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Urteil Verwaltungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:B 2019/95
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2019/95 vom 22.08.2019 (SG)
Datum:22.08.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Wasserbaurecht, Gewässerschutzrecht, Art. 29 Abs. 1 KV, Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG, Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG. Beschwerdebefugnis der Gemeinde (E. 1). Beim zu beurteilenden Gewässer handelt es sich nicht mehr um eine blosse Meteorwasserleitung oder einen Werksteil einer Wasserkraftnutzungsanlage, sondern um ein öffentliches Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG (E. 3.1). Qualifikation als ober- oder unterirdisches Gewässer gemäss Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG verneint, da das zu beurteilende Gewässer kein ökologisch wertvolles künstliches Nebengewässer ist resp. keine Gewässerteilung vorliegt (E. 3.2), (Verwaltungsgericht, B 2019/95).
Schlagwörter: Gewässer; Wasser; Beschwerde; Dorfbäche; GSchG; Beschwerdeführerin; Oberirdische; Gewässers; Verwaltung; Wasserkraft; Bundes; Hinweise; Hinweisen; VerwGE; Vorinstanz; Verwaltungsgericht; Verfügung; Gemeinde; Gewässern; Natürliche; Kanton; Gewässerschutzgesetz; Künstlich; Angefochtene; Kommentar; Gallen; Wasserlauf; Handle; Oberirdischen; Wasserrechtsverzeichnis
Rechtsnorm: Art. 111 BGG ; Art. 50 BV ; Art. 76 BV ;
Referenz BGE:107 IV 63; 120 IV 300; 145 I 52; 145 II 140; 91 II 474;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Entscheid vom 22. August 2019

Besetzung

Abteilungspräsident Eugster; Verwaltungsrichterin Zindel, Verwaltungsrichter Steiner; Gerichtsschreiber Bischofberger

Verfahrensbeteiligte

Politische Gemeinde X. , Gemeinderat,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. HSG Benedikt Fässler, factum advokatur,

Davidstrasse 1, Postfach 635, 9001 St. Gallen,

gegen

Baudepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnenstrasse 54, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz, Gegenstand Gewässerfeststellung

Das Verwaltungsgericht stellt fest:

  1. In X. Dorf verläuft zwischen dem Grundstück Nr. 00 , Grundbuch X. , und der A. (kantonales Gewässer, Parzelle Nr. 01 ) ein über weite Strecken überdeckter oder eingedolter, künstlich angelegter Wasserlauf (X. er Dorfbäche oder Vorderer bzw. Hinterer sowie Vereinigter resp. Ganzer Dorfbach), welcher zu Wasserkraftnutzungs- und Spülzwecken von der B. (Gemeindegewässer) gespiesen wird. Am 13. Dezember 2018 beantragte die Politische Gemeinde X. beim Baudepartement, es sei festzustellen, dass es sich bei diesem Wasserlauf nicht um ein Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes über die Gewässernutzung (sGS 751.1, GNG) handle. Mit Verfügung vom 24. April 2019 stellte das Baudepartement fest, dieser Wasserlauf sei ein Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG und der eidgenössischen Gewässerschutzgesetzgebung (act. 2, act. 8/2, www.geoportal.ch).

  2. Gegen die Verfügung des Baudepartements (Vorinstanz) vom 24. April 2019 erhob

die Politische Gemeinde X. (Beschwerdeführerin) durch ihren Rechtsvertreter am

8. Mai 2019 Beschwerde beim Verwaltungsgericht (act. 1). Am 24. Mai 2019 ergänzte sie die Beschwerde mit einer Begründung und dem Rechtsbegehren, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben. Es sei festzustellen, dass es sich bei den X. er Dorfbächen weder um ein Gewässer im Sinn der eidgenössischen Gewässerschutzgesetzgebung noch gemäss Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG handle (act. 5). Mit Vernehmlassung vom 14. Juni 2019 schloss die Vorinstanz auf Abweisung der

Beschwerde (act. 7). Mit Replik vom 3. Juli 2019 bestätigte die Beschwerdeführerin ihre Anträge und Ausführungen (act. 10).

Auf die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Begründung ihrer Anträge und die Akten wird, soweit wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.

Darüber zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (vgl. Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege; sGS 951.1, VRP). Die Beschwerdeeingabe vom 8. Mai 2019 (act. 1) erfolgte rechtzeitig und erfüllt zusammen mit der Ergänzung vom 24. Mai 2019 (act. 5) die formellen und inhaltlichen Anforderungen (Art. 64 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP).

Zur Erhebung der Beschwerde ist berechtigt, wer an der Änderung oder Aufhebung der Verfügung ein eigenes schutzwürdiges Interesse dartut (vgl. Art. 64 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Eine Gemeinde ist gegen einen Rechtsakt beschwerdelegitimiert, wenn sie durch ihn in qualifizierter Weise in schutzwürdigen hoheitlichen Interessen berührt wird. Dies setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus (vgl. BGer 1C_107/2018 vom 30. August 2018 E. 5.3 mit Hinweisen, allerdings in Bezug auf Art. 89 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht, Bundesgerichtsgesetz; SR 173.110, BGG, siehe zum Grundsatz der Einheit des Verfahrens Art. 111 Abs. 1 BGG und VerwGE B 2018/80; B 2018/82 vom 23. Mai 2019

E. 4.2 sowie VerwGE B 2014/203 vom 25. Mai 2016 E. 4.1 je mit Hinweisen,

www.gerichte.sg.ch).

Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeergänzung vom 24. Mai 2019 (act. 5,

S. 2 f., Ziff. I/3) nachvollziehbar dargetan hat, wirkt sich die vorliegend strittige Qualifikation der X. er Dorfbäche als Gewässer im Sinn von Art. 2 und Art. 4 lit. a, b und m des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz; SR 814.20, GSchG) – die Vorinstanz ging in dieser Hinsicht in Anwendung von Art. 21 Abs. 2 VRP über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 13. Dezember 2018 hinaus – auf deren Ortsplanung aus. Falls die angefochtene Verfügung zu bestätigen wäre, träfe die Beschwerdeführerin die Pflicht, im Rahmen der kommunalen Nutzungsplanung über die Ausscheidung des entsprechenden Gewässerraums zu befinden (vgl. dazu

Art. 36a Abs. 1 und 3 Satz 1 GSchG, Art. 41a der Gewässerschutzverordnung;

SR 814.201, GSchV, und Art. 90 Abs. 1 und 2 des Planungs- und Baugesetzes; sGS 731.1, PBG). Überdies präjudiziert diese Qualifikation und diejenige als Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 GNG die Zuordnung zu den fliessenden Oberflächengewässern nach Art. 1 Abs. 2 des Wasserbaugesetzes (sGS 734.1, WBG SG, vgl. zum Abstimmungserfordernis zwischen den Ausführungserlassen zu Art. 76 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft; SR 101, BV, A. Marti, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender [Hrsg.], St. Galler Kommentar, Die Schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, Art. 76 Rz. 6, und Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GSchV). Insoweit wird auch die wasserbauliche Hoheit der Beschwerdeführerin (Gemeindegewässer oder übrige Gewässer) und damit deren Gemeindeautonomie

tangiert (vgl. dazu Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 WBG SG sowie Art. 50 Abs. 1 BV, und Art. 89 der Verfassung des Kantons St. Gallen; SR 131.225, sGS 111.1, KV). Die Beschwerdeführerin wird somit in qualifizierter Weise in schutzwürdigen hoheitlichen Interessen berührt, weshalb sie beschwerdelegitimiert ist. Daran ändert nichts, dass der Gewässerbegriff nach Art. 2 Abs. 1 GNG bzw. Art. 2 sowie Art. 4 lit. a, b und

m GSchG nicht deckungsgleich ist mit demjenigen nach Art. 1 Abs. 2 WBG SG (vgl. dazu W. Ritter, Kommentar zum Wasserbaugesetz des Kantons St. Gallen,

Widnau 2012, S. 54, und Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Wasserbau; SR 721.100, WBG, wonach Grundwasservorkommen generell ausgenommen sind, siehe dazu auch BVR 2016, S. 284 f. E. 3.5) und die Beantwortung der Frage, ob die X. er Dorfbäche als fliessende Oberflächengewässer im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 1 WBG SG einzustufen sind, nicht Verfahrensgegenstand bildet. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführerin nach der bisherigen Praxis (vgl. hierzu VerwGE B 2017/184 vom 13. Dezember 2018 E. 1, VerwGE B 2016/224 vom 5. Dezember 2018 E. 1, VerwGE B 2018/40 vom

23. Mai 2018 E. 1, VerwGE B 2014/166 vom 17. Dezember 2015 E. 1 je mit Hinweis[en], www.gerichte.sg.ch) eine Berufung auf Art. 64 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2 VRP versagt bliebe, da ihr hinsichtlich der Qualifikation der X. er Dorfbäche als Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 GNG und Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG keine Verfügungskompetenz zukommt (vgl. dazu Art. 4 Abs. 2 WBG SG, Art. 2 Abs. 2 GNG und Art. 47 Abs. 2 des Vollzugsgesetzes zur eidgenössischen

Gewässerschutzgesetzgebung; sGS 752.2, GSchVG, kritisch: Cavelti/Vögeli,

Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, 2. Aufl. 2003, Rz. 457).

  1. Die Beschwerdeführerin stellt den Beweisantrag (act. 10), es sei "nötigenfalls" ein Augenschein durchzuführen (vgl. dazu VerwGE B 2018/52 vom 27. Februar 2019 E. 3 mit Hinweis, www.gerichte.sg.ch). Dieser Antrag ist abzuweisen. Im vorliegenden Fall stellen sich primär Fragen der rechtlichen Würdigung von konkreten tatsächlichen Gegebenheiten. Letztere ergeben sich aus den Verfahrensakten sowie aus dem Geoportal (vgl. dazu BGer 1C_13/2018 vom 13. März 2019 E. 3 mit Hinweisen).

  2. Die Beschwerdeführerin bringt vor (act. 5, S. 7-12, Ziff. II/B, act. 10), die X. er Dorfbäche seien gleichzusetzen mit der Druckleitung eines Wasserkraftwerks, bei welcher es sich zweifellos nicht um ein öffentliches, oberirdisches Gewässer handle. Sie verfügten weder über ein Wasserbett mit Sohle und Böschung noch über eine tierische oder pflanzliche Besiedelung. Sie hätten keine natürlichen Funktionen. Sie seien nie natürliche oberirdische Fliessgewässer gewesen, welche irgendwann durch menschliche Eingriffe verbaut, korrigiert oder eingedolt worden seien. Zudem bestehe keine Hochwassergefahr, da die Wassermenge der X. er Dorfbäche dotiert sei. Nur eine gewisse Entwässerungsfunktion (Meteorwasserleitung) könne ihnen nicht abgesprochen werden.

Demgegenüber stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt (vgl. E. 3.4 f. und 4.2 des angefochtenen Entscheids, act. 2, S. 4 f., sowie act. 7), bei den X. er Dorfbächen handle es sich um einen Teil des zu Wasserkraftnutzungs- und Spülzwecken abgeleiteten B. -bachs. Es sei von einer Gewässerteilung auszugehen. Dementsprechend bezögen sich die im kantonalen Wasserrechtsverzeichnis dokumentierten und von der Regierung anerkannten Wasserkraftnutzungen auf die

X. er Dorfbäche und nicht auf den B. -bach. Deshalb handle es sich dabei um öffentliche Gewässer. Darüber hinaus zählten verbaute, korrigierte, überdeckte oder eingedolte Wasserläufe auch zu den oberirdischen Gewässern.

    1. Dem Kanton steht die Hoheit über die Gewässer zu (Art. 29 Abs. 1 KV, siehe auch Art. 76 Abs. 4 BV und R. Jagmetti, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band VII, Energierecht, Basel 2005, Ziff. 4105 ff.). Ihm ist es überlassen, zu bestimmen, von

      welcher Grösse an ein Gewässer als öffentlich gilt und daher im Gemeingebrauch steht

      (vgl. dazu Art. 664 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches; SR 210, ZGB, BGer 2C_900/2011 vom 2. Juni 2012 E. 2.1 und BGer 2C_622/2010 vom

      20. Dezember 2010 E. 3.2 je mit Hinweisen sowie Rey/Strebel, in: Geiser/Wolf [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 6. Aufl. 2019, Art. 664 Rz. 28). Privateigentum schliesst die Öffentlichkeit des Gewässers nicht aus (vgl. GVP 1978 Nr. 62). Laut Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG sind unter anderem die Seen, Flüsse und Bäche öffentliche Gewässer (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, Wasserrechtsgesetzes; SR 721.80, WRG, wonach auch Kanäle als öffentliche Gewässer gelten, an denen nicht Privateigentum nachgewiesen ist). Was unter einem öffentlichen Bach – Seen und Flüsse fallen hier ausser Betracht – im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Massgebend sind Funktion, Bedeutung und Ausdehnung des Gewässers. Der Wasserlauf muss eine gewisse mittlere Ergiebigkeit aufweisen, damit er zu den öffentlichen Gewässern zählt (vgl. VerwGE B 2016/119 vom 16. August 2018 E. 8.1 und VerwGE B 2015/126 vom 30. Mai 2017 / 4. Juli 2017 E. 2.1.1 je mit Hinweisen, www.gerichte.sg.ch, sowie Jsabelle Blunschy Scheidegger, Kommentar zum bernischen Wassernutzungsgesetz, Bern 2003, S. 33 ff.).

      Vorweg steht ausser Frage, dass die blosse Bezeichnung eines Wasserlaufs als "Bach" nicht entscheidet, ob es sich um ein öffentliches Gewässer handelt. Weiter wird von der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Nutzbarmachung der Wasserkraft nicht in Abrede gestellt, dass die X. er Dorfbäche die erforderliche mittlere Ergiebigkeit aufweisen, um zu den öffentlichen Gewässern zu zählen (vgl. dazu Sachverhalt lit. B

      der Bewilligung des Amtes für Umweltschutz vom 22. August 2002, act. 8/3, S. 2, wonach der mittlere, jährliche Abfluss Qm im Vorderen Dorfbach 800 l/s beträgt). Des Weiteren erstrecken sich die X. er Dorfbäche über eine grössere Anzahl von

      Grundstücken. Privates Eigentum an diesem Wasserlauf hat die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen (vgl. dazu E. Häuptli-Schwaller, in: Baumann/van den Bergh/ Gossweiler/Häuptli/dieselbe/Sommerhalder Forestier [Hrsg.], Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 114 Rz. 4 und 7 ff.). Nach unbestrittener Darstellung der Vorinstanz (act. 7 Ziff. 3) stammt das Wasser der X. er Dorfbäche aus dem Unterwasserkanal der Wasserkraftanlage K. der Q. AG (vgl. dazu Nr. IV/77 des kantonalen Wasserrechtsverzeichnisses). Gemäss dem kantonalen

      Wasserrechtsverzeichnis (www.geoportal.ch) bestehen neben mehreren anerkannten ehehaften Rechten (Nrn. …, vgl. dazu auch BGE 145 II 140 E. 5 mit Hinweisen) zudem zwei Bewilligungen des Staates für die Kraftnutzung der X. er Dorfbäche (Nrn. IV/28 und IV/41, vgl. dazu die Bewilligung vom 22. August 2002, act. 8/3), mittels derer der Staat die Ausübung des Wasserregals an die jeweiligen Bewilligungsnehmer übertrug. Die Inhaber all dieser Wasserrechte sind indes nur zur Ausnutzung der Wasserkraft befugt, das Wasser selbst steht nicht in ihrem Eigentum, höchstens die Kanalanlage, was aber am Charakter als öffentliches Gewässer nichts ändert (vgl. E. Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, 2. Aufl. 1985, § 76 Rz. 2a). Aus den Einträgen im Wasserrechtsverzeichnis erhellt überdies, dass die X. er Dorfbäche bereits unter das Wasserregal des Kantons St. Gallen gestellt worden sind. Dafür spricht auch, dass sie schon in der Eschmannkarte von 1850, der Dufourkarte von 1854 und der Siegfriedkarte von 1888 (blaue Linie) als Gewässer resp. Bach oder Kanal dargestellt sind (vgl. dazu Erklärung der Zeichen der Eschmannkarte, Instruktion zur Dufourkarte von 1896, Randtitel "Darzustellende Objekte", lit. a, und "Gewässer" sowie Instruktion zur Siegfriedkarte vom 22. April 1872, Ziff. 3/B/1, www.sg.ch, www.swisstopo.admin.ch, www.geoportal.ch, map.geo.admin.ch). Unter diesen Umständen besteht für das Verwaltungsgericht kein Grund, an der Einschätzung der Vorinstanz, die X. er Dorfbäche seien öffentliche Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG, zu zweifeln, selbst wenn deren Betrieb bisher weitgehend privatrechtlich geregelt gewesen sein sollte (vgl. dazu, insbesondere zum Reglement der Vereinigung der Wassergewerbebesitzer am Dorfbach zu X. , R. Gadient, Die Gewerbebetriebe an den X. er Dorfbächen, Sissach 1998, S. 31-38, siehe zum Gewässerunterhalt auch Art. 9 ff. und Art. 38 ff. WBG SG). Mit Blick auf die Funktion, Bedeutung und Ausdehnung dieses Gewässers kann nicht (mehr) von einer blossen Meteorwasserleitung oder einem Werksteil einer Wasserkraftnutzungsanlage (vgl. dazu Vorprüfungsbericht des Amtes für Raumentwicklung und Geoinformation vom

      26. Februar 2018, act. 8/2.6, S. 5 f., siehe auch Aktennotiz von G. Germann vom

      18. Juni 1985 und Beschluss des Regierungsrats vom 12. Mai 1922 betreffend Stadtbach Rapperswil, act. 8/4 f.) gesprochen werden, wenngleich die X. er Dorfbäche durch Umlegen des Schiebers auf Grundstück Nr. 00 trockengelegt werden könnten, soweit sich in deren Bett kein Niederschlagswasser sammelt und abfliesst. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin führen weder die fehlende

      Eintragung in der Karte Gewässernetz 1:10'000 (GN 10) noch die Bezeichnung als Meteorwasserleitung in der Grundlagenkarte Gewässerraum (www.geoportal.ch) zu einem anderslautenden Schluss. Diese Karten sind nicht rechtsverbindlich. Die Beschwerde ist in dieser Hinsicht unbegründet.

    2. Das GSchG gilt für alle ober- und unterirdischen Gewässer (vgl. Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG, siehe zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Gewässerschutzes auch Art. 76 Abs. 2 und 3 BV). Es erfasst Wasser nicht als solches, sondern als Teil des natürlichen Wasserkreislaufs (vgl. Art. 1 lit. h GSchG). Ob das Wasser auf oder unter der Erde, in einem natürlichen oder künstlichen Bett fliesst oder steht, ist solange belanglos, als es in jenem Kreislauf bleibt. Die Gewässereigenschaft ist dort zu verneinen, wo das Wasser aus diesem Zusammenhang austritt oder abgesondert wird, wie das bei Abwässern der Fall ist, die in Kanalisationen und Kläranlagen geleitet werden, um die natürlichen Verhältnisse des Wasserhaushalts vor Verunreinigungen zu schützen beziehungsweise jene Verhältnisse durch besondere Behandlung des abgesonderten Wassers wiederherzustellen (vgl. BGE 120 IV 300

E. 3a, BGE 107 IV 63 E. 2 und GVP 1989 Nr. 27, in: SJZ 87/1991, S. 86, und BR 1990,

S. 105, je mit Hinweisen sowie zur Abgrenzung zum Abwasserbegriff nach Art. 4 lit. e GSchG H. Stutz, Schweizerisches Abwasserrecht, Zürich 2008, S. 69 ff.).

Voraussetzung für eine Subsumtion unter den Gewässerbegriff bilden eine gewisse Bestandesdauer sowie eine minimale Ausdehnung (vgl. dazu D. Thurnherr, in: Hettich/ Jansen/Norer [Hrsg.], Kommentar zum Gewässerschutzgesetz und zum Wasserbaugesetz, Zürich 2016, Art. 2 GSchG Rz. 10, Art. 4 GSchG Rz. 5, und H. Jenni,

in: Keller/Zufferey/Fahrländer [Hrsg.], Kommentar NHG, 2. Aufl. 2019, Art. 21 Rz. 5, siehe dazu auch BGer 1C_378/2009 vom 14. Januar 2010 E. 3.2). Art. 4 lit. a GSchG definiert oberirdische Gewässer als Wasserbett mit Sohle und Böschung sowie die tierische und pflanzliche Besiedlung (vgl. dazu auch Anhang 1 Ziff. 1 und Anhang 2

Ziff. 11 f. GSchV). Die oberirdischen Gewässer werden in Fliessgewässer einerseits und stehende Gewässer andererseits unterteilt (vgl. BGer 1C_821/2013; 1C_825/2013 vom

30. März 2015 E. 6.4.2 mit Hinweisen, in: URP 2015, S. 301 ff.). Oberirdische Gewässer im Sinn des GSchG sind auch Fliessgewässer, die eingedolt sind (VerwGE B 2015/308 vom 26. Oktober 2017 E. 5.1 mit Hinweisen, www.gerichte.sg.ch).

In gewässerschutzrechtlicher Hinsicht ist zunächst nicht umstritten, dass die X. er Dorfbäche über kein natürliches Einzugsgebiet verfügen, künstlich (vgl. Karte Natürlichkeitsgrad 2013 Kt SG, act. 8/2.2, www.geoportal.ch) und in erster Linie zur Nutzung der Wasserkraft in verschiedenen Gewerbebetrieben von X. Dorf geschaffen wurden (vgl. dazu BGE 91 II 474 E. 2), über weite Strecken überdeckt oder eingedolt sind und ihnen in ökologischer Hinsicht keine nennenswerte Bedeutung zukommt (vgl.

E. 3.3 des angefochtenen Entscheids, act. 2, S. 4, siehe auch R. Gadient, a.a.O., S. 63). Zudem steht fest, dass sie nicht natürlich als oberirdische Fliessgewässer vorbestanden. Demzufolge entsprechen sie nicht der in Art. 4 lit. a GSchG enthaltenen Definition oberirdischer Gewässer (Wasserbett mit Sohle und Böschung, tierische und pflanzliche Besiedlung), selbst wenn sie streckenweise (Parzellen Nrn. 02 und 03 ) als Kanal offen verlaufen (act. 8/2.1, R. Gadient, a.a.O., S. 33, www.geoportal.ch) und ihnen auch eine gewisse Entwässerungsfunktion zukommt. Die Einwände der Beschwerdeführerin sind insoweit berechtigt. Nach dem Gesagten sind aber auch künstlich angelegte oder eingedolte Fliessgewässer zu den oberirdischen Gewässern zu zählen (vgl. dazu auch die zutreffenden Ausführungen in E. 4.2 des angefochtenen Entscheids, act. 2, S. 5), solange sie Teil des natürlichen Wasserkreislaufs bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht umstritten, dass die X. er Dorfbächen kein verschmutztes Abwasser (mehr) führen (vgl. dazu Art. 4 lit. f. und Art. 7 Abs. 1 GSchG und R. Gadient, a.a.O., S. 44). Hingegen wird das Wasser der X. er Dorfbäche

insofern abgesondert, als es bei der Wasserkraftanlage K. (vgl. dazu Nr. IV/77 des kantonalen Wasserrechtsverzeichnisses) von der B. abgezweigt und den darauffolgenden übrigen Anlagen zur Nutzung der Wasserkraft (vgl. dazu E. 3.1 hiervor) zugeführt wird sowie alsdann in die A. einmündet. Damit wird es dem natürlichen Wasserkreislauf entzogen. Die Vorinstanz macht, allerdings primär unter gewässernutzungsrechtlichen Aspekten, geltend, bei den X. er Dorfbächen handle es sich nicht nur um eine verzweigte Fortsetzung der bestehenden Wasserkraftnutzungen an der B. (vgl. dazu Nrn. IV/75 und IV/76 des kantonalen Wasserrechtsverzeichnisses), zumal sie ein Gefälle von rund 26 m aufwiesen und deren Wasserkraft damit genutzt werden könne. Vielmehr sei von einer Gewässerteilung auszugehen.

Wenn ein künstliches Nebengewässer selbst die Qualität eines naturnahen Gewässers

aufweist, gilt es als oberirdisches Gewässer nach Art. 4 lit. a GSchG. Dennoch handelt

es sich um eine von Menschen geschaffene Wasserentnahme (vgl. zu diesem Begriff Art. 29 lit. a GSchG und Art. 8 Abs. 1 und Abs. 3 lit. h des Bundesgesetzes über die Fischerei; SR 923.0, BGF, sowie V. Huber-Wälchli, in: Hettich/Jansen/Norer [Hrsg.], a.a.O., Art. 29 GSchG Rz. 26 ff.) und soll deshalb, dort wo dies möglich und zweckmässig ist, als solche betrachtet werden. In gewissen Fällen würde aber die Betrachtung als Wasserentnahme und die entsprechende Einhaltung der Restwasservorschriften des GSchG im Hauptgewässer die Erhaltung des ökologisch wertvollen künstlichen Nebengewässers verunmöglichen. Weiter ist bei stark verbautem Hauptgewässer unter Umständen aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll, die Restwassermengen nach GSchG einzuhalten, weil dadurch dem ökologisch wertvolleren Nebengewässer Wasser entzogen würde. In solchen Fällen ist es nach dem Willen des Gesetzgebers angezeigt, das künstliche Nebengewässer und das Hauptgewässer zusammen als das korrigierte Gewässer zu betrachten und als Gewässerteilung zu bezeichnen (vgl. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft [BUWAL], Wegleitung, Angemessene Restwassermengen – Wie können sie bestimmt werden, Bern 2000, S. 16 f., www.bafu.admin.ch).

Die X. er Dorfbäche bestehen zwar schon seit Jahrhunderten (vgl. R. Gadient, a.a.O.,

S. 12 ff., siehe dazu auch Urteil des Verwaltungsgerichts Bern vom 11. August 1997

  1. 5, in: BVR 1998, S. 111 ff., und URP 1998, S. 172 ff.). Wie bereits festgestellt, kann aber nicht von ökologisch wertvollen Nebengewässern gesprochen werden. Damit rechtfertigt sich im vorliegenden Fall nicht, die X. er Dorfbäche zusammen mit der B. als ein geteiltes Gewässer (Neben- und Hauptgewässer) zu betrachten. Die von der Vorinstanz vorgenommene Zuordnung der X. er Dorfbäche zu den oberirdischen Gewässern im Sinn von Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG lässt sich deshalb nicht halten. Dies umso mehr, als die Qualifikation als oberirdisches Gewässer für den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung nicht zwingend nötig ist, da auch das mittelbare Einbringen von Stoffen, die Wasser verunreinigen können, verboten ist (vgl. Art. 6 Abs. 1 GSchG), unbestrittenermassen keine Hochwassergefahr besteht (vgl. dazu Art. 36a Abs. 1 lit. b GSchG) und auf die Ausscheidung des Gewässerraums voraussichtlich ohnehin verzichtet werden könnte (vgl. dazu Art. 41a Abs. 5 lit. b und

    c GSchV sowie E-Mail der zuständigen Kreisplanerin vom 13. September 2018,

    act. 8/2.8). Zu keinem anderen Ergebnis führt das Abstimmungserfordernis zwischen den Ausführungserlassen zu Art. 76 BV und Art. 29 Abs. 1 KV (vgl. dazu die Hinweise

    unter E. 1 hiervor): Die Begriffe "öffentliches Gewässer" nach Art. 1 Abs. 2 WRG und Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG resp. "ober- und unterirdische Gewässer" nach Art. 2 und Art. 4 lit. a und m GSchG sind nicht deckungsgleich, verfolgen diese Gesetze doch unterschiedliche Regelungsziele (Nutzbarmachung der Wasserkräfte, Schutz der Gewässer vor nachteiligen Einwirkungen). Im vorliegenden Fall darf die jeweilige Qualifikation deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt unterschiedlich ausfallen. Ferner ändert auch der Umstand, dass bei der Auslegung des unbestimmten

    Rechtsbegriffs der oberirdischen Gewässer ein Handlungsspielraum der Verwaltung zu wahren ist und sich das Verwaltungsgericht eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen hat (vgl. dazu Art. 47 Abs. 2 GSchVG, BGE 145 I 52 E. 3.6 mit Hinweisen und Cavelti/ Vögeli, a.a.O., Rz. 724 ff.), nichts daran. Es liegt nicht mehr im Grenzbereich, ob hier noch von oberirdischen Gewässern gesprochen werden kann. Die Beschwerde ist in diesem Punkt teilweise gutzuheissen und Dispositiv-Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung insoweit abzuändern, als die X. er Dorfbäche keine Gewässer im Sinn der eidgenössischen Gewässerschutzgesetzgebung sind.

    4. […]

    Demnach erkennt das Verwaltungsgericht zu Recht:

    1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 der angefochtenen

      Verfügung wird aufgehoben und lautet neu:

      "Die X. er 'Dorfbäche', bestehend aus dem 'Vorderen Dorfbach', dem 'Hinteren Dorfbach' und dem 'Vereinigten oder Ganzen Dorfbach' in X. Dorf sind öffentliche Gewässer im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 GNG. Sie sind keine Gewässer im Sinn der eidgenössischen Gewässerschutzgesetzgebung."

    2. Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 4'000 gehen je zur Hälfte

zu Lasten der Beschwerdeführerin und des Staates; auf die Erhebung wird verzichtet.

Der Abteilungspräsident Der Gerichtsschreiber

Eugster Bischofberger

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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