diese IV-Taggelder während einer beruflichen Eingliederungsmassnahme dienen grundsätzlich dazu, den invaliditätsbedingten Erwerbsausfall zu decken. Im Unterschied zur Sozialhilfe wird bei der Berechnung der IV-Taggelder nicht auf den allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf für den Lebensunterhalt, Unterkunft und medizinische Grundversorgung) abgestellt, sondern grundsätzlich auf das zuletzt erzielte Einkommen vor Eintritt der Invalidität (grosses Taggeld; sofern noch in der ersten beruflichen Ausbildung kleines Taggeld [siehe Verfügung der IV-Stelle St. Gallen vom 18. Januar 2019, act. 6/4/5]; Art. 22 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [SR 831.20, IVG], sowie Berechnung Art. 17 ff. der Verordnung über die Invalidenversicherung [SR 831.201, IVV], siehe auch Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung, KSTI, https://sozialversicherungen.admin.ch/de/ unter: IV/Grundlagen IV/individuelle Leistungen/Kreisschreiben). Nachdem die Beschwerdeführerin im März 2019 nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen war, hätte das IV-Taggeld damit für die Bestreitung ihres Lebensunterhalts ausreichen sollen. Dazu gehört auch die Bezahlung der strittigen Leistungsabrechnung. Denn im Gegensatz zur Sozialhilfe kann bei einem Anspruch auf IV-Taggeld bei der IV-Stelle nicht zusätzlich eine Abgeltung für
Krankheitskosten gefordert werden. Inwiefern sich daraus also ein Problem bezüglich Doppelzahlungen ergeben soll, erschliesst sich nicht. Allerhöchstens könnte eine allfällige Doppelzahlung im Zusammenhang mit zum IV-Taggeld ausbezahlten Ergänzungsleistungen bzw. der Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten über die Ergänzungsleistungen (Art. 14 des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [SR 831.30, ELG]) entstehen. Die allgemeinen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen sind in Art. 4 ELG definiert. Unter anderem müsste eine versicherte Person ununterbrochen während mindestens sechs Monaten ein Taggeld der IV beziehen (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG). Im vorliegend massgebenden Zeitpunkt im März 2019 erfüllte die Beschwerdeführerin diese Anspruchsvoraussetzungen nicht. Somit kann sich die Frage einer allfälligen Doppelzahlung durch die Sozialhilfe und der Ergänzungsleistungen gar nicht stellen. Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen.
3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von CHF 1‘000 ist angemessen (Art. 7 Ziff. 222 der Gerichtskostenverordnung, sGS 941.12, GKV).
Es sind keine ausseramtlichen Kosten zuzusprechen (Art. 98 Abs. 1 und Art. 98bis VRP).
Der Beschwerdegegnerin steht kein Kostenersatz zu (vgl. VerwGE B 2019/117 vom
19. Dezember 2019 E. 5.3, VerwGE B 2017/59 vom 23. März 2018 E. 7, R. Hirt, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, St. Gallen 2004, S. 176 ff., A. Linder, in: Rizvi/Schindler/Cavelti [Hrsg.], Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2020, N 20 zu Art. 98bis VRP), und die Beschwerdeführerin ist unterlegen und hat auch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
Demnach erkennt das Verwaltungsgericht auf dem Zirkulationsweg zu Recht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 1‘000 trägt die
Beschwerdeführerin.
3.
Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.
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